Männerlieder - Frauenlieder

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Als weiteren Sonderfall kann man die Vertonung von Gedichten nennen, die als Dialog zwischen Mann und Frau gestaltet sind. Ein Sänger übernimmt in "Waldesgespräch" aus Schumanns op. 39 immer auch die Partie der "Hexe Loreley" und umgekehrt eine Sängerin immer die Rolle des Mannes. Ebenso in Mahlers "Wo die schönen Trompeten blasen" aus den Wunderhornliedern (obwohl ich mich erinnere, dieses Lied schon irgendwo einmal mit verteilten Rollen gehört zu haben). Es gibt sicherlich weitere Beispiele.


    "Wo die schönen Trompeten blasen" habe ich zwar noch nicht so gehört, und angeblich soll es auch falsch sein, in den Wunderhornliedenr die Rollen auf zwie Sänger zu verteilen, aber z.B. in der Einspielung mit Evans/Baker/Morris werden die Rollen bei "Der Schildwache Nachtlied", "Lied des Gefangenen im Turm" (Die Gedanken sind frei), "Trost im Unglück" und evtl. noch einem Lied so verteilt.
    Es gibt wohl einige Aufnahmen der Wunderhornlieder mit einem Sänger für alle Lieder (Hampson z.B.; die hier noch beigefügten Urlicht und Das himmlische Leben finde ich auch etwas seltsam von einem Mann)
    Rein gewohnheitsmäßig haben sich aber hier auch Männer- und Frauenlieder ergeben. Von den "Dialogliedern" scheint mir "Wo die schönen Trompeten blasen" ein Frauenlied, die Schildwache und der Gefangene Männerlieder.


    Das berühmteste Lied, in dem ein Sänger sogar drei Rollen verkörpern muß, ist wohl Schuberts Erlkönig (auch mal wieder eins, das gleichermaßen von Männern und Frauen gesungen wird).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo


    Wenn ich mir das so durchlese, frage ich mich, ob man dieses Thema nicht zu eng betrachtet.


    Mir ist eigentlich nicht bekannt, dass es bei Rezitationsabenden Regeln gäbe, welche Gedichte nur von Frauen und welche nur von Männern vorgetragen werden dürfen. Warum sollte es dann beim Vortrag der vertonten Gedichte plötzlich anders sein?

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das berühmteste Lied, in dem ein Sänger sogar drei Rollen verkörpern muß, ist wohl Schuberts Erlkönig (auch mal wieder eins, das gleichermaßen von Männern und Frauen gesungen wird).


    Und gerade dieses Lied finde ich ein Lied, daß nur Männer singen sollen.
    Ich habs sowohl Männer als Frauen singen hören. Und bei den Frauen vermisse ich etwas. Laß ich das mal "Tiefe" nennen, obwohl das keine richtige Bezeichnung ist. Denn ein Baß, der es sang, hatte m.E. eine zu dunkele Stimme.


    Ich zögere noch immer, aber glaube das wahrscheinlich mit einem Bariton dieses Lied am besten klingt. Es sei, es gibt noch die seltsame Tenöre mit einer dunkelen Farbung in ihrer Stimme und die auch noch Lieder singen können.


    LG, Paul

  • Hm. Oute ich mich jetzt als Banause, wenn ich bekenne, dass mir das Rollenspiel im "Erlkönig" mit Jessye Norman immer besonders gut gefallen hat? Und das trotz ihres minimalen Aussprachefehlers ("Erlkönnick" :D) und wegen ihrer phänomenalen Bruststimme ("Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif").


    Oder ist das nicht eher eine Geschmacksfrage, bei der subjektive Antworten möglich sind?


    Und gibt es tatsächlich Sänger, die im "Erlkönig" falsettieren?


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Und gibt es tatsächlich Sänger, die im "Erlkönig" falsettieren?


    Nicht nur meine Muttersprache ist eine schwere Sprache, sondern auch die deutsche (habe ich schon oft festgestellt :D).


    Herbert schrieb nur

    Zitat

    Ein Mann kann eher eine Frauenstimme immitieren (Falsett) als umgekehrt.


    Er schrieb nicht, daß ein Sänger in Erlkönig das Falsettregister benützt oder benützen soll. :untertauch:


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    Herbert schrieb nur


    Er schrieb nicht, daß ein Sänger in Erlk¡nig das Falsettregister benützt oder benützen soll. :untertauch:


    LG, Paul


    Ist mir schon klar ;). Aber das Falsett wäre vielleicht doch eine Lösung für männliche Sänger, die unbedingt "Gretchen am Spinnrade" interpretieren wollen... :D


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich halt's mit Zwielicht: es ist eine sehr subjektive Sache. Wenn jemand, wie z.B. musicophil, findet, dass bei einer Frauenstimme eine Dimension fehlt, die er gern hätte, dann kann ich das nicht wegreden, auch wenn ich es selbst anders wahrnehme. Brigitte Fassbaenders oder Jessye Normans Stimmen empfinde ich beispielsweise als sehr warm und tief(-gründig?).


    Aber der Mensch hört ja nicht mit dem Ohr allein. Je besser ich mich mit der Person, die singt, identifizieren kann, desto lieber höre ich ihr zu. Und eine Person, die etwas tut, was ich grundsätzlich begrüße, wird in meinen Ohren besser klingen als eine, die etwas tut, was ich eher ablehne.


    Übrigens denke ich nicht, dass Frauen Männer "imitieren" sollten, um für Männer geschriebene Lieder zu singen. Es sei denn, sie parodierten... ;)

  • Zitat

    Original von Grimgerdes Schwester
    Ich halt's mit Zwielicht: es ist eine sehr subjektive Sache. Wenn jemand, wie z.B. musicophil, findet, dass bei einer Frauenstimme eine Dimension fehlt, die er gern hätte, dann kann ich das nicht wegreden, auch wenn ich es selbst anders wahrnehme. Brigitte Fassbaenders oder Jessye Normans Stimmen empfinde ich beispielsweise als sehr warm und tief(-gründig?).


    Entschuldigung, aber da wird "hineininterpretiert". :D


    Ich finde nicht, daß "bei einer Frauenstimme eine Dimension fehlt", sondern daß für dieses Lied "eine Dimension fehlt".
    Und das kommt wegen des Inhaltes dieses Liedes. Denn, wie ich schrieb, auch bestimmte Männer (i.c. Bässe) fehlt dafür "eine Dimension".


    Wenn ich also zitiert werde, dann bitte richtig.


    LG, Paul

  • Hallo Zwielicht,
    es gibt z.B. eine Aufnahme von Mussorgskis"Kinderstube",
    die der ziemlich schwarze Bass B.Christoff im Falsett singt,
    um eine Knabenstimme zu suggerieren.Das muß nicht sein.
    Das wird sonst immer von einer Frau gesungen .Aber es
    geht.Auch die Countertenöre singen ja in der Altlage.
    Aber eine Altistin könnte ja niemals in der Basslage singen.
    Es ist ja auch Gott sei Dank nicht nötig.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Zitat

    Original von musicophil
    Ich finde nicht, daß "bei einer Frauenstimme eine Dimension fehlt", sondern daß für dieses Lied "eine Dimension fehlt".


    Ups, tut mir Leid. Ich hatte Dich auch so verstanden und hätte da wohl präziser formulieren sollen.


    Eigentlich wollte ich ja nur sagen, dass jeder anders hört, und das ist auch gut so, wie unser Regierender Bürgermeister und Kultursenator sagen würde. :D

  • Da ich den Erlkönig einfach mit Männerstimme kennengelernt habe, ist das vermutlich auch meine Präferenz. Aber ich würde nicht sagen, das bei diesem Lied eine Männerstimme mehr Möglichkeiten hat.
    Übrigens habe ich oben noch eine Rolle vergessen, es gibt nämlich sogar vier: Erzähler, Vater, Kind, Erlkönig. Für den Vater mag zwar eigentlich eine tiefere Stimme passend sein, für den Sohn aber eher eine hohe, und von der Lage her (Du liebes Kind...) für den Erlkönig eigentlich auch, Balladen- oder Märchen-Erzähler können Männer und Frauen sein.
    Es spricht also prinzipiell nichts gegen eine Frauenstimme.
    Für Sängerinnen und Sänger liegt hier, wie im oben genannten "Waldesgespräch" u.a. ja gerade die Herausforderung darin, durch Variation von Stimmfärbung und Ausdruck die verschiedenen Personen darzustellen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    (Zum Erlkönig: ) Es spricht also prinzipiell nichts gegen eine Frauenstimme.


    Was für ein Glück! Was hätten wir ansonsten für Argumentationsklimmzüge gebraucht, um eine der großartigsten Interpretationen dieses Liedes durch Jessye Norman zu rechtfertigen...


    :D :D :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zu der früheren Norman sage ich uneingeschankt ja. Großartig. :jubel: :jubel:
    Aber irgendwie in der 80. Jahren kam eine Wandlung. Ihre Stil änderte sich.
    Und wie sie danach sang, das würde ich erst manieriert nennen. Alle spätere Aufnahmen von ihr, die ich gehört habe, kann ich nur ganz kurze Zeit anhören. Brrr.


    LG, Paul

  • Hallo Paul,


    hoffentlich bezieht sich dein Brrr nicht auf die Sängerin schlechthin, das wäre zu hart geurteilt.
    Ich gebe aber zu, ab einem bestimmten Alter sollte man(frau) sein Repertoire sorgfältiger auswählen.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Hallo Paul,


    hoffentlich bezieht sich dein Brrr nicht auf die Sängerin schlechthin, das wäre zu hart geurteilt.
    Ich gebe aber zu, ab einem bestimmten Alter sollte man(frau) sein Repertoire sorgfältiger auswählen.


    Hallo Siegfried,


    Nur auf jenem m.E. manierierten Gesang. Denn, ich wiederhole, davor gehörte sie uneingeschränkt zu der Elite.


    LG, Paul

  • Hallo allerseits,


    bis gestern dachte ich auch, dass die Winterreise von einem Mann gesungen werden sollte. In Ausnahmefällen vielleicht von einer Altistin, möglichst dunkel gefärbt.


    Seit gestern begeistert mich Christine Schäfer mit ihrer Sopranstimme mit ihrer Sicht der Winterreise! :jubel:


    Ist sie die Ausnahme, die die Regel bestätigt? Oder war ich bislang einfach zu engstirnig?? :rolleyes:





    lg,

    leporellina


    Musik machen ist ein erotischer Akt, weil es mit Wollen, mit Leidenschaft zu tun hat. Daniel Barenboim

  • Bei folgendem Lied dürfte die Zuordnung klar sein, oder?


    Im tiefen Keller sitz ich hier


    Im tiefen Keller sitz ich hier
    bei einem Fass voll Reben
    bin frohen Muts und lasse mir
    vom allerbesten geben.
    Der Küfer zieht den Heber vor
    gehorsam meinem Winke
    reicht mir das Glas, ich halt´s empor
    und trinke, trinke, trinke.


    Mich plagt der Dämon, Durst genannt
    doch um ihn zu verscheuchen,
    nehm' ich mein Römerglas zur Hand
    und lass mir Rheinwein reichen.
    Die ganze Welt erscheint mir nun
    in rosenroter Schminke,
    ich könnte niemand Leides tun
    und trinke, trinke, trinke.

    Allein mein Durst vermehrt sich nur
    bei jedem vollen Becher,
    das ist die leidige Natur
    der echten Rheinweinzecher;
    Doch tröst ich mich, wenn ich zuletzt
    vom Faß zu Boden sinke,
    Ich habe keine Pflicht verletzt
    ich trinke, trinke, trinke.


    Text: Karl Müchler
    Melodie: Ludwig Fischer
    (19. Jahhundert)

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Bei folgendem Lied dürfte die Zuordnung klar sein, oder?


    Im tiefen Keller sitz ich hier


    Hier auch


    Gretchen am Spinnrade


    Meine Ruh' ist hin,
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    Und nimmermehr.


    Wo ich ihn nicht hab
    Ist mir das Grab,
    Die ganze Welt
    Ist mir vergällt.


    Mein armer Kopf
    Ist mir verrückt,
    Mein armer Sinn
    Ist mir zerstückt.


    Nach ihm nur schau ich
    Zum Fenster hinaus,
    Nach ihm nur geh ich
    Aus dem Haus.


    Sein hoher Gang,
    Sein' edle Gestalt,
    Seine Mundes Lächeln,
    Seiner Augen Gewalt,


    Und seiner Rede
    Zauberfluß,
    Sein Händedruck,
    Und ach, sein Kuß!


    Meine Ruh' ist hin,
    Mein Herz ist schwer,
    Ich finde sie nimmer
    Und nimmermehr.


    Mein Busen drängt sich
    Nach ihm hin.
    Ach dürft ich fassen
    Und halten ihn,


    Und küssen ihn,
    So wie ich wollt,
    An seinen Küssen
    Vergehen sollt!


    Text: Johann Wolfgang von Goethe
    Komponist: Franz Schubert


    Der Vergleich der beiden Lieder beweist:


    Männergesang bedarf keiner Kunst - dazu gibt es noch nicht einmal eine Klavierbegleitung - und bezieht sich auf die Einnahme von Rauschmittel, wahrscheinlich weil er nur so erträglich ist.


    Frauenlieder haben eine Dimension, die im Kunstlied mit Klavierbegleitung ihren Ausdruck findet - sie beziehen sich auf produktive Tätigkeiten für die Menschheit und sind auch ohne Zuführung von Alkohol ein Genuss für den Kunstfreund.


    Vielleicht gibt es doch bessere Beispiele für Männerlieder


    hofft Peter :pfeif:

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  • Da fallen mir einige Mozartlieder ein, die eindeutig für das weibliche Geschlecht bestimmt sind.


    Der Zauberer
    Die Alte, habe ich allerdings auch schon von einem Sänger gehört, finde ich unpassend.
    Die kleine Spinnerin


    hmmm, mehr fällt mir auf Anhieb nicht ein.


    Liebe Grüsse


  • Nun, es gibt immer und für alles bessere Beispiele. Es hat auch niemand verlangt, gerade diese beiden Lieder zu vergleichen. Vielleicht sollte die Curt Goetz'sche Fußnote ad absurdum geführt werden.
    Wenigstens Gretchen hat erkannt, daß es zum Spinnen keines Spinnrads bedarf. :D

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried


    Nun, es gibt immer und für alles bessere Beispiele.


    Das nenne ich doch schon mal Einsicht :)


    Zitat

    Es hat auch niemand verlangt, gerade diese beiden Lieder zu vergleichen. Vielleicht sollte die Curt Goetz'sche Fußnote ad absurdum geführt werden.


    Die wird eher durch "hat auich niemand verlangt ..." bestätigt. Wer ein solches Lied in einen Thread über Kunstlieder setzt, dürfte sich doch eigentlich freuen, wenn der Ball aufgenommen wurde. Sollte es da aber Fragen geben, warum das eine ein Kunstlied, das andere ein - sagen wir es vorsichtig - volkstümliches Lied ist, können wir das Thema gerne erörtern. Wer aber Trinklieder als typische Männerlieder einstellt, kann doch wohl ein wenig Spott vertragen. Auch wenn ich durchaus nichts gegen die zeitweilige begrenzte Zufuhr von Alkoholika habe, so ist mir doch ein Maß zuwider, wie es deutlich genug in der Szene in Auerbachs Keller in Goethes Faust I charakterisiert wird. Wie meint Mephistopheles noch:


    Gib nur erst Acht, die Bestialität
    Wird sich gar herrlich offenbaren.


    Zitat

    Wenigstens Gretchen hat erkannt, daß es zum Spinnen keines Spinnrads bedarf. :D


    Und der Sänger im "Tiefen Keller" trinkt wenigstens Wein, was ihn mir sehr sympathisch macht. Nur ein Barbar wird Wein saufen ...


    LG Peter

  • Zitat

    Original von mucaxel
    Auch im Musikverein mit CHRISTA LUDWIG live erlebt war toll.
    Auch die CD mit LEVINE am Klavier gefällt mir sehr!!!
    Gebe allerdings zu bekennender Christa Ludwig Fan zu sein.
    =)


    Da auch ich ein großer Christa Ludwig Fan bin, und ich die Aufnahme, die ja vom ORF übertragen wurde, habe,


    denke ich Christa Ludwig konnte es.


    Auch Lotte Lehmann hatte ja die "Schöne Müllerin" gesungen, gibt es auf CD und sie gefällt mir auch sehr gut,


    aber Anton Dermota, eine der letzten Aufnahmen mit ihm, in der "Winterreise" mit Hilde Dermota, seiner Gattin am Klavier, ist umwerfend gut.


    Liebe Grüße Peter, aus Wien.

  • Zitat

    Original von oper337
    Auch Lotte Lehmann hatte ja die "Schöne Müllerin" gesungen, gibt es auf CD und sie gefällt mir auch sehr gut


    Danke für diesen Hinweis. Er zeigt, dass die "Einverleibung" solcher "Männerzyklen" durch Sängerinnen keine Erfindung der jüngsten Zeit (Ludwig, Fassbender, Schäfer et al.) ist. Lotte Lehmann sang auch die Winterreise (Teile ebenfalls auf CD dokumentiert), desgleichen tat Therese Behr mit ihrem Mann Artur Schnabel am Klavier. Das hätte ich gern gehört! Kennt jemand Tondokumente der beiden? Gar von der Winterreise? Ich weiß davon nur, weil ich einmal im Hintergrund eines historischen Fotos irgendeines anderen Musikers aus den 20er oder 30er Jahren (ich weiß nicht mehr welches) eine Litfasssäule entdeckte, auf der ein großes Plakat für ein Winterreise-Konzert mit den beiden klebte.

    Lotte Lehmann sang ja auch, von Bruno Walter begleitet, die Dichterliebe. Und dieser Zyklus ist für mich so etwas wie ein Kronzeuge dafür, das man im 19. Jahrhundert mit der Frage "Männlein oder Weiblein" als Liedinterpret offenbar etwas unbekümmerter umging. Denn Schumann widmete die Dichterliebe Wilhelmine Schröder-Devrient. Nun frage ich mich: Ist es vorstellbar, dass ein großer Komponist einer großen Sängerin ein großes Gesangswerk widmet in der ausdrücklichen Absicht, dass die Widmungsträgerin es - bitte schön! - nicht singen soll?


    Von Schubert wissen wir nicht, wie er eine Frau als Winterreisen-Sängerin gefunden hätte. Aber auch hier überlege ich: Schubert hat so viele seiner Liedmelodien quasi "transkribiert" und dann weiterverarbeitet in Variationen: In der Wandererfantasie, in der Geigenfantasie mit den Variationen über "Sei mir gegrüßt", im Streichquartett "Der Tod und das Mädchen", im Forellenquintett, in den Flötenvariationen über "Trockene Blumen". Es kam ihm, kann man daraus schließen, mehr auf die musikalische Substanz, auf den Kern des Einfalls an als auf die instrumentale Einkleidung. Sollte er da gegen die vergleichsweise harmlose "Transkription" von einer Stimmlage in die andere wohl etwas einzuwenden gehabt haben?


    Dazu kommt, dass das unglücklich geendete Liebeserlebnis und die daraus resultierende Depression der Hauptperson in der Winterreise wohl nur vordergründig das Entscheidende ist. Sowohl für den Textdichter Wilhelm Müller, der übrigens eine viel bedeutendere Persönlichkeit war als gemeinhin angenommen, als auch für Schubert sind die Winterreisen-Kälte und -Starre (auch) vielmehr eine Chiffre für das lebensfeindliche gesellschaftliche Klima der Metternich-Ära. Für kreativ handelnde, lebendig fühlende und selbstständig denkende Menschen war dieses Klima tödlich, und die Winterreise ist DAS Werk, das diese Kälte in eindringlichster Weise ausdrückt.


    Der Leiermann ist ein Teil der Gegenwelt, gesellschaftlich geächtet, ausgestoßen, und ihm schließt sich die Hauptperson am Ende freiwillig an. Das dies nur aus Liebesschmerz geschehe, sollte die Zensur glauben, wer hinter die Texte schauen konnte, wusste was gemeint war: die kompromisslose Ablehnung dieser bürgerlichen Welt. Ein weiteres konkretes Beispiel: "Krähen" wurden in kritischen Kreisen die Mitarbeiter der Geheimpolizei genannt.


    Es gibt hochinteressante Untersuchungen über diese Aspekte der Winterreise; im Internet habe ich z.B. diesen Text gefunden: http://www.goeres.de/textgrafik/winterreise.htm. Und ein schönes Buch, das solche Dinge beleuchtet, ist das leider vergriffene, aber in Bibliotheken erhältliche "Schubert und das Wirtshaus" von Frieder Reininghaus. Seit ein paar Jahren gibt es auch eine recht ausführliche Biografie über Wilhelm Müller (Titel und Verfasserin sind mir im Moment entfallen). Ich habe mich also überzeugen lassen, dass die Winterreise ein allumfassendes, völlig geschlechtsunspezifisches Thema behandelt, folglich können und sollen alle sie singen, Männer und Frauen.


    Ich selbst habe vor einem Monat eine Produktion der Winterreise veröffentlicht, bei der ich am Klavier sitze und die Sopranistin Ruth Liebscher singt. Ich hoffe, solche Eigenwerbung widerspricht nicht den Regeln dieses Forums, sonst pfeift mich bitte zurück. Da es aber ein Beitrag zum Thema ist, finde ich es nicht verwerflich.



    Das Bewusstsein des angedeuteten gesellschaftlichen Hintergrundes hat unsere Darstellung beeinflusst. Man geht an manche Stücke anders, nämlich offensiver, drängender, mit mehr Attacke heran als man es bisher empfunden hat. Natürlich bleibt manches auch verhalten, aber zum "gepflegten Kammerton", zu dem der Liedgesang manches Mal neigt, kann man sich nirgendwo "bequemen". Aufbegehren wird - viel stärker als Resignation - zur beherrschenden Grundstimmung.


    Wer will, kann (mit reduzierter Tonqualität) hier schonmal probehören:
    http://www.youtube.com/watch?v=oKOYqE5FhPA
    http://www.youtube.com/watch?v=_ClEjb2AAjU&feature=related
    http://www.youtube.com/watch?v=VXyR25FA7m4&feature=related
    http://www.youtube.com/watch?v=VPmXyV-Bz7A&feature=related


    Viel Spaß und freundliche Grüße,
    Jürgen

    Einmal editiert, zuletzt von sagittarius2 ()

  • Es ist wohl nicht allgemein bekannt aber es gibt auch Kompromisse. Ich habe eine Aufnahme des Schubertschen "Erlkönig", da wird das Stück von einer Dame und einem Herrn gesungen, in französischer Sprache.

  • Es ist wohl nicht allgemein bekannt, aber es gibt auch Kompromisse. Ich habe eine Aufnahme des Schubertschen "Erlkönig", da wird das Stück von einer Dame und einem Herrn gesungen, in französischer Sprache.

  • Aha, das interessiert mich. Ist das eine Darbietung quasi mit verteilten Rollen? Nahe läge dann, dass der Mann den Vater, die Frau den Sohn singt; ist das so, und wer übernimmt den Erzähler und wer den Erlkönig?
    Welche Künstler sind an dieser Darbietung beteiligt?
    Als "Kompromiss" würde ich so eine Wiedergabe aber nicht unbedingt bezeichnen. Unter "Kompromiss" versteht man ja eigentlich etwas, das zwischen verschiedenen eher extremen Auffassungen vermitteln soll, um einen allgemein gangbaren Weg zu finden. Hier wäre aber genau das Gegenteil der Fall, denn gerade eine solche Aufführung stellt m.E. eher ein Experiment, einen Grenzfall dar. Es gibt sicher wenige Lieder, in denen eine solche Aufteilung auch nur theoretisch sinnvoll wäre. Ich frage mich gerade, welche da in Frage kämen. Am ehesten wohl Balladen, in denen mehrere Personen auftreten ...
    Reizvoll finde ich ein solches Experiment schon. Vielleicht weniger für ein einzelnes Lied, als für zyklische Formen. Ich würde z.B. gern mal "Die schöne Magelone" mit verteilten Rollen aufführen. Ist aber aufwendig ...
    Kann jemand über ähnliche Experimente berichten?

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Bei folgendem Lied dürfte die Zuordnung klar sein, oder?


    Im tiefen Keller sitz ich hier


    Wieso können Frauen nicht im tiefen Keller sitzen bei einem Fass voll Reben? :baeh01: :hahahaha:

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