Bach: Johannes-Passion

  • Hallo Carola,


    kannst du bitte noch etwas über den Evangelisten erzählen?
    Das wird vermutlich kein Tölzer Knabe sein .(?)

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich habe folgende Aufnahme von Ton Koopman:

    Sie gefällt mir sehr gut, herausrangend empfinde ich den Eingangschor (ich habe leider keine Vergleichsaufnahmen), bloß den Evangelisten Guy de Mey verstehe ich nicht so gut.

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Hallo Carola,


    kannst du bitte noch etwas über den Evangelisten erzählen?
    Das wird vermutlich kein Tölzer Knabe sein .(?)



    Hallo Siegfried,


    der Evangelist wird gesungen von dem Tenor Rogers Covey-Crump. Den Namen hatte ich noch nie gehört. Ich finde ihn aber sehr gut, eine schöne und nuancenreiche Stimme, sein Deutsch ist fast akzentfrei und gut zu verstehen. Er singt auch die beiden Tenorarien "Ach, mein Sinn" und "Mein Jesu, ach!"


    Die Solovioline spielt übrigens Andrew Manze - ein weiterer Pluspunkt.


    Mit Gruß von Carola :hello:

  • Sagitt meint:


    Es ist GEMEIN


    Solisten der Aufführung sind die englische Sopranistin Joanne Lunn – Solistin auch bei der Bach-Pilgrimage 2000, die in Argentinien geborene Bernarda Fink, Alt; Mark Padmore singt die Partie des Evangelisten und Peter Harvey die Christusworte, neben Hanno Müller-Brachmann in den Bass-Arien.


    Gardiner mit seinen Ensembles.Chorisch wahrlich nicht zu übertreffen. Dieser Chor ist perfekt. Er kann alles. Hoch- emotional,maximal transparent. Und ( ausnahmesweise nicht verhetzt) auch virtuos.Wenn man diesen Chor hört, fragt man sich,warum gibt es andere. Dieses ist nicht zu überbieten.
    Die Solisten sind alle sehr gut, Padmore besonders.


    Gemein, dass es diese Aufnahme nicht auf Markt gibt.

  • Gibt es von Harnoncourt nur eine Aufnahme oder zwei, wie bei der Matthäus-Passion? Ich fand nur diese:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Es gibt noch eine von ca. 1970, die vermutlich nicht erhältlich ist. Außerdem (und darüber gab es wohl auch Streit) firmiert IIRC dort der Chorleiter Gillesberger als Gesamtdirigent, Harnoncourt "nur" als Leiter des Concentus Musicus.
    Ich kenne aber auch nur die Neuere, m.E. eine sehr gute, dramatische Aufnahme, s. weiter oben.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Schade, gerade die alte Aufnahme hätte mich interessiert. :rolleyes:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Ich zitiere mich selbst, wenn ich wieder diese Aufnahme zur Sprache bringe. Ich finde, hier singt der Knabenchor wirklich vorbildlich, schöner als der Laienchor bei Karl Richter. Eine tolle Aufnahme!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo liebe TaminoanerInnen



    Helmut Rilling mit dem Bach-Collegium Stuttgart, Matthias Goerne, Juliane Banse


    Beim schnellen durchsehen dieses Threads vermissten wir Helmut Rilling, der schon seit Jahrzehnten Interpretationen von Oratorien und Kantaten von Bach auf Tonträger einspielt. Das Novum dieser CD besteht in der Einspielung aller Varianten der verschiedenen Fassungen: Auf einer dritten CD erscheinen die nicht berücksichtigten Sätze und sonstige Varianten in aufschlussreiche Kommentare Rillings eingebettet. Ihr pädagogischer Wert scheint uns evident; vielleicht wäre dennoch eine Gesamteinspielung ein künstlerisch valableres Votum für die eine oder andere weniger bekannte Fassung. Entscheidend ist aber letzlich, dass die Passion mit Ausdruck, Stringenz und Überzeugungskraft musiziert wird. Hier bleibt kaum etwas zu wünschen übrig.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Im März und April 2006 wird im Theate im Palais der Kunstuniversität Graz die Johannes-Passion szenisch aufgeführt.
    Die musikalische Leitung wird Johannes Prinz innehaben und Christian Pöppelreiter wird das ganze inszenieren.
    Ich werde dabei im Chor mitwirken und bin schon sehr auf das Ergebniss gespannt.


    [url=http://oe1app1.orf.at/index.php/show,40453.html]Termine und Informationen[/url]

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  • Hallo Michael,


    weist Du, ob Pöppelreiter mit dieser szenischen "Johannes-Passion" quasi ein Remake seiner Nürnberger Inszenierung macht? Die habe ich nämlich damals versäumt...


    Und was ganz prima wäre: weisst Du, ob die "Carmen" in Graz zufällig um eine der "Johannes-Passion"-Vorstellungen drumrum liegt? Theoretisch könnte ich im Zeitraum März/April noch einen Termin unterbringen. Ich würd es mir gerne überlegen...


    Dank und Gruss

  • Die Rilling JP ist meine liebste! Überzeugend ist der Chor und vorallem die Solisten. Zudem mag ich "Rillings Bach".Als Zusatz gibts noch die genialen Arien und Chöre der Version aus dem Jahre 1725.


    Auch die Herreweghe Aufnahme ist spitze, vorallem weil in der 1725er Version.


    Die Aufnahme unter Karl Forster habe ich mir mit viel Freude gekauft weil Wunderlich als Evangelist und Dieskau als Jesus. Und weiteren Topsolisten wie Ludwig, Grümmer, Traxel, Kohn etc...Leider vermiest mir zumindest der Chor und der schlechte Schnitt etwas die Aufnahme (vllt liegt es auch nur an der Aufnahme bzw.Schnitttechnik) da stehn viele Einsätze nicht und es klappert vielmals.Schade, denn sonst eine tolle Aufnahme.


    Dann habe ich beide Aufnahmen mit den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben. Die jüngere unter Weyand ist von chorischer Seite her wesentlich besser. In der unter Münchinger finde ich den Chor nicht besonders gut.Beides aber gute Aufnahmen!!Interessant vorallem wieder die Unterschiedlichen Tempi.

  • Lieber Thomas!


    Ich habe diese szenische Johannes-Passion auch schon zweimal Karfreitag gesehen. Die Aufnahme belegt doch, wie gut sich Bach für szenische Aufnahmen eignet.


    Gruß


    Wolfgang

    Magnificat anima mea

  • Hallo liebe Bachhörer und Musikfreunde, die ihr auch musikalisch in der Passionszeit seid!


    Heute ist der dritte Sonntag, an welchem ich zu Bachs Johannes-Passion gegriffen habe.
    Wenn ich mein Fazit nach dem Kennen lernen dieses Werkes ganz kurz in einem Satz zusammenfassen würde, sähe das in etwas so aus: Hat sehr schöne Szenen, aber entfacht in mir nicht wirklich das Gefühl der Leidenszeit Christi.


    Irgendwie könnte man meinen, es läge an der Aufnahmen, aber mit der doch recht oft gelobten Koopman Einspielung dürfte ich ganz gut bedient sein.
    Ein Fakt, den ich auch begründen kann, ist der, dass mir teils die Musik und das Geschehen irgendwie nicht wirklich konform gehen.
    Meine Stelle ist in diesem Fall der Chor 'Lasset uns den nicht zerteilen' - ich finde diese Chorpassage ungemein toll als Musik. Wirklich eine hinreißende Komposition, allerdings ruft gänzlich fehlgehende Gefühle in mir auf. Jesus ist da gerade gekreuzigt worden, seine Kleider stehen 'zur Versteigerung' - da ist schon eine Gewisse Demütigung.
    Ich weiß nicht genau, aber bei Bach kommt mir hier vom Volke irgendwie Freudigkeit und eine richtig muntere Stimmung herüber. So feierlich und fröhlich. Natürlich haben diese ihren Willen bekommen, durch Jesu Kreuzigung, aber es wirkt halt auf mich sehr abstrakt...


    Mein zweites Problem ist die generelle musikalische Gestaltung.
    Es erscheint mir so leer. Instrumental fehlt mir persönlich Fundament und Untermalung. Vielleicht hab ich es nach dreimaligem Hören auch noch nicht wahrgenommen (was durch aus im Bereich des Möglichen wäre), aber bei mir entsteht halt dieses Empfinden, dass es da an etwas mangelt.
    So ein bisschen Untermalung merke ich sehr deutlich im Rezitativ des Evangelisten 'Und siehe da, der Vorhang im Tempel zerriss', als die Streicher doch sehr robust und nachdrücklich dieses Zerreißen und Herabfallen musikalisch zeichnen. Doch ganz ehrlich, auf mich wirkt das...primitiv. Zu einfach. Es spiegelt vielleicht auch meinen generellen Eindruck wieder, dass ich mehr erwartet habe oder es mir anders vorgestellt hatte (da ich wahrscheinlich auch zu sehr einen Mendelssohn gewohnt bin). Ich möchte Bachs Werk auch nicht kleinreden, aber mir geht hier etwas verloren.


    Da ich nun bis jetzt mehr gemeckert habe, ohne die Gabe es besser zu machen, möchte ich auch noch den Lob aussprechen :yes:
    Mir gefällt gleich zu Beginn die wiederholenden Ausrufe 'Jesum von Nazareth' und gleichzeitig grotesk. Ich habe so auch gar nicht in biblischer Erinnerung. Das schreckhafte Zurückweichen und gar Stürzen der Pharisäer, dennoch sehr bestimmende und feste Stimmen, dass sie eben 'Jesum' suchen. Vielleicht spielt hier ja auch die Ehrfurcht durch eine 'göttliche' Aura eine Rolle...


    Am meisten dürfte mir aber der Chor 'Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz' gefallen. Pure Entschlossenheit des Volkes, unabbringlich wollen sie das Begonnene vollenden.


    Vielleicht etwas lang gezogen, aber sehr gefühlvoll und anrührend ist das Rezitativ 'Zerfließe, mein Herze, in Fluten der Zähren'.
    Doch das anschließende Rezitativ macht mir das fast wieder zunichte, da es mir wie heruntergeleiert vorkommt. Vielleicht soll es so sein (generell der Evangelist), aber ich finde dies befremdlich. Da wird davon geredet, dass die Gekreuzigten nun herab genommen werden sollen und eben Jesu nicht die Gebeine gebrochen werden sollen. Ersteres hält einen doch zu respektvollem Abstand an - man hat es auch mit Toten zu tun, der Evangelist, halt wie ein Erzähler oder eher wie ein Vorleser, ist vorsichtig distanziert - und die zweite Botschaft lässt doch Hoffnungsfunken hindurchschimmern, indem sich das Schriftwort erfüllt.



    Nun gut. Vielleicht brauche ich auch noch etwas Zeit.
    Würde mich freuen, wenn manch ein Kenner der Passion etwas zu meinen Eindrücken sagen könnte, da mich doch etwas interessiert inwiefern diese von den Etablierteren Passionshörern eingeordnet werden!


    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Lieber Maik,


    nach mehr als 20jährigem Hören der Bachschen Passionen mit der doch unterschwellig stets zu erspürenden Wertigkeit: Johannespassion GROOOOSE Musik, aber Matthäus-Passion DIE Krone abendländischer Musik- muß ich langsam FÜR MICH sagen - ich erlebe es umgekehrt! Die herbe Kargheit der Johannespassion spricht mich immer stärker an. So sehr ich eine spätbarocke Kirche mit den Augen genieße - in der kargen romanischen Basilika fühle ich mich geborgen. So auch hier -die MP genieße ich als gigantisches Kunstwerk, in der JP meditiere ich die Passion Jesu und finde zu mir selbst!


    Aber für mich geht es tatsächlich nur mit der richtigen Aufnahme. Wie schon mehrfach erwähnt ist dies MEINE Johannes-Passion:



    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo JoPa-Freunde,


    dem Tip von Siegfried muss ich mich unbedingt anschließen: Die Einspielung unter Forster ist auch seit Jahren meine liebste!


    Der Chor der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale singt sehr dramatisch und erreicht in den zahlreichen Turbae-Chören die für mich nötige Durschlagskraft, die ich persönlich brauche, um die Vorstellung des erregten Pöbels zu bekommen.
    Sicher, die Aufnahme stammt aus den 1960er Jahren (?) und ist damit alles andere als eine Einspielung in historischer Aufnahmepraxis - aber diese wirken mir gerade bei der Johannes-Passion oft etwas zu distanziert und irgendwie "aseptisch"... schwer zu beschreiben.
    Für mich zählt beim Hören eines Werkes vor allem die Aussage, die die Interpreten rüberbringen - wie sie dies schaffen, ist für mich dann erstmal zweitrangig.


    Und die Forster-Aufnahme schafft es jedes Mal, mich total zu fesseln und zu packen. Fritz Wunderlich als Evangelist trägt dazu natürlich nicht unerheblich bei - man kann es nur immer, immer wieder erwähnen: WAS für ein Sänger!! :jubel:
    Außerdem gibt es Fischer-Dieskau als Christus und die anderen SolistInnen sind auch nicht zu verachten.


    Eine ebenfalls empehlenswerte Einspielung der letzten Jahre ist diese Kölner Produktion (Kölner Kammerchor unter Peter Neumann):



    Auch hier finde ich den Chor sehr ausdrucksstark und die Solisten sind durch die Bank klasse!
    Interessant ist diese Einspielung, weil die seltener zu hörende 2. Fassung der JoPa aus dem Jahr 1725 zu hören ist. Sie beginnt z. B. nicht mit dem allbekannten Eigangschor "Herr, unser Herrscher", sondern mit der ausgedehnten Choralbearbeitung "O Mensch, bewein dein' Sünde groß" - den Satz hat Bach nur wenige Jahre später in seiner Matthäus-Passion als Abschlusschor des ersten Teils nochmal verwendet.
    Auch ansonsten gibt es u. a. noch ein paar "Austausch-Arien", die beim Hören jedesmal für eine Abwechslung sorgen, wenn man "nur" die erste JoPa-Fassung von 1724 kennt. Lohnt sich auf jeden Fall!


    @ Maik:


    Zitat

    Original von Maik:
    Meine Stelle ist in diesem Fall der Chor 'Lasset uns den nicht zerteilen' - ich finde diese Chorpassage ungemein toll als Musik. Wirklich eine hinreißende Komposition, allerdings ruft gänzlich fehlgehende Gefühle in mir auf. Jesus ist da gerade gekreuzigt worden, seine Kleider stehen 'zur Versteigerung' - da ist schon eine Gewisse Demütigung.


    Bach hat sich bei der musikalischen Ausgestaltung an die Textvorgabe des Evangelisten Johannes gehalten (bis auf zwei Verse, die er bei Matthäus "ausgeliehen" hat, weil sie so schön in das Geschehen passten) - die von Dir als unpassend empfundene Szene, in der die Kriegsknechte unter dem Kreuz um den Rock würfeln, ist also keine Idee Bachs, wohl aber deren musikalische Ausgestaltung:
    Mir hat dieser "Würfel-Chor" beim Einstudieren vor 4 Jahren am meisten Spaß gemacht - Bach vertont quasi das Schütteln des Würfelbechers (das "Hin- und Herwackeln" der begleitenden Instrumental-Stimmen und bei mehreren gesungenen Worten).
    Insgesamt gibt es 3 dieser "Durchgänge", also 3 Würfelrunden, dann steht der Gewinner fest. Unwiderstehlich - und für SängerInnen eine sportliche Herausforderung, da das Ganze auch sehr schnell gesungen werden kann/ sollte.
    Durch diese ausführliche Darstellung dieses so profanen Vorgangs zeigt Bach sehr schön das Ausmaß der Erniedrigung des Gekreuzigten - ein Gegensatz, der wohl nicht nur vom Komponisten, sondern auch vom Evangelisten Johannes bewusst als Kunstgriff hier eingefügt wurde.


    Irgendwo habe ich mal gelesen, dass diese Szene mit einer der zahlreichen berühmten "Rüpelszenen" in Shakespeare-Tragödien verglichen wurde, die sich ja auch immer in unmittelbarer Umgebung großer Darstellungen menschlichen Leidens abspielen. Ein sehr treffender Vergleich, wie ich finde! Und Bach hat mit untrüglichem dramatischem Instinkt diese Szene (und viele andere gerade in dieser Passion) erkannt und musikalisch treffend umgesetzt. Beim Hören der Johannes-Passion bedaure ich es immer wieder sehr, dass es von Bach keine Oper gibt. Was wäre das wohl für ein Werk geworden?


    Vielleicht liegt es auch an der Interpretation der von Dir gehörten Aufnahme, lieber Maik, dass Du bisher nicht so recht überzeugt bist von der Eindringlichkeit der Johannes-Passion.
    Evtl. versuchst Du es mal mit ein paar Anspielversuchen anderer Aufnahmen. Möglicherweise können die Dich etwas mehr "packen" und mitreißen. :hello:

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Hallo Marc und Stefan!


    Vielen Dank für eure Reaktionen.


    Als unpassend empfand ich nun nicht das Geschehen - also doch, natürlich schon, aber ich bezog dies nicht auf Bach, dass dieser Schuld trage.
    Mir ging es eher darum, dass man persönlich eine andere Stimmung durchlebt, wenn man sich ein bisschen mit diesem Geschehen beschäftigt. Und da ist solch ein Tun der Soldaten natürlich abstoßend. Mein Problem dabei ist, dass einen dann solches in der Vertonung total 'rausbringt'.
    Abstreiten will ich die Genialität der Umsetzung Bachs nicht. Eher im Gegenteil, denn mir gefällt es sogar.
    Nur halte ich es eben für unangebracht oder unpassend. Das liegt, so denke ich zumindest, an meinen eigenen Vorstellungen. Wenn ich mir solch eine Passionsmusik zu Gemühte führe, dann will ich ergriffen werden, mich mehr und intensiver in das Leiden Christi hinein versetzen. Doch eben durch solch Geschehnisse fällt es mir schwer, weil es mich eben aus dem Konzept bringt.
    Dass Bach eigentlich dafür nichts kann, weil er sich halt an die Vorgaben des Evangelisten hält, ist mir jetzt irgendwie klar (hatte ich vorher nicht so beachtet).


    Das meinte ich mit gegensätzlichen Gefühlen der Demütigung und der Trauer sowie des respektlosen Handelns.
    Eben diese erneute Erniedrigung zu diesem Zeitpunkt stört mich in meiner persönlichen Vorstellung und dem Vorhaben, mich in das Leiden am Kreuz hineinzuversetzen.


    Vielleicht sollte ich das aber einfach anders sehen - noch mehr aus dem Blickwinkel Jesu, denn letztlich verschärft sich die Situation auch noch...mag sein, dass ich da zu sehr auf der Seite des Beobachters stand.



    Besten Dank auch noch mals für die CD-Empfehlungen.


    Lieben Gruß, Maik

    Wie ein Rubin auf einem Goldring leuchtet, so ziert die Musik das Festmahl.


    Sirach 32, 7

  • Hallo Maik,


    ich kann gut verstehen, was Du meinst - aber gerade dieses Hin und Her, dieses drastische Aufeinanderprallen völlig gegensätzlicher Emotionen und Situationen ist gerade charakteristisch vor allem für die Passionsmusiken von Bach.
    Da ist zum einen der Evangelientext, der aus vielen kleinen einzelnen Episoden und Aspekten besteht, manche brutal, manche mitleiderregend, manche zornig machend.
    Und dieses "Mosaik" wird zusätzlich noch durch die zahlreichen kommentierenden Choräle (die keineswegs alle im selben gemeindeseligen "Choraltonfall" vorgetragen werden sollten!) und natürlich die Soloarien und -rezitative aufgegliedert - auch hier kommen wieder so gegensätzliche Emotionen wie hilflose Wut, tiefe Trauer, Empörung, Verzweiflung, aber auch Freude, Dankbarkeit und Hoffnung zum Ausdruck.


    All das zeigt, wie sehr der Mensch mit all seinen Facetten in das Geschehen der Passion eingebunden ist - da steckt das ganze Kaleidoskop menschlicher Emotionen drin.
    Deswegen würde es irgendwie eine Passionsmusik zu eindimensional machen, wenn Komponist/ Librettist "nur" besinnliche, tief empfundene Trauer vertonen würden. Das würde dem Geschehen, das dem Zuhörer nahe gebracht werden soll, nicht gerecht werden - dafür steckt zuviel an Botschaft drin.
    Jedenfalls sehe ich das so.
    Das ist auch ein Punkt, der mich des öfteren an Passionsmusiken stört, die zur Zeit der Empfindsamkeit (also so ca. ab 1740) komponiert wurden: Meiner Meinung nach gehen hier zuviele dieser ganzen gegensätzlichen Emotionen verloren, weil zu sehr auf den Aspekt des Mitleidens abgezielt wird.
    "Rührung" soll beim Zuhörer erreicht werden, was ja an sich nichts schlechtes ist, aber wie gesagt: Dieses Gefühl allein reicht nicht aus für das, was durch eine Passionsvertonung an Botschaft transportiert werden sollte.
    Aber evtl. könnte Dir, Maik, eine ebensolche Passionsmusik (z. B. von Graun oder C. P. E. Bach) unter diesem Aspekt sogar mehr zusagen - die Geschmäcker und Erwartungen sind schließlich verschieden :hello:


    Ich möchte Dich da nur ermutigen, hier weiter auf die Suche zu gehen nach anderen Passionsvertonungen außerhalb des Bachschen Kosmos. Es gibt -wie immer- viel Hörenswertes zu entdecken!


    Siehe auch hier

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von Maik
    Ein Fakt, den ich auch begründen kann, ist der, dass mir teils die Musik und das Geschehen irgendwie nicht wirklich konform gehen.
    Meine Stelle ist in diesem Fall der Chor 'Lasset uns den nicht zerteilen' - ich finde diese Chorpassage ungemein toll als Musik. Wirklich eine hinreißende Komposition, allerdings ruft gänzlich fehlgehende Gefühle in mir auf. Jesus ist da gerade gekreuzigt worden, seine Kleider stehen 'zur Versteigerung' - da ist schon eine Gewisse Demütigung.


    Der mitreißende Charakter der turba-Chöre hat zwar in gewissem Sinne etwas Perverses, denn man möchte natürlich mit der geifernden Menge nichts gemein haben. Es zeigt aber gut, wie verführerisch Massenphänomene sind und wie leicht man sich davon begeistern läßt (was ja von enstprechenden Gruppen weidlich ausgenutzt wurde und wird).
    In guten Interpretationen haben die Turba-Chöre für mich aber immer auch etwas Bedrohliches.
    Musik und Geschehen gehen hier schon in ziemlich vollkommener Weise konform. Diese Chöre gehören zu den Höhepunkten der JP


    Zitat


    Mein zweites Problem ist die generelle musikalische Gestaltung.
    Es erscheint mir so leer. Instrumental fehlt mir persönlich Fundament und Untermalung.


    Alle Rezitative sind nur vom Continuo begleitet. Da g'hört halt so. Daher die Verantwortung, besonders des Evangelisten alles mit seiner Stimme möglichst deutlich zu machen. Ich fürchte de Mey ist hier nicht so toll (kenne die CDs aber nicht). Versuch mal eine Aufnahme mit einem anderen Evangelisten zu hören.


    Zitat


    Da ich nun bis jetzt mehr gemeckert habe, ohne die Gabe es besser zu machen, möchte ich auch noch den Lob aussprechen :yes:
    Mir gefällt gleich zu Beginn die wiederholenden Ausrufe 'Jesum von Nazareth' und gleichzeitig grotesk. Ich habe so auch gar nicht in biblischer Erinnerung. Das schreckhafte Zurückweichen und gar Stürzen der Pharisäer, dennoch sehr bestimmende und feste Stimmen, dass sie eben 'Jesum' suchen. Vielleicht spielt hier ja auch die Ehrfurcht durch eine 'göttliche' Aura eine Rolle...


    Ja. Man hat behauptet, dass die Johannespassion (entsprechend dem Text und vgl. auch den Eingangschor) Christus weniger leidend, sondern auch in der Passion jederzeit herrschend zeigt. Da ist wohl was dran.
    Die JP ist insgesamt wesentlich dramatischer (und ja auch viel kürzer) als die MP (letztere liegt mir auch näher, zumal ich sie irgendwie viel öfter gehört habe). Man vermißt bis auf wenige Ausnahmen lyrische Arien, der ganze Ton ist ziemlich herb (wiederum schon der Eingangschor). Es ist also kein Wunder, wenn Du das Stück zunächst etwas sperrig findest.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo Maik,


    nochmal kurz zu dem "Würfelchor": Ich verstehe Dich sehr wohl und kann Deine Position gut nachvollziehen. Auf mich wirkt dieser fröhlich " schunkelnde" Chor allerdings ganz anders- er führt mir die Grausamkeit und Menschenverachtung, die Jesus am Kreuz erlitten hat viel plastischer vor Augen als eine getragene Leidensmeditation es an dieser Stelle könnte. Man stelle sich vor - da stirbt ein Mensch und wir würfeln uns fröhlich eins...! Gibt es ein stärkeres Bild von " Gott und den Menschen verlassen" zu sein?


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo,


    Mir geht es etwa wie Oolong. Mich spricht die Johannespassion mehr an. Sie ist ja fast eine Stunde kürzer und damit schneller, kompakter. Die Szenen des Abendsmahl erachte ich zwar als Interessant, jedoch als etwas "retardierend" und den Schwepunkt verwischend. Die Turba sind in der tat immer auch ein starker Kontrast zu unseren persönlichen Gefühlen mit Jesus in der Passion.
    Meißt sehr stürmisch, und oft von einer perversen Fröhlicheit, vergrößern sie unser Unverständniss und und under Empfinden der Ungerechtigkeit.
    Die Situation wirkt so zwischen den teils sehr traurigen Arien und Rezitativen paradox.


    Viele Grüße,
    Raphael

  • Hm ich muß doch sagen, daß auch mein Geschmack sich mit der Zeit schwer verändert hat ... hab die Tage auf eBay die 1984er JP-Aufnahme von Rilling ersteigert, und so ein klein bißchen wundere ich mich doch, daß ich das damals so toll fand!



    Nur noch vage erinnerte ich mich an Julia Hamari, und jetzt weiß ich auch warum, denn sie ist nicht gerade mein Favoritin für Arien wie „Von den Stricken meiner Sünden“ oder „Es ist vollbracht“, um’s milde auszudrücken. Während ich Schreiers „Erwäge“-Arie nach wie vor unglaublich toll finde, finde ich seine dramaturgisch-theatrale Akrobatik (eher Rilllings Idee) bei einigen Rezitativen heute eher unfreiwillig komisch, aber vielleicht fehlt hier das visuelle Element (hab damals die JP mit Rilling und Schreier live gesehen, und da fand ich, wie gesagt, alles toll :-)). Ja und was ich heute gar nicht mehr lustig finde, ist die Behandlung diverser Choräle mit fast schon hochromantischen Dynamiken, speziell um die Kreuzigungsszene herum ... das war damals „in“?!? Aber der Chor ist durchgehend erstklassig. Trotzdem, ich glaube, ich brauche hier dringend mal eine HIP-Version ... vielleicht Herreweghe. Aber welche? „Herr unser Herrscher“ würde ich als Eingangschor nicht missen wollen ... kürzlich habe ich seine 1985er MP gehört, und die fand ich großartig. Oder Harnoncourt? Und, wiederum, welche? Grübel ...


    ?(


    LiGr,
    ^_^J.

  • Guten Abend


    möchte noch auf diese



    -nur von Männern/Knaben gesungene !- Einspielung der Johannespassion hinweisen; z. Zt. für 11,99 € erhältlich ;)
    Für einen englichen Chor ist die Textverständlichkeit beachtlich.
    (Ist mir von meinen BWV 245-Aufnahmen neben Harnoncourt und Herreweghe die 3. Liebste :] )


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Liebe Bachanten!


    Täusche ich mich, oder hat noch niemand hier die 1964er Aufnahme unter Richter erwähnt?


    Ich stehe ganz offen dazu, ich liebe sie, durch sie bin ich erstmals mit Bachs oratorischen Werken in Kontakt gekommen, lange bevor ich die JoPa selbst in etlichen Chören und auf verschiedenste Art rauf und runter genudelt habe (wem schon mal in der Übeltäter-Fuge die Luft gefehlt hat, weiß, was ich meine). Und auch lange vor meiner Einsicht, dass HIP doch nicht so grauenvoll ist, wie ich es mir über Jahre eingeredet habe.


    Und dennoch: Diese Aufnahme war Standart für eine ganze Generation, Richter war der Bach-Spezialist schlechthin, auch wenn seine Auffassung diametral entgegen heutiger Sichtweise steht.


    Doch ich will nicht verhehlen, dass mich meine romantische Ader diese Einspielung immer wieder aus dem Regal ziehen lässt, die so sehr die Dramatik und das, hier wortsinnig, Pathos der leidens- und "action"reicheren beider prominenter Bachscher Passionen unterstreicht.


    Es singen Lear, Töpper, Haefliger, Prey (Jesus) und Engen (Rest), die üblichen Verdächtigen.
    Gut, mittlerweile denke ich mir gerade bei den Damen das ein oder andere Herrjeh, doch büschen dick aufgetragen; Prey halt wieder as himself etc, doch insgesamt hat diese Platte eine fesselnde Kraft, und nicht einmal bei Richters unendlichen Fermaten verlässt mich die Spannung.


    Und wenn dann am Schluss der Engelein Frau Bilgram alle Register zieht, ist's regelmäßig um mich getan.


    Schade nur, dass das Cover mittlerweile so billig gestaltet ist, ich besitze noch die silberne CD-Edition (auch MaPa) im Schuber.







    Wer Richter heute doch noch leiden mag und sein konzentriertes Dirigat visuell erfahren möchte, dem sei auch, als beeindruckendes Zeugnis eines großen Musikers, leicht beeinträchtigt durch 70er-Jahre-Regieeinfälle, die DVD mit Donath, Hamari, Schreier, Laubenthal, Schramm, Nimsgern und lEngen ans Herz gelegt.






    Auch wenn Richter oft nur noch mit hochgezogener Augenbraue beäugt wird: Ich bin seiner Jünger einer.



    Euer



    audiamus



    .

  • Guten Abend


    eine Johannespassion in einer Bearbeitung von Robert Schumann



    mit Veronika Winter, Elisabeth Scholl, Gerhild Romberger, Jan
    Kobow, Ekkehard Abele, Clemens Heidrich, der Rheinischen Kantorei und Das Kleine Konzert, Leitung Hermann Max ist seit einiger Zeit auf dem Markt.
    Diese von Robert Schumann überarbeitete Fassung, er setzte statt Viola da Gamba, Viola d´amore, Oboe da caccia oder Laute Instrumente wie Klarinetten und Trompeten ein und begleitete die Rezitative mit Klavier, Cello und Kontrabass, wurde am 13.04.1851 mit dem Staädtischen Musikverein in Düsseldorf aufgeführt.


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard


  • Hallo Bernhard!


    Wow, das finde ich ja ziemlich exotisch — hab mir gerade aus Neugier alle Sample-Tracks angehört, die auf JPC abspielbar sind. Die alternative Instrumentation finde ich durchaus interessant, aber an den B.C. mit dem Flügel, ich glaube, daran könnte ich mich nie gewöhnen!


    Was hältst Du denn sonst von der Aufnahme? Diese mp3-Tracks bieten nicht gerade die besten Höreindrücke, aber ein bißchen läßt sich schon raushören, denke ich ... Die Solisten wirken auf mich außergewöhnlich gut mit Abstrichen bei Jesus, den ich ein bißchen flach im Ausdruck finde, aber deswegen jetzt nicht schlecht. Die Turbae klingen auch gut, wenngleich ein bißchen “old school”. Aber die Choräle, ups ... zum einen kommen die mir durchgestiefelt vor, zum anderen meine ich sowohl deutliche Glissandi bei einigen Einsätzen wie auch Geklapper auf Konsonantenendungen zu hören?


    Interessant, muß ich mir mal vormerken. Ist aber leider nicht ganz unteuer, die Aufnahme!


    Liebe Grüße,
    ^_^J.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von gyokusai


    Hallo Bernhard!


    Wow, das finde ich ja ziemlich exotisch — hab mir gerade aus Neugier alle Sample-Tracks angehört, die auf JPC abspielbar sind.


    Mehr kenne ich auch noch nicht von dieser Einspielung -bin vorerst mit Harnoncourt, Herreweghe und Higginbottom diesbezüglich versorgt :) -
    und bin wirklich am Überlegen, ob ich sie noch unbedingt haben muss. Bisher stand ich solchen Spätbearbeitungen (z.B. auch der Matthäuspassion von Mendelsohn) skeptisch gegenüber. Anderseits reizt solch eine Interpretation
    Erwarte hier noch ein Feedback darüber.



    Zitat

    Interessant, muß ich mir mal vormerken. Ist aber leider nicht ganz unteuer, die Aufnahme!


    Liebe Grüße,
    ^_^J.


    Genau !


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard


  • Ich habe mir diese Fassung letztes Jahr im WDR 3 angehört, weil ich ebenfalls überlegt hatte, mir die Aufnahme zu kaufen.


    Allerdings war ich nach dem Anhören nicht so begeistert, dass ich die CDs unbedingt haben wollte. Vor allem der Flügel als "Continuo" klang wirklich reichlich seltsam.


    Ich werde abwarten, bis die Aufnahme den üblichen CPO-Weg preislich nach unten geht.


    Mit Gruß von Carola

  • Hallo,


    den schon öfter angeklungenen Empfehlungen dieser Aufnahme Harnoncourts



    kann ich mich gerne anschließen.
    Sie ist eine meiner Lieblings-Bachinterpretationen Harnoncourts, weil sie neben der zu Zeitpunkt dieser Aufnahme voll ausgereiften und spieltechnisch souveränen Klangsprache des Concentus musicus Wien auch sängerisch sehr überzeugend besetzt ist.


    Zitat


    Johannes Roehl schrieb:
    Man hat behauptet, dass die Johannespassion (entsprechend dem Text und vgl. auch den Eingangschor) Christus weniger leidend, sondern auch in der Passion jederzeit herrschend zeigt. Da ist wohl was dran.


    Robert Holl scheint mir auch deswegen ein idealer Christussänger zu sein, weil er mit seinem mächtigen, rund-volltönenden und doch auch auf Bedarf lyrisch weichem Timbre schon vom Stimmmaterial her die besten Voraussetzungen dafür mitbringt, die königliche Würde des herrschenden Christus zu verkörpern ( dieser wird ja auch schon dreifach im Eingangschor als solcher angerufen).
    Dazu kommt natürlich seine Fähigkeit, bei Rezitativen das Gesangliche mit dem Sprachlichen zu verbinden. Ich empfinde seine Bachpartien unter Harnoncourt meistens als sehr gelungen, eben weil sie so vollmusikalisch ausgefallen sind.
    Auch wenn er sich nicht so sehr nach einem typischen „Barocksänger“ wie etwa der ebenfalls von mir geschätzte Peter Kooy anhört, empfinde ich seine hier zu hörende Vortragsart dennoch als stilistisch angemessen und nicht als klanglichen Kontrapunkt zum Orchester.
    Sind es nicht schon bald über 10 Jahre her, dass er mit Harnoncourt nicht mehr zusammenarbeitete? Man fragt sich nur bedauernd, warum das so ist. Bei Harnoncourts neueren Aufnahmen habe ich nicht derart überzeugende Bässe gehört.


    Ein weiterer Pluspunkt sind für mich Marjana Lipovsek, (Alt) und auch Angela Maria Blasi (Sopran).
    Die bekannte „Es ist vollbracht“ -Altarie geht einem in dieser Interpretation wirklich unter die Haut. Obwohl hier die historischen Musiziergrundlagen als selbstverständliche Voraussetzungen im Hintergrund vorhanden sind, denkt man hier an alles Mögliche, bloß nicht an „Historische Aufführungspraxis“. Vielmehr wird man von der Musik völlig gefangen genommen. So sollte es ja auch sein, und zum Glück trifft diese Beschreibung auch auf die anderen Teile der Passion zu. Wenn ein Altus diese Arie gesungen hätte, dann würde es einem wahrscheinlich schwerer fallen, den HIP-Hintergrund so zu vergessen, jedenfalls nach meinem Geschmack.


    Bei Lipovseks Aufnahmen mit Harnoncourt gefällt mir auch die einfühlsame und verstehende Phrasierung, die musikalische Qualität der Linienführung.


    Die Dinge, die ich bei Harnoncourts neueren Bächen als problematisch empfinde ( siehe das neue WO) treten hier zum Glück nicht als störend hervor. Zwar hätte ich mir auch hier gewünscht, dass er bei den Fermaten der Choräle nicht komplett angehalten hätte. Manche der direkt hinter den Rezitativen einsetzenden Choräle dürften für mich auch weniger agitatorisch und Forte beginnen, aber zum Glück gilt das nicht für alle.


    Besonders gut gelungen sind die Turba-Chöre.
    Ein Anspieltip: Bei JPC Track 12 „ Bist du nicht seiner Jünger einer“


    Zwar macht sich Harnoncourt mit diesem Accelerando auch angreifbar, aber er fasst es wahrscheinlich als von Bach so gewollt auf. Je weiter der Chor im Stück vorankommt, umso beklemmender klingt es. Man hört, wie sich immer mehr Leute um Petrus herum zusammenrotten und kann die zunehmende Panik des Apostels nachempfinden. So wird von Bach ein psychologisch nachvollziehbarer Hintergrund dafür vermittelt, warum es dazu kommt, dass der, der alle Wunder Jesu miterlebte, auf dem Verklärungsberg dabei war, und sogar auf dem Wasser lief, hier auf einmal so tat, als ob er „diesen Menschen“ nie gekannt habe.


    Bevor diese Aufnahme herauskam, war die folgende CD meine einzige HIP-Aufnahme der Johannis-Passion:



    Sie konnte mir damals mit ihrem getragen-kirchlichen Grundton gut gefallen, vor allem auch der junge Prégardien konnte mich als Evangelist begeistern. Insgesamt ist mir die Interpretation aber heute zu wenig spannungsgeladen und vielleicht ein bisschen dröge.


    Heute habe ich noch einmal bei JPC so gut wie alle Aufnahmen angespielt. Bei den Non-HIPs war ich an Güttlers Version interessiert, den ich als Trompeter und Leiter seines Blechbläserensembles schätze.




    Nach meinem Eindruck kannte er Harnoncourts zweite Aufnahme und wollte etwas davon auf „normalen“ Instrumenten in ähnlicher Form nachvollziehen. Einiges ist -so wie ich es höre- davon gründlich misslungen, vielleicht auch, weil er bei Harnoncourt zu oberflächlich zugehört und vieles einfach missverstanden hat.
    Ich bin ja durchaus dafür, dass man mehrere Vorbild-Aufnahmen sehr gut kennt und von ihnen lernt. Wenn man dann aber selbst als Interpret gefordert ist, sollte man dies alles beiseite schieben und seine eigene Gabe entfachen, sonst kann es peinlich werden. Natürlich kann ich diese Zusammenhänge hier nur vermuten, es soll auch keine böswillige Unterstellung sein.


    Ist aber der Eingangschor ( Track1) nicht ein kurioses Beispiel?


    Mir fällt es schwer, nur den JPC-Auschnitt nicht gleich zu stoppen.
    Zuerst dachte ich tatsächlich, dass irgendetwas mit der Online-Übertragung nicht stimmt...
    Natürlich sollten die Achtelbässe auf der ersten der 4 mit Punkten versehenen Achtel unter einem Artikulationsbogen betont werden.
    Es ist ein Bogenvibrato, das mit wellenartigem Druck gespielt werden muss, wobei die Detail-Dynamik eine Anfangsbetonung und dann ein Decrescendo sein sollte. Die kreisförmigen Achtelbewegungen der übrigen Streicher haben eine ähnliche Dynamik. Man darf es aber nicht derart brutal-ruppig forcieren und dass ganze Stück damit zertrampeln. Solche Dinge müssen dynamisch in größere Zusammenhänge integriert werden, die sich ja auch aus den harmonischen Fortschreitungen ergeben, siehe auch Track 1 bei Harnoncourt.


    Neben der mir bekannten Harnoncourt 2-Aufnahme konnte mich vor allem Koopmans Einspielung bei den angespielten JPC-Ausschnitten noch am ehesten überzeugen.



    Ton Koopman geht wie immer seinen eigenen, unverwechselbaren Weg, der Vieles für sich hat. So ist er z.B. als Dirigent kein Mann, der sich in Übertreibungen ergeht und sich durch diese den Blick auf tieferen Schichten des Werkes verdunkeln ließe.
    Auch die Choräle scheinen mir in ihrer ergreifenden (scheinbaren) Schlichtheit besonders gut zu gefallen.


    Da ich die Aufnahme nicht habe, möchte ich nicht weiter darauf eingehen. Allerdings habe ich sie schon in meinem JPC-Merkzettel gespeichert.
    Man bewahrt sich „frische Ohren“, wenn man ein Werk nicht immer nur in einer Interpretation hört, auch wenn man diese für insgesamt hervorragend hält.
    Ein gewisser Wermutstropfen ist für mich bei Koopmans JP wahrscheinlich die Besetzung der Sopranpartie ( Barbara Schlick), deren Timbre ich seit einigen Monaten zunehmend als etwas „tuntig“ empfinde ( sorry für den wenig netten Ausdruck, aber er trifft das, was ich sagen will am besten) .
    Vom Kauf wird es mich aber nicht abhalten, auch nicht die Turba-Chöre, die mir im Moment noch zu schnell vorkommen.


    Herzlichst,
    Glockenton
    :hello:

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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