Der Beruf der Opernsängerin/des Opernsängers hat sich in den letzten gut 70 Jahren stark verändert. Auf darstellerische Qualitäten wurde wenig Wert gelegt, Hauptsache, es wurde gut gesungen. Das führte zu allen Seltsamkeiten, die die Oper so nachhaltig diskreditiert hat: merkwürdige Armchoreografien, schmerzverzerrte Gesichtsminen (besonders bei allem, was über dem System notiert ist), Liebespaare, die sich weder berühren noch anschauen - das Objekt ihrer Begierde scheint vielmehr der Taktstockmeister im Graben zu sein. Oder aber, man stand gleich einfach nur monumentartig herum - und tat schon gar nicht so, als habe man hier eine Rolle mit Leben zu füllen.
Heute verlangt man agile, schauspielerisch begabte Sängerinnen und Sänger, Sportlichkeit kann von Vorteil sein, ein gewisses Körperfeeling ist oft unabdingbar. Negativ fallen sofort jene Künstler/innen auf, die genau das nicht bieten.
Gerade kleinere Häuser, die keine grossen Stars verpflichten können, sind auf diese "Allrounder" angewiesen. Die singen nämlich in aller Regel nicht wie Pavarotti und Co., können aber mit oft ausgezeichneten, darstellerischen Leistungen wettmachen, was die Stimme nicht bietet.
Ob ein Sänger, eine Sängerin überzeugend "rüberkommt" hat erstmal nichts mit der Physiognomie zu tun, es muss glaubhaft sein.
So betrachtet ist Netrebko da gar keine Ausnahme, sondern eine moderne Sängerin, wie wir sie heute zurecht auf der Opernbühne erwarten dürfen.
Bei Anna Netrebko habe ich aber ganz stark das Gefühl, hier wird die Körperlichkeit, dieses sexualisierte, geradzu massiv in den Vordergrund gerückt. Das hat sowas pseudopornografisches, dem sich die Sängerin selbst auch nicht entzieht. Und da drängt sich mir schon der Verdacht auf, es soll hier - ich sachs mal etwas provozierend - vom Gesang abgelenkt werden.
Wenn das Schule macht, ist das eine Entwicklung innerhalb der Opernszene, die ich kritisch sehen würde.