Kennst Du das Land- Mignon-Vertonungen

  • Peters neuestes Beethovenlied im Thread "Was hört ihr gerade jetzt" , legt die Frage nach weiteren Vertonungen des berühmtem Goethe Gedichts "Kennst du das Land" nahe. Das Gedicht wird der Mignon als Lied in den Mund gelegt und stammt aus Goethes berühmtem Roman "Wilhelm Meister" . Dieses Lied wurde zum Synonym der deutschen Italien-Sehnsucht schlechthin.


    "Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
    Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
    Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
    Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
    Kennst du es wohl?
    Dahin! dahin
    Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.


    Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach.
    Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
    Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
    Was hat man dir, du armes Kind, getan?
    Kennst du es wohl?
    Dahin! dahin
    Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.


    Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
    Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
    In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
    Es stürzt der Fels und über ihn die Flut!
    Kennst du ihn wohl?
    Dahin! dahin
    Geht unser Weg! O Vater, laß uns ziehn!








    Ausser der von Beethoven kenne ich die Vertonungen von Franz Liszt, Franz Schubert und von Robert Schumann.
    Aber auch Hugo Wolf und Zelter haben den Text vertont, ausserdem gibt es eine ins Französische übersetzte Fassung "Connais-tu le pays" aus der Oper Mignon von Ambroise Thomas. Obgleich Opernarie, ist die Stilisierung zum Strophenlied klar erkennbar. Weitere, mir bis dato nicht bekannte Versionen werden hier sicher noch genannt werden.




    Neben dem Gedicht "Kennst du das Land" sind auch andere "Mignon-Lieder" vielfach vertont worden.
    "Heiss mich nicht reden"
    "So lasst mich scheinen"
    "Nur wer die Sehnsucht kennt"


    Ich habe leider bis Anfang nächster Woche nciht die Musse, mich ausgiebig dem Thema zu widmen und stosse das Thema heute nur oberflächlich an.
    Fortsetzung durch andere User bis dahin sehr erwünscht! :yes:


    Fairy Queen

  • Neben den von Dir bereits genannten Komponisten fallen mir auch noch spontan Mignon-Vertonungen aller von Dir genannten Gedichte ein von:


    Fanny Hensel
    Tschaikowski
    Rubinstein
    Spohr
    Loewe
    Berg
    Gounod
    Duparc


    Schubert z.B. hat den gesamten Zyklus sogar gleich mehrfach vertont, ich glaube sogar drei- oder viermal.


    Gibt aber bestimmt noch mehr ...

  • Neben den von Dir genannten Komponisten hat noch Alban Berg "Kennst Du das Land" vertont.


    Von Gounod gibt es auch noch eine französische Vertonung "connais-tu le pays".


    Fanny Merndelssohn hat ebenso wie Schumann alle Mignon-Lieder vertont. Von Schumann gibt es im Anschluss an die Lieder und Gesänge aus Wilhelm Meister op. 98 a noch des Requiem für Mignon op. 98 b.


    Das Gedicht "Kennst Du das Land" hat bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts immer wieder Dichter zu Parodien angeregt bis hin zu Kästner und Hans Magnus Enzensberger.


    Möchtest Du in den Thread auch die Lieder des Harfenspielers einbeziehen oder nur die 4 Mignonlieder?


    LG :hello:


    Emotione

  • Ich füge mal eine ausführliche Liste von Vertonungen aus einem geschlossenen thread ein:


    lt. dieser sehr nützlichen Webseite:


    "http://www.recmusic.org/lieder/search.html?q=mignon"


    gibt es von "Kennst Du das Land..." noch:


    * by Ludwig Abeille (1761-1838 ) , "Sehnsucht nach Italien"
    * by Bror Beckman (1866-1922) , "Kennst du das Land?" , 1906.
    * by Ludwig van Beethoven (1770-1827) , "Mignon" , op. 75 no. 1 (1809), stanza 1.
    * by Alban Berg (1885-1935) , "Mignon" , 1907, stanza 1, from Jugendlieder.
    * by Carl Blum (1786-1844) , "Sehnsucht nach Italien" , c1820.
    * by Leopold Damrosch (1832-1885) , "Mignon" , op. 17 no. 2.
    * by Zdenko Fibich (1850-1900) , "Kennst du das Land?" , 1871.
    * by Carl Gollmick (1796-1866) , "Lied der Mignon" , c1828/9.
    * by Friedrich Götzloff , "Aus dem Wilhelm Meister" , c1806.
    * by August Ferdinand Häser (1779-1844) , "Sehnsucht nach Italien" , 1819.
    * by Moritz Hauptmann (1792-1868 ) , "Mignon" , op. 37 no. 1, published 1852?
    * by Georg Jakob Ernst Häusler (c1760-1837) , "Kennst du das Land wo die Cytronen blühn?" , 1799.
    * by Hélène Liebmann, née Riese (1796-1819+) , "Kennst du das Land?" , op. 4, published 1811.
    * by Franz (Ferencz) Liszt (1811-1886) , "Mignons Lied" , S. 275 (1842), rev. 1848.
    * by Fanny Mendelssohn-Hensel (1805-1847) , "Sehnsucht nach Italien" , 1822.
    * by Johann Friedrich Reichardt (1752-1814) , "Italien" , published 1795-96.
    * by Anton Rubinstein (1829-1894) , "Mignon" , op. 10 no. 4.
    * by Othmar Schoeck (1886-1957) , "Kennst du das Land?" , WoO. 92 (1903?)
    * by Franz Peter Schubert (1797-1828 ) , "Kennst du das Land? (Mignons Gesang)" , D. 321 (1815), published 1832.
    * by Robert Alexander Schumann (1810-1856) , "Kennst du das Land?" , op. 79 no. 29.
    * by Robert Alexander Schumann (1810-1856) , "Kennst du das Land?" , op. 98a no. 1 (1849).
    * by Ludwig Spohr (1784-1859) , "Mignons Lied" , op. 37 no. 1 (1816).
    * by Gaspare Spontini (1774-1851) , "Mignon" , 1830?
    * by Václav Jan KYtitel Tomášek (1774-1850) , "Mignons Sehnsucht" , op. 54 no. 1 (1815?)
    * by Hugo Wolf (1860-1903) , "Mignon: Kennst du das Land?" , 1888, from Goethe-Lieder, no. 9.
    * by Karl Friedrich Zelter (1758-1832) , "Kennst du das Land?" , 1795.


    Also set in Russian, a translation of Fyodor Ivanovich Tyutchev (1803-1873) ,


    * by Pyotr Ilyich Tchaikovsky (1840-1893) , "Pesn' Min'ony" , op. 25 no. 3.


    Also set in French, a translation of Michel Carré (1819-1872) ,


    * by Ambroise Thomas (1811-1896) , "Connais-tu le pays" , from the opera Mignon, note: also set in Italian


    Also set in French, a translation of Louis Gallet (1835-1898 ) ,


    * by Charles Gounod (1818-1893) , "Mignon" , 1871, published 1871.


    Also set in French, a translation of Victor Wilder ,


    * by Henri Duparc (1848-1933) , "Romance de Mignon" , 1869.


    Also set in Polish, a translation of Adam Mickiewicz (1798-1855) ,


    * by StanisBaw Moniuszko (1819-1872) , "Wezwanie do Neapolu"


    Also set in Italian, a translation of Giuseppe Zaffira ,


    * by Ambroise Thomas (1811-1896) , "Non conosci il bel suol" , from the opera Mignon, note: also set in French


    M.E. sollt hier weiter diskutiert werden, den alten thread werde ich am besten schließen. Link oben daher entfernt.



    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Himmel, das klingt ja wirklich nach dem meistvertonten Gedicht aller Zeiten! :faint:


    Nach dieser umwerfenden Auflistung interessiert(mich) nun natürlich dreierlei:


    Wer ist diese Mignon überhaupt?
    Was haben die Komponisten je Eigenes aus den Goethe-Texten gemacht?
    Welche Einspielungen/Interpreten sind zu empfehlen


    Liebe Emotione, die Harfenspieler-Lieder würde ich sekundär auch mit den Thread nehmen wollen; also frisch drauflos, wenn du möchtest.



    Lieber Johannes, ich sehe schon, das Du das Kunstlied NICHT vergisst :D :jubel:


    Für die Schubert-Mignon-Vertonungen empfehle ich mal gleich als Komplettpaket:


    Franz Schubert: Lieder
    Gundula Janowitz Irwin Gage
    4Cd -Box Label DG


    Fairy Queen

  • Das ist wohl Gedankenübertragung, denn eben habe ich mir, ohne von diesem Thread etwas zu wissen, aus der Bücherei das Libretto von Ambroise Thomas "Mignon" geholt, weil mich der Inhalt dieser mir bis dato unbekannten Oper interessiert, nachdem in unserem Manon-Thread auf die Parallele zwischen den beiden Frauengestalten hingewiesen worden ist. Leider gab's keine CD, sonst hätte ich mir die natürlich auch ausgeborgt!
    Wenn es meine anderen Aktivitäten zulassen, werde ich eine Inhaltsangabe in den Opernführer stellen!
    lg Severina :hello:

  • Goethe hat das Lied und seine Aufführung im "Wilhelm Meister" sehr genau beschrieben: Wilhelm ließ sich die Strophen wiederholen und erklären, schrieb sie auf und übersetzte sie ins Deutsche. Aber die Originalität der Wendungen konnte er nur von ferne nachahmen. Die kindliche Unschuld des Ausdrucks verschwand, indem die gebrochene Sprache übereinstimmend und das Unzusammenhängende verbunden ward. Über den Gesang schrieb Goethe, dass der Reiz der Melodie mit nichts verglichen werden konnte. Mignon begleitete sich auf einer Zither. Sie fing jeden Vers feierlich und prächtig an, als ob sie auf etwas Sonderbares aufmerksam machen, als ob sie etwas Wichtiges vortragen wollte. Bei der dritten Zeile ward der Gesang dumpfer und düsterer; das "Kennst du wohl" drückte sie geheimnisvoll und bedächtig aus; in dem "Dahin! Dahin!" lag eine unwiderstehliche Sehnsucht, und ihr "Laß uns ziehn!" wußte sie bei jeder Wiederholung dergestalt zu modifizieren, daß es bald bittend, bald treibend und vielversprechend war.


    Die Anordnung der Verse gibt einen weiteren Hinweis für die musikalische Ausführung: Der fünfte Vers wurde zerlegt. Die erste Hälfte beschließt die Strophe (Kennst du es wohl?), der zweite beginnt den Refrain (Dahin! Dahin!).


    Beethoven hat Goethes Beschreibung als Anweisung verstanden. Das Lied beginnt mit ruhigen Schritten, mit einem Nachdruck, der jedes Wort wichtig macht. Die Melodie ist allerdings für ein Strophenlied komponiert, es folgt nicht der konkreten Textdeklamation der jeweiligen Zeile, sondern berücksichtigt die jeweils korrespondierenden Zeilen der Folgestrophen. Beim dritten Vers, bei dem der Gesang "dumpfer und düsterer" werden soll, wechselt Beethoven von A-dur nach a-moll. Gesang und Harmonik werden lebhafter (inspiriert von der stürzender Flut der 3. Strophe), am Ende der vierten Zeile wendet sich die Melodie nach C-dur. Der fünfte Vers fasst die Strophe zusammen - "Kennst du es wohl" wird "bedächtig und geheimnisvoll" von Goethe charakterisiert, bei Beethoven ist das das Motiv der Einleitung aufnehmende Zwischenspiel des Klaviers bedächtig. Wenn aber die Singstimme die Frage stellt, wirkt sie nicht mehr rhetorisch sondern direkt, sie wirkt, als warte sie auf Antwort. Beethoven hat hier eine Fermate gesetzt, die die Singstimme auf dem zweiten Viertel ohne Begleitung lässt.


    Ohne Übergang beginnt der Refrain mit verändertem Takt und Tempo. Die vorhergehende Bewegung wird überboten - "unwiderstehliche Sehnsucht" (Goethe) wird ausgedrückt. Der Schlussvers bringt mit seinen Wiederholungen Goethes Anweisung "bald bittend und dringend, bald treibend und vielversprechend" zum Ausdruck.


    "Das Raffinement und die Sorgfalt, aber auch die musikalische Intensität in der Darstellung von Haltung, Gestik und Aussage eines Gedichtes haben in dieser Komposition einen Höhepunkt erreicht, den Beethoven in seinen Strophenliedern nicht mehr überboten hat." (Lühning)


    Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
    Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
    Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
    Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
    Kennst du es wohl?
    Dahin! dahin
    Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.


    Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach.
    Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
    Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
    Was hat man dir, du armes Kind, getan?
    Kennst du es wohl?
    Dahin! dahin
    Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn.


    Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
    Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
    In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
    Es stürzt der Fels und über ihn die Flut!
    Kennst du ihn wohl?
    Dahin! dahin
    Geht unser Weg! O Vater, laß uns ziehn!



    Liebe Grüße Peter

  • Liebe Severina, das ist ja toll! :]
    Ich kenne diese Oper ledier auch noch nciht und fände es serh gut,von Dir darüber etwas zu erfahren. Die Parallele zur Manon bezog sich zwar nciht auf Mignon sondern auf Philine, aber vielleicht hast Du ja Lust hier in diesem Thread etwas zu der Mignon als Opern- Figur zu schreiben? Ein Vergleich mit der Goethe-Gestalt böte sich dann geradezu an. Die Arie "Connais-tu le pays" ist wunderschön und fast wie ein Kunstlied komponiert, scheint mir.



    Lieber Peter, das mit dem dritten Teil versteh ich nciht so ganz. ?(
    Fällt der zweite Teil dann aus???? Fände ich angesichts des bereits erfolgten sehr erhellenden ersten Teils serh schade......



    F.Q.

  • Liebe Fairy!
    :O :O :O Ja, das kommt davon, wenn man in meinem Alter ohne Spickzettel unterwegs ist - natürlich war's die Philine! Aber die "Mignon" interessiert mich natürlich auch sehr, aber ich werde nun doch versuchen auch die Musik dazu aufzutreiben, denn nur das Libretto alleine ist doch etwas merkwürdig.
    lg Severina :hello:

  • Wer ist diese Mignon überhaupt?


    Mignon ist eine Figur in Johann Wolfgang von Goethes 1795 erschienenen Roman "Wilhelm Meisters Lehrjahre"


    Wilhelm Meister, ein wohlhabender Kaufmannsohn, ist auf Reisen, um für seinen Vater Gelder einzuziehen. Er trifft auf eine Schauspielertruppe, der er sich anschließt und die von ihm finanziell unterstützt wird. Auf einem Volksfest sieht er einer Seiltänzergruppe zu, bei der ihm ein Kind auf eigenartige Weise fasziniert. Ist es ein Junge, ein Mädchen? Er spricht in Gesellschaft darüber und Philine geht los, um nach dem Geschöpf zu suchen:



    Zitat:
    Hier ist das Rätsel«, rief sie, als sie das Kind zur Türe hereinzog. Es blieb am Eingange stehen, eben als wenn es gleich wieder hinausschlüpfen wollte, legte die rechte Hand vor die Brust, die linke vor die Stirn und bückte sich tief. »Fürchte dich nicht, liebe Kleine«, sagte Wilhelm, indem er auf sie losging. Sie sah ihn mit unsicherm Blick an und trat einige Schritte näher.


    »Wie nennest du dich?« fragte er. – »Sie heißen mich Mignon.« – »Wieviel Jahre hast du?« – »Es hat sie niemand gezählt.« – »Wer war dein Vater?« – »Der große Teufel ist tot.«


    »Nun, das ist wunderlich genug!« rief Philine aus. Man fragte sie noch einiges; sie brachte ihre Antworten in einem gebrochenen Deutsch und mit einer sonderbar feierlichen Art vor; dabei legte sie jedesmal die Hände an Brust und Haupt und neigte sich tief.


    Wilhelm konnte sie nicht genug ansehen. Seine Augen und sein Herz wurden unwiderstehlich von dem geheimnisvollen Zustande dieses Wesens angezogen. Er schätzte sie zwölf bis dreizehn Jahre; ihr Körper war gut gebaut, nur daß ihre Glieder einen stärkern Wuchs versprachen oder einen zurückgehaltenen ankündigten. Ihre Bildung war nicht regelmäßig, aber auffallend; ihre Stirne geheimnisvoll, ihre Nase außerordentlich schön, und der Mund, ob er schon für ihr Alter zu sehr geschlossen schien und sie manchmal mit den Lippen nach einer Seite zuckte, noch immer treuherzig und reizend genug. Ihre bräunliche Gesichtsfarbe konnte man durch die Schminke kaum erkennen. Diese Gestalt prägte sich Wilhelmen sehr tief ein; er sah sie noch immer an, schwieg und vergaß der Gegenwärtigen über seinen Betrachtungen. Philine weckte ihn aus seinem Halbtraume, indem sie dem Kinde etwas übriggebliebenes Zuckerwerk reichte und ihm ein Zeichen gab, sich zu entfernen. Es machte seinen Bückling wie oben und fuhr blitzschnell zur Türe hinaus.
    Zitatende


    Am nächsten Tag beobachtet er, wie der Direktor der Seiltänzertruppe das Kind auspeitscht. Voller Empörung und Mitleid kauft er das Kind, das nun ein treuer, stiller Begleiter wird. Es gesellt sich noch ein alter Mann hinzu, der als Harfenspieler seine Nahrung erbettelt.


    In der Folgezeit wird die Anhänglichkeit Mignons an Wilhelm Meister immer intensiver. Auch er nennt sie immer wieder sein Kind. Es zeigt sich, dass Mignon bei seelischen Erregungen zu Zusammenbrüchen neigt. Ein Arzt stellt ein Herzleiden fest. Wilhelm hat eine unglückliche Liebe überwunden und sich erneut in eine Frau verliebt. Er sieht in Mignon trotz einer mysteriösen Anziehung das Kind, während Mignon ihn mit allen Fasern des Herzens liebt.
    Als sie ihn in inniger Umarmung mit seiner neuen Liebe überrascht, bricht sie tot zusammen.


    Es stellt sich heraus, dass Mignon als Kleinkind in Italien lebte und von der Seiltänzergruppe geraubt wurde. Ein Arzt erkennt im Harfenspieler einen italienischen Adeligen, der mit seiner Schwester im Inzest ein Kind zeugte, eben Mignon. Das Kind wurde zu Pflegeeltern gegeben, wo es geraubt wurde. Die leibliche Mutter verstarb und der Vater, von Schuldgefühlen gepeinigt, wurde zunächst Priester, fand auch im Glauben keine Ruhe und verkam so zum bettelnden Harfenspieler, der im Roman Selbstmord verübt.


    Dies ist in mehr als groben Zügen der Inhalt des Romans.


    :hello:


    Emotione

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  • Liebe Mignorien,



    ich denke, der Umstand, dass so viele Künstler eines oder mehrere Mignon-Lieder in Musik gesetzt haben (ob dieses hier das meistvertonte Gedicht überhaupt ist, da könnte wohl auch der Herr Erlkönig seine gereimten Wörtchen mitzureden haben) ist nicht allein auf Goethes wunderbare Poesie zurückzuführen, sondern auch der mythologisch Vergangenes beschwörenden und gleichzeitig in die literarische Zukunft weisenden Figur selbst geschuldet.
    Einige delikate und somit faszinierende Momente vereint Mignon in sich.


    Zunächst ist sie, wie bereits erwähnt, das traurig-tragische Ergebnis einer inzestuösen Verbindung und verweist somit auf klassisch-mythologische Vorbilder.
    Diese „Urschuld“ oder „Sünde“ der Eltern weiterhin muss der Spross stellvertretend (mit) büßen, ebenfalls ein archaisches Motiv, indem ihm im Allgemeinen Glück sowie Heimat – und somit Wurzeln - versagt bleiben wie auch im Besonderen die erfüllte Liebe und das Zur-Frau-Werden - der Tod zur in jeder Hinsicht „richtigen“ Zeit steht hierfür nachgerade symbolisch.
    Und so ist dann das Mädchen der Typus der Kindfrau mit unleugbar androgynen Zügen, das Knabenkleidung trägt, die eigene Weiblichkeit negiert, gar zwitterhaft genannt und mit allen drei bestimmten Artikeln versehen wird.
    Es bringt somit durchaus homoerotische wie auch parthenophile Elemente ins Spiel. Zudem wird es vom Vormund misshandelt.
    Schließlich ist es auch noch ein künstlerisch begabtes Wesen, von hoher Herkunft unters Fahrende Volk gestoßen.
    Die Figur der Mignon paart unterm Strich also Frühreife mit geschlechtlicher Unbestimmtheit, dunkle Vergangenheit mit trostloser Gegenwart, kreativen Freigeist mit knebelndem Schicksal, Leiden mit Sehnsucht und so ziemlich alles, was nicht „gesellschaftsfähig“ ist.


    Eine brisante Mischung, welche sehr wohl dazu angetan ist, die Phantasie schöpferischer Geister zu beflügeln.


    „So lasst mich scheinen, bis ich werde…“







    Gruß,



    audiamus

  • Liebe Emotione und lieber Audiamus, danke fur diese schönen Beiträge. :jubel:


    Angesichts dieser Charakterisierung der Mignon(der Name bedeutet übrigens sicher nciht umsonst "sïusse Kleine") werde ich mir die Vertonungen unter ganz anderen Aspekten ansehen.


    F.Q.

  • [amx=B00000E4QF]300[/amx]


    Es ist möglicherweise ein psychologisch zu fassendes Problem: Wenn Schubert in direkte Konkurrenz mit Beethoven tritt, so liefert er kein überzeugendes Ergebnis ab. Das war schon beim "Wachtelschlag" D 742 so und bei "Adelaide" D 95. Man kann davon ausgehen, dass Schubert auch die Mignon-Vertonung von Beethoven op. 75 Nr. 1 kannte. Was Beethoven mit seinem Ingenium zu einer einzigartigen Vergegenwärtigung der Vorlage Goethes machte, erreicht Schubert nicht. Er schreibt ein variiertes Strophenlied, bei denen sich die beiden ersten Verse und der Refrain gleichen (A-dur), der dritte Vers differiert in der Melodielinie (a-moll), der letzte folgt wieder dem Grundmuster. Schubert gewinnt die Intensivierung durch den Klavierpart, wo er durch deutlich abweichende Begleitung den Text ausdeutet.


    Schumann äußerte sich: Die Beethovensche Komposition ausgenommen, kenne ich keine einzige dieses Liedes, die nur im mindesten der Wirkung, die es ohne Musik macht, gleich käme. Ob man es durchkomponieren müsse oder nicht, ist eins, laßt euch von Beethoven sagen, wo er seine Musik herbekommt (zit. nach Fischer-Dieskau: Franz Schubert und seine Lieder).


    Es gab, wie man an der obigen Liste feststellen kann, dank der Beliebtheit des Textes eine Unzahl von Vertonungen - und auch schon Parodien. Erst mit Hugo Wolf - so Fischer-Dieskau - entstand eine weitere überzeugende Version.


    Liebe Grüße Peter

  • Liebe Fairy,


    Zitat

    Zitat: Angesichts dieser Charakterisierung der Mignon(der Name bedeutet übrigens sicher nciht umsonst "sïusse Kleine"


    den Namen "Mignon" habe ich immer mit jemand Männlichem assoziiert, also "der Kleine", was für mich die Ambivalenz dieser Figur noch erhöhen würde (denn in Goethes Roman denkt man auch eher an ein knabenhaftes Mädchen).


    Dass diese Figur so populär wurde, ist vielleicht auch der Theorie der Romantiker zu verdanken, die meinten, es habe einmal ein "Urgeschlecht" gegeben, das sich erst später in männliche und weibliche Elemente aufgeteilt habe.


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von petra
    den Namen "Mignon" habe ich immer mit jemand Männlichem assoziiert, also "der Kleine", was für mich die Ambivalenz dieser Figur noch erhöhen würde (denn in Goethes Roman denkt man auch eher an ein knabenhaftes Mädchen).


    Liebe Petra,


    bei wikipedia findet man auch den Hinweis:


    Zitat

    Nach Friedenthal wird unter Mignon in der Goethezeit "homosexueller Liebling" verstanden


    So wird in Mignon u.a. der Knabe Franz von Stein erkannt, wenn man nicht allgemeiner "die Poesie" oder "die Psyche" in der von Goethe ein wenig überdeterminierten Gestalt erkennen will. Zumindest die heutige Vorstellung einer Lolita-Gestalt ist historisch nicht zu rechtfertigen, Von Dorothea Flashar gibt es eine Abhandlung Bedeutung, Entwicklung und literarische Nachwirkung von Goethes Mignongestalt (Germanistische Studien, Bd. LXV)


    Liebe Grüße Peter

  • Liebe Petra, lieber Peter, grammatikalisch ist "mignon" als Adjektiv männlich und heisst "süss, niedlich". Wenn damit eine Frau gemeint ist, muss es logischerweise "mignonne" heissen. Ma mignonne - meine Süsse kommt z.B. auch in Operettenliedern vor .
    Ich war aber bei "Mignon" als EIGEN- NAMEN nicht primär von der korrekten Grammatik ausgegangen, was wahrscheinlich ein Fehler war.
    Denn das was hier über die geschlechtliche Ambivalenz geschrieben wird(auch von Audiamus) leuchtet mir sehr ein und daher kann die männliche Form durchaus mit voller Absicht gewählt sein. Mir fällt auch gerade bei der Lektüre hier ein, dass in den Briefen der Lieselotte von der Pfalz, in denen sie sich über ihre Ehe und die Zustände am frz. Hof auslässt, von den "mignons" die Rede ist, den Gespielen ihres Gatten.....


    Zu den einzelnen Vertonungen komme ich leider erst nächste Woche. Liszt, Beethoven und Schubert scheinen sich strukturell beim ersten Hören sehr zu ähneln- wahrscheinlich ist der Text so zwingend, dass man manche Dinge gar nicht anders machen KANN.
    Von Wolf habe ich nur die Noten eingesehen und noch keine Aufnahme. Das scheint eine ganz andere und sehr extreme Version zu sein: die Stimme wird durch 2 Oktaven gejagt, eine Modulation nach der Anderen- was man auch als Hinweise auf die "geschlechtsmetamorphosierende" Mignon-Gestalt sehen könnte.
    Die Tatsache, dass dei Mignon auch in der Oper eine Mezzopartie ist, ist vielleicht noch ein Rest dieser Androgynität, denn ansonsten ist Mignon bei Thomas eine verliebte sehr junge Frau, die sogar am Ende (ganz im Gegensatz zu Goethe) von Wilhelm erhört wird und die Konkurrentin Philine(Koloratursopran) ausstechen kann.
    Ein seltener Fall in Opern-normalerweise "gewinnt" fast immer der Sopran den Tenor.


    Noch ein weiterer Punkt, den ich nur mal kurz antippe: im Gedicht geht es vom Geliebten über den Beschützer zum Vater. Theoretisch könnte es auch umgekehrt sein. Warum so und nciht andersrum? ?(




    .

  • Liebe Fairy,


    Zitat

    Zitat: Dei Tatsache, dass dei Migonon auch in der Oper eine Mezzopartie ist, ist vielleicht noch ein Rest dieser Androgynität,...


    das sehe ich genauso. Ich habe bisher leider nur zwei Mignons gehört (Giulietta Simionato und Marilyn Horne) und beide Stimmen erscheinen mir zu wenig mädchenhaft-androgyn, etwas zu schwer für diese Rolle.


    Kann jemand eine Aufnahme empfehlen, in der man eine leichtere, stimmlich schlankere Mignon hören kann?


    Zu deiner letzten Frage: AUffällig ist die Schilderung eines idyllischen "Arkadiens" in der ersten Strophe, die mit dem "Geliebten" verbunden wird (Wer ist hier wirklich der Angesprochene?).
    In der zweiten Strophe sehe ich eher eine Gefährdung (was hat man dir ...), was den "Beschützer" schlüssig machen würde.
    Und die dritte zeigt einen schwierigen, dornigen Weg mit Bedrohungen und am Schluss eine deutliche Aufforderung an den "Vater", während es in den ersten beiden Strophen ein Wunsch war.
    Das waren erst einmal nur ein paar Assoziationen von mir, ob´s euch weiterbringt, weiß ich nicht :angel:


    Liebe Grüße
    Petra

  • Zitat


    Original von Petra
    Zu deiner letzten Frage: AUffällig ist die Schilderung eines idyllischen "Arkadiens" in der ersten Strophe, die mit dem "Geliebten" verbunden wird (Wer ist hier wirklich der Angesprochene?).
    In der zweiten Strophe sehe ich eher eine Gefährdung (was hat man dir ...), was den "Beschützer" schlüssig machen würde.
    Und die dritte zeigt einen schwierigen, dornigen Weg mit Bedrohungen und am Schluss eine deutliche Aufforderung an den "Vater", während es in den ersten beiden Strophen ein Wunsch war.


    Der Angesprochene ist m.E. in allen drei Strophen Wilhelm Meister.


    Wilhelm Meister will die Stadt verlassen. Mignon in der Annahme, er schicke sie weg und überlasse sie wieder ihrem Schicksal, hat ihren ersten Zusammenbruch. Wilhelm tröstet sie und versichert ihr, dass er sie behalten würde, sie sei sein Kind, er sei ihr Vater. Ihr Beschützer ist er bereits, als Vater hat er sich selbst bezeichnet, und ihre Sehnsucht ist, er sei ihr Geliebter.


    Am Tage danach singt sie auf einer Zither Wilhelm das Lied vor, das Wilhelm verzaubert. Den genauen Vortrag des Liedes hat Peter bereits gestern beschrieben.


    Mignon stellt Wilhelm die Frage ob er wisse, welches Land gemeint sei. Wilhelm entgegnet, er denke Italien. Ob sie denn schon einmal dort gewesen sei. Eine Antwort darauf wird von Mignon verweigert.


    Meine Auffassung ist die, dass sie mit der dritten Strophe Wilhelm direkt anspricht. Sie nennt ihn Vater und fleht ihn an, mit ihr in das Land ihrer Kindheit zu ziehen. So erklärt sich für mich - natürlich völlig laienhaft und unakademisch - die Strophenfolge. Zunächst die verlockende Schilderung des Landes, in das sie mit ihm (Wilhelm, Geliebter) zurück möchte. In der zweiten Strophe die Erinnerung an die Entführung (Wilhelm, Beschützer) zuletzt die Ahnung, dass der Verwirklichung ihrer Träume Widrigkeiten im Wege sein könnten, dennoch die sehnsuchtsvolle Bitte eines Kindes (Wilhelm, Vater).


    :hello:


    Emotione

  • Liebe Emotione,


    vielen Dank für deine Ausführungen! Den Kontext hatte ich nicht mehr so genau im Kopf; ich war der irrigen Auffassung, dass Mignon diese Strophen dem Harfner gegenüber singt(und als Geliebten in der ersten Strophe Wilhelm anspricht). So sieht das Ganze natürlich anders aus.


    :hello: Petra

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Liebe Petra und liebe Emotione, mir kommt dieses Gedicht immer seltsamer und mehrdeutiger vor ,auch wenn man es zum Beispiel mit einem anderen viel leichter zu interpretierenden berühmten Mignon-Lied
    "Nur wer die Sehnsucht kennt" vergleicht.
    In "Kennst du das Land" werden so viele verschiedene Ebenen vermischt, dass mir eine schlüssige Interpretation noch weiter offen bleibt


    Mignon will und braucht sowohl einen Geliebten als auch einen Beschützer als auch einen Vater-soweit kann ich mich gut einlassen. Aber die Reihenfolge im Lied verstehe ich immer noch nicht, denn ihrer Sehnsucht zu folgen muss es gerade umgekehrt sein. Ist das schon die Resignation, die ja letztlich auch zu ihrem Tod führt?
    Mit dem Geliebten wird es ncihts, also bleibt ihr nur der Vater?


    Und was bedeuten die Marmorbilder und die Drachenbrut ?


    Ich habe mir heute morgen mehrfach die Vertonung von Liszt (mit Margaret Price und Cyprien Katsaris)angehört, die meiner Ansicht nach den mysteriösen Charakter des Gedichtes recht gut eingefangen hat.
    Schubert finde ich in diesem Fall zu verharmlosend und nett und ich gebe Peter Recht , dass die Beethoven-Fassung schlüssiger und auch schöner ist. Nun warte ich serh gespannt auf Hugo Wolf, der dem Notenbild nach eine viel dramatischere Variante geschaffen hat.


    Ganz anders aber bei "Nur wer die Sehnsucht kennt"
    Da finde ich Schubert unübertroffen :jubel: und ganz zu Recht, hatte dieses Mignon-Lied auch bis heute viel mehr Erfolg als "Kennst du das Land".


    F.Q.

  • Wieder nur ein paar Gedankenschnipsel: Goethe war ja eigentlich kein Romantiker, aber die Romantiker haben ja doch einiges von ihm aufgegriffen, daher:


    Die erste Strophe ist für mich ein typisches Bild des Südens, wie es in der Klassik ja gern beschworen wurde: Das sonnige Italien, schwerelos
    (das Klima begünstigt die Menschen), alles ist duftig und sanft; es sind auch reine Naturbilder, da passt der Geliebte schon gut hin.


    Die zweite Strophe bringt die Nähe zur Kultur: Häuser, Säle, Marmorbilder (gerade die waren ja nachher bei Romantikern wie Eichendorff ein beliebtes Motiv): Die Natur hat ihre Unschuld verloren; mit der Kultur ist Bedrohung bzw. Unrecht eingezogen. Das Ich braucht einen Beschützer.


    Das dritte Bild evoziert für mich - trotz des Maultiers - eher Bilder des Nordens: Nebel, Drachen und Felsen sind eigentlich typische Motive dafür. Also eine Bewegung von Süd nach Nord, vom paradiesischen Urzustand zum Jetzt, wo alles auf der Suche und in der Schwebe ist. Warum gerade jetzt der Vater gebraucht wird? Vielleicht als Verbindungsglied vom Alten zum Neuen?



    :hello: Petra

  • Vielleicht ist das auch so:


    1. Strophe: Sehnsucht nach der südländischen Idylle des imaginierten Italien - dazu paßt recht gut der romantische Liebhaber.


    2. Strophe: Rom - Imagination der klassischen Antike, Ehrfurcht (das ist Klassik) - hier kann man ganz gut eine starke Schulter gebrauchen, die Sicherheit gibt, damit man sich nicht gaaaanz so klein und unbedeutend fühlen muß angesichts der Größe vergangener Zeiten und des Gleichmaßes antiker Architektur und Skulpturkunst.


    3. Strophe: Alpen (denn die liegen ja zwischen dem nördlicheren Europa und Italien und da paßt dann auch der Esel hin); Schrecken des Eises und der Finsternis; Bergpässe, die überwunden werden wollen (und wo der Papa das kleine Mädchen vor bösem Unbill verteidigt) bevor man das ersehnte Land erreicht, wo die Zitronen blühen (und der Liebhaber wartet).


    Wäre eine hübsche per Aspera ad Astra-Geschichte, nur rückwärts erzählt.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Ich bin als Schuelerin mal mit dem guten Wilhelm maltraetiert worden und habe noch so Einiges, allerdings auch nicht mehr alles, in dunkler Erinnerung (was nicht heisst, dass ich die gemeine Neigung zur Ueberinterpretation jedes zweiten Wortes teile ;) ).


    Ich kann mich z.B. noch erinnern, dass die Mignon auch immer ganz gerne als Spiegel Wilhelm Meisters eigener Seele interpretiert wurde, denn erst nach ihrem Tod ist er auch wieder wirklich bindungsfaehig - sie stellt die Uebergangsphase zwischen zwei sehr zentralen Frauen in seinem Leben dar (die zweite ist uebrigens nicht Philine, sondern Natalie). Wilhelm selbst ist in dieser Zeit unsicher (er waehnt sich von Mariane betrogen und meidet daher Beziehungen zu Frauen, um nicht wieder enttaeuscht zu werden, daher kommt so ein androgynes Zwitterwesen gerade recht) und sozusagen auf der Suche nach seiner eigenen Identitaet. Erst als Mignon (als Symbol fuer seine eigene Zerissenheit) stirbt, ist er auch wieder bindungsfaehig. Gerade in der Literatur des Sturm und Drang ist es relativ haeufig, dass Frauengestalten eingesetzt werden, um das Innenleben des Helden zu spiegeln (das sind aber selten die Frauen, denen das Liebesinteresse gilt, sondern eher Gestalten der "Rahmenhandlung"). Ob man die Meinung teilt und das auch so versteht, lasse ich mal dahingestellt ...


    Greift man nur das Lied heraus, wurde wirklich in jedes Bild etwas hereingelegt. Die Myrte als weibliches Element (in der Mythologie der Venus geweiht, die ja auch oft mit einem Myrtenzweig in der Hand dargestellt wird. Als Symbol fuer Liebe, Schoenheit, Reinheit und Jungfraeulichkeit immer gern genommen), der Lorbeer als maennliches, hat was Kriegerisches und ist die Pflanze der Sieger. Weiter werde ich mich nicht in die Untiefen Freud'scher Eindeutigkeitsinterpretationen begeben, da kann sich jeder selbst was zu denken (ich fand das selbst immer leicht ueberinterpretiert).


    Sieht man das aber vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Mignon gerade mal 12 oder 13 ist, als Wilhelm Meister sie aufliest, kann man das auch als die Wuensche eines pubertierenden Teenagers interpretieren (denn das ist sie AUCH). Aber es ist natuerlich und ganz klar Wilhelm Meister, der hier als Geliebter angesprochen wird. Mignon ist allerdings keine Lolita und verhaelt sich auch nie als solche. Das trotzdem (beiderseits) eine gewisse erotische Anziehung da ist, aendert daran recht wenig.
    Farbsymbolik spielt auch immer eine Rolle, Gelb und Orange werden gemeinhin als die Farben der Lebensfreude angenommen. Zitronen sind immer ein erotisches Symbol usw.
    Das Wunschbild kommt also zuerst ...


    An die Marmorbilder meine ich mich als Ahnensymbol mit muetterlicher Komponente zu erinnern, da mag ich mich aber taeuschen (wie gesagt, ich finde sowieso, man kann es auch uebertreiben, aber vielleicht hilft es ja als Anstoss). Wuerde aber passen, da Mignon ja misshandelt wurde und das Symbol des "Heimkommens" dorthin, wo vieleicht alles anders und besser ist, nicht von der Hand zu weisen waere.


    Drachen haben gemeinhin was mt Hoelle oder Teufel zu tun, also verheissen in den seltensten Faellen was Gutes. Gerade vor dem Inzesthintergrund vielleicht sogar ein logisches Bild.


    Mignon stirbt uebrigens (sieht man mal davon ab, dass sie "widernatuerlich" ist und daher zur Wiederherstellung der Ordnung eigentlich sowieso dem Untergang geweiht ist) deswegen, weil sie nur verlieren kann: Eine Beziehung (oder die Erfuellung ihrer unterdrueckten Liebeswuensche) zu Wilhelm haette nur eine Chance, wenn sie sich bilden liesse und ihre Ungezaehmtheit aufgaebe (das ist im Sturm und Drang uebrigens ein ganz starkes Bild fuer den Kuenstler an sich). Damit wuerde sie aber ihre Identitaet verlieren - so oder so kann sie also nur verlieren, und da es keine wirkliche Loesung dieses Dilemmas gibt, ist die Konsequenz logisch ...