Beethoven: Klaviersonate Nr 14 cis-moll op. 27, 2 "Mondscheinsonate"

  • Nach etlichen Hördurchgängen meine Einschätzung der Gould-Aufnahme:


    sie lässt mich völlig kalt. Ein zügig genommener, dramatisierter erster Satz mit exzessiv-expressivem Künstlerröcheln, gefolgt von einem stacheligen Mittelsatz ausmündend in ein Finale, das weder gestalterisch noch technisch an Kissin oder Brautigam heranreicht.


    Für mein Empfinden weder schön, noch provozierend, noch erhellend, noch besonders interessant - viel fällt mir zu dieser Aufnahme jedenfalls nicht ein, wenn ich sie höre.


    Ich hoffe, die Gould-Verehrer fühlen sich nicht auf den Schlips getreten, das läge nicht in meiner Absicht.


    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Original von Barockbassflo
    Ein zügig genommener, dramatisierter erster Satz mit exzessiv-expressivem Künstlerröcheln



    Gould nimmt Beethovens Metronomangabe (60 Viertel pro Minute) so ernst, dass er sie sogar überbietet (ca. 72 Viertel). Immerhin zerfließen bei diesem Tempo nicht (wie sonst) die thematischen Gestalten im Mondschein. Gulda z.B. bleibt hier mit ca. 40 Vierteln ganz konventionell und auch bei Brautigam hört die historische Informiertheit offenbar abseits der Wahl seines Instruments auf (ca. 46 Viertel).


    Da viele von Euch sicherlich umfangreichere Mondscheinsammlungen besitzen als ich: Gibt es noch andere Pianisten, die den ersten Satz annähernd so zügig nehmen wie Gould, vielleicht sogar mit den "richtigen" 60 Vierteln pro Minute?


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Gould nimmt immerhin Beethovens Metronomangabe (60 Viertel pro Minute) so ernst, dass er sie sogar überbietet (ca. 72 Viertel). Immerhin zerfließen bei diesem Tempo nicht (wie sonst) die thematischen Gestalten im Mondschein. Gulda z.B. bleibt hier mit ca. 40 Vierteln ganz konventionell und auch bei Brautigam hört die historische Informiertheit offenbar abseits der Wahl seines Instruments auf (ca. 46 Viertel).


    Da viele von Euch sicherlich umfangreichere Mondscheinsammlungen besitzen als ich: Gibt es noch andere Pianisten, die den ersten Satz annähernd so zügig nehmen wie Gould, vielleicht sogar mit den "richtigen" 60 Vierteln pro Minute?


    Die MM ist bestenfalls von Czerny :)
    Die mir vorliegenden Interpretationen liegen fast alle zwischen knapp 6 und 6:40, Backhaus bei 5:40, van Immerseel (auf einem Graf-Fortepiano) liegt bei 5:30, einzig der alte Schnabel ist näher dran mit 4:55. (ca. 4:40 entspräche stur durchgehaltenen 60 Viertel pro Minute)


    Die Sonate ist nicht gerade mein Favorit (seit meiner ersten MC zog ich Pathetique und Appassionata vor :D); ich habe daher nur mal Immerseel, Horowitz, Backhaus und Schnabel gehört.


    Was an Backhaus überhaupt so toll sein soll, ist mir bisher nicht klar geworden. Ich finde ihn zwar nicht schlecht (habe ein Doppel-CD mit 7 populären Sonaten), aber meist stocknüchtern bis zur Trockenheit. Das gefällt mir bisweilen recht gut (aber auch dann bevorzuge ich den ebenfalls eher nüchternen, aber spritzigeren Gulda), die Mondscheinsonate jedoch finde ich so prosaisch vorgetragen nicht sehr fantastisch.


    Horowitz ist ebenfalls weniger romantisch als man erwarten könnte, stellenweise ziemlich manieriert, z.B. einige Artikulationen im Finale (das "Da-damm" ,sf Achtel, im ersten Thema wird serh kurz und relativ verhalten gespielt, nicht als Explosion)


    Immerseel ist schwer zu beurteilen, da nicht gut aufgenommen, man muß extrem hochdrehen. Er wacht erst im Finale auf, da klappert das alte Instrument entsprechend. Eher interessant als begeisternd.


    Schnabels fließenderes Tempo im adagio funktioniert sehr gut, er macht auch die wichtige Baßlinie sehr deutlich (leider durch die Tonqualität etwas eingeschränkt). Die sowohl "natürliche" wie expressive Phrasierung aller Stimmen hier gefällt mir sehr gut.
    Im Finale ist er von diesen klar der Schnellste (6:30 vs. 7:10-7:25), was den stürmsichen Charakter des Satzes besonders deutlich macht. Dadurch wird, wieder aufgrund des Alters einiges etwas "verschmiert", was ich aber nicht so tragisch finde.
    Gefiel mir von diesen 4 mit ziemlichem Abstand am besten. (Aber immer noch kein Stück, dass mir wirklich am Herzen liegt)
    Mich würde allerdings auch mal eine extrem "romantische" Aufnahme, mit viel rubato usw. interessieren (egal ob das jetzt die Spielweise ist, die mit quasi una fantasia gemeint ist oder nicht).



    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die MM ist bestenfalls von Czerny :)



    Hmpff, erwischt :O. Da Kolisch hier aber mit Czerny übereinstimmt, hat das mindestens die Autorität einer original Beethoven'schen Metronomisierung :D. Wobei Kolisch natürlich aufgrund der Alla-Breve-Notierung das Tempo auf die Halben bezieht (also 30 Halbe pro Minute) und dazu schreibt: "Durch Unterdrückung von Betonungen auf dem zweiten und vierten Viertel muß erreicht werden, daß wirklich die großen Tempoeinheiten als solche in Erscheinung treten, also ein breiter Adagio-Atem den intendierten Charakter herstellt." (Mit 60 Vierteln sind original von Beethoven das 4/4-Molto Adagio von 59/2 und das 4/4-Adagio molto der neunten Symphonie metronomisiert worden).


    Schnabel ist ein guter Tip. Höre ich viel zu selten.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich habe gelernt, dass das Metronom nur eine Empfehlung ist, und durchaus nicht strikt anzuwenden ist. Über Beethoven und das Metronom ist folgendes zu lesen:


    Trotz seiner Begeisterung über das durch Mälzel endlich praktisch verwendbar gewordene Metronom hat Beethoven von seinen über 400 Werken nur 25 „metronomisiert“, d. h. mit Tempoangaben nach der Mälzel-Skala versehen.


    LG Micha:hello:

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  • Zitat

    Original von Michael
    Ich habe gelernt, dass das Metronom nur eine Empfehlung ist, und durchaus nicht strikt anzuwenden ist. Über Beethoven und das Metronom ist folgendes zu lesen:


    Trotz seiner Begeisterung über das durch Mälzel endlich praktisch verwendbar gewordene Metronom hat Beethoven von seinen über 400 Werken nur 25 „metronomisiert“, d. h. mit Tempoangaben nach der Mälzel-Skala versehen.



    Die Diskussion über Beethoven und das Metronom hatten wir schon gelegentlich im Forum, darum nur in aller Kürze:


    - Die Metronomisierungen Beethovens sind gültig - d.h., sie sind tatsächlich so gewollt und nicht auf technische Defekte, Missverständnisse etc. zurückzuführen.


    - Aus den originalen Beethoven'schen Metronomisierungen kann man Schlüsse über die generellen Tempovorstellungen des Komponisten ziehen und analog ungefähre Metronomisierungen für den Rest der Werke Beethovens erschließen.


    - Niemand zwingt die Interpreten, solche Metronomisierungen zu befolgen. Auch Interpretationen mit abweichenden Tempi können selbstverständlich hervorragend sein. Allerdings ist es schon irritierend, auch wenn man Metronomisierungen nur als "Empfehlung" akzeptiert, dass diese Empfehlungen bei manchen Werken fast nie befolgt worden sind (sprich: die Tempi waren fast immer zu langsam, manchmal mehr als doppelt zu langsam). Noch vor zweieinhalb Jahrzehnten bin ich an keine einzige Einspielung der Sinfonien herangekommen, in denen die Vorgaben Beethovens verwirklicht gewesen wären. Das hat sich heute zum Glück geändert.


    Grundlegend zu dieser Thematik:
    Rudolf Kolisch, Tempo und Charakter in Beethovens Musik, München 1992 (Musik-Konzepte, Bd. 76/77) [ursprünglich in den 40er Jahren erschienen].


    Viele Grüße


    Bernd


  • Sagen wir hier eigentlich nicht beide dasselbe @Bernd?


    LG Micha:hello:

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Da Kolisch hier aber mit Czerny übereinstimmt, hat das mindestens die Autorität einer original Beethoven'schen Metronomisierung großes Grinsen . Wobei Kolisch natürlich aufgrund der Alla-Breve-Notierung das Tempo auf die Halben bezieht (also 30 Halbe pro Minute) und dazu schreibt: "Durch Unterdrückung von Betonungen auf dem zweiten und vierten Viertel muß erreicht werden, daß wirklich die großen Tempoeinheiten als solche in Erscheinung treten, also ein breiter Adagio-Atem den intendierten Charakter herstellt." (Mit 60 Vierteln sind original von Beethoven das 4/4-Molto Adagio von 59/2 und das 4/4-Adagio molto der neunten Symphonie metronomisiert worden).


    Ich wollte die Autorität nicht in Zweifel ziehen. Ich halte diese Angabe für wesentlich unproblematischer umsetzbar als die in der 9. Sinfonie. Denn zum einen ist in der Sonate explizit alla breve notiert (das spielt lt Kolisch kaum eine Rolle, aber ich bin noch nicht so sicher), zum anderen ist der Satz viel homogener als die Variationen der 9. Im adagio der 9. ist das Tempo am Anfang gar kein Problem. Aber die späteren Variationen mit Figurationen in kleinen Noten können ziemlich hektisch klingen.
    Aber ob und wie strikt ein Tempo durchzuhalten ist, ist ja wieder eine andere Frage...
    Schnabel, der ja nur ein oder zwei Skalenteile von diesem Tempo entfernt ist, klingt in der Mondschein dagegen kein bißchen hektisch. Wobei Schnabel sonst gerade in langsamen Sätzen fast immer deutlich breiter ist als Czernys Vorschläge (und in etlichen schnellen schneller)
    Aber ob und wie strikt ein Tempo durchzuhalten ist, ist ja wieder eine andere Frage


    Zitat


    - Niemand zwingt die Interpreten, solche Metronomisierungen zu befolgen. Auch Interpretationen mit abweichenden Tempi können selbstverständlich hervorragend sein. Allerdings ist es schon irritierend, auch wenn man Metronomisierungen nur als "Empfehlung" akzeptiert, dass diese Empfehlungen bei manchen Werken fast nie befolgt worden sind (sprich: die Tempi waren fast immer zu langsam, manchmal mehr als doppelt zu langsam). Noch vor zweieinhalb Jahrzehnten bin ich an keine einzige Einspielung der Sinfonien herangekommen, in denen die Vorgaben Beethovens verwirklicht gewesen wären. Das hat sich heute zum Glück geändert.


    Es gab aber schon einige, die sie im wesentlichen umsetzten, Leibowitz, Scherchen und manchmal Toscanini.


    Zitat


    Grundlegend zu dieser Thematik:
    Rudolf Kolisch, Tempo und Charakter in Beethovens Musik, München 1992 (Musik-Konzepte, Bd. 76/77) [ursprünglich in den 40er Jahren erschienen].


    Und hier einige der ältere Beiträge zum Thema.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Es gab aber schon einige, die sie im wesentlichen umsetzten, Leibowitz, Scherchen und manchmal Toscanini.



    Von Leibowitz habe ich ungefähr 1980 schon gelesen und ich hätte die (damals anscheinend vergriffene) Aufnahme gerne gehabt. Aber wie das seinerzeit so war: Auf die entsprechende schüchterne Nachfrage (ich war ungefähr 15 Jahre alt) beim örtlichen Schallplattenhändler wurde mir beschieden, dass mit Klemperer und Karajan die beiden maßgeblichen Alternativen zur Verfügung stünden - andere Aufnahmen seien nicht notwendig. Auf experimenteller Basis habe ich damals schon die LP mit Klemperers Eroica mit 45 Umdrehungen pro Minute abgespielt :D. Dann kam Gielens Eroica aus Cincinatti auf den Markt, die mir der besagte Händler mit hochgezogener Augenbraue bestellte: eine Offenbarung. Auf breiterer Basis war der nächste Schritt der sukzessive Erwerb der Norrington-Einspielungen aus London, die seit ungefähr 1986 erschienen und die ich bis heute sehr gerne höre.



    Zurück zur Mondscheinsonate: Ich habe mir die Schnabel-Aufnahme inzwischen auch angehört - sie kommt meinem "Ideal" sehr nahe. Insbesondere der erste Satz ist jetzt so zügig, dass man die Themen und Phrasen in ihrem Zusammenhang begreift und nicht als Fettaugen auf einer Triolensuppe serviert bekommt - aber eben nicht so schnell (wie bei Gould), dass der Stimmungszauber, den Rellstab ja nicht umsonst empfand, verlorengeht. Die von Johannes hervorgehobene Betonung der Basslinie gefällt mir auch ausnehmend gut!


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo,


    mir gefällt der Titel "Mondscheinsonate" überhaupt nicht. Er wird dieser Musik nicht gerecht.


    Der erste Satz ist für mich der Inbegriff von Traurigkeit, Verlorenheit. Beethoven öffnet sein verwundetes Herz, so kommt es mir vor.
    Alle Sonaten erzählen Geschichten, sind für mich Äußerungen dessen, was in diesem Menschen vorsichgegangen ist. Ich möchte mit ihm nicht tauschen.


    Der zweite Satz - der ist heikel zu spielen. Ich denke, am zweiten Satz scheiden sich die Geister. Wenn man ihn heiter ironisch nimmt, liegt man wohl falsch (das denke ich bei Brendel). Auch als "Tanzstück" ist er falsch interpretiert. Ja, wie denn dann, er hat ja einen Hüpfrhythmus.
    Ich habe lange gesucht, bis ich das Richtige gefunden habe.


    Der dritte Satz, da läßt Beethoven alles heraus, was in den Sätzen davor an Traurigkeit und Resignation aufgestaut ist. Es ist wie eine Katharsis, die verwundete Seele wird befreit, indem alles herauskommt, was heraus muß.


    Die 3 Sätze gehören für mich zusammen. Die Forderung, daß Musik absolut sein soll, die kann man bei Beethoven nicht erfüllt finden. Deshalb lieben seine Musik so viele, weil Sie den Menschen spüren.


    Die - bisher - optimale Interpretation habe ich gefunden: RADU LUPU.


    Hier stimmt alles, auch der 2. Satz !


    Liebe Grüße aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hallo zusammen,


    Zitat

    Originalzitat von Stabia:
    Alle Sonaten erzählen Geschichten, sind für mich Äußerungen dessen, was in diesem Menschen vor sich gegangen ist.

    Die 3 Sätze gehören für mich zusammen. Die Forderung, daß Musik absolut sein soll, die kann man bei Beethoven nicht erfüllt finden. Deshalb lieben seine Musik so viele, weil Sie den Menschen spüren.


    Diese Beschreibung der drei Sätze finde ich ausgezeichnet – wobei aber die "Geschichten, die in diesem Menschen“ vor sich gegangen sind, eben nicht durch Sprache oder durch Bilder dargestellt werden könnten, sondern eben durch musikalische Prozesse - in diesem Sinne hat Beethoven wohl doch "absolute Musik" geschrieben, aber nicht in dem SInne, dass das alles "außer Klängen" keine Bedeutung hat.


    Auch ich empfinde bei dieser Sonate ganz stark, dass man die drei Sätze nur zusammen hören sollte; jeder Satz für sich ist "irgendwie nicht vollständig“.


    Was den Interpretationsansatz angeht: ich finde es wichtig, dass der erste Satz ganz gleichmäßig, gleichsam „eisig“, gespielt wird, nur so kann die Stimmung sich entfalten, jede Rückung stört hier.


    Die Aufnahme, die von den mir bekannten dies am besten umsetzt, ist die von Emil Gilels. Kurz nachdem ich sie kennen gelernt hatte, durfte ich das Werk, gespielt von Maurizio Pollini, im Konzertsaal erleben – unvergesslich (aber leider auch nicht „wiederholbar" oder "nachprüfbar“).


    Und nun bin ich auf die Aufnahme gespannt, die Michael Korstick im Rahmen der geplanten Gesamtaufnahme wohl in absehbarer Zeit einspielen wird.


    Gruß
    Pylades

  • Gestern abend spielte Andras Schiff in der Bonner Beethovenhalle Op. 26, 27/1, 27/2, 28.


    (Selten wird in dieser Halle ein reines Klavierkonzert veranstaltet, das letzte, daß ich da gehört habe, war von Swjatolaw Richter kurz vor seinem Tode. Die Halle ist völlig ungeeignet dafür, der Ton ist flau. Ich saß in der 5. Reihe, was haben die Leute hinten gehört? Gott sei Dank soll eine neue Halle gebaut werden!!!!!)


    Andras Schiff spielte 27/2 so, wie ich es mir vorstelle:
    Der erste Satz ohne Steigerungen, gleichmäßig, nicht zu langsam, unendlich traurig, völlig unsentimental. Da bringt jemand seine Verlorenheit in Töne!


    Der 2. Satz ist für mich der Knackpunkt. Hier keine lustige, beschwingte Tanzerei, sondern, vor allem im letzten Teil mit den abwärtsgehenden Tonfolgen, die Aussage: Das Leben ist schön, aber nicht für mich.


    Der 3. Satz verführt zu brillianter Tastenlöwendemonstration. Hier spielte Schiff sehr schnell, aber wunderbar durchgedacht, mit viel Laut-und-Leise-Differenzierung, kleinen ritardanto. Eigentlich ist da der Charakter der verzweifelten Raserei und Entladung von Enttäuschung und Frust nicht zum Ausdruck gekommen.
    Als Alternative war es aber wichtig und hörenswert.



    Mit Gruß aus Bonn, :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hi,


    ich habe ziemlich alles gelesen und mich wundert es, dass noch niemand was über die Taktart des ersten Satzes gesagt hat.
    Dieser steht in alla breve und nicht im 4/4-Takt.


    Ergo sind die meisten Aufnahmen IMO viel zu langsam.


    Zum zweiten möchte ich sagen, dass ich selber keine Ahnung hätte, wie ein zweiter Satz zwischen den beiden grandiosen Sätze sein sollte.


    Ein weiterer lyrischer wäre mir zu viel. Ich finde Beethoven hat mit dem Scherzo alles richtig gemacht. Am Anfang der ruhige, melancholische Erste, dann ein anmutiger, witziger zweiter Satz, bei dem die Welt wieder in Ordnung gerückt scheint und schließlich ein typisch "fröhlicher" Beethoven in seinem Element. :hello:

    Die Dame des Hauses erhebt sich vom Klaviersessel: "Das war Siegfrieds Tod." Ein Zuhörer zu seinem Nachbarn: "Kann ich verstehen."

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  • Zitat

    Original von AlexScria
    Hi,


    ich habe ziemlich alles gelesen und mich wundert es, dass noch niemand was über die Taktart des ersten Satzes gesagt hat.
    Dieser steht in alla breve und nicht im 4/4-Takt.


    Ergo sind die meisten Aufnahmen IMO viel zu langsam.



    Wenn Du nur ca. 12 Postings nach oben scrollst, findest Du einige Beiträge von Johannes Roehl und mir, die sich recht ausführlich mit dem Tempo des ersten Satzes beschäftigen (auch die alla-breve-Notierung wird erwähnt).



    Viele Grüße


    Bernd


  • dann nehme ich alles zurück und behaupte ab sofort das gegenteil :D


    also danke

    Die Dame des Hauses erhebt sich vom Klaviersessel: "Das war Siegfrieds Tod." Ein Zuhörer zu seinem Nachbarn: "Kann ich verstehen."

  • Ich bins jetzt doch nochmal. Habe in meine beiden Ausgaben (Wiener UT, Könemann) nachgeschaut und keine Metronomangaben gefunden.


    Welche hat der der gute Ludwig vorgeschrieben? Grüße

    Die Dame des Hauses erhebt sich vom Klaviersessel: "Das war Siegfrieds Tod." Ein Zuhörer zu seinem Nachbarn: "Kann ich verstehen."

  • Mondscheinsonate - Metronomangaben


    Hallo AlexScria,


    tatsächlich gibt es zu deiner Frage auch im Internet keine Auskunft - zumindest habe ich sie nicht gefunden.


    Nun ist es ja so, dass von Beethovens Hand nur 25 Werke metronomisiert sind, dazu gehören alle Sinfonien, ein paar Streichquartette und natürlich de Hammerklaviersonate. Dazu kommt, dass die Könemann-Ausgabe auf Autograph und den ersten Ausgaben der Werke beruht, und dass (laut "Notes" ind der Könemann-ausgabe) keine Zusätze auf Grund von Analogien anderer Stellen hinzugefügt wurden. Schlussfolgerung kann eigentlich nur sein: es gibt keine Metronomangaben vom Komponisten - insofern: über die Bezeichnungen Adagio sostenuto, Allegretto und Presto agitato hinaus hat er selbst keine Tempoangabe gemacht.


    Aber natürlich haben andere Musiker Analogieschlüsse gezogen, so zum Beispiel Rudolf Kolisch in seinem für die moderne Beethoven-Interpretation wichtigen Aufsatz "Tempo and Character in Beethoven's Music" (aus dem Jahre 1943).


    Mir liegen die Zahlen von drei Beethoven-Kommentatoren vor: Karl Czerny, Ignatz Moscheles und Rudolf Kolisch. Hier deren Metronomisierungsvorschläge:


    Czerny:
    Adagio sostenuto: Viertel = 54 - 60
    Allegretto: Dreiviertel = 76 - 80
    Presto agitato: Halbe = 80 - 92


    Moscheles:
    Adagio sostenuto: Viertel = 60
    Allegretto: Dreiviertel = 76
    Presto agitato: Halbe = 92


    Kolisch:
    Adagio sostenuto: Halbe = 30
    Allegretto: Dreiviertel = 69 - 84
    Presto agitato: Viertel = 200 - 224


    Bemerkenswert ist m. E. der breite Spielraum, den Rudolf Kolisch beim Allegretto einräumt, und dann auch die von ihm empfohlene Rasanz für das Presto-agitato-Finale.


    Gruß
    Pylades


    P.S.: Die aktuelle Ausgabe der Zeischrift "Partituren" , Heft März/April 2008, ist Beethoven gewidmet, und hier findet sich viel interessanter Lesestoff zum Thema "Beethoven und das Metronom": zum einen ein Aufsatz "Ticktack ticktack, ticktack - Beethoven und das Metronom", dann zwei Interviews, eines mit dem deutschen Pianisten Michael Korstick, das andere mit dem britischen Pianisten Paul Lewis, in beiden ist viel auch von Beethovens Tempoangaben die Rede, und dann ein Interview "Blind gehört", in dem dem ehemaligen Primarius des LaSalle-Quartetts, Walter Levin, verschiedene Interpretationen Beethovenscher Quartette "blind" vorgeführt werden und er, ohne die Interpreten zu wissen, seine Kommentare dazu gibt - auch hier spielt das Tempo eine große Rolle. (Das LaSalle-Quartett war bis in die Achziger Jahre ein berühmtes Ensemble mit Schwerpunkt auf der Musik des zwanzigsten Jahrhunderts, hat aber auch eine wichtige Einspielung von Beethovens späten Quartetten vorgelegt. Bei Walter Levin (als musikalischem Berater) haben sich so bedeutende Formationen wie das Alban-Berg-Quartett oder das Artemis-Quartett ausbilden lassen.)

  • Zitat

    Original von Pylades
    Mondscheinsonate - Metronomangaben


    Nun ist es ja so, dass von Beethovens Hand nur 25 Werke metronomisiert sind, dazu gehören alle Sinfonien, ein paar Streichquartette und natürlich de Hammerklaviersonate.


    Alle Quartette bis einschließlich op.95, dann noch das Septett und ein paar Lieder und andere Kleinigkeiten. Das sind insgesamt über 100 Angaben, die Datenlage für Analogie-Überlegungen ist also selbst ohne Czerny &Co nicht so schlecht.



    Vielen Dank für die Übersicht. Czerny war ja immerhin ein Schüler von Beethoven; er hat zwar teils über 20 Jahre in unterschiedlichen Ausgaben leicht abweichende Tempo-Empfehlungen gegeben, aber sie sind insgesamt ziemlich konsistent und recht nahe an Beethovens umstrittenen Angaben. Kolischs Rekonstruktionen beruhen auf einer Analyse der Metronomisierungen Beethovens und der "Satzcharaktere". Der Aufsatz ist jedenfalls lesenswert: Musik-Konzepte 76/77 (1992) "Rudolf Kolisch. Tempo und Charakter in Beethovens Musik" (einer Übers., Kommentar und Erläuterung von Kolischs urspgrl in den 40ern erschienen Aufsatzes), ebenso Musik-Konzepte 8 "Beethoven. Das Problem der Interpretation" (2. Aufl. 1985)
    Erstaunlich ist hier wiederum die weitgehende Kongruenz mit Angaben von Czerny, Hummel, Moscheles und anderen aus den 1840er Jahren (die Kolisch meines Wissens nicht kannte). Das spricht dafür, daß Kolisch jedenfalls nicht auf dem völlig falschen Weg war.
    Wenn man von 54-60 ausgeht, sind somit die meisten Interpretation ein Stück zu langsam. Der Satz sollte ca. 4:50-5:20 dauern, die meisten liegen etwa eine Minute darüber (20% langsamer). Auf Bernds und meiner Wenigkeit Postings oben sei nochmal hingewiesen, ebenso auf Schnabel, der hier wirklich alles richtig macht und gerade im adagio sehr überzeugt.


    :hello:


    JR

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  • Vorsicht: Kolisch hat bis zu seinem Tod ( 1978 ) an der Problematik der Metronomangaben bei Beethoven gearbeitet - die Quelle, aus der Deine Angaben stammen, ist offensichtlich der im "Musical Quarterly" 1943 erschienene Aufsatz. Die von Johannes im vorhergehenden Posting erwähnte 1992 erschienene deutsche Ausgabe in der "Musik-Konzepte"-Reihe stellt - soweit möglich - die Fassung letzter Hand dar. Sie unterscheidet sich im Ganzen wie im Detail erheblich von dem Aufsatz der 40er Jahre. Deshalb kursieren immer verschiedene Kolisch-Angaben innerhalb der Literatur, was die ohnehin komplizierte Situation nicht einfacher macht.


    Kolisch hat für jeden Typus von Tempo- und Satzcharakter-Angabe einen gewissen Spielraum eingeräumt, dem aber immer eine konkrete Empfehlung hinzugefügt. Im einzelnen bedeutet das nach der Fassung letzter Hand:


    Adagio sostenuto: Halbe = 30-33; Empfehlung: Halbe = 30
    Allegretto: Dreiviertel = 63-84; Empfehlung: Dreiviertel = 76
    Presto agitato: Viertel = 176-224; Empfehlung: Viertel = 176


    Gerade beim Finale hat sich Kolisch schwer getan, auch was die Zuordnung zu einem bestimmten Satztyp betrifft. Vergleichsbeispiel war für ihn das Presto aus dem Septett, das allerdings alla breve notiert ist und von Beethoven mit Halbe = 112 metronomisiert worden ist. Kolisch führt dazu aus:


    In diesen Fällen hat Beethoven die systematische Bedeutung der Vorschriften Presto und Prestissimo aufgehoben. es sind Stücke, in denen er Triolen (op. 20 [Septett]) und Sechzehntel (op. 27/II) notiert, welche im eigentlichen Presto-Tempo nicht ausführbar wären. Offenbar hat er hier seinem Impuls nachgegeben, besonders in den Stücken für Klavier, durch die Beziehung auf das rascheste Tempo die idiomatische Brillanz zu bezeichnen.


    Sprich: Vom Sinn und Charakter der Tempovorschrift wäre eigentlich ein extremes Tempo von mindestens Viertel = 224 gefordert, was aber an der Unspielbarkeit dieses Tempos scheitert.


    Es wäre interessant, mal nachzuprüfen, welches Tempo die schnellsten unter den Pianisten in diesem Satz erreichen. Da gibt's doch schon einige Raser.



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Erstaunlich ist hier wiederum die weitgehende Kongruenz mit Angaben von Czerny, Hummel, Moscheles und anderen aus den 1840er Jahren (die Kolisch meines Wissens nicht kannte). Das spricht dafür, daß Kolisch jedenfalls nicht auf dem völlig falschen Weg war.


    Doch, Kolisch kannte Czernys Schrift Über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethoven'schen Klavierwerke und die dort empfohlenen Metronomzahlen - hielt diese jedoch in manchen Fällen offenbar für unzuverlässig (Brief vom 27.7.1970 an Alfred Schlee von der Wiener Universal Edition, in der damals die Herausgabe von Kolischs überarbeiteter Schrift geplant war).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo zusammen,


    die Quelle der Metronomzahlen von Czerny, Moscheles und Kolisch in meinem obigen Posting nicht anzugeben war natürlich ein Fehler, der hiermit behoben wird:


    die Zahlen stammen aus einem Aufsatz von


    Rainer Riehn:
    "Beethovens originale, Czernys und Moscheles' auf Erinnerungen gegründete, Kolischs und Leibowitz' durch Vergleiche der Charaktere erschlossene Metronomisierungen",


    erschienen in Band 8, "Beethoven, das Problem der Interpretation (Rudolf Kolisch zum Gedächtnis)", der Reihe "Musik-Konzepte", herausgegeben von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn, erschienen im April 1979.


    Anmerkungen:


    1. Die Metronom-Empfehlungen René Leibowitz' beziehen sich nur auf "Fidelio", spielen also hier im Zusammenhang mit der Mondscheinsonate keine Rolle.


    2. Die von mir präsentierten Empfehlungen Kolischs sind tatsächlich die aus dem Aufsatz aus dem "Musical Quarterly". Nun kann die zahlengenaue Angabe ohnehin nicht der Wahrheit letzter Schluss sein, aber eine Tendenz ist damit doch gegeben. Da ist Kolischs späte Empfehlung "Viertel = 176" für das Presto agitato im Vergleich zur frühen Angabe schon erstaunlich langsam - ich kannte die neuere Zahl nicht - vielen Dank für die Information, lieber Zwielicht.


    3. Auch wenn mich der Stil manchmal entsetzlich nervt, interessant ist es immer, was Adorno zu Beethoven in seinen Fragmenten und Texten hinterlassen hat (ich kenne sie in der Herausgabe von Rolf Tiedemann, als "suhrkamp taschenbuch 1727" erschienen unter dem Titel "Beethoven - Philosophie der Musik - Fragmente und Texte"). Darin findet sich ein Brief Adornos an Kolisch (vom 16. November 1943), in dem er diesen auf der einen Seite für dessen vergleichende musikalischen Tempo- und Charakterstudien sehr lobt, auf der anderen Seite aber auch an Kolisch appelliert, es mit den Zahlen nicht zu genau zu nehmen, hier nicht einer "unkünstlerischen Mechanistik" zu verfallen und nicht zu vergessen, dass es sich bei allen tempo-charakterlichen "Typen" im Einzelfall letzlich immer um musikalische Individualgestalten handelt, für die auch für das Tempo individuelle Lösungen gefunden werden müssen. Und er kritisiert an Kolischs Darstellung, dass man das Tempo nicht isoliert von all den anderen musikalischen Parametern betrachten dürfe.
    Meine persönliche und subjektive Meinung: Adorno hat das sehr schön und einsichtig dargestellt, aber: seltsam ist, dass eigentlich alle Beethoven-Interpretatonen, die ich mag, zumindest aus Sicht der Tempi den Kolisch-Zahlen nahe kommen.


    Gruß
    Pylades

  • Zitat

    Original von Pylades
    Darin findet sich ein Brief Adornos an Kolisch (vom 16. November 1943), in dem er diesen auf der einen Seite für dessen vergleichende musikalische Tempo- und Charakterstudien sehr lobt, auf der anderen Seite aber auch an Kolisch appelliert, es mit den Zahlen nicht zu genau zu nehmen, hier nicht einer "unkünstlerischen Mechanistik" zu verfallen und nicht zu vergessen, dass es sich bei allen tempo-charakterlichen "Typen" im Einzelfall letzlich immer um musikalische Individualgestalten handelt, für die auch für das Tempo individuelle Lösungen gefunden werden müssen. Und er kritisiert an Kolischs Darstellung, dass man das Tempo nicht isoliert von all den anderen musikalischen Parametern betrachten dürfe.
    Meine persönliche und subjektive Meinung: Adorno hat das sehr schön und einsichtig dargestellt, aber: seltsam ist, dass eigentlich alle Beethoven-Interpretatonen, die ich mag, zumindest aus Sicht der Tempi den Kolisch-Zahlen nahe kommen.



    Hallo Pylades,


    die Adorno-Kritik hat sich Kolisch wohl zu Herzen genommen: In seinen späteren Überarbeitungen hat er seine Kategorisierung stärker nach Satzcharakteren vorgenommen (während 1943 nur nach Sonatensatz, langsamem Satz, Scherzo und Rondo kategorisiert wurde). Zudem betont Kolisch mehrfach im Sinne Adornos, dass Tempo nur ein wichtiger Parameter sei (allerdings ein wichtiger).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Der Adorno konnte gerade in musikalischen Dingen schon sehr weise sein. Seine Ermahnung an Kolisch finde ich völlig richtig. Allzu oft artet der Streit um das Metronom in unmusikalische Erbsenzählerei aus. Beethoven selbst war von der Neuerung und ihren Möglichkeiten fasziniert, war aber zugleich der Meinung, dass das Metronom generell ohnehin nur für die Anfangstakte von Relevanz sein könne und danach das Gefühl für die Musik die gestaltende Oberhand haben müsse. In seiner 8. Sinfonie hat er anhand dieser Idee der Priorität des Musikalischen gegenüber allem Mechanischen allerhand Schabernak getrieben.


    Für den 1. Satz der Mondscheinsonate hätte eine Metronomvorgabe freilich für den ganzen Satz ihre Bedeutung. Denn wenn irgendetwas bezüglich des 1. Satzes unstreitig sein dürfte, dann wohl die Erkenntnis, dass das zu Beginn gewählte Tempo gnadenlos zu halten ist. Kurioser Weise berichtet Czerny, dass Beethoven selbst in der Durchführung an Tempo zugelegt habe.


    Welches ist nun das richtige Anfangstempo? - Die Vorgaben Beethovens deuten mit "Adagio sostenuto" und durchgehendem Pedalgebrauch ("senza sordino") auf ein langsames Tempo. Die Vorgabe "alla breve" ist keine Geschwindigkeitsvorgabe, sondern gebietet einen flüssigen Vortrag, der größere Zusammenhänge betont. Ein schönes Beipiel sind insofern die absteigenden Bass-Oktaven gleich zu Beginn. Diese Figur sollte im Zusammenhang vernommen werden können. Ein zu langsames Tempo kann diesen Eindruck gefährden. Dabei ist aber auch zu beachten, dass ein Tempo, das ansich gar nicht falsch wäre, für den betreffenden Pianisten zu langsam sein kann, weil er es technisch mit seiner Anschlagtechnik nicht vermag, bei diesem langsamen Tempo die Zusammenhänge noch zu gestalten. Ein anderer Pianist könnte es vielleicht, so dass das (langsame) Tempo für diesen wieder "richtig" sein könnte. "Richtiges" Tempo ist also zu einem gewissen Grade immer auch eine Frage des Pianisten.


    Auch spielt es für die subjektive Wahrnehmung eines gewählten Tempos eine Rolle, wie und was der Pianist betont. Betont er jede erste Achtel-Note einer Triole oder nur die erste Achtel-Note eines Taktes? Betont er die ruhigere Basslinie stärker? Fühlt der Pianist in Vierteln oder in flüssigen Halben? Es gibt da auf den drei Ebenen der musikalischen Struktur des Satzes viele Möglichkeiten, die zu ganz unterscheidlichen Eindrücken führen.


    Die Spielzeiten des 1. Satzes durch berühmte Pianisten liegen zwischen 4 und 8 1/2 Minuten. Eine enorme Spanne! Im 19. Jahrhundert ist der Satz allgemein wohl zügiger gespielt worden als im 20. Jahrhundert. J. Kaiser hat überdies festgestellt, dass einige große Pianisten des 20. Jahrhunderts dazu neigten, den Satz im Herbst ihrer Karriere zügiger zu spielen, als zu Beginn. Das mag sehr persönliche Gründe haben, die vielleicht nicht zu verallgemeinern sind. Dass im 19. Jahrhundert zügiger gespielt wurde und wohl auch neuerdings auf historischen Intstrumenten wieder zügiger gespielt wird, mag auch damit zusammenhängen, dass es auf den historischen Instrumenten nicht wie auf einem modernen Konzertflügel möglich ist, die Oktaven in der Basslinie auch bei langsamem Tempo so lange nachklingen zu lassen, dass sie zum immerwährenden Fundament für die Mittellage mit den Achteltriolen und die Oberlage mit der rhytmischen Melodielinie werden. Welche Kunst eines Ineinanderfließenlassen der Klänge hier möglich ist, kann sehr eindrucksvoll z. B. in der 60er Aufnahme von W. Kempff gehört werden. Dies erlaubt dann ein langsameres Tempo (wobei Kempff mit rund 6 Min. so langsam gar nicht ist).


    Persönlich neige ich selbst, wenn ich den Satz mal spiele, zu einem flüssigen Tempo (ca. 5:30). Das liegt aber auch daran, dass mir dies leichter fällt und mein bescheidenes Spiel auf bescheidenem Gerät dann einfach besser klingt. Ich meine, dass es - wie oben angedeutet - weitaus schwerer ist, den Satz in einem langsamen Tempo zu gestalten (z. B. Gulda, Kempff, Gilels). Höre ich diese langsamen Tempi, gewinnt der Satz in seinem Verlauf für mich eine geradezu magische Dimension. Das unbedarft loshüpfende Allegretto kann dann wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch ins Gesicht wirken. Wenn dem so ist, waren Tempo und Ausdruck genau richtig! :D


    Für ein langsames Tempo spricht zudem, dass die Gesamtanlage der Sonate die Idee von zwei extremen Außensätzen und einem harmlosen Intermezzo nahelegt (Liszt sprach im Hinblick auf das mittlere Allegretto von einer "Blume zwischen zwei Abgründen"). Vorne "Adagio sostenuto", also breite Langsamkeit, hinten "Presto agitato", also rasend schnell. Auch ist es jedenfalls interessant, dass Beethoven in seinen Skizzen zum 1. Satz die traurigen alle breve Achtel-Triolen aus Mozarts "Don Giovanni" Musik zum Tod des Komturs notiert hat. Dann wäre der 1. Satz also durch eine Totenklage inspiriert.


    Loge

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  • Das interessanteste daran ist für mich dass es scheinbar eine Aufnahme von Martha Argerich gibt? Kann jemand genaueres dazu sagen? Ich dachte sie hätte nie Beethoven-Sonaten aufgenommen.


    Viele Grüße und frohe Ostern,
    Jonathan

  • Beethoven: Klaviersonate Nr 14 cis-moll op. 27, 2 "Mondscheinsonate" - Tempoangaben


    Hallo zusammen,


    zu der oben geführten Diskussion über die Tempi in op. 27,2 (in Hinsicht auf die von Czerny, Kolisch, Moscheles und Adorno gemachten Hinweise) hier noch ein kleiner Nachtrag - fast schon "off topic", aber doch nicht ganz:


    In dem von mir in diesem Zusammenhang angesprochenen Interview "Blind gehört", Zeischrift "Partituren" , Heft März/April 2008, in dem dem ehemaligen Primarius des LaSalle-Quartetts, Walter Levin, verschiedene Interpretationen Beethovenscher Quartette "blind" vorgeführt werden und er, ohne die Interpreten zu wissen, seine Kommentare dazu gibt, äußert Levin folgende Meinung:


    "[...] Das Tempo beeinflusst ja den Charakter der Musik. Ich würde sagen: Zehn Prozent Abweichung von Beethovens Metronomangaben ist für gewöhnlich noch im selben Charakter. [...]"


    Nun gibt es zwar gerade für die Mondscheinsonate keine Metronomangaben von des Komponisten eigener Hand, aber es gibt die Angaben von Czerny und Moscheles, beides Zeitgenossen, die häufig Beethoven selbst spielen hörten und gewiss auch mit ihm diskutiert hatten, und es gibt die vergleichenden Studien Kolischs. Die Empfehlungen dieser drei liegen relativ dicht beieinander - gewiss alle innerhalb der "Zehn-Prozent-Zone" - eine beeindruckende Konsistenz in der Vorstellung von Leuten, denen man nun wirklich nicht bestreiten kann, dass sie wüssten, wovon sie schreiben. - Und meiner Meinung nach eine Vorgabe und Position, die jegliche ernsthafte Interpretation zumindest zur Kenntnis nehmen soll, und wenn auch aus der Haltung heraus, dass es keine Gegenposition ohne vorherige Position gibt. Will bedeuten: Experimente mit grundsätzlich anderen Tempovorstellungen sind mir persönlich willkommen, aber dem Pianisten sollte die Situation bewusst sein, und er sollte gute musikalische Gründe für die Abweichung in der Interpretation spürbar werden lassen.


    Gruß
    Pylades

  • Sonst bin ich ja kein großer Horrowitz-Fan; aber den ersten Satz der Mondscheinsonate
    habe ich soeben genau in der Form, wie er in meinem Kopf Gestalt annimmt und
    wie ich ihn laienhaft auf den Pianoforte nachzuspielen versuche, gefunden.


    Mondscheinsonate 1. Satz


    :jubel::jubel::jubel:



    :hello:

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler


  • Sonate Nr. 14 cis-moll op. 27 Nr. 2 “Mondscheinsonate”


    Artur Rubinstein nimmt das Adagio sostenuto ganz entspannt, etwas langsamer als der drei Jahre eher geborene Wilhelm Backhaus. Bei der Aufnahme war Rubinstein 75, Backhaus 74. Wie Backhaus, so lässt Rubinstein durch seine überlegene Technik und sein ausgeprägtes Rhythmus- und Tempogefühl das wahre Alter nicht mal ansatzweise ahnen. Für solche Ausnahme-Pianisten ist 75 in der Tat noch kein Alter.
    Nicht nur im langsamen Satz, sondern auch im Allegretto, der in Dur notiert ist, lässt Rubinstein die Musik fließen. Das Allegretto ist hier nur von kurzer Dauer. In anderen Sonaten wie der Pathétique oder der Appassionata ist der Mittelsatz wesentlich länger. Der Satz verbindet in höchst charmanter Weise den langsamen Kopfsatz mit dem Schlusspresto, in dem Rubinstein wieder seine ganze Virtuosität, gepaart mit einer gehörigen Portion „Pranke“, entfaltet. In diesem Satz, der in der Hauptsache wie auch der berühmte Kopfsatz in moll ist, kommen auch dramatische Züge zum Tragen.
    Auch die Mondscheinsonate lässt ein Bedauern zurück, dass wir nicht mehr Beethoven-Sonaten von Rubinstein haben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe schon an anderer Stelle zum Ausdruck gebracht, daß für mich WILHELM BACKHAUS der Pianist ist, der meinen Vorstellungen von der adäquaten Wiedergabe beethoven'scher Klaviermusik unter den vielen exzellenten BEETHOVEN-Interpreten mit am nächsten kommt. Er hat sich wie kaum ein anderer mit den Originalpartituren des Komponisten beschäftigt, hat versucht, dessen Intentionen nachzuspüren und seine Erkenntnisse in zahlreichen Anmerkungen zu den Noten der einzelnen Klavierwerke festgehalten, hat stets nur den Schöpfer der Kompositiionen in den Mittelpunkt seines Vortrags gestellt und sich trotz genialer Fähigkeiten als Pianist dem Werk wohltuend bescheiden als sachlicher Vermittler untergeordnet. Sein Weltruhm begründete sich vor allem auf sein meisterliches Spiel der BEETHOVEN-Sonaten. In seinem Spiel verbinden sich Größe mit einer fast unfehlbaren Technik, wunderbarer Schlichtheit und unprätentiöser Natürlichkeit.


    Diese Interpretationseigenschaften kommen gerade der so oft romatisch überzeichneten "Mondscheinsonate" in seiner Decca-Einspielung zugute, die durch eine wundersame Selbstverständlichkeit des Spiels besticht, wobei der den vermeintlichen Mondschein nicht noch weidlich zu überhöhen versucht, sondern angenehm down-to-earth verbleibt, und er im furiosen Schlußsatz auf allzu großes Pathos, und trotz stupender Technik auf zu sehr herausgestellte Virtuosität verzichtet.


    Neben dieser Interpretation dieser Sonate Nr. 14 cis-moll, die mir sehr ans Herz gewachsen ist, übt auf mich auch die alte Einspielung dieser Sonate durch IGNAZ JAN PADEREWSKI aus dem Jahr 1935 einen ganz eigenen Zauber aus.
    PADEREWSKI, LESCHETIZKY-Zögling und Publikumsliebling seiner Zeit und wohl einer der reichsten Musiker Amerikas, galt nicht immer als sehr beständiger Interpret, seine Auftritte waren sehr oft meisterlich, mitunter aber auch fehleranfällig. Leider entstanden die meisten Schallplattenaufnahmen erst relativ spät als sein künstlerischer Höhepunkt schon überschritten war. In seinen Glanzzeiten bestach er nicht nur durch die Eleganz seines Auftretens, sondern vor allem auch durch die Raffinesse seines Spiels und durch dessen legendäre Farbabstufungen.


    PADEREWSKI's sehr persönlicher Stil zeichnete sich - wie man auch in seiner Interpretation der Mondscheinsonate gut nachvollziehen kann - durch einen ganz besonderen Charme aus. Sein Spiel ist farbig, klangvoll, majestätisch, mit eleganten Bögen und Rundungen. Er ist insofern ein interessanter Kontrast zu dem Spiel von BACKHAUS, als er die Sonate romantischer und leidenschaftlicher gestaltet, aber dennoch von einem verweichlichten Spiel keine Rede sein kann. PADEREWSKI nimmt den 1. und den 3. Satz etwa 1 Minute langsamer als BACKHAUS.


    Eine hochinteressaante Einspielung, die damals beim französischen Label "Adès" erschien, und die zeigt, wie man in dieser Zeit BEETHOVEN (und vor allem auch Chopin und Liszt) spielen mußte, um es zu einem solchen legendären Ruhm zu bringen.



    Es handelt sich hier nicht um meine LP-Aufnahme. Meine Aufnahme enthält noch MENDELSSOHN's Spinnerlied, LISZT's "La Campanella, CHOPIN's Walzer op. 34,1 und op. 42, Etude op. 25,9, und Polonaise op. 40,1 , SCHUBERT's "Horch die Lerche..." und PADEREWSKI's wunderbares berühmtes Menuett op. 14,1 und sein Caprice op. 14,3.

    Viele Grüße
    wok

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