Stellenwert von Kammermusik heute - Begeisterung und Ablehnung

  • Salut,


    wieso gelten eigentlich Violinkonzerte auch als Kammermusik...?


    ?(


    Gut's Nächtle...


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo, Ulli!


    Zitat


    wieso gelten eigentlich Violinkonzerte auch als Kammermusik...?


    ?(


    Wie kommst Du denn auf die Idee?


    Beethovens Violinkonzert z.B. als Kammermusik zu bezeichnen, wäre in etwa so, als würde man seine Streichquartette als Symphonien bezeichnen... :motz:


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Salut,


    das ist nicht meine Idee... jedenfalls erwischt man des öfteren Violinkonzerte etc. [aus dem 18. Jahrhundert zumindest] im Rahmen eines Kammerkonzertes wieder. Zudem gibt es mir zu bedenken [nicht negativ gemeint], wenn sich verschiedene Orchester Kammerorchester nennen, z.B. das Orpheus Chamber Orchestra...


    Woher kommt das alles, wenn es per Definition nichts mit der eigentlichen Kammermusik [also Duos, Trios, Quartette...] zu tun hat?


    bien cordialement
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo, Ulli!


    Vielleicht hilft das (der Wikipedia entnommen):


    Der Begriff Kammermusik bezeichnete ursprünglich Musik, die im Gegensatz zur Kirchenmusik für die fürstliche "Kammer", also den weltlich-repräsentativen Gebrauch bestimmt war. Erst im Laufe des Barock entstand die Eingrenzung des Begriffs auf reine, klein besetzte Instrumentalmusik. Ab der Klassik findet sich aber auch eine explizite Abgrenzung gegenüber der aufkeimenden Konzertmusik. Die wohl bekannteste Gattung der klassischen Kammermusik stellt das Streichquartett dar. In der Romantik erfährt die Kammermusik eine konzertante und virtuose Erweiterung der bestehenden musikalischen Mittel.
    Ein Kammerorchester ist ein Orchester, das in seiner Größe zwischen der klassischen Kammermusik-Besetzung und einer vollen Orchesterbesetzung steht. Die Mindestbesetzung ist eine vierstimmige Streichergruppe, in der Regel sind höchstens 25 Musiker vertreten. Einige Instrumentstimmen sind solistisch besetzt. Die Grenzen zu anderen Orchesterarten sind jedoch fließend.


    Viele Grüße,
    Pius.


    P.S.: Ich hatte mal im Konzert Cembalokonzerte von Bach als Kammermusik gehört, d.h. das "Orchester" bestand nur aus vier Streichern. Möglicherweise kommt das ja der Aufführungspraxis zu Bachs Zeit nahe.

  • hallo Ulli,


    ist es vielleicht so, dass im barock und in der klassik damals die orchester zahlenmäßig eher gering besetzt waren, dass man die solistenkonzerte in einem kleineren saal eines stadtpalastes aufführen konnte, und damit das klangbild recht intim war, und heutige sog. kammerorchester dem rechnung tragen wollen, ohne sagen zu wollen, es wäre kammermusik ?(


    gruß, siamak :rolleyes:

    Siamak

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  • Salut,


    Kammermusik ist bei "uns" zur Zeit der Renner, wenn wir selbst Konzerte machen. Es ist nicht ganz auf freiwilliger Basis entstanden: Unsere Konzerte bei den Moziwis müssen im Herbst/Winter/Frühjahr zwangsläufig innen stattfinden, dummerweise ist dort relativ wenig Platz für ein großes Orchester, falls noch Gäste drin sitzen sollen... Maximal haben dort 4 bis 5 Musiker Raum, sich zu entfalten, die Auiteilung ist diesbezüglich etwas ungeschickt. So haben wir am 27. Januar zu Mozarts Geburtstag einen Quartettabend gegeben [was man nicht durch Masse an Musikern erreichen kann, muss man dann als Masse von Noten bieten: also SECHS Streichquartette], im Dezember warten wir dann mit Duos für Violine und Viola auf. Es macht riesigen Spaß und ist nicht ganz so von Organisation geplagt, wie Orchesterkonzerte. Zudem hatte ich Gelegenheit, mich in dem Genre Kammermusik kompositorisch zu üben, was ich wohl sonst niemals getan hätte.


    Kammermusik ermöglicht daher schönste Musik auf engstem Raum... einfach genial!


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • also ist Klavier solo doch Kammermusik,oder?


    Ich liebe Kammermusik.
    Es ist ein echtes Musizieren.
    Man SPIELT miteinander und man ist sich viel näher.



    Hören:
    Ich höre alle Arten gern. Sei es Duo oder gar Oktett (wenn es schön klingt).
    Bin offen für alles.
    was ich mehr höre: duos und trios (mit Klavier).

  • Zitat

    Original von Ulli


    Zudem gibt es mir zu bedenken [nicht negativ gemeint], wenn sich verschiedene Orchester Kammerorchester nennen, z.B. das Orpheus Chamber Orchestra...


    Woher kommt das alles, wenn es per Definition nichts mit der eigentlichen Kammermusik [also Duos, Trios, Quartette...] zu tun hat?



    Interessante Fragestellung, läßt sich doch das Aufkommen von Kammerorchestern in Deutschland ziemlich genau mit dem Ende des 1. Weltkriegs festmachen. Viele Orchestermusiker sind gefallen, so daß die großen Symphonieorchester schlicht und ergreifend in Personalnöte geraten sind, deshalb kleinere Ensembles gebildet wurden. Dies war im übrigen auch die Gelegenheit für weibliche Orchestermusikerinnen, die seinerzeit von den traditionellen Symphonieorchestern mit Nichtachtung gestraft worden sind, nun endlich auch in größeren Ensembles, nämlich Kammerorchsesterensembles, mitzuwirken.


    Als weiterer Aspekt kommt so eine Art Demokratisierungstendenz des Orchesterbetriebs hinzu, d.h. die Vorstellung sich selbst bestimmen zu wollen, zukünftig auf einen Dirigenten verzichten zu wollen, was sich bei traditionellen Orchestern mit 100 und mehr Musikern kaum verwirklichen läßt.

  • Hallo,


    Zitat

    Alfred Schmidt: Das ist ein Thema, wo sich auch jene zu Wort melden können, die mit der Kammermusik wenig bis absolut nichts am Hut haben. Vielleicht will jemand erkären, warum ihm diese Musik nichts gibt, bzw was er dabei vermißt.


    Das interessiert mich auch.


    Zitat

    Antracis: Die Kammermusik"-"Krise" scheint sich teilweise auch auf die CD-Preise auszuwirken, so erspähte ich vor einigen Tagen die hochgehandelte Aufnahme der kompletten Beethovenquartette mit dem Alban Berg-Quartett (EMI) für 25 EUR, immerhin 9 CDs in der bekannten Pappbox.


    Meine Erfahrung ist, dass Kammermusik-CDs gegenüber Orchestermusik-CDs (leider) ziemlich teuer sind. Echte Schnäppchen sind hier weitaus seltener(Ausnahmen: Haydn, Mozart und Dvorak).


    Zitat

    Alfred Schmidt: Ferner bin ich der Meinung (man mag mir widersprechen),daß Kammermusik lediglich über Kophörer oder sehr gute analytische und trotzden warm klingende Lautsprecher "gut rüberkommt", Durchschnittsanlagen verfälschen die Klangfarben hörbar und verwischen quasi die Klangbühne


    Da muss ich in der Tat widersprechen. Natürlich ist ein sehr guter Klang generell einem mittelmäßigen vorzuziehen. Aber ich meine, dass die Klangfarben in der Kammermusik meist eine nicht ganz so große Rolle spielt wie die Orchestermusik. Die Faszination und die Stärke liegen bei der Kammermusik, wie ich meine, eher in der Komposition, im Geschehen, in der Bewegung. Die Orchestermusik lebt dagegen eher von der Klangfarbe. Man kann ja einmal den Versuch machen, die Stimmen beliebter Orchesterwerke auf ein Minimum, also z.B. auf ein Zweiersystem wie Klavierauszug, zu reduzieren und den Gehalt mit dem der reduzierten Streichquartette des selben Komponisten vergleichen. Häufig entsteht beim Betrachten des reinen Kompositionsverlaufs der Orchesterstücke Langeweile, was bedeutet, dass diese Stücke doch sehr von der Faszination der Klangfarbe leben und ohne diese nicht auskommen. Die Kompositionen von Kammerbesetzungen sind dagegen in sich selber lebendiger und durch die Intimität fesselnd (wäre die Atmosphäre in „The Turn oft the Screw“ mit großer Orchesterbesetzung derart unheimlich, intim fesselnd und bedrohlich?).


    Für mich ist die Äquivalenz zu dem Vergleichspaar Zeichnung (entspricht Kammermusik) – Farbgemälde (entspricht Orchestermusik) zwar nicht ganz exakt, aber in Ansätzen vorhanden.


    Zitat

    Sagitt: Wenn ich mit Beethoven anfange, dann tue ich Haydn und Mozart unrecht, denen Kammermusik ein großes Anliegen war,...


    Keine Angst, Haydn und Mozart wissen genau, dass nicht entscheidend ist, mit welcher Musik der Musikfreund anfängt, sondern bei welcher er bleibt… :)


    Zum Schluss: Ich meine keinesfalls, dass es sich mehr lohnt, Kammermusik als Orchestermusik zu hören. Dafür liebe ich die Orchestermusik zu sehr und kenne aus diesem Genre ausgezeichnete Werke, die mir sehr viel Freude machen. Außerdem soll natürlich jedes Tierchen sein Pläsierchen finden und behüten. Nur: das allgemeine Desinteresse an Kammermusik verblüfft mich schon lange; ich finde das Phänomen dieses allgemeinen Desinteresses sowohl bedauerlich als auch interessant.


    Schöne Grüße,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Die letzten Jahre höre ich immer mehr Kammermusik. Nachdem zu Beginn der Klassikphase eigentlich fast ausschließlich Symphonien das Interesse auf sich zogen (sonst noch Klavierkonzerte und Klaviersonaten), kam nach und nach der Zugang zur Kammermusik. Mittlerweile ist (sicher auch, weil man bei den Symphonien schon sehr viel kennen gelernt hat) sie nach Opern (meiner momentanen Leidenschaft, die auch erst nach einigen Jahren hinzukam) mein Haupt-Neuentdeckungsfeld :yes:
    Ich empfinde sie nun teilweise sogar als weniger oberflächlich i.V.z. Orchesterwerken, die noch viel auf Brillanz und Effekte setzen (die Kammermusik kann das nicht, also muss sich der Komponist was anderes einfallen lassen :D - und was sich da einer wie Haydn in seinen SQ ausdachte :jubel: ) und darum interessanter.
    Zu einigem, hauptsächlich aus der Romantik, fehlt allerdings immer noch der Zugang. Die Brahmsschen Symphonien z.B. bewegen mich weit mehr als seine Kammermusik...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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  • Sicher ist es laienhaft und vielleicht sogar Blödsinn, aber mir ist folgendes aufgefallen und hat mich zum Nachdenken angeregt:


    Sehr viele - und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein - haben ihren Zugang zur klassischen Musik über großorchestrale Werke gefunden. Das Interesse für Kammermusik kam viel später.


    Als Genußhörer immer auf der Suche nach Wohlklang kam mir Kammermusik immer etwas "schräg" vor. Mittlerweilen habe ich hier ja gelernt, warum dieser Eindruck durchaus begründet sein kann.
    Mit intensiverer Beschäftigung mit klassischer Musik passierte zweierlei. Ich begann, mich für musikalische Strukturen zu interessieren, versuchte also, einen stärker analytischen Zugang zu Musik zu finden. Und zum anderen sank meine Toleranzschwelle, den Wohlklang betreffend ;)
    Und siehe da: Kammermusik öffnete sich für mich als interessantes Feld, da eine Violinsonate, ein Streichtrio, ein Klavierquartett doch für mich einfacher "zu durchschauen" waren. Und im Gegenzug fand ich Perle um Perle. =) um mein Genußbedürfnis zu befriedigen.
    Der Anteil an Kammermusik in meiner Sammlung steigt derzeit schneller als die übrigen Genres.


    Vielleicht geht's ja anderen hier ähnlich. Würde mich freuen.


    Eine gute Nacht wünscht Euch
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof


    Das interessiert mich auch.


    Dito. Es ist aber noch kaum jemandem gelungen, es wirklich zu erklären. ;) Gewiß sind viele Orchesterwerke "eingängiger", aber das sind ja nur Durchschnittswerte. Auch Orchesterwerke, die ich gar nicht sehr zugänglich finde, scheinen mitunter viel beliebter als (aus meiner Sicht) problemlose Kammermusikwerke. Es ist mir ehrlich gesagt, ein Rätsel, dass man in praktisch jedem Forum sehr viel größere Resonanz bei Sinfonien von Bruckner, Schostakowitsch oder gar Vaughan Williams oder Bliss erntet als mit Quartetten von Beethoven oder Brahms.


    Zitat


    Meine Erfahrung ist, dass Kammermusik-CDs gegenüber Orchestermusik-CDs (leider) ziemlich teuer sind. Echte Schnäppchen sind hier weitaus seltener(Ausnahmen: Haydn, Mozart und Dvorak).


    Also Haydn ist leider überhaupt nicht preiswert, da sind eher Beethoven und vielleicht noch Brahms zum Schnäppchenpreis zu haben. Aber das liegt wohl hauptsächlich daran, dass von ein paar Ausnahmen abgesehen nicht so viele Aufnahmen produziert werden, die man dann später preiswert wiederveröffentlichen kann. DG z.B hat an Beethoven-Sinfonien zwei bis dreimal Karajan, einmal Bernstein, einmal Jochum (teils Mono), einmal Gardiner und evtl. noch Böhm und Kubelik im Angebot, dazu etliche Einzelaufnahmen. An Quartetten einen aktuellen (Emerson) und einen preiswerten (Amadeus). Das dazwischen eingespielte (Melos und die späten mit LaSalle) ist gestrichen und dann gibt es noch die 4 CDs mit den Hagens. Und das ist sogar noch ziemlich viel! EMI hat zweimal ABQ und das war's.
    (Und wenig verwunderlich dürften Beethovens Quartette, Cello- Violinsonaten die mit am häufigsten eingespielte Kammermusik sein, bei der man die breiteste Auswahl hat).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Barezzi
    (...) Die Brahmsschen Symphonien z.B. bewegen mich weit mehr als seine Kammermusik...


    Lieber Stefan,


    dann holst Du Dir am besten den Brilliant-Würfel mit der kompletten Kammermusik von Brahms und hörst Dir das Klaviertrio op. 8 an.


    Ein Stück, das mich sofort gepackt hat - nach den ersten 15 Sekunden ganz nach oben auf die Liste.


    Nächster Schritt: zweiter Satz des Klarinettenquintetts, eines der "herbstlichsten" Stücke des alternden Brahms. Weit jenseits der Wortgrenze.


    Den Rest muss ich auch noch erst langsam entdecken, aber mit dem Würfel machst Du nichts falsch und ruinierst Dich auch nicht.


    Herzlicher Gruß,
    Florian

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Alfred Schmidt: Das ist ein Thema, wo sich auch jene zu Wort melden können, die mit der Kammermusik wenig bis absolut nichts am Hut haben. Vielleicht will jemand erkären, warum ihm diese Musik nichts gibt, bzw was er dabei vermißt.


    Salut,


    ich kann nur von mir erzählen: Als Kind [die Grenze ist verwaschen :D ] mochte ich Kammermusik ü-bär-haupt-nicht.


    :no:


    Sie war mir ganz einfach zu fad. Nach einer Erklärung habe ich nie gesucht, ich denke zunächst war es reine Geschmacksache. Zudem waren mir drei oder vier oder noch weniger Instrumente einfach zu wenig. Ich fand, dass viele schöne Musik vergeudet war, wenn sie nur für so wenige Instrumente gesetzt war. Bis heute höre ich u.a. deswegen kaum Klaviersolomusik. Wenn ich an Schuberts späte Sonaten denke: Was für eine Verschwendung... :P Was hätten das für Sinfonien werden konnen! ;)


    Mittlerweile glaube ich beinahe, dass es eines gewissen musikalischen Reifeprozesses im Gehirn bedarf, um bestimmte Kammermusik ertragen [oder vornehmer: als schön empfinden] zu können. Nach dem, was die moderne hirnforschung alles zu Tage fördert, kann es m. E. durchaus angehen, dass sich gewisse Nervenverbindungen oder aufnahmebereite Nervenzellen ersteinmal bilden müssen...


    Rein klanglich besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen einem Streichquartett und einem Streicherapparat des Sinfonieorchesters - jedenfalls war dieser Unterschied in den 60er und 70er Jahren noch weitaus deutlicher im Vergleich zu heutigen HIP-Einspielungen von Orchestermusik, die z.T. ja [wieder] als Kammerorchester auftreten.


    Weiterhin habe ich irgendwo aufgeschnappt, Kammermusik sei ja nicht unbedingt für den Genuß als Hörer komponiert worden, sondern für die ausübenden Musiker als geselliges Zusammensein im kleinen Kreis - daraus hat sich dann erst ein Genre entwickelt.


    Damit's nicht falsch 'rüberkommt: Heute höre ich Kammermusik, insbesondere Streichquartette, wesentlich lieber als spröde und einfallslose Sinfonien... bei einer Wahl zwischen Oper und Streichquartett entscheidet allerdings heute nur noch der Zeitfaktor...


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)


  • Lieber Florian,


    meinst Du diesen hier?


    Sind die Interpretationen (kenne die angegebenen Künstler nicht) i.O.?
    Ist vom Op. 8 die Frühversion oder die überarbeitete Spätversion drauf? Kenne dieses Werk etwas und finde es nicht schlecht - Aufnahmen besitze ich keine (wie überhaupt von Brahmsscher Kammermusik; dafür die Symphonien mehrfach :pfeif: ).
    Auffällig wurde die IMO Sperrigkeit beim Hören der Streichquartette, bei denen ich mir nur dachte: "wenig eingängig, verkopft; was will er damit ausdrücken?". Das Gefühl beschlich mich, dass er da zuviel herumgedoktert hat - Dvorák-SQ sind irgendwie spontaner und eingängiger...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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  • Zitat

    Original von Barezzi


    Ist vom Op. 8 die Frühversion oder die überarbeitete Spätversion drauf? Kenne dieses Werk etwas und finde es nicht schlecht - Aufnahmen besitze ich keine (wie überhaupt von Brahmsscher Kammermusik; dafür die Symphonien mehrfach :pfeif: ).
    Auffällig wurde die IMO Sperrigkeit beim Hören der Streichquartette, bei denen ich mir nur dachte: "wenig eingängig, verkopft; was will er damit ausdrücken?". Das Gefühl beschlich mich, dass er da zuviel herumgedoktert hat - Dvorák-SQ sind irgendwie spontaner und eingängiger...


    Na, das würde wohl kaum jemand bestreiten! Die Quartette gehören gewiß zu den unzugänglichsten Stücken von Brahms (indes erschlossen sie sich mir eher als Debussys oder Vaughan Williams' Orchesterwerke :rolleyes: )
    op.8 hat ja sogar Alfred spontan gefallen ;)
    Die relativ frühen "romantischen" Kammermusikwerke, also außerdem noch Streichsextette (op.18 & 36) , 1. Cellosonate (schon etwas herber), besonders aber die Klavierquartette und das Klavierquintett sind m.E. alle recht eingängig. Ebenso die eher späten lyrisch-melodischen Violin- und Klarinettensonaten und das Klar.-Quintett. Der Rest ist sperriger.


    Also statt der 3. Entführung und 4. Zauberflöte lohnt es sich durchaus, diese Werke zu Gemüte zu führen


    Ulli: Klar, dass man als Kind, Jugendlicher oder überhaupt Anfänger andere Schwerpunkte setzt, versteht jeder. Was ich nur schwer nachvollziehen kann, ist, dass auch altgediente Hörer nach 10, 20, 30 Jahren mit dem gesamten Genre solche Schwierigkeiten (bzw. einfach kaum Interesse) haben...


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Stefan,


    ja, genau den meine ich.


    Op. 8 ist die überarbeitete Version, die Urversion gibt es recht anständig vom Trio op. 8 bei Arte Nova zusammen mit den anderen drei Trios.


    Die Interpretaten des Brahms-Würfels sind zum Kennenlernen sicher hervorragend geeignet - das Kalichstein-Laredo-Robinson Trio jedenfalls legt fulminant romantische Trios in angemessen warmem Klang vor, das Tokyo String Quartet ist ebenfalls ein renommiertes Ensemble, Karl Leister als Klarinettist bedarf gleichfalls kaum meiner Lobreden - mit dem Würfel machst Du m.E. sicher nichts falsch.


    Die Cellosonaten mit Stegenga sind vielleicht ein bisschen holländisch-reformiert trocken, aber durchaus gut musiziert.


    Györgyi Pauk in den Violinsonaten hat vielleicht einen ein wenig spröden Ton, aber ich ziehe diese Version trotzdem den hochgelobten Einspielungen von Schneiderhan/Seemann oder Suk/Katchen vor.


    Die Quartette haben sich mir übrigens auch noch nicht erschlossen - aber für manche Werke muss man sich einfach ein bisschen Zeit gönnen. Brahms war eben ein etwas sperriger Zeitgenosse, der es sich nicht leichtgemacht hat.


    Und der langsame Satz des Klarinettenquintetts steht durchaus nicht hinter dem von Bruckners Achter oder Neunter zurück - Karl Leister und seine Philharmonikerkollegen werden ihm auch voll gerecht.


    Hilft Dir das?


    Hoffend grüßt
    der
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Lieber BBF,


    ja, das hilft mir :yes: Vielen Dank!
    (Soweit ich mich erinnern kann, hat mir allerdings die frischere und spontanere Urversion von Op. 8 mehr gefallen - hab irgendwann mal einen Vergleich im Radio hören dürfen...)
    Der "Würfel" :D kommt also auf die Watch-Liste - zuerst wird mal das ganze neue Zeugs gehört, was mich zu JR bringt:


    Zitat

    von JR
    Also statt der 3. Entführung und 4. Zauberflöte lohnt es sich durchaus, diese Werke zu Gemüte zu führen


    Du zählst ja genau mit 8o:D
    Danke für die Ausführungen!
    Ralph Vaughan Williams' Orchesterwerke sind IMO weniger sperrig, eher oberflächlich brillant :stumm::pfeif:


    :hello:
    Stefan


    PS: Wen ich kammermusikalisch noch immer als schwer zugängig empfunden habe ist übrigens - Schumann :stumm::angel::untertauch::D

    Viva la libertà!

  • Zitat

    Ralph Vaughan Williams' Orchesterwerke sind IMO weniger sperrig, eher oberflächlich brillant :stumm: :pfeif:


    Ich seh' schon. Ein wahrer Kenner der Materie. :]


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Reinhard
    Mit intensiverer Beschäftigung mit klassischer Musik passierte zweierlei. Ich begann, mich für musikalische Strukturen zu interessieren, versuchte also, einen stärker analytischen Zugang zu Musik zu finden. Und zum anderen sank meine Toleranzschwelle, den Wohlklang betreffend ;)
    Und siehe da: Kammermusik öffnete sich für mich als interessantes Feld, da eine Violinsonate, ein Streichtrio, ein Klavierquartett doch für mich einfacher "zu durchschauen" waren. Und im Gegenzug fand ich Perle um Perle. =) um mein Genußbedürfnis zu befriedigen.
    Der Anteil an Kammermusik in meiner Sammlung steigt derzeit schneller als die übrigen Genres.
    [...]
    Vielleicht geht's ja anderen hier ähnlich. Würde mich freuen.


    Genauso ging/ geht es mir auch. Nun erschließt sich mir vor allem Musik nach 1800 eher durch Kammermusik als durch Orchesterwerke. Der intimere Klang läßt mich eher Strukturen finden, die ich besser nachvollziehen kann, als voll orchestrierte Werke. Aber das kommt auch noch. Ich lasse da jede Hoffnung fahren...

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  • Zitat

    Barockbassflo: Und der langsame Satz des Klarinettenquintetts steht durchaus nicht hinter dem von Bruckners Achter oder Neunter zurück - Karl Leister und seine Philharmonikerkollegen werden ihm auch voll gerecht.


    Da stimme ich mit Dir völlig überein. Allerdings wurde der verdiente Karl Leister leider noch nicht in die Liste der 100 wichtigsten Interpreten nominiert.


    Als Kammermusikliebhaber jedoch zugeben, dass die Sinfonien von Brahms zu den größten Werken dieses Komponisten gehören, und zwar alle vier. Im Bereich der Kammermusik können nach meinem Empfinden nur einige Werke mit diesen Sinfonien mithalten, in erster Linie die drei Quintette (die beiden Streichquintette sowie das bereits erwähnte Klarinettenquintett).


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Schumann ist ein sehr eigenartiger Fall, ich hatte hier auch teils Startschwierigkeiten, denke aber, dass Klavierquintett und Klavierquartett eingängiger als die meisten Brahms-Werke sind: Thread zu Schumann


    Zu Brahms' Kammermusik gibt es ja erfreulicherweise schon eine Reihe von threads. Ich würde die Kammermusikwerke kaum mit den Sinfonien vergleichen wollen, ich halte sie jedoch eher sowohl bezogen auf Brahms Schaffen wie auf die Gattungsgeschichte bezogen eher für noch wichtiger, und nicht nur einiges davon, sondern praktisch alles.


    Trio H-Dur op.8
    Sextette
    Klavierquintett
    Violinsonaten
    Klarinettentrio
    Klarinettenquintett
    Streichquintett Nr1
    Klavierquartette
    (es war vielleicht doch keine so gute Idee von Pius all diese Gattungsthreads zu starten, das erschwert etwas die Übersicht)


    Die Urversion von op.8 habe ich gerade gehört; die muß man m.E. nicht kennen, obgleich sowas natürlich immer ganz interessant ist.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Warum hat es Kammermusik etwas schwerer als Orchestermusik? Ich sehe da vor allem zwei Gründe:


    1) Kammermusik ist traditionell vor allem für Leute gedacht, die mitmusizieren - physisch oder auch bloß innerlich. Wie jedes Musizieren muss man auch dieses Mitmusizieren erst einmal lernen - ein Instrument kann dabei eine hilfreiche Krücke sein. Ich habe z.B. Streichquartette früher ziemlich ätzend gefunden - erst als ich mitspielen durfte, ergab das Gekratze für mich plötzlich einen Sinn. Ich bewundere deswegen die Leistung von Hörern, die sich auch ohne Instrument einen Zugang zu Kammermusik erschließen. Aber ob mit Instrument oder ohne: das Ganze braucht Zeit und Konzentration.


    2) Der Körper hört mit. Und da ist Orchestermusik einfach beeindruckender - man kann sich dem von allen Seiten auf einen einwirkenden Schall einfach nicht entziehen, während man bei der Kammermusik selten so dicht am Geschehen sitzt, dass ein vergleichbarer Effekt einträte. Früher mochte ich den Streichquartettsound auch deswegen nicht, weil mir unbewusst der Kontrabass fehlte, der einen so schön mit tiefen Frequenzen massiert.


    Mit Punkt zwei hängt noch ein weiterer Aspekt zusammen. Danach gefragt, wie man junge Leute an klassische Musik heranführen solle, antwortete der Dirigent Esa Pekka Salonen "Play them good loud music". Jüngere Menschen (Ausnahmen bestätigen die Regel) möchten auch lautstärkemäßig gerne ihre Grenzen austesten. Das geht mit Orchester- und Opernmusik besser als mit Kammermusik.

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.

  • Zitat

    Original von Amateur
    Mit Punkt zwei hängt noch ein weiterer Aspekt zusammen. Danach gefragt, wie man junge Leute an klassische Musik heranführen solle, antwortete der Dirigent Esa Pekka Salonen "Play them good loud music". Jüngere Menschen (Ausnahmen bestätigen die Regel) möchten auch lautstärkemäßig gerne ihre Grenzen austesten. Das geht mit Orchester- und Opernmusik besser als mit Kammermusik.


    Einspruch.
    In einem Kammermusiksaal relativ weit vorne sitzend ist ein Streichquartett voll reinsägend verdammt laut!

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Einspruch.
    In einem Kammermusiksaal relativ weit vorne sitzend ist ein Streichquartett voll reinsägend verdammt laut!


    Aber die billigen Plätze für die Jugendlichen sind ja meist hinten. ;) Man müsste also bei Kammermusik das Preisgefüge genau umdrehen, dann klappt es auch mit dem Kammermusiknachwuchs... :hello:

    Dem Amateur ist nichts zu schwör.

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  • Zitat

    Original von Amateur


    Mit Punkt zwei hängt noch ein weiterer Aspekt zusammen. Danach gefragt, wie man junge Leute an klassische Musik heranführen solle, antwortete der Dirigent Esa Pekka Salonen "Play them good loud music". Jüngere Menschen (Ausnahmen bestätigen die Regel) möchten auch lautstärkemäßig gerne ihre Grenzen austesten. Das geht mit Orchester- und Opernmusik besser als mit Kammermusik.


    Sicher alles richtig.
    Es ging aber, das hatte ich oben schonmal geschrieben, gar nicht in erster Linie um junge Leute oder beginnende Klassikhörer. Dass denen Dvoraks 9. oder Tschaikowsky 1812 eher zusagt als ein Streichquartett scheint mir auch wahrscheinlich.
    Aber was mich immer wieder verblüfft, ist, dass es gar nicht so wenige Hörer gibt, die 10, 20, 30 Jahre klassische Musik hören, aber sich eher die 20. alternative Aufnahme der 5. von Beethoven anhören als eines seiner Quartette, o.ä.
    Ich zögere immer bei der Formulierung, da es leicht arrogant klingt, aber für mich ist es irgendwie ein Steckenbleiben im Anfängerstadium, wenn man nach Jahren immer noch den massiven Klang eines großen Orchesters "braucht". Dass man Vorlieben hat, ist klar, aber wesentliche Teile der Musik von Komponisten, deren Orchestermusik man schätzt, auf Dauer zu ignorieren, finde ich, gelinde gesagt, seltsam.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich zögere immer bei der Formulierung, da es leicht arrogant klingt, aber für mich ist es irgendwie ein Steckenbleiben im Anfängerstadium, wenn man nach Jahren immer noch den massiven Klang eines großen Orchesters "braucht". Dass man Vorlieben hat, ist klar, aber wesentliche Teile der Musik von Komponisten, deren Orchestermusik man schätzt, auf Dauer zu ignorieren, finde ich, gelinde gesagt, seltsam.


    viele Grüße


    JR


    Johannes, es klingt auch leicht arrogant. Denn würdest Du über jemanden, der mit Kammermusik, mit den Trios und StrQ Beethovens anfing, nach 30 Jahren aber immer noch nichts mit irgendeiner der Symphonien oder den Ouverturen anfangen kann, das gleiche Verdikt des Steckenbleibens verhängen? Es klingt nämlich leicht so, als ob Du Kammermusik als Gattung höher bewertest als eine Symphonie.....


    LG
    Wulf.

  • Ich bin der unmaßgeblichen Meinung, dass in der Kammermusik Fehler und Schwächen schneller offenbar werden als in orchestralen Werken. Bei letzteren kann man doch sicherlich einiges "zuschmieren"...

  • Ich glauber der Name sagt schon alles.


    Kammermusik ist Musik, die man am besten in der "Kammer" musiziert.


    Das Ausgehen am WE impliziert beim heutigen Menschen meist etwas, in dem er gerade den intimeren Rahmen verlässt - es ist verbunden mit der Erwartungshaltung etwas größer dimensioniertes und v.a. bunte Abwechslung zu erhalten - ein Orchester bietet nun schon rein von den Instrumenten her mehr.....


    LG
    Wulf.

  • Zitat

    JR schreibt: Dass man Vorlieben hat, ist klar, aber wesentliche Teile der Musik von Komponisten, deren Orchestermusik man schätzt, auf Dauer zu ignorieren, finde ich, gelinde gesagt, seltsam.


    ...besonders z.B. in solchen Fällen, in denen Orchesterwerk und Kammermusikwerk des selben Komponisten sehr ähnlich und gleichbedeutend sind wie z.B. Mozarts Klarinettenkonzert auf der einen und sein Klarinettenquintett auf der anderen Seite: Höchstes Lob und höchste Verzückung beim Konzert und gleichzeitig Desinteresse beim Quintett.


    Ich kritisiere dies nicht; es soll jeder das hören, was er möchte; das tue ich natürlich auch. Aber ähnlich wie J.R. kann ich dies überhaupt nicht nachvollziehen und bin laufend verwundert bis irritiert.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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