Gustav Mahler - Vom Verfemten zum Superstar

  • Liebe Forianer,


    So übertrieben wie der Titel vieleicht klingt ist er gar nicht:


    Schon zu Lebzeiten war Gustav Mahler angefeindet, als Operndirektor, und als Komponist erst rechtr, wenn man ihn in überhaupt als solchen zu Kenntnis nahm. Noch 1968 oder 69 verwendete einer meiner Lehrer (Kulturkunde) Mahler als Beispiel für einen schlechten Komponisten, weil Dirigent, Operndirekter UND Komponist, das kann ja nicht gutgehen.


    Der eigentliche Durchbruch auf Schallplatte kam eher langsam, hier sind vor allem 4 Dirigenten zu nennen, vor allem Rafael Kubelik, seine Aufnahmen befinden sich AFAIK noch immer im Karalog, dann Bernad Haitink, Bruno Walter und Leonard Bernstein.


    Heute ist, zumindest wenn man dem Forum trauen darf , Mahler ausserordentlich geschätzt, ich vermeide bewusst das Wort populär obwohl es sich anbietet, und man kann sich nun die Frage stellen: Warum ?


    Es kann nicht ein Hang zur Moderne sein, Schließlich sind die Werke jetzt ja schon um die hundert Jahre alt.


    Was fasziniert das Publikum überhaupt an Mahler ?


    Was wollte Mahler mit seiner Tonsprache überhaupt bewirken ?
    Welche Publikumsschichten spricht er an und warum ?
    Ist Mahler avantgardistisch ?
    Neigt er, wie oft behauptet wird zum Kitsch und zum Plakativen ?
    Oder macht er sich über Kitschiges lediglich lustig ?
    Fragen über Fragen


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    zur Beantwortung des „Kosmos“ Mahler muss man sich warscheinlich ersteinmal mit der Person auseinandersetzen bzw. mit dem, was die Nachwelt über ihn geschrieben hat, hier besonders seine Witwe Alma.


    Als Dirigent, denke ich, war Mahler zu Lebzeiten ein Star, die Wiener Philharmoniker, deren Chef-Dirigent er war, kam mit dem diktatorischen Führungsstil Mahlers nicht zurecht, weshalb sie ihn wohl jahrzehntelang hartnäckig aus ihrem Programm gestrichen haben. Hinzu kam wohl auch eine gehörige Portion Antsemitismus, der ja Mahler dazu veranlasste, nach Amerika zu gehen.


    Das Problem bei vielen seiner Werke ist, dass sie sich sehr schwer einordnen lassen, weder von der Form her noch von vom stilistischen. Handelt es sich jetzt um eine sinfonische Dichtung, eine Kantante, Spät-Romantik, Moderne – alles Fragen, die schon Mahlers Zeitgenossen bewegt und schier zu Verzweiflung getrieben hat – Unverständnis war die Folge. Mahler hat bis zur VIII. Symphonie gebraucht, um auch als Komponist Anerkennung zu finden. Doch da war er schon vom Tode gezeichnet. Ein Jahr nach der Uraufführung starb Mahler.


    Seine Jünger, namentlich Mengelberg, Bruno Walther und Klemperer haben später immer wieder ganze Werke oder Ausschnitte auf ihre Programme gesetzt. Der aufkommende Nationalsozialismus machte dem dann auch bald ein Ende und in den USA konnte man mit Mahler eh nichts anfangen.


    Als dann Alma ihre unsäglichen Erinnerungen an Gustav veröffentlichte und ihn göttergleich in den Himmel erhob, wurde eine neue Musiker-Generation auf ihn aufmerksam. Gleichzeitig war es mit der technischen Entwicklung des Tonträgers jetzt möglich, seine monumentalen Werke erstmals ganz aufzunehmen.


    Der eigentlich Durchbruch kam aber, so denke ich, durch den Film „Der Tod in Venedig“, indem das Adagietto aus der V. Symphonie Verwendung fand. Jetzt wurde Mahler auch einem breiterem Publikum bekannt und man begann sich für ihn zu interessieren. Diverse Schallplattenaufnahmen taten ihr Übriges.


    Was fasziniert nun das Publikum an Mahler? Ist es diese Zwei-Welten-Dualität, die in fast allen Werken Mahlers mitschwingt? Ist es die Monumentalität, die schon die Zeitgenossen an seiner VIII. Symphonie so begeisterte?


    Für mich ist es das auf und ab der Emotionen, die seine Werke beinahe schon zu tönenden Autobiographie werden lässt. Es sind diese wunderbar dahinfließenden, großangelegten Adagios, die das erstemal in der III. Symphonie anklingen und seitdem einen zentralen Punkt der geistigen Sammlung innerhalb eines Werkes wiederspiegeln. In der IX. und in der X. allerdings der Ausdruck stärkster Depression und Resignation darstellen.


    Ich ertappe mich oft dabei, dass ich mir abends oft den Schlusschor aus seiner II. Symphonie auflege und es ordentlich krachen lasse!


    Was wollte Mahler mit seiner Tonsprache überhaupt bewirken ?
    Welche Publikumsschichten spricht er an und warum ?


    Zwei Fragen – eine Antwort? Er hat zum einen versucht, besonders in der IV., durch den Einsatz von marschartigen Themen, die Gleichgültigkeit und den monotonen Alltag aufzuzeigen, dem er selbst als Dirigent unterworfen wahr. Gänz böse in diesem Zusammenhang der Totentanz aus der IV. Symphonie, die ich immer als äußerst sarkastisches Werk empfunden habe. Er wollte gleichsam dem Publikum einen Spiegel vorhalten, indem er sagte: Schaut – so weit es es mit euch schon gekommen. Damit sprach er die Publikumsschichten an, die finanziell und damit gesellschaftlich in der Lage war, seine Musik zu hören. Mit seiner VIII. setzt er seiner Frau und der Liebe zu ihr ein Denkmal, die VI. ist Resignation pur – entstanden unter dem Eindruck des Todes seiner Tochter und der Diagnose seiner Herzkrankheit. Die


    Ist Mahler avantgardistisch ?


    Er fühlte sich, so denke ich, nicht der Avantgarde angehörig. Auch wieder das Dilemma der Traumwelt und der Wirklichkeit, die er zeitlebens versuchte, einander auszusöhnen.


    Neigt er, wie oft behauptet wird zum Kitsch und zum Plakativen ?


    Die VIII. ist so was von plakativ und kitschig, dass sie schon wieder schön ist. Plakativ hat er sich komponiert, wenn man weiss, wass er gemeint hat.


    Oder macht er sich über Kitschiges lediglich lustig ?


    Auch – wieder das alte Dilemma Mahlers. Er macht sich als Komponist lustig über das System, dem als Dirigent angehört.

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Ich behaupte mal, daß die heutige Beliebtheit Mahlers eher darauf zurückzuführen ist, daß er (aus heutiger Sicht gesehen, sicher nicht aus der Sicht der Jahrhundertwende) einen Bogen zur Romantik spannt, daß seine Tonsprache durchwegs tonal ist, daß er teilweise Themen mit hohem Wiedererkennungswert verwendet hat, hie meine ich natürlich auch "Die Lieder eines Fahrenden Gesellen" in bezug auf die erste Sinfonie.


    Das gilt natürlich nicht für alle Werke Mahlers, aber mit einigen hat er gewissermaßen schon einen "Fuß in der Tür".


    Interessant ist, daß es bei Mahler vielerlei "Ungereimtheiten" gibt, und daß sich eigentlich niemand mehr ernstlich daran stösst.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Interessant ist, daß es bei Mahler vielerlei "Ungereimtheiten" gibt, und daß sich eigentlich niemand mehr ernstlich daran stösst.


    Wie meinst du das? Welche Ungereimtheiten?


    Gruß

  • So ich hoffe, dass durch diesen Beitrag der Thread weitergeführt wird.
    Warum ist Mahler ein Superstar (ist er das wirklich)? Und warum gibt es Mahler-Junkies ? Warum wird Mahler seit den letzten ca. 40 Jahren öfters gespielt:
    Für mich gilt: Mahler hat uns ein Spätwerk geschenkt, an dessen Rang – nach meiner Erfahrung - höchstens Bach, Beethoven, Schönberg und Nono rankommen. Und er hat mit dem ersten Satz der 9. Sinfonien, den schönsten Sinfoniesatz bis jetzt überhaupt geschrieben. :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    (dass ich z.B. mit dem letzten Satz der 7. Sinfonie noch Schwierigkeiten habe, ändert nichts an meine Bewunderung für S 7. gleiches könnte ich über den letzten Satz von S. 5 auch sagen, trotz der fetzigen Fugati darin, trotzdem mag ich S 5 ).
    Warum wurde Mahlers Musik verfemt (auch von den Wiener Philharmonikern, laut Lennys mündlicher Mitteilung). Mögliche Gründe: Weil seine Musik nicht läppischen , dünkelhaften + peinlichen pseudo-bildungsbürgerlichen Klischees der Mitte des 20. Jahrhunderts entsprach ? Weil mörderischer Antisemitismus in Deutschland auch zum Mahler-Bashing beitrug ? .. das wären mal interessante Fragen die es zu klären gibt.


    :hello:

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  • Viele Fragen, die (interessanterweise) kaum jemand hier im Forum zu interessieren scheinen....


    Zitat

    Warum ist Mahler ein Superstar (ist er das wirklich)?


    Ich glaube schon, daß Mahler HEUTE ein Superstar ist. (in gewisser Weise war er das auch zu Lebzeiten - allerdings ein umstrittener)


    Zitat

    Warum wird Mahler seit den letzten ca. 40 Jahren öfters gespielt ?


    Eine interessante Frage, bei deren Beantwortung man sich viele Feinde schaffen kann. Seis drum - ich trau mich mal.......


    Aus heutiger Sicht gilt Mahler als gemäßigt modern, gelegentlich auch als der letze Vertreter der tonalen Sinfonie.


    Es wird Leute geben, die Letzteres abstreiten, in Frage stellen etc.


    Ich behaupte Mahle spricht heute ZWEI Publikumsgruooen an, die sich gede "ihren" Mahler gestrickt haben.


    Da wäre zunächst jene, die Mahlers späte Sinfonien mögen, und den frühen eine Zitatfunktion des Kitsches des 19. Jahrhunderts andichten, bzw behaupten es handle sich um "gebrochene" Spätromantik


    Die zweite Gruppe (zu der ich mich zähle) mag Mahler angeblich auf Grund eines Mißverständnisses:


    Sie lieben die1. 2. und die 4 Sinfonie, eventuell noch die 5. Sowie die "Lieder eines fahrenden Gesellen2, die man mit etwas gutem Willen als Reminiszenzen an Schuberts Liederzyklen sehen kann. Auch das "Lied von der Erde kann hier mit einbezogen werden. Beim Abhören der Fragmente der 10. Sinfonie jedoch, macht sich bei mir keine Trauer breit, weil sie nicht vollendet werden konnte - für ander beginnt wahrscheinlich an dieser Stelle Mahler erst interessant zu werden.
    Ich sehe die "süsslichen" Stellen bei Mahler nicht als "Parodie" sondern als typischen Stil um die Jahrhundertwende 1899/1900. - ebenso wie Klimt teilweise noch dem Historismus verhaftet war - und der jugendstil nicht nur modern und neu - sondern agelegentlich auch überladen und
    kitschig war....


    Zitat

    Warum wurde Mahlers Musik verfemt


    Weil die Mehrheit des bürgerlichen Publikums nicht unbedingt die Lust auf unbekanntes neues sondern auf altbewährtes Schönes hat.
    Mahler ist ja - aus heutiger Sicht gesehen - relativ gut wegkekommen. Zahlreiche andere Komponisten sind ja -gemessen an Mahler - heute so gut wie vergessen.


    Zur Frage des Antisemitismus:
    Er war NICHT IMMER "mörderisch" - aber es gab doch eine leichte latente Abneigung - auch NACH dem Krieg.
    "Publikumslieblinge" wie Johann Strauß oder Felix Mendellsohn Bartholdy waren davon natürlich nicht betroffen - Lediglich wenn Vorurteile bestätig wurden, dann hatte dies auch Auswirkungen.


    Ich glaube nicht, daß Mahler je ernstlich " radikal abgelehnt" wurde - ich würde eher sagen er wurde negiert und bagatellisiert..


    Hier befindet er sich in guter Nachbarschaft mit zahlreichen anderen Komponisten jener Zeit, die es bis heute nicht geschafft haben ernstlich in die Klassikcharts zu kommen - abgesehen von einem Thread im Tamino Klassikforum, der ihre Leistungen würdigte....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Warum wurde Mahlers Musik verfemt (auch von den Wiener Philharmonikern, laut Lennys mündlicher Mitteilung).


    ;( Es ist zum Heulen!!! ;(
    Bernstein in allen Ehren, aber das ist eine Legende, die er sehr gezielt in Umlauf gebracht hat. Die Wiener Philharmoniker haben Mahler niemals boykottiert - außer, logischerweise, zwischen 1938 und 1945. Was stimmt, ist, daß die Philharmoniker keinen kompletten Mahler-Zyklus gespielt haben /wohl alle Symphonien, aber nicht "programmatisch").
    Andere Frage: Ehe Bernstein die Mahler-Euphorie erweckte - welches Orchester hat einen programmatischen kompletten Zyklus aufgeführt? Ich vermute, das Concertgebouw. Und sonst? Nicht einmal die US-Orchester mit Ausnahme von New York (Bernstein) und Utah (Abravanel, mit Bernstein etwa gleichzeitig).
    Also nicht die Wiener Philharmoniker prügeln für ihren "Mahler-Boykott" - diesen "Boykott" haben, ehe Bernstein kam, im gleichen Ausmaß alle anderen Orchester auch verhängt gehabt.
    Und um der nächsten Legende gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen: Die Wiener Philharmoniker wußten durchaus, "wie" man Mahler spielt, und zwar (nicht nur, aber vor allem) dank eines gewissen Bruno Walter. Sie wußten nur nicht, wie man Mahler à la Bernstein aufführt. Aber woher hätten sie das auch wissen sollen...?
    :hello:

    ...

  • also mir hat ein Orchesterbesucher erzählt, dass ein Teil des Publikums regelmäßig den Konzertsal ostentativ verlassen hat, wenn Mahler gespielt wurde (noch in den frühen 60zigern des 20. Jahrhunderts) : das war z.B. in der BRD....
    ich glaube das Publikum z.B. in den USA war gegenüber Mahler zu der Zeit unvoreingenommener ....


    :hello:


  • Ist der letzte Satz womöglich etwas heikel formuliert bzw. wie genau ist er zu verstehen?

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    , an dessen Rang – nach meiner Erfahrung - höchstens Bach, Beethoven, Schönberg und Nono rankommen.


    Na ja.... :rolleyes: Daß es mit Sicherheit noch ein paar mehr Komponisten gibt, die Mahlers "Rang" erreichen, schmälert sicher nicht seine Bedeutung.

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  • Also mein Eindruck, sowohl in diesem als auch in anderen Foren als auch aufgrund der Tatsache der vergleichsweise hohen Anzahl von kompletten Zyklen und relativ häufigen Aufführungen selbst der außerordentlich aufwendigen Sinfonien, ist, daß es eine ganze Menge Mahler-Verehrer gibt, die anscheinend in keine dieser Gruppen fallen, sondern alle seine Werke ziemlich hoch schätzen. (Wenngleich gewiß jeder einzelne seine Favoriten hat, aber das ist ja immer so.) Ich wage allerdings nicht zu beurteilen, ob diese Gruppe die größte ist, oder die beiden anderen dominieren.


    Was Du gerade aufzählst, sind ja ziemlich genau die Stücke, die bis in die 60er hinein die mit Abstand beliebtesten waren (und es vielleicht auch heute noch sind). Es ist, jedenfalls teilweise, nachvollziehbar, warum das so ist/war.
    Ich glaube auch, daß es hier manche Mißverständnisse gibt. Es ist aber sicher ebenso falsch, alle "süßlichen" Stellen als ironisch aufzufassen wie umgekehrt.
    Beispiele: der Mittelteil des 3. Satzes der 1. Sinfonie (also die zu "Auf der Straße steht ein Lindenbaum" aus dem vierten Gesellenlied korrespondierende Stelle) ist gewiß eine Passage, die auch Musikfreunde, für die Musik seit 1828 ein blasser Schatten des Vorhergehenden ist, goutieren können, manch einer mag sie gar süßlich empfinden. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, daß diese Passage "ernst" gemeint ist, ebenso wie das Adagietto aus der 5. oder der langsame Satz der 4.
    Dagegen ist die Doppelbödigkeit (nicht einfach nur ironische Distanz) in den Ecksätzen der 4., dem Finale der 5. ebenfalls schwer zu überhören (was nicht heißt, daß viele Musikfreunde genau dies tun ;)) und kaum wegzudiskutieren.
    Ebenso halte ich die "Chinoiserien" in einigen der kurzen Sätze des LvdE für weitgehend unironisch, den Ländler etc. in der 9. Sinfonie für parodistisch (allerdings mit einem katastrophalen Unterton vgl. La valse).


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore


    Ist der letzte Satz womöglich etwas heikel formuliert bzw. wie genau ist er zu verstehen?


    Nun, der Kern scheint mir zu sagen:


    Es gab Werke die als semitisch, andere die als arisch bezeichnet wurden. In der NS-Zeit wurden dank des menschenverachtenden Antisemitismus als semitisch bezeichnete Werke abgelehnt, arische dagegen gefördert. Nicht jedes Werk, das aus antisemitschen Gründen abgelehnt wurde, war deshalb gut (oder mit Alfred "wurde als gut nach dem Krieg rezipiert), wie eben auch so manches als arisch bezeichnetes Werk schlecht war. Das Kriterium stimmte nicht, es war falsch, mörderisch falsch. So verstehe ich wenigstens Alfred.


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,


    auch ich möchte die Aussage gern in der von Dir angedeuteten Richtung verstehen - und gehe davon aus, daß sie so gemeint war. Formuliert ist sie hingegen in eigenwilliger Manier. Die Junktur "Keinesfalls war jeder Antisemitismus mörderisch" (nicht zu bestreiten) und "lediglich, wenn Vorurteile bestätigt wurden, hatte dies auch Auswirkungen" ist in meinen Augen etwas unglücklich und bedarf der Klarstellung.


    Aber bitte, ich will hier sicher nicht die Büchse der Pandora öffnen und irgendwem irgendwelche nicht getanen bzw. intendierten Botschaften unterstellen. Da wir doch alle so sehr an der "Außenwirkung" des Forums interessiert sind, sollte man aber betreffs besonders sensibler Themenkomplexe etwas präziser formulieren und genauer abwägen als anderswo. Mehr war's nicht.


    LG


    Christian

  • Hallo.


    Ich vermute, dass es eine der leichtesten Aufgaben ist, seine Vorurteile bestätigt zu finden. Das wird üblicherweise ohne großen Aufwand gelingen.


    In Sachen Mahler waren dies die immer gleichen Vorhaltungen, die ihm eigenständige, originale Schöpferkraft absprechen (und damit im öffentlichen Diskurs die behauptete Minderwertigkeit der Juden untermauern sollten). Weiterhin wurde er ja gern als zerrissener, sinnsuchender Ahasver ohne Chance auf Erlösung gesehen.
    Namentlich Mahler dürfte mittlerweile ein Klischee-Träger sein, wie es ihn auch im dafür vermutlich empfänglichen klassischen Sektor nicht allzu häufig gibt.


    Gruß, Ekkehard.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Lieber Peter, lieber Christian,


    Zitat

    "Keinesfalls war jeder Antisemitismus mörderisch" (nicht zu bestreiten)


    Ich bin ziemlich entsetzt. Und zwar sowohl über diesen Satz, als auch über Eure Verteidigung des Satzes.
    Natürlich ist der individuelle Antisemitismus nicht mörderisch, und zwar, weil Menschen, Gott sei Dank, eben nicht geborene Mörder sind. Wenn Wagner Antisemit war, impliziert das nicht, daß er ein Mörder war.
    Aber...
    Sobald der Antisemitismus zum kollektiven Empfinden wird, also zu einer Geisteshaltung, durch die sich ein Kollektiv zumindest teilweise definiert, wird er praktisch ausnahmslos mörderisch. Ob das nun die Judenverfolgungen im spätmittelalterlichen Spanien waren oder bei den beiden Starverbrechern der Geschichte, also Hitler und Stalin.
    Denn ich bitte zu bedenken: Es geht nicht um die Menge der Getöteten: Ein einziger Jude, der ermordet wird, weil er Jude war/ist, zeigt die mörderische Fratze des Antisemitismus.
    Insoferne hoffe ich, daß Alfred seine Aussage noch nachträglich relativiert, sonst sitzen wir in einem Boot, in dem wir wohl alle keine Kreuzfahrt antreten wollen.
    :hello:

    ...

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von lohengrins
    Ich vermute, dass es eine der leichtesten Aufgaben ist, seine Vorurteile bestätigt zu finden. Das wird üblicherweise ohne großen Aufwand gelingen.


    In Sachen Mahler waren dies die immer gleichen Vorhaltungen, die ihm eigenständige, originale Schöpferkraft absprechen (und damit im öffentlichen Diskurs die behauptete Minderwertigkeit der Juden untermauern sollten). Weiterhin wurde er ja gern als zerrissener, sinnsuchender Ahasver ohne Chance auf Erlösung gesehen.
    Namentlich Mahler dürfte mittlerweile ein Klischee-Träger sein, wie es ihn auch im dafür vermutlich empfänglichen klassischen Sektor nicht allzu häufig gibt.


    Das interessante ist aber ja, daß diese oder sehr ähnliche Klischees auch in der nicht antisemitisch geprägten, sogar in der positiven Rezeption auftauchen. Zwar nicht der angebliche Mangel an Schöpferkraft, aber Zerrissenheit, Heimatlosigkeit, Sinnsuche, Erlösung usw.
    Frage ist dann, ob hier etwas, was auf antisemitischen Vorurteilen beruhte, ins positive gewendet wurde, oder ob damit tatsächlich eine plausible, wenn auch nicht völlig adäquate Beschreibung auffallender Züge von Mahlers Musik gegeben wird, die dann einmal negativ, einmal neutral oder gar positiv gedeutet werden.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Peter, lieber Christian,


    Ich bin ziemlich entsetzt. Und zwar sowohl über diesen Satz, als auch über Eure Verteidigung des Satzes.


    Lieber Edwin,


    ich wüsste nicht, wo ich diesen Satz in der von Dir vorgestellten Interpretation verteidigt hätte, bei mir steht eindeutig das Wort mörderisch noch in der Conclusio. Womit ich mich beschäftigt habe, waren die Fragen ästhetischer Wertung. Ich wehre mich gegen diese Art der Division durch Null, die falsche Ergebnisse bringt. Wenn der Antisemitismus eine mörderische Ideologie ist, heißt das nicht, dass Werke, die aus antisemitischen Motivationen abgelehnt wurden, im Umkehrschluss nun gut wären. Das Kriterium des Antisemitismus ist falsch, mörderisch falsch, um mich zu wiederholen, ob es nun im ästhetischen, im kulturellen oder in welchem Bereich auch immer auftritt.


    Mit der Hoffnung, das Gemeinte klargestellt zu haben ...


    Liebe Grüße Peter

  • Hallo Amfortas,

    Zitat

    also mir hat ein Orchesterbesucher erzählt, dass ein Teil des Publikums regelmäßig den Konzertsal ostentativ verlassen hat, wenn Mahler gespielt wurde (noch in den frühen 60zigern des 20. Jahrhunderts) : das war z.B. in der BRD.... ich glaube das Publikum z.B. in den USA war gegenüber Mahler zu der Zeit unvoreingenommener ....


    Zweifellos hat Mahlers Musik polarisiert - und ich glaube, das hat ihr gutgetan.
    Dagegen sagte ich ja auch gar nichts. Ich stehe nur auf dem Standpunkt, daß man, soweit als möglich, der Wahrheit die Ehre geben muß. Bernstein war ein Meister im Erzeugen von Legenden. Deshalb muß man immer genau schauen, was davon stimmt und was eher nicht.


    Wir dürfen eines nicht übersehen: Mahler löste schon zu Lebzeiten eine Euphorie aus, was zweifellos mit seiner Persönlichkeit zu tun hatte. Nach seinem Tod wurde es stiller um ihn, wirklich verschwunden war seine Musik aber nie.


    Aufschlußreich in dieser Hinsicht mag eine Tagebuchnotiz des jungen Benjamin Britten sein: Nachdem er eine Mahler-Symphonie gehört hatte, schrieb er, daß diesem Komponisten die Zukunft gehöre. Und sehr scharfsinnig merkt Britten an, daß Mahlers Instrumentierung der von Richard Strauss weit überlegen sein, weil bei Strauss die Farbe zum Selbstzweck wird, während sie bei Mahler im Dienst der Verdeutlichung von Strukturen steht.
    Aus dem, was Britten schreibt, geht eindeutig hervor, daß Mahler keineswegs "Repertoirebesitz" war, sondern als moderner Komponist, den es erst durchzusetzen gilt.


    Diese Durchsetzung fing tatsächlich erst nach 1945 an, aber nicht durch Bernstein, sondern durch das Interessa an dem, was die Nationalsozialisten in ihrer verbrecherischen Geistesverwirrung verboten hatten. Hier schien Mahler mit einem Mal als der große Unbekannte, an dem aber doch 'was dran war. So geiferten zwar nach wie vor einige Konzertführer bis in die 70er-Jahre hinein, daß Mahler "klauen" würde und seine Symphonien aufgeblasen und substanzlos wären; aber das Publikum ging den - ironisch gemeinten - "schönen Stellen" auf den Leim und fühlte sich bei Mahler relativ schnell zu Hause.


    Was dann mit Bernstein kam, war ein neuer Mahler insoferne, als Ironie und Anspielungen als solche hörbar gemacht wurden. Die Dirigenten vorher gingen hier delikater zu Werk, das Publikum verstand auch ohne interpretatorischen Nachdruck - kein Wunder, die Tradition war ja noch nicht unterbrochen worden.


    Mit der Postmoderne kam dann die totale Mahler-Rezeption (obwohl Ives der geeignetere Komponist gewesen wäre, um die Postmoderne musikhistorisch zu verankern) - und Mahler ging endgültig als Klassiker in die Konzertsäle und Plattengeschäfte ein.


    Ob zu seinem Vorteil, will ich nicht entscheiden müssen...


    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,


    Die Bezeichnung Superstar gefällt mir, weil sich darin ein Unbehagen ausdrückt.
    Für mich gilt einerseits: Mahlers Beliebtheit in den Konzertsälen nimmt der Musik zwangsläufig etwas von ihren Stachel. Sie wird zum Service des Musikbetriebes, man könnte auch sagen, des gesamten gesellschaftlichen Betriebes. Das Sprachbild (+ gleichzeitig Begriff) „Negativitätsverlust“ beschreibt diesen Vorgang sehr triftig (Michael Gielen hat das Problem mal in einer Preisrede – in Frankfurt vor vielen Jahren - eingehend erläutert).
    Aber andererseits steigt durch die Aufführungszunahme + Publikumsbeliebtheit die Möglichkeit zu sinnvollen, guten Wiedergaben von Mahlers Sinfonien. :yes: :yes: Ich habe momentan den Eindruck (durch Radiomitschnitte), dass z.B. Süd-Korea (auch Japan) ein sehr mahlerfreundliches Publikum hat.


    Zu Wulf: In der Tat , es gibt noch mehr fetzige Komponisten, die Mahlers „Rang“ haben. :jubel:


    Ja + die Doppelbödigkeit in manchen Mahlersätzen. Dennoch habe ich bei der 5. + 7. Sinfonie mit den Schlusssätzen Schwierigkeiten. Vor allem mit dem Choralthema am Ende der 5. Da wird die ironische Distanz aufgehoben, für mich zum Nachteil des ganzen Satzes. :( Die Doppelbödigkeit des Schlusssatzes der 4. hat – nach meiner Erfahrung – Gielen mit dem NDRlern am deutlichsten zur Erscheinung gebracht. Die Musik wurde am Ende buchstäblich „eingefroren“. Dieser Moment hat für mich Modellcharakter für Mahlerwiedergaben. :jubel:
    Überhaupt geht die Doppelbödigkeit der 4. – für mich jedenfalls – schon weit über ironische Distanz hinaus. .... .


    Wird durch die Erfahrung von Mahlers Spätwerk erst ein angemessenerer Zugang zu früheren Mahlersinfonien möglich ? Wäre auch mal eine interessante Frage, die es klären lohnt .....
    Was wäre überhaupt angemessener Zugang zu Mahles Musik ? ?( ?(


    LG


    :hello:

  • Lieber Peter,
    ich habe ja auch nie an Dir gezweifelt...! Ich war nur etwas verblüfft, daß man über diesen Satz überhaupt noch reden kann.


    Zitat

    Wenn der Antisemitismus eine mörderische Ideologie ist, heißt das nicht, dass Werke, die aus antisemitischen Motivationen abgelehnt wurden, im Umkehrschluss nun gut wären.


    Das ist eine sehr heikle Frage.
    Ich glaube nämlich durchaus, daß etwa von 1945 bis 1955, also in der Zeit der Wiedergutmachungsversuche, ziemlich viel Musik aufgeführt wurde genau aus diesem Gedankengang heraus. Was Hitler verboten hat, mußte automatisch Qualität haben. Das ging soweit, daß praktisch alle Komponisten, die sich nicht an Schönberg orientierten und keine Juden waren, in Verdacht gerieten, mit der nationalsozialistischen "Ästhetik" nach wie vor zu liebäugeln.
    Umgekehrt ging man über einige jüdische Komponisten, die dem Fortschrittsdenken nicht entsprachen, hinweg, etwa Korngold, Wellesz und Schreker (den man als glatten Erfolgskomponisten mißverstand).
    Salopp gesagt: Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen brachte auf dem Sektor der Kunst seltsame Blüten hervor, und erst die Normalisierung, die ich Ende der 70er-Jahre ansetzen würde, schied die Spreu vom Weizen auf der Basis der Qualität ohne Ansehen irgendwelcher "Rassenfragen".
    :hello:

    ...

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  • Ich werde versuchen meinen Satz von weiter oben zu erklären, fürchte aber ,daß jegliche Interpretation, wiederum so gedeutet wird wie man es halt persönlich sehen will......


    Wenn ich meinte, Antisemitismus müsse nicht zwangsweise tödlich sein, dann meine ich, daß es (IMO auch heute noch) gewisse Ressentements gibt die aber eher unterschwellig vorhanden sein mögen - also kein Haß, keine Abneigung - allenfalls ein Fehlen von Sympathie....
    Dies ist ein Faktum das wohl kaum einer in Frage stellen wird


    Der Satz mit den "Auswirkungen" kann in der Tat mißverstanden werden. Gemeint war, daß ,hätte Mahler "konservative" Musik komponiert, dann hätte er (wahrscheinlich) nicht mit antisemitischem Gegenwind zu kämpfen gehabt. (hier meine ich jenen VOR 1938 und NACH 1945.)- Es wäre den Leuten egal gewesen.


    Und damit sollte diese Komponente des Themas weitgehend behandelt sein.


    Ich behaupte überhaupt,daß die Abneigung des bürgelichen Publikums es war, die neue Musikrichtungen unterdrückte - der Nationalsozialismus hat sich diese allenfalls zu eigen gemacht, weil er seinen Intentionen entgegenkam. (WENN DIESES Thema erörtert werden muß - dann von mir aus - aber dann bitte in einem eigenen Thread !!- Edwin wäre hier ein geeigneter Threadstarter)



    Aber bleiben wir beim Thema, das ja viel vielschichtiger ist als ich selbst es bei Beginn angenommen hatte.


    Fragen wir uns wie es mit der Aufführungspraxis, Verbreitung und Beliebtheit von Mahlers Werken in jenen Ländern bestellt war, die nicht unter NS-Einfluß lagen. Hiebei meine ich alle 4 Zeitalter:
    a) vor dem Krieg
    b) während des Krieges
    c) unmittelbar nach dem Krieg (bis etwa 1960)
    d) seit Einführung der Sterephoniie


    __________________


    Unbestritten ist, daß Mahler heute zu den "ganz Großen" der Klassikszene zu rechnen ist - was nicht von jederm Komponisten unterdrückter Musik gesagt werden kann.


    Die Frage ist WARUM das so ist.
    Die Antwort, es wäre die Qualität von Mahlers Musik wäre in der Tat eine scheinbar überzeugende, aber eben nur scheinbar - zahlreiche andere Parameter müßen hier mitgespielt haben - aber welche ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Edwin,


    eben weil ich den Satz, wie er bei Alfred formuliert ist, als so problematisch empfunden habe, habe ich überhaupt den Finger in die Wunde gelegt, gehe aber nicht davon aus, daß Alfred ihn in derartiger Intention geschrieben haben wird.
    Daß nicht jegliche Form des Antisemitismus mörderisch sein muß, ist eine derartige Binsenweisheit, daß Du sie hoffentlich niemandem, der sie schlicht äußert, als Relativierungsversuch oder sonstiges auslegst. Auch nicht direkt mörderische Einstellungen taugen dazu, rundheraus und entschieden abgelehnt zu werden. Daher ergibt sich, daß auch eine "bloße" Antipathie oder eine wie auch immer geartete Inferioritätsideologie - im hier diskutierten Bezug dem Jüdischen gegenüber - inakzeptabel sind oder immerhin werden, wenn sie als Argument oder Faktor in die Debatte eingeführt werden.


    Ich hoffe also, daß Du weder mir noch anderen Ressentiments oder Beschönigungen vorwerfen willst, die nur zu leicht in aus meiner Sicht vollkommen wertfreie Äußerungen hineinzuinterpretieren sind. Wäre es anders, hätte ich höchstwahrscheinlich auch keine herberen Störgefühle beim Lesen des inkriminierten Satzes verspürt.


    LG


    Christian

  • Zitat

    und Mahler ging endgültig als Klassiker in die Konzertsäle und Plattengeschäfte ein.


    Ob zu seinem Vorteil, will ich nicht entscheiden müssen...


    :hello:


    Dann entscheide ich mal ganz frech, dass das jedenfalls zu meinem Vorteil war!


    Ich mache bekanntlich um grosse Symphonien einen noch grösseren Bogen und Mahler stellt da eine der wenigen Ausnahmen dar.
    Warum?
    Diese Frage zu beantworten fällt mir nciht leicht, denn mir fehlt das passende Vokabular dazu.
    Eine Annäherung, was uns an Mahler gefällt, wäre vielleciht mal ein hilfreiches Thema dazu.
    Warum ist mir der Zugang zu Beethoven-Symphonien so viel schwieriger als der zu Mahler?
    Weil ich ein Kind der Postmoderne bin?
    Weil ich zu Grosses und Pathetisches nur in gebrochener und selbsthinterfragter Form ertragen kann?
    Das sind offene Fragen, zu denen mich dieser Thread bringt, keine Antworten.



    Aber ganz sicher nciht, weil es sich hier um arische oder nicht-arische Kompositionsweisen handelt.
    "Das Judentum in der Musik" sollte selbst in den hintersten Winkeln eines beliebigen Gehirns kein Studier-Stübchen mehr haben.


    F.Q.

  • Lieber Christian,


    Zitat

    Daß nicht jegliche Form des Antisemitismus mörderisch sein muß, ist eine derartige Binsenweisheit, daß Du sie hoffentlich niemandem, der sie schlicht äußert, als Relativierungsversuch oder sonstiges auslegst.


    Das eben ist der Punkt: Antisemitismus beginnt scheinbar harmlos, nimmt aber letzten Endes jedes Mal mörderische Züge an. Zumindest ist mir keine Form eines "friedvollen" Antisemitismus bekannt.
    Es geht übrigens nicht nur im Antisemitismus so, sondern in jeder Form des Rassismus, die zu einer Pseudo-Philosophie oder Ideologie erhoben wird. Ich fürchte aber, das würde uns von unserem Thema sehr, sehr weit weg führen. Zumal wir uns alle in der Ablehnung des Antisemitismus einig und nur in Detailfragen unterschiedlicher Meinung sein dürften.
    :hello:

    ...

  • Liebe Fairy Queen,

    Zitat

    Weil ich ein Kind der Postmoderne bin?


    :yes:
    Weil sich schon meine Generation "neue" Klassiker gesucht hat, und Deine konsequent weitergegangen ist. Mahler steht dem durch die Postmoderne geprägten Lebensgefühl näher als der stilistisch reine Beetoven, dessen heroisches Pathos für feiner empfindende Angehörige unserer Generationen aus unserem besseren Wissen heraus schwerer erträglich ist als die gebrochenen und hinterfragten Positionen Mahlers.
    :hello:

    ...

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Ich versuche mal eine Antwort zu geben, die aber alles andere als erschöpfend sein kann:
    Der Zugang zu Beethoven-Sinfonien ist schwieriger weil
    1.) Erst mal ganz platt: Weil Beethovens Sinfonien schwieriger aufzuführen sind als Mahlers Sinfonien. Eine sinnvolle Beethovensinfonienwiedergabe ist bis heute eine musikalische Ausnahme, keine Regel. Dass es bei Mahler auch Sätze gibt, die sehr schwer sinnvoll wiederzugeben sind (z.B. 4. Satz der 6., oder der 4. Satz der 9. oder der 1. Satz der 5. oder die Ecksätze der 3. steht außer Frage.
    2.) Weil Beethovens Sinfonien in einen Teil ihrer Substanz mit der politischen Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts verknüpft sind, die uns heute eher entfernt scheint. Aber war Beethoven zu seinen Lebzeiten schon ein Superstar ? Und ist der spätere Ruhm Beethovenscher Musik wirklich auf einen angemessenen Zugang zu seinen Werk zurückzuführen ?
    3.) Dazu noch: Bei Beethovens (auch in seinen Sinfonien, wie ich finde) Sinfonien wird auch schon das Pathetische gebrochen: z.B. in der 8. beim Repriseneintritt. Oder der Schlusssatz der 9 (der mit dem „Song of Joy“) . den ich auch schon als sehr gebrochen, selbsthinterfragend empfinde – für mich jedenfalls gilt das für die ganze Beethoven 9.
    4.) Aber sicher ist, sehr grob + unvollständig gesagt, in Mahler Musik das Gebrochene, Selbsthinterfragende, Negative ein, wenn nicht das entscheidende Moment bzw. Programm (mir fällt kein besseres Wort ein). Das macht sicher einen Unterschied zu Beethovens Sinfonien aus. (vergessen wir dabei nicht Brahms S. 3 + 4, die alles andere als pathetisch + ungebrochen sind)
    5.) Mahlers Musik würde ich allerdings nie als postmodern ansehen. (Leider ist mir die Bezeichnung „heroisch-modern“ nicht erlaubt, weil sie all zu leicht in einen reaktionär-konservativen Zusammenhang gebracht werden kann, den ich selbst mehr als verachte).


    LG


    :hello:

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    "Das Judentum in der Musik" sollte selbst in den hintersten Winkeln eines beliebigen Gehirns kein Studier-Stübchen mehr haben.


    F.Q.


    Mit der Tendenz dieser Feststellung bin ich natürlich vollauf einverstanden.


    Ich frage mich aber, ob es wirklich den wünchenswert entspannten Umgang mit dem Thema reflektiert, wenn man schon die Möglichkeit spezifisch jüdischer Attribute eines Kunstwerkes leugnet oder ignoriert. Auch falsch verstandener Philosemitismus ist nur die Kehrseite der hässlichen Medaille, wenngleich die weitaus ansehnlichere.


    Ich bin wahrlich kein Fachmann und deshalb auch nicht imstande, das näher einzugrenzen, aber ich habe als Vater von zwei Kindern, die jahrelang in jüdische Kindergärten und Schulen gingen, genügend Einblicke in dezidiert sich als jüdisch begreifende Familien gewonnen um gewisse Besonderheiten etwa im Umgang miteinander, zu bemerken - übrigens ausschließlich solche, um die ich sie beneide.


    Es wäre mehr als verwunderlich, wenn sich dergleichen nicht auch in der Kunst niederschlüge. Deshalb halte ich es auch nicht für zielführend, schon eine solche Möglichkeit schlichtweg zu leugnen.


    Natürlich ist Mahler oder irgend ein anderer Künstler nicht einfach auf sein Judentum zu reduzieren oder auch nur zu definieren, wie das bei vielen christlichen Komponisten denkbar ist, schon gar nicht dann, wenn er selbst dieser Zugehörigkeit wenig engagiert gegenüber stand.


    Natürlich ist auch das Thema hier als Ganzes OT und sollte, wenn überhaupt, in einem eigenen Thread behandelt werden, wie ihn Alfred vorschlug. Ich fühle mich allerdings nicht kompetent genug den anzustoßen, würde aber diesen Beitrag dahin verschieben, wenn es ihn gibt.


    Vorerst wollte ich das aber mal auch zu bedenken geben.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Lieber Christian,


    Das eben ist der Punkt: Antisemitismus beginnt scheinbar harmlos, nimmt aber letzten Endes jedes Mal mörderische Züge an. Zumindest ist mir keine Form eines "friedvollen" Antisemitismus bekannt.
    Es geht übrigens nicht nur im Antisemitismus so, sondern in jeder Form des Rassismus, die zu einer Pseudo-Philosophie oder Ideologie erhoben wird. Ich fürchte aber, das würde uns von unserem Thema sehr, sehr weit weg führen. Zumal wir uns alle in der Ablehnung des Antisemitismus einig und nur in Detailfragen unterschiedlicher Meinung sein dürften.
    :hello:


    Lieber Edwin,


    es war mir klar, daß wir in diesem Punkt inhaltlich nicht differieren. Zumindest im Hinblick auf die Entwicklungen der Neuzeit gebe ich Dir auch historisch durchaus Recht. Zentral ist schließlich die gemeinsame Ablehnung von Rassismus und verwandten Phobien; auch dies würde ich gern als Binsenweisheit bezeichnen können und weiß doch leider, wie fern der Realität ich mich damit bewegte.


    LG


    Christian

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Ich versuche mal eine Antwort zu geben, die aber alles andere als erschöpfend sein kann:
    Der Zugang zu Beethoven-Sinfonien ist schwieriger weil
    1.) Erst mal ganz platt: Weil Beethovens Sinfonien schwieriger aufzuführen sind als Mahlers Sinfonien. Eine sinnvolle Beethovensinfonienwiedergabe ist bis heute eine musikalische Ausnahme, keine Regel. Dass es bei Mahler auch Sätze gibt, die sehr schwer sinnvoll wiederzugeben sind (z.B. 4. Satz der 6., oder der 4. Satz der 9. oder der 1. Satz der 5. oder die Ecksätze der 3. steht außer Frage.


    Hä?? Sehe ich ganz und gar nicht so. Woran machst Du das fest? Es gibt etliche "sinnvolle" Wiedergaben.



    Zitat


    2.) Weil Beethovens Sinfonien in einen Teil ihrer Substanz mit der politischen Situation zu Beginn des 19. Jahrhunderts verknüpft sind, die uns heute eher entfernt scheint.


    Nachvollziehbar, aber ob das eine hinreichende Erklärung für den besseren Zugang zu Mahler ist??



    Zitat


    4.) Aber sicher ist, sehr grob + unvollständig gesagt, in Mahler Musik das Gebrochene, Selbsthinterfragende, Negative ein, wenn nicht das entscheidende Moment bzw. Programm (mir fällt kein besseres Wort ein). Das macht sicher einen Unterschied zu Beethovens Sinfonien aus. (vergessen wir dabei nicht Brahms S. 3 + 4, die alles andere als pathetisch + ungebrochen sind)


    Bei aller Liebe zu Brahms. Daß seine 3. und 4. Symphonie ironisch gebrochen sind, vermag ich nicht ganz nachzuvollziehen. Brahms Symphonien sind auch sicher so stark genug, ohne, daß man ihr noch den ironisch gebrochenen Charakter aufbürden muss, denke ich.


    Zitat


    5.) „heroisch-modern“ nicht erlaubt, weil sie all zu leicht in einen reaktionär-konservativen Zusammenhang gebracht werden kann, den ich selbst mehr als verachte).


    Es ist ja nichts verboten, Du hast allerdings noch nicht klarstellen können, was Du mit "heroisch" meinst. ;)

  • Lieber Wulf,


    Zu Beethoven-Sinfonien-Wiedergaben: das wäre ein eigener Thread und würde sehr viel Zeit in Annspruch nehmen... wäre ich auch momentan überfordert das zu erörtern ?(
    Ich habe aus diesem Grund zur Beethovenschen Sinfonik erst viel später einen Zugang gefunden (seine Quartette und Sonaten haben es nicht ganz so schwer mit der Aufführbarkeit, mit Außnahme vielleicht der Großen Fuge oder dem ersten Satz von op. 132)


    Ganz grob + unvollständig: wieder: Ich meine das Mahlers Zeit in Musik gefasst für uns heutige näher scheint als Beethoven, ich sage scheint nicht "ist" !!! . ... als Beethoven. Damit will ich aber nicht sagen, dass sich mit dem Zeitbezog Beethovens + Mahlers Werke erschöpfen...


    Brahms Musik ist gebrochen, aber nicht ironisch gebrochen (wie z.B. bei Mahler). iund ch glaube, ich habe bei Brahms S 3 + 4 nicht von ironisch gesprochen... Ob + wie es bei Brahms auch ironische Brechungen gibt, wäre vielleicht mal eine Überlegung wert...


    Mit "heroisch" meine ich die unversöhnte Haltung zur Realität überhaupt, die sich in Mahlers Werk artikuliert, in so weit ist für mich Mahlers Musik modern und avantgardistisch (gilt sicher auch für Werke anderer Komponisten) und eben nicht postmodern. Aber bitte, bitte, bitte (!!!) das Wort "heroisch" nicht in die von mir verhasste :boese2: Sphäre des reaktionären-konservativen setzen.
    Mahlers Musik ist nicht Komplize des Weltlaufs....


    LG


    :hello:

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