Richard Wagner - Der Stoff aus dem der Ring geschmiedet

  • Lieber Forianer, Wagnerianer, Opern- und Literaturfreunde,


    Die Idee zu diesem Thema kam mir, als ich im Thread zum Theme Liebe in der Musik entdeckte, daß hier schon ein wenig das Thema langsam aber sicher in eine andere Richtung abglitt, nämlich in die Feinheiten der literrarischen Vorlagen von Richard Wagner.



    Schon allein das Thema von Wagners Sprachlichen Umsetzungen wäre einen eigenen Thread wert. Über die Qualität seiner Libretti würde viel gelästert und gespöttelt - allein, sie haben die Zeit überdauert, der (langanhaltende) Erfolg gibt ihnen recht. Sicher - so mag man einwenden - wäre dies Wagners Musik zuzuschreiben, aber Schon Wagner bezeichnete seine Opern als Gesamtkunstwerk - und so sollte man sie auch sehen.


    Dieser Thread ist also schon ein Parallellthread zu:


    Der Ring der nie gelungen - - - Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen


    und


    Der RING in der Inszenierung von Patrice Chereau


    aber er rollt das Thema von einer völlig anderen Seite auf.



    Was war gerade an diesen Stoffen zu Wagners Zeit so interessant, inwieweit hält er sich an die Vorlagen, inwieweit verfälscht er sie ?
    Wann wurden dies Vorlagen ihrerseits geschrieben, auf welchen Wurzeln
    basieren sien ?


    Was haben uns die Inhalte heute noch zu sagen ? Auf welche Vorlagen, bzw Bearbeitungen griff Wagner selbst zurück.
    Welche Figuren sind aus den Sagen, welche fügte Wagner hinzu ?
    Was ist so interessant an der doch etwas verworrenen Geschichte ?
    Ein Thread, wenn er angenommen wird, bis ins Jahr 2022 :D


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    da ich zu dem Thema "Nibelungenlied als Quelle für Wagners Ring" bereits in einem anderen Forum ausführlich geschrieben habe, gestatte ich mir ausnahmsweise, hier eine überarbeitete Fassung des Beitrages zu posten:


    Eine direkte "Quelle" war das Nibelungenlied nicht, eher eine "Durchgangsstation" zum eigentlichen "Mythos", wie der Eklektiker Wagner ihn verstand, der sich ja u.a. auch bei der "Edda" und dem klassischen griechischen Drama bediente. Den Grund hierfür benennt Wagner in seiner "Mitteilung an meine Freunde" von 1851 (zitiert nach "Wagners gesammelte Schriften", hrsg. von Julius Kapp, Leipzig o.J., Erster Band, S. 140 ff., Hervorhebungen sind die Wagners):


    "Nochmals, und zum letzen Male, stellten sich mir Mythos und Geschichte gegenüber, und drängten mich diesmal sogar zu der Entscheidung, ob ich ein musikalisches Drama, oder ein rezitiertes Schauspiel zu schreiben hätte...


    In dem Streben, den Wünschen meines Herzens künstlerische Gestalt zu geben, und im Eifer, zu erforschen, was mich denn so unwiderstehlich zu dem urheimatlichen Sagenquelle hinzog, gelangte ich Schritt für Schritt in das tiefere Altertum hinein, wo ich denn endlich zu meinem Entzücken, und zwar eben dort im h ö c h s t e n Altertume, den jugendlich schönen M e n s c h e n in der üppigsten Frische seiner Kraft antreffen sollte. Meine Studien trugen mich so durch die Dichtungen des Mittelalters hindurch bis auf den Grund des alten urdeutschen Mythos; ein Gewand nach dem anderen, das ihm die spätere Dichtung entstellend umgeworfen hatte, vermochte ich von ihm abzulösen, um ihn so endlich in seiner keuschesten Schönheit zu erblicken. Was ich hier ersah, war nicht mehr die historisch konventionelle Figur, an der uns das Gewand mehr als die wirkliche Gestalt interessieren muß, sondern der wirkliche, nackte Mensch, an dem ich jede Wallung des Blutes, jedes Zucken der kräftigen Muskeln, in uneingeengter, freiester Bewegung erkennen durfte: der w a h r e M e n s c h überhaupt. (...)


    Hatte mich nun schon längst die herrliche Gestalt des S i e g f r i e d angezogen, so entzückte sie mich doch vollends erst, als es mir gelungen war, sie, von aller späteren Umkleidung befreit, in ihrer reinsten menschlichen Erscheinung vor mir zu sehen. Erst jetzt auch erkannte ich die Möglichkeit, ihn zum Helden eines Dramas zu machen, was mir nie eingefallen war, solange ich ihn nur aus dem mittelalterlichen Nibelungenliede kannte... Um meinen Helden, und die Verhältnisse, die er mit ungeheurer Kraft zu bewältigen strebt, um endlich selbst von ihnen bewältigt zu werden, zu einem deutlichen Verständnisse zu bringen, mußte ich mich, gerade dem geschichtlichen Stoffe gegenüber, zum Verfahren des Mythos hingedrängt fühlen: die ungeheure Masse geschichtlicher Vorfälle und Beziehungen, aus der doch kein Glied ausgelassen werden durfte, wenn ihr Zusammenhang verständlich zu überblicken sein sollte, eignete sich weder für die Form, noch für das Wesen des Dramas. Hätte ich dieser notwendigen Forderung der Geschichte entsprechen wollen, so wäre mein Drama ein unübersehbares Konglomerat von dargestellten Vorfällen geworden, die das einzige, was ich eigentlich darstellen wollte, in Wahrheit gar nicht zum Vorschein hätte kommen lassen."


    Genau das, was der unbekannte Autor des Hochmittelalters zum Zeitpunkt der Niederschrift des Nibelungenliedes (um 1200) dem alten Stoff an mittelalterlichem Zierat hinzugefügt hat, um seinem damaligen höfischen Publikum zu gefallen, sah Wagner als "entstellendes Gewand" an, aus dem er den Mythos herausschälen mußte, um an den allgemein-menschlichen Urgrund zu kommen, denn nur d e n konnte er für sein geplantes Musikdrama gebrauchen.


    Ein schlagender Beweis dafür ist eine Gegenüberstellung der beiden Siegfried-Figuren: in Wagners "Ring" ist Siegfried eine in ärmlichen Verhältnissen von einem Zwerg aufgezogene Waise, die der Ekel vor seinem Ziehvater und die Neugier in die Welt hinaustreibt, wie er selbst in der "Götterdämmerung" ausführt:


    "Nicht Land noch Leute biete ich,
    noch Vaters Haus und Hof:
    einzig erbt' ich den eignen Leib;
    lebend zehr' ich den auf.
    Nur ein Schwert hab' ich,
    selbst geschmiedet:
    hilf, mein Schwert, meinem Eide!
    Das biet' ich mit mir zum Bund."


    Im Nibelungenlied ist Siegfried ein gebildeter Königssohn und Ritter in strahlender Rüstung, dessen lebende Eltern Siegmund und Sieglinde ihm eine Leibwache zur Seite gestellt haben; seine noble Erziehung am prächtigen und überaus reichen Hofe zu Xanten haben die weisesten Männer gewährleistet, seinen ihm vorauseilenden Ruf als kühner und galanter Recke hat er sich durch zahlreich bestandene Abenteuer in fernen Landen und in ritterlichem Turnierkampf erworben. In Worms erscheint Siegfried in Begleitung einer Vielzahl von Vasallen und am Burgundenhof wirft er mit Geld und Geschenken aus dem Nibelungenhort nur so um sich und verschuldet damit teilweise seine Ermordung mit. Wagners Siegfried hat sich aus Fafners Hort nur Ring und Tarnhelm genommen, das sonstige Gold aber verschmäht.


    Völlig bedeutungslos war das Nibelungenlied für Wagner nicht, für die "Götterdämmerung" hat er dort einige nicht unwichtige Aspekte entlehnt: die Ankunft Siegfrieds am Hofe Gunthers, die Doppelhochzeit, der Verrat der "schwachen Stelle" Siegfrieds, Siegfrieds Ermordung durch Hagen, den schwachen Charakter Gunthers wie die sinistre Zeichnung Hagens. Aber all das, was an mittelalterlichem Zeitkolorit im Nibelungenlied enthalten ist, hat Wagner als unbrauchbar gestrichen: die seitenlangen Beschreibungen kostbarer Gewänder und Edelsteine, das Verhältnis Gunther-Siegfried als Lehensherr und Lehensmann, die für das Mittelalter typische Art wie Siegfried sich in Kriemhild verliebt, ohne sie je vorher gesehen zu haben sowie alles Christliche (Streit vor dem Münster, Requiem für den toten Siegfried). Insofern ist auch klar, daß Wagner die "Götterdämmerung" zeitlich nicht in irgendeiner Phase des Mittelalters angesiedelt hat, sondern den Gibichungen-Hof allgemein als eine ins Politisch-Taktische pervertierte Zivilisation beschreibt (und damit auch seine eigene Zeit meint), in der Siegfried aufgrund seiner Ehrlichkeit und Naivität zugrunde gehen muß.


    Am Schluß noch einen Lesetipp zum "Ring" und seinen Quellen: Deryck Cooke, "I Saw the World End" - A Study of Wagner´s Ring, Oxford University Press 1979.


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Ich habe ein bischen gesucht und diese Thema gefunden. Mich bewegt die Sprache des Ringes und bin mir nicht sicher wieso.
    Zunächst einmal nutze ich die gleichzeitige Erarbeitung über mehrere Spielzeiten in Hamburg und Lübeck um mich intensiv in den Ring hineinzuarbeiten. (An anderer Stelle berichte ich darüber) Dabei rückt für mich der Text mehr in den Vordergrund als bei meinen sonstigen Wagnererlebnissen Lohengrin und Holländer. Die Meistersinger, Parsifal und Tristan habe ich im Fernsehen gesehen, gehört und warte auf eine Neuinszenierung in Hamburg (oder Lübeck). Zum Tannhäuser habe ich einfach keinen Zugang.


    Mir scheint in keinem Werk des Musiktheaters der Text so wichtig, so ausdrucksstark und so dicht zu sein. Täusche ich mich oder arbeitet Wagner im Text ähnlich wie in der Komposition, also mit wiederkehrenden Sprachbildern und Motiven?


    Mir gefällt Beispielsweise "Winterstürme weichen dem Wonnemond" (Walküre, 1. Aufzug) außerordentlich: Winterstürme als Bild der Trennung, des Leidens der getrennten Geschwister und Wonnemond als Bild des Wiederfindens und Erwachens.


    In diesem Lichte betrachtet ist das Weja der Töchter des Rheins auch nicht mehr so - seltsam.


    Nur manche Begriffe verstehe ich nicht. Gibt es ein Wörterbuch Deutsch - Ringsprache?

  • JL,


    mit einigen Wörtern hatte ich auch Schwierigkeiten, bis sie sich irgendwann von selbst auflösten oder ich unerwartet auf eine Erklärung stiess. Konkrete Beispiele hab ich aber jetzt nicht parat. Mit welchen Begriffen tust Du dich denn schwer? Du kannst ja gerne auch einen thread mit unverständlichen Wörtern aufmachen. Das Grimm´sche Wörterbuch sollte gut weiterhelfen, aber Wagner dürfte auch viele seiner Wörter im archaischen Stiel selbst "erfunden" und zusammengebastelt haben.



    ..................



    Stimmt das, dass Wagner die Vorlagen quasi aller seiner Opern, die auf mittelalterlichen Epen beruhen (also Tristan, Ring, Parsifal, mit Abstrichen auch Lohengrin, Tannhäuser), auf einen Schlag bei einem Kuraufenthalt kennengelernt hat? Ich mach mich da noch mal schlau.

  • Zitat

    Original von JL
    Nur manche Begriffe verstehe ich nicht. Gibt es ein Wörterbuch Deutsch - Ringsprache?


    Die Sprache ist deutsch, nur manchmal eben ein bißchen sehr archaisch. In einem ausführlichen Wörterbuch dürfte man die Archaismen wohl fast alle finden. Selbst wenn Wagner ein paar Wörter "erfunden" haben sollte (außer Zusammensetzungen bin ich mir aber nicht sicher, ob er das hat), sind das sicher eine Art "(Re)konstruktionen", die sich aus tatsächlichen Stämmen und Bestandteilen verstehen lassen. "Weia" oder "hojotoho" bedeuten natürlich nichts, ebenso wenig wie Tralala oder Faria-faria-ho im Volkslied. Gemeinsam mit der Musik charakterisieren sie eben die verspielten Rheintöchter oder die wilden Walküren.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von JL
    Nur manche Begriffe verstehe ich nicht. Gibt es ein Wörterbuch Deutsch - Ringsprache?


    Gibt es, und zwar hier. Auf "Opern" klicken, dann "Ring des Nibelungen", dann "Hintergrundmaterialien", dann "Ringwörterbuch".


    Best, DiO :beatnik:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die Sprache ist deutsch, nur manchmal eben ein bißchen sehr archaisch. In einem ausführlichen Wörterbuch dürfte man die Archaismen wohl fast alle finden.


    In dem Fall hilft übrigens oft bereits der Rechtschreib-Duden, der veraltete, landschaftliche und spezielle Wörter erläutert. Das ist mir vor allem deutlich geworden, als ich die Moby Dick-Übersetzung aus dem Mannesse-Verlag las. Sowohl die seemännischen Fachbegriffe wie auch Wörter, die vor allem in der Schweiz gebräuchlich sind, fand ich dort erklärt.


    Zitat

    Selbst wenn Wagner ein paar Wörter "erfunden" haben sollte (außer Zusammensetzungen bin ich mir aber nicht sicher, ob er das hat), sind das sicher eine Art "(Re)konstruktionen", die sich aus tatsächlichen Stämmen und Bestandteilen verstehen lassen.


    Da fällt mir als Sonderfall noch die Vokabel "wähnen" ein, die bei Wagner wohl auch mal ein neutrales "denken" bzw. "meinen" bedeuten kann. Ich glaube, das ist dann auch im Grimm'schen Wörterbuch verzeichnet.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Ich habe mir inzwischen - Reclam sei dank - die Texte zum Ring besorgt. Ich bin etwas altmodisch: Ein gedruckter und gebundener Text ist für mich leichter zu erschließen, als im Internet veröffentlichter Text.
    Dabei ist mir einiges Aufgefallen:


    Zunächst war ich überrascht, wie der Text alleine auf mich wirkt. Ich fühle mich direkt und unmittelbar angesprochen. Das Wagners Texte stark sind habe ich immer wieder gelesen und ich habe auch ein Reclamheft vom Holländer, was ich sehr ansprechend fand. Aber das der Ringtext - ich konzentriere mich im Moment auf Rheingold und die Walküre, weil ich beides in Hamburg/ Lübeck sehe, bzw., gesehen habe, bzw. sehen werde - mich so unmittelbar gefangen nimmt, finde ich überraschend. Ich mag Lyrik, will sie aber nicht analytisch sehen, sondern sie auf mich wirken lassen. Und der Ringtext schafft es mich zu fesseln.


    Zweitens höre ich beim lesen mancher Textstelle die Musik, quasi als ob im Text de Musik schon angelegt ist. Ich meine dabei nicht "greatest hits", sondern eher die "rezitativischen" Textstellen also im Gesprächs oder Dialogpart. Nun weiß ich natürlich, dass Wagner Sprache zum Vorbild für den Gesang genommen hat. Aber auch hier bin ich überrascht, wie gut das gelungen ist.


    Drittens bin ich mit dem empfohlenen Wörtebuch nicht ganz zufrieden. Gerade die Abgrenzung von Begriffen überzeugt mich nicht so sehr. Ist
    heiligste Minne
    höchste Not
    sehnender Liebe
    sehrende Not
    einfach nur eine Doppelung? Oder ist Minne und Liebe nicht wirklich etwas verschiedenes? Liebe kommt als eigener Begriff mehrfach vor und erscheint dabei nicht synonym zu Minne, allerdings scheint
    von der Liebe doch
    mocht´ich nicht lassen
    in der Macht gehrt´ich nach Minne
    beides ebendoch gleichbedeutend zu verwenden.
    Manches habe ich aber besser verstanden. So hatte ich im ersten Akt, 3te Szene, Zeile 280
    ein Weib sah ich
    wonnig und hehr;
    entzückendes Bangen
    zehret mein Herz
    zehret immer falsch verstanden. Als AUFZEHREN macht die Stelle jedoch mehr Sinn.


    Ich finde übrigens, dass der Text, das Thema oder der Verlauf aktuell ist: Wotans Probleme (ein vielleicht passender Untertitel für das ganze :-)) sind schockierend modern: Auf der Meta-Ebene: Das zerbrechen von Macht und Hierarchien durch die Ignoranz der Mächtigen gegenüber Ihrer eigenen Machtbasis. Wir erleben es doch gerade bei der Bankenkrise. Aber auch direkt in der Handlung: Vater irrt sich in seinen Kindern: Seine Töchter - sie sind es ihm nicht wert Ihnen zu helfen (überläßt er doch Sieglinde mitleidlos Hunding, obwohl er bewaffnet zur Hochzeit erscheint) oder Ihnen eine eigene Meinung zuzugestehen (ent-gott-et er nicht Brünhilde gerade deswegen) - erweisen sich als seinen durch ihn nicht erkannte Hoffnung. (Man könnte es tragisch nennen, wenn dieser Wotan das scheitern nicht wirklich verdient hätte. Und das ganze schiebt er dann auch noch Loge in die Schuhe: Wotan ist doch wirklich ein blöder Hund....)
    Spaß beiseite - Das politische Dilema in dem Wotan steckt ist so zwingend. Das Notwendige sehen und es nicht tun dürfen und damit das eigene Scheitern auf Grund falscher eigener Taten. Das ist erschütternd. Das ist menschlich und wird immer aktuell bleiben.

  • Im frühen Mittelalter war die Minne die Zuneingung zu einem anderen, später dann war die Bedeutung mehr die hehre, keusche Liebe (die ja im Minnegesang verherrlicht wurde). Im Spätmittelalter hat das Wort jedoch einen Bedeutungswandel erfahren und es wurde damit eher die triebhafte, "niedere" Liebe bezeichnet - da scheint sich das Verhältnis zwischen den Wörtern Minne und Liebe direkt umgekehrt zu haben.


    Und bei Wagner? Aus diversen Textstellen kann man, meiner Ansicht nach, erkennen, dass er mit Minne eher die keusche Herzensliebe (oder wie soll man das ausdrücken?) meint - also die frühmittelalterliche Auffassung des Begriffes vertritt - und mit Liebe mit eher erotischer Komponente.


    Schau hier als Beispiel - Woglindes "Entsagungs-Geheimnis" aus dem Reingold:



    Nur wer der Minne
    Macht versagt,
    nur wer der Liebe
    Lust verjagt,
    nur der erzielt sich den Zauber,
    zum Reif zu zwingen das Gold.


  • Hallo JL,
    zu Deinen Deutungen der Walküre-Textpassagen habe ich in meiner verfügbaren Ring-Literatur folgende interessante Details gefunden:


    Siegmund 2.Akt, 3.Szene:
    Heiligster Minne höchste Not,
    sehnender Liebe sehrende Not
    brennt mir hell in der Brust,
    drängt zu Tat und Tod:


    Sehnen von Sehnsucht, sehren (mhd: seren) im Sinne von am meisten, hier also könnte der Meister durchaus zur Verstärkung eine Doppelung gewählt haben. Sehrende Not=höchste Not. Hat demzufolge mit versehren oder verwunden nichts zu tun.


    Dann Wotans Monolog im 2.Akt, 2.Szene:
    Von der Liebe doch mocht' ich nicht lassen,
    in der Macht verlangt' ich nach Minne.


    Die beiden unterschiedlichen Worte für den gleichen Begriff entstanden durch die Stabreime (Liebe-lassen; Macht-Minne), die Wagner der besseren Merkfähigkeit wegen immer wieder verwendete.


    Und nochmals Siegmund, Szene wie zuvor:
    …ein Weib sah ich,
    wonnig und hehr;
    entzückend Bangen
    zehrt mein Herz.


    Sinngemäß: …zehrt an meinem Herzen


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Letztlich muß man immer bedenken, dass Wagner nicht nur mit dem Stabreim, sondern auch mit der recht unsanglichen deutschen Sprache seine dichterischen Kämpfe auszufechten hatte. Insofern ist manch merkwürdigem Satzbau und befremdender Wortwahl mit einem kurzem Vorsingen oft besser beizukommen, als mit tiefschürfender Sprachanalyse.
    Selbst Peter Wapnewski mutmaßte an einigen Stellen des Ringes, dass hier der eigentliche Wortsinn dem Stabreim untergeordnet wurde. Ich glaube es war u.a. die Stelle "die Not zwiefach mich zwang"...das "zwiefach" ist wohl im inhaltlichen Sinne bisher nicht sinnvoll erklärt worden, und insofern vermutlich dem Stabreim geschuldet.
    Prinzipiell dürfte die bevorzugte Verwendung von Worten wie "zehret" oder beispielsweise das so beliebte "hehr" auch eher gesangliche Gründe haben, und sich nicht primär auf die Glorifizierung altertümlicher Wörter gründen.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis
    Letztlich muß man immer bedenken, dass Wagner nicht nur mit dem Stabreim, sondern auch mit der recht unsanglichen deutschen Sprache seine dichterischen Kämpfe auszufechten hatte.


    Hast Du bei Liedern von Schubert oder Schumann ebenfalls den Eindruck der Unsanglichkeit? (Ich nicht ;))


    Ich glaube anhand der o.g. Textstellen eher weniger, daß Wagner im Ring zwischen Minne (als distanter hoher Minne) und sinnlicher Liebe unterscheidet. Auch wenn zu anderen Zeiten da gewiß ein Unterschied gemacht wurde, werden hier ja fast immer beide in einem Atemzug genannt, ohne einen Unterschied zu machen.
    Mit hoher Minne hätte Alberich eh nichts am Hut. Und kaufen oder zwingen, kann er nur "Lust" nicht Liebe.


    Wotan zu Brünnhilde in Walküre III, 3:


    "So tatest du,
    was so gern zu tun ich begehrt, -
    doch was nicht zu tun
    die Not zwiefach mich zwang?"


    Offensichtlich ist nicht, welchen Sinn hier zwiefach genau haben sollte. Man könnte es einmal einfach als Verstärkung lesen, nicht als exakt zwei verschiedene Nöte oder Zwänge.


    Mir fallen aber noch mehrere Möglichkeiten ein, wie zwei verschiedene Zwangslagen bestehen könnten:


    1. Frickas direktes Eingreifen, durch das sie Wotan zwingt, gegen Siegmund Partei zu ergreifen
    2. Der allgemeine Zwang der Verträge, dem Wotan unterworfen ist, von dem die hier zu schützende Ehe eben ein Spezialfall ist.


    1'. Die allgemeine Situation Wotans und der Götter nach dem Verlust von Ring und Gold an Fafner, die latente Bedrohung durch Alberich(s Fluch)
    2'. Der Zwang der Verträge, der Siegmunds Tod erzwingt und damit den bisherigen Plan Wotans obige Zwangslage zu lösen, zunichte macht.


    Letzteres favorisiere ich.


    ich dachte zuerst noch man könnte auch noch


    1''. Der Zwang der Verträge, der Siegmunds Tod erzwingt und damit den bisherigen Plan Wotans obige Zwangslage zu lösen, zunichte macht.
    2''. Der Zwang, aufgrund Brünnhildes Ungehorsam noch selbst einzugreifen


    anbieten, aber das ist nicht besonders sinnvoll, da er ja Brünnhildes Tat gerade als das beschreibt, was er selbst aufgrund "zwiefacher Not" nicht tun konnte.


    Auch wenn vermutlich die Deutung als bloß verstärkendes Attribut die naheliegendste ist, so sind die buchstäblichen von "zwiefach" jedenfalls nicht unsinnig.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Siegfried
    ...
    Die beiden unterschiedlichen Worte für den gleichen Begriff entstanden durch die Stabreime (Liebe-lassen; Macht-Minne), die Wagner der besseren Merkfähigkeit wegen immer wieder verwendete.
    ...


    Das glaube ich nicht. Ich meine, Wagner verwendete dieses Formprinzip aus dem Altgermanischen um die Dichtung auch sprachlich in die weite Vergangenheit zu rücken.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Hast Du bei Liedern von Schubert oder Schumann ebenfalls den Eindruck der Unsanglichkeit? (Ich nicht ;))


    Ich schrieb ja recht unsanglich, und es ist meiner Ansicht nach auch in der Schubertschen und Schumannschen Melodiseeligkeit zu hören, dass es zuweilen Schwierigkeiten macht, der deutsche Sprache eine wirklich klangvolle Kantilene abzuringen.


    Weil ichs gerade im Hintergrund höre:


    Nehmen wir Pedrillos Arie "Frisch zum Kampfe! Frisch zum Streite". Ein schönes Beispiel für die vokalarme und mit abenteuerlichsten Konsonantenballungen gesegnete Sprache. Kampfe und Streite sind da ja sozusagen noch die aufgemotzen Wortversionen.
    Vor allem "mpf" ist ein echter Knüller. Das italienische tut sich da vor allem mit seinen regelmäßigen Vokalendungen deutlich leichter, auch ein Legato ist einfacher zu singen, wenn man nicht erst zwei mal drei Konsonanten miteinander binden muß, bevor man endlich einen Vokal zwischen die Zähne bekommt. In der Hallen-Arie des Sarastro beispielsweise müssen sich die Bässe auch mit Wörtern wie "Nicht" oder "Pflicht" abmühen, auf "Hand" und "Land" singt es sich dann hörbar leichter, wenn es darum geht, Wohlklang zu produzieren.


    Und ich habe da schon den Eindruck, Wagner hat das auch gerade bei Wortwahl und Satzbau des öfteren berücksichtigt. Der Stabreim passt dann auch musikalisch sehr gut, weil viele Wörter halt den Akzent gleich auf der ersten Silbe haben, so singen sich die Winterstürme denn auch so klangvoll. Die italienischen Endvokale ohne nachfolgenden Konsonanten haben wir halt recht selten zur Verfügung.
    Und Deine Ausführungen zum Zwiefach sind natürlich durchaus sinnvolle Spekulationen, aber es lässt sich aus meiner Sicht nicht abschließend klären. Und zu vermuten, Wagner dachte im Sinnzusammenhang an mehrfach, dichtete dann aber Zwiefach, weil es halt einfach besser im Stabreim passt, ist sicher nicht verkehrt.
    Insofern bin ich halt der Ansicht, man muss, welch Wunder, bei Wagner immer das gesamt(e) Kunstwerk im Blick haben, und die einzelnen Verse auch immer in Ihrer musikalischen Wirkung betrachten.



    Zitat


    Theophilus schrieb
    Das glaube ich nicht. Ich meine, Wagner verwendete dieses Formprinzip aus dem Altgermanischen um die Dichtung auch sprachlich in die weite Vergangenheit zu rücken.


    Peter Wapnewski weist, wie schon erwähnt, darauf hin, dass der Stabreim die den germanischen Sprachen vom Tonfall her angemessene poetischen Bindungsart sei, da sich diese Sprachgruppe durch den Initialakzent bestimme, die grundsätzlich skandierende Anfangsbetonung der einzelnen Wörter.
    Die historische Perspektive spielt aber sicher auch eine Rolle.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis
    Peter Wapnewski weist, wie schon erwähnt, darauf hin, dass der Stabreim die den germanischen Sprachen vom Tonfall her angemessene poetischen Bindungsart sei, da sich diese Sprachgruppe durch den Initialakzent bestimme, die grundsätzlich skandierende Anfangsbetonung der einzelnen Wörter.


    Da hat der Peter Wapnewski aber gut in der Schule aufgepasst... ;) Allerdings verwendet Wagner in der Ring-Dichtung keine Stabreime (darüber haben wir vor über einem Jahr schon mal an anderer Stelle diskutiert) - bzw.: er glaubte vielleicht zu staben (weil er das Strukturprinzip germanischer Langverse nicht geblickt hat), hat aber nur vor sich hin alliteriert. Der Stabreim germanischer Langverse zeichnet sich durch den Anlaut-Gleichklang der sinntragenden Worte im ersten und zweiten Teil der Langzeile aus. Beispiel »Hildebrandslied« (man achte auf den dritten Vers: das ist ganz große Stabreimkunst!):


    Hiltibrant enti Hadubrant / untar heriun tuem.
    sunufatarungo / iro saro rihtun.
    garutun se iro gudhamun, / gurtun sih iro suert ana,
    helidos, ubar hringa, / do sie to dero hiltiu ritun.



    So, im Vergleich dazu sind die von Siegfried herbeizitierten Wagnerverse eher schlicht gebaut:


    Heiligster Minne höchste Not,
    sehnender Liebe sehrende Not
    brennt mir hell in der Brust,
    drängt zu Tat und Tod


    Da gibt's zwar jede Menge Gleichklänge im Anlaut - aber wir haben es weder mit Langversen zu tun, noch ist so recht einzusehen, inwiefern die gleich anlautenden Wörter (etwa »sehnend« und »sehrend« im zweiten Vers - da stabt nix, das ist eher ein Schüttelreim) sinntragend sind. D. h. der Stabreich hat eine für die Semantik konstitutive Funktion, während Wagners Alliterationen vornehmlich klanglicher Natur sind. Deshalb müssen die Verse nicht schlecht sein - es sind aber eben keine Stabreime.


    Viele Grüße,
    medard

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  • Hallo medard,


    danke für die ausfürliche Darstellung und Aufklärung. Ich erinnere mich auch dunkel, das just jener Schulstreber Peter W. einige Absätze später (habe das entsprechende Buch von Ihm leider gerade verliehen) darauf einging, das Wagner eine recht freie Handhabung des "Stabreimes" pflegte, er sprach glaube ich gar von "asystematischem" Staben. Zurückgehen soll das vermutlich auf einen Germanisten, der für Wagner Übersetzungen anfertigte, und ebenfalls sehr frei mit den überlieferten Regeln umging.


    Gruß
    Sascha

  • Also, wenn der Wapnewski das so geschrieben haben sollte, dann hat vielleicht noch er in der Schule, allerdings wenigstens der Lektor des Werkchens (der ja auch entfernt vom Fache sein muß) nicht gut aufgepaßt.


    Von einer "vom Tonfall her angemessenen poetischen Bindungsart" und jedenfalls auch einer "skandierenden Anfangsbetonung" ist also die Rede.


    Skansion meint einfach, daß man im Vortrag (ob laut oder leise) die dynamischen Akzente gebundener Rede (seltener auch Prosa) bewußt (und oft zu didaktischen Zwecken) heraushebt. Gegenstück wäre etwa Rezitation, die die Zurschaustellung der metrischen Verfaßtheit wieder etwas einebnet zugunsten semantischer Akzente.


    Daher weiß ich nicht, was eine "skandierende Anfangsbetonung" sein soll?


    Mit dem "Tonfall" kann ich nun gar nix mehr anfangen, was meint das? Das ist in keiner mir bekannten Metrik (Verslehre) ein tt und wäre allenfalls in einer Hölderlinschen "Lehre der Töne", die sehr viel näher an Rhetorik als an Metrik ist, zu vermuten. Wie muß die "poetische Bindungsart" beschaffen sein, damit sie als "angemessen" gelten kann? Ein Wapnewski sollte sich allerdings verständlich machen können, denn davon versteht er eigentlich etwas.


    Zum Stabreim hat Klawirr uns zwar verraten, daß der Wagner das nicht geblickt hat, worin allerdings übersichtsartig seine Strukturprinzipien bestehen könnten, das muß er uns noch servieren, damit wir es uns reinziehen können!


    Ich möchte lediglich schonmal anmerken, daß es in der Tat mit reiner Konsonaten(gruppen)identiät am Wortanfang nicht sein Bewenden haben sollte. Die Sprachwissenschaft geht davon aus, daß auch den Wörtern oder Wortgruppen, die mit einem Vokal beginnen, eine Art "Knacklaut" vorangeht (hier sieht man, wie sehr man vom realisierten Vortrag auszugehen hat bei der Bewertung der prosodischen Vorkommnisse), welcher ähnliches zu leisten vermag, wie identische Konsonaten, nämlich Bindung.


    Daneben machen andere Merkmale den Stabreim aus.


    ***


    Sehr interessant fand ich Saschas Eindrücke bezgl. der partiellen Unsingbarkeit der deutschen Sprache. Niemand wird bestreiten wollen, daß da viel Richtiges daran ist. Allerdings würfe (diesen Konjunktiv verwende ich ausschließlich, wenn ich über Wagners Ring spreche) gerade in unserem Zusammenhang, der ja etwas anspruchsvoller daherkommt und nicht mit kurzen Erwägungen wie "Stimmt das Metrum?" oder "Ist es süffig?" abgefrühstückt werden kann, auch die Vokalfreudigkeit der romanischen Sprachen gewaltige, um nicht zu sagen unbemeisterbare Schwierigkeiten auf.


    Ein ewiges "A-o-i-o" und "E-i-e-a" müßte nicht nur mit dem Problem der Hiatvermeidung zurechtkommen (ein Wort endet auf einem Vokal, das folgende beginnt mit einem, dies wird zu bestimmten Zeiten in beinahe allen europäischen Poetiken als unschön empfunden), sondern auch mit einer gewissen semantischen Unterdeterminiertheit. Ein herzhaftes "mpf", vernünftig in den Wort-Ton-Zusammenhang eingebettet und gekonnt gesungen, kann hin und wieder Wunder wirken, weil es den Blick oder das Ohr auf mehr als glatten Schönklang lenkt.


    ***


    Zum "zwiefach": (Sollten wir hier nicht auf Zwielicht warten?)


    Ich kann Johannes´ Rettungsversuchen prima vista nur zustimmen. Man kann tatsächlich das "zwiefach" zumindest zwiefach motiviert erhalten und sollte redlicherweise erstmal davon ausgehen, in seinem Textdichter keinen reinen Deppen vor sich zu haben, wenn man dessen Zusammensetzungen prüft. Leider versuchen immer mehr "Besprecher", sich via solcher "Hier irrte Wagner"-Geschichten irgendwie zu profilieren, vermutlich, weil sonst bereits so viel zum Thema gesagt ist oder weil man (wie womöglich Wapnewski) noch einen Bogen vollzuschreiben hat vom Verlag aus.


    Der Rettungsversuche braucht es aber nicht einmal, wenn man mit dem Gedanken spielen möchte, Wagner als "fortschrittlich-rückwärtsgewandter Epiker" könnte Erkenntnisse der sogenannten Oral-Poetry-Theorie antizipiert und im eigenen Dichtungsvorgang "erspürt", "erahnt", "erkannt" oder was immer haben.


    Das ist vielleicht gar nicht so abwegig, wie es sich zunächst anhören mag, denn maßstabsetztende und wegweisende Publikationen zum Thema waren zur Zeit der Ringtextdichtung bereits erschienen - und Wagner hat, nicht bloß mit dem jungen Professor aus Basel, regelrechte Antikenabende abgehalten, die der Lektüre zum Teil speziellster Literatur gewidmet waren. Das Mittelalter stand bei ihm nachgerade täglich auf dem Speisezettel, und auch hier hat Wagner vor Sekundärliteratur nicht Halt gemacht. Entscheidend wäre allerdings der Bezug zur Antike, denn im Umfeld der Homerforschung ist die Oral Poetry-Theorie zuerst so richtig aufgekommen.


    Die Oral Poetry-Forschung geht von einer grundlegenden Formelhaftigkeit bestimmter Beschreibungsmittel innerhalb der frühen epischen Dichtungen der europäischen Literaturen aus. Am Beispiel der Epitheta (schmückende Beiwörter) kann man das prima deutlich machen.


    Bei Homer zum Beispiel sind alle Helden "göttlich", auch wenn gerade eine Gottheit ihren Tod beschlossen hat und sie selbst unwissend in den selben rennen. Achilleus für seinen Teil ist immer "fußschnell" (Übers. Schadewaldt), dies Epitheton hat nur er, selbst wenn er sitzt oder liegt.


    Die erstgenannten Epitheta nennt man heute "generisch", weil sie auf eine ganze Gattung (hier: homerische Helden) zutreffen, die zweitgenannten "dinstinktiv", weil sie eine Person oder Sache herausheben und von gattungsgleichen abgrenzen.


    Wichtig wird solche Unterscheidung, wenn man in alten epischen Texten (die stets von vielen Stimmen und Händen zusammengestellt und -getragen wurden) auf Widersprüche oder unerwartete Kombinationen stößt. Berühmt geworden ist ein Beispiel aus der Ilias, wo vom "hellglänzenden Mond" gesprochen wird, "um den herum die Sterne deutlich hervorscheinen".


    Das ist in diesem Kontext so nicht möglich, aber - dies die Erkenntnis, die sich immer stärker verfestigte - darauf kam es dem Dichter oder den Dichtern in dem Moment auch gar nicht an! Der Mond glänzt halt immer, das ist sein stehendes Beiwort, dadurch ist er generell charakterisiert. Und die Sterne tun das auch, das gehört sich so in festlicher Beschreibung.


    Der Widerspruch wird also gar nicht als solcher empfunden worden sein, auch vom damaligen Publikum nicht. Und dieses Strukturprinzip von epischer Dichtung, daß formelhafte Wendungen nicht zu akribisch auf ihre unmittelbaren Kontexte bezogen werden dürfen, war offensichtlich im ganzen indo-germanischen Sprachraum verbreitet, materialreiche vergleichende Darstellungen belegen das deutlich.


    Für meinen Geschmack könnte dieser Wagner nun ein so "verrückter Hund" gewesen sein, daß er diese Strukturprinzipien - neben all seiner psychischen Durchdringung, neben aller semantischen Akribie, mit der er seine Texte formte - aus den erwähnten sprachlich-metrischen Empfindungen, vielleicht sogar Erwägungen heraus zu ihrem Recht kommen und sie Eingang in seine (zumindest späteren) Dichtungen finden ließ.


    So, jetzt ist es raus.


    Ich schreibe das deshalb so ekelhaft ausführlich, um bestimmten Wagner-Widrigkeiten (bin ich jetzt ein Stabreimdichter, Medard?) einmal mit einer andern Perspektive zu begegnen, den guten Mann nicht allein aus der Poetologie des späten Neunzehnten Jahrhunderts zu verstehen, sondern sein im Ganzen sicher ernst gemeintes Unterfangen der epischen Darstellung etwas abweichend zu beleuchten. Sein Unterfangen, alte Mythen nicht allein musikalisch darzustellen, zu kommentieren und bei Bedarf sicher auch in neue Zusammenhänge zu überführen, sondern auch sprachlich eine für seine Zwecke adäquate Form herzustellen, zu der es eben Vorläufer allein in jenen Kollektivwerken gab, von denen die angeführte Oral Poetry-Forschung handelt.


    Aufs "zwiefach" zurückbezogen will ich damit zwei Dinge sagen.


    Erstens mag "zwiefach" generisch meinen, daß in mehr als einer Hinsicht Not den Cheffe zwingt. Die genaue Anzahl der Nöte spielt in dem Moment keine Rolle und es wäre auch ebenso unpoetisch wie unrealistisch (weil kontraintuitiv), von Wotan allzu philosophische Reflexionen mit genauen Pro-Contra-Listen zu erwarten - das darf nur Leporello, weil´s bei ihm gut paßt. Der germanische Gott an sich wiegt, wägt und entscheidet - ohne Erbsenzählerei, dafür ansprechend formuliert.


    Und dann ist zweitens auch gar keine keine allzu exakte Kontextsensitivität nötig, um irgendein Füllwort in den Text hineinzunehmen. Man kann von "zwiefach" sprechen nicht allein ohne eine bestimmte Anzahl, sondern sogar ohne irgendeine Anzahl mitzumeinen. Wichtig scheint mir hier zu sein, daß die Nöte den Anstrich des Unausweichlichen und nornenhaft Vorherbestimmten erhalten. Und weil "unausweichlich" oder "schicksalhaft" im Anfang ihrer Wortform nun so gar nichts Besonderes mit sich führen, mag ist in der Tat maßgebend gewesen sein, daß bei "zwiefach" und "zwang" eine (entlegene) Konsonatengruppe (ob "sangbar" oder nicht!) gewisses Aufsehen, Aufhorchen erregen kann. Der Meister wird das als nicht unschick empfunden haben. Wie ich ihn kenne.



    Alex.

  • Also auch noch mein sehrender Senf zum Thema:



    Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Zum Stabreim hat Klawirr uns zwar verraten, daß der Wagner das nicht geblickt hat, worin allerdings übersichtsartig seine Strukturprinzipien bestehen könnten, das muß er uns noch servieren, damit wir es uns reinziehen können!


    Ich möchte lediglich schonmal anmerken, daß es in der Tat mit reiner Konsonaten(gruppen)identiät am Wortanfang nicht sein Bewenden haben sollte. Die Sprachwissenschaft geht davon aus, daß auch den Wörtern oder Wortgruppen, die mit einem Vokal beginnen, eine Art "Knacklaut" vorangeht (hier sieht man, wie sehr man vom realisierten Vortrag auszugehen hat bei der Bewertung der prosodischen Vorkommnisse), welcher ähnliches zu leisten vermag, wie identische Konsonaten, nämlich Bindung.


    Daneben machen andere Merkmale den Stabreim aus.


    Hier möchte ich ganz langweilig argumentieren: Wagner hat das mit dem Stabreim aus heutiger Sicht zweifellos nicht geblickt. Man darf ihm aber erstens zugutehalten, dass die Germanistik seiner Zeit auch noch nicht so weit war - zumindest was Ludwig Ettmüller betrifft, den Wagner ja wohl überwiegend rezipiert hat.


    Zweitens hat sich Wagner selbst in Oper und Drama recht ausführlich zum Thema Stabreim geäußert. Hier behauptet er kurzer- oder eher langerhand:


    Wenn die Sprache nun solche Wurzeln nach ihrer Ähnlichkeit und Verwandtschaft zusammenstellte, so verdeutlichte sie dem Gefühle in gleichem Maße den Eindruck der Gegenstände, wie den ihm entsprechenden Ausdruck durch gesteigerte Verstärkung dieses Ausdruckes, durch welche sie den Gegenstand selbst wiederum als einen verstärkten, nämlich als einen an sich vielfachen, seinem Wesen nach durch Verwandtschaft und Ähnlichkeit aber einheitlichen bezeichnete. Dieses dichtende Moment der Sprache ist die Alliteration oder der Stabreim, in dem wir die urälteste Eigenschaft aller dichterischen Sprache erkennen. Im Stabreime werden die verwandten Sprachwurzeln in der Weise zueinander gefügt, daß sie, wie sie sich dem sinnlichen Gehöre als ähnlich lautend darstellen, auch ähnliche Gegenstände zu einem Gesamtbilde von ihnen verbinden, in welchem das Gefühl sich zu einem Abschlusse über sie äußern will.


    Wagner setzt also schlankerhand Alliteration und Stabreim gleich, Langverse und ähnliches interessieren ihn mitnichten. Das ist zwar nach heutigem (und wohl auch schon damaligem) Kenntnisstand schierer Unsinn bzw. eine hanebüchene Vereinfachung - allerdings sollte man berücksichtigen, dass Wagner keine historisch-kritische Wiederbelebung des Stabreims im Sinn hatte, sondern eine produktive künstlerische Rezeption. So wie er halt auch Beethoven produktiv rezipiert hat, obwohl dieser sich bei Wagners Ausführungen über ihn und den entsprechenden musikalischen Bezugnahmen wahrscheinlich die ohnehin schon wirren Haare gerauft hätte.


    Wenn man hier jemandem einen Vorwurf machen könnte, dann eher Wapnewski & Co, weil sie im Zusammenhang mit Wagner das Wort "Stabreim" nicht in Anführungszeichen setzen oder nicht gleich von Alliteration sprechen. Aber so schlimm finde ich das auch wieder nicht. (Abgesehen davon meide ich Wapnewskis Texte seit mindestens 15 Jahren, besonders die zu Wagner. Mit Musik hat er's so gar nicht...)


    Was allerdings dem obigen Wagner-Zitat und anderen Stellen in Oper und Drama zu entnehmen ist: Auch Wagners Stabreime konstituieren sich nach theoretischer Maßgabe ihres Autors durch ihre Sinnhaftigkeit: Gleichklang im Anlaut = semantischer Bezug (sei es eine Analogie oder eine Opposition). Sicher sind nicht alle Wagner'schen Stabr... Alliterationen "sinntragend". Aber ich behaupte mal: eine gehörige Anzahl ist es durchaus. Mit "sehnen" und "sehren(d)" habe ich gar keine Schwierigkeiten, ebensowenig mit den in der Tiefe tagenden Nibelungen, an die sich Medard bestimmt noch erinnert... :D


    Beitrag zum "Zwiefachen" (ist das nicht ein Tanz?) folgt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Beitrag zum "Zwiefachen" (ist das nicht ein Tanz?) folgt.


    Ja, sogar ein gar nicht mal uninteressanter, weil sich dort Zweier und Dreiertakt abwechseln.


    Interessant finde ich die Anmerkungen zu den epischen Epitheta und anderen Floskeln. Ich halte es auch für eine attraktive Idee, daß Wagner durch ähnliche floskelhafte Zusammenstellungen diese archaischen Züge des Helden-Epos imitieren wollte.


    off-Topic: hat es eine besondere Bedeutung, wenn beim Homer manche Götter oder Helden unterschiedliche Epitheta haben: Odysseus ist "listenreich" aber auch der "göttliche Dulder", Zeus aigisschwingend, wolkenversammelnd usw.


    Dazu kommt, daß gerade bei den Flüchen, Eiden etc. ein formelhafter Charakter ja dazugehört, es handelt sich um eine Art Zaubersprüche.


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Ich kann Johannes´ Rettungsversuchen prima vista nur zustimmen. Man kann tatsächlich das "zwiefach" zumindest zwiefach motiviert erhalten und sollte redlicherweise erstmal davon ausgehen, in seinem Textdichter keinen reinen Deppen vor sich zu haben, wenn man dessen Zusammensetzungen prüft.


    :yes:



    Zitat

    Der Rettungsversuche braucht es aber nicht einmal, wenn man mit dem Gedanken spielen möchte, Wagner als "fortschrittlich-rückwärtsgewandter Epiker" könnte Erkenntnisse der sogenannten Oral-Poetry-Theorie antizipiert und im eigenen Dichtungsvorgang "erspürt", "erahnt", "erkannt" oder was immer haben.


    Dieser Gedanke und die darauffolgenden Ausführungen sind mir sehr sympathisch, lieber Alex.


    Trotzdem möchte ich noch etwas anderes versuchen: Zu wenig beachtet scheinen mir immer die Querbezüge, die Wagner innerhalb eines Textes herstellt. Die entscheidende Stelle ist m.E. nur wenige Verse über Wotans zwiefacher Not zu finden:


    Brünnhilde:
    Nicht weise bin ich, doch wusst' ich das eine,
    dass den Wälsung du liebtest.
    Ich wusste den Zwiespalt, der dich zwang,
    dies eine ganz zu vergessen.

    Das andre musstest einzig du sehn,
    was zu schaun so herb schmerzte dein Herz:
    dass Siegmund Schutz du versagtest.


    Nun sind zwingender Zwiespalt und zwiefach zwingende Not sicher nicht ohne weiteres gleichzusetzen - eher scheint hier ein Gegensatz insinuiert. Aber der Bezug ist auffallend, zumal es um den gleichen Tatbestand (Wotans Entscheidung gegen Siegmund) mit der gleichen "entlegenen" (Alex) Konsonantengruppe geht. Und gerade die Unbestimmtheit und Nicht-Auflösbarkeit dieser Parallele hat ihren Reiz.


    Man kann das auch auf eine heißlaufende Alliterations- und Assoziationsmaschinerie schieben, bei der der Sinn schon längst irgendwo runtergefallen ist. Was ich aber ebenfalls interessant fände, wie z.B. in anderer Form beim Nachtgespräch im zweiten Tristan-Akt. Eine Art Emanzipation der Sprache vom Sinn.



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Mensch, Mensch, Mensch! Daß eine einfache, flach-positivistische Feststellung den reflexartigen Ausstoß von Plädoyers im Stile amerikanischer Strafverteidiger nach sich ziehen würde, hätte ich ja nicht vermutet. :D Zumal wir uns in der Sache allesamt doch ziemlich einig sind...


    Daher: Friede!


    Und nur damit ihr euch nicht weiter grämt: Ich habe gar nix über die Qualität der Wagnerschen Versereien (oder gern auch: seiner Dichtung) gesagt und auch nichts darüber sagen wollen. Mir ging’s allein darum festzustellen, daß das, was der Gute da macht, im Ergebnis mit Stabereimen letztlich eher wenig zu tun hat, bzw. er nur einen einzelnen Aspekt der Stabreimdichtung auf das eigene Dichtungsprinzip überträgt. Fertig.


    Daher halte ich es auch nicht für angezeigt, hier weiter lange und breite Traktate über germanische Langverse und Stabreime oder die Geschichte von Metrik und Reimschemata zu verfassen. Wem sollte dies wohl frommen, da es wenig Licht (oder eben nur in die Irre leitendes Zwielicht ;) ) auf Wagners Dichtung werfen würde? Zentrale Aspekte sind oben genannt, weiteres hat Alex ja ausgeführt und er hat mal wieder sehr, sehr recht.


    Alles was Bernd ausgeführt hat, kann ich ebenfalls unterschreiben – wobei das mit der »produktiven künstlerischen Rezeption« so eine Sache ist. Eine solche festzustellen, ist erstmal naklar wichtig und ebenfalls sehr, sehr richtig. Ich habe den »Textdichter« Richard auch weder als einen – wie der Graf das so schön formuliert hat – »reinen Deppen« darstellen, noch ihm den Vorwurf machen wollen, nicht auf der Höhe der germanistischen Forschung des Jahres 2008 gewesen zu sein (wo der Graf ihn dann irgendwie transtemporal verortet). Das ändert aber letztlich nichts an dem Befund, daß der Begriff »Stabreim« im Hinblick auf die Wagnersche Dichtung fehl geht. Denn Wagners »produktiv künstlerische Rezeption« führt im Ergebnis eben ganz klar von der Stabreimdichtung weg. Ein sechshebiger trochäischer Vers ohne Zäsur mag zwar aus einer »produktiv künstlerischen Rezeption« des Alexandriners abgeleitet sein – das macht diesen Vers selbst aber immer noch nicht zu einem ebensolchen. Das Ergebnis dieser »produktiv künstlerischen Rezeption« ist nichtmals eine »freie Handhabung« des Alexandriners, sondern ganz einfach: es ist keiner. Darum brauchen wir doch nun wirklich nicht streiten, oder?


    Einig sind wir uns auch, daß Wagners Verse sich nicht in blind-schematischem Alitterationsgeklapper erschöpfen. Auch habe ich nicht behauptet, daß seine Alitterationen grundsätzlich nicht »sinntragend« sind – ich habe nur festgestellt, daß sie nicht grundsätzlich »sinntragend« sind.


    Mit »sehnen« und »sehren« habe übrigens auch ich keine Probleme – es stabt nur einfach nicht richtig. Über die in den »Tiefen tagenden Nibelungen«, an die ich mich naklar gut und auch gern erinnere ;) , hatten wir uns ja schon verständigt.


    Ihr seht: ich bin einsichtig!


    Viele Grüße,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Mensch, Mensch, Mensch! Daß eine einfache, flach-positivistische Feststellung den reflexartigen Ausstoß von Plädoyers im Stile amerikanischer Strafverteidiger nach sich ziehen würde, hätte ich ja nicht vermutet. :D Zumal wir uns in der Sache allesamt doch ziemlich einig sind...


    Och, wir waren doch ganz sachlich und unpolemisch. Wenn sich eingefleischte Wagnerianer (wie Fairy oder Paul) auf Dich gestürzt hätten, würde das ganz anders aussehen... :D


    Ja, die "produktive Rezeption" ist sicher ein sehr weitgefasster und manchmal auch recht unspezifischer Begriff. Ab jetzt spreche ich bei Wagner nur noch von Alliteration und nicht mehr von Stabreim, versprochen!



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Och, wir waren doch ganz sachlich und unpolemisch.


    Ja, schon. Aber ich war grade halt mal ein bißchen unsachlich und polemisch... :D


    Zitat

    Wenn sich eingefleischte Wagnerianer (wie Fairy oder Paul) auf Dich gestürzt hätten, würde das ganz anders aussehen... :D


    :untertauch:


    Zitat

    Ja, die "produktive Rezeption" ist sicher ein sehr weitgefasster und manchmal auch recht unspezifischer Begriff. Ab jetzt spreche ich bei Wagner nur noch von Alliteration und nicht mehr von Stabreim, versprochen!


    Ach, wie heißt das so treffend in der Werbung des Möbelhauses Ostermann: Mach doch was Du willst! ;)


    Aber im Ernst: das mit der positiven Rezeption des Stabreims bei Wagner sehe ich ja genauso (haben wir doch tatsächlich schonmal vor längerer Zeit drüber diskutiert, oder?). Und ich hab‘ eigentlich auch nix gegen den Begriff »Stabreim« in diesem Zusammenhang - aber naklar in Anführungszeichen. ;)


    Mich ärgert eigentlich nur der Peter Wapnewski, der es besser wissen müßte: der Mann ist bekanntlich Germanist und hatte über Jahrzehnte verschiedene Lehrstühle für Mediävistik inne. Der sollte in jedem Fall blicken, was es mit dem Staben auf sich hat und der kann in seinen Publikationen doch nicht einfach einen solch' halbgaren Krempel verzapfen, wie ich das etwa hier im Forum mache... :D


    Viele Grüße,
    Medard

  • Lieber Bernd, lieber Johannes,


    ihr habt es sehr schön auf den Punkt gebracht (um den ich noch ein wenig rumgelabert habe).


    Zunächst einmal: Der arme Wapnewski!


    Dann:


    Zitat

    Original von Zwielicht
    ...allerdings sollte man berücksichtigen, dass Wagner keine historisch-kritische Wiederbelebung des Stabreims im Sinn hatte...


    Das trifft auch in meinen Augen den Kern der Sache. Die Ergebnisse einzelwissenschaftlicher Forschung (der Zeit) zur Kenntnis zu nehmen und sie ins Werk einfließen zu lassen oder eben auf ihrer subjektiv selektierten Basis ein neues Werk zu erstellen, sind zwieerlei Dinge. Bekanntlich waren über die Jahrhunderte hinweg die wissenschaftlich getreuen Nachschöpfungen (Stichwort: Professorenlyrik) nie die interessanten und wirkungsmächtigen.


    Wichtig auch das Zitat, daß Du aus OuD beigebracht hast, Bernd.


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    ...daß Wagner durch ähnliche floskelhafte Zusammenstellungen diese archaischen Züge des Helden-Epos imitieren wollte.


    Ja, Du hast es angenehm knapp formuliert! Selbstverständlich - ich glaube, da sind wir uns alle einig - kann es mit bloßer Imitation nicht sein Bewenden haben (s. Bernds Beiträge). Gerade solche Amalgamierungsprozesse scheinen mir nicht das Uninteressanteste an Wagners Textoeuvre zu sein, wiewohl sie denkbar dürftig untersucht sind. Es existiert viel mehr Literatur zu den inhaltlichen Anleihen und Wagners Adaptionen des mythischen Figurenbestandes als zu seiner Dichtungstechnik. Man meint (wieder der arme Wapnewski!), mit Schlagwörtern wie "Stabreim" bereits alles erhellt zu haben, und hat noch nicht einmal dieses begrenzte Phänomen der metrischen Regulierung vernünftig erfaßt...


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Zu wenig beachtet scheinen mir immer die Querbezüge, die Wagner innerhalb eines Textes herstellt.


    Allerdings. Absolut plausibel, Deine Bezüge.


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Man kann das auch auf eine heißlaufende Alliterations- und Assoziationsmaschinerie schieben, bei der der Sinn schon längst irgendwo runtergefallen ist. [...] Eine Art Emanzipation der Sprache vom Sinn.


    Jetzt wirst Du aber selbst poetisch ;)! Ich vermute, daß Wagner die Gefahren seiner Dichtungstechnik und der allfälligen Alliterationen (na, ist das ne hübsche?) wohl gesehen haben dürfte. Wenn scheinbar unbedeutende Wörter staben, dann sollte man erstmal prüfen, ob sie nicht auf einen zweiten Blick mehr zu sagen haben könnten. Dies steht m.E. nicht im Gegensatz zu den von mir ins Spiel gebrachten formelhaften Entlehnungen aus der mündlich verfaßten frühen Epik.


    Immerhin schreibt da jemand im mittleren und ausgehenden Neunzehnten Jahrhundert, bedient sich allerdings des Inhalts (auch dies beileibe nicht unmodifiziert) und gewisser Formen weit früherer Epochen. Psychische Durchdringung und formelhafte Anleihe koexistieren in Wagners sprachlichem Werk. Diese fruchtbare Spannung sollte man stets präsent haben, wenn man sich über textliche Belange Wagners Gedanken machen möchte.



    Alex.

  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl
    Ich vermute, daß Wagner die Gefahren seiner Dichtungstechnik und der allfälligen Alliterationen (na, ist das ne hübsche?) wohl gesehen haben dürfte. Wenn scheinbar unbedeutende Wörter staben, dann sollte man erstmal prüfen, ob sie nicht auf einen zweiten Blick mehr zu sagen haben könnten. Dies steht m.E. nicht im Gegensatz zu den von mir ins Spiel gebrachten formelhaften Entlehnungen aus der mündlich verfaßten frühen Epik.


    Immerhin schreibt da jemand im mittleren und ausgehenden Neunzehnten Jahrhundert, bedient sich allerdings des Inhalts (auch dies beileibe nicht unmodifiziert) und gewisser Formen weit früherer Epochen. Psychische Durchdringung und formelhafte Anleihe koexistieren in Wagners sprachlichem Werk. Diese fruchtbare Spannung sollte man stets präsent haben, wenn man sich über textliche Belange Wagners Gedanken machen möchte.


    Wir haben genau dies schon mal in diesem Thread andiskutiert und zwar ungefähr ab hier abwärts.


    Viele Grüße,
    Medard

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  • Zitat

    Original von Graf Wetter vom Strahl


    Ein herzhaftes "mpf", vernünftig in den Wort-Ton-Zusammenhang eingebettet und gekonnt gesungen, kann hin und wieder Wunder wirken,


    Alex.


    Und wer, so frage ich auch in Kenntnis der Person des sich Äußernden, wer könnte dies allein in Vollendung sanglichen? Wes Bild entsteht dem sinnlichen Hörer in akustischer Phantasie? Das "mpf" gebunden und dennoch triolisch zum Klingen zu bringen ist Krönung eines orphischen Lebens- und Gesamtkunstwerks und allein dem Höchsten vorbehalten.


    So sorry, Stabübergabe

  • Zitat

    Original von Klawirr
    Wir haben genau dies schon mal in diesem Thread andiskutiert und zwar ungefähr ab hier abwärts.


    Hojotoho, Entschuldigung, daß ich Tamino noch immer nicht auswendig kann! :D
    Da war ich doch noch gar nicht auf der Welt. Wenn auch zu allem immer zwanzig Threads existieren...! :boese2:


    Lese mich mal ein.



    Alex.

  • Zitat

    Original von Il Grande Inquisitore


    Und wer, so frage ich auch in Kenntnis der Person des sich Äußernden, wer könnte dies allein in Vollendung sanglichen? Wes Bild entsteht dem sinnlichen Hörer in akustischer Phantasie? Das "mpf" gebunden und dennoch triolisch zum Klingen zu bringen ist Krönung eines orphischen Lebens- und Gesamtkunstwerks und allein dem Höchsten vorbehalten.


    So sorry, Stabübergabe


    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Cathy Berberian sang in "Stripsody" sogar ein göttliches "Grrrrrmmpf", leider, so weit ich weiß, aber nie Wagner. Schade -wäre sicher interessant gewesen.


    Weia, wehe, total Tamino untaugliches O.T.,


    :untertauch: Matthias

  • Ich lese meine Reclam Textausgabe gerade das 3te Mal in Folge und kann vom satten Text gar nicht genug bekommen. Ob Stabreim oder nicht, der Text glüht vor Sinnlichkeit zwischen Siegmund und Sieglinde, vor Enthusiasmus bei Brünhilde und vor Selbstgefälligkeit bei Wotan.


    Mir gefallen auch die kurzen präzisen Szenenbeschreibungen und Regieanweisungen.


    Mir gefällt der Text (fast) so gut wie die Musik auch wenn es natürlich ein Frevel ist, dies nicht als Gesamtkunstwerk zu sehen... :-)


    Scherz beiseite. Wagner hat den Text schon als eigenes Werk begriffen und recht hatte er!


    Gibt es eigentlich lesbare und lesenswerte Werkanalysen?

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