Lullist, sorry, daß ich da drauf rumhacke, ich bin ja sehr dafür, daß auch "erfrischende" Positionen zu Wort kommen und nicht niedergebrüllt werden sollten. Aber dein Widerruf ist tatsächlich ebenso wertlos wie die Polemik vorher (die wie gesagt, offtopic war, da es um die Nachwirkung ging).
Du hast dich jetzt 15 oder so Jahre intensivst mit (besonders französischer) Barockmusik befaßt, vielleicht vier Jahre mit anderer Oper, hauptsächlich der Klassik und vielleicht etwa ebensolang mit Beethoven und den anderen Wiener Klassikern. Daß Du Beethoven mit anderen Ohren hörst und vielleicht zu etwa eigenartigen Ergebnissen kommst, ist mit diesem Hintergrund vermutlich nachvollziehbar. So ähnlich wie ich nach 20 Jahren Beethoven und 5 Jahren mit sporadischen Versuchen französische Barockmusik (von ein paar Ausnahmen abgesehen) immer noch außerordentlich langweilig finde. Was sicher ein nicht ausreichend informiertes und daher unfaires Urteil ist, daher äußere ich mich auch eher selten dazu.
In einem solchen Fall ist es einfach besser, man unterhält sich weiter, wenn Du nochmal 10 Jahre Beethoven gehört hast (und ich 10 Jahre Rameau oder Lully)
Denn genauso wie eine Polemik von mir gegen franz. Barock (indem ich etwa versuchte zu erhärten, daß diese Musik einfach langweiliger sei als Händel oder Vivaldi) auf ziemlich wackligen Füßen stünde, sieht es mit deinen Bemerkungen wie der zu Arriaga aus. Ein begabter, meinetwegen genialer Klassizist, der hätte ein zweiter Boccherini oder ein spanischer Mendelssohn werden können. Aber abgesehen davon, daß er eine Generation jünger war, sicher kein Konkurrent für Beethoven.
Es gibt aber eben auch in einer "weichen" Wissenschaft wie der Musikgeschichtschreibung ein paar harte Fakten. Einer davon ist der tatsächliche, sowohl zeitnahe als auch fortdauernde Einfluß Beethovens auf fast alles, was später kam. (Ausnahmen wie ziemlich viel Oper und Chopin ändern daran nichts). Schon Zeitgenossen wie ETA Hoffmann sahen Beethoven in ähnlicher Weise überragend wie wir heute und für jüngere Komponisten wie Schumann oder Mendelssohn scheint seine Stellung schon beinahe eine Selbstverständlichkeit gewesen zu sein. (Während Berlioz seinen Favoriten gegen franz. "Akademiker" wie Fetis verteidigen mußte.) Diese Reaktionen der Musiker sind ebenso gut dokumentiert wie die offensichtlichen Einflüsse Beethovens auf ihre Musik. Das alles ist völlig unabhängig von der gleichzeitigen oder späteren nationalistischen Heldenverehrung.
Es ist auch unbestritten, daß der elan triomphal usw. Einfluß auf Beethoven hatte und im Falle des Fidelio (wobei ich da nicht weiß, ob das nicht hauptsächlich das Sujet betrifft) französische Opern ausdrückliche Vorbilder waren. Daß die Leistung Beethovens in seiner Unabhängigkeit von Einflüssen bestünde, hat auch niemand behauptet (die "Abhängigkeiten" des Fidelio von Mozart sind ebenfalls anerkannt). Man sollte aber auch nicht ganz vergessen, daß Beethoven sich in Wien zuerst als Pianist und mit Klavier- und Kammermusikwerken durchsetzen konnte, bevor er überhaupt eine Sinfonie schrieb, die gewiß auch französische Einflüsse aufgreift. Und hierfür, wie für seinen Stil insgesamt dominieren einfach die Einflüsse Haydns und Mozarts (und gewiß auch noch anderer wie Clementi)
Achtungsbezeigungen wie die gegenüber Cherubini sollte man überdies vor dem Hintergrund sehen, daß Beethoven sich bekanntlich extrem schwer mit Fidelio (teils auch aus Gründen, die nicht an ihm lagen) getan hatte und von daher Respekt gegenüber einem "ernsten" Opernkomponisten zeigte, der auf diesem Gebiet erfolgreicher war.
JR