Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9

  • Ich habe irgendwo mal gehört, daß Tschaikowskys 6. tatsächlich eine Inspiration gewesen sein soll. Die Parallele erstreckt sich hier darauf, daß beide Mittelsätze Scherzo-Charakter haben, der erste ein mäßig schneller Tanz, der zweite sehr schnell und im geraden Takt.
    Aber es stimmt natürlich, daß Mahlers 2. und 3. auch schon mehrere Scherzo-Sätze haben. Langsame Finali sind zugegeben vorher sehr ungewöhnlich und selten. Nun sind aber auch Bruckners Finalsätze schon nicht unbedingt schnell und auch der von Mahlers 2. umfaßt sehr unterschiedliche Tempi. Außer zwei Kuriositäten bei Haydn (Abschiedssinfonie und Quartett op.54,2) könnten auch Beethovens späte Sonaten op.109 und 111 als Beispiele genannt werden, wie ein langsamer Satz ein Werk abschließen kann.


    Ein rondo-artiger Satz als Finale ist bei Mahler jedenfalls auch nur in modo ironico möglich wie in 5 und 7. Die Burleske hat aber wieder anderen Charakter, sie ist für mich als Finale undenkbar.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,


    jetzt greife ich doch noch einmal unsere Meinungsverschiedenheit zur Maderna-Aufnahme auf, weil ich gerade im Thread "Die Besten von Mahler" gesehen habe, dass du Madernas Aufnahme auch dort nennst - wie ich finde, zu Unrecht.


    Kurz nach deiner Replik habe ich mir die Aufnahme noch einmal mit der Partitur in der Hand genauer angehört. Ein Aspekt ist mir besonderes aufgefallen. Ich vermute, neben den bereits genannten Eindrücken ist vor allem er es, der mir das Gefühl gibt, dass insbesondere im zweiten Satz die richtige Stimmung fehlt und mir die Aufnahme vergällt: Die Holzbläser sind kaum zu hören (abgesehen natürlich von exponierten Stellen).


    Selbst beim Mitlesen fragte ich mich des öfteren, wo denn nun z. B. die Flöte geblieben ist. Eben weil die Holzbläser klanglich untergehen, fehlt der Aufnahme für mein Empfinden wesentlich an Farbe - ein klanglicher Aspekt! Sicher ist es unfair, Madernas Aufnahme mit der in Punkto Durchhörbarkeit vorbildlichen Aufnahme von Chailly zu vergleichen, aber diesbezüglich liegen Welten zwischen beiden (womit ich nicht sagen will, dass ich Chailly insgesamt gesehen besser finde, dazu müsste ich nochmals vergleichend hören). Und wenn es um die beste Neunte geht, sind die Maßstäbe eben hoch.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Wenn man sich durch verschiedene "Referenzlisten" liest, dann trifft man sehr selten auf den Namen James Levine. Seinen Aufnahmen (bzw. Konzerten) haftet oft der Beigeschmack des "Beliebigen" an.


    Ein vollkommen anderes Gefühl empfängt man, wenn man seine Aufnahme von Mahlers 9. hört:




    Man muß allerdings bereit sein, sich auf sehr langsame Tempi einzulassen, denn mit knapp 94 Minuten Spielzeit übertrifft er alle mir bekannten Aufnahmen und benötigt ca. sechs Minuten mehr Zeit als Giulini und ein Viertelstündchen mehr als Gielen (1990): 29'13'', 16'59'', 14'51'' und 32'27'' (inkl. Schlußapplaus).


    Die erste angenehme Überraschung empfängt einen schon nach den ersten Takten: Levine läßt das bestens aufgelegte Orchester in deutscher Orchesteraufstellung spielen. Erwähnenswert ist diese Tatsache nicht nur deswegen, weil die antiphonale Aufstellung der Violinen nicht nur bei Mahler einen hörbaren Transparenzgewinn bewirkt, sondern insbesondere deswegen, weil die deutsche Orchesteraufstellung bei einem amerikanischen Dirigenten noch seltener anzutreffen ist als bei einem europäischen. Die Wahl der Orchesteraufstellung zeigt, daß sich Levine Gedanken zur Aufführung gemacht hat.


    Bruno Walter schrieb über die 9. Sinfonie: "Der Titel des letzten Gesanges (aus dem Lied von der Erde), "Der Abschied" könnte über der Neunten stehen. Aus der gleichen Stimmung geboren (...) ist der erste Satz eine tragisch erschütternde, edle Paraphrase des Abschiedsgefühls geworden. Ein einzigartiges Schweben zwischen Abschiedswehmut und Ahnung des himmlischen Lichts - und nicht ein Schweben der Phantasie, sondern des unmittelbaren Gefühls - hebt den Satz in eine Atmosphäre höchster Verklärtheit."


    Genau diese Verklärtheit verdeutlicht Levine mustergültig. Er sucht nicht nach Gegensätzen, Dissonanzen und Konflikten. Für ihn sind, um in der Metaphorik zu bleiben, die "Kämpfe des Lebens" schon gekämpft. Der letzte Satz des Beihefts drückt die Grundstimmung der Sinfonie für mich sehr gut aus: "Aber der "wahre Gott", so heißt es in der Bibel, zeigt sich nicht in Sturm und Erdbeben, sondern im leisen Windhauch..." (Richard Eckstein)


    So darf es nicht verwundern, daß der 3. Satz, die trotzige Rondo-Burleske, sehr "gezähmt" daher kommt. Aber verinnerlichter als bei Levine kann man sonst den ersten Satz kaum hören. Er vermeidet grelle Überzeichnungen, sondern verleiht dem Satz eine warmherzige Grundstimmung. Das hervorragend aufspielende Orchester folgt seinem damaligen Chefdirigenten mit großem Detailreichtum uns spürbarem Engagement.


    Das Schlußadagio in Worte zu fassen ist nicht einfach. Auch wenn Levine hier über zehn Minuten länger braucht als Gielen, wird der Spannungsbogen vom ersten bis zum letzten Takt durchgehalten. Durch Vermeidung gefühlsmäßiger Extreme (siehe Bernstein), sondern fast schon mit kammermusikalischer Akribie und Zurückhaltung (entliehen Ben Cohrs' Rezension, aber treffender kann man den Satzcharakter kaum beschreiben) schafft Levine eine Atmosphäre des "friedlichen Dahinscheidens".


    Ob dieses "friedliche Dahinscheiden" Mahlers Gefühlswelt und Biographie enstpricht, mag jeder für sich selbst entscheiden.


    Wer Giulinis oder Karajans (Live-Aufnahme) Klangästhetik schätzt, der wird an Levine ebenfalls große Freude haben, wer "Bernsteins Abgründe" suchen und finden mag, der wird Levines Deutung wohl als Fehlinterpretation sehen.


    Der schon erwähnte Ben Cohrs zählte diese Aufnahme zu seinen "persönlichen Top Five" "http://www.klassik-heute.de/kh/3cds/20040802_15494.shtml"

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • ich habe die Münchner Wiedergabe als Radiomitschnitt vor Jahren gehört und wurde nicht recht warm mit dieser Wiedergabe. Das gilt - nebenbei - für alle Levine Wiedergaben von Mahler, die mir als Radiomitschnite vorliegen. Es sind nicht nur die langsamen Tempi, die mir in dieser Art + Weise fremd sind. Mir fehlt der Biß bei Levines Mahler-Lesart. Das ist mit den BSO nicht anders. Will sagen, es fetzte bisher nicht bei Levine mit Mahler.
    Allerding bin ich ein großer Verehrer von Levine: Sein Einsatz z.B. für die NWS, Wagner, Don Carlos, Fidelio, Brahms 2. Serenade.... da gibt es manche Levine-Radiomitschnitte, die bisher kaum von anderen erreciht wurden.
    Mahlers 9. ist nach meiner Erfahrung orchestral eigentlich nicht so schwer zu realisieren wie z.B. Mahlers 6. oder 5.
    Bernsteins letzte Mahler 9 - und für mich seine Beste und einer der besten überhaupt (mit Ausnahme des 4. Satzes) Aufnahme mit den Convcertgebouwest hat im 1. Satz auch sehr langsame Tempi, aber dem Hörer stellt sich dennoch niemals der Eindruck ein, es würde verschleppt werden. Lenny nimmt den 1. Satz sogar langsamer als Levine. Außerdem klingt bei Lenny der 1. Satz außerordentlich transparent, in manchen Passagen wie Kammermusik..
    Gielen hatte am 30.06.03 (Radiomitschnitt) den 2. Satz am Anfang quasi im Zeitlupentempo gespielt. Dadurch wird dessen Wirkung noch beklemmender....
    Ist Mahlers 9. seine persönlichste Sinfonie ? Ja + nein. Bei "persöhnlichster"kommt etwas Unbehagen auf. Der Gehalt, die Message der 9. Sinfonie reduziert sich nicht auf bloße subjektive Befindlichkeiten von Mahler (obwohl das sicher nicht vom Tisch zu weisen ist), sondern sie verweist auch auf Objektives, Kollektives, Gesellschaftliches ...
    Interessant ist, dass ich bisher - beim Schluss des 1. Satzes (Takt 453)- nur bei Lenny (mit den Concertgebouwest) das pizz + Flag der Streicher richtig deutlich höre. Das klingt, als würde was zerbrechen.....


    Noch ein Tipp aus dem Radiothread:


    RBB Samstag 24.01.09 20:04 bis 23:00
    Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9 D-Dur
    Aufnahme vom 28.9.2007 in der Berliner Philharmonie
    Leitung: Herbert von Karajan
    Aufnahme vom 01.05.1982 2. Festkonzert zum 100-jährigen Jubiläum des Berliner Philharmonischen Orchesters




    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    ich habe die Münchner Wiedergabe als Radiomitschnitt vor Jahren gehört und wurde nicht recht warm mit dieser Wiedergabe. Das gilt - nebenbei - für alle Levine Wiedergaben von Mahler, die mir als Radiomitschnite vorliegen. Es sind nicht nur die langsamen Tempi, die mir in dieser Art + Weise fremd sind. Mir fehlt der Biß bei Levines Mahler-Lesart. Das ist mit den BSO nicht anders. Will sagen, es fetzte bisher nicht bei Levine mit Mahler.


    Hallo Amfortas08,


    "Biß" wird man in der Tat nicht bei Levines Interpretation der 9. finden.
    Mir ging es beim ersten Hören kaum anders als Dir: Langsam war für mich gleichbedeutend mit langweilig. Beim zweiten Hören hingegen ließ ich mich auf Levines Konzept ein, hört quasi vorurteilsfrei und kam zu oben beschriebenen erfreulichen Ergebnissen.


    Levine interpretiert Mahler im gewissem Sinne "einseitig", weil er nach dem "Schönen im Sterben" sucht (und es findet; siehe auch Giulinis und Karajans Aufnahmen). Er beleuchtet eine Facette, aber nicht nur Mahlers 9. verträgt mehrere Interpretationen.



    Zitat

    Mahlers 9. ist nach meiner Erfahrung orchestral eigentlich nicht so schwer zu realisieren wie z.B. Mahlers 6. oder 5.


    Weswegen? Karajan beweist das Gegenteil ;) .


    Ich erlaube mir wieder einmal Bruno Walter zu zitieren: "In Anlage, Satztechnik und Polyphonie setzt die Neunte die Linie der Fünften, Sechsten und Siebten fort; aber die intensivste seelische Bewegtheit steht hinter ihr: das Gefühl des Scheidens."


    Einen Mahler spielt man nach meiner Meinung "nicht einfach herunter". Man muß schon bereit sein, sich auf Mahlers kompliziertes Seelenleben einzulassen, um seine Werke adäquat zu interpretieren.


    Ich kann nicht erkennen, daß dieses Vorhaben bei der 9. leichter fällt als bei der 5. oder 6.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    "Ich kann nicht erkennen, daß dieses Vorhaben bei der 9. leichter fällt als bei der 5. oder 6. "
    ich habe die "quantitative" Erfahrung, dass es bei bisherigen Radiomitschnitten die M9 häufiger sinnvoll wiedergegeben wird als M6 oder M5. Vor allem der 4, Satz bei M6 wird oft verfehlt; auch leider bei - dem sonst von mir sehr verehrten - Levine (zuletzt 2008 imit dem BSO; dass der 4. Satz von M6 sinnvolll wiederzugeben ist, zeigten 2008 MTThoms, Haitink (PROMS) und Auguin in Hannover :jubel::jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:).
    M9 wird sogar von "ubekannteren" Orchestern sinnvoll wiedergegeben (manchmal besser als mit "bekannten Orchestern) z.B. durch Ruzicka am 29.05.05 durchs Kasseler Staatsorchester (HR2)
    Karajans M9 - da habe ich die geleiche Erfahrung wie andere Forianer - gelingt M9 besser als m6 und M5. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Mahler für ihn ein eher fremder Kompionist ist...
    Ih bin aber trotzdm auf den RBB-Karajan-Mitschnitt gespannt, weil M9 dann nicht zerstückelt ist, wie in der kommerziellen CD.
    "Einen Mahler spielt man nach meiner Meinung "nicht einfach herunter"."
    das gilt doch für alle Musik.
    "Ich erlaube mir wieder einmal Bruno Walter zu zitieren: "In Anlage, Satztechnik und Polyphonie setzt die Neunte die Linie der Fünften, Sechsten und Siebten fort; aber die intensivste seelische Bewegtheit steht hinter ihr: das Gefühl des Scheidens."
    Man muß schon bereit sein, sich auf Mahlers kompliziertes Seelenleben einzulassen, um seine Werke adäquat zu interpretieren."

    Sicherlich ist diese Br-Walter-Anmerkung triftig, aber ich betone noch1-mal, weil es wichtig ist: Mahler Werk erschöpft sich nicht seiner subjektiven Befindlichkeit, sondern verweist auf Objektivität, auf Gesllschaftliches und sogar das "Gefühl der Scheidens" ohne irgend welche ideologisch-affirmative Zuflucht/Metaphysik/Reservat ist eine objektive Erfahrung (subjektiv vermittelt) in Mahlers Werk...

    :hello:

  • Zitat

    Original von Amfortas08
    Hallo Norbert,


    "Ich kann nicht erkennen, daß dieses Vorhaben bei der 9. leichter fällt als bei der 5. oder 6. "
    ich habe die "quantitative" Erfahrung, dass es bei bisherigen Radiomitschnitten die M9 häufiger sinnvoll wiedergegeben wird als M6 oder M5. Vor allem der 4, Satz bei M6 wird oft verfehlt; auch leider bei - dem sonst von mir sehr verehrten - Levine (zuletzt 2008 imit dem BSO; dass der 4. Satz von M6 sinnvolll wiederzugeben ist, zeigten 2008 MTThoms, Haitink (PROMS) und Auguin in Hannover :jubel::jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:).


    Hallo Amfortas08,


    okay, Du magst andere Erfahrungen gemacht haben als ich, sei's drum.


    Gerade im vierten Satz von Mahlers 6. Sinfonie habe ich sehr viele, sehr gute, sehr unterschiedliche Interpretationen/Aufnahmen kennengelernt. Z.B. Soltis rhythmisch-strenge, brutale Deutung, Kubeliks "psychologische Zuspitzung (Audite) oder Leinsdorfs Ansatz, die Musik einfach fließen zu lassen ohne etwas hineinzuinterpretieren.




    Zitat

    Karajans M9 - da habe ich die geleiche Erfahrung wie andere Forianer - gelingt M9 besser als m6 und M5. Allerdings habe ich den Eindruck, dass Mahler für ihn ein eher fremder Kompionist ist...


    Gäbe es nur die Studioaufnahmen (auch die der 9.), so würde ich zustimmen.


    Zitat

    Sicherlich ist diese Br-Walter-Anmerkung triftig, aber ich betone noch1-mal, weil es wichtig ist: Mahler Werk erschöpft sich nicht seiner subjektiven Befindlichkeit, sondern verweist auf Objektivität, auf Gesllschaftliches und sogar das "Gefühl der Scheidens" ohne irgend welche ideologisch-affirmative Zuflucht/Metaphysik/Reservat ist eine objektive Erfahrung (subjektiv vermittelt) in Mahlers Werk...

    :hello:


    Okay, alle Klarheiten beseitigt ;) .
    Der Tod ("das Gefühl des Scheidens") ist objektiv, zweifelsfrei, aber wie Du schon selbst schreibst: Mahler vermittelt objektive Erfahrungen subjektiv. Wie auch sonst kann Musik entstehen und bestimmte Gefühle vermitteln?


    Das bedeutet nicht, daß man Mahler nur dann "verstehen kann", wenn man ähnliches durchlebt hat wie er, aber ebenso ist seine Biographie, sein Erleben und die Verarbeitung des Erlebens in der Musik ein Schlüssel zum Verständnis Mahlers.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert


    aber ebenso ist seine Biographie, sein Erleben und die Verarbeitung des Erlebens in der Musik ein Schlüssel zum Verständnis Mahlers.


    da habe ich gegensätzliche Erfahrungen. Wichtigsten Gründe
    1.) Mahlers Werk erschöpft sich nicht in dem was der Künstler wolllte oder was er hineingepumpt hat, sondern das Werk ist mehr als die Absichten/Intentionen des Komponisten. Schon die Auseinandersetzung mit dem vorgegebenen musikalischen Material zwingt den Komponisten zu Lösungen/Fragen die außerhalb der subjektiven Kontingenz/Erlebens liegen.
    2.) bestimmte biographische Erlebnisse können ein Auslöser/Ansporn/Anregung für bestimmte Kompositionen haben. Das sagt aber nichts etwas über den Wahrheitsgehalt des Kunstwerkes aus.
    (mir erzählte mal jemand, dass B. Brecht den deutschen Idealismus als eine Reaktion auf die schmähliche Hofmeisterstellung deren Vertreter gedeutet hat: auch hier würde ich entgegnen, sowas mag ein Ansporn für die "Idealisten" sein, sagt aber nichts über den Unwahrheits- bzw. den Wahrheitsgehalt des deutschen Idealismus aus.)


    Gäbe es nur die Studioaufnahmen (auch die der 9.), so würde ich zustimmen.
    Ja vermutlich (ich gehöre nicht zu den automaztischen Karajan-Verächtern) + deshalb interessiert mich auch der Mitschnitt von M9 unter HvK von RBB Kultur. Bin sehr gespannt drauf.


    :hello:


    Anlage


    hab ich eben entdeckt + programmiert:


    Montag, 05.01.2009 SWR 2 ab 20:00


    Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 2 c-moll


    Chor der Staatlichen Hochschule
    für Musik und Darstellende Kunst Mannheim
    Landesjugendchor Rheinland-Pfalz
    Simón Bolívar Youth Orchestra of Venezuela
    Janice Watson (Sopran)
    Jane Henschel (Alt)


    Leitung: Gustavo Dudamel


    Konzert vom 9. September 2008 in der Friedrich-Ebert-Halle Ludwigshafen

  • Wie heißt es doch so schön in einem Sprichwort: "Klappern gehört zum Handwerk". Ich gestehe, ich bin ein Freund von gesundem Selbstbewußtsein und war entsprechend angetan, als ich bei meiner Neuerwerbung




    lesen durfte, es handele sich bei diesem Mitschnitt eines Konzerts vom 05.09.2008 um "der vielleicht erste seit etwa siebzig Jahren, der die Klangwelt wiederherzustellen versucht, die für Mahler beim Komponieren der Sinfonie in den Jahren 1909/10 selbstverständlich gewesen ist."


    Man liest des Weiteren vom "reinen (= vibratolosen) Ton" und davon, eine "ergreifende Ehrlichkeit und einen Realismus" zu hören zu bekommen, die "man seit 1938 (= Bruno Walters hier schon erwähnte Live-Aufnahme) nicht mehr gehört hat".


    Oh Mann, wie bringt man das nur Karel Ancerl, Michael Gielen, Carlo Maria Giulini u.a. bei, daß sie sich bei ihren imo hervorragenden Aufnahmen nur einen Irrtum erlaubt haben??? ;)


    Nebenbei, wer Gielen kennt, der erhört keine signifikanten Unterschiede in der Klangkultur des Orchesters, sehr wohl aber gewaltige Unterschiede in der Deutung von Mahlers letzter vollendeten Sinfone und das, um das Ergebnis vorweg zu nehmen, wie so häufig, zu ungunsten von Norrington.

    Nicht zum ersten Mal, wenn uns Norrington die Sichtweise des eingespielten Werkes vorträgt, habe ich das Gefühl, daß er ein besserer Theoretiker als Dirigent ist...


    Der erste Satz wird dem Satzcharakter "Andante comodo" imo gut gerecht. Norrington läßt sich Zeit, aber erreicht weder Gielens "röntgenologische" Sichtweise oder Bruno Walters Introvertiertheit.


    Den zweiten Satz beschreibt Norrington als "ironischen Ländler", in dem "vielleicht hin und wieder mit Gevatter Tod" getanzt wird.
    So schön, so gut, bloß davon ist nichts zu hören. Ich höre keinen "gemächlichen Ländler", erst recht keinen "etwas täppischen und sehr derben". Der Satz ist einfach nur schnell und leichtgewichtig. Wie schon bei der vierten Sinfonie fehlt Norrington nach meiner Meinung der Sinn für Doppeldeutigkeit und derber Ironie, schlichtweg für Mahlers stellenweise vorhandenen Hang zu grell überzeichneten Gefühlen.


    Ein ähnliches Gefühl der Leichtgewichtigkeit umgibt auch den dritten Satz. Norrington selbst betont, daß der Satz nicht nur "zerstörerisch, nihilistisch, gar verdorben", sondern auch "affirmativ und lebensspendend" sei. So betont er folgerichtig eindeutig eher den freudigen Teil und nicht den "chaotischen" oder "verstörenden".


    Der vierte Satz beginnt für mich nicht "sehr langsam und noch zurückhaltend". Norringtons Bemühen, jegliche Schwülstigkeit und jegliche "Tränendrüse" zu vermeiden, ist lobenswert, aber Gielen und Bruno Walter wissen erheblich mehr zu berühren, obwohl sie diesen Satz kaum langsamer (Gielen) oder sogar noch schneller (Walter) spielen lassen.


    In allen vier Sätzen erfreut man sich an transparentem Orchesterspiel in (bei Norrington gewohnter) deutscher Orchesteraufstellung. Es ist alles da, was in der Partitur steht, aber es fehlt mir das entscheidende, das nicht meß-, aber interpretierbare "Was steht hinter den Noten". Man ist erstaunt ob der Spielkultur des RSO Stuttgarts, aber viel zu selten berührt von dem, was man hört.


    Und das ist mir entschieden zu wenig, wenn ich mich mit "dem Gefühl des Abschieds", das die gesamte Sinfonie durchfließt, beschäftigen möchte.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo,
    ich kann mich mit vielen Aufnahmen von Mahlers 9. nicht so richtig anfreunden.
    Meistens liegt das an den beiden Binnensätzen, die nie so richtig getroffen wurden.
    Klemp zu schwerfällig,
    Karajan zu elegant,
    Walter zu positiv,
    Giulini zu nobel,
    andere zu langsam etc. etc.
    Am Ende bleiben zwei Aufnahmen übrig aus den ca. 2 Dutzend, die ich habe, die mich aber auch nicht restlos befriedigen, weil bei einer die Tonqualität zu mistig ist und die andere zwar besser klingt, aber auch nicht an heutige Standards (Gielen, Chaillly) heran reicht.


    Die erste Aufnahme stammt vom 19.6.1950 und es ist diese hier: Spiedauer unter 70 Minuten, obwohl der Ländler fast 16 Minuten dauert.


    Aber der 1. Satz wird in 21 Minuten erledigt und der letzte Satz geht nach 20 Minuten zu ende.
    Ich kenne keine Aufnahme, die eine ähnlich "fiebrige" Rondo Burleske hinlegt, dabei wird das Orchester manchmal spürbar aus der Kurve getragen.
    Aber der Gesamteindruck bleibt überwältigend.
    Scherchen hat (Begleitheft zur CD, ich zitiere) zu den Aufführungsbedingungen der 9. geschrieben: " Das überall heurigennaße Glutsommer-Wien säuft und frißt: Ich hatte ganz den Eindruck, diese Menschen fühlen ihre Existenz nur noch provisorisch in Erwartung auf furchtbares Unbekanntes hin..."
    Von derartiger Ekstase der Erschöpfung ist diese wahrlich singuläre Aufnahme.


    Klassisch dagegen sowohl im Zuschnitt als auch in der Ausführung, doch keinesfalls weniger bestürzend im Resultat, ist die Aufnahme, die ich nach ca. 30 Jahren immer neuer Beschäftigung mit der 9.am Liebsten habe, nämlich diese hier:

    Wenn die Tonqualität nur besser wäre, zu spitze Geigen, dumpfe Pauken und ein etwas enges Klangbild, dann wäre das die Aufnahme für die Ewigkeit!


    Wenn ich doch etwas im Zuschnitt zu bemängeln hätte, dann der Eindruck, dass der 2. Satz im Gesamtgefüge zu schnell und elegant ist (15 Minuten), er sollte "derb und täppisch" daherkommen. Das hier klingt nach Dvoraks slawischen Tänzen!
    Der 2. Satz wird übrigens von vielen Dirigenten zu nobel (HvK, Giulini, Barbirolli), als Karikatur (Lennie) oder einfach nur langweilig (Chailly, Horenstein, Solti, Haitink, Levine) gespielt
    Den richtigen Tonfall trifft auch Klemp nicht, weil er nun doch arg zu langsam ist. Aber da stimmt schon mal die Richtung.
    Bei Scherchen stimmt fast alles. Nur nicht die Tonqualität.


    So darf weiter gesammelt werden.


    Gruß S.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Hallo,
    ich kann mich mit vielen Aufnahmen von Mahlers 9. nicht so richtig anfreunden.
    Meistens liegt das an den beiden Binnensätzen, die nie so richtig getroffen wurden.
    Klemp zu schwerfällig, (...) Den richtigen Tonfall trifft auch Klemp nicht, weil er nun doch arg zu langsam ist. Aber da stimmt schon mal die Richtung.


    Lieber Hans,
    ich hätte nie gedacht, dass ich ausgerechnet Dir gegenüber mal Klemperer verteidigen muss. Reden wir beide über diese Aufnahme hier?

    Die ist doch nun völlig genial!!! Ich gebe ja zu, dass ich die optimale Neunte (aus meiner Sicht) im Konzert mit Abbado und den Berliner Philharmonikern in den 90er Jahren in Berlin erlebt habe, weswegen ich keine einzige CD auch nur annähernd so verehre wie die Erinnerung an dieses Live-Erlebnis. Aber wenn ich von Abbado mal absehe, sind Barbirolli, Karajan, Bernstein und Klemperer bei dieser Sinfonie doch wohl eine Bank. Klemperer dirigiert das Werk einfach klasse. Oder sehe ich da was falsch?
    Herzliche Grüße
    Swjatoslaw

  • Den deutschen Schallplattenpreis hat die Aufnahme von Giulini mit den Chicagoern aber erhalten.



    Pressestimmen:
    FonoForum 11 / 10: "Der Orchestersatz, und damit Mahlers
    Kontrapunktik, indes ist gut durchhörbar, auch
    klangfarblich ist nichts an der Günter-Breest-Produktion
    auszusetzen; die fabelhaften Blechbläser des Chicago
    Symphony Orchestra werden sauber reproduziert.
    Insbesondere die Posaunengruppe, eine der besten der
    Welt, imponiert."


    Aus der Menge dieser Einspielungen sticht die von Giulini mit dem für den spätromantischem Werkkanon höchst kompetenten CSO in vielen Gesichtspunkten heraus. Giulini dient der überbordenden Ausdruckskraft der Partitur mit klar analytischen Sachverstand ohne sich dabei zu ihrem Material-Verwalter zu beugen. In klangliche Dimensionen umgesetzt bedeutet dies höchste Transparenz für jedes noch so feinste Melodieglied bei immer noch warmer und Raum füllender Grundierung. Auch das schwere Blech tauscht die oft zu vernehmende Brutal-Dynamik gegen schneidende und schicksalsschwere Strahlkraft biblischer Schilderung.


    Dieser Bewertung würde ich mich nach nochmaligem Anhören der CD per Anlage (nicht Kopfhörer) anschließen.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    ich hätte nie gedacht, dass ich ausgerechnet Dir gegenüber mal Klemperer verteidigen muss. Reden wir beide über diese Aufnahme hier?

    Hallo Swiatoslav,
    klar, ich meine diese Aufnahme! es gibt ja nur diese aus dem Studio.
    Aber ich schreibe oben über die beiden Binnensätze, also den Ländler und das Rondo!
    Dass Klemperer der 1. und 4. Satz gelingen, keine Frage! Einen besseren 1. Satz wird man schwer finden. Aber 2 und 3 sind mau!
    Und im Ländler stimmt immerhin für mich noch die Richtung.
    Doch hatte ich an anderer Stelle geschrieben, das ganze (Ländler) käme mir vor wie ein Rollatorballett im Altersheim. Und das Rondo ist zwar sehr brutal aber viel zu langsam gespielt. Hör mal Scherchen!


    Auch Giulini hat ne sehr schöne Aufnahme hingelegt. Ich habe die DoppelLP und ziemlich früh die erste DoppelCD erworben. Aber auch diese Aufnahme fällt in den Sätzen 2 und 3 ab.
    Und darum geht es mir: Um das Gesamtbild.


    Gruß S.

  • s.bummer
    Hast Du Dich schon mal mit Barbirolli befasst? Besser als bei ihm in seiner Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern kann ich mir die Binnensätze kaum vorstellen.


    @Bernward
    Giulinis Aufnahme der Neunten ist schändlicherweise in dieser Box



    nicht enthalten (dort ist nur Mahlers Erste). Ich hatte eigentlich gedacht, bei Erwerb der EMI-Box die Giulini-/Chicago-Aufnahmen komplett zu erwerben, ohne zu wissen, dass es in der Kombination Giulini/Chicago SO auch noch DG-Aufnahmen gibt. Wie es aussieht, muss ich wohl nachlegen und die Neunte gesondert als Einzel-CD erwerben. Vielen Dank für den Tipp!

  • Zitat

    Hast Du Dich schon mal mit Barbirolli befasst?

    Hallo Swiatoslav,
    Du meinst Diese Aufnahme hier (Ich musste erst ein Foto meiner CD machen).

    Ich habe diese Aufnahme seit 1989 und nach anfänglicher Begeisterung, entstanden aus zu wenigen Vergleichsmöglichkeiten und aus Respekt vor dem "Mythos Barbirolli", habe ich sie noch. Mehr auch nicht.
    Habe dann heute auf Dein Anraten hin die Burleske gehört und mit Ancerl verglichen.
    a) Ancerl hat definitiv das besser spielende Orchester.
    b) Seine Akzente setzt er viel schärfer (Holzbläser!!)
    c) Das Ende der Burleske wird bei Ancerl zu dem Höllenritt, den ich erwarte. Bei Sir John ist das nur so lala.


    Barbirolli ist eigentlich nur im letzten Satz einigermaßen konkurrenzfähig. Aber das ist meine Meinung.


    Gruß Hans

  • Lieber Hans,


    man hätte alternativ auch unseren Werbepartner amazon besuchen können... ;)



    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Danke für den Tipp!
    Aber mal schnell ein Foto machen, hochladen und publizieren geht inzwischen so schnell, dass ich nicht erst die Werbepartner abklappern muss.
    Außerdem kann ich so mehr angeben :D
    Gruß Hans

  • Aber mal schnell ein Foto machen, hochladen und publizieren geht inzwischen so schnell, dass ich nicht erst die Werbepartner abklappern muss.
    Außerdem kann ich so mehr angeben :D


    Im Prinzip ja.


    Aber wie lange existiert dieser Webspace? Ist es dein eigener oder von einem Anbieter von freiem Webspace, dessen Zukunft nicht gesichert ist?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • OT
    Ich habe mir über einen Anbieter ne Domäne gekauft. (one.com)
    Dazu dann Webspace, Mail und all den Kram. Kostet in kleiner Ausbaustufe ca. 20€/Jahr. Wird jährlich abgebucht und ich bin sehr zufrieden.
    Und Cover fotografiere ich und stelle sie in ein öffentliches Fotoalbum: http://www.chpstahnke.de.
    Sind auch solche dabei, die zeigen, dass ich vom Fotografieren keine Ahnung habe. (Blitzlicht!) :pfeif:
    Gruß S

  • Zitat

    Zitat von Swjatoslaw:


    Hast du dich schon mal mit Barbirolli befasst?

    Ich kann Swjatoslaw da nur zustimmen, wenn er auf Barbirollis Berliner Aufnahme verweist. Sie gehört auch in meiner Sammlung zu den bevorzugten Aufnahmen dieser Sinfonie, ebenso wie die von ihm genannten Karajan und Bernstein (hier kann ich mich nur nicht entscheiden zwischen seiner New Yorker Aufnahme aus den 60er Jahren und der Berliner Aufnahme aus den 80er Jahren.


    Aber gestern Abend habe ich zum zweiten Mal in nur einem halben Jahr die "Neunte" live gehört. War es im letzten Sommer Valery Gergiev beim Schleswig Holstein-Musikfestival mit seinem Orchester des Marinskij-Theaters, das mir ein beeindruckendes Live-Erlebnis bescherte, so war es gestern Abend in Köln Gustavo Dudamel, der mit dem Los Angeles Philharmonic vor ausverkauftem Haus diesen Eindruck noch toppen konnte.
    Den in ruhigem Tempo (30 Minuten), aber mit ungeheurer Spannung musizierten Andante commodo, folgte ein noch mehr zugespitzter zweiter Satz, als ich es in verschiedenen meiner Aufnahmen gehört habe. Auch hier ließ sich Dudamel Zeit, akzentuierte Walzer- und Ländlerrhythmus noch stärker. In der Rondo-Burleske erfolgte eine abermalige Steigerung mit scharfen dynamischen Gegensätzen, die in einem extatischen Wirbel endete.
    Die Krönung war dann das Adagio, das in den entsprechenden "ppp"-Passagen "zum Niederknien" ergreifend schön gespielt wurde und in einem tief beeindruckenden "morendo" endete.
    So mitreißend habe ich den Schlusssatz noch nie gehört.
    Im Ganzen wurden die 90 Minuten Aufführungsdauer nicht eine Sekunde langweilig.


    Das Los Angeles Philharmonic hat sich inzwischen zu einem echten Spitzenorchester gemausert und bot mit den 106 Aktiven eine sehr transparente Darbietung mit sehr harmonischen Streichern, traumhaften Hörnern und Holzbläseren sowie durchdringenden Trompeten und kernigen Posaunen.


    Und wiederum muss ich Swjatoslaw Recht geben, wenn er das Live-Konzert mit Claudi Abbado aus den 90er Jahren besonders favorisiert, das er in Berlin erlebt hat. "Live is live", hat 1985 die Gruppe "Opus" gesungen. Da ist was dran. Mir ist mit der Neunten gleich zweimal in 6 Monaten dies Live-Erlebnis zuteil geworden.
    Und Dudamel, der gestern dreißig Jahre alt wurde, hat sich mit diesem Konzert selbst das schönste Geburtstagsständchen gemacht, auch wenn sein Orchester als "quasi"-Zugabe noch ein "Happy Birthday" intonierte.
    Warum erzähle ich all das? Weil ich glaube, dass hier ein neuer, großer Mahler-Dirigent heranwächst. Ich fahre schon seit vielen Jahren nach Köln, aber noch nie war das "berüchtigte" Kölner Pubilkum so konzentriert und still, noch nie brach es nach dem Konzert, nach einer Stille von etlichen Sekunden,
    in derartigen Jubel aus, noch nie standen 2000 Besucher so schnell auf. Und, noch nie habe ich einen Dirigenten erlebt, der, im Gegensatz zu seinem äußerst extrovertierten Dirigierstil, derartig bescheiden und zurückhaltend auftrat. Nicht einmal hat er sich allein auf dem Dirigentenpodest verneigt, sondern stets inmitten seiner Musiker.
    Jedenfalls konnte ich nach meiner Rückkunft noch mehrere Stunden nicht einschlafen und habe die Zeit sinnvoll bei Tamino verbracht. Ich werde jetzt aufmerksam studieren, wann die "Neunte" mit Dudamel als Dirigent auftaucht und werde in Zukunft mindestens einmal jährlich ein Konzert mit ihm besuchen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Ich kann Swjatoslaw da nur zustimmen, wenn er auf Barbirollis Berliner Aufnahme verweist.

    Zitat

    Barbirolli ist eigentlich nur im letzten Satz einigermaßen konkurrenzfähig.

    Habt ihr denn keine Ohren?
    Hört Ihr nicht, wie Sir John aus den Berlinern ein Orchester macht, dass vielleicht in Hildesheim als Stadtorchester bestehen könnte?
    Barbirolli mit Ancerl vergleichen bei Mahler, das ist wie "Rosenthaler Kadarker" gegen "Savigny les beaune."
    Sorry, aber so ist es.


    Gruß S.

  • Zitat

    Zitat von s. bummer:


    Habt Ihr denn keine Ohren?

    Was meinst du, lieber Swjatoslaw, Ist das so?


    Liebe Grüße


    Willi ?( ?( ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Leg einfach die beiden CDs nacheinander auf. Du wirst es hören!
    Achte im 1. Satz auf den Marsch! Sir John drömelt vor sich in, Ancerl hat Zug und Konsequenz.
    Achte im 1. Satz auf die Stelle, die da heißt "Mit Wut" (ca. bei 11 Minuten in der Aufnahme ) Was für eine schlechte Leistung der Berliner!
    Im 2. Satz verfehlt er komplett das Tempo! Es heißt "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers, etwas täppisch und sehr derb" nichts da bei ihm! Viel zu elegant, wie eine englische Adelspartie auf dem Landgut von Sir ....
    Und achte im dritten Satz auf den Schluss. Die Schußfahrt in die Hölle. Wer ist da genauer, unerbittlicher? Ancerl oder Barbirolli.


    Nee, auch wenn Sir John sicherlich ne historisch wichtige Person war, als Mahler Dirigent ist sein Nachlass nicht mehr konkurrenzfähig, im Gegensatz zu Walter, Klemp, Bernstein , Gilulini, Stokowski oder Scherchen. Er ist mehr was für Sammler! Wie übrigens auch Horenstein.


    Aktuell sind Mahler 9 von Chailly, Gielen, Haitink und Boulez himmelweit überlegen.


    Gruß S.

  • Hallo s. bummer!


    Ich habe mal deine Vorgaben nacheinander durchdacht und alle Aufnahmen, die ich von der 9. besitze, (es sind nicht so viele wie deine), in ihren Satzdauern gegenübergestellt. Da ich die Ancerl-Aufnahme, die mir übrigens nach den Hörproben nicht schlecht gefällt, nicht habe, habe ich die Satzzeiten aus dem Internet eruiert und stelle sie an den Anfang:


    1. Karel Ancerl, Tschechische Philharmonie: 26:46-15:10-13:27-23:26; (78:49)


    2. Sir John Barbirolli, Berliner Philharmoniker: 26:46-14:50-13:34-23:01; (78:11)


    3. Klaus Tennstedt, London Philharmonic: 30:44-16:21-12:58-25:31; (85:34)


    4. Giuseppe Sinopoli, Philharmonia Orchestra: 28:07-15:14-13:19-25:50; (82:30)


    5. Herbert von Karajan, Berliner Philharmoniker: 28:17-16:42-13:38-26:56; (85:42)


    6. Bernstein, New York Philharmonic: 28:17-15:49-12:26-22:59; (79'31)


    7. Eliahu Inbal, Frankfurter R.S.O.: 28:16-16:32-12:32-23:39; (80:59)


    Interessant ist bei der reinen Betrachtung dieses Zahlenwerks, dass ausgerechnet die beiden von dir so sehr polarisierten Dirigenten, Sir John Barbirolli und Karel Ancerl von allen sieben Beispielen die größtmögliche Übereinstimmung in der Tempogestaltung haben, also müssen sie von der Tempogestaltung dieser Sinfonie weitgehend ähnliche Auffassungen gehabt haben.


    Interessant ist weiterhin, dass alle drei Einspielungen aus den 60er-Jahren, Barbirolli, Ancerl und Bernstein die kürzesten waren, unter 80 Minuten. Weiterhin haben Karajan und Bernstein, die beiden großen Kontrahenten, exakt das gleiche Tempo im Kopfsatz, ebenso übrigens wie Sir John Barbirolli und Karel Ancerl!


    Nur, dass diese beiden signifikant die schnellsten sind, sowohl, was den Kopfsatz betrifft als auch, was das Andante comodo betrifft. Weiterhin liegen sie im Andante nur 20 Sekunden auseinander, im Rondo nur 7 Sekunden und im Finale nur 25 Sekunden.


    Da Ancerl als auch Barbirolli und Sinopoli im Andante insgesamt nur 24 Sekunden auseinanderliegen, kann man keinesfalls davon sprechen, dass Barbirolli das
    "Tempo komplett verfehlt" hat. Ich kann auch nicht erkennen, dass er die Vortragsbezeichnung "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers- etwas täppisch und sehr derb" verfehlt hat. Im Gegenteil, die Philharmoniker spielen gewollt "täppisch" und "derb".


    Die von dir angemahnte Stelle im ersten Satz habe ich mit Sinopoli verglichen: abgesehen von einer besseren Aufnahmetechnik bei einer dreißig Jahre jüngeren Aufnahme und einer dynamischen Aussteuerung der Aufnahme habe ich interpretatorisch nur marginale Unterschiede feststellen können. Das gilt auch für die "Schussfahrt in die Hölle", die übrigens auch dem jungen Gustavo Dudamel im Live-Konzert am 26. Januar in der Kölner Philharmonie sehr gut gelungen ist.


    Alles in allem kann ich deiner Meinung nicht folgen, abgesehen davon, dass die Aufnahme von Karel Ancerl sehr gut zu sein scheint, was aber nicht heißt, dass ich die Bespiele aus meiner sammlung für schlechter halte.


    Übrigens, ich brauche keinen Bestand. Es ist nur so, dass Swjatoslaw und ich in vielem einer Meinung sind.


    Viele Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Übrigens, ich brauche keinen Bestand. Es ist nur so, dass Swjatoslaw und ich in vielem einer Meinung sind.


    Auch ich hatte das Gefühl, lieber Hans, dass mit Deinem Satz "Habt ihr denn keine Ohren?" in Posting Nr. 81 nicht allein Willi, sondern auch ich angesprochen war. Dass Willi sich dann in Posting Nr. 82 - ein wenig schelmisch - an mich wendet ("Was meinst du, lieber Swjatoslaw, ist das so?"), ist doch nur natürlich. "Beistand suchen" ist das keineswegs.


    Zur inhaltlichen Diskussion kann ich leider nichts beitragen, da ich Ancerls Aufnahme der Neunten nicht kenne. Ich kann also nicht verifizieren oder falsifizieren, wie gut er im Vergleich zu Barbirolli ist. Willis Zahlenwerk ist im Übrigen beeindruckend und belegt verobjektiviert, dass man Barbirolli jedenfalls dann kein "komplett verfehltes Tempo" vorwerfen kann, wenn man gleichzeitig Ancerl als Musterbeispiel eines richtigen Tempos darstellt. Bei gerade mal einigen Sekunden Unterschied zwischen diesen beiden Dirigenten wählen entweder beide das richtige oder beide das falsche Tempo. Tertium non datur.


    Zu Barbirolli mit den Berlinern: es fällt schwer, im weltweiten Netz irgendeine Stellungnahme aufzutreiben, die diese Aufnahme der Neunten nicht in höchsten Tönen lobt. Willi und ich stehen also nicht allein da, sondern eigentlich denkt weltweit jeder Mahler-Kenner so wie wir. Wobei ich, lieber Hans, selbstverständlich Deine abweichende Meinung voll akzeptiere und es sogar interessant finde, erstmals überhaupt etwas Negatives über diese Einspielung zu lesen. Aber "keine Ohren"? "Hildesheimer Stadtorchester"? Naja, ich weiß nicht. Aber da ich Dich ja nun schon ein wenig kenne, glaube ich, dass das nicht böse gemeint ist.


    Stellvertretend für viele Jubelrezensionen ein Auszug aus der Stellungnahme eines kalifornischen Amazon-Kunden: "Of all the performances I have heard of the Mahler 9th on CD, this may be the most beautiful sounding for both the orchestral playing together with the quality of this recent remastering, especially with respect to the string playing. This performance for me reaches its apogee in the final adagio, which Barbirolli and the Berlin Phil play with an ardent and glowing lyric beauty, in distinct contrast to the darkly stoic quality that Horenstein in the BBC Legends brings to this supremely transcendent music."
    Quelle: http://www.amazon.com/Mahler-S…TF8&qid=1297039316&sr=1-1


    Übrigens, lieber Hans: ich glaube Dir absolut, dass Ancerls Aufnahme grandios ist. Vielleicht besorge ich sie mir demnächst mal. Aber ich fürchte, dass auch sie mir nicht das geben wird, was ich seit über 15 Jahren im Kopf als denkbar beste Neunte von Mahler in mir herumtrage: nämlich das Live-Erlebnis mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern Mitte der 90er Jahre in der Berliner Philharmonie.


    Herzliche Grüße an Euch!
    Swjatoslaw

  • Zur inhaltlichen Diskussion kann ich leider nichts beitragen, da ich Ancerls Aufnahme der Neunten nicht kenne. Ich kann also nicht verifizieren oder falsifizieren, wie gut er im Vergleich zu Barbirolli ist. Willis Zahlenwerk ist im Übrigen beeindruckend und belegt verobjektiviert, dass man Barbirolli jedenfalls dann kein "komplett verfehltes Tempo" vorwerfen kann, wenn man gleichzeitig Ancerl als Musterbeispiel eines richtigen Tempos darstellt. Bei gerade mal einigen Sekunden Unterschied zwischen diesen beiden Dirigenten wählen entweder beide das richtige oder beide das falsche Tempo. Tertium non datur.


    Hallo Swjatoslaw,


    wie heißt es doch so schön: "Wenn zwei das gleiche tun, ist es doch längst nicht das selbe."
    Auf die gleiche Spieldauer eines Satzes kann man auch kommen, indem der eine ein Grundtempo wählt, an das er sich hält und der andere stets beschleunigt und dann wieder verlangsamt, also mittels Rubati zufällig (annähernd) auf die gleiche Zeit kommt wie derjenige, der nicht so frei in der Tempogestaltung ist.


    Ob das allerdings auf Barbirolli und Ancerl zutrifft, entzieht sich meiner derzeitigen Kenntnis. Zwar besitze ich beide Aufnahmen, habe sie aber nicht so präsent im Ohr, als daß ich s. bummers Aussage bestätigen oder verneinen könnte.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Auf die gleiche Spieldauer eines Satzes kann man auch kommen, indem der eine ein Grundtempo wählt, an das er sich hält und der andere stets beschleunigt und dann wieder verlangsamt, also mittels Rubati zufällig (annähernd) auf die gleiche Zeit kommt wie derjenige, der nicht so frei in der Tempogestaltung ist.


    Völlig einverstanden. Spieldauervergleiche sind immer nur ein Indiz für das gewählte Grundtempo und können insbesondere durch Wiederholungen (die der eine ausführt, der andere hingegen nicht) sogar völlig sinnlos sein. Ein (widerlegbares) Indiz sind sie allerdings durchaus. Und im hier diskutierten Fall kann ich zwischen dem einminütigen Ancerl-Hörschnipsel, den ich bei Amazon abrufen kann, und meiner Barbirolli-CD in der Tat keine nennenswerten Tempounterschiede im zweiten Satz feststellen. Schneller unterwegs als zum Beispiel Karajan (der für den Satz 16:38 min. benötigt) sind beide allemal.


    Ich glaube, das Problem dieser von s.bummer angestoßenen Diskussion über Barbirollis angeblich "komplett verfehlte" Tempowahl liegt darin, dass sein Vorwurf gegenüber Barbirolli ("Im 2. Satz verfehlt er komplett das Tempo! Es heißt "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers, etwas täppisch und sehr derb" nichts da bei ihm! Viel zu elegant, wie eine englische Adelspartie auf dem Landgut von Sir ....") überhaupts nichts mit dem Tempo zu tun hat. Barbirolli soll also angeblich "viel zu elegant" statt "etwas täppisch und sehr derb" spielen lassen. Was hat Eleganz mit dem Tempo zu tun? Ist ein "elegantes" Tempo ein langsames, ein mittleres oder ein schnelles Tempo? Spielt derjenige "elegant", der ein langsames Tempo wählt, während derjenige "unelegant" spielt, der schnell unterwegs ist? Oder andersherum?


    Wenn Barbirolli angeblich "viel zu elegant" statt "etwas täppisch" spielen lässt, sollte man darüber diskutieren. Nicht über Tempofragen. Es mag ja durchaus sein, dass Barbirolli im zweiten Satz eine orchestrale Schönheit walten lässt, die manchem Musikhörer vielleicht zuviel des Guten ist. Anderen wiederum gefällt genau das.


    Übrigens: Mahler war hinsichtlich der Satzbezeichnung überaus unsicher. Erst nannte er den Satz "Scherzo", später strich er diesen Begriff zugunsten von "Menuetto infinito". Dies verwarf er erneut und entschied sich für "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers. Etwas täppisch und sehr derb". Verabsolutieren sollte man die schlussendlich festgelegte Satzvorschrift also nicht unbedingt, sofern das Interpretationskonzept schlüssig den Notentext umsetzt.


  • Völlig einverstanden. Spieldauervergleiche sind immer nur ein Indiz für das gewählte Grundtempo und können insbesondere durch Wiederholungen (die der eine ausführt, der andere hingegen nicht) sogar völlig sinnlos sein. Ein (widerlegbares) Indiz sind sie allerdings durchaus. Und im hier diskutierten Fall kann ich zwischen dem einminütigen Ancerl-Hörschnipsel, den ich bei Amazon abrufen kann, und meiner Barbirolli-CD in der Tat keine nennenswerten Tempounterschiede im zweiten Satz feststellen. Schneller unterwegs als zum Beispiel Karajan (der für den Satz 16:38 min. benötigt) sind beide allemal.


    Ich werde mir bei Gelegenheit mal Ancerl und Barbirolli zu Gemüte führen und mal schauen, was ich zur Tempogestaltung oder Ausarbeitung der Satzcharakteristik beisteuern kann...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich bin ja, wie ich weiter oben schon ausführte, dem Ratschlag gefolgt und habe beide Versionen (Ancerl und Barbirolli) an den entsprechenden Stellen (z.B. Beginn des 2. Satzes) gegengehört und war gerade der Meinung, dass sich tempomäßig kein Unterschied heraushören ließ und dass Barbirolli seine tiefen Streicher und die Bläser durchaus derb spielen ließ und die ländlerhafte Betonung auf dem ersten Schlag durchaus pointierte.


    Und dass die Berliner Philharmoniker durchaus nicht schlecht spielen und ihren Mahler können, davon kann man ausgehen, auch in den 60er-Jahren.


    Ich habe schon oft gleiche Stellen mit verschiedenen Interpreten vergleichend gehört und durchaus auch mit der Stoppuhr gearbeitet und bilde mir mittlerweile ein, auch schon ohne Stoppuhr heraushören zu können, ob eine Version schneller oder langsamer oder genauso schnell wie eine andere Version ist.


    Viele Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner