Früher war alles besser ... - die Alten leben hoch !!

  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel
    Die bei den Werkbesprechungen genannten Referenzen, Lieblingseinspielungen und Best Buys sind zum großenTeil alte oder ältere Aufnahmen (70er Jahre und früher); jüngere


    70er Jahre ist nicht alt. Aufnahmen, die nicht älter als ich selbst sind, sind nicht alt ;)


    Zitat


    Hat das was mit Gewohnheit, Nostalgie oder Götterbewahrung zu tun, oder waren die Einspielungen (Interpretationen) früher tatsächlich um sooo viel „besser“? Nun geb ich zu, daß ich nicht allzu viele alte Aufnahmen kenne (einige natürlich schon), da ich mir ohne ein gewisses klangliches (?!) Niveau schwer tue.
    Hat zB HIP – um mal diese Periode als EIN Beispiel zu nennen - zwar in den letzten 20/25 Jahren Spuren hinterlassen, aber letztendlich ohne große Einfluss auf die „Qualität“? Ist da heute zwar vieles „anders“ aber nicht zwingend „besser“?


    HIP hat (seit über 40, nicht erst seit 20 Jahren) ganz sicher Spuren hinterlassen. Man muß, glaube ich, kein HIP-Fanatiker zu sein um bei sämtlicher Musik bis ca. 1770 hauptsächlich Favoriten aus neuerer, HIP-beeinflußter Zeit zu haben und bei der Musik 1770-1830 zumindest Mitfavoriten.


    Das ist m.E. ein Teil der Erklärung, warum es einige neuere Nicht-HIP-Musiker im Standardrepertoire vergleichsweise schwer haben.


    Vieles beruht aber auch auf einer Art von Vorturteil, wie Du selbst sagst: je länger tot, desto Kult ;)
    Andererseits muß man, um manche Interpretationsstile zu erleben, wirklich weit zurückgehen, eher in die 20er/30er als in die 60er Jahre. Gewisse Zugangsweisen wie die Mengelbergs, Furtwänglers, auch die einiger Pianisten, Sänger und anderer Solisten, waren in den 50ern schon im Aussterben und irgendwann weitgehend verschwunden. Betrifft nicht zuletzt die Oper, siehe entsprechende threads.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • nun, habt alle Dank für Eure Erklärungen ... ich komm ja mit dem Scheiben gar nicht nach....


    Vieles davon leuchtet mir ein, vieles ist auf seine Weise irgendwie nachvollziehbar, aber so ganz im Reinen bin ich noch nicht mit mir. Sind das wirklich die Argumente, die meine Feststellung erklären können?


    Oder hat das vielleicht doch einiges zu tun mit "Vieles beruht aber auch auf einer Art von Vorturteil, wie Du selbst sagst: je länger tot, desto Kult ;)" wie es Johannes so schön geschrieben hat? Ich hege ja insgeheim schon lange den Verdacht, daß da viel Götterkult im Spiel ist (bitte verzeiht einem einfältigen Geist) .
    :hello:
    Thomas

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Andererseits muß man, um manche Interpretationsstile zu erleben, wirklich weit zurückgehen, eher in die 20er/30er als in die 60er Jahre. Gewisse Zugangsweisen wie die Mengelbergs, Furtwänglers, auch die einiger Pianisten, Sänger und anderer Solisten, waren in den 50ern schon im Aussterben und irgendwann weitgehend verschwunden. Betrifft nicht zuletzt die Oper, siehe entsprechende threads.
    viele Grüße
    JR


    Ich nochmal ... Hallo JR


    vollkommen agreed, zur Meinungsbildung unerläßlich, aber genau das ist es ja: m.E. werden solche Einspielungen überproportional als herausragend bewertet. Was machen/ machten die Jungs anders?


    Thomas

  • Ich bin durchwegs mit den Erklärungen einverstanden, Persönliche Prägung und Zeitgeschmack spielen hier eine gewisse Rolle.
    Entgegen meiner ursprünglichen Vermutung (da war ich noch sehr jung, als ich das glaubte) ist die Wiedergabe von Werken der sogenannten "klassischen Musik" nämlich keineswegs zeitlos.



    Zitat

    Was machen/ machten die Jungs anders?


    In erster Linie wurde der "klassischen Musik" gesellschaftlich ein anderer Stellenwert eingeräumt - und das manifestiert sich auch in den Aufnahmen. Speziell bei Einführung der Stereophonie war ein gewisses Bewusstsein geboren: Man zeichnete Interpretationen "für die Ewigkeit" auf. Der englische Pianist Clifford Curzon bezeichnete Aufnahmesitzungen als "Rendevouz mit der Nachwelt"
    Was er so treffend formulierte war in den Köpfen der meisten Künstler und auch der Aufnahmetechniker stets im Hintergrund vorhanden: Der Ewigkeitsanspruch. Beispielsweise der weiter oben im Thread wieder einmal abqualifizierte Herbert von Karajan - zu Lebzeiten genoss er fast gottähnliche Verehrung - machte sich Gedanken wie er seine "ewiggültigen" Aufnahmen in bester Qualität der Nachwelt erhalten könne - dabei übersah er jedoch, daß seine IMO durchaus vorhandene Genialität sich im Alter zur perfektionistischen Routine gewandelt hatte..


    Aber von diesem Beispiel mal abgesehen ist es schon ein Unterschied ob man ein Konzert gibt, daß wennes verklungen inst in Vergessenheit gerät - oder ob man "für künftige Generationen" spielt.
    Das erzeugt beim Interpreten einerseits Stress, andrerseits das Bewusstsein etwas Besonderes vollbringen zu müssen. So bescherte uns diese Epoche zahlreiche unvergleichliche Einspielungen.


    Heute stellt sich die Situation anders dar:
    Zum einen gibt es weniger Einschränkungen durch die Akustik und die Mikrophonaufstellung etc, zum anderen sind die Künstler etwas lockerer im Umgang mit dem Begriff "Ewigkeit"
    Sie spielen ihre Aufnahmen wie für ein Konzert, also in der Regel ohne "Ewigkeitsanspruch" im Hinterkopf. Sie konnten ja bereits sehen, wie einst vergötterte Interpreten trotz vorhandener Tonaufzeichnungen in Vergessenheit gerieten.


    Andrerseits ist der Perfektionsanspruch geringer.
    Wochenlange Proben, Experimente mit Mikrophonaufstellungen, Verschiebung von Terminen, bloß weil der Interpret "indisponiert" ist - das gibt es heute so gut wie überhaupt nicht mehr.
    In vielen Beeichen handelt es sich bei heutigen Aufnahmen generell um (manipulierte) Live-Aufnahmen mit allen Vor- und Nachteilen.


    Man höre alte Tonaufnahmen von Theaterstücken, alte Rundunkübertragungen mit Ansage an: Alles war ein wenig erhabener und gezierter. Die Sprache war gepflegter, man kannte noch den Unterschied zwischen ä und ö - und man versuche das Wort "Liqueur" gegen "Likör" zu setzen - dann kann man eine Ahnung bekommen, daß auch die musikalische Sprache eine andere war als die heutige.


    Beim bisher geschriebenen beziehe ich mich durchwegs auf non-HIP Aufnahmen. Diese unterliegen eigenen Gesetzen un müsste daher gesondert besprochen werden. Mit anderen Worten: Ich halte es für unzulässig den Klang einer HIP Aufnahe dem einer "konventionellen" Einspielung gegenüberzustellen. Das sind IMO zwei paar Schuhe.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Hallo Alfred, auch Dir herzlichen Dank für die weiteren Ausführungen. Das ist alles sicher volkommen richtig. In Sachen Kulturverfall hat sich ja einiges "getan" in den letzten Jahren (Jahrzehten). Verzeiht mir aber, wenn ich mich grad mal penedrant festbeise. Kann man nach Deinen Äußerungen tatsächlich davon ausgehen, daß die alten/ älteren Aufnahmen/ Einspielungen "besser" sind? Besser im Sinne von konkreter.


    Zitat

    Beim bisher geschriebenen beziehe ich mich durchwegs auf non-HIP Aufnahmen. Diese unterliegen eigenen Gesetzen un müsste daher gesondert besprochen werden. Mit anderen Worten: Ich halte es für unzulässig den Klang einer HIP Aufnahe dem einer "konventionellen" Einspielung gegenüberzustellen. Das sind IMO zwei paar Schuhe.....


    Das ist klar, das sind hier zwei paar Schuhe. Aber auch hier stolpere ich oft über Aussagen wie "Karajans Einspielung von Mozarts XYZ ist expemplarisch", "Kubelik XYZ ist hier Referenz", "XYZs XYZ-Einspielung hat hier Maßstäbe gesetzt". Da paßt für mich einiges nicht zusammen. Oder ich versteh es nicht.
    :untertauch:


    Dank Euch
    Thomas

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  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel
    In Sachen Kulturverfall hat sich ja einiges "getan" in den letzten Jahren (Jahrzehten). Verzeiht mir aber, wenn ich mich grad mal penedrant festbeise. Kann man nach Deinen Äußerungen tatsächlich davon ausgehen, daß die alten/ älteren Aufnahmen/ Einspielungen "besser" sind? Besser im Sinne von konkreter.


    Was auch immer konkret konkret bedeuten mag ...
    Jedenfalls hat der Kulturverfall es zuwege gebracht, dass die Orchester heute in der Regel technisch höheres Niveau haben als vor ein paar Jahrzehnten und "unspielbares" heute nicht nur von den Obergötterorchestern gemeistert wird. Wobei es mich freut, dass es die Obergötterorchester nicht mehr gibt.



    Zitat

    Das ist klar, das sind hier zwei paar Schuhe. Aber auch hier stolpere ich oft über Aussagen wie "Karajans Einspielung von Mozarts XYZ ist expemplarisch", "Kubelik XYZ ist hier Referenz", "XYZs XYZ-Einspielung hat hier Maßstäbe gesetzt". Da paßt für mich einiges nicht zusammen. Oder ich versteh es nicht.


    Das ist leicht aufzulösen: "exemplarisch", "Referenz", "maßstabsetzend" heißt eigentlich nur: "gefällt mir besonders gut" + "alle, die das nicht finden, haben keine Ahnung".


    Man möge von derlei Formulierungen Abstand nehmen. Dann schon lieber sowas:
    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel
    Aber auch hier stolpere ich oft über Aussagen wie "Karajans Einspielung von Mozarts XYZ ist expemplarisch", "Kubelik XYZ ist hier Referenz", "XYZs XYZ-Einspielung hat hier Maßstäbe gesetzt". Da paßt für mich einiges nicht zusammen. Oder ich versteh es nicht.


    Lieber Thomas,


    Wenn man etwas als referenzmäßig bezeichnet, heißt das ja nicht, daß es die einzig mögliche Art der Interpretation ist, sondern nur, daß hier ein Qualitätspegel erreicht scheint, den andere nur in Ausnahmefällen erreichen oder überbieten. Bei Bellinis "Sonnambula" beispielsweise gibt es in der Spitzengruppe zwei ganz verschiedene Interpretationen der Hauptrolle, a) durch die Callas b) durch die Pagliughi. Beide würde ich als referenzmäßig einstufen. Oder: Furtwänglers Beethoven-Symphonien haben Maßstäbe gesetzt. Dieser Interpretationsstil ist zwar heute nicht mehr Usus, aber die Beethovenfreunde werden auf Furtwängler nicht verzichten wollen, für manche unter ihnen ist Beethoven von anderen zwar wesentlich authentischer (soweit man das überhaupt sagen kann) gespielt worden, aber nie eindrucksvoller. Deswegen möchte ich aber nicht, sagen wir, auf Fricsays Beethoven verzichten.


    Einfacher ausgedrückt: Es gibt nicht nur eine Wahrheit, sondern viele Wahrheiten. Der Musikhimmel ist unendlich weit, gottlob! Sonst bräuchten wir ja Neueinspielungen nur noch von solchen Werken, die im Aufzeichnungszeitalter bisher nicht aufgeführt wurden.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Oder: Furtwänglers Beethoven-Symphonien haben Maßstäbe gesetzt. Dieser Interpretationsstil ist zwar heute nicht mehr Usus, aber die Beethovenfreunde werden auf Furtwängler nicht verzichten wollen, für manche unter ihnen ist Beethoven von anderen zwar wesentlich authentischer (sowiet man das überhaupt sagen kann) gespielt worden, aber nie eindrucksvoller. Deswegen möchte ich aber nicht, sagen wir, auf Fricsays Beethoven verzichten.


    Also mit "die Beethovenfreunde werden auf Furtwängler nicht verzichten wollen" kann ich jetzt gar nicht.


    Stattdessen sollte man vielleicht schreiben: "Die Furtwänglerfreunde werden auf Beethoven nicht verzichten wollen".
    8)


    Wir sollten mal im Forum eine Umfrage machen:
    Ich bin Beethovenfreund ja/nein
    Ich bin Furtwänglerfreund ja/nein
    Die Logiker unter uns werten das dann aus.
    :)

  • Zitat


    Das ist leicht aufzulösen: "exemplarisch", "Referenz", "maßstabsetzend" heißt eigentlich nur: "gefällt mir besonders gut" + "alle, die das nicht finden, haben keine Ahnung".


    Man möge von derlei Formulierungen Abstand nehmen. Dann schon lieber sowas:
    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    :hahahaha: :hahahaha: Danke für die Bestätigung :hahahaha: :hahahaha:

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  • Ich hab ja schon mehrmals vorgeschlagen, ein eigenes Unterforum zu eröffnen, in dem nur aktuelle Aufnahmen besprochen/erwähnt werden dürfen. Aber offenbar scheut man die tägliche Arbeit.


    Nicht noch mehr Unterforen! Was genau sollte das bringen? Ist es nicht sinnvoll in einem thread, ggf. zu Vergleichszwecken ältere und neuere Aufnahmen zu besprechen? Ab wann ist denn aktuell? 2005? 2000? 1990? Ich schrieb oben, das meinte ich ernst, daß ich Aufnahmen aus den 70ern nicht als alt betrachte, obwohl ich da noch ziemlich klein war...

    Zahlst Du mir 2000 Euro/Monat Sofortrente, damit ich Zeit habe, die ganzen aktuellen Aufnahmen zu hören und sie finanzieren kann? ;)


    JR

  • Zitat

    Lieber Thomas,


    Wenn man etwas als referenzmäßig bezeichnet, heißt das ja nicht, daß es die einzig mögliche Art der Interpretation ist, sondern nur, daß hier ein Qualitätspegel erreicht scheint, den andere nur in Ausnahmefällen erreichen oder überbieten. Bei Bellinis "Sonnambula" beispielsweise gibt es in der Spitzengruppe zwei ganz verschiedene Interpretationen der Hauptrolle, a) durch die Callas b) durch die Pagliughi. Beide würde ich als referenzmäßig einstufen.


    Hallo Wladi,


    richtig, beim Themenbereich "OPER/ Gesang" geb ich Dir vollkommen recht - weiter oben wurde ja schon bereits auf die Sängermisere der letzten Jahre hingewiesen....



    Hierzu hat ja Kurzstückmeister schon was gesagt ;) ;)


    Herzlichst
    Thomas

  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel


    richtig, beim Themenbereich "OPER/ Gesang" geb ich Dir vollkommen recht - weiter oben wurde ja schon bereits auf die Sängermisere der letzten Jahre hingewiesen....


    Es ist nicht nur die Sängermisere, sondern locker noch 19-21 andere handfeste Gründe, warum man im Bereich der Vokalmusik nicht an älteren bis ältesten Aufnahmen vorbeikommt. Allerdings gibts auch mindestens 7 1/2 Gründe, warum man auch aktuelle Aufnahmen berücksichtigen muss.


    Letztlich ist das Ganze auch als Grundsatzdiskussion ziemlich sinnlos, sondern lässt sich nur an den ganz konkreten Beispielen mit brauchbarem Ergebnis diskutieren.


    lg
    Sascha

  • Zitat

    Original von Antracis
    Es ist nicht nur die Sängermisere, sondern locker noch 19-21 andere handfeste Gründe, warum man im Bereich der Vokalmusik nicht an älteren bis ältesten Aufnahmen vorbeikommt. Allerdings gibts auch mindestens 7 1/2 Gründe, warum man auch aktuelle Aufnahmen berücksichtigen muss.


    Na, da wär ich mal neugierig. Ich höre eigentlich nicht wenig Vokalmusik, bin aber kein "Stimmfetischist". Daher habe ich diese Beobachtungen noch nicht machen können.


    Als Beispiel nehmen wir mal die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz, eines der bedeutendsten und schönsten Vokalwerke überhaupt.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Thomas Knöchel


    vollkommen agreed, zur Meinungsbildung unerläßlich, aber genau das ist es ja: m.E. werden solche Einspielungen überproportional als herausragend bewertet. Was machen/ machten die Jungs anders?


    Meiner Ansicht nach gab es bis in die 50er Jahre ein wesentlich breiteres Spektrum ein interpretativen Zugängen. Ich vermute, daß die Verbreitung von Tonaufnahmen mit der aus meiner Sicht eher problematischen Idee, etwas "Ewiges" zu schaffen, mitverantwortlich für die folgende Nivellierung gewesen ist. Die Dirigentengeneration, die noch im 19. Jhd. geboren wurde, wurde zum einen als Zeitgenossen von Brahms, Verdi und Puccini, zum andern vor der Durchsetzung der Tonaufnahmen musikalisch sozialisiert. Ganz altes Europa bzw. auch noch in unterschiedlichen nationalen Schulen.
    Das ist nicht der einzige, aber sicher ein Grund dafür, daß hier bei einigen Musikern (besonders z.B. Furtwängler) das einmalige, unwiederholbare Ereignis im Zentrum steht und nicht die fetischisierte ewiggültige Referenz auf einem Tonträger. Dazu kommt eine aus heutiger (und teils schon damaliger) Sicht radikale Subjektivität, die sich zwar mitunter problematische Freiheiten (etwa im Tempo) herausnimmt, aber damit eben die Expressivität der Musik außergewöhnlich zuspitzt und ihre Extreme auslotet.
    Das kann auch grandios schiefgehen und führt selten zu unumstrittenen Ergebnissen, aber wenn es gelingt, ist es eben was ganz anderes als, was man heute hört.


    Das gilt emphastisch NICHT für einen Technokraten wie Karajan, der demgegenüber in jeder Hinsicht "modern" gewesen ist. Beispiele sind eher Mengelberg, Furtwängler, Scherchen, Stokowski, Horowitz, Fritz Kreisler, sicher noch etliche andere Künstler.


    Dem gegenüber stehen sehr sachliche Zugänge wie die Toscaninis oder Reiners und solche, die man irgendwo zwischen diesen Polen verorten kann: Busch, Schuricht, E. Kleiber, Klemperer, Walter, Fricsay.

    Bei den Sängern kenne ich mich nicht aus, ich weiß nicht, ob das teils auch technische Sachen sind. Tatsache ist, daß es in den 20ern und 30ern möglich gewesen zu sein scheint, Wagner textverständlich, gesanglich und dennoch mit Durchschlagskraft zu singen. In den 50/60ern gibt es noch ein paar Sänger mit Durchschlagskraft, meist schon zu Lasten der beiden anderen Faktoren. Seither muß man meistens froh sein, wenn einer der drei Parameter halbwegs erfüllt wird...


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bei den Sängern kenne ich mich nicht aus, ich weiß nicht, ob das teils auch technische Sachen sind. Tatsache ist, daß es in den 20ern und 30ern möglich gewesen zu sein scheint, Wagner textverständlich, gesanglich und dennoch mit Durchschlagskraft zu singen. In den 50/60ern gibt es noch ein paar Sänger mit Durchschlagskraft, meist schon zu Lasten der beiden anderen Faktoren. Seither muß man meistens froh sein, wenn einer der drei Parameter halbwegs erfüllt wird...


    Woher weiß man das (mit der Durchschlagskraft)?
    Und: Seit wann hat man die Darmsaiten durch andere ersetzt?
    :hello:

  • Zitat

    Ich hab ja schon mehrmals vorgeschlagen, ein eigenes Unterforum zu eröffnen, in dem nur aktuelle Aufnahmen besprochen/erwähnt werden dürfen. Aber offenbar scheut man die tägliche Arbeit.


    Nein, das ist es nicht


    Aber vermutlich würden die Threads versickern, weil die Mehrheit des Forums jüngeren Interpreten (sagen wir es mal euphemistisch) nicht so wohlwollend gegenübersteht.


    Ich mache - das wird Euch vermutlich wundern - hierin keine Ausnahme.


    Ich habe übrigens bei meinem Statement weiter oben noch EIN wichtiges Argument vergessen, WARUM die alten Aufnahmen IM ALLGEMEINEN besser waren als heutige:


    Die optische Kontrolle duch die PR-Marketing-Abteilung fiel weg !!!


    Man musste vor 30 und mehr Jahren nicht notwendigerweise "sexy" sein um vor den Tonträgerbonzen äähh Tonträgerbossen für ihr Label gekürt zu werden - es genügte, wenn man überzeugend Musik machte.


    Auch hat sich kaum jemand wirklich interessiert wie "politisch korrekt" sich ein Künstler in Diktaturen, rechten wie linken - verhalten hat.


    All das sind Modeerscheinungen unserer Zeit - und sie haben Einfluß auf die Wahl der Künstler, die wir zu hören kriegen.....


    Gegen Furtwängler gibt es aus meiner Sicht lediglich ein Argument - und das ist die unterdurchschnittliche Tonqualität - dazu noch mono....
    Beides ist bei Sängerportraits zu ertragen und zu tolerieren - kaum aber bei Aufnahmen großer Sinfonieorchester. Selbst die HEUTIGEN Aufnahmen sind ja kritisch betrachtet nur ein schwacher Abklatsch der Wirklichkeit.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Als Beispiel nehmen wir mal die Musikalischen Exequien von Heinrich Schütz, eines der bedeutendsten und schönsten Vokalwerke überhaupt.
    :hello:


    Na, das ist ja witzlos, wie schon oben gesagt - die Vergangenheitsfixierung bei der Interpretation von Vokalmusik gilt aus manchen Gründen nur für Musik zwischen vielleicht 1780 und 1920. Und da überwiegend für Oper.


    Nehmen wir mal ein anderes repräsentatives Beispiel, die Brahms-Sinfonien: Kernrepertoire, liegt in unzähligen Aufnahmen von annodazumal bis heute vor, im Forum gut vertreten, bisher nur am Rande von HIP berührt.


    Ich habe jetzt mal den allgemeinen Thread zu den Brahms-Sinfonien wie auch die Einzelthreads durchgeschaut. Auch ohne exakt auszuwerten, kann man leicht feststellen, dass hier keineswegs "ältere" Aufnahmen öfter empfohlen werden als "jüngere". Interpretationen der letzten gut 25 Jahre und solche der 60er bis 70er Jahre halten sich in etwa die Waage. Empfehlungen von Einspielungen der ganz frühen Stereo- und Monozeit erscheinen gelegentlich, aber nicht häufig. Auch Aufnahmen der letzten zehn Jahre sind regelmäßig vertreten.


    Also alles im Lot. In älteren, teilweise auch noch aktuellen Listen von Empfehlungen in Führern, Zeitschriften usw. wird m.E. wesentlich häufiger auf ehrwürdige Aufnahmen verwiesen als hier im Forum.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht



    Na, das ist ja witzlos, wie schon oben gesagt - die Vergangenheitsfixierung bei der Interpretation von Vokalmusik gilt aus manchen Gründen nur für Musik zwischen vielleicht 1780 und 1920. Und da überwiegend für Oper.


    Nicht witzlos, nur ein typisches Beispiel für Menschen, die unbedingt eine Diskussion gewinnen wollen, ohne an Ihrem Sinn oder am Ergebnis interessiert zu sein. :D

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Woher weiß man das (mit der Durchschlagskraft)?
    Und: Seit wann hat man die Darmsaiten durch andere ersetzt?
    :hello:


    Es gibt schon ein paar Liveaufnahmen. Auch sonst waren die Möglichkeiten zu schummeln gegenüber heute eher eingeschränkt. Hör Dir mal den ersten Walküreakt unter Walter aus den 30ern oder die Auszüge mit Traubel und Melchior unter Toscanini aus den 40ern an. Das sollte mehr sagen als irgendwelche Erklärungsversuche meinerseits.
    Die sind vielleicht sogar irgendwo umsonst runterzuladen, jedenfalls sehr billig zu kriegen.
    Es geht aber eben nicht nur um die Durchschlagskraft (die Nilsson noch ohne Ende hatte), sondern eben auch um andere Qualitäten.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Antracis


    Nicht witzlos, nur ein typisches Beispiel für Menschen, die unbedingt eine Diskussion gewinnen wollen, ohne an Ihrem Sinn oder am Ergebnis interessiert zu sein. :D


    Ist ja nett.


    Jedenfalls gibst Du gleich auf, und versuchst gar nicht erst, auch nur einen Grund anzugeben, warum "man nicht um Aufnahmen" aus bestimmten Zeiten "herumkommt".


    Hätte nicht gedacht, dass Du Dir gleich so totgeschlagen vorkömmst.
    :no:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Es gibt schon ein paar Liveaufnahmen. Auch sonst waren die Möglichkeiten zu schummeln gegenüber heute eher eingeschränkt. Hör Dir mal den ersten Walküreakt unter Walter aus den 30ern oder die Auszüge mit Traubel und Melchior unter Toscanini aus den 40ern an. Das sollte mehr sagen als irgendwelche Erklärungsversuche meinerseits.


    Naja, da hat man viel leichter schummeln können: Das Mikrophon zum Sänger/Solisten und fertig. Der Rest wummert irgendwo im off ...
    :rolleyes:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Jedenfalls gibst Du gleich auf, und versuchst gar nicht erst, auch nur einen Grund anzugeben, warum "man nicht um Aufnahmen" aus bestimmten Zeiten "herumkommt".


    Hätte nicht gedacht, dass Du Dir gleich so totgeschlagen vorkömmst.
    :no:


    Ich könnte tatsächlich eine ganze Reihe von Gründen angeben. Aber erstens stehen die schon alle an prominenten Stellen des Forums, und zweitens würde das natürlich dennoch nix daran ändern, dass es selbstverständlich eine ganze Reihe von Werken gibt, wo neuere Aufnahmen vorzuziehen sind.


    Aber das ist eigentlich evident, genauso, dass die Möglichkeiten zur Manipulation auf Tonträgern heute deutlich vielfältiger sind, als damals.


    Und da ich ein Staatsexamen im Rücken hab, muß ich halt kneifen.


    Aber vielleicht eine Bemerkung noch: Dein Hinweis, kein "Stimmenfetischist" zu sein, trifft die Sache schon. Das Wort beinhaltet zwar eine unzulässige Reduktion, aber es weist die Richtung: Die Frage ist, ob einen der Gesang an sich, mit seiner Historie und seinen Leistungen, seinen Parametern insgesamt interessiert. Und da gehen die Empfehlungen leider nicht oft zusammen.
    Beispiel Boris Godunov: Die eindrücklichsten Portraits der Titelrolle findet man nicht zusammen mit der Originalversion ect.


    Gruß
    Sascha

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Naja, da hat man viel leichter schummeln können: Das Mikrophon zum Sänger/Solisten und fertig. Der Rest wummert irgendwo im off ...
    :rolleyes:


    Ei, hörs Dir eben an, ob das Orchester im off wummert, bevor Du hier Schnellschüsse abgibst, die offenbar in völliger Unkenntnis der entsprechenden Interpretationen gemacht werden.
    Es lebten außerdem Leute, die diese Sänger live gehört haben, ziemlich lange weiter und konnten davon berichten. Daß es sich hier ausschließlich um nostalgisches Gequatsche handelt, scheint mir eher unwahrscheinlich.


    Abgesehen von ein paar extremen Nostalgikern wird hier normalerweise auch ein Unterschied gemacht und kaum jemand behaupten, daß die Mozartsänger der 30er den heutigen wer weiß wie überlegen gewesen wären. Auch bei der italienischen Oper wird das seltener behauptet als bei Wagner. Es gibt vermutlich sogar Erklärungsansätze, warum das der Fall ist. Aber ich weiß nichts genaueres.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Und: Seit wann hat man die Darmsaiten durch andere ersetzt?


    Menuhin hat in den 60ern noch auf Darmsaiten gespielt – und zwar auch Elgar, nicht nur Bach.
    Das Problem bei den Darmsaiten war, dass man sie schon noch wollte, aber nicht mehr bekommen konnte.

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Beispielsweise der weiter oben im Thread wieder einmal abqualifizierte Herbert von Karajan


    Nö. Da gings primär um die gruseligste aller Mozart-Requiem-Sopranistinnen. Dafür, daß Karajan am Tag der Aufnahme offenbar Mittelohrentzündung hatte, kann ich nichts... die Einspielung ist einfach induskutabel, egal wer dirigiert hat.


    [Tut mir leid, wenn's etwas offtopic war, aber: wer Steine sieht, fällt auch drüber...]


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ei, hörs Dir eben an, ob das Orchester im off wummert, bevor Du hier Schnellschüsse abgibst, die offenbar in völliger Unkenntnis der entsprechenden Interpretationen gemacht werden.
    Es lebten außerdem Leute, die diese Sänger live gehört haben, ziemlich lange weiter und konnten davon berichten. Daß es sich hier ausschließlich um nostalgisches Gequatsche handelt, scheint mir eher unwahrscheinlich.


    Na, ich lerne immer gerne dazu.
    :D
    Das Lautstärkenverhältnis zwischen Solist und Orchester kenne ich jedenfalls auch noch nach den 30er Jahren deutlich verfälscht (durch Mikrofonierung). Natürlich ist "im off wummern" überspitzt. Aber Aussagen über die Durchschlagskraft kann man wohl überhaupt nicht anhand von Aufnahmen treffen.


    Damit will ich ja nicht sagen, dass die Sänger heute etwa genausolaut sein könnten, als die in den 30ern, dazu kann ich gar keine Meinung haben. Ich wollte nur wissen, wie es zu Euren Überzeugungen kommt, und anmerken, wo ich Irrtümer für möglich halte.


    Offenbar wirkt das dann oberschlau und arrogant. Naja, es gibt Schlimmeres ...
    :pfeif:

  • Zitat

    Original von Antracis
    Aber vielleicht eine Bemerkung noch: Dein Hinweis, kein "Stimmenfetischist" zu sein, trifft die Sache schon. Das Wort beinhaltet zwar eine unzulässige Reduktion, aber es weist die Richtung: Die Frage ist, ob einen der Gesang an sich, mit seiner Historie und seinen Leistungen, seinen Parametern insgesamt interessiert. Und da gehen die Empfehlungen leider nicht oft zusammen.


    Natürlich, wen interessiert, wie sich die Interpretationen von früher von denen von heute unterscheiden, der muss beide anhören. Wen es nicht so interessiert, der muss aber auch nicht, und für den gibt es keine triftigen 9 Gründe, es doch zu tun.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Naja, da hat man viel leichter schummeln können: Das Mikrophon zum Sänger/Solisten und fertig. Der Rest wummert irgendwo im off ...
    :rolleyes:


    Melchior und Traubel waren nun alles andere als Mikrophon-Crooner, ganz im Gegenteil. Und wenn Du es nicht glauben magst, dann höre einfach mal Live-Mitschnitte aus der MET aus den 1930ern oder 1940er, wo die Sänger nicht direkt vor einer Aufnahmeapparatur standen und auch nicht am Mischpult getrickst werden konnte, wie das heutzutage sooft bei Vokalaufnahmen der Fall ist.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich habe übrigens bei meinem Statement weiter oben noch EIN wichtiges Argument vergessen, WARUM die alten Aufnahmen IM ALLGEMEINEN besser waren als heutige:


    Die optische Kontrolle duch die PR-Marketing-Abteilung fiel weg !!!


    Man musste vor 30 und mehr Jahren nicht notwendigerweise "sexy" sein um vor den Tonträgerbonzen äähh Tonträgerbossen für ihr Label gekürt zu werden - es genügte, wenn man überzeugend Musik machte.


    Ja, wer verlangt denn von Dir, ausgerechnet die kessen Weiber der DG zu sammeln?
    :untertauch:

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