Shostakovich - Klaviertrio Nr. 2 e-moll op. 67

  • Das dürfte diese sein:



    in der neuen Besetzung mit Daniel Hope (Violine).


    Diese finde ich auch ganz besonders ergreiffend durch äußerst fein nuanciertes Spiel.


    :hello: Matthias

  • Danke Matthias, ja das ist die CD. Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, sind die Romanzen nach Versen von Alexander Blok auch sehr empfehlenswert.


    Nochmal zur Entstehung des Werkes und Schostakowitschs Motivation. Ich denke, primär war Schostakowitsch beeinflusst durch den plötzlichen Tod seines engsten Freundes Iwan Sollertinski. Seinem Andenken ist das Werk auch gewidmet. Meinem Empfinden nach ist eine tiefe, hoffungslose Traurigkeit im ersten Satz zu spüren.


    Andrew Huth schreibt in seinem Text zu der von mir genannten CD:


    "Es [das 2. KT] entstand in der Zeit von 1943 [sic!] bis August 1944 [...] Er hatte gerade den ersten Satz vollendet [sic!], als ihn die Nachricht erreichte, dass Ivan Sollertinskij, einer seiner besten Freunde, im Alter von nur 41 Jahren gestorben war."


    Dies passt nicht zu dem 1. Satz, wie ich ihn interpretiere. Dazu siehe unten mehr.


    Die historische Einordnung des Werkes beschließt Huth mit dem Satz:


    "Was die öffentliche Stimmung anbelangt, so wurde die Entstehung des Werkes von der wachsenden Aufklärung über das wahre Ausmaß des Holocaust begleitet, und die Berichte über Juden, die tanzen mussten, bevor sie ermordet wurden, entsetzten Schostakowitsch besonders."


    Unbestritten ist, dass der 4. Satz (zum ersten mal) jüdische Themen enthält, und unbestritten ist auch der makabre Charakter des Tanzes. Dies passt also, allerdings ist das ein weiterer Beweggrund neben dem Tod des Freundes. Dazu passt auch der folgende Text:


    Brian Morton schreibt in seinem Buch "Shostakovich - His Life and Music (Haus Books, London 2006):


    "Sollertinsky, perhaps his greatest friend, died suddenly in February 1944. The hope that they might work happily together in Moscow evaporated in a moment. Shostakovich poured his sadness into the Piano Trio No 2 in E minor, Op 67, a work that begins in unbearable desolation and ends in a brutal danse macabre as Shostakovich and all Russians watched the unfolding horror of the Nazi death camps, progressively "liberated" as the German line rolled backwards. He may have wanted private space, but for Shostakovich history always pushed at the door."


    Krzysztof Meyer beschreibt in seiner Biographie "Schostakowitsch" (Gustav Lübbe, 1995), dass sich in der "jüngeren russischen Musikgeschichte" ein tradition entwickelt hat, im Andenken verstorbener Freunde ein Klaviertrio zu komponieren.


    "Auch Schostakowitsch erwies dem Gedenken an seinen Freund mit einem Klaviertrio seine Ehrerbietung. Seit langem wollte er ein solches Werk schreiben und hatte sogar im Dezember 1943 mit Sollertinski darüber gesprochen und einige Bruchstücke skizziert. Zehn Tage nach dem Tod seines Freundes nahme er diese Idee wieder auf, begann aber die Arbeit ganz von vorn -- die früheren Einfälle fanden sich nicht mehr in der neuen Partitur. [...] Im Frühjahr entstand nur der erste Satz. Die übrigen drei Sätze komponierte er im Sommer während eines Erholungsaufenthaltes im Hause des Komponistenverbandes in Iwanowo."


    Also ist es wohl doch so, dass der 1. Satz während der unmittelbar empfundenen Trauer entstanden ist, und der CD-Text von Huth an dieser Stelle zumindestens sehr missverständlich, wenn nicht falsch, ist. Zu dem jüdischen Gehalt des Werkes schreibt Meyer anscheinend nichts. Darauf, dass der lebhafte 2. Satz von Sollertisnkis Schwester als musikalische Porträt ihres Bruder gesehen wurde, möchte ich nicht weiter eingehen.


    Die Entstehungsdaten bei Meyer stimmen im wesentlichen mit denen bei Derek C. Hulme in seinem "Schostakowitsch-Katalog" überein:


    "Composed in 1944, at the Composer's House at Ivanovo. Begun on 15 February, four days after the death of his friend Ivan Sollertinsky; the second movement finished on 4 August and the whole work completed on 13 August."


    Zusammenfassend sehe ich das so, dass Sch. aus Anlaß des Todes seines Freundes das Werk begann (bzw. erneut begann) zu schreiben, und dass ihn später auch die Thematik der Judenvernichtung bewegte. Ob er dabei speziell den deutschen oder den sowjetischen Antisemitismus im Blick hatte, halte ich für ein unwesentliches Detail.


    maticus

  • Lieber maticus,

    Zitat

    Ob er dabei speziell den deutschen oder den sowjetischen Antisemitismus im Blick hatte, halte ich für ein unwesentliches Detail


    Ich redete mir den Mund fusselig und knickte letztendlich auch ein, aber dies entpricht auch-immer noch :untertauch: - meiner Auffassung.

  • Heute habe ich erst diese oben bereits gelobte Aufnahme gehört, die mir ebenfalls sehr gut gefällt:



    Und anschließend die Aufnahme mit Schostakowitsch selbst am Klavier und Oistrach und Sadlo aus 1946:



    (Ich selbst habe eine andere CD, die aber bei amazon.de nicht mehr erhältlich ist, wohl aber bei amazon.com; dort Asin: B00170U4ZI)


    Die Klangqualität ist schlecht. Hörenswert ist die Aufnahme aber sehr. Besonders interessant ist das Tempo. Wieder einmal ist Schostakowitsch schneller als die meisten anderen, die seine Werke spielen (eine allgemeine Komponistenkrankheit oder Fingerzeit auf die Art, wie Schostakowitschs Werke zu interpretieren sind?). Den zweiten Satz nehmen Schostakowitsch und seine Parten in 2:36. Das ist fast Rekord! (man vergleiche die Zeiten bei "http://www.envi.osakafu-u.ac.jp/develp/staff/kudo/dsch/work/trio2e.html") Es gibt ja die oben bereits erwähnte Aussage, nach der es sich in diesem Satz um ein Porträt Sollertinskijs handele. Wenn man Schostakowitschs Aufnahme hört, kann man daran nicht mehr glauben (tut wohl sowieso keiner, glaube ich). Viel überdrehter als gewohnt hört sich da bei ihm an. So etwas wie Sympathie, was man, wenn es sich denn tatsächlich um ein Poträt seines Freundes handeln sollte, wohl erwarten dürfte, ist nicht annähernd zu vernehmen. Übrigens sind auch im ersten Satz manche Temposteigerungen deutlich zugespitzter als üblich. Wie gesagt, sehr hörenswert.


    :hello: Thomas


  • Die in der oben abgebildeten Box enthaltene Aufnahme des Trios von Auer, Bor, Rosen aus dem Jahre 1990 lohnt den Kauf der Box nicht. Am wenigsten gefällt mir noch der Pianist, der nicht den Eindruck vermittelt, sich mit dem Stück länger beschäftigt zu haben.


    Für erwähnenswert halte ich jedoch die folgende Feststellung im kurzen) Booklet-Text:


    "The danse macabre in this work (last movement) was said to habe been inspired by the Nazis, forcing their victims to dance by their own graves before they were executed. It is remarkable that this fact is still not acknowledged in Germany, where this finale is said to be penetrated by ´folkloristic dance elements´."


    Woher die Annahme stammt, man höre im letzten Satz folkloristische Tanzelemente, weiß ich nicht, verbreitet ist wohl eher die Beschreibung jüdische Musik. Wenn es aber stimmt, dass im Ausland überwiegend im letzten Satz tatsächlich der erzwungene Tanz der inhaftierten Juden gehört wird, was hier in Deutschland bekanntlich nicht der Fall ist, frage ich mich, woher diese Diskrepanz kommt.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Heute habe ich noch diese Aufnahme aus dem Jahre 1995 gehört (ich besitze die rechts gezeigte ältere Ausgabe):



    Sie gehört für mich zu den sehr guten Aufnahmen, aber nicht zu den besten. Ein ganz dicker Pluspunkt ist, dass die Musiker unverkennbar Schostakowitschs Sprache sprechen. Kein Wunder, das Borodin Quartett, dem die beiden Streicher zugehörig sind, war seit Jahrzehnten mit Schostakowitschs Kammermusik intensiv befasst. Meine Kritikpunkte, es handelt sich größtenteils um Geschmacksfragen: Im ersten Satz mag ich es lieber, wenn das Klavier härter, perkussiver spielt. Der zweite Satz ist mir schlicht zu langsam. Überdies ist mir nicht recht klar geworden, was die Musiker mit diesem Satz ausdrücken wollen, interpretatorisch indifferent, könnte man sagen. Im dritten Satz fehlte mir Wärme. Die Fahlheit, die den ersten Satz noch so auszeichnete - obgleich das Flageolett-Spiel auch recht eierig daher kam - empfand ich hier als fehl am Platz. Für mich hat der dritte Satz mehr Wärme verdient, aber hierbei handelt es sich um Geschmacksfragen. Die ersten Minuten des vierten Satzes finde ich herausragend. Sehr klezmeristisch, mit großer farblicher Bandbreite wird hier gespielt. Je länger der Satz dauerte, desto mehr hatte ich allerdings das Gefühl, das hinter dem Tanz stehende Grauen könnte deutlicher aufgezeigt werden, zudem ging für meinen Geschmack mit der Zeit ein wenig die Linie verloren. Das war jetzt aber bereits mehr Kritik, als die Aufnahme verdient hat.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Lieber Thomas,


    Zitat

    [...] was hier in Deutschland bekanntlich nicht der Fall ist, frage ich mich, woher diese Diskrepanz kommt.


    ist das denn eine erwiesene Tatsache ("bekanntlich")? Gibt es diese Diskrepanz überhaupt? Ist mir überhaupt nicht klar.


    maticus

  • Lieber maticus,


    ob es diese Diskrepanz gibt, interessiert mich ebenfalls. Ich weiß es nicht. Vielleicht kann ein anderer diese Frage beantworten.


    Mit "bekanntlich" meinte ich, dass in Deutschland der vierte Satz nach meinem Wissen tatsächlich nicht in erster Linie mit Bezug auf den erzwungenen Tanz der Inhaftierten - ich muss gestehen, von solchen erzwungenen Tänzen außerhalb des Umfelds des Klaviertrios nie gehört zu haben - verstanden wird, sondern eher im Kontext des Antisemitismus gesehen wird, etwa in dem Sinne von Michael Schlechtriem.


    Mir ist aber nicht bekannt, wie es im Ausland ist. Meinungsführer in solchen Dingen sind ja gemeinhin die musikalischen Standardwerke. In Deutschland wäre das die Biographie von Meyer. Ich kann mir vorstellen, dass, wenn in einem vergleichbaren englischen Standardwerk die Tanz-Interpretation vertreten wird, sich diese durchsetzen wird. Ist aber bloße Spekulation.


    Der Booklet-Autor jedenfalls meint, die dargestellte Diskrepanz feststellen zu können. Das fand ich hier erwähnenswert.


    :hello: Thomas

  • Lieber Thomas,


    die von Dir erwähnte Leonskaja/Borodin Einspielung gehört für mich mit zu den besten (die ich kenne), obwohl ich auch ein paar kleine Schwachpunkte sehe (ähnlich wie Du). Daher steht sie bei mir "nur" an zweiter Stelle (vielleicht neben Kagan/Gutman/Richter, die ich noch nicht lange kenne), nach der m. E. hervorragenden Einspielung des Beaux Arts Trio (s. oben).


    Was sagst Du denn zu der AKM-Einspielung?


    :hello:
    maticus


    P.S. Was meinst Du mit "älterer" Einspielung? DIe sind beide identisch vom April 1995.

  • Lieber maticus,


    ich besitze folgende Aufnahmen:


    Schostakowitsch, Oistrach, Sadlo, 1946
    Richter, Kagan, Gutman, 1984
    Auer, Bor, Rosen, 1990
    Leonskaja, Borodin Quartet, 1995
    Argerich, Kremer, Maisky, 1998
    Berezovsky, Makhtin, Kniazev, 2004
    Beaux Arts Trio (Hope, Meneses, Pressler), 2005


    Über die von mir bislang nicht genannten werde ich in den nächsten Tagen berichten, auch über AKM (die, das sei schon verraten, mich enttäuscht hat).


    "Ältere" Aufnahme war ein Schreibfehler. Ich hab´s korrigiert. Es handelt sich um ein und dieselbe Aufnahme, die in verschiedenen Ausgaben erschienen ist.


    Viele Grüße
    Thomas

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  • Was halte ich von der AKM-Aufnahme, fragt maticus. Grund genug, sie mir als nächste vorzunehmen. Gerade eben habe ich sie mal wieder gehört (so lange besitze ich sie noch nicht, ich habe sie vor einigen Wochen erst auf Empfehlung von flotan gekauft):



    Die ersten Takte genügen, um zu wissen, dass das nicht meine Interpretation ist.


    Zur Besonderheit dieser ersten Takte zitiere ich aus dem Booklet-Text aus der Makhtin/Berezovsky/Kniazev-Aufnahme von Jeremy Siepmann: „Der Anfang biete einige der eindringlichsten und inspiriertesten Klangfarben-Verwendungen in der Geschichte der Kammermusik: der ganze einleitende „Gesang“ wird vom Cello in hohen Flageolettönen mit aufgesetztem Dämpfer und anfangs solo gespielt; dann schließt sich in einer Art Fugato die Geige in ihrer tiefsten Lage an – fast zwei Oktaven tiefer als das Cello, also eine vollständige Umkehrung der Regel – und später noch das Klavier, das selbst mehr als anderthalb Oktaven tiefer als der tiefste Ton der Geige spielt.“


    Oben ist ja bereits dargestellt worden, worum es in dem Trio geht. Reclams Kammermusikführer fasst zusammen: „In den 4 Sätzen kommen die Trauer um den Freund und der Schmerz über das Elend und die Not der Kriegszeit zum Ausdruck."


    Wenn ich vor diesem Hintergrund diesen wie dargestellt verfremdeten Anfang, in dem nichts mehr wie üblich ist und der wohl eine gewisse Sprachlosigkeit angesichts des toten Freundes zum Ausdruck bringt, ein nach Worten suchen (man vergleiche die Anfänge des ersten und zweiten Satzes miteinander), spiele, liegt es nahe, eine interpretatorische Antwort zu geben. Typischerweise und für mich überzeugend und richtig wird die Antwort in einem fahlen Spiel gefunden bzw. gegeben – mustergültig in diesem Sinne die Aufnahme des Borodin Quartetts mit Leonskaja. Von einer solchen Fahlheit fehlt bei AKM jede Spur. Im Gegenteil gewinne ich schon in diesen ersten Takten den Eindruck, dass Maisky – und sich ihm bei ihren Einsätzen anschließend Kremer und Argerich – versucht, so schön wie möglich zu spielen. Wenn die Musik nach gut vier Monaten anzieht, höre ich in der oben vorgestellten Aufnahme mit Schostakowitsch am Klavier aus dem Jahre 1946 eine so intensive Beschleunigung, ja Steigerung des Spiels, dass der Musik eine äußerste Dringlichkeit verliehen wird. Bei AKM höre ich nichts davon. Im Gegenteil habe ich sogar zeitweise den Eindruck, die drei spielten ein heiteres Scherzo. Wenn man es nicht besser wüsste, müsste man meinen, die Drei wissen nicht, worum es in dem Stück geht.


    Nach diesem ersten Satz ist es keine Überraschung, dass der zweite Satz ebenfalls fröhlich gespielt wird. Gehetztheit gibt es bei AKM nicht. Vielmehr kann man sich beim Hören dieses Satzes tatsächlich die Beschreibung vom lebenslustigen Sollertinski vorstellen. Auch im dritten Satz zeigt vor allem Maisky, das er in erster, in zweiter und auch noch in dritter Linie daran interessiert ist, schöne Töne zu produzieren.


    Der vierte Satz bei AKM, ich traue mich kaum, es zu schreiben: ein heiterer Tanz. Erzwungenheit des Tanzes? Antisemitismus? Unterschwelligem Leid? Gibt es nicht. Stattdessen, oben wurde es bereits zweimal angesprochen, machen die drei bisweilen sogar einen Tango aus der Musik (allerdings für mein Empfinden nicht so deutlich, wie ich es nach dem Lesen der obigen diesbezüglichen Kritik erwartet hatte). Dafür wird dann auch bereitwillig das jüdische Element der Musik – das für das Werk von zentraler Bedeutung ist! – zurückgefahren. Das Ende des Satzes sieht dann auch so aus, dass Argerich schöne, warme Akkorde spielt und die Streiche schließlich so schön zupfen, wie es nur geht..


    In Reclams Kammermusikführer heißt es zum vierten Satz: „… ein Trauermarsch, dessen Thema von Schostakowitsch in schmerzerfüllte Schreckensschreie gesteigert wird.“ Der Hintergrund für die Verwendung jüdischer Musik ist oben bereits dargestellt worden: Der Antisemitismus in Nazi-Deutschland und in der Sowjetunion sowie die konkreten Nachrichten über die Gräuel in den Konzentrationslagern, insbesondere das erzwungene Tanzen.


    Nun mag man dass alles hinnehmen und darauf hinweisen, AKM hätten doch nur einen anderen Ansatz gewählt, es gehe ihnen darum, die schönen Aspekte des Stückes aufzuzeigen. Dafür habe ich allerdings nicht das geringste Verständnis. Er ist mir geradezu zuwider. Die Vorgehensweise, den vierten Satz von seinem Schrecken zu entkleiden und auf schön zu spielen, empfinde ich als moralische Brandstiftung. Für mein Empfinden ist es so, als würde man eine gerade vergewaltige Frau in ihrem Elend sehen und dazu nur bemerken, dass sie ein hübsches Kleid trage.


    Gerade der vierte Satz ist überdies geprägt von starker Manieriertheit, die in willkürlichen Temporückungen und sogar Rhythmusverschiebungen zum Ausdruck kommt (was übrigens in Argerich/Maiskys Aufnahme der Cellsonate ähnlich ist). AKM scheint es mehr darum zu gehen, sich selbst darzustellen als sich mit dem Inhalt des Stückes auseinanderzusetzen. Dazu passen zwei Auffälligkeiten: Zum einen beginnt das Stück mit Applaus. Diesem Applaus ist ein eigener 25 Sekunden langer Track gewidmet. Wunderbar, ihr seid toll, möchte ich den Dreien ironisch zurufen. Zum zweiten ist es bezeichnen, was Inhalt des Booklets ist. Zum Trio selbst finden sich nur wenige Zeilen. Sehr ausführlich geht das Booklet dafür auf die Erlebnisse der Musiker auf Tour ein. Diesen wertvollen Beitrag möchte ich nicht vorenthalten:


    “14 Uhr 30: Martha Argerich wandelt in ihrem rotkarierten Pyjama durch ihre Hotel-Suite im 23. Stock, an ihrem dritten Espresso noppend und mit gelegentlichen Stops am Fenster, das einen eindrucksvollen Blick auf Tokio bietet. „Ist es sehr heiß heute?“, fragt sie ihre Tochter. „Was soll ich heute anziehen?“ Sie wartet die Antwort nicht ab; eine andere Frage kommt ihr in den Sinn. „Was soll ich essen? Etwas Richtiges oder nur eine Kleinigkeit?“ Sie weiß, dass sie eine solide Grundlage braucht, damit ihr Magen während des Konzerts durchhält. Immerhin wird sie vor zehn oder elf Uhr abends nichts essen können. Essen, erläutert sie, hat immer schon eine Hauptrolle in der Argerich-Familie gespielt. Also sollte sie das Zimmer tunlichst nicht verlassen, ohne ihren Gaumen befriedigt zu haben, wenn sie „gut drauf“ sein soll Ihr Mittagessen wird entweder aus Rinder-Pilaw oder gegrilltem Lachs bestehen, den beiden einzigen Gerichten auf der Speisekarte, die sie reizen. Sie bittet eine ihrer Töchter, das Pilaw zu bestellen.“ Und so weiter, und so weiter, uns so weiter. Dieser erste Absatz nimmt schon mehr Raum ein, als man für die Erläuterung des Trios vorgesehen hat.


    Da es sich um eine Live-Aufnahme handelt, möchte ich Intonationsmängel, die sowohl Maisky als auch Kremer unterlaufen, nicht herausstellen. Negativer schlägt da schon zu Buche, dass Argerich ihren Klavierton, ihre Farbe in allen vier Sätzen nicht verändert. Sie spielt die allermeiste Zeit mit einem einheitlich warm-weichen Klang, der so überhaupt nicht zu dieser Musik Schostakowitschs Trio passt (und eben auch ganz anders klingt, als Schostakowitschs Klavierspiel selbst). Aus einem Guss, wie es so vorbildlich in der Borodin/Leonskaja-Aufnahme zu erleben ist, klingen AKM zudem ebenfalls nicht. Von blindem Verständnis kann hier nicht die Rede sein.


    So, lieber maticus, jetzt habe ich viel mehr geschrieben, als ich eigentlich wollte. Das kommt davon, wenn man sich ärgert.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Zitat

    14 Uhr 30: Martha Argerich wandelt in ihrem rotkarierten Pyjama durch ihre Hotel-Suite im 23. Stock, an ihrem dritten Espresso noppend und mit gelegentlichen Stops am Fenster, das einen eindrucksvollen Blick auf Tokio bietet. „Ist es sehr heiß heute?“, fragt sie ihre Tochter. „Was soll ich heute anziehen?“ Sie wartet die Antwort nicht ab; eine andere Frage kommt ihr in den Sinn. „Was soll ich essen? Etwas Richtiges oder nur eine Kleinigkeit?“ Sie weiß, dass sie eine solide Grundlage braucht, damit ihr Magen während des Konzerts durchhält. Immerhin wird sie vor zehn oder elf Uhr abends nichts essen können. Essen, erläutert sie, hat immer schon eine Hauptrolle in der Argerich-Familie gespielt. Also sollte sie das Zimmer tunlichst nicht verlassen, ohne ihren Gaumen befriedigt zu haben, wenn sie „gut drauf“ sein soll Ihr Mittagessen wird entweder aus Rinder-Pilaw oder gegrilltem Lachs bestehen, den beiden einzigen Gerichten auf der Speisekarte, die sie reizen. Sie bittet eine ihrer Töchter, das Pilaw zu bestellen.“


    Ach Du liebes bisschen, das darf doch nicht wahr sein!
    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:
    :faint:



    Argerich ist eine Superpianistin und ich bewundere sie sehr, aber sowas geht für mich wirklich zu weit.
    Das ist ja Selbstbeweihräucherungskitsch in Reinkultur.


    Das schreit ja geradezu nach einer Parodie!


    Bitte, Blackadder, nimm Dich dieser an!


    :D
    :hello:


    Michael

  • Jenseits von all dem Anekdotischem: Thomas' Einstellung zu dieser Aufnahme teile ich absolut.


    Vor ungefähr einem Jahr hatte ich für mein Patenkind ein Schostakowitsch-Paket zusammensgestellt. Ich habe versucht, ihn in seinen unterschiedlichen Facetten vorzustellen. Und da gehörte das Trio mit rein. Die AKM-Aufnahme habe ich da auch gehört. Und für nicht diskutabel gehalten. Oder jedenfalls: nicht geignet, um ein Kind an dieses Werk heranzuführen. Meine eigene Lieblingsaufnahme mit Igor Shukov, Grigorie Feigin und Valentin Feigin war allerdings auch nicht so einfach zu beschaffen. Ich müsste das Mädel allerdings mal fragen, welche Einspielung ich ihr nun geschickt habe. Bei der 5. Sinfonie und dem KK weiß ich's noch.


    Dieses 2. Klaviertrio hat in diesem Zusammenhang immerhin zur von mir zusammengestellten Schostakowitsch-Überlebensration gehört. Mit von der Partie waren noch die Sinfonie Nr. 5, das Klavierkonzert Nr. 2 und die Jazz-Suiten.


    Ich habe dieses Klaviertrio übrigen erstmalig bei einem VHS-Seminar gehört. Da spielten Mitglieder des Kölner Gürzenich-Orchesters. Das war mal eine Aufführung. In Bezug auf AKM möchte man da fast sagen: Avoid the stars.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Wenn die Musik nach gut vier Monaten anzieht,


    Lieber ThomasNorderstedt,
    excellent, in welchem Maße sich da Zeitfenster öffnen...........


    Bitte nicht böse sein, aber ich konnte nicht widerstehen.......... :pfeif:


    Lieber Thomas Pape,

    Zitat

    Die AKM-Aufnahme habe ich da auch gehört. Und für nicht diskutabel gehalten. Oder jedenfalls: nicht geignet, um ein Kind an dieses Werk heranzuführen


    na ja, also ganz ehrlich:
    Wie alt ist das Kind?
    Ich frage deshalb, weil es nicht unbedingt schön und erquicklich für ein Kind sein kann, mit der vollen Wucht der düstersten Zeiten und Werke des 20. Jhdts konfrontiert zu werden.


    Bitte nicht böse sein, aber ein KIND muß m.E. überhaupt nicht an dieses Werk herangeführt werden, das ist viel zu früh.


    Noch einmal, bitte nicht böse sein, aber das ist keine Musik für-normale- Kinder.
    Und Schostakowitsch muß man doch nicht gleich in allen Facetten darbieten, das ist zuviel für den Anfang.
    Es braucht u.U. Jahre, alle Facetten kennenzulernen, und diese auch Zeitgeschichtlich einordnen zu können.


    Mindestens, wenn nicht Jahrzehnte.......


    Vielleicht versteht man dann auch etwas mehr davon, aber dazu braucht es Zeit.
    Sehr viel Zeit.


    Ein Kind hat noch sehr viel Zeit vor sich.


    Laß doch dem Kind seine Zeit, alles selber zu entdecken und fange nur mit leichteren Beispielen zu Schostakowitsch an.


    Du kannst die Entwicklung ja überwachen, aber alles

    Zitat

    Ich habe versucht, ihn in seinen unterschiedlichen Facetten vorzustellen


    direkt umfangreich vor-und- klarzustellen zu wollen halte ich für eine Überfrachtung.


    Ein Anstoss genügt doch, und dieser Anstoss muß gut überlegt sein.
    Vielleicht die 1. Sinfonie?
    Oder das 1. Cellokonzert?
    Dies waren die ersten Werke, welche ich als 10 jähriger von Schostakowitsch kennenlernte, und sie gefielen mir.


    Um z.B. das 2. Cellokonzert zu verstehen und zu mögen, mußte ich erst erwachsen werden, das dauerte- eigentlich bis heute........ :D


    LG,
    :hello:


    Michael

  • Guten Morgen,
    meine (prä-?)senile Bettflucht hat mich wieder im Forum landen lassen.
    Es gibt übrigens noch eine Aufnahme des 2. Klaviertrios mit Schostakowitsch selbst am Klavier - und zwar mit Mitgliedern des Beethoven-Quartetts (D.M. Zyganow und P.Schirinsky - das Beethoven-Quartett hat einen Großteil der Schostakowitsch-Streichquartette uraufgeführt).
    Bei dieser Aufnahme handelt es sich um 5 Schellack-Platten aus original russischer Zementpressung mit exzellenter Nadelkillerqualität - die erste Platte hat zudem einen Sprung und ist mit Leukoplast (!) geklebt und trotzdem noch abspielbar.
    Trotz der grausamen Tonqualität ist es eine faszinierende und bedrückende Aufnahme - Schostakowitsch spielt scheinbar emotionslos wie ein Automat.
    Das Allegretto wird dadurch zu einem Totentanz,der einem den Hals zuschnürt.
    In geringfügig besserer Tonqualität konnte ich noch das Klavierquintett op.57 ebenfalls mit Schostakowitsch und dem Beethovenquartett - dazu noch fünf Preludes aus op. 34 - aus der Schellackkiste erwecken.
    Von den beiden Aufnahmen des 2.Klaviertrios mit dem Beaux Arts Trio ziehe ich die ältere (mit Cohen;Greenhouse) der neueren (mit Hope,Meneses) vor-
    sie ist irgendwie lebendiger und feuriger - ein absoluter Kontrast zu der russischen Einspielung (s.o.)
    Live konnte ich mit dem Beaux Arts Trio (mit Hope,Meneses) den 2.Satz (Allegro con brio) als Zugabe erleben - hier legten sie sich dermaßen ins Zeug , daß Meneses sogar sein Cello "ruinierte".
    Der trockene Kommentar von Pressler - während Meneses neue Saiten aufzog - :"Ein wildes Stück - aber muß es denn so wild sein ?"
    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Lieber Thomas,


    ich habe natürlich nicht ganz ohne Hintergedanken nach Deiner Meinung zu AKM gefragt. Ich selbst habe (nur, wie mir jetzt auffällt) 4 Einspielungen, und davon ist sie diejenige, die mir mit Abstand am wenigsten gefällt. (Die anderen 3, die ich alle sehr gut finde, sind: Leonskaja/Borodin, Beaux Arts (die "neuere"), und Gutman-Kagan-Richter (GKR).)


    Ich habe AKM heute nochmal gehört. Gleich danach GKR. Welch ein Unterschied! Ist doch GKR (und auch die anderen beiden sind es) viel feiner, empfindsamer gespielt, deutlich emotionaler.


    Bei AKM dominieren volle, satte, warme, "schöne" Klänge, eine teilweise ins süßliche gehende Stimmung. Besonders das Finale ist m. E. besonders vermurkst bei AKM. Keine Spannung, fragwürdige lokale Tempiwechsel, rhythmische Unfeinheiten (besonders Argerich), und man hat den Eindruck, jeder der drei will sich ins rechte Licht rücken. Das Spiel dreier Solisten. Sicherlich eine herbe Enttäuschung, da ich die drei Künstler einzeln doch sehr schätze.


    Über den Booklettext sage ich mal nichts...


    :hello:
    maticus

  • Mit diesen beiden Aufnahmen habe ich heute meinen Hördurchgang op. 67 abgeschlossen:


    (die rechts abgebildete Aufnahme ist bei amazon auch noch unter der ASIN „B0017W7DCI“ zu finden)


    Zunächst gehört habe ich die Aufnahme des Beaux Arts Trios. Es handelt sich um dessen dritte Aufnahme (die erste, noch mit Greenhouse, stammt aus 1975, die zweite aus 1989, die dritte aus 2005, Besetzung siehe oben). Matthias Oberg schrieb oben zu ihr: Diese finde ich auch ganz besonders ergreifend durch äußerst fein nuanciertes Spiel.“ Äußerst fein nuanciertes Spiel trifft es meines Erachtens ganz ausgezeichnet. Eindeutig ist diese Interpretation sorgsam erarbeitet worden. Nichts wirkt zufällig, alles durchdacht. Als besonders gelungen sehe ich in dieser Aufnahme den ersten und dritten Satz an. Im ersten wählt das Beaux Arts Trio einen anderen Ansatz als den gewohnten, in dem sie den Anfang nicht fahl spielen, sondern dünn, wie an einem seidenen Faden, wodurch sie eine geisterhafte Stimmung erzeugen. Gefällt mir gut. Den dritten Satz nehmen die Drei sehr langsam, ohne dass er ihnen auseinander fällt, und auch daher sehr traurig.


    Was der Aufnahme fehlt, wird beim Hören der Aufnahme von Kagan, Gutman und Richter schnell deutlich:


    Es ist ein altbekanntes Klagelied, dass der spezifisch russische Orchesterklang, den die Komponisten im Ohr hatten, für den sie geschrieben haben, verloren geht. Nun, wie gut, dass es Aufnahmen gibt. In dieser von Kagan, Gutman und Richter ist besagter Orchesterklang als Kammermusikklang zu erleben. Der Beiheftautor betitelt sein Loblied auf Kagan: „Höchste Wahrhaftigkeit in Oleg Kagans glühender Musik“. Tatsächlich sind das die beiden Säulen, die diese Aufnahme auszeichnen: Wahrhaftigkeit und glühende Intensität. Auf den Punkt gebracht besteht der Unterschied zwischen den beiden oben abgebildeten Aufnahmen darin, dass das Beaux Arts Trio sich die Interpretation erdacht hat und dieses Erdachte sodann kunstvoll wiedergibt, während Kagan, Gutman und Richter das spielen, was sie selbst als Sowjetrussen erlebt haben (Stichwort: Wahrhaftigkeit). Sie müssen sich nichts erdenken, sondern können ihre Emotionen einfach herauslassen. Dieses Herauslassen – und da bin ich wieder beim russischen Orchesterklang - nimmt keine Rücksicht auf technische Akkuratesse, sondern geht zum Zwecke des Ausdrucks darüber hinaus. Das technisch richtige Spiel wird dem Ausdruck immer untergeordnet. Ob Kagan oder Gutmann, die Instrumente von beiden klingen auf den Siedepunkten der Musik bisweilen sogar blechern, so weit gehen diese Musiker (Stichwort: glühende Intensität). Und ganz am Ende des Stückes, am Schluss des vierten Satzes klingt kein Ton mehr heil, alles ist kaputt, aus, zu Ende – der Mensch vorm Massengrab.


    Anmerkung 1: Keiner sollte denken, Kagan und Gutman (übrigens ein Ehepaar) könnten es technisch nicht besser. Diese Annahme wäre falsch.


    Anmerkung 2: Lieber Micha, selbstverständlich ist M. Argerich eine Weltklassepianistin. Diesen Rang hat sie sich über viele Jahrzehnte verdientermaßen errungen. Meine oben wiedergegebene Meinung zu dieser einen Aufnahme stellt diesen Rang für mich nicht annährend in Frage.


    Anmerkung 3: Auf eine abschließende Zusammenfassung womöglich sogar mit Benotung von 1 bis 10 verzichte ich. Es sollte deutlich geworden sein, dass ich die Kagan, Gutman, Richter-Aufnahme am meisten schätze - ich habe sie mir aufgrund der Empfehlung von pt_concours gekauft. Vielen Dank dafür. Einen zweiten Platz mag ich schon nicht mehr vergeben. Leonskaja mit Mitgliedern des Borodin Quartetts, Berezovsky, Makhtin und Kniazev sowie das Beaux Arts Trio finde ich alle sehr hörenswert, sie geben mir unterschiedliche Dinge. Deutlich abgeschlagen und nicht anhörenswert sind für mich Auer, Bor und Rosen sowie Argerich, Kremer und Maisky. Die Aufnahme mit Schostakowitsch, Oistrach und Sadlo steht als etwas Besonderes, als historisches Dokument außerhalb der Wertung.


    Viel Vergnügen euch anderen noch mit diesem Werk wünscht
    Thomas