Oper Zürich, Tosca, Giacomo Puccini, 27. (GP) und 29.(PR) März 2009

  • Giacomo Puccinis "Tosca" galt meine Reise in meine zweitliebste Opernstadt, Zürich, und das hatte zwei Gründe: Der eine heißt Jonas Kaufmann, der andere Robert Carsen, denn der glücklichen Kombination einer meiner Lieblingssänger mit einem meiner Lieblingsregisseure konnte ich natürlich nicht widerstehen. Außerdem wollte ich endlich wieder einmal eine spannende "Tosca" erleben, und in dieser Hoffnung wurde ich auch nicht enttäuscht.
    Allerdings etwas verblüfft, denn nach seiner sehr politisch orientierten Züricher Lucia dachte ich natürlich, Carsen würde diesen Aspekt in einer Oper, wo dies doch weit naheliegender ist, ebenfalls ins Zentrum seiner Regiearbeit stellen. Aber weit gefehlt, der historische Hintergrund interessiert Carsen ebenso wenig wie eine konkrete Diktaturkritik, ihm geht es diesmal um das Theater im Sinne von Schnitzlers "Wir spielen immer, wer es weiß, ist klug." Das heißt, für Carsen ist Tosca in erster Linie die große Diva, erst in zweiter die liebende Frau, und für die Legitimation dieser Sicht gibt es im Libretto genügend Belegstellen. (Es handelt sich aber keineswegs um das beliebte und schon ziemlich abgenützte "Theater-im-Theater-Modell"!)
    Daher zeigt auch das Bühnenbild nicht die üblichen Schauplätze (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg), sondern die drei "Aspekte" eines Theaters: Zuschauerraum, Hinterbühne, Bühne, wobei Ausstatter Anthony Ward eine sehr einfache, aber raffinierte Lösung gefunden hat, mit praktisch einem einzigen Bühnenbild auszukommen, das nur geringfügig modifiziert wird. Die Spielfläche wird von einem rechtwinkeligen Dreieck gebildet, dessen Basis die Abgrenzung zum Orchestergraben ist. Die linke, kürzere Seite besteht aus einer Mauer, die im ersten Akt als Hintergrund für ein beinahe fertig gestelltes Fresko - die HL. Maddalena - dient, die rechte, lange wird von einem Vorhang begrenzt, der entweder die imaginäre Bühne (im 1. und 2. Akt) oder den imaginären Zuschauerraum (im 3. Akt) verhüllt. Im Scheitelpunkt des Dreiecks ragen zwei mächtige, golden kannellierte Säulen auf hohem Sockel bis in den Schnürboden hinauf.
    Im 1. Akt ist der Vohang aus rotem Samt mit Goldbordüren, davor stehen ebenfalls rot gepolsterte Stühle in einer Anordnung, die unschwer den Ort als Zuschauerraum eines Theaters definieren. Ein hohes Gerüst steht vor dem Fresko, darunter führt eine kleine Türe in ein Nebengemach - die "Kapelle", in welcher Angelotti verschwindet, nachdem er den Schlüssel auf dem Sockel des Säulenpaares gefunden hat. Die Zuschauer der letzten Vorstellung haben allerhand Müll hinterlassen, u.a. auch Programmhefte, die ebenso wie die der echten Aufführung das Bild Toscas auf dem Titelblatt zeigen. Der Sagrestano, hier logischerweise ein Theaterdiener, beseitigt schimpfend das Chaos, rückt Sessel gerade und lässt das Publikum nicht im Unklaren darüber, was er von seinem Job hält. Beim "Angelus domini" ist er nicht so ganz bei der Sache, denn er hält dabei ein Programmheft in Händen und scheint die schöne Diva mit recht unfrommen Gedanken zu betrachten. Daher mischt sich in des Sagrestano Abscheu vor dem Freidenker Cavaradossi ein gehöriger Schuss Eifersucht, weil der besitzt, was er wohl auch gern hätte, nämlich Herz und Körper der vergötterten Sängerin. Giuseppe Scorsin macht aus dieser kleinen Rolle eine gelungene Charakterstudie, die sich mit vielen feinen Details einprägt.
    Jonas Kaufmann, mit Jeans und weißem, locker über die Hose hängendem Hemd, beides mit Farbspritzern verunziert, ist ein Bilderbuchcavaradossi und bewegt sich auf der Bühne mit einer Natürlichkeit, die mich immer aufs Neue begeistert. Nie ertappt man ihn bei einer pathetischen, falschen Geste, der Dirigent scheint für ihn nicht zu existieren, denn kaum einmal schaut er bewusst in diese Richtung, und trotzdem verpasst er keinen Einsatz. Wie ein großer Junge wirkt dieser Cavaradossi, unbeschwert, verspielt und natürlich seeeehr verliebt in seine Floria, deren Eitelkeit und Hang zur Selbstdarstellung er zwar erkennt, aber als liebenswerte Schwäche betrachtet. Mit Politik hat der Maler in Carsens Lesart nicht viel am Hut, er hasst Scarpia nicht so sehr wegen seiner politischen Funktion, sondern weil er ihn als Mensch verabscheut - noch nie hörte ich so viel Verachtung beim "Bigotto satiro".
    Dann tritt Tosca auf, und sie tut es bei Carsen in doppeltem Sinn, denn in (fast) allem was sie macht und sagt, ist sie die große, vergötterte Diva, die nie auf ihre Außenwirkung vergisst. Selbst in den intimen Momenten der Zweisamkeit kann sie ihre Rolle nicht ganz ablegen, und so tritt sie während des "Non la sospiri la nostra cassetta" vor an die Rampe, als stünde sie auf der Bühne und berauscht sich an der Kunst ihres Vortrags. Belustigt und nachsichtig lächelnd verfolgt Cavaradossi diesen "Auftritt" seiner Geliebten. Ist Toscas rasende Eifersucht echt oder gespielt? Man weiß es nicht so genau, und exakt dieser Schwebezustand zwischen Spiel und Realität ist es, das diese Inszenierung so spannend macht. Für Tosca ist die ganze Welt ihre Bühne, alle Menschen ihr Publikum, dessen Bewunderung sie um jeden Preis erringen will, selbst wenn es sich um Scarpia handelt, den sie als Charakter natürlich durchschaut und verabscheut. Trotzdem fühlt sie sich durch sein Interesse an ihr geschmeichelt, und als beinahe instinktive Reaktion auf sein Auftauchen im Theater (Kirche) zückt sie ihre Puderdose und korrigiert ihr Makeup, ihn dabei verstohlen im Spiegel betrachtend.
    Diesen Auftritt Scarpias inszeniert Carsen als Knalleffekt: Man erwartet natürlich, er würde wie die anderen von der Seite hereinkommen, aber nein, er taucht plötzlich wie ein Deus ex macchina auf dem Sockel zwischen den beiden Säulen auf, wie ein drohendes Unheil von oben. Natürlich verliert diese Szene an Wirkung, wenn man sie zum zweiten Mal sieht, beim ersten Mal hielt ich wirklich den Atem an.
    Schon im 1. Akt erkennt man, was im 2. dann natürlich offensichtlich ist, dass hier zwei starke Persönlichkeiten aufeinandertreffen und die Herausforderung des jeweils anderen nicht nur annehmen, sondern in einer gewissen Weise auch genießen. Und wieder "spielt" Tosca ihr Spiel, denn eben rast sie noch vor Eifersucht, um im nächsten Moment huldvoll lächelnd zwei Bewunderern ihre Programmhefte zu signieren, bevor sie, ganz im Stil der großen Diva, abrauscht.
    Während Scarpia sein "Va Tosca...." anstimmt, füllt sich der Raum mit Zuschauern, die von Billeteuren auf ihre Plätze gewiesen werden, und am Ende des Tedeums hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf eine im goldenen Strahlenkranz thronende Tosca (Madonna), zwei goldene Posaunenengel schweben über ihr und kirchliche Würdenträger beugen ehrerbietig Köpfe und Knie - die Kirche als farbenprächtige Inszenierung, die jedes Theaterstück in den Schatten stellt!
    Der 2. Akt spielt auf der Hinterbühne, statt des Vorhangs erblickt man eine graue Stahlwand mit der Aufschrift "Vietato fumare!", wo im ersten Akt das Fresko hing, lehnt nun ein überdimensionales Poster von Tosca. Ein prächtiger Barocktisch mit passendem Stuhl - ein Requisit, wie es in jedem Theater zu finden ist - und links vorne einige achtlos deponierte Scheinwerfer charakterisieren die Lokalität. Scarpia betrachtet rauchend das Bild mit dem Ziel seiner Begierde.(Naja, auch ohne diesen flachen Gag wüsste man: "Für diesen Mann gelten weder Gesetze noch Verbote!", aber bitte...) Dann öffnet er eine Reihe von Briefen, und mit diesem Brieföffner wird er später ermordet werden. Cavaradossi ist so irritiert vom Bild Toscas in Scarpias Gemach, dass er zunächst wie geistesabwesend auf die Fragen antwortet, dann aber umso wütender wird, besonders, als seine Floria nun auch ad personam auftaucht. Sie rauscht herein, wieder ganz große Diva, im Arm einen Strauß roter Rosen, und scheint kein bisschen pikiert über die Einladung des Polizeichefs. Das ist sie erst, als sie ihren Geliebten vorfindet.... Nach dessen unfreiwilligem Abgang beginnt ein Verbalduell zwischen Tosca und Scarpia, das an Spannung nichts zu wünschen übrig lässt. Es sind zwei ebenbürtige Partner, die einander nichts schenken, und bei Tosca verhärtet sich der Verdacht, dass sie wieder einmal Realität und Bühne verwechselt. Das empfindet offensichtlich auch Scarpia so, denn bei den Worten "Mai Tosca alla scena piu tragica fu!" wirft er ihr höhnisch lachend das Programmheft mit ihrem Coverfoto vor die Füße. (Es lag auf seinem Schreibtisch) Dann zerfetzt er mit dem Brieföffner Toscas Bild an der Wand und wirft ihn achtlos auf den Boden.
    Selbst der halb bewusstlose Cavaradossi erschrickt über die sichtbaren Spuren dieser Raserei. Als er aber Toscas Verrat erkennt, wirft er den Rahmen mit dem zerstörten Bild auf den Boden.
    Tosca erwacht nun kurz aus ihrer Theaterscheinwelt und erkennt, dass dies alles kein Spiel mehr ist, dass es nicht mehr um Bewunderung und Ruhm, sondern um das nackte Leben und ihre Ehre geht. Carsen verdeutlicht dies auf berührende Art und Weise, indem er Tosca ihr "Vissi d'arte" beinahe im Dunklen beginnen lässt, während der Scheinwerfer auf Scarpia ruht, der höhnisch lächelnd an der nun nackten Ziegelwand lehnt. Sie ist nun nicht mehr die große Diva, sondern nur mehr Frau und Liebende, schutzlos und verletzlich. Allerdings dauert diese Phase der Reduktion auf den Menschen Floria Tosca nur kurz, denn im Laufe der Arie gewinnt sie immer mehr an Selbstsicherheit und bei " e diedi il canto agli astri" ist sie wieder ganz die berühmte Tosca, die mit theatralisch erhobenen Armen - und auch wieder im vollen Scheinwerferlicht - auf den Applaus des Publikums wartet. Dieser erfolgt natürlich reichlich, und als es im Zuschauerraum wieder still ist, applaudiert Scarpia, langsam, begleitet von hämischem Grinsen. Das ist eine der Momente dieser Inszenierung, die wirklich Gänsehaut erzeugt.
    Als dann der "Deal" geschlossen ist, benimmt sich Tosca keinesfalls wie ein Opferlamm, sondern will Scarpia diesen Triumph, sie erniedrigt und womöglich panisch zu sehen, auf keinen Fall gönnen. Im Gegenteil, während er den Geleitbrief schreibt, tritt sie an seinen Tisch und legt langsam, beinahe ein wenig lasziv, ihre Ohrringe ab und zieht die langen Handschuhe aus. Scarpia beobachtet sie dabei mit einem Blick, der alleine Thomas Hampson schon den Schauspieloscar sichern würde, und löst mit saradanischem Grinsen seine Fliege (Dieser Polizeichef trägt natürlich Anzug und Gilet.) Hastig schreibt er weiter, während Tosca ihr Kleid ablegt. Dabei fällt ihr Blick auf den noch immer am Boden liegenden Brieföffner. Herausfordernd legt sie sich auf ihr zerfetztes Bild und stößt ihn Scarpia, der sich mit dem "Finalmente mia!" auf sie stürzt, ins Herz, rollt ihn von sich herunter, kniet sich auf ihn und singt ein "Muori!!", das einem durch Mark und Bein geht. Dafür klingt das "Davanti a lui tremava tutta Roma! beinahe ein wenig spöttisch. Der tote Scarpia wird nicht wie üblich mit Kreuz und Kandelaber aufgebahrt, Tosca legt ihm das Programmheft mit ihrem Bild, das er ihr zuvor vor die Füße geworfen hat, auf die Brust, gemeinsam mit einer Rose, die sie aus ihrem Strauß zupft. Sie rennt auch keineswegs panisch davon, zieht sich in aller Ruhe an, vergisst auch besagten Rosenstrauß nicht und verlässt den Raum, wie sie ihn betreten hat: Im Stil einer großen Diva.
    Im 3. Akt befinden wir uns nun auf der völlig leeren Bühne, deren Vorhang (die graue Rückseite) zugleich mit dem echten hoch geht. Cavaradossi steht mit dem Rücken zum Publikum und blickt in den imaginären Zuschauerraum, der als große Dunkelheit vor ihm liegt. Während der Hirtenknabe sein Lied singt (übrigens vom Beleuchterraum hoch über den Köpfen der Zuschauer) sinkt er langsam in die Knie und krümmt sich am Bühnenboden. Dann kommt das einzige Element dieser Inszenierung, das ich nicht verstehe: Anstatt des Briefes an Tosca malt Cavaradossi mit Kreide ein riesiges Auge an die Ziegelmauer. (Bezugnehmend auf die Occhi neri?????) Sonst passiert nichts Spektakuläres in diesem Akt, sieht man vom wieder äußerst intensiven Spiel von Jonas Kaufmann und Emily Magee ab. Und wie stirbt Tosca bei Robert Carsen? Wie sie gelebt hat, als große Diva! Feierlich schreitet sie vor an die Rampe (die Verfolger treten nicht in Erscheinung, man hört sie nur aus dem Off), im Lichtkegel auf der ansonsten völlig finsteren Bühne, und springt in den imaginären Zuschauerraum.
    Wenn sich dann der Vorhang zum ersten Mal zum Schlussapplaus öffnet, steht Tosca alleine im Rampenlicht, zwei riesige Rosensträuße im Arm, und spielt noch einmal die große Diva, bevor die "richtigen" Vorhänge beginnen.
    Fans des extremen Regietheaters werden dieser Inszenierung nicht allzu viel abgewinnen können, denn eine spektakuläre Neudeutung nimmt Robert Carsen auf keinen Fall vor. Er konzentriert sich auf die Personenführung und setzt auf das intensive Spiel seiner Protagonisten, und diese Rechnung geht mit Emily Magee, Jonas Kaufmann und Thomas Hampson 100%ig auf. Da gibt es so unglaublich viele Details, subtile Ideen, sodass ich mir wünschte, ich könnte die gesamte Aufführungsserie sehen, um bei jeder Vorstellung neue Finessen zu entdecken.
    Wie gesagt: Schauspielerisch gebührt allen Sängern eine Auszeichnung, selbst kleinen und kleinsten Rollen verleiht Carsen ein unverwechselbares Profil.
    Aber auch musikalisch befanden sich beide von mir besuchten Vorstellungen auf sehr hohem Niveau, wobei Emily Magee und Jonas Kaufmann bei der PR doch Nerven zeigten und an ihre makellosen Leistungen bei der GP nicht ganz herankamen. Emily Magee verwackelte just bei "Vissi d'arte" einige Töne, was mich wahrscheinlich gar nicht gestört hätte, hätte ich nicht ihre GP noch im Ohr gehabt. Aber ihr voller, warmer Sopran, der auch bei den Spitzentönen ohne jede Schärfe auskommt und realtiv vibratoarm ist, so wie ich es liebe, begeisterte mich einmal mehr.
    Jonas Kaufmann ist sowohl stimmlich wie auch schauspielerisch für den Cavaradossi prädestiniert und für mich endlich ein würdiger Aragallnachfolger, auf den ich bis zum 27. April vergeblich gewartet habe. Wie dieser verfügt sein Tenor einerseits über die Durchschlagskraft, ein fulminantes, endlos gehaltenes "Vittoria!" zu schmettern, bei dem der Kronleuchter klirrt, andererseits über genügend Atem, die typischen "Puccinibögen" schwelgerisch und auf einer bruchlosen Linie auszusingen und vor allem über eine perfekte Pianokultur. So innig, schwebend und dennoch körperhaft kamen die "Dolci mani" bisher eben nur von Aragall. Und just hier zeigte Jonas bei der PR Nerven: Während die Piani bei der GP einfach perfekt klangen, zum Niederknien schön, fehlte ihnen am Sonntag ein wenig die Stütze. Ohne den Unterschied im Ohr hätte ich wahrscheinlich wenig daran auszusetzen gehabt, aber so wusste ich, dass er's besser kann. Puccini liegt Jonas Kaufmann überhaupt besser in der Kehle als Verdi, diesen Eindruck fand ich zwei Tage später bei der "Traviata" bestätigt. Während er mir als Duca, Carlo und eben Alfredo zwar sehr gut gefällt, ich aber nie so restlos glücklich bin, begeistert er mich als Cavaradossi ohne Wenn und Aber, und die neue "Butterfly" mit ihm unterstreicht diesen Befund.
    Thomas Hampson gab sein Debut als Scarpia und überraschte mich dabei positiv. Dass er schauspielerisch einen herrlich fiesen Polizeichef abgeben würde, hatte ich vorausgesetzt, bei seinen letzten Auftritten in Wien hatte er mich stimmlich aber ziemlich enttäuscht. Nun klang er ausgeruht, sein warmer, eher hell timbrierte Bariton wartete mit mehr Farbnuancen auf als zuletzt, doch konnte man leider nicht überhören, dass Thomas Hampson den stimmlichen Zenit wohl überschritten hat. Die souveräne, strahlende Höhe von einst ist dahin, leider versucht der Sänger dies mit Lautstärke zu kompensieren. Das kann man beim Scarpia als rollendeckend durchgehen lassen, nicht aber z.B. beim Germont zwei Tage später. Trotzdem war es ein erfreuliches Wiedersehen mit einem meiner Lieblingssänger, und durch seine intelligente Rollengestaltung lässt mich Hampson leicht vergessen, dass es halt leider nicht mehr so klingt wie einst im Mai......
    Paolo Carignani war sehr kurzfristig für Christoph von Dohnany eingesprungen, der nach Differenzen mit dem Ensemble wenige Tage vor der PR das Handtuch geworfen hatte. Er hatte also kaum Zeit, das Orchester, das die ganze Zeit mit Dohnany geprobt hatte, auf seine Lesart einzustellen. Ich hatte an seinem Dirigat eigentlich nichts auszusetzen, hörte aber einige kritische Stimmen, dass speziell der 3. Akt zu langsam gewesen sei. Da Jonas Kaufmann über einen langen Atem verfügt, machte sich das nicht negativ bemerkbar. Dankbar bin ich Carignani, dass er nach ""E lucevan le stelle" nicht die übliche Klatschpause machte, sondern zügig weiter dirigierte, sodass der Spannungsbogen nicht verloren ging.
    Der ihm vorenthaltene Jubel wurde Jonas Kaufmann dann beim Schlussapplaus in überreichem Maße zuteil. Gäbe es ein "Applausometer", hätte es bei ihm am weitesten ausgeschlagen, gefolgt von Thomas Hampson und etwas abgechlagen Emily Magee. Das fand ich ehrlich gesagt etwas ungerecht, denn für mich ist sie eine großartige Tosca.
    Auch das Regieteam wurde mit ungeteiltem Jubel bedacht, es gab kein einziges Buh, denn das Züricher Publikum ist gottlob aufgeschlossen genug, dass eine Kirche auch mal ein Theater sein darf. (Eine ohnehin nicht so absurde Assoziation :stumm: )
    lg Severina :hello:

  • Danke für diesen interessanten Bericht, severina. Die Inszenierung klingt wirklich sehr spannend, so wie du das schilderst. Mit Carsen-Inszenierungen bin ich noch nicht so oft in Berührung gekommen. Wenn, dann hielt sich meine Begeisterung allerdings sehr in Grenzen. Stammt von ihm nicht dieser Raffinerie-Trovatore aus Bregenz? Na ja..... Auf DVD gibt es auch einen Hoffmann mit Shicoff und Terfel aus Paris, der ja auch teilweise in einem Theater spielt.


    Wenn ich an seine Manon Lescaut an der Wiener Staatsoper denke, kann ich allerdings nur den Kopf schütteln. Diese Inzsenierung gehört für mich zum unlogischsten was sich so im Repertoire tummelt. Das macht doch von vorn bis hinten wenig bis gar keinen Sinn. Manon, die in einer Luxus-Einkaufspassage verdurstet..... :no:


    Ich habe in einem Forum ein Photo von Emily Magee in dieser Tosca gesehen und da wurde ihr Aussehen mit Zarah Leander assoziiert. Nachdem was du schreibst, würde das ja zu der sehr divahaften Darstellung der Titelfigur passen.


    Daß Hampson den Scarpia in sein Repertoire aufnimmt, verwundert mich doch sehr. Ich habe von einer Besucherin gehört, die sagte, im zweiten Bild hätte er doch sehr gegen das Orchester kämpfen müssen, und war teilweise nur schwer zu hören. Leider sind meine letzten Erfahrungen mit Hampson nicht sehr gut gewesen. Ich denke nur an seinen schwachen Rodrigo an der Staatsoper. Aber nachdem er sich ja negativ über unser Land geäußert hat und in weiterer Folge auch die Konsequenz zieht, hier nicht mehr auftreten zu wollen, spielte das bei seinen letzten Wiener Auftritten wohl auch eine Rolle. :pfeif:


    Kein Buh bei einer so modernen Inszenierung? Sind die Eidgenossen tatsächlich so ein aufgeschlossenes Opernpublikum? 8o


    Gregor

  • Lieber Gregor,
    danke für die Blumen ;)! Ich habe in Zürich schon eine Reihe sehr guter Carsen-Inszenierungen gesehen (Lucia, Semele) und freue mich auf seine Poppea im Theater an der Wien im nächsten Jahr. Den Raffinerie-Trovatore fand ich auch nicht so prickelnd, obwohl das Bühnenbild live schon sehr spektakulär war und besonders die Szene mit dem ZIgeunerchor (bei Carsen Industriearbeiter) unter die Haut ging.
    Unsere "Manon Lescaut" fand ich zwei Akte lang sehr gut, aber im letzten geht das Konzept nicht mehr auf, den Schluss finde ich ebenso lächerlich wie du.
    Was nun die "Tosca" betrifft, so passiert nichts revolutionär Neues, sieht man davon ab, dass die Handlung irgendwann in den 50erjahren des vorigen Jahrhunderts spielt, laut Carsen die Zeit der großen Diven. Aber durch die spannenden Interaktionen auf der Bühne werden das Wo und Wann bald nebensächlich - Eifersucht, Divenhaftigkeit, fieser Machtmissbrauch und Erpressung sind ja (leider) Erscheinungen, die an keine bestimmte Epoche gebunden sind....
    Was Hampson betrifft: Wie ich geschrieben habe, hat er stimmlich sicher seine besten Zeiten hinter sich, aber er formt ein eindrucksvolles Rollenporträt. Dass er allerdings nur schwer zu hören war, könnte ich jetzt nicht bestätigen, im Gegenteil, seit ihm eben nicht mehr ein reiches stimmliches Farbspektrum zur Verfügung steht, neigt er dazu, das mit Lautstärke zu kompensieren. (Seinen zu 90% gebrüllten Giorgio Germont zwei Tage später fand ich schrecklich :no: :no: :no: :no: :no: )
    lg Severina :hello:


  • Hallo severina,
    also doch nicht alles so ideal bei Herrn Carsen. :D


    Vielleicht hatte die Besucherin der Vorstellung akustisch ja nur einen schlechteren Platz. Aber für einen lyrischen Bariton wie Hampson müßte doch der Giorgio Germont eine ideale Partie sein. Kaum zu glauben, daß er inzwischen als Scarpia besser ankommt denn als Pére Germont. Vielleicht ist es einfach keine gute Idee innerhalb von zwei Tagen vom Scarpia auf den Germont umzusatteln, da man diese Partien stimmlich ja sehr unterschiedlich angehen muß.


    Gregor


  • Lieber Gregor,
    doch, für mich schon, denn das, wofür Carsen verantwortlich war (Inszenierung und schauspielerische Leistungen) hat mich 100%ig überzeugt, für einen forcierenden Sänger kann er nichts. (Ich bezweifle, dass sich Hampson von einem Regisseur die Lautstärke vorschreiben lässt. Wenn die Fama stimmt, war er auch nicht ganz schuldlos am aprupten Abgang des Herrn von Dohnany - vielleicht hat der ja versucht, seinem Scarpia etwas mehr Feinschliff zu verordnen :stumm: )
    lg Severina :hello:

  • Vielen Dank für die ausführliche Berichterstattung.
    Ich war schon sehr entsetzt als ich Thomas Hampson auf der Besetzungsliste für den Scarpia sah. Der lyrische Bariton, der er auch bei seinen (zumeist) erfolgreichen Verdi-Rollen immer war, hatte sich damit in meinen Augen übernommen.
    Ich bin gespannt, wie er nach diesem Rollenausflug auf seiner Operngala in Düsseldorf Mitte Mai sein wird. Dort soll er auch wieder laut Programm den Almaviva singen. Bin gesapnnt ob seine Stimme darauf noch anspricht.
    Robert Carsens Inszenierungen hatten immer etwas reizvolles. So auch sein Ring in Köln, den ich komplett gesehen habe und seine Hoffmanns Erzählungen auf DVD. Auch da flocht er seine Sichtweise ähnlich in die Theaterwelt ein. Daher bin ich gesapnnt ob man seine Tosca aus Zürich auch auf DVD bewundern wird.

  • Eine der Zürcher Tosca-Vorstellungen wurde für das Fernsehen aufgezeichnet. Von daher hoffe ich sehr, dass es auch eine DVD davon geben wird.


    VG
    Jolanthe

  • Es wäre fast mal einen eigenen Thread wert, über das Thema der "Neuinszenierungen" zu diskutieren, die eigentlich Übernahmen viel älterer Produktionen sind. Es gibt Opernhäuser wie Barcelona, die fast nur eingekaufte Inszenierungen zeigen. Und Zürich ist da auch nicht schlecht: die "Neuinszenierung" der Tosca ist tatsächlich vor vierzehn (!) Jahren zum erstenmal in Antwerpen und Gent an der Vlaamse Opera gezeigt und seitdem über eine beachtliche Anzahl europäischer Bühnen geschleift worden (u.a. Hamburg, Barcelona, Venedig, Lissabon). Sie gehörte zu einem enorm erfolgreichen Puccini-Zyklus von Carsen Anfang/Mitte der 90er in Antwerpen/Gent, dessen Bestandteile überallhin verkauft worden sind - die "Madama Butterfly" habe ich in Duisburg gesehen, demnächst wird sie wieder dort gespielt.


    Robert Carsen beherrscht dieses Recycling von allen Opernregisseuren wohl am besten: man kann sich kaum noch ein Bild davon machen, wie der Mann aktuell Regie führt, weil seine alten Inszenierungen allüberall koproduziert werden.


    Nun kann man natürlich sagen: besser eine hervorragende und bewährte eingekaufte Inszenierung als eine schlechte neue. Sehe ich bis zu einem gewissen Grad auch so, wenngleich auf der Negativseite eine gewisse weltweite Uniformierung der Regiekonzepte und auch eine ärgerlich geringe Risikobereitschaft zu verbuchen sind. Was allerdings gar nicht geht und fast an Betrug grenzt: wie die Oper Zürich auf ihrer Website sorgfältig jeden Hinweis darauf vermeidet, dass es sich um eine eingekaufte Inszenierung handelt (selbst bei der Biographie Carsens wird der flämische Puccini-Zyklus einfach ausgeblendet). Dass solche Übernahmen natürlich Probenzeiten sparen und Zürich nur auf diese Weise seine enorme Anzahl von Premieren pro Saison schafft, kommt hinzu.


    Viele Medien fallen auf diese Informationspolitik rein, die Neue Zürcher Zeitung allerdings nicht (Ausgabe vom 31.3.09):


    Weniger Turbulenzen als mit der musikalischen Leitung waren mit der Inszenierung von Robert Carsen verbunden – kein Wunder, sind ihre Umrisse doch seit geraumer Zeit bekannt. Die Produktion datiert von 1995, sie ist somit fünf Jahre älter als die letzte Zürcher Neuinszenierung von «Tosca» (die auch schon ein Remake war, nämlich die notfallmässige Übernahme einer Arbeit von Gilbert Deflo aus Madrid). Da darf man zuerst natürlich die Fähigkeit eines Regisseurs bewundern, sein Schaffen mit Gewinn unter die Leute zu bringen; und solange es Intendanten gibt, die eine vierzehn Jahre alte Produktion als neu zu verkaufen wissen, ist wenig dagegen einzuwenden.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Bernd,
    damit hast du sicher recht, aber wenn du mit einer 60 Jahre alten Wallmann-Inszenierung gestraft wärst, würdest du meine Begeisterung über eine sehr gute, "nur" 14 Jahre alte Carsen-Inszenierung sicher nachvollziehen können!! Außerdem glaube ich, dass in unseren wirtschaftlich schlechten Zeiten das Einkaufen bewährter Produktionen eher zunehmen wird, denn wer kann es einem Intendanten verdenken, auf Nummer sicher zu gehen, wenn überall an der kulturellen Geldschraube gedreht wird? Halb leere Häuser können sie sich in Zeiten wie diesen noch weniger leisten als sonst. Auch die Sponsoren überlegen es sich momentan wohl besser als in einer Konjunkturphase, wofür die ihre Fördermittel ausgeben.
    Als bekennender Carsen-Fan wäre ich jedenfalls überglücklich, wenn die WSO sämtliche von ihm kursierenden Inszenierungen einkaufen würde!!!! :D :D :D Ein Königreich für seine "Tosca" und seine "Lucia"!!!
    lg Severina :hello:

  • Liebe Severina,


    manchmal mag auch in diesem Fall das Argument der Geldschraube zutreffen, aber es ist doch auffällig, dass gerade finanziell solvente Häuser wie Zürich oder Barcelona auf eingekaufte Produktionen setzen.


    Ich glaube, dass es hier viel mehr mit dem Sängerstartheater zu tun hat: die Damen und Herren mögen in der Regel keine langen Probenzeiten und möchten sich nicht gerne in riskante (weil noch unbekannte) Regiekonzepte von Neuproduktionen einpassen. Wenn man (Musik-)Theater als lebendige und sich wandelnde Kunstform bevorzugt, ist das Setzen auf das Bewährte, auf den vermeintlich goldenen Mittelweg (den Carsen ja perfekt verkörpert) aber nicht ausschließlich positiv zu werten.


    Wie gesagt: In anderen Häusern mag der Spareffekt eine Rolle spielen, manchmal auch primär der Wille, eine herausragende Produktion nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Ich bin glücklich, dass ich in Frankfurt Mitte der 90er eine Reihe großartiger Produktionen aus dem Brüssel der Mortier-Ära sehen konnte - insofern von meiner Seite bestimmt keine vollständige Ablehnung von Koproduktionen. Es kommt immer drauf an.


    Nur - das war u.a. mein Anliegen - sollte man sich nicht mit fremden Federn schmücken: der Zürcher Fall ist in seiner Dreistigkeit besonders eklatant, aber auch bei anderen Opernhäusern muss man oft lange im Kleingedruckten suchen, um den Hinweis zu erhalten, dass es sich bei der vermeintlichen Neuinszenierung um eine Koporoduktion handelt.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose