Peter Cornelius' "Barbier von Bagdad" - Oper im Klassik-Winkel

  • Als wär das nicht schon kompliziert genug: Hermann Levi hat anscheinend die Mottl-Bearbeitung nochmals verschlimmbessert. Er behielt zwar einiges von der Instrumentierung Mottls bei, stellte aber die ursprüngliche Version in 2 Akten wieder her. Seinem Urteil nach sei das Original-Werk von Cornelius gänzlich unaufführbar - eine bemerkenswerte Auffassung :wacky:.


    Die Aufnahme unter der Leitung von Erich Leinsdorf folgt der Originalfassung, allerdings mit deutlichen Strichen - und die könnten eventuell auf Mottl zurückgehen, das habe ich noch nicht verifizieren können - und zwei Verkürzungen, die aber schon Cornelius vorgesehen hatte: nach dem Auftritt des Califen gibt es einen Begrüssungschor "Beherrscher der Gläubigen", der den Handlungsfortgang eher behindert und am Ende wünschte sich Cornelius einen prägnanteren Schluss (ursprünglich gibt es da ein längeres, musikalisches Nachspiel). Diese verkürzte Version findet sich auch bei Leinsdorf. Allerdings stammt die Notation für die abschliessenden vier Takte von Hofbauer, dem ersten Bearbeiter des Werkes, der im Auftrag der Familie von Cornelius tätig wurde.


    Bei Hollreiser (dessen Aufnahme ich als nächstes Anhören werde) fehlt zwar ebenfalls der Begrüssungschor für den Califen, er entschliesst sich aber für die vier letzten Takte, wie sie Cornelius selbst notiert hat und wie sie auch das Werk in der "Langversion" beendet hätten, die aber von Hollreiser ebenfalls nicht gewählt wurde.


    Die D-Dur-Overtüre fällt konventioneller aus, als die originale h-moll-Overtüre: die Hauptthemen, die sich in der Oper wiederfinden, werden hier schon vorgestellt - vielleicht fand Liszt soetwas passender...

  • Es hat jetzt ein wenig gedauert - und ich muss zugeben, dass die ganze Geschichte nicht einfach ist.


    Bei Hollreiser ist man auf der sicheren Seite: da hört man die strichlose Originalfassung, auch am Ende - da muss ich mich selbst korrigieren - entsprechen die Schlusstakte dem Original.


    In Kauf nehmen muss man einen zurückgenommenen, weichen Orchesterklang, und ein etwas gebremstes Temperament, sowie Sängerinnen und Sänger, die Wünsche offen lassen.


    Das gilt vor allem für Adalbert Kraus als Nureddin, aber auch für Geszty, Schmidt und Ridderbusch in den anderen Hauptrollen.


    Die Mottl-Version ist jetzt ihrerseits mehrfach (hauptsächlich von Levi) überarbeitet worden.


    Es gibt sowohl Kürzungen, als auch Veränderungen (also hinzukomponierte Takte) bei Übergängen und Eingriffe in die Gesangspartien, sowie Veränderungen bei der Instrumentierung.


    Leinsdorf spielt zwar die D-Dur Overtüre vorneweg, hält sich aber dann, soweit ich das feststellen kann, an die Originalversion, die allerdings - leider - verhältnismässig stark gekürzt ist.


    Bei den Sängerinnen und Sängern hat Leinsdorf eh die Nase vorn - Gedda, Schwarzkopf, Hoffman und Czerwenka sind allesamt hörenswert, das gleiche gilt fürs Orchester und das Dirigat.


    Mich würde also auch interessieren, wie der von Bernd benannte Autor (den ich bei der "Johanna"-Premiere in Berlin hätte fragen können: er ging vor mir die Treppe hinunter) auf die Verbindung Leinsdorf - Mottl kommt, eine reine Mottl-Version ist das auf keinen Fall (Peter hat auf den Ommer hingewiesen, der auch bei Leinsdorf von der "Originalversion" spricht).

  • In der Universal-Bibliothek von Philipp Peclam jun. Stuttgart ist unter der Nr.4643 im Jahre 1962 das vollständige Textbuch nach der Originalpartitur herausgegeben worden.


    Herausgeber ist Wilhelm Zentner, der auch eine ausführliche Einleitung dem Opernlibretto vorangestellt hat. Hier wird die Aufführungsgeschichte - die ganzen Umarbeitungen, Kürzungen usw. ausführlich erläutert.


    Eine durchaus empfehlenswerte Lektüre!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Alviano
    Mich würde also auch interessieren, wie der von Bernd benannte Autor (den ich bei der "Johanna"-Premiere in Berlin hätte fragen können: er ging vor mir die Treppe hinunter) auf die Verbindung Leinsdorf - Mottl kommt, eine reine Mottl-Version ist das auf keinen Fall (Peter hat auf den Ommer hingewiesen, der auch bei Leinsdorf von der "Originalversion" spricht).



    Lieber Alviano,


    Du hättest Herrn Pachl wirklich fragen sollen :D - ich habe nicht mehr in der Hand als seine kurze Äußerung im Csampai/Holland-Opernführer. Ich spekuliere mal, dass Pachl die Bezeichnung "Mottl-Version" vielleicht nur als Synonym für "gekürzte Fassung" hat verwenden wollen.


    Kürzungen finde ich zwar prinzipiell sehr unerfreulich, brauche aber trotzdem eine Alternative zur allenfalls soliden Hollreiser-Einspielung. Mal schauen.


    Vor allem aber hätte ich gerne mal wieder eine Aufführung auf der Bühne gesehen :boese2:.



    Viele Grüße


    Bernd



    PS: Vielen Dank für den Tip mit dem Reclam-Textbuch, Harald!

  • Vielleicht ist dies von Interesse: 1984 hatte der Babier von Bagdad an der Münchner Staatsoper in der Inszenierung von Otto Schenk Premiere. In der von mir im Jan. 85 besuchten Aufführung sangen:
    Kalif............Bodo Brinkmann
    Mustapha....Friedrich Lenz
    Margiana.....Angela-Maria Blasi
    Bostana......Cornelia Wulkopf
    Nurredin.....Claes H. Ahnsjö
    Abu Hassan.Kurt Moll
    Daß diese Oper an einem Haus wie München aufgeführt wurde, war allein Wolfgang Sawallisch zu danken. Schon im Jahr zuvor hatte er auch Nicolais Lustige Weiber vorgestellt und in Interviews für beide Opern, die er selbst dirigierte, eine Lanze gebrochen.
    Bei Orfeo werden dankenswerterweise immer wieder Mitschnitte Münchner Produktionen angeboten. Es bleibt zu hoffen, daß sowohl Der Barbier wie auch die Lusitgen Weiber in dieser Reihe auf CD erscheinen werden. Die Lusitgen Weiber waren von Orfeo schon mal angekündigt worden, wurden bis jetzt aber noch nicht veröffentlicht (vielleicht rechtliche Gründe?).
    Die hervorragende Münchner Aufführung des Barbier, die auch szenisch sehr gelungen war, macht die Frage erneut zum Rätselspiel, warum diese Oper vom Repertoire nahezu ausgeschlossen bleibt. Ähnliches gilt für die Lustigen Weiber, die an großen Häusern gemeinhin verschmäht werden und allenfalls an kleineren Häusern ein schmales Bleiberecht für sich beanspruchen können.


    Florian

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  • florian


    Eine spätere Aufführung der Oper aus München wurde vor einiger Zeit als Privatmitschnitt bei OperaShare zum download angeboten, wurde aber nach kurzer Zeit wegen mangelnder Nachfrage wieder von Server gelöscht (siehe weiter oben in diesem Thread). An der Londoner Tauschbörse ist er noch zu kriegen.


    Die Besetzung - außer Kurt Moll - war allerdings nicht ganz dieselbe wie 1985....


    LG
    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Lieber Harald, hallo zusammen,


    jpc listet seit heute diese (Wieder-)Veröffentlichung:


    Peter Cornelius (1824-1874)
    Der Barbier von Bagdad

    Dale Duesing, Fritz Peter, Helen Donath, Marga Schiml, Horst R. Laubenthal,
    RSO Köln, Ferdinand Leitner
    Label: Profil , ADD, 1974




    LG, Elisabeth

  • Der ZDF-Theaterkanal bringt im September mehrfach die Verfilmung des "Barbier von Bagdad".



    Der Barbier von Bagdad
    Komische Oper von Peter Cornelius

    Fernsehinszenierung, BR Deutschland 1974


    Der Kalif Bernd Weikl
    Baba Mustapha Gerhard Unger
    Margiana Sylvia Geszty
    Bostana Trudeliese Schmidt
    Nureddin Adalbert Kraus
    Abdul Hassan Ali Ebn Bekar Karl Ridderbusch
    Motawackel Joszi Gauder
    Ein Sklave Michael Djiango
    Drei Muezzin Dimi Palos
    Armaldo Fiorente
    Andreas Wieser
    Musikal. Leitung: Heinrich Hollreiser
    Szenenbild: Gerd Krauss
    Choreographie: Heino Hallhuber
    Regie: Herbert Junkers
    Chor des Bayerischen Rundfunks
    Münchner Rundfunkorchester


    Zitat

    Nureddin ist unsterblich verliebt in die Tochter des Kadi Baba Mustapha. Weil er seine schöne Margiana aber nicht treffen kann, liegt er liebeskrank im Bett, so dass seine Dienerschaft glaubt, es gehe nun langsam mit ihm zu Ende. Überraschend erscheint Bostana, Margianas Vertraute, mit der Botschaft, Nureddin möge sich um die Mittagsstunde, da der Kadi zum Gebet in der Moschee weilt, bei seiner Geliebten einfinden.
    Nureddin ist sofort wieder gesund, wenn auch, da er sich in den letzten Tagen wenig um sein Äußeres geküm-mert hat, einstweilen unrasiert. Bostana weiß Hilfe; sie schickt ihn zu Abul Hassan Ali Ebn Bekar, dem besten Barbier am Ort.


    Der Mainzer Komponist Peter Cornelius (1824-1874) ließ sich für sein Meisterwerk, die komische Oper "Der Barbier von Bagdad", durch ein Märchen aus 1001 Nacht inspirieren.
    Die Uraufführung am 15. Dezember 1858 unter Franz Liszts Leitung wurde in Weimar ein Skandal, an dem Cornelius völlig unschuldig war. Auseinandersetzungen zwischen dem Theaterleiter und dem musikalischen Leiter der Bühne versuchte Intendant Dingelstedt mit einer bestellten randalierenden Claque zu lösen. Der Erfolg gab ihm recht: Liszt legte daraufhin die Leitung der Weimarer Oper nieder. So kam das Meisterwerk über eine einzige Aufführung zu Cornelius' Lebzeiten nicht hinaus.
    Erst die Nachwelt hat dem "Barbier von Bagdad" einen - wenn auch etwas unsicheren - Ehrenplatz unter den Meisterschöpfungen der Komischen Oper gesichert.


    Ein schönes Wiedersehen mit verstorbenen Freunden wie Karl Ridderbusch und Trudeliese Schmidt von der Düsseldorfer Rheinoper!


    Die genauen Sendetermine gebe ich noch bekannt.


    Der Soundtrack zu dieser Fernseh-Oper ist auch als Doppel-CD erhältlich:



    Wurde weiter oben bereits besprochen!


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)



  • Wie versprochen, hier die Sendetermine der Oper im ZDF-Theaterkanal im September 2008:


    Do, 04.09.2008 09:30 Uhr(90 min.)
    So, 07.09.2008 14:30 Uhr
    Di, 09.09.2008 09:30 Uhr
    Fr, 12.09.2008 14:30 Uhr
    Mi, 17.09.2008 14:30 Uhr
    So, 21.09.2008 09:30 Uhr
    Mo, 22.09.2008 14:30 Uhr
    Fr, 26.09.2008 09:30 Uhr


    Viele Grüße


    Harald :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Diese Aufnahme, die Waldi zur Threaderöffnung besprochen hat, habe ich heute erst gehört. Die Sängerinnen und Sänger sind gut; aber die "Regie" ist völlig indiskutabel, eine echte Barbarei. Keine Ouvertüre, keine Einleitungsmusik, bei Abuls Auftritt, stattdessen immer wieder alberne Texte, die mit der Oper, wie sie Cornelius, der ja seine Libretti selber schrieb, nichts zu tun haben. Also, Finger weg, von dieser Aufnahme.


    ( Gott sei Dank ist die Referenzaufnahme Dir. E. Leinsdorf, früher Emi, jetzt Naxos zum kleinen Preis zu bekommen).


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Schon seit einiger Zeit liegt mir diese Meldung auf dem Schreibtisch, jetzt endlich will ich sie den Freunden dieser Oper nahebringen:



    LG


    :hello:

    Harald


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    (Vinícius de Moraes)

  • Wenn von Cornelius die Rede ist, möchte ich auch eine andere Oper von ihm in Erinnerung rufen, die heute völlig vergessen ist (ca. 1936 wurde sie wohl mal in Stuttgart gegeben): Der Cid.
    Vor ein paar Jahren hat Gustav Kuhn die Oper bei Capriccio eingespielt und ihr damit meines Erachtens keinen guten Dienst erwiesen. Die Besetzung der Hauptrollen ist ist nicht besonders, die Nebenrollen sind zum Teil horrend schlecht besetzt.
    Musikalisch ist diese Oper doch recht beachtenswert, ein interessanter Gegenpart zum heiteren "Barbier von Bagdad". Vielleicht gibt es ja noch andere Aufnahmen

  • @an alle Freunde des "Barbier von Bagdad" -


    die Aufnahme der Münchner Staatsopernproduktion mit einem Mitschnitt vom 18.2.1987 ist bei "House of Opera" unter der Nr. CD5265 erhältlich.


    Bei dieser Aufnahme sind die Solisten:


    Kalif - Florian Cerny
    Baba Mustapha - Claes H. Ahnsjöh
    Margiana - Lucia Popp
    Bostana - Cornelia Wulkopf
    Nureddin - Peter Seiffert
    Abul Hassan - Kurt Moll
    1. Muezzin - Gerhard Auer
    2. Muezzin - Ulrich Re?
    3. Muezzin - Hermann Sapell
    Dirirgent - Wolfgang Sawallisch


    Da es (wahrscheinleich) ein sog. "Raubmittschnitt" ist, gibt es einige Male recht kräftige Nebengeräusche, aber insgesamt ist der Klang gut und für Freunde der Münchner Oper und den damaligen Ensemblemitgliedern sicherlich zu empfehlen !


    G.H.

  • Gestern habe ich das Stück am Stadttheater Gießen gesehen. Musikalisch ist es, wie oben ja schon Kundigere bemerkt haben, ein durchaus interessantes Werk (wobei das Orchester des Stadtheaters stellensweise etwas überfordert schien, jedenfalls klingen die wenigen Streicher bei einer solch hochromantischen Partitur einfach zu dünn und oft auch nicht sehr sauber), aber dramatisch ist es irgendwo zwischen Posse und Nullnummer... :untertauch:
    Klar, der Text ist witzig und brillant gemacht. Aber das endlose Hin-und-her im ersten Akt finde ich nicht wirklich witzig und der zweite Akt bleibt ähnlich banal. Es gibt keinen echten dramatischen Konflikt und nur der Barbier und Nureddin sind einigermaßen ausgestaltete Figuren, sowohl Margiana als auch der Kadi als "Widersacher" sind Abziehbilder.

    Die Inszenierung transformierte das Stück in einen surrealistischen (Opium-)Traum, in dem z.B. der Kadi einer Art Käfer, Margiane dem Kelch? einer Blüte, Bostana einem Vogel ähnelten, was zwar hübsch aussah, aber die dramatischen Schwächen m.E. auch nicht verdecken konnte.
    Von den Sängern war Clemens Kerschbaumers Nureddin mit Abstand der beste. Der Barbier (Philipp Meierhöfer) war o.k., es fehlte ihm aber an Durchschlagskraft. Bostana (Marie Seidler) gefiel mir besser als Margiana (Karola Pavone, ein recht kleines Stimmchen, das im Duett mit Nureddin unterging), der Kadi (Dan Chamandy) hatte ein leicht nervig-penetrantes Timbre, das zur Rolle passte, aber nicht schön anzuhören war.
    Die Inszenierung ist noch einmal, am 25.06., zu sehen.


    Ich muss mir demnächst nochmal meine Aufnahme (die oben gezeigte Funkproduktion unter Leitner) anhören. Aber so bedauerlich es aufgrund der Musik sein mag, wundert mich eher, dass das Stück zwischendurch überhaupt so beliebt war. Eine komische Oper ohne musikalische "Schlager" (wen interessiert hier am Ende subtile Instrumentierung und durchkomponierte Form...?), deren Witz hauptsächlich auf Wortwitz und ein wenig banaler Situationskomik beruht, hat ein Problem.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)