"Generationenkonflikt" im Tamino-Forum?

  • In den Klang kann sehr wohl eingegriffen werden, Fehlstellen können reingerechnet werden, Volumen erzeugt oder - Beispiele etwa Caruso oder Ferrier - eine Stimme wird isoliert und von einem anderen Orchester begleitet, und, und, und. Wohlverstanden, ich bin jetzt beim Klang. Pearl scheint mir die Sachen nahezu ungefiltert an den Start zu bringen, was ich gar nicht so übel finde, wenn das Ausgangsmaterial eine tadellos erhaltene Schellack ist. Von der Oskar Fried-Aufnahme der 9. von Beethoven existieren mind. vier mir bekannte Veröffentlichungen als CD, die alle vier anders klingen (das Original-Album habe ich in Gebrauch; da mir das permanente Umdrehen in diesem Falle lästig ist, habe ich mir eine eigene CD-Kopie davon gemacht).


    Ich betone nochmals: dass HAfG und Preiser et altri die alten Schätze wieder verfügbar machen ist mehr als verdienstvoll, das Vergleichshören durchaus interessant. Aber da mache ich dann auch einen Punkt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Schallaufzeichnungsgeschichte nicht nur aus Gesangsaufzeichnungen bestanden hat; mich persönlich interessieren eher Streichquartette und Klaviermusik. Und auch da gibt es ja sehr verdienstvolle Unternehmen, allen voran pristine audio. Und, BTW, Schellacks sammeln tue ich auch noch.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat


    Original von La Gioconda


    Schaljapin ist ein gutes Beispiel für einen Sänger, dessen enorme Wirkung im Opernhaus man auf Tonträger nur begrenzt nachvollziehen kann. Er war ein Interpret mehr als ein Sänger, ein singender Darsteller, dessen Stimme nur einen miittelkleinen Teil seiner Faszination ausmachte und der sich im Studio ohne Publikum nicht optimal entfalten konnte


    Nur als Anmerkung am Rande:


    Vieleicht hängt es mit Schaljapins Angst vor der Tonaufnahme zusammen.


    Als er das erste Mal in den Trichter sang hatte er Angst seine Stimme zu verlieren - nicht etwa heiser zu werden - sondern seine Stimme wahrhaftig an den Trichter zu verlieren - wie Peter Schlehmil seinen Schatten. irgendwan wurde diese Angst einigermaßen gebändigt - und er begnügte sich damit - sich vor jeder Tonaufnahme zu bekreuzigen...


    Ich kann mir vorstellen daß unter diesen - für den Sänger stressigen - Umständen - kaum eine höchstleistung zu erreichen war...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von La Gioconda
    Und natürlich hat jede Interpretation ihre Berechtigung - aber warum nicht vergleichen??


    Ja, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt, sorry. Auch für mich sind Vergleiche unterschiedlicher Interpretationen sehr reizvoll, ich halte nur nichts davon, diese Vergleiche mit der Intention anzustellen, anschließend daraus eine absolute Wertung abzuleiten. Also nicht etwa nur zu sagen, das gefällt mir besser oder schlechter, sondern das ist von höherer oder minderer Qualität. Da bin ich dafür, sehr vorsichtig zu sein, da sich viele Aufnahmen nicht so ohne weiteres eins zu eins vergleichen lassen und meist auch nur eine Momentaufnahme der Fähigkeiten eines Sängers darstellen.


    Auch Sänger haben ihre guten und schlechten Tage, ihre Formkrisen, die Stimme verändert sich im Laufe der Jahre, ebenso die Aufnahmetechnik. Christa Ludwig hat sich mal darüber beklagt, dass ein Tontechniker eine Aufnahme derart "bearbeitet" hat, dass der Klang ihrer Stimme total verfälscht wurde.


    Aus einer einzelnen Aufnahme lässt sich also bestenfalls etwas über Form und Können zum jeweiligen Aufnahmezeitpunkt schließen, und das auch nur begrenzt. Deshalb ist es ja auch interessant, unterschiedliche Aufnahmen desselben Interpreten über einen längeren Zeitraum hinweg zu vergleichen, die Unterschiede sind da zum Teil enorm.


    Zitat


    Aber es gibt natürlich sehr wohl nicht nur Geschmacksunterschiede, sondern auch Qualitätkriterien - ganz einfach handwerkliches Können.


    Natürlich, nur ist das handwerkliche Können halt nur ein kleiner Teil der Faktoren, die sich letztendlich zum entscheidenden Gesamteindruck zusammenfügen. Am Beispiel von Schaljapin hast du es ja schon anschaulich dargestellt. Ein Sänger muss mehr können, als nur einfach Notenfolgen technisch perfekt und klangschön aneinanderzureihen. Okay, es wäre zumindet wünschenswert, dass er mehr kann. :D


    Ich halte die technischen Fähigkeiten eines Sängers durchaus für wichtig, alleine schon weil richtige Technik die Stimme schont, aber Technik alleine ist nicht alles und keineswegs ausschlaggebend für den Erfolg, ebensowenig wie etwa reine Stimmschönheit.


    (Abgesehen davon gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen über Gesangstechnik und was da richtig und falsch ist, abhängig auch von Epoche, Schulrichtung und Kulturkreis.)


    Um mal einen Vergleich aus der Literatur zu bemühen: Es ist keineswegs der Schriftsteller der beste, der Rechtschreibung und Grammatik an besten beherrscht. Das sind Werkzeuge. zum Teil zwar wichtige Werkzeuge, aber entscheidend ist, wie er sie einsetzt.


    Analoges gilt für einen Sänger, anders ließe sich etwa der Erfolg von Maria Callas in ihren späteren Jahren auch gar nicht erklären. Wer da nur ganz bestimmte Aufnahmen kennt, wird sich verwundert fragen, wie diese Sängerin zu ihrem Ruf kam, aber - siehe oben - eine einzelne Aufnahme ist eben nur ein Ausschnitt einer längeren Entwicklung.


    Aber wenn dann wirklich mal alles passt, also Tagesform, Motivation, technisches Können, Stimmschönheit, dramatische Darstellungskraft,... dann kann es zu wahren Sternstunden der Sangeskunst kommen, die sich aber weder planen noch gezielt herbeiführen lassen. Menschen sind eben keine Roboter und das ist auch gut so.


    Daher auch meine Tendenz, Aufnahmen in erster Linie zu genießen, anstatt sie analytisch zu zerpflücken und in eine Rangordnung zu packen. Okay, auch das mag seinen Reiz haben, ich kann nur Bezeichnungen à la "drittbeste Gilda nach dem Krieg" wenig abgewinnen. :D

  • Zitat

    Original von Kurt Fischer
    Ich halte die technischen Fähigkeiten eines Sängers durchaus für wichtig, alleine schon weil richtige Technik die Stimme schont, aber Technik alleine ist nicht alles und keineswegs ausschlaggebend für den Erfolg, ebensowenig wie etwa reine Stimmschönheit.


    Daher auch meine Tendenz, Aufnahmen in erster Linie zu genießen, anstatt sie analytisch zu zerpflücken und in eine Rangordnung zu packen. Okay, auch das mag seinen Reiz haben, ich kann nur Bezeichnungen à la "drittbeste Gilda nach dem Krieg" wenig abgewinnen. :D


    Meiner Meinung nach ist eine profunde technische Schulung die absolut vorauszusetzende Basis. Mit Jugendlicher Frische und unverbrauchtem Material kann man eine Zeit lang gewisse Defizite überdecken, aber nach ein paar Jahren trennt sich die Spreu vom Weizen.
    Mir geht es auch vorrangig um den Genuß, und ab einem gewissen Niveau kann man dann über Geschmack "streiten". Wenn jemand behauptet Villazon ist bessser als Gigli, dann möchte ich Villazon nach einer 35jährigen Karriere hören, dann kann man einen fairen Vergleich anstellen. Das ist halt auch die Krux bei den aktuellen Sängern, man kann sie nur nach nach dem "Ist" Zustand beurteilen, aber was bleibt von Ihnen in 30 oder 50 Jahren?

  • Zitat

    Original von La Gioconda
    .... aber was bleibt von Ihnen in 30 oder 50 Jahren?


    Das sehen/hören wir dann in 30 oder 50 Jahren :D . Wie man am Beispiel Gigli sieht: nicht nur das Internet vergisst nichts, auch die Archive der Plattenindustrie nicht.


    Mal ganz dumm gefragt: ist das nicht ein wenig circensisch gedacht? Stimmphänomene wie die Flagstad sind nun mal nicht die Regel. Und Ausnahmeerscheinungen wie Rockwell Blake ebenso.


    Mir ist es auch ganz lieb, wenn der Villazon Villazon ist und nicht den Gigli versucht zu klonen. Wenn ich mir dann mit meinen bescheidenen Sangeinteressen anhöre, was heute im Barockfach gemacht wird, dann bin ich doch ganz froh, zumindest hier nicht auf die Heroen der Vergangenheit angewiesen zu sein.


    Ich hoffe, dass Du mich jetzt nicht falsch verstehst: Deinem Blickwinkel kann ich durchaus folgen, die Erkenntnisse, die ich - für mich - daraus ziehe sind indes andere. Schadet ja nix.


    Den Charme des Hörvergleiches stelle ich mich durchaus auch (wie ich gesten muss zumeist mit älteren Aufnahmen, weil ich die nun mal habe). Zu einer anderen Wertung als das jeweils andere daran festzustellen bin ich dabei noch nicht gekommen.


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  • Natürlich hat jede Zeit ihre Ausnahmeerscheinungen. Und wenn man schon eine große dramatische Stimme wie Flagstad nimmt - die sind heute so gut wie ausgestorben, da gabe es einmal viele mehr (Emmy Destinn, Gina Cigna, Eva Turner, Frieda Leider, Grob-Prandl, Eileen Farrell, Nilsson). Viele Opern kann man deshalb gar nicht mehr besetzen.
    Ghena Dimitrova (singt die noch?), Deborah Polaski, sonst fällt mir kaum mehr jemand ein. Und wo sind echte Contraltos? Soviel zur heutigen Vielfalt.
    Es gibt momentan kaum bis keine echten Normas, keine Giocondas, Abigaille, mehr - also zumindest solche, die den Anforderungen tatsächlich gerecht werden. Man versucht sich dann mit kleineren Stimmen und macht "kammermusikalische" Versionen, aber dann geht der Gehalt des Werkes verloren.
    Da tritt wieder die Geschmacksfrage auf: ich vermisse diese Opern halt mer als ich mich an der Barockmusik erfreuen kann. Die boomt dafür, die wurde früher eher vernachlässigt. Böse Zungen behaupten man mache aus der Not eine Tugend.

  • Zitat

    Original von La Gioconda
    Natürlich hat jede Zeit ihre Ausnahmeerscheinungen. Und wenn man schon eine große dramatische Stimme wie Flagstad nimmt - die sind heute so gut wie ausgestorben, da gabe es einmal viele mehr (Emmy Destinn, Gina Cigna, Eva Turner, Frieda Leider, Grob-Prandl, Eileen Farrell, Nilsson). Viele Opern kann man deshalb gar nicht mehr besetzen.


    Man sollte dabei berücksichtigen, dass diese merkwürdigen Hybridrollen ein Phänomen des 19 Jh. sind, die schon zu ihrer Entstehungszeit nur schwer zu besetzen waren. Man konnte diese Rollen immer schon nur schwer besetzen.


    Zitat

    Original von La Gioconda
    Und wo sind echte Contraltos? Soviel zur heutigen Vielfalt.


    Nichts für ungut, mit solchen rhetorischen Fragen kann ich nichts anfangen.


    Zitat

    Original von La Gioconda
    Es gibt momentan kaum bis keine echten Normas, keine Giocondas, Abigaille, mehr - also zumindest solche, die den Anforderungen tatsächlich gerecht werden.


    Bist Du da so sicher? Diese Stimmen wirst Du wahrscheinlich in den Opernhäusern hören können ohne indes darauf hoffen zu dürfen, dass sie auf Platte gebannt werden. Warum auch? Angesichts von vielen Dokumentationslücken brauchen wir wirklich keine X. Aufnahme der Norma.


    Zitat

    Original von La Gioconda
    Böse Zungen behaupten man mache aus der Not eine Tugend.


    Wie schon gesagt, die Hybridrollen sind nur ein Teil der Opernliteratur; jene bösen Zungen nehmen sie wohl pars pro toto. Persönlich empfinde ich keinen allzugroßen Mangel.


    Aber, wie Du schon schreibst: Geschmacksfragen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Zitat

    Original von La Gioconda
    Ghena Dimitrova (singt die noch?),


    Ghena Dimitrova ist am 11. Juni 2005 in Mailand verstorben, kurz nach ihrem 64. Geburtstag. Sie galt als eine der führenden dramatischen Sopranistinnen.


    Sie hat oft hier in Düsseldorf gesungen. Selten habe ich so eine hervorragende "Tosca" auf der Bühne erlebt!


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Und das war sie wohl auch. Ihre Turandot war umwerfend (auf youtube nachzuhören).


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Diese "merkwürdigen" Rollen konnte man mit angeführten Sängerinnen ganz gut besetzen und hat man auch. Und mit entsprechenden Stimmen wären diese Opern auch heutzutage sehr erfolgreich, da bin ich mir sicher.
    Und meine Frage bezüglich echter contraltos ist keineswegs rhetorisch gemeint.

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  • Zitat

    Original von La Gioconda
    ...
    Und meine Frage bezüglich echter contraltos ist keineswegs rhetorisch gemeint.


    Ewa Podles.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von La Gioconda


    Meiner Meinung nach ist eine profunde technische Schulung die absolut vorauszusetzende Basis. Mit Jugendlicher Frische und unverbrauchtem Material kann man eine Zeit lang gewisse Defizite überdecken, aber nach ein paar Jahren trennt sich die Spreu vom Weizen.


    Klar wäre eine profunde Schulung, nicht nur in technischer Hinsicht, eine entscheidende Basis, aber dass es heute (oft?) daran mangelt, dürfte weniger an den Qualitäten oder der Lernbereitschaft der Nachwuchssänger liegen, als vielmehr an der Schnell-Lebigkeit unserer Zeit, in der junge Talente so schnell wie möglich aufgebaut und dann gleich anschließend verheizt werden, so sie nicht gewaltig aufpassen. Diese "Superstar"-Mentalität betrifft ja keinesfalls den klassischen Musikbetrieb in besonderer Weise, im Pop-Geschäft scheint mir das eher noch schlimmer zu sein. Time ist eben Money und eine lange Ausbildungs- bzw Entwicklungsphase glauben sich dann viele halt nicht leisten zu können.


    Otto Edelmann gab mal in einem Interview auf die Frage, wo er denn den Grund sehe, dass es heutzutage(also ca. vor 20 Jahren) in manchen Stimmfächern kaum noch geeigneten Nachwuchs gäbe, zu Protokoll, dass er auch nicht so genau wisse, woran das liege. Er sprach dabei auch die Lebensweise und die Ernährung als mögliche Faktoren an.


    Abgesehen davon kann ich mir nicht vorstellen, dass etablierte Sänger, Kritiker oder das Publikum jemals die aktuellen Sänger den Großen der Vergangenheit vorgezogen hätten, denn die Einstellung, dass früher alles besser war, scheint den Menschen spätestens seit der Steinzeit im Blut zu stecken. Immer wenn ich mich selbst dabei ertappe, diesem Drang nachzugeben, versuche ich mir das vor Augen zu halten.


    Über die Unfähigkeit des Nachwuchses wurde mit Sicherheit immer schon gejammert, früher möglicherweise auf einem höheren Niveau als heute, mag sein, aber heute sind die Ablenkungen und Möglichkeiten junger begabter Künstler auch um einiges höher. Wer woanders leichter Erfolg haben kann, wird sich womöglich fragen, wieso er sich die Ochsentour einer klassischen Sängerkarriere antun soll.



    Zitat


    Das ist halt auch die Krux bei den aktuellen Sängern, man kann sie nur nach nach dem "Ist" Zustand beurteilen, aber was bleibt von Ihnen in 30 oder 50 Jahren?


    Klar, aber ich halte es für problematisch, Sänger nach ihrer Beständigkeit zu beurteilen, denn es hat auch früher schon großartige Stimmen gegeben, die durch falsche Rollenwahl vorzeitig verschlissen. Auch der Lebenswandel kommt dabei ins Spiel, denken wir nur an Lawrence Tibbett. Vielleicht eines der berühmtesten Beispiele, aber wohl kein Einzelfall. Leo Slezak beschreibt in seinen Memoiren ähnliche Fälle.


    Meiner Meinung nach schränkt das ihre Leistung zu ihren Hochzeiten keineswegs ein, es zeigt für mich nur, dass für den Beruf eines Sängers auch ein starkes Nervenkostüm und eine robuste Gesundheit nötig sind, wenn die Karriere über mehrere Jahrzehnte anhalten soll. Und oft muss halt auch einfach ein Quentchen Glück dabei sein. Mit der Generationenfrage scheint mir das grundsätzlich weniger zu tun zu haben.

  • Zitat

    Original von La Gioconda
    Und wenn man schon eine große dramatische Stimme wie Flagstad nimmt - die sind heute so gut wie ausgestorben, da gab es einmal viele mehr (Emmy Destinn, ... ). Viele Opern kann man deshalb gar nicht mehr besetzen.
    Es gibt momentan kaum bis keine echten Normas, keine Giocondas, Abigaille, mehr - also zumindest solche, die den Anforderungen tatsächlich gerecht werden. Man versucht sich dann mit kleineren Stimmen und macht "kammermusikalische" Versionen, aber dann geht der Gehalt des Werkes verloren.



    Also, gemessen an ihrem "Suicidio!", nachzuhören bei utube, fehlt der Destinn m.E. einiges für eine rollendeckende Gioconda, angefangen bei der Intonation. Auch wenn der Schalltrichter Damenstimmen nicht schmeichelte und das Aufnahmedatum etwas spät für die Künstlerin kam. Ist man heute vielleicht konzilianter, wenn es um die Großelterngeneration unter den Weltstars geht?


    Und die echte Norma? - Wenn man sich bei Joan Sutherland erst einmal eingehört hat, kommt einem die über-verdihaft monumentalisierte Norma der Callas bereits etwas übertrieben vor, gelinde zu sprechen. Die feineren, also "kammermusikalischen" Aspekte gehören ebenso zum Gehalt eines Werkes wie die angemessene Stimmtechnik. - Jede Sängerin kann hier bloß ihre Akzente setzen.


    Ich denke, es wäre an der Zeit, einmal über Modeerscheinungen und ihre historischen Voraussetzungen nachzudenken. Der ungebremste Max Lorenz z.B. oder Heinrich Schlusnus mit seinem warmen väterlichen Timbre verraten viel über die Erwartungen und Sehnsüchte ihrer Epoche. - Der junge Fischer-Dieskau mit seiner ersten Winterreise erreicht uns aus der unmittelbaren Nachkriegszeit (schön nachzulesen bei Claudia Wolff, Letzte Szenen mit den Eltern, Kunstmann 2004). - Die Leidensintensität einer Callas fiel in die gleiche Zeit und wirkt heute, wertneutral betrachtet, etwas befremdlich in unseren lustbefreiten hedonistischen Ohren.


    Es lassen sich sehr schwer von diesen Künstlern aus Normen ableiten; und ihr abstrahierter Pathos läuft in heutiger Zeit notwendig ein wenig ins Leere.


    Die ältere Wagner-Generation, also Melchior, Flagstad u.v.a. sang noch aus einer ganz ungebrochenen Tradition heroischer Figurenplastik, nach der wir uns von heute aus bisweilen zurücksehnen mögen. Bei aller Bewunderung für die Flagstad liegt mir aber die Isolde der Nilsson näher, weil sie weniger statuarisch und viel affektbetonter ist.


    Liegt nicht auf der Brünnhilde der Mödl die ganze Hypothek einer Wiedergutmachung, der der Stilwandel in Bayreuth und anderswo auf dem Fuße folgte?

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Bin auch davon überzeugt, daß heutige Sänger wesentlich bessere Nerven und auch körperliche Fitneß benötigen als früher, das viele Reisen, Pressetermine, Auftritte mit meistens zu wenigen Proben, CD-Aufnahmen - und Werbung dafür, Videoübertragungen aus Opernhäusern - das alles noch zu den ohnehin nicht unbedeutenden Anforderungen an einen Opernsänger. Das geht schon an die Substanz.


    Wer als Sänger heutzutage nicht selbst auf sich aufpasst darf nicht erwarten, daß es jemand anderer für ihn tut - ich glaube schon, daß es einmal eine Zeit gab, wo diese Aufgabe auch Dirigenten, Impresarii und Direktoren mit übernommen haben.
    Auch daß junge Leute, die gerne singen heute eher ins Pop-Business gehen als ein jahrelanges Gesang-studiums zu wählen, stimmt sicher. Trotz allem kann doch aber niemand ernsthaft abstreiten, daß die Fülle und Vielfalt an guten Sängern aller Stimmlagen sich nach dem zweiten Weltkrieg und heute überhaupt nicht drastisch ausgedünnt hätte?
    Auch das immer schon gejammert wurde stimmt natürlich - aber eben tatsächlich auf einem anderen Niveau. Ich habe neulich gelesen, daß der Tenor Adolphe Nourrit schon zu seiner Zeit begklagt hat, daß die Sänger aneinander vorbei schreien.
    Alles ist eben relativ.

  • Hallo,


    meiner Meinung nach ist die klassische Musik bei der heutigen Jugend nicht mehr sehr gefragt, im Gegenteil: Klassik-Liebhaber werden oft als spießig, arrogant oder langweilig abgestempelt.


    Zum Glück gibt es aber auch noch einige Kinder und Jugendliche, die ihr Instrument gerne und gut spielen und sich auch für Komponisten, Sänger etc. interessieren.


    Ich bin 15 und schätze sowohl ältere legendäre Sänger (Fritz Wunderlich, James King, Theo Adam, Kurt Böhme, Gwyneth Jones, Edith Mathis usw.) als auch die junge Sänger-Generation (Annette Dasch, Danielle de Niese, Rolando Villazon, Joyce DiDonato usw.).


    Ich denke, man sollte altes ehren und nicht verkommen lassen, gleichzeitig aber auch immer neugierig und aufgeschlossen gegenüber neuem sein.


    :hello:


    lg Helge

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  • Helge, du machst mir einen total vernünftigen Eindruck! Ich gratuliere dir, nicht zuletzt auch, dass du dich nicht von den meisten Gleichaltrigen beirren lässt, denen die Klassische Musik nicht gefällt!
    Spielst du denn ein Instrument oder singst du in einem Chor oder nimmst gar Gesangsstunden?
    Ich singe jedenfalls in einem Chor, in dem auch eine Reihe jüngerer Leute mit dabei sind. Unsere Mitglieder sind im Alter zwischen 15 und 60 Jahre. - Klar, dass es Grüppchen gibt, die in der Probenpause altersgleich gerne zusammenstehen, aber das macht ja nix. Die Hauptaufgabe unseres Vereins ist ja, Musik zu machen! -
    In diesem Punkt sind wir uns einig: Wir lieben ALLE die Klassische Musik!


    Musiikalische Grüße,


    Melisma :hello:


  • ja, das ist heute so, die Männerchöre sind überaltert und bekommen keinen Nachwuchs, sie sterben aus.
    Ich freue mich immer, wenn mein Ensemble junge SägerInnen für die Konzerte gewinnen kann

  • Zitat

    Original von La Gioconda

    Wer als Sänger heutzutage nicht selbst auf sich aufpasst darf nicht erwarten, daß es jemand anderer für ihn tut - ich glaube schon, daß es einmal eine Zeit gab, wo diese Aufgabe auch Dirigenten, Impresarii und Direktoren mit übernommen haben.


    Als ich diese Zeilen las, musste ich unwillkürlich an die liebevolle Art denken, mit der Leo Slezak in seinen Büchern über seinen Gesangslehrer Adolf Robinson schreibt. Da wird wirklich in jeder Zeile deutlich, dass dieser für ihn nicht nur ein Lehrer, sondern auch ein Mentor, Ratgeber und vor allem auch väterlicher Freund war, mit den ihn zeitlebens eine tiefe Freundschaft verband. Und von ihm kamen natürlich auch wichtige Warnungen und Ratschläge hinsichtlich der Wahl der Rollen, die der junge Sänger meist auch befolgte.


    Robinson wies ihn auch bezeiten darauf hin, dass mit steigendem Ruhm auch falsche Freunde auftauchen werden, die es nicht gerade darauf abgesehen hätten, ihm auch wirklich zu helfen. Als dann einmal ein berühmterer Kollege an ihn herantrat mit dem Angebot, Slezak solle doch mal zu ihm kommen, er werde ihm dabei helfen, seinen "Ansatz zu verbessern", hatte der Sänger dann auch bereits genügend Selbstbewusstsein, um dankend abzulehnen.


    Ich denke, dass dies kein Einzelfall war, womit ich natürlich nichts gegen heutige Gesangspädagogen sagen will, ich habe nur den Eindruck, dass heute sehr vieles "cooler" und distanzierter abläuft.


    Zu der Zeit hatten die meisten Bühnen ja auch noch feste Ensembles und die Leiter waren natürlich bemüht, die Sänger gesund und leistungsfähig zu erhalten und sie nicht zu überlasten. So gesehen waren die Künstler natürlich stärker eingebunden und geborgen, während heute vermutlich zwar die Freiheit um einiges größer ist, dafür einem aber auch der Wind stärker um die Nase bläst.


    Zitat

    Trotz allem kann doch aber niemand ernsthaft abstreiten, daß die Fülle und Vielfalt an guten Sängern aller Stimmlagen sich nach dem zweiten Weltkrieg und heute überhaupt nicht drastisch ausgedünnt hätte?


    Nein, das sehe ich schon auch, nur - um noch einmal Thomas zu paraphrasieren - ich möchte gerne darauf hinweisen, dass früher nicht alles zwangsläufig besser war. Und nur weil die Auswahl und die Vielfalt geringer wurde, bedeutet das meiner Meinung nach nicht, die diejenigen, die es dann tatsächlich nach oben geschafft haben, im Vergleich zu früher nur zweite oder dritte Klasse sind, nach dem Motto: Unter den Blinden ist der Einäugige König.


    Grundsätzlich scheint es mir so, als gäbe es in den letzten Jahrzehnten allgemein immer weniger Persönlichkeiten in der Öffentlichkeit, also Menschen mit unverwechselbarem Charakter und Ausstrahlung - Charisma meinetwegen - aber dieses Phänomen scheint mir gerade bei Künstlern der klassischen Musik noch am wenigsten ausgeprägt zu sein. Viel stärker fällt es mir in Sport und Showbusiness, vor allem aber in der Politik auf.


    Wo früher unverwechselbare Menschen agierten, sitzen heute oft kühle Funktionäre, die wenig eigenes Profil haben und bei denen es oft gar nicht auffällt, wenn sie gegen jemand anderen ausgetauscht werden.


    Aber gut, das führt jetzt zu weit. Ich bin mir nicht ganz sicher, inwieweit dieses Phänomen des Verlustes an Individualität und Ausstrahlung ursächlich in diese Diskussion hineinspielt, könnte mir da aber durchaus Querverbindungen vorstellen. Vor allem aber bin ich davon überzeugt, dass davon eben nicht nur der Nachwuchs an klassischen Sängern betroffen ist, sondern das ganze weitere Kreise zieht.

  • Zitat

    Original von Helge Kreisköther


    meiner Meinung nach ist die klassische Musik bei der heutigen Jugend nicht mehr sehr gefragt, im Gegenteil: Klassik-Liebhaber werden oft als spießig, arrogant oder langweilig abgestempelt.


    Das erstaunt mich jetzt ein wenig, denn wenn das wirklich mehrheitlich so ist, dann wären wir ja jetzt wieder an dem Punkt angekommen, an dem ich vor etwa 40 Jahren gestartet bin. Damals war ich einige Jahre jünger als du und begann gerade, mich für klassische Musik zu interessieren, nachdem der Musiklehrer am Gymnasium mein Interesse daran geweckt hatte.


    "Spießig, langweilig, altbacken.." so in etwa ließe sich auch die Einstellung der meisten meiner Kameraden zur Klassik beschreiben. Zunächst fühlte ich mich da wirklich wie ein Außenseiter, denn damals war ja die Zeit der Beatles, der Stones und Konsorten, und für viele meiner Altergenossen existierte daneben wenig bis nichts.


    Doch im Laufe der Zeit begann sich das zu ändern und das Interesse am klassischer Musik begann zu wachsen. Zum Beispiel fingen einige Popkünstler an, berühmte klassische Melodien in ihren Songs zu verarbeiten. Ich denke da etwa an Procul Harum, die in "A Whiter Shade of Pale" eine Melodie von Bach verwendeten. Oder Miguel Rios, der mit "Song of Joy" eine etwas freie Version der Schluss-Ode aus Beethovens Neunter auf den Markt brachte. ;)
    Dazu kann man jetzt stehen wie man will, de facto trugen solche Songs dazu bei, die Klassik einer neuen Hörerschaft nahe zu bringen.


    Das zog dann immer weitere Kreise, es gab immer mehr Rockgruppen, die gemeinsam mit Symphonieorchestern auftraten, Rocksänger sangen Hand in Hand mit Opernsängern, z.B. Zucchero und Pavarotti, etc...


    Und irgendwann, scheinbar über Nacht, in Wahrheit natürlich als Endergebnis einer längeren Entwicklung, war Klassik auch unter der jüngeren Generation salonfähig geworden und die Grenzen zwischen U- und E-Musik lösten sich immer weiter auf.


    Eine Grenze übrigens, mit der ich noch nie etwas anfangen konnte, für mich gibt es einfach nur Musik, die mir gefällt, oder eben nicht. Mit der Gattung an sich hat das wenig zu tun.


    Nach dem was du schreibst, scheint es da nun mittlerweile eine Rückentwicklung gegeben zu haben, die ich sehr schade finde, da es sich dabei wie damals mit ziemlicher Sicherheit vor allem um Vorurteile handeln dürfte.


    Wer klassische Musik als "langweilig" bezeichnet, dürfte sie mit ziemlicher Sicherheit nicht näher kennen und hat vermutlich auch nie wirklich versucht, sich damit eingehender zu befassen.


    Aber da sich in der Geschichte ja bekanntlich alles wiederholt, gibt es ja auch hier Hoffnung, dass sich das Rad auch wieder in die andere Richtung dreht und die klassische Musik auch unter der jüngeren Generation neue Würdigung erfährt. Du scheinst da ja immerhin schon mal ein Hoffnungsschimmer zu sein.


    Viel Spaß und Erfolg in deiner Rolle als "Vorreiter". :hello:




    Zitat

    Ich denke, man sollte altes ehren und nicht verkommen lassen, gleichzeitig aber auch immer neugierig und aufgeschlossen gegenüber neuem sein.


    Exakt. Der Satz könnte von mir stammen. :D

  • Ich stelle fest, es ist alles wie immer. Als ich Kind und Jugendlicher war, stand ich mit meiner Klassikliebe so ziemlich alleine da. Auch an Hänseleien kann ich mich erinnern. Tatsächlich hatte unsere Schule ein ganz gutes Schulorchester, eine zeitlang habe ich im Schulchor mitgesungen, und es gab ein paar Schulkameraden, die ebenfalls vorzugsweise klassisches hörten. Meinem Eindruck nach waren es über die Jahre hinweg eher Frauen, die neben Pop und Rock sich auch für Klassik interssiert hatten (war mir nicht unlieb :D ). Was des allgemeinen Mainstream betraf, so war auch in den 1970er alles wie in den 1950ern und in den 1980ern: die Alten fanden natürlich alles ganz schrecklich, einzig die Musik ihrer Jugend sei ewigkeitstauglich ("Rote Rosen, Rote Lippen, Roter Wein" wurde in diesem Zusammenhang von einem Lehrer in Vorschlag gebracht). Und wenn ich mir hier bei Tamino den einen oder anderen Kommentar von Gleichaltrigen über die Musik von heute so anschaue, fällt mir einzig das Brel-Chanson "Les Bourgois" ein.


    Wenn klassische Musik keine Sympathisanten hätte, um im Heute anzukommen, gäbe es keinen derart großen Tonträgermarkt, der im Grunde jede Interessenslage bedient.


    Die großen Plattenlabel betreiben die Popisiererung von Musikstars und tun damit etwas sehr Verdienstvolles: sie bauen die künstlichen Distanzen wieder ab, die sich in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch High-Society-affine Künstler wie Herbert von Karajan und eine Musik- und Kulturkritik aufgebaut worden ist, die sich gar nicht erst die Mühe gemacht hat, verständlich sein zu wollen.


    Einiges im Klassikbereich hat nun mal Schlagercharakter, Konzert- und Sinfoniensätze, Opern- und Operettenarien. Aus geschickten Kombinationen lässt sich offebar genausoviel Emotion generieren wie aus der Pop- und Rock-Musik. Fabelhaft. Eine Trennschwelle weg. Und, machen wir uns nichts vor: ein "Pop"-Star wie die Netrebko kann durchaus zur Klavierbegleitung Mozarts "Abend ist's" singen und ihre Fans hören sich das an.


    Anspruchsvolles und Allgemeines in dieser reichen Fülle beieinander - das hatten wir noch nie.


    So gesehen sind die Zeiten besser geworden.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Zitat

    Original von musica
    ja, das ist heute so, die Männerchöre sind überaltert und bekommen keinen Nachwuchs, sie sterben aus.


    Seltsam, seltsam...


    Wie war das mit den Bienen und den Blumen...? :pfeif:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Als ich Kind und Jugendlicher war, stand ich mit meiner Klassikliebe so ziemlich alleine da.


    Na, ich erinnere mich zumindest, daß meine Klassikvorliebe auch ein gutes Stück an Sebststilisierung verbarg. Meine Eltern hatten in ihrer Jugend schließlich auch die Beatles und Harry Belafonte toll gefunden; und die Embryonalentwicklung des Popmusikgeschmacks machten alle meine Klassenkameraden durch, von Elvis über Abba bis Brian Eno.


    Wenn man mit vierzehn Jahren der Klassik aufbürdet, eine private Spielart der Popmusik zu sein (bei mir wars Gustav Mahler), unterscheidet man sich gar nicht so sehr von den Bedürfnissen der anderen Halbstarken, deren Zimmerwände genauso dröhnen (von Genesis oder Pink Floyd). Man ist vielleicht nicht ganz ehrlich, weil man sich ja viel kultivierter findet; aber ernst nehmen läßt sich die E-Musik auch so. Mahler war damals mein Protest gegen Aufrüstung und Spießigkeit; und ich weiß noch, wie dankbar ich war, als ich als Zivi zum ersten Mal mit einem Oberarzt über das Lied von der Erde sprechen konnte.


    Ich wäre damals natürlich lieber gestorben, als mein Taschengeld für Simon&Garfunkel auszugeben. Heute empfinde ich es als Bereicherung, meine damalige Selbst- und Ungerechtigkeit einzusehen und Abbitte zu leisten. Eine hermetische Klassikvorliebe scheint mir steril.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

    2 Mal editiert, zuletzt von farinelli ()

  • Zitat

    Na, ich erinnere mich zumindest, daß meine Klassikvorliebe auch ein gutes Stück an Sebststilisierung verbarg.


    Nunja, klassische Musik habe ich bereits mit fünf / sechs Jahren gehört. Ohne mir was besonderes dabei zu denken. Die Platten lagen halt zuhaus rum. Und ich fand die schön. Um ehrlich zu sein: ich denke mir - was die Qualitätsebene betrifft - wenig beim Musikhören, ich höre so ziemlich alles. Das diese klassische Musik nicht das Übliche war ist mir erst durch meine Schulkameraden klar geworden, die sich beharrlich geweigert hatten, den Nußknacker schön zu finden, oder die Moldau. Gehört habe ich natürlich nicht nur Klassik; es war aber meine mit Abstand bevorzugte Musik.


    Klassik als Opposition? Ja, das gab's, aber gegen die Familie. Die stigmatisierte das 20. Jh., schon Debussy fiel unter die Vermutung "geistig umnachtet?" Mit umso größerer Inbrunst habe ich dem zum Trotz die Rhapsodie für Saxophon und Orchester gehört.


    Selbststilisieren? Ja klar, das gab's auch. Aber da musste nicht die Klassik herhalten. Das waren die Chansons von Brel, Ferré, Aznavour, Ferrat u.ä. (habe ich genauswenig verstanden wie die anderen, aber man konnte ja so tun als ob). Geraucht habe ich dazu Gitanes und trug eine Baskenmütze (selbstverständlich in direkter Opposition zu den Poppern, die damals aufkamen). Ein bisschen Radikalität tut manchmal richtig gut.


    Simon and Garfunkel. In dem kleine Freundekreis, den ich später hatte, waren die Allgemeingut. Dies Sache war aber auch ganz entspannt, weil alles alles hörten. Will sagen: keiner positionierte sich mit irgendwas als was Besonderes.


    Und mit dem Taschengeld, da sagst Du was: das ging ja auch viel für MC's drauf, auf die man sich dann die Platten der Freunde aufnahm (oder die eigenen für Freunde aufgenommen hatte).


    Pink Floyd, Beatles, Mike Batt, Mike Oldfield, natürlich ABBA, die Platten habe ich mir erst Jahre später gekauft. Bis dahin mussten's halt die MC's und Tonbänder tun.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Um auf die Argumentation der geschätzten Wiener Opernfreundin zurückzukommen: Gestern Abend habe ich tatsächlich lange mit den Damen Melba und Muzio zugebracht, ein wenig sekundiert von der guten Tebaldi und Arleen Auger. Ein ziemliche Spannweite - rein zeitlich - nicht wahr? Ich ziehe jetzt alle technischen Unbilden ab - bei der Melba konnte ich immerhin in das Abschiedskonzert hineinhören, das - obwohl von 1926 - in erstaunlich guter Qualität vorliegt und übergehe jetzt den Umstand, dass die Melba da schon über 60 Jahre alt war; die Stimme war immer noch klar und schön. Die Art zu singen würde man aber heute wohl keinem Sänger und keiner Sängerin durchgehen lassen. Sowohl die Melba als auch die Muzio singen mit einer merkwürdigen Atemtechnik, die es wiederholt nicht ermöglicht eine Phrase auf einem Atem zu singen die genau dafür gedacht war. Selbst bei einer extrem ausdrucksstarken Sängerin wie Claudia Muzio fällt das zuweilen unschön auf (etwa das "Vissi d'arte"). Unsere Ohren sind das nicht mehr gewohnt. Das ändert nichts an der Tatsache, dass man auch nach 80 Jahren fasziniert vor den Tonträgern dieser Sängerinnen sitzt (ich jedenfalls).


    Das Lied "O del mio amato ben" lässt sich übrigens wunderbar auf youtube in mehreren Aufnahmen vergleichen. Mein gestriger Vergleich war Muzio vs. Arleen Auger. Die zweite hat das Lied auf ihrer Platte "Love Songs" aufgenommen. Was fällt hier nun auf: perfekte Atemkontrolle bei der Auger, eine wundervolle Stimmführung, deren reine Schönheit bei den Schlussnoten allerdings auseinanderbricht. Das alles geht zulasten eines starken emotionalen Ausdrucks. Meine Güte, die Frau ist gerade von ihrem Freund verlassen worden. Und genau da ist die Stärke der Muzio bei diesem Lied. Diesen Wahnsinnsausdruck bekommen auch die männlichen Kollegen, bei denen ich das Lied nachhören konnte - Tito Schipa - Leonard Warren - Luciano Pavarotti - nicht hin (am ehesten noch Pavarotti).


    Dem Stimmklang nach hört es sich an, als ob die Stimmen heute anders ausgebildet werden, anders kultiviert, wodurch ihnen ihre Natürlichkeit abgeht. Dadurch werden aber Phänomene wie Rockwell Blake möglich, der mit seiner eher kleinen Stimme ans Unvorstellbare grenzende Leistungen im Canto Fiorito bringt, wenn man bedenkt was der an alles so auf einem Atem singt. Beispiel gefällig? Voilà, einfach hier klicken (ist aber leider auch schon wieder 17 Jahre alt, die Aufnahme).


    Ich bleibe also im Vergleich früher - heute bei meiner Auffassung; nicht besser, nicht schlechter, einfach anders.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

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  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Dadurch werden aber Phänomene wie Rockwell Blake möglich, der mit seiner eher kleinen Stimme ans Unvorstellbare grenzende Leistungen im Canto Fiorito bringt, wenn man bedenkt was der an alles so auf einem Atem singt. Beispiel gefällig? Voilà, einfach hier klicken (ist aber leider auch schon wieder 17 Jahre alt, die Aufnahme).


    Ich habe mir gerade die Aufnahme angehört und auch "Languir per una bella" aus "L´Italiana in Algeri". Und war gelinde gesagt entsetzt. Ich habe mir viel mehr erwartet. Die Intonation ist stellenweise einfach schlecht, die piani sind eher falsetti, die Läufe teilweise ganz schön verschummelt, und kicksen tut er auch oft. Gerade DEN finde ich kein gutes Beispiel für "aktuelle" große Sänger. Aber vielleicht war er Anfang der 90er schon über seinem Zenith? Aber das gehört gar nicht mehr in diesen Thread.

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  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Dem Stimmklang nach hört es sich an, als ob die Stimmen heute anders ausgebildet werden, anders kultiviert, wodurch ihnen ihre Natürlichkeit abgeht. Dadurch werden aber Phänomene wie Rockwell Blake möglich, der mit seiner eher kleinen Stimme ans Unvorstellbare grenzende Leistungen im Canto Fiorito bringt, wenn man bedenkt was der an alles so auf einem Atem singt. Beispiel gefällig? Voilà, einfach hier klicken (ist aber leider auch schon wieder 17 Jahre alt, die Aufnahme).


    Ich bleibe also im Vergleich früher - heute bei meiner Auffassung; nicht besser, nicht schlechter, einfach anders.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Das ist das typische Beispiel eines Sängers, der mit Stentorstimme im Einheitsfortissimo seine monocolore Stimme darbringt, über keinerlei Charme, geschweige denn Süße verfügt - mich erinnert er an Carlo Cossutta, jedoch mit bemerkenswert strahlender Höhe. Weiters bedrückt mich die obertonarme Mittellage und das ausdruckslose Heruntersingen zugegeben anspruchsvoller Gesangspassagen.


    Wenn der ein Phänomen sein soll, bitte was ist dann ein wirklicher Sänger à la Alfredo Kraus, Luciano Pavarotti oder gar Juan-Diego Flórez?

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Ich betone nochmals: dass HAfG und Preiser et altri die alten Schätze wieder verfügbar machen ist mehr als verdienstvoll, das Vergleichshören durchaus interessant. Aber da mache ich dann auch einen Punkt. Mal ganz abgesehen davon, dass die Schallaufzeichnungsgeschichte nicht nur aus Gesangsaufzeichnungen bestanden hat; mich persönlich interessieren eher Streichquartette und Klaviermusik. Und auch da gibt es ja sehr verdienstvolle Unternehmen, allen voran pristine audio. Und, BTW, Schellacks sammeln tue ich auch noch.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:


    Ist auch meine Meinung.


    Das Hollywood String Qu. z.B. klingt auf LP wesentlich lebensechter und aufregender als auf einer CD. Auch das Trio di Trieste oder das Wiener Konzerthausquartett, ebenso wie auch Ginette Neveu, David Oistrach oder Dinu Lipatti.


    Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Borodin-Qu. oder ABQ klingen auch auf CD überraschend gut. Das Kolisch-Qu. kenne ich jedoch nur von CDs, so dass ich keinen Vergleich erstellen kann.


    Von historischen Sängern (Lauri-Volpi, Ruffo, Stracciari, Fleta, Bonci etc.) ziehe ich die LPs ebenfalls den CDs vor - bessere Dynamik, lebensechter, einfach aufregender.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)


  • Diese aus der Baukunst abgeleitete Epochen-Einteilung ist für die Musikentwicklung nur bedingt anwendbar.


    Zeitgenossen der letzten Epoche vor der Moderne (pars pro toto):
    Schönberg (1874-1951)
    R.Strauss (1864-1949)
    Debussy ( 1862-1918 )
    Rachmaninoff (1873-1943)


    Jeder der angeführten Komponisten ist einer anderen Stilrichtung zuzuordnen. Dazu kommt, dass der kulturelle Hintergrund der jeweiligen Komponisten regional variiert und somit auch der Stil deren Werke.


    Besonders verwirrend ist die Schubladisierung "Klassik" versus "Romantik". Ist der Klassiker Beethoven etwa nicht auch ein großer Romantiker? Und was bitte ist in dieser Katalogisierung Johannes Brahms?


    Ich weiss, mein lieber Freund Operus ist mir nicht böse - ich grüße ihn sehr herzlich und danke ihm für seine großartigen Beiträge, die diesem Forum wertvolle Bereicherung sind.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Wie könnte ich Dir, lieber Milletre, denn böse sein. Im Gegenteil Dein Beitrag ist eine wichtige Ergänzung und Präzisierung meiner Ausführungen.
    Liebe Grüße nach Wien
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Ewa Podles.


    :hello:


    Ich hab mir die jetzt in einigen Stücken aus den späten 90ern (ein solides Amor tiranno), eine schwächere Azucena und eine geradezu schauderhafte Cieca in "Gioconda" von 2005.
    Eine ungewöhnlich dunkle Stimme für heutige Zeiten, aber ich kann an ihr absolut nichts Außergewöhnliches finden. Die Register klaffen schlimm auseinander, die Tiefe spricht nur an, wenn sie kräftig mit der Bruststimme draufdrückt. Enttäuschend.

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