Pianist und Dirigent in Personalunion - Ideallösung oder Sackgasse ?

  • Liebe Forianer


    Speziell bei Kammerorchestern gibt es die Tendenz - und das schon seit etlichen Jahren - daß der Pianist vom Klavier aus das Orchester dirigiert und dann auch den Solopart spielt.
    Es gibt hier unterschiedliche Meinungen bei den Musikfreunden.
    Zum einen entfällt logischerweise der Auffassungsunterschied zwischen Pianisten unt Dirigenten (bestens dokumentiert durch das Berühmte Konzert, welches von Leonard Bernstein und Glenn Gould gegeben wurde, wo Bernstein vor Beginn der Aufführung erklärte, daß die beiden Künstler sich nur schwer auf ein geminsames Tempo einigen konnten, ditto einstandskonzert von Horowitz in den USA, wo er dem Dirigenten einfach davonzog...) -
    zum andern ist es natürlich eine Doppelbelastung - und Kritiker dieser Konstellation meinen, ein Pianist könne vom Klavier aus das Orchester nicht hundertprozentig überwachen.


    Ich persönlich bin eher ein Anhänger der Personalunions-Aufnahmen, denn ein Gegner. Zahlreiche geglückte bis hervorragende Aufnahmen, teilweise sogar mit Referenzstatus, belegen, daß diese Lösung nicht nur eine Kosteneinsparung bringt, sondern auch künstlerische Ergebnisse auf höchstem Niveau - ohne Einschränkungen - ermöglicht.


    Hier eine meiner Lieblingsaufnahmen (ich besaß sie schon als Langspielplatte) Geza Anda spielt und dirigiert Mozarts Klavierkonzert Nr 26 "Krönungskonzert"



    Anda spielt leicht und luftig, aber männlich und kraftvoll zu gleich.
    Der typische Camerata-academica-Klang verleiht der Aufnahme den letzten Schliff....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred ,



    dies ist wirklich ein sehr interessanter Denkanstoss .


    Spontan fiel mir auch Geza Anda ein mit dem "Salzburger Klang" , den Du dann auch beschreibst .


    Alle Jahre finden wir Solisten / Solistinnen , die sich auch als spielende Diriegnten versuchen .



    Wir erinnern uns an die nicht immer glücklichen Aufnahmen durch Edwin Fischer .


    In jüngster Zeit ( mit Mozart ) ebenfalls nicht sehr überzeugend Maurizio Pollini . Davor als Geigerin Anne - Sophie Mutter mit den "Vier Jahreszeiten" ( die Aufnahme bleibt um Klassen hinter der mit Herbert v. Karajan zurück ! ) .


    Dann wieder in jüngster Zeit M. Uchida ( Mozart-Klavierkonzerte ) : Hier hören wir eine wehr überzeugende Mozartinterpretin .


    Es bleibt für mich eine Frage : Warum hat etwa Sergey Rachmaninov , einer der ganz grossen Pianisten , nie seine eigenen Klavierkonzerte dirigiert ?


    Bernstein war ein guter Pianist , aber war er der beste Interpret seiner eigenen Kompositionen ? Ich denke nein .


    Herbert v. Karajan war ein ausgezeichneter Pianist ; hat er je als Solist aufgenommen gemacht ?


    Krystian Zimermans Chopin als spielender Dirigigent oder dirigierender Pianist hat mich nicht überzeugen können . ( Dass er die frühere Einspielung zurückgezogen hat dürfte seinen marktstrtaegischen Überlegungen entsprungen sein . )


    Meiner Meinung und eben Erfahrung nach gelingt es einem Solisten nur sehr , sehr selten , auf einem ähnlichen Niveau zu musizieren wie dies bei getrennten Maestri der Fall ist .



    Anzumerken bleibt der Hinweis , dass eine hervorrgende solistische Leistung durch einen wenig inspiriertern und inspirierenden Dirigenten oder ein auch im Studio nicht überzeugendes Orchester eine Aufnahme in ihrem Gesamteindruck zerstören kann .



    Da Du als sehr erfahrener Hörer auch nur Geza Anda hier nennst bestätigt mich noch mehr in meiner Grundhaltung .



    Beste Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Hallo,


    zu diesem Thema fällt mir sofort Daniel Barenboim ein, der ja zum Beispiel Beethovens drittes Klavierkonzert als Pianist UND Dirigent mit der Staatskapelle Berlin interpretierte.


    Ich denke, man muss unterscheiden zwischen den klassischen Klavierkonzerten (Haydn, Mozart und auch noch Beethoven) und den längeren symphonischeren Klavierkonzerten der Romantik (Schumann, Grieg, Brahms, Tschaikowski etc.). Bei letzteren ist ein Dirigent unbedingt notwendig, aber bei klassischen Klavierkonzerten finde ich's vollkommen in Ordnung, dem Pianisten auch die Dirigentenfunktion zufallen zu lassen, schließlich hat Mozart seine Klavierkonzerte auch gespielt und dirigiert gleichzeitig.


    Vergleichbar ist das meiner Meinung nach mit der Frage: Taktstock - ja oder nein? Auch hier würde ich sagen: Barock-Musik, Haydn und Mozart würde ich ohne Taktstock dirigieren (zu deren Zeiten gab es den ja auch noch gar nicht), aber ab Beethoven, Schubert und Mendelssohn-Bartholdy würde ich auf den Taktstock nicht mehr verzichten, und schon gar nicht bei Bruckner und Mahler.


    :hello:


    lg Helge

  • Zitat

    Original von Helge Kreisköther
    Barock-Musik, Haydn und Mozart würde ich ohne Taktstock dirigieren (zu deren Zeiten gab es den ja auch noch gar nicht),


    ...als, wenn J. M. Kraus schon einen hatte... :pfeif:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Habe in meinem Inventar eine DVD mit zwei Klavierkonzerten Mozarts (darunter KV 466 in d-moll), gespielt und dirigiert von Friedrich Gulda.


    Allein das Anschauen des Videos bringt mir wenig Vergnügen: Gulda springt vom Klavier auf, fuchtelt dirigierend mit seinen Armen herum, dirigiert dann wieder vom Klavier aus, seine Mimik verrät eher getriebene Anspannung als reine Konzentration... Das Video verbreitet für mein Empfinden eher Hektik. Es schleicht sich bei mir dann das Gefühl ein, dass er weder bei der einen noch bei der anderen Sache so richtig dabei ist.


    Neulich sah ich mir eine andere DVD an: Suzuki an Cembalo und Dirigentenpult während seiner Aufführung der Bachschen Johannespassion. Das war stimmig - begleitete er doch "nur" manche Rezitative, während zwei weitere Tastenfrauen (Cembalo, Orgel) - neben Solisten, Chor und Orchester, versteht sich - für den Rest sorgten.


    Ich gehe davon aus, dass die gelungenen Mozart-Konzerte Gulda einzig am Klavier sehen, und nicht in einer derartigen Personalunion. Vielleicht ging es ihm hier auch speziell um die Selbstdarstellung, was ja auch nicht verkehrt sein muss.


    LG, Christoph :hello:

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  • Zitat

    Zitat von Helge Kreisköther: Barock-Musik, Haydn und Mozart würde ich ohne Taktstock dirigieren (zu deren Zeiten gab es den ja auch noch gar nicht),


    Auszug aus wikipedia zu J.-B. Lully:



    "1687 arbeitete Lully an seiner Oper „Achille et Polixène“, als der König schwer erkrankte. Anfangs klagte er nur über Zahnschmerzen; die Ärzte wollten den Zahn ziehen, stellten sich jedoch so ungeschickt an, dass sie dem König ein Stück des Oberkiefers herausrissen. Die stark blutende Wunde wurde mit einem glühenden Eisen ausgebrannt. Man rechnete schon mit dem Tod des Königs, doch dieser erholte sich. Für die Feierlichkeiten über die Genesung des Königs bearbeitete Lully sein 1678 komponiertes „Te Deum“ und plante eine Aufführung mit der gesamten Hofmusik, 300 Musikern. Die Arbeiten zu „Achille et Polixène“ wurden zurückgestellt. Doch als er die Motette am 8. Januar 1687 in der Église des Pères Feuillants aufführte, passierte ein Unglück: Lully schlug dazu, wie damals üblich, den Takt mit einem langen, reich verzierten, schweren Stab auf den Boden, wobei er unglücklich seinen Fuß traf. Die Wunde entzündete sich rasch und infizierte sich mit Wundbrand. Da sich Lully weigerte, den Zeh amputieren zu lassen, verstarb er wenige Monate darauf. Er wurde in Notre Dame des Victoires unter großer Anteilnahme begraben."


    Grüße vom Wandergeist :hello:

  • Ich bin nicht gerade ein Freund dieser Lösung. Meiner Meinung nach besteht das Faszinosum eines (gerade Klavier-) Konzerts auch aus der Auseinandersetzung zwischen dem Orchester und dem Solisten- und wo bleibt die Spannung, wenn das Orchester nach dem Willen des Solisten spielt?


    :hello:

  • Mit der Einspielung von Geza Anda hat Alfred einen Trumpf aus dem Ärmel gezogen, dem man schlecht entgegnen kann. Ich glaube aber nicht, dass das bei allen Klavierkonzerten möglich ist. Bernstein hat auch zuweilen vom Flügel aus dirigiert, Mozart, Ravel und Schostakowitsch. Zumindest die Schallplattenaufnahmen sind sehr gelungen (gut, bei Ravel habe ich andere Vorlieben), wie das live funktioniert haben mag weiss ich nicht.


    Soweit ich weiss hat Anda bei seinen weiteren Aufnahmen mit einem Dirigenten zusammengearbeitet.


    Die Mozartkonzerte scheinen wohl die Personalunion nahezulegen, denn Barenboim hat kurze Zeit später auch eine Personalunionsaufnahmen der Mozartkonzerte vorgelegt (die EMI hat damals der DGG manches nachgeäfft und umgekehrt). Barenboim hat in späteren Jahren (Anfang der 1990er) die Beethovenkonzerte vom Flügel aus dirgiert, das Ergebnis kenne ich nicht, es steht in Konkurrenz zu einer früheren Einspielung der fünf KK zusammen mit Klemperer. Das mag ja vielleicht noch hinhauen. Aber die beiden Brahmskonzerte vom Flügek aus? Das ist mir schlichtweg nicht vorstellbar.


    Aber die beiden Mozart-GA's (Anda und Barenboim) sind in dem Zusammenhang schon Empfehlungen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    steht in Konkurrenz zu einer früheren Einspielung der fünf KK zusammen mit Klemperer. Das mag ja vielleicht noch hinhauen. Aber die beiden Brahmskonzerte vom Flügek aus? Das ist mir schlichtweg nicht vorstellbar.


    Bei den Brahms-Konzerten gibt es meines Wissens auch keine historischen Vorbilder. Ich meine aber, mich erinnern zu können, daß es Konzerte gegeben hat, wo zuerst Brahms am Klavier saß und v. Bülow (?) dirigierte und sie nach der Pause getauscht haben!
    (Mitropoulos war ein so guter Pianist, daß er beim 3. Prokofieff-Konzert einspringen konnte, wenn ich recht erinnere.)


    Bei den Beethoven-Konzerten weiß ich tatsächlich nicht genau, ob die seinerzeit eher vom Klavier aus dirigiert wurden, oder nicht. Zumindest bei den ersten dreien dürfte wohl beides vorgekommen sein (ich bin mir z.B. ziemlich sicher, daß Ries sie unter Beethovens Dirigat spielte).
    Sowohl vom Schumann- als auch vom Schostakowitsch-Konzert (mit Trompete) gibt es meines Wissens Aufnahmen mit Personalunion. Zimerman hat es ja auch mit den Chopin-Konzerten gemacht. (Diese Aufnahmen kenne ich aber alle nicht.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    ...
    Mitropoulos war ein so guter Pianist, daß er beim 3. Prokofieff-Konzert einspringen konnte, wenn ich recht erinnere.
    ...


    So kann man es auch formulieren. In Wirklichkeit war es einer der unglaublichsten Stunts der Musikgeschichte. Mitropoulos war als Dirigent für ein Konzert der Berliner Philharmoniker vorgesehen, als einen Tag davor der Pianist Egon Petri absagen musste. Da für dieses "ausgefallene" Werk kein Ersatz verfügbar war, setzte sich Mitropoulos hin und lernte den Klavierpart (den er natürlich im Prinzip sehr gut kannte; er hatte ein legendäres Gedächtnis) in 24 Stunden am Instrument und führte das Konzert - zugleich dirigierend - programmgemäß mit großem Erfolg auf. Es dürfte der erste Fall in der modernen Konzertgeschichte sein, dass ein Pianist am Podium zugleich die Dirigentenrolle übernommen hat (obwohl es in diesem Fall genau genommen umgekehrt war!).


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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