Nikolaus Harnoncourt pro und contra

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Wahrheit in der Kunst ist sicher ein hakliger Begriff. Kunst ist jedoch keine rein subjektive Veranstaltung.


    Das wollte ich auch keinesfalls nahelegen! Nur gibt es hier häufig eine wirklich irreführende Bewegung, wenn man nämlich daraus, dass man "Wahrheit" in der Kunst haben möchte, und dass ästhetische Urteile nicht in dem Sinne objektiv sind wie " Der Computer steht auf dem Schreibtisch" auf so etwas wie "subjektive Wahrheit" kommt... ;)


    (Nur zur Klarstellung: "Ich finde italienische Barockmusik spannender als französische" ist keine "subjektive Wahrheit". Es ist genau dann wahr, wenn es eine Meinung wiedergibt, die ich (JR) wirklich habe, sonst falsch und das jeweils völlig objektiv. Subjektiv ist die darin ausgedrückte Präferenz, weil sie meine höchsteigene und weil sie bloßer Geschmack, nicht begründet usw. ist)


    Es gibt übrigens einen weiteren Sinn von "wahr", den man vielleicht noch in Erwägung ziehen könnte (obwohl ich bezweifle, dass es das ist, was diejenigen, die von Wahrheit im Kunstwerk sprechen, im Sinn haben), nämlich einen "formalen Wahrheitsbegriff" wie in "wahre Freundschaft". Hier bedeutet "wahr" die Nähe zu einem Ideal oder Prototyp. Da es bei Kunstwerken aber nicht zuletzt auf Individualität ankommt - ein Kunstwerk muß ja immer als Individuum gewürdigt werden, nicht bloß als Mitglied einer z.B. durch einen Prototyp bestimmten Klasse - bringt das nicht viel.


    Mit dem Rest Deines Beitrages gehe ich weitgehend d'accord.
    Ich finde Kants Annäherung an das Besondere an ästhetischen Urteilen (im Gegensatz zu solchen über objektive Fakten, Gutes, Angenehmes) ziemlich treffend, auch deren "quasi-objektiven" Charakter, wobei ich allerdings zugeben muß, mich auf dem Gebiet nicht besonders gut auszukennen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich denke schon, dass Kunst ein rein subjektive Angelegenheit ist in der es eine subjektive Wahrheit gibt, die über das objektiv zutreffende Statement eines subjektiven Geschmacksurteils (so es so etwas geben sollte) hinausgeht.


    Ohne jetzt auf die im Nichts endende Signifikantenkette einzugehen die ich selbst nicht verstehe: Wahrheit in der Kunst ist - jedenfalls für mich armen Behelfsselbstdenker - nicht gleichzusetzen mit ästhetischen Urteilen. Wahrheit in der Kunst zielt nicht auf Aussagen, sondern auf Ausdruck, also aus Sicht des Rezipienten auf den Eindruck vom Ausdruck der sich - zumindest bei mir bekennendem Kunsthedonisten - auf der emotionalen Ebene abspielt.


    Allerdings beschränkt sich dieses Empfinden nicht auf ästhetische Urteile, sondern ist im Idealfall ein nicht als analysierendes Urteilen ablaufender Prozess der entsprechend schwer in Worte zu fassen ist. Möglicherweise ist "Wahrheit" in der Kunst nur ein untechnischer Begriff für eine Kunstwirkung die so stark ist, dass sie nicht mehr als "gemacht" und "gewollt" empfunden wird, sondern die fraglos voll ergreift und daher als authentisch erlebt wird.


    Was dann ungefähr so subjektiv und beliebig ist wie nur irgendwas.


    Die Intensität dieses Empfindens und seine Nähe zum "cogito ergo sum" rechtfertigen es jedoch jedenfalls für mich, hier von subjektiver Wahrheit zu sprechen. Denn Denken findet in Sprache statt - und die ist in ihren Diskursen gefangen. Die von der Kunst ausgelösten Empfindungen spielen sich auf einer nicht begrifflichen Ebene ab - und kennen daher dieses Problem nicht...


    Was natürlich völlig esoterischer Käse ist - aber trotzdem ein tagtäglich zu erlebender Umstand, ohne den ich mir ein Leben nicht vorstellen möchte. Deswegen: subjektive Wahrheit. Die einzige Wahrheit, gleichzeitig eine ungefährliche (außerhalb der Kunst kriege ich Gänsehaut wenn jemand von "Wahrheit" spricht).


    So weit so sinnlos
    Euer
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Wäre es nicht gewinnbringender, darauf zu verzichten, den jeweils eigenen, favorisierten Kunst-, Wahrheits- oder sonstigen Begriff allen anderen möglichst nahe bringen zu wollen?
    Wird nicht auch oft in solchen Diskussionen vergessen, dass jeder seine eigenen Vorausestzungen mitbringt und die sich nicht unbedingt nehmen lassen möchte? Außerdem gehört das doch wirklich nicht mehr zum Thema, sondern wäre eines, das mehrere Foren zu füllen vermag.
    Um wieder auch mal was zu Herrn Harnoncourt ins Rollen zu bringen:
    Kann es sein, dass etliche hier seinen Wert auch deshalb so gering schätzen, weil sie aufgrund ihres Alters die Kontroversen, die sich nicht nur aber doch großteils an Harnoncourts Einspielungen in den 60er Jahren entzündeten, nicht miterlebt haben? Vor allem an dem Kantatenprojekt zusammen mit Leonhardt schieden sich die Geister in Feuilleton und Plattenladen. Dabei kommt ihm und den anderen, die damals tapfer die Prügel ausgehalten haben, nicht der Verdienst zu, historische Musizierpraxis wiederentdeckt zu haben. Die war in vielen Zirkeln und Gesellschaften nie untergegangen. Dafür stehen Namen wie Boulanger, Saint-Saens, Neumeyer oder Wenzinger, die wieder oder noch auf originalen Instrumenten oder schon Nachbauten konzertiert haben. Einen wirklichen Traditionsuntergang hat es nie gegeben. Ebensowenig wie Mendelssohn Bach wiederentdeckt hat. Solche Legenden stammen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Aber das nur am Rande.
    Harnoncourt ist es vielmehr gelungen, mit seinen Sichtweisen ins Bewusstsein der Öffentlichkeit vorzudringen und eine Diskussion in Gang zu bringen, die nicht auf Seminarräume und Studierzimmer begrenzt blieb. Den historischen/historisierenden Ansatz populär gemacht zu haben, kann ihm – und auch wieder anderen – niemand nehmen. Ohne diese Avantgarde gäbe es heute nicht die breite Akzeptanz, die den jetzigen Ensembles das Arbeiten und Auftreten erst möglich macht. Zugespitzt: Nein, ohne Harnoncourt gäbe es kein Concerto Köln.
    Einen ebenso großen Verdienst muss man zumindest seinen ersten beiden Büchern Klangrede und musikalischer Dialog zuschreiben, die sogar manchen Musikwissenschaftler aufgerüttelt haben. In den Instituten dort ist die Dünkelhaftigkeit und Engstirnigkeit ja nicht kleiner als anderswo auf der Welt.
    Deshalb bin ich doch ein bisschen bestürzt darüber, wie schnell auch heute noch viele bei der Hand sind, mit apodiktischem Aplomb alles vom Tisch zu wischen, was ihnen beim ersten Anhören nicht gefällt. Damit meine ich nicht fundierte Einwände, die sich aus genauen Kenntnissen herleiten und belegen lassen, sondern den oft durchklingenden Tenor, der sich auf den eigenen Geschmack und vor allem die lieb gewordenen Gewohnheiten und sonst manchmal wenig stützt.
    Auch andere haben das schon geäußert, deshalb ist das nicht besonders originell von mir. Aber es kommt mir so oft unter die Augen, dass ich mich schon ab und an frage, worauf sich manche Qualifikation gründet, die hier Künstlerhälse bisweilen schneller abschneidet als eine Guillotine.
    Damit will ich keine neue Grundsatzsikussion vom Zaun brechen, aber vielleicht zum moderateren Draufhauen anregen.
    Und um nicht in den Verdacht zu geraten, ich möchte hier Wahlkampf für eine unkritische Sicht auf ein Harnoncourt-Denkmal machen: Mit seinen Interpretationen der letzten Jahre habe ich doch arg zu kämpfen. Nur ist das oft nicht meine Baustelle, so dass ich mir seltenst den Ruck geben kann, seinen Ansichten auf den Grund zu gehen. Andererseits habe ich noch etliche der alten Harnoncourt-LPs im Schrank, die ich nicht missen möchte.


    Moderate Grüße
    Hildebrandt

  • Solange das Nahebringen sich auf informierend-erklärende Mitteilung beschränkt und nicht auf apodiktisches Predigen ewiger Wahrheiten halte ich solche kleinen Offtopics für so ziemlich das Gewinnbringendste im zwischenmenschlichen Kunstdiskurs.


    Harnoncourt schätze ich sehr, auch und gerade in späteren Aufnahmen wie dem wunderbar radikalen Messias von 2004. Da hat einer kompromisslos sein Ding gemacht, und siehe da, es lebt.


    F

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Zitat

    Original von Hildebrandt
    Wäre es nicht gewinnbringender, darauf zu verzichten, den jeweils eigenen, favorisierten Kunst-, Wahrheits- oder sonstigen Begriff allen anderen möglichst nahe bringen zu wollen?


    Lieber Hildebrandt,


    nein. Je präziser ein "favorisierter" (kann man den sich wirklich einfach so aussuchen?) Kunst- und/oder Wahrheitsbegriff formuliert ist, umso präziser kann ich meine eigene Differenz dazu benennen. Im übrigen schärft sich meine Begrifflichkeit nicht von alleine, sondern in der Auseinandersetzung mit anderen Begrifflichkeiten. Es ist wenig hilfreich, wenn in einer Diskussion beide etwa "Wahrheit" sagen, aber Unterschiedliches meinen.


    Zitat

    Wird nicht auch oft in solchen Diskussionen vergessen, dass jeder seine eigenen Vorausestzungen mitbringt und die sich nicht unbedingt nehmen lassen möchte?


    Wenn ich nicht bereit wäre zu lernen und bei gegebenen Voraussetzungen auch meine Auffassung zu ändern, wüsste ich nicht, warum ich überhaupt diskutieren sollte.


    Zitat

    Aber es kommt mir so oft unter die Augen, dass ich mich schon ab und an frage, worauf sich manche Qualifikation gründet, die hier Künstlerhälse bisweilen schneller abschneidet als eine Guillotine.


    Vielleicht von so manchem ungeklärten Kunst- & Wahrheitsverständnis? :D


    LG Peter

  • Was ist Kunst?
    Hier meine ganz subjektive Antwort (ganz ohne Wahrheitsanspruch :D), wobei ich mich auf die Musik beschränken möchte.


    Musik ist nicht ohne die Wirkung auf den Rezipienten beschreibbar. Ohne jemanden, der Musik hört, gibt es auch keine Musik.
    Kunstvolle Musik bewegt und berührt Menschen immer wieder aufs Neue – sie lässt nicht kalt. Dazu gehört meines Erachtens aber nicht nur, dass sie gefällt. Zum Berühren und Bewegen gehört auch, dass sie erschreckt, aufrüttelt,.erschüttert usw.. Somit ist für mich durchaus auch „Hässliches“ Bestandteil kunstvoller Musik.


    Große Musik bewegt Menschen nicht nur für den Moment, sondern auch über längere Zeit – oft über Generationen und Jahrhunderte. Dabei kann man davon ausgehen, dass uns heute beispielsweise nicht mehr das gleiche wie Mozarts Zeitgenossen an seiner Musik bewegt, denn wir sind nicht mehr die Menschen des 18. Jahrhunderts. Die Tatsache, dass große Musik Menschen zu unterschiedlichen Zeiten berührt, unterscheidet sie von sogenannter populärer Musik (Schlager etc.), die nur für kurze Zeit interessant ist. Große Musik ist halt sehr facettenreich.


    Zurück zu Harnoncourt.
    Seinen Verdienst sehe ich u.a. darin, dem Hörer wieder Seiten großer Werke der Musik gezeigt zu haben, die jenseits des reinen Genießens von Musik liegen. Das ist unbequem und anstrengend, aber macht es möglich diese Werke wieder neu zu hören.

  • Wobei das konkrete Problem im Harnoncourtschen Falle (und der Auslöser der Diskussion um ihn) war, dass er in einem Interview anlässlich seines Salzburger "Figaro"-Dirigates behauptete, dass nur er aufgrund seines intensiven Quellenstudiums die richtigen interpretatorischen Schlüsse aus der Partitur gezogen habe im Gegensatz zu allen anderen bisherigen Dirigenten, die sich dieser Mühe nicht unterzogen hätten. Was wiederum nichts anderes heißt, als dass die bisherigen "Figaro"-Dirigenten keine ernst zu nehmenden Interpretationen vorgelegt hätten. Nun ist Quellenstudium bis hinunter zum Originalmanuskript sicher ein in musikwissenschaftlicher Hinsicht sehr löbliches Unterfangen, doch reicht die korrekte Wiedergabe des Notentextes noch bei weitem nicht aus, um einem Meisterwerk wie dem "Figaro" gerecht zu werden. Es kommt eben darauf an, welche Gesamtvorstellung der Dirigent vom Stück hat und wie diese Gesamtvorstellung dann wieder zurückwirkt auf die Interpretation einer bestimmten Stelle des Stückes. Und da scheint mir beim Harnoncourtschen "Figaro" der Hase im Pfeffer zu liegen. Problematisch war für mich nicht, dass Harnoncourt und Guth den "Figaro" nicht als burleske Komödie angelegt haben, sondern dass Harnoncourt mit seiner teilweise extremen "stop and go"-Vorangehensweise jede Szene einer Art "micro management" unterworfen hat. Zuviele Details, zuviele "Augenblicke". Dieser "Figaro" zerfaserte in eine Aneinanderreihung von Einzelszenen und Miniaturen unter dem Brennglas, der die richtigen Proportionen fehlten.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Liebe Leute,
    »Wahrheit« scheint mir, solange man einen mehr oder minder essentialistischen Wahrheitsbegriff zugrunde legt, eine im Kontext der Diskussion über Kunst wenig operationalisierbare Kategorie zu sein.
    Ich wüßte ohnehin nicht, wie man einen konsensfähigen Wahrheitsbegriff formulieren könnte - allenfalls eben konsensuell.
    Denn die Korrelation von Aussage und Tatsache, die Johannes Roehl ins Feld geführt hat, zieht ja geradezu notwenig eine Anschlußfrage nach sich: was ist eine Tatsache? Operationalisierbar scheint mir ein Tatsachenbegriff als Wahrheitsindikator allenfalls in mehr oder minder geschlossenen und reglementierten Systemen zu sein, in denen letztlich Aussage und Tatsache identisch sind, bzw. in denen gemäß bestimmter Regeln der Konstitution von Aussagen Tatsachen synthetisiert werden (Mathematik, formale Logik und, darauf hat BBF IMO zurecht hingewiesen, das Rechtssystem) bzw. in denen Aussagen gewissermaßen autoevident einen Wahrheitsgehalt simulieren (etwa: »Ein Vertrag ist ein Vertrag ist ein Vertrag.«).
    Beispiel: Die Ausage »Dies ist ein Tisch« bezogen auf eine ca. 120X80 cm große Glasplatte die auf vier etwa 70 cm hohen Holzbeinen ruht, ist nur dann »wahr«, wenn entweder


    a) vorausgesetzt wird, daß es eine singnifikantenunabhängige Entität einer »Tischheit« gäbe, die zudem quasiorganisch mit dem Begriff »Tisch« korrespondiert


    oder


    b) gegeben ist, daß die Mehrheit einer Kommunikationsgemeinschaft sich darauf geeinigt hat für ein solches Gebilde (120X80 cm große Glasplatte die auf vier etwa 70 cm hohen Holzbeinen ruht) den Begriff »Tisch« zu verwenden.


    Fall a) suggeriert die Existenz einer vorsprachlichen und außerdiskursiven »Tatsache« bzw. eines »Dings«, an die/das zudem fest ein Begriff gekoppelt ist. »Wahrheit« würde hier tatsächlich in der Korrespondenz von Aussage und Tatsache bestehen.


    Fall b) suggeriert die diskursive Konstitution von Tatsachen und eine unauflösbare aber willkürliche Verschränkung von Begriff und Ding/Tatsache, Zeichen und Bezeichnetem (jaja, ich weiß, ist eine olle Kamelle aus der Trickkiste der strukturalen Linguistik). »Wahrheit« würde hier in Abhängigkeit von einem sprachlich verfassten gesellschaftlichen Wissen entstehen, in dem bestimmte Aussagen dann als wahr gelten, wenn sie mit diesem konventionalisierten gesellschaftlichen Wissen korrespondieren.


    O.k., genug davon! - obwohl das ganze IMO eng mit der allgemeinen Einschätzung Harnoncourts zu tun hat. Hildebrandt hat darauf, so meine ich, zurecht hingewiesen. Die Kritik an NH entzündet sich ja eigentlich weniger an seiner Interpretationspraxis sondern vielmehr daran, daß er seinen Interpretationsansatz bisweilen in einer Art und mit einem Anspruch präsentiert (hat), der eher dem oben unter a) geschilderten, mehr oder minder essentialistischen Wahrheitsbegriff entspricht.


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von pbrixius


    Lieber Hildebrandt,


    nein.


    Doch. :D



    Zitat

    Je präziser ein "favorisierter" (kann man den sich wirklich einfach so aussuchen?) Kunst- und/oder Wahrheitsbegriff formuliert ist, umso präziser kann ich meine eigene Differenz dazu benennen. Im übrigen schärft sich meine Begrifflichkeit nicht von alleine, sondern in der Auseinandersetzung mit anderen Begrifflichkeiten. Es ist wenig hilfreich, wenn in einer Diskussion beide etwa "Wahrheit" sagen, aber Unterschiedliches meinen.


    Lieber Peter,
    vielleicht hätte ich statt „möglichst nahe bringen“ besser „missionierend aufdrängen“ schreiben sollen. Das ist etwas anderes als das Darlegen eigener Postionen und das nähere Bestimmen verwendeter Begriffe, ohne die man ohnehin nicht auskommt und nach der sich ja so manche Begrifflichkeit erst gerne schärft.
    Ob man sich Kunst- und Wahrheitsbegriff „einfach so aussuchen“ kann? Zum einen hatte ich nicht „einfach so aussuchen“ verwendet, zum anderen lasse ich mich nicht auf vermintes Gelände locken.


    Zitat

    Wenn ich nicht bereit wäre zu lernen und bei gegebenen Voraussetzungen auch meine Auffassung zu ändern, wüsste ich nicht, warum ich überhaupt diskutieren sollte.


    Damit meinte ich jene Diskutanten, die zu Feuer und Schwert greifen und in ihrem Eifer ein bisschen die Contenance vermissen lassen. Wodurch sich das Gegenüber dann zum Griff nach einem noch gröberen Keil gedrängt fühlt.


    Zitat

    Vielleicht von so manchem ungeklärten Kunst- & Wahrheitsverständnis? :D


    Ein entschiedenes Jein.
    Gegen ein „gefällt mir“ oder „gefällt mir nicht“ ist ja gar nichts einzuwenden, wir alle wollen ja schließlich hier auch unseren Geschmack kundtun dürfen. Nur wenn Heiligsprechungen ebenso wie Verdammungen in starken Worten, aber ohne ein halbwegs plausibles „weil“ daherkommen, habe ich halt meine Schwierigkeiten damit. Aber wir können das gerne mein Problem sein lassen, denn ich befürchte darüber zu diskutieren könnte nur zu erneuten Grabenkämpfen führen.
    Kunst- und Wahrheitsverständnis klären? Wunderbar, solange es sich auf die Präsentation der eigenen Position bezieht, sich ein Austausch von Meinungen anschließt und jeder das daraus lernt, was er zu lernen bereit ist. Aber – und da denke ich, sind wir uns alle einig – den Anspruch, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, mag man ja erheben, man sollte seine Mitdisputanten dabei aber auch rhetorisch am Leben lassen.


    Und was war jetzt mit Harnoncourt? :D


    Schönste Grüße
    Hildebrandt

  • Tatsächlich gehe ich mit Harnoncourt nicht konform, wenn er für seine Interpretationen den Wahrheitsanspruch erhebt. Trotzdem schätze ich seine musikalischen Ergebnisse sehr.


    Seine Interpretationen sind aus meiner Sicht im beste Sinne hoch subjektiv und dabei sehr anregend.


    Es macht für mich deshalb aber auch keinen Sinn - und darauf wollte ich hinaus - Harnoncourt mit Hilfe eines anderen Wahrheitsbegriffes zu kritisieren, das führt bloß in unbefriedigenden Dogmatismus.


    Zum Salzburger Figaro möchte ich noch anmerken, dass er natürlich brüchiger ist, als man dies von vielen anderen Interpreten kennt. Ich denke aber, dass dies Ergebnis der subjektiven Sicht Harnoncourt ist, der gerade die Konflikte/Brüche oder auch das "Drama" im Figaro ins Zentrum seiner Auseinandersetzung stellen wollte und diese Idee finde ich wieder sehr spannend - wenn auch sie sicherlich nicht die letzte Wahrheit ist.


    Dass Interpreten ihre Ideen für die einzig richtigen halten, ist wahrscheinlich sogar notwendig, denn nur so können sie zu schlüssigen Konzepten kommen. Und wir wissen doch alle, dass Dirigenten, die Werke in größeren Abständen spielen, oft zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen und frühere Aufführungen selbst nicht mehr für angemessen halten.

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  • Zitat

    Original von Klawirr
    »Wahrheit« scheint mir, solange man einen mehr oder minder essentialistischen Wahrheitsbegriff zugrunde legt, eine im Kontext der Diskussion über Kunst wenig operationalisierbare Kategorie zu sein.
    Ich wüßte ohnehin nicht, wie man einen konsensfähigen Wahrheitsbegriff formulieren könnte - allenfalls eben konsensuell.
    Denn die Korrelation von Aussage und Tatsache, die Johannes Roehl ins Feld geführt hat, zieht ja geradezu notwenig eine Anschlußfrage nach sich: was ist eine Tatsache? Operationalisierbar scheint mir ein Tatsachenbegriff als Wahrheitsindikator allenfalls in mehr oder minder geschlossenen und reglementierten Systemen zu sein, in denen letztlich Aussage und Tatsache identisch sind, bzw. in denen gemäß bestimmter Regeln der Konstitution von Aussagen Tatsachen synthetisiert werden (Mathematik, formale Logik und, darauf hat BBF IMO zurecht hingewiesen, das Rechtssystem) bzw. in denen Aussagen gewissermaßen autoevident einen Wahrheitsgehalt simulieren (etwa: »Ein Vertrag ist ein Vertrag ist ein Vertrag.«).


    Gerade Mathematik und Logik kommen im Gegenteil zur Not ohne Korrespondenz aus (wobei das natürlich auch umstritten ist). Hier könnte ich nämlich Wahrheit eines Satzes= "Ableitbarkeit des Satzes aus Axiomen in einem formalen System" setzen. Das kann ich, sobald es um Alltag oder empirische Wissenschaft geht, bekanntlich nicht. Daher komme ich hier nicht darum, dass die Wahrheit eines Satzes (in der Regel, von analytischen Sätzen vielleicht abgesehen) von etwas außerhalb dieses Satzes abhängen muß. Damit bleiben im Grunde nur zwei Möglichkeiten. Entweder eine Variante einer Korrespondenztheorie, Wahrheit hängt vom Verhältnis von Aussage und Tatsache ab. Oder einer Kohärenztheorie, die Wahrheit hängt vom richtigen inferentiellen Verhältnis einer Aussage zu einem System von anderen Aussagen ab.


    Operationalisierbar muß hier gar nichts sein, wir sind ja keine flachen Positivisten! Dass ich mich sehr häufig täuschen kann und keine unfehlbaren Mittel habe, die Wahrheit vieler Aussagen zu erkennen, ist eine ganz andere Geschichte. Das betrifft Gewißheit und den Erwerb oder die Rechtfertigung von Wissen, aber nicht die Wahrheit.


    Zitat


    Beispiel: Die Ausage »Dies ist ein Tisch« bezogen auf eine ca. 120X80 cm große Glasplatte die auf vier etwa 70 cm hohen Holzbeinen ruht, ist nur dann »wahr«, wenn entweder


    a) vorausgesetzt wird, daß es eine singnifikantenunabhängige Entität einer »Tischheit« gäbe, die zudem quasiorganisch mit dem Begriff »Tisch« korrespondiert


    Das führt jetzt zwar zu weit, aber das stimmt so einfach nicht. Man muß keineswegs Universalienrealist oder gar "Essentialist" sein (was ist quasiorganisch?), um eine Korrespondenztheorie zu vertreten.
    Man kann Erznominalist sein, aber vertreten, dass "Der Tisch ist braun" wahr ist, genau dann wenn der Tisch braun ist.


    Zitat


    oder


    b) gegeben ist, daß die Mehrheit einer Kommunikationsgemeinschaft sich darauf geeinigt hat für ein solches Gebilde (120X80 cm große Glasplatte die auf vier etwa 70 cm hohen Holzbeinen ruht) den Begriff »Tisch« zu verwenden.


    Dass das keine erschöpfenden Alternativen sind, ist aber hoffentlich klar?!
    Die Entstehung von sprachlichen Bezeichnungen als "Mehrheitsmeinung" einer Kommunikationsgemeinschaft zu fassen, finde ich zwar etwas schräg (klingt so, als ob man regelmäßig darüber abstimmen würde, die Tische auch fortan Tische und nicht lieber doch Stühle zu nennen), aber das ist überhaupt kein tiefgreifendes Problem für eine Korrespondenztheorie. Natürlich kann ich normalerweise nicht aus der Sprache heraustreten, natürlich kann jemand, der aus einer Kultur ohne Tische und Computer stammt, vielleicht nicht entscheiden, ob es wahr ist, dass da ein Computer auf dem Tisch steht. Er würde eben sagen, dass dort ein Brett auf vier Stöcken befestigt ist. So what?
    Aber das ficht den Wahrheitsbegriff nicht an. Der Tisch selbst ist nichts sprachliches, er ist zwar ein Artefakt, damit etwas kulturell geprägtes, nichts vom Himmel gefallenes. Ein unbehauener Stein ist dagegen nichts kulturell geprägtes. Er war schon da, als es noch keine Sprache gab und wird vielleicht noch bestehen, wenn der letzte Sprachkundige verstorben ist. Er ist mir auch nicht nur sprachlich "gegeben", sondern ich kann draufhauen, mir das Knie daran stoßen, eine Tasse drauf stellen, in vielfacher Hinsicht mit ihm interagieren, selbst wenn ich gar keine Sprache sprechen würde. Dass ich, sobald ich über den Tisch rede, sobald ich Tatsachen beschreibe, Sprache verwenden muß, ist trivial.


    Zitat


    Fall a) suggeriert die Existenz einer vorsprachlichen und außerdiskursiven »Tatsache« bzw. eines »Dings«, an die/das zudem fest ein Begriff gekoppelt ist. »Wahrheit« würde hier tatsächlich in der Korrespondenz von Aussage und Tatsache bestehen.


    Fall b) suggeriert die diskursive Konstitution von Tatsachen und eine unauflösbare aber willkürliche Verschränkung von Begriff und Ding/Tatsache, Zeichen und Bezeichnetem (jaja, ich weiß, ist eine olle Kamelle aus der Trickkiste der strukturalen Linguistik). »Wahrheit« würde hier in Abhängigkeit von einem sprachlich verfassten gesellschaftlichen Wissen entstehen, in dem bestimmte Aussagen dann als wahr gelten, wenn sie mit diesem konventionalisierten gesellschaftlichen Wissen korrespondieren.


    Das Problem bei einer Aussage wie der im letzten Satz ist, dass sie zirkulär ist. Sie geht wiederum von einer "Korrespondenz" aus (nur nicht mit Tatsachen als etwas objektiv Bestehendem, sondern mit Tatsachen als "konventionalisiertem Wissen"), die ist also gar nicht abgeschafft. Sie geht von "Wissen" aus, wobei offen bleibt wie Wissen ohne Rekurs auf Wahrheit (wie in der klass. Definition) bestimmt werden soll.
    Sie entgeht also weder der Korrespondenz noch der Wahrheit, sondern verschleiert eher noch, dass sie beides bereits voraussetzt... :rolleyes:


    Aber zum Punkt. Mir scheint auch der von Dir vorgeschlagene "Wahrheitsbegriff" wenig mehr dafür zu taugen zu verstehen, was gemeint ist, wenn jemand von Wahrheit in der Kunst redet.


    Wenn in einem Konzertführer Berlioz vorgeworfen wird, "die Schönheit käme zugunsten der Wahrheit zu kurz", oder Mendelssohn "oberflächliche Schönheit zulasten der Wahrheit" o.ä. Klischees, meint der Autor doch irgendwas damit. Wenn die Redeweise nicht verbreitet wäre, gäbe es keine entsprechenden Klischees.
    Die von BBF angesprochene "Intensität des Empfindens" kann ich nachvollziehen, aber ich sehe nicht, warum man das "subjektive Wahrheit" nennen sollte.
    Wer Wahrheit im Kontext der Kunst verwendet, muß doch etwas meinen, was irgendeine intuitiv naheliegende Verbindung zum alltäglichen (nicht zu einem verfeinerten oder revisionären) Wahrheitsbegriff hat!
    Und was genau das sein soll, ist mir ziemlich unklar...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    ich wäre Dir für ein paar Literaturempfehlungen auf den Linien Deiner Ausführungen sehr dankbar - wenn möglich was nicht zu monumentales das man auch verstehen kann.


    Zur "subjektiven Wahrheit" gebe ich Dir Recht, man muss das sicher nicht so nennen. Ich tu's nicht wegen eines Bezugs nach außen, sondern weil die Kunst in ihrem aus rationalen und emotionalen, sinnlichen und abstrakten Elementen zusammengesetztem Erleben eine Gesamterfahrung ergibt, in der man sich in eine selbstreferentielle "Welt" verabschieden kann in der Signifikantenketten enden, und zwar im Gefühl.


    Das hat dann keinen Bezug zur Außenwelt, ist aber eine umfassende Erfahrung von Gewissheit - man könnte das vielleicht als den emotionalen Aspekt des Wahrheitskonzepts sehen und damit meinen Sprachgebrauch ein bisschen weniger obskur erscheinen lassen...


    Vielleicht sollten wir ja ein Allgemeines Klassikthema "A bisserl Kunstdiskurs" aufmachen?


    LG,
    Flo

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Lieber Johannes,
    naja, Du hast mich erwischt! In der Praxis ist alle Theorie grau. Wenn ich mir an einem »Tisch« oder einem »Stein« das Knie blutig stoße, ist es ziemlich irrelevant ob ich diesen oder jenen Wahrheitsbegriff zugrunde lege. Es tut einfach weh. Ziemlich positivistisch eigentlich :D .


    Aber dennoch ein, zwei kleine Bemerkungen: Zum einen habe ich an keiner Stelle die Evidenz einer Korrespondenz- bzw. Kohärenztheorie in Frage gestellt. Ganz im Gegenteil - das zeigt ja mein Beispiel b) sehr deutlich. Die Frage ist einfach nur: was korrespondiert womit?


    Die Frage danach was eine »Tatsache« ist, bzw. was überhaupt etwas zu einer »Tatsache« macht, sehe ich immer noch nicht so recht beantwortet. Dein Beispiel, daß die Aussage, »daß der Tisch braun ist« dann wahr ist, »wenn der Tisch braun ist« finde ich nicht so richtig überzeugend. Da ist ein ebenso wenig überzeugendes Beispiel dagegen zu setzen: Die Aussage »das T-Shirt ist rot« bezogen auf ein »rotes T-Shirt« ist nur so lange wahr, wie sie unter Personen getätigt wird, die nicht unter einer ausgeprägten Rot-Grünblindheit leiden. Hm, wie gesagt: in der Praxis ist alle Theorie grau, nichtmals rot-grün.


    Zweiter Punkt: konventionalisierte Begrifflichkeiten innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaft sind keineswegs das Ergebnis von Abstimmungen - das hat tatsächlich nichteinmal die strukturale Linguistik behauptet. So gesehen war meine Formulierung »daß die Mehrheit einer Kommunikationsgemeinschaft sich darauf geeinigt hat« wirklich nicht nur irreführend sondern schlicht blöd. Ich könnte das schöner wie folgt sagen: Wahr ist eine Aussage dann, wenn sie vor dem Hintergrund eines gültigen Wissens und gemäß den Regeln geformt ist, die innerhalb einer Kommunikationsgemeinschaften für die Formulierung wahrer Aussagen gelten. Nicht mehr und nicht weniger. Damit ist, da hast Du naklar recht, die Notwendig einer Korrespondenz nicht ausgehebelt. Wie gesagt: da korrespondiert die Aussage nur nicht mit einer außerdiskursiven »Tatsächlichkeit«, sondern mit einer diskursiv konstituierten und sanktionierten »Tatsache«. Sie korrespondiert zwar mit etwas, das Außerhalb der einzelnen Aussage (oder wie Du schreibst »des Satzes«) selbst liegt - nicht aber außerhalb des Diskurses.


    Dann fragst Du zurecht, wie »Wissen« denn nun zustande kommt, wenn ein Rekurs auf Wahrheit ausgeklammert bleibt. Dem ist ja (s.o.) gar nicht so (und das habe ich nicht behauptet). Ich zitiere mal jemanden herbei: Michael Titzman definiert kulturelles Wissen als die »Gesamtmenge der Propositionen, die die Mitglieder der Kultur für wahr halten bzw. die eine hinreichende Anzahl von Texten der Kultur als wahr setzt.« (Titzmann, Michael: Kulturelles Wissen–Diskurs–Denksystem, in: Zeitschrift für französische Sprache und Literatur 99, 1, 1989, S. 47-61, hier S. 48 ). Wie Du siehst: Wahrheit kommt das schon vor - die ist aber eben nicht Resultat einer Korrespondenz von Aussage und einer »Tatsächlichkeit« von »Tatsachen« sondern der Kohärenz einer Aussage zu einem Aussagesystem... In diesem Kontext erscheint mir dann übrigens die Feststellung, daß unser Zugang zur Wirklichkeit immer schon sprachlich vermittelt ist, gar nicht mehr besonders trivial...


    Übrigens: unser kleiner OT-Disput ist ja ein hübsches Beispiel dafür, daß es mit der »Wahrheit« tatsächlich schlecht bestellt ist... ;)




    Hier bin voll und ganz Deiner Meinung! Ich bin ohnehin nicht so sicher, was man mit der »Wahrheit« in der Kunst/der Musik/der Literatur anstellen will. Daher ja auch meine trivialpositivistsich anmutende Feststellung, daß ich den Begriff der Wahrheit für eine »im Kontext der Diskussion über Kunst wenig operationalisierbare Kategorie« halte. Aus welchem »Wissenskontext« zumindest das von Dir angeführten Beispiel über Mendelssohn kommt, pfeifen ja die Spatzen von den Dächern...


    Ich kann jedenfalls keine Antwort darauf finden, was die »Wahrheit« in einem Kunstwerk ist, zu suchen hätte oder verloren hat...


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von Barockbassflo
    ich wäre Dir für ein paar Literaturempfehlungen auf den Linien Deiner Ausführungen sehr dankbar - wenn möglich was nicht zu monumentales das man auch verstehen kann.


    Viel kann ich aus dem Stand nicht sagen. Ich finde das Thema gar nicht so interessant, nur frappierend, wie selbstverständlich in gewissen Kreisen Objektivität und Wahrheit für obsolet erklärt werden ;)
    Man kommt ohne einfach schlecht aus, auch wenn man versucht, es sich mit aufwendigem Jargon selbst einzureden... Hier gilt m.E. sinngemäß, was der große Skeptiker Hume selbst über den Skeptizismus (der allerdings wohlgemerkt nicht Objektivität anzweifelt, sondern Gewißheit der Erkenntnis) gesagt hat, dass man so zwar im Gelehrtenstübchen denken mag, aber diese Haltung im Alltag gleich wieder ablegen und dort wie gehabt handeln muß.


    Zu Wahrheitstheorien (die finde ich selber eher trocken und langweilig) findet man sicher Tarskis klassische Sachen irgendwo so referiert, dass man nicht höhere formale Logik können muß.


    Einführend
    Kapitel 12 (evtl. auf eins vorher und nachher, sind nur wenige Seiten) in Russells Probleme der Philosophie (The problems of philosophy)
    (Das Büchlein ist, da populär, oft sehr knapp und teilweise etwas stark logisch-positivistisch, aber außerordentlich klar geschrieben und häufig immer noch sehr scharfsinnig)


    Kapitel 14 in A. Musgrave (ein Popper-Schüler): Alltagswissen, Wissenschaft und Skeptizismus, Tübingen 1993


    Eher allgemein, aber sehr lesenswert gegen modischen Relativismus:


    R. Dworkin: Objectivity and Truth: You'd Better Believe It, ursprgl. in: Philosophy and Public Affairs 25 (1996):87-139, ich hatte mal eine Textversion, finde jetzt aber nur die hier


    Th. Nagel. Das letzte Wort Reclam, Stuttgart 1999.
    Nagel lohnt sich überhaupt sehr (The view from nowhere/Der Blick von Nirgendwo), normalerweise auch gut zu lesen, wenig oder kein Jargon.


    Zitat


    Zur "subjektiven Wahrheit" gebe ich Dir Recht, man muss das sicher nicht so nennen. Ich tu's nicht wegen eines Bezugs nach außen, sondern weil die Kunst in ihrem aus rationalen und emotionalen, sinnlichen und abstrakten Elementen zusammengesetztem Erleben eine Gesamterfahrung ergibt, in der man sich in eine selbstreferentielle "Welt" verabschieden kann in der Signifikantenketten enden, und zwar im Gefühl.


    Das hat dann keinen Bezug zur Außenwelt, ist aber eine umfassende Erfahrung von Gewissheit - man könnte das vielleicht als den emotionalen Aspekt des Wahrheitskonzepts sehen und damit meinen Sprachgebrauch ein bisschen weniger obskur erscheinen lassen...


    Der Witz ist ja gerade, dass die Redeweise von "Wahrheit" in der Kunst sehr verbreitet ist, trotz der Obskurität. Aber wenn man von den beiden dem alltäglichen Gebrauch naheliegendsten Verwendungen, nämlich der Korrespondenz oder der Nähe zu einem Ideal ("wahre Freundschaft") ausgeht, bleibt mir schleierhaft, wie der Zusammenhang aussehen soll, oder was sonst noch mit "Wahrheit" gemeint ist. Insbesondere muß es doch Falschheit oder Unwahrheit geben, sonst ist der Begriff kaum sinnvoll. Was ist dann in der Kunst der Mangel an Wahrheit?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)





  • Hallo Forianer,


    eines vornweg: Mir ist schon klar, dass ich eingefleischte Harnoncourt-Fans nicht umstimmen kann...


    aber...


    leider setzt Harnoncourt seinen von der Salzburger "Figaro"- Einstudierung her bekannten Musizierstil fort: sehr gewöhnungsbedürftige Tempi und es wird hier und da sehr unauber musiziert: gleich beim Eingangschor wird dies schon hörbar: die Pauken sehr verschiedenartig pointiert, das Zusammenspiel der einzelnen Instrumentengruppen geraten dem Maestro aus den Zügeln...


    Das Plus dieser Aufnahme ist das Gesangsensemble, wobei der Bassist das Niveau der übrigen Sänger leider nicht halten kann.


    Insgesamt hält jedoch diese Neuaufnahme (aus meiner Sicht) einem Vergleich mit Harnoncourts erster Aufnahme (leider) nicht stand: insgesamt kommt die Aufnahme recht bieder herüber; das frische-vorwärtsdrängende Musizieren bleibt auf der Strecke.


    Wer ein wirklich gelungenes Weihnachtsoratorium hören möchte, greife zu einer dieser Aufnahmen:





    selbst diese neue Aufnahme hat bei mir einen besseren Eindruck hinterlassen:





    Für Freunde dieses Weihnachtsoratorium nicht unbedingt HIP hören möchte, der kommt an dieser Aufnahme nicht vorbei:







    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • also die Hörschnippsel bei JPC haben mich überzeugt. Der Einganschor scheint schneller zu sein als in NHs alter Einspielung und auch sonst gefielen mir alle Testschnippsel. (insbesondere Bernarda Fink :jubel: )


    Jacobs sagt mir gar nicht mal so zu. Die besonders schmissigen Chöre und Arien sind mir gelegentlich bei ihm zu knallig und besonders subtil ist sein Evangelist nicht. Man vergleiche die theatralische Stelle, in der Herodes heuchlerisch verlangt, dass man ihm sage, wo das Kind sei, auf dass auch er es anbete. Bei Jacons recht neutral gesungen vom Evangelisten und Herodes, bei NH (alte Aufnahme) meiner Meinung nach am besten interpretiert: Herodes muß fast selber über seine verlogene Heuchlerei lachen. Naja, nur ein Beispiel. Will ja schliesslich nicht zu viel Weihnachtoratorium hören, wo die Adventszeit noch nicht mal begonen hat.


    :hello:

  • Guten Abend


    Zitat

    Original von ThomasBernhard
    also die Hörschnippsel bei JPC haben mich überzeugt. Der Einganschor scheint schneller zu sein als in NHs alter Einspielung und auch sonst gefielen mir alle Testschnippsel. (insbesondere Bernarda Fink :jubel: )


    :hello:


    Genau, bei seiner Einspielung von 1973 genau 8,29", in seiner neuen Einspielung dauert das "Jauchzen + frohlocken" nur 7,58" .
    Besitze die alte wie die neue Einspielung, hab aber die "Neue" nur mal kurz durchgehört. Wollte hören, an welchen Stellen Herbert Tachezi das im Booklet genannte harpsichord spielt, konnte es aber beim oberflächlichen Hören nicht ausmachen :D


    Gruß aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Nikolaus Harnoncourt - kaum ein (lebender) Dirigent scheidet die Geister so sehr wie er.
    Ich persönlich mag v.a. seine alten Einspielungen (Bach-Kantaten, h-Moll-Messe, Weihnachts-Oratorium, Magnificat et al.). Seine Stärken sehe ich auch in erster Linie bei Bach und anderen Barock-Komponisten. Aber auch seinen Don Giovanni von 1988 (?) fand ich ansprechend.
    Dagegen sagen mir seine neueren Einspielungen weniger zu. Das liegt u.a. daran, daß er von seinem Festhalten am Knabenchor bei Bach seit den 80ern abwich. Die neuere Einspielung der h-Moll-Messe von 1986 etwa kann der 1968er-Aufnahme m.E. nicht den Rang ablaufen. Beim brandneuen Weihnachts-Oratorium vermute ich dasselbe. Der Versuch, das gesamte Repertoire im Alter mit z.T. fragwürdigem Erfolg noch einmal aufzunehmen, kommt mir jedenfalls durch einen anderen österr. Dirigenten höchst bekannt vor. :D
    Von diesem Skandal-Figaro von 2006 kenne ich einige Ausschnitte - fand ich summa summarum nicht mal so schlecht, wenngleich die Tempi natürlich sehr kurios gewählt sind.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Felipe II.


    ... Der Versuch, das gesamte Repertoire im Alter mit z.T. fragwürdigem Erfolg noch einmal aufzunehmen, kommt mir jedenfalls durch einen anderen österr. Dirigenten höchst bekannt vor. :D
    ...


    Ist auch ein schöner alter österreichischer Volksbrauch! :D

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Ist auch ein schöner alter österreichischer Volksbrauch! :D


    Dagegen ist prinzipiell auch nichts einzuwenden. Wie viele tolle Aufnahmen der Herren v. K. und Böhm wären uns sonst entgangen. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Ist aber auch in den USA populär gewesen... :hahahaha:


    :hello:


    Wobei ein sehr bekannter Amerikaner diesen Brauch vor allem in Wien praktizierte, womit sich der Kreis wieder schließt. Allerdings soll der alte Herr behauptet haben, dass man den Brauch vor ihm in Österreich gar nicht richtig gekannt habe... ;) :D


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Harnoncourt dirigiert Bergs «Lulu» doch nicht


    Vor einiger Zeit gross angekündigt, ist ein Projekt der Salzburger Festspiele 2010 bereits beerdigt: Harnoncourt wird Alban Bergs «Lulu» nicht dirigieren. Dafür bringt Ingo Metzmacher Rihms Oper «Dionysos» zur Uraufführung.


    Ganz ausfallen soll die "Lulu" wohl nicht. In der Felsenreitschule wird Marc Albrecht die musikalische Leitung übernehmen.
    Regie: Vera Nemirova
    Interpreten: Patricia Petibon, Cora Burggraaf,
    Pavol Breslik, Michael Volle, Michael Schade,
    Franz Grundheber, Thomas J. Mayer,
    Heinz Zednik


    Wiener Philharmoniker


    LG


    :pfeif:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • ...da sollte man der Vollständigkeit halber dann auch hinzufügen, dass Harnoncourt das Projekt mit Alban Bergs "Lulu" krankheitsbedingt absagen musste ( er hatte eine Operation...)


    Vielleicht wäre es an dieser Stelle angebrachter, dem bald 80-jährigen Manne gute Besserung und weiterhin Gesundheit und Energie zu wünschen.
    Er benutzt ja das Internet nicht und wird deshalb wohl kaum bei Tamino mitlesen, aber ich hielte das trotzdem für einigermassen anständig.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Selbstverständlich wünsche ich Herrn Harnoncourt ein langes Leben und baldige Genesung.


    Abgesehen von sonstigen Aspekten hat er ja - egal wie man zu ihm stehen mag - einiges bewegt. Er hat auch eine breite Anhängerschar und - viel Feind viel Ehr - auch zahlreiche Gegner.


    Erfolgreiche Dirigenten waren und sind stets umstritten - das ist der Preis des Ruhms. Und was ich schon bei Glenn Gould sagte gilt auch hier:
    Solche Leute braucht die Klassikszene - egal ob man mit ihrem Interpretationsansatz einverstanden ist oder nicht.


    Seine Pionierleistug in Sachen Alter Musik allein macht ihn schon zu einer Ikone der Interpretationsgeschichte klassische Musik.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zum Thema Ulli über NH aus diesem Thread antworte ich aus Gründen der Übersichtlichkeit hier:


    Zitat


    Original von Ulli
    Es traut sich eben (offenbar) nur kaum jemand, etwas gegen einen so berühmten Mann zu sagen - ich schon.


    Ich bin ob der erstaunlichen Courage beeindruckt.
    Immerhin hast Du unabsichtlich zugegeben, dass er berühmt ist.
    Wahrscheinlich nur, weil es ganz viele solche unverständigen, von Musik keine Ahnung habenden Hörer wie mich gibt, die Vieles von dem, was er gemacht hat, gut und vorbildlich finden.



    Zitat

    Und wie toll und beliebt dein 'Meister' ist, zeigt sich ja an dem rühmlichen Thread zum 80. Geburtstag


    Angesichts Deiner vielen Beiträge vermute ich, dass die viele Zeit, die Du mit Tamino verbringst, Dir schon einen Tunnelblick eingebracht hat.
    Nur so kann ich mir erklären, dass Du tatsächlich annimmst, dass man an der Beteiligung an einem einzigen Tamino-Thread, den ich anlässlich des immerhin 80. Geburtstages eröffnete, messen könne, wie wenig "toll" und "beliebt" "mein Meister" sei.
    Es gibt draussen noch eine reale Welt, ausserhalb von Tamino.
    Die hat- wie im Thread beschrieben- sich sehr eingehend mit diesem Datum aus sehr gutem Grund befasst, was eine einfache Google-Abfrage schon deutlich macht.
    Und auch bei Tamino landet Harnoncourt bei diesen Gesellschaftsspiel-Fragen nach dem Lieblingsdirigenten immer ziemlich weit oben - wenn Du Tamino-Threads schon eine repräsentativen Charakter zuschreibst. Ich denke nicht, dass wir hier den Anspruch erheben können, in irgendeiner Form repräsentativ zu sein.


    Und erspare mir solche giftig-ironischen Untergriffe wie "Dein Meister", ja?



    Zitat

    ..ich würde Richter nehmen. Bezüglich Werktreue ist Richter einige große Schritte näher am Werk als Harnoncourt, der nichteinmal Originalinstrumente verwendet


    ...so weit kann man kommen, wenn man sich in seiner NH-Antipathie total verannt hat.
    Es gibt sogar noch Pre-Figaro-Zeiten, da hat ein gewisser Ulli noch positive erwähnend Plattencover von NH gepostet. Ob ihm das jetzt peinlich ist?


    Und Richter spielte werktreuer als Harnoncourt? In welcher Hinsicht denn?
    An welcher Stelle? Bei welchem BWV? Spricht hier etwa der Bachkenner?
    Egal, ich verweigere mich, gar noch im Detail auf so einen kompletten Quatsch einzugehen. Die Motivation, die hinter solchen Aussagen steht, ist ja nur allzu deutlich.
    Diese Art von freier Meinungsäusserung ist zwar ihrem Inhalt und Wesen nach völlig legitim und vom GG abgedeckt, aber ansonsten bar jeder Vernunft. :rolleyes:


    Zum neuen Weihnachtsoratorium und auch der neuen Messiah-Einspielung fragt LT, warum man solche Aufnahmen hochloben soll:


    Ich gehöre nicht zu denen, die das tun, und ich sage auch nicht, dass man das sollte, siehe der Thread zum WO.
    Das Hauptproblem bei diesen Aufnahmen ist m.E. eine fehlende Perfektion, die auf zu wenige Proben und das eilige Mitschneiden von Live-Aufführungen zurückzuführen ist. Kostendruck? Zeitdruck?Hat man sich zu sehr auf die Routine verlassen? Keine Lust mehr zu Studioaufnahmen seitens des Interpreten?
    Ich weiss es nicht und finde es schade - hätte mir von diesen Aufnahmen auch mehr erwartet.
    Das mf beginnende Hallelujah ist aber m.E. kein Patzer, sondern aufgrund einer kritischen Überlegung entstanden. Warum muss denn das Halleluja immer von Anfang an hineindonnern? Tradition?
    Wenn Harnoncourt es ganz im Sinne von Draugur es aus seiner künstlerirschen Sicht so gesehen und empfunden hat, wieso darf er das dann nicht so machen?
    Hat man denn ein derart festgefahrenes Weltbild, dass ein mf-Anfang des Hallelujahs gleich Empörung verursachen muss?



    Zitat


    Original von Liebestraum
    Und dann die "Matthäus-Passion"..., da hatte bereits sein alter Weggefährte Leonhardt mit seiner Aufnahme ein viel glücklicheres Händchen: denn seine Aufnahme zähle ich noch heute zu den besten auf dem Markt, aber auf keinem Fall Harnoncourt - weder die alte und schon gar nicht die neue.


    Diese subjektive Meinung sei Dir gerne zugestanden.
    Ich kenne beide Aufnahmen und teile diese (unbegründete) Auffassung jedoch nicht.
    Gerade die neue (Studio)Aufnahme gehört m.E. immer noch in die Spitzengruppe.
    Sie ist nicht in einer Linie mit den weiter oben genannten Live-Aufnahmen des WO und des Messiah zu sehen - ganz und gar nicht.
    Da wir hier keine weiteren stichhaltigen Begründungen lesen, begründete ich mein Statement an dieser Stelle auch nicht weiter- es gibt ja auch den Thread zur MP.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Es traut sich eben (offenbar) nur kaum jemand, etwas gegen einen so berühmten Mann zu sagen - ich schon.


    Es ist IMO keine Kunst sich so etwas zu getrauen - und es spricht auch nicht dagegeb.
    Die Frage ist nur: Wo und Wann.
    Sicher nicht anlässlich eines Geburtstags, da gratuliere oder schweige ich.


    Zitat

    Und wie toll und beliebt dein 'Meister' ist, zeigt sich ja an dem rühmlichen Thread zum 80. Geburtstag


    Geburtstagsthreads - meist gut gemeint - sind selten gut frequentiert.
    Man stichelt lieber als man gratuliert.


    Daher ist DIESER Thread in dem wir uns grade befinden ungleich erfolgreicher, er zeigt, daß Harnoncourt immer eine Diskussion wert ist, und an Publikumsinteresse Karajan kaum nachsteht.


    Der erste Karajanthread - er wollte und woltte nicht ins Laufen kommen hat seit seinem Start bis heute stolze 73.200 Seitenaufrufe geschaft.
    Dieser Harnoncourt Thrad startete 26 Monate später, also mehr als 2 Jahre Unterschie, und liegt nun immerhein bei 49.554 Seitenaufrufen.
    Das sagt wenig über die "Beliebtheit" Harnoncourts aus, sondern lediglich, daß er eine interessante Interpretenpersönlichkeit ist....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Es ist IMO keine Kunst sich so etwas zu getrauen - und es spricht auch nicht dagegeb.
    Die Frage ist nur: Wo und Wann.
    Sicher nicht anlässlich eines Geburtstags, da gratuliere oder schweige ich.


    eben, ein deutliches Statement der Forianer.



    Zitat

    Ich bin ob der erstaunlichen Courage beeindruckt.
    Immerhin hast Du unabsichtlich zugegeben, dass er berühmt ist.


    ich denke es muss erlaubt sein, zu sagen, wenn einem was nicht schmeckt.


    Und zum Berühmtsein gehört nicht viel - wenn es danach ginge, dann ist in Deutschland jemand ganz anderes die große Ikone....über Qualität sagt die Medienpräsenz gar nichts aus - in der Kunst schon mal drei mal nicht.



    Zitat

    ( mit Nebenkampfplatz" Harnoncourt pro und vor allem contra" - gegen den sind sie fast alle, HIP-Freunde und Gegner, ich find`s grausig!)


    Tja aber mit so was muss man sich abfinden, wenn die Interpretationen mehrheitlich nicht gefallen - ist das für gewöhnlich das Resultat.
    Sicher jeder hat mal einen guten Tag.
    Aber ich für meinen Teil kann mit dem Interpretationsansatz von Harnoncourt nichts anfangen, ebenso kann ich auf Aufnahmen von Clemencic verzichten oder Nicol Matt.



    Zitat

    original von Glockenton
    Harnoncourt ist deshalb DIE HIP-Ikone überhaupt, weil er in seiner Arbeit und in seinen Aufführungen Forscherdrang und Pioniergeist mit brennender Musikalität, interpretatorische Genialität und Feuer wie kein anderer verbunden hat.
    ALLES staubtrocken und buchstabiert?


    UNSINN - nur die ganz frühen Aufnahmen aus den 50ern klingen noch vorsichtig tastend. Hogwood z.B. bietet gegenüber Harnoncourt soliden Standard. Mittreissend ist das allerdings nicht.


    gut dann ist mein ästhetisches Empfinden eben Unsinn, so etwas würde ich mir persönlich nicht herausnehmen von anderen zu sagen nur weil es meinem Weltbild widerspricht.


    Die frühen Aufnahmen von Harnoncourt sind ein Krampf ohne Gleichen, die Aufnahme "Musik am Wiener Hof" für die Serie "Musik in alten Städten und Residenzen, ist der Tiefpunkt der gesamten Collection - vollkommen unerträglich.
    Das ist ein gequietsche und gejaule – so was hab ich noch nie erlebt.


    Seine LP "Musik am Hofe von Versailles" - da hat er das Ballett de Xerxes von Lully aufgenommen - das kann man nicht mal als Interpretation bezeichnen, das ist eine Hinrichtung. Ich tat mich schwer die einzelnen Sätze überhaupt noch zu erkennen.
    Das ist ein Ballet verdammt – da konnte man nicht mal mehr die Tänze erkennen.


    Harnoncourt hatte überhaupt kein Gefühl für frz. Musik, kein Stück.



    Zitat

    Ach ja, wenn es um Elegance und französische Barockmusik geht: So schwingend wie Harnoncourt spielt keiner die Gavottes und so hebend ( der Ausdruck kommt von Quantz) und wirklich elegant wie er und der Concentus spielt m.E. niemand ein Menuet. Da vergleiche man nur die Menuets der Orchestersuiten Bachs ( zweite Aufnahme 80er-Jahre) mit irgendwelchen anderen HIP-Aufnahmen, z.B. Goebel.


    Tja das Problem ist nur, das französische Musik nicht nur aus ein paar Gavottes und Menuettes besteht.
    Die Aufnahme von Castor und Pollux ist unter aller Kanone - da war selbst Leppard mit seinem Dardanus besser - überhaupt war Leppart mit seinen Interpretationen - oder Paillard viel näher an der Musik, als Harnoncourt.
    Die verstanden worauf es bei der Gestaltung der Musik ankam, ihre Aufnahmen können sogar noch nach fast 40 Jahren immer noch neben modernen Aufnahmen bestehen – ganz einfach weil sie geschmackvoll und voller Esprit sind.


    Bevor man sich da Interpretationen von Harnoncourt besorgt hätte, wäre man mit konventionellen Aufnahmen aus Frankreich besser bedient gewesen – die Aufnahmen von Desormiere aus den 30er und 40er zeigen das ganz deutlich – hier wurde mit Sachverstand, Liebe zur Musik und Geschmack gespielt, wäre die Tonqualität der damaligen Zeit nicht so grausam, so hätten diese Aufnahmen auch Heute noch einen Platz.


    Und egal was du gegen Hogwood sagts, seine Aufnahmen frz. Musik bzw. frz. gearteter Musik (Rebel & Destouches / Muffat) sind eindeutig besser gelungen – mag sein das Hogwood damit nur Standard erreicht hat – aber zumindest hat er ihn erreicht.


    Ich finde die Aufnahmen in Bezug aufs Aufnahmedatum allerdings phänomenal - ohne dabei ein glühender Anhänger von Hogwood zu sein.
    Aber von Hogwood hätte Harnoncourt lernen können was "Eleganz" bedeutet.



    Und ich schließe mich an - die Bach Aufnahmen von Karl Richter wären mir auch wesentlich lieber. Allein schon die Brandenburgischen Konzerte.




    Das Problem ist, das Du Harnoncourt als Gott verehrst, warum auch immer.
    Etwas gegen ihn zu sagen, so begründet es auch sein mag, und wenn es nur der eigene Geschmack ist, hat hier kein Gewicht - es ist einfach Blasphemie und wird nicht gelten gelassen.
    Ich verstehe persönlich nicht, wie man so zum fanatischen Anhänger werden kann und alles goutiert.
    Ich denke das ist auch der Grund warum Du hier so Gegenwind bekommst, Dein Fanatismus ist kontrapoduktiv.
    Aber jeder Künstler greift nun mal daneben - und nicht jeder mag den speziellen Ansatz von XY.
    Ich bevorzuge Rene Jacobs, William Christie und Jordi Savall – aber auch sie haben ab und zu mal eine miese Aufnahme vorgelegt die mir nicht zusagt – na und ? So ist das Leben, es sind eben Menschen.
    Dann such ich mir halt eine Aufnahme des Werkes von jemand anderen – was soll’s.


    Du wirfst den Kritikern pauschale Aussagen vor (von Dir kommt übrigens nichts anderes) wenn es dann konkretisiert wird, dann verstehst du die Kritik nicht und widerlegst auf Biegen und Brechen.
    Das hat was von Inquisitionstribunal – und ich für meinen Teil muss mir so was nicht geben.
    Huldige Deinem Gott, opfere ihm – aber bei mir fliegt der Kram aus meiner Sammlung.
    Und wenn Du das nicht ertragen kannst, dass es Menschen mit anderem Geschmack gibt, dann tut es mir leid.


    Seltsamerweise ist die Ablehnung der Interpretationen von Harnoncourt aber doch recht verbreitet, das rechtfertigt nichts, zeigt aber einen eindeutigen Trend.


    Als Theoretiker sind seine Verdienste unbestritten, aber dabei hätte er es belassen sollen.

  • Zitat

    Original von Glockenton
    Ich bin ob der erstaunlichen Courage beeindruckt.
    Immerhin hast Du unabsichtlich zugegeben, dass er berühmt ist.


    Ich wähle meine Worte schon sehr behutsam aus - da ist nichts unabsichtlich geschehen. Daß Harnoncourt berühmt ist, zeichnet ihn ja nicht zwingend aus. 'Berühmt' hat ja heute nicht mehr die Bedeutung von 'mit Ruhm überhäuft', sondern heißt nichts anderes als 'sehr bekannt'...



    Zitat


    Und erspare mir solche giftig-ironischen Untergriffe wie "Dein Meister", ja?


    Wenn Du Dich jetzt schon selbst schämst, daß jemand Harnoncourt als Deinen Meister bezeichnet - das sagt allerdings viel aus.



    Zitat

    Es gibt sogar noch Pre-Figaro-Zeiten, da hat ein gewisser Ulli noch positive erwähnend Plattencover von NH gepostet. Ob ihm das jetzt peinlich ist?


    Ich streite nicht ab, daß es die ein oder andere ganz gut gelungene Aufnahme (in meinen Ohren) gibt. Und: Ja! Es ist mir mittlerweile OBERpeinlich, das je geschrieben zu haben. Andererseits: Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.


    Zitat

    Das Hauptproblem bei diesen Aufnahmen ist m.E. eine fehlende Perfektion, die auf zu wenige Proben und das eilige Mitschneiden von Live-Aufführungen zurückzuführen ist. Kostendruck? Zeitdruck?Hat man sich zu sehr auf die Routine verlassen? Keine Lust mehr zu Studioaufnahmen seitens des Interpreten?


    Ausreden. Jeder Interpret, der seine Arbeit selbst nicht für gelungen hielte, würde keine Freigabe für solch einen Schund geben - denn es schadet ihm ja. Entweder war er also taub oder geldgeil - oder beides.


    Zitat

    Original von der Lullist
    Das Problem ist, das Du Harnoncourt als Gott verehrst, warum auch immer.
    Etwas gegen ihn zu sagen, so begründet es auch sein mag, und wenn es nur der eigene Geschmack ist, hat hier kein Gewicht - es ist einfach Blasphemie und wird nicht gelten gelassen.
    Ich verstehe persönlich nicht, wie man so zum fanatischen Anhänger werden kann und alles goutiert.
    Ich denke das ist auch der Grund warum Du hier so Gegenwind bekommst, Dein Fanatismus ist kontrapoduktiv.


    So ähnlich sehe ich das auch. Die Beiträge von Glockenton wirken beinahe schon wie eine Karrikatur seiner selbst, man kann es auch übertreiben (das tue ich natürlich auch, aber ich verhalte mich dabei nicht so von mir selbst überzeugt). Bei beinahe jeder Einspielung lautet Glockentons Antwort sinngemäß so: 'Ja, das ist die beste Aufnahme hier, aber NH hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen kann es noch tausendmal besser...' - das ist lächerlich und ein Märchen zudem. Man kann ja seine Interpretationen mögen, dagegen spricht nichts, außer vielleicht einem schlechten Geschmack - aber auch gegen den spricht wiederum eigentlich nichts. Ich bewundere für meinen Teil Arthur Schoonderwoerd und Arnold Östman, aber erkenne auch, daß bei diesen Künstlern nicht alles Gold ist, was glänzt. Genauso mag ich Curtis' Händeleinspielungen, die manchen zu langweilig erscheinen. Aber da wird wenigstens ernsthaft und mit Liebe zur Musik gehandelt und nicht auf Biegen und Brechen alles anders gemacht (wobei ich durchaus für Veränderung bin, aber im positiven Sinne).


    Im Übrigen schließe ich mich Matthias sehr detaillierten und stichfesten Äußerungen an. Ich bin heilfroh, daß NH nicht allzusehr in 'meinem' Repertoire herumpfuscht und daß es mehr als ausreichend Alternativen zu NH gibt.


    Zitat

    Original von Alfred
    Geburtstagsthreads - meist gut gemeint - sind selten gut frequentiert.
    Man stichelt lieber als man gratuliert.


    Daher ist DIESER Thread in dem wir uns grade befinden ungleich erfolgreicher, er zeigt, daß Harnoncourt immer eine Diskussion wert ist, und an Publikumsinteresse Karajan kaum nachsteht.


    Naja, ich definiere 'wert' anders - ich schreibe hier nicht, weil es mit wert erscheint, über NH zu diskutieren, sorry, aber für mich ist diese Person samt ihren 'musikalischen Ergebnissen' absolut wertlos. Im Übrigen verzeichnet der Thread zu Heribert von Karajans 100. Geburtstag knappe 250 Einträge und über 30.000 Aufrufe (Hits). Das würde ich nicht als 'selten gut frequentiert' bezeichnen (allein der Thread zum 20. Todestag bzw. -jahr Karajan hat 10 Einträge und mehr als 1.000 Hits - das steht ja bei NH noch an).


    Daß man natürlich bei einer weniger berühmten (oder bekannten) Person - z.B. Henry Dimpfelmoser - weniger gute Ergebnisse erzielt, dürfte klar sein. Sie verfolgen ja auch einen ganz anderen Zweck: Nämlich die wenig(er) bekannten, aber vielleicht gar nicht so schlechten, Künstler mal anlassbedingt ans Tageslicht zu befördern. Der Geburtstagsthread des Grafen Lafontaine zeigt aber doch deutlich, wo der Hase langläuft (3 Postings, 500 Hits) - erbärmlich für eine so berühmte Person. Wenn man Alfreds Verschleierungstaktik und Statistikfälschung z.B. mal ausblendet ist es ganz offensichtlich: entweder irrte ich mich mit meiner Behauptung, Harnoncourt sei berühmt oder Alfred irrt sich, wenn er meint, daß Harnoncourt [...] an Publikumsinteresse Karajan kaum nachsteht.


    Man sollte also nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Bei Karajan selbst sind die Threads zu sehr in einzelene solche zerpflückt, als daß man einen direkten Vergleich mit diesem hier angehen könnte.


    Irgendwas stimmt da nicht im Staate Dänemark... was das ist, kann jeder für sich selbst entscheiden.


    :hello:

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner