Liebe Taminos,
Im Thread über die Lieblingsopern wollte Micha Näheres über Erkels "Hunyadi László" wissen, was gar nicht so leicht zu bewerkstelligen ist. Ich versuche einmal, den Anfang zu machen, und hoffe auf die spärlichen, aber doch existenten Liebhaber und Kenner ungarischer Stimmen und Werke, die dem Forum angehören.
Ferenc Erkel, geboren 1810 in Gyula, gestorben 1893 in Budapest, ist außerhalb seines Landes nur wenig bekannt, zählt in Ungarn aber zu den populärsten Opernkomponisten und gilt als Begründer der ungarischen Nationaloper. Aufgeführt werden aber nur mehr "Hunyadi László" und "Bánk bán". Den Ohrwurm aus der zweitgenannten, 1861 erstmals aufgeführten Oper, das berühmte "Hazám, hazám" kennt aber der Magyar sozusagen seit der Wiege.
Erkel kam in den 1830er Jahren nach (Buda-)Pest und wurde der erste musikalische Leiter der dortigen Oper, gründete 1853 die Philharmonische Gesellschaft und war 1875-86 Direktor der Musikakademie. Ebenso bekannt wie durch seine Bühnenwerke ist er als Komponist des "Himnusz", der für Ungarn eine ähnliche identifikatorische Funktion besitzt wie die Marseillaise für Frankreich.
László (= Ladislaus) Hunyadi (1433-1457) war der älteste Sohn des Reichsverwesers und Heerführers János Hunyadi und stieg schon in jungen Jahren zu hohen Würden auf. Nach dem Tod seines Vaters war László jedoch massiven Beschuldigungen seines Erzfeinds, des Grafen Ulrich II. von Cilli, ausgesetzt, der für den minderjährigen König László V. (bei uns besser als Ladislaus Postumus bekannt) die Herrschaft ausübte. Die Feindschaft rührte vor allem daher, daß die Hunyadis sich mit der Hauptlast bei der Abwehr der Türken abmühen mußten, während Ulrich sich abwartend verhielt. Bei Verhandlungen in Nándorfehérvár (= Belgrad) kam es bei Verhandlungen zu einer offenbar von Ulrich initiierten Auseinandersetzung, bei der dieser von László Hunyadis Gefolgsleuten getötet wurde. Der junge, in die Vorgänge eingeweihte König pardonierte László aber ausdrücklich und ernannte ihn als Zeichen seiner Gnade zum Generalkapitän. László Hunyadi begleitete daraufhin gutgläubig den König nach Pest, wo aber von Gnade plötzlich keine Rede mehr war. Hunyadi wurde rechtswidrig gefangengenommen, verurteilt und dem Henkersbeil überantwortet. Nach dem noch im selben Jahr erfolgten plötzlichen Tod des Königs, der vermutlich ermordet wurde, bestieg Lászlós jüngerer Bruder Mátyás Hunyadi (= Matthias Corvinus) den Königsthron und wurde - durch Legende verklärt - zum bedeutendsten und volkstümlichsten Herrscher Ungarns, dessen Verehrung selbst in den Zeiten des Kommunismus außer Frage stand.
László Hunyadi gilt als eine Art Märtyrer der ungarischen Nation. Nach der Revolution von 1848 und der Unterwerfung des Landes durch Kaiser Franz Joseph I. (die nur durch die Hilfestellung russischer Truppen ermöglicht wurde) zog man wohl auch Parallelen zum aktuellen Geschehen. In der Glorifizierung solcher Helden und Opfer übler Ränke, wie László Hunyadi einen verkörpert, symbolisierten die Ungarn das eigene Leiden.
Erkels 1841-43 entstandene, 1844 uraufgeführte, dreiaktige Oper verklärt in romantischer Weise das Schicksal des Titelhelden während der Belgrader Ereignisse bis zu seinem Tod, verknüpft es aber in unhistorischer Weise mit privaten Umständen. In der Oper tritt nämlich der König als Rivale Lászlós um die Gunst der schönen Garai Mária (Mária von Gara) auf, deren machthungriger Vater den loyalen und vertrauensseligen László in der schäbigsten und brutalsten Weise aus dem Weg räumt.
Das Libretto schrieb Béni Egressy nach einem Stück von Lörinc Tóth.
"Hunyadi László" gehört am ehesten in die Gattung der "Großen Oper" nach dem Vorbild Meyerbeers und anderer. Französische und italienische Einflüsse sind in der Komposition wirksam und verschmelzen mit ungarischen Elementen. Die Melodik gehört zu den attraktivsten Schöpfungen des 19.Jahrhunderts. Doch die spezifische inhaltliche Ausrichtung des Werks hat dazu geführt, daß es außerhalb Ungarns praktisch nicht zu hören ist.
1960 erschien bei Qualiton eine LP-Aufnahme mit József Simándy als László, Júlia Orosz als Mária und Gabriella Déry als Erzébet Szilágyi-Hunyadi. Dirigent war Vilmos Komor. Diese Aufnahme hat eigentlich den Maßstab gesetzt, ist heute aber, wie es scheint, nur mehr als Querschnitt erhältlich.
1977 entstand ein Film, den ich nicht kenne (möglicherweise verkürzt), der als DVD und heuer herauskommen sollte. Ich kann nur vermuten, daß er bereits erhältlich ist. Soviel ich weiß, singt da auch Simándy.
1984 brachte Hungaroton eine weitere Aufnahme mit János Kovács als Dirigenten, Dénes Gulyás als László, Magda Kalmar als Mária und Sylvia Sass als Erszébet heraus. Auch diese Version kenne ich nicht. Sie ist technisch vermutlich besser als die seinerzeitige, und Sylvia Sass müßte eigentlich diesen Kauf schon allein wert sein, aber bei aller Wertschätzung von Dénes Gulyás: Mit einem Simándy, der einer der bedeutendsten Tenöre des 20.Jahrhunderts war, kann er sich nicht vergleichen.
LG
Waldi