Ist "klassische Musik" elitär ?

  • Schliesst sich die Frage an: Macht das Internet den Zugang zur Klassischen Musik weniger elitär?
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hallo moderator,


    wenn Du Dich als Konsument klassischer Musik elitär fühlst (fühlen möchtest), bittesehr, das bleibt Dir immer unbenommen, ebenso allen Zeitgenossen/Innen, die Dir gleich fühlen - und das gilt auch für alle sich so fühlenden Interpreten/Innen.


    Nur: Klassische Musik als solche ist/kann nie elitär sein!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass


    In meinem Beitrag 481 in diesem thread habe ich die medialen Mittel beschrieben, die den Zugang zur "Klassischen Musik" erleichtern, und die sind nicht elitär, also nicht nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten vorbehalten. Sie dienen der Verbreitung eher als dass sie ausschliessen.
    "Klassische Musik" kann nicht elitär sein wie du richtig erwähnst.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Mit Amüsement habe ich die vorangegangenen Beiträge gelesen.


    Ich denke, dass der Begriff "elitär" vielleicht etwas unglücklich gewählt ist, weil sich damit zu viele (leider auch falsche) Assoziationen ergeben. Dies insbesondere, weil mit dem Begriff "Elite" ein gewisses Statusempfinden verbunden wird, das meines Erachtens in der Kunst keinen Platz haben sollte. Wie viele Zeitgenossen gibt es, die sich schon deswegen "elitär" fühlen, weil sie ab und an mal etwas Klassisches hören oder in die Oper gehen? Man denke nur an das Schaulaufen der "Prominenten" bei Festspielaufführungen und deren anschließende Kommentare zu den künstlerischen Leistungen.


    Es soll auch Leute geben, die sich beim Autofahren Mozarts Klavierkonzerte anhören und sich durch den gelegentlichen Verkehrsfunk im Radio oder den hupenden Hintermann nicht aus der Ruhe bringen lassen. Ob sich unter solchen Umständen Mozarts Gefühlswelt und seine Genialität offenbaren, wage ich dann doch stark zu bezweifeln. Vor allem in der klassischen Musik ist "hören" bekanntlich nicht gleich "verstehen" und nicht jeder der "hört" ist automatisch "elitär". Hier fällt mir stets ein Zitat meiner Mutter ein, die mir schon in jungen Jahren mit auf den Weg gab, dass "nicht jeder, der eine Dose Ravioli genussfertig zubereiten kann" sich gleich "zum Chefkoch" ausrufen sollte.




    Anders und viel weniger statuslastig wird die Diskussion, wenn wir den Begriff "elitär" durch sein Synonym "auserlesen" ersetzen. Dann dürfte sich, so denke ich ich, schnell eine Antwort finden...


    Für mich selber ist klassische Musik etwas Auserlesenes und hebt sich damit deutlich von der "modernen Musik" (gemeint "zeitgemäße Musik") ab. Vielleicht lässt sich solch "auserlesene" Musik auch daran erkennen, dass sie eben nicht wie oben beschrieben auf oberflächliche Art und Weise erlebt werden kann. Wer in die tiefe Gefühlswelt unser genialen Komponisten eintauchen möchte, braucht Zeit, Geduld und ein Mindestmaß an Bildung. Klassiche Musik muss man sich auch als Hörer erarbeiten, wenn man sie verstehen möchte. Das ist wohl der große Unterschied zur "modernen Musik", die in einer Art Kino-Manier (reinsetzen und berieseln lassen) konsumiert werden kann. Dennoch muss ein solcher Hörer nicht weniger "elitär" sein, als mancher Klassikliebhaber...


    In letzter Konsequenz bleibt es wohl auch hier eine Frage des Geschmacks, welche Art der Musik als "auserlesen" zu bezeichnen ist. Dem angehenden Künstler jedoch, der vor der Entscheidung steht ob er künftig "klassische" oder "moderne" Musik machen soll, sei Folgendes mit auf den Weg gegeben:


    "Wer sich mit der Moderne verheiratet, muss damit rechnen, schnell verwitwet zu sein."


    Herzlichst,


    Stefan

    "...du holde Kunst, ich danke dir!"

  • In letzter Konsequenz bleibt es wohl auch hier eine Frage des Geschmacks, welche Art der Musik als "auserlesen" zu bezeichnen ist. Dem angehenden Künstler jedoch, der vor der Entscheidung steht ob er künftig "klassische" oder "moderne" Musik machen soll, sei Folgendes mit auf den Weg gegeben:


    "Wer sich mit der Moderne verheiratet, muss damit rechnen, schnell verwitwet zu sein."

    Das sehe ich auch so.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Wer in die tiefe Gefühlswelt unser genialen Komponisten eintauchen möchte, braucht Zeit, Geduld und ein Mindestmaß an Bildung.


    Hallo stefan...,


    mit großer Freude und Zustimmung habe ich Deinen Beitrag gelesen.


    Nun weiss ich nicht, wie weit zurück Du im Thread gelesen hast. Ich gehe aber mal davo aus, dass Du einige meiner Beiträge kennst, sodass Dir mein kleiner Vorbehalt erklärlich sein wird:
    Mindestmaß an Bildung: Auf den Maßstab, der angelegt wird, kommt es an; ein "Lorin Maazel" z. B. wird dieses Mindestmaß wohl anders sehen, als...


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Wie viele Zeitgenossen gibt es, die sich schon deswegen "elitär" fühlen, weil sie ab und an mal etwas Klassisches hören oder in die Oper gehen?


    Ich glaube, eher wenige. Der umgekehrte Fall dürfte deutlich häufiger sein. Angehörige irgendeiner Elite widmen sich ab und an auch Klassik und Oper, "weil es dazu gehört".


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Für mich hat "elitär" im Zusammenhang mit klassischer Musik überhaupt nichts mit "arrogant" zu tun, sondern ich definiere es als eine Bezeichnung dafür, dass ein durch intensive Beschäftigung mit klassischer Musik besonders qualifizierter Bevölkerungsanteil dieselbe besser komponieren, spielen oder als Zuhörer verstehen kann als der Bevölkerungsrest. Das ist ein simple Feststellung und trifft die Realität wieder. Es hat nebenbei überhaupt nichts mit den sogenannten "oberen, einkommensstärkeren Bevölkerungsschichten", sondern vielmehr etwas mit Bildung zu tun, die nicht nur "ganz oben" anzutreffen ist. Da aber die Akademiker meistens in der Lage sind, klassischer Musik etwas abzugewinnen und auch oft ihren Kindern weitergeben, ist eine gewisse Konsequenz daraus nicht zu leugnen. Dabei muss man sich natürlich mit klassischer Musik beschäftigen, um sie verstehen zu können. Das ist wie bei guter Literatur oder Kunst nicht anders. Dass man den Löwenanteil von Popularmusik auf Anhieb verstehen kann, ist dagegen nichts weiter als eine Bestätigung des Genrebegriffes "Popularmusik". Im übrigen gibt es bei den meisten klassischen Werken so etwas wie eine Verständnis-Tiefenstaffelung. Man kann Klassik durchaus berieseln, ohne sich mit ihr näher zu beschäftigen. Aber je mehr man es tut, desto tiiefer kommt man in die Bezüge und Innenstruktur hinein und desto besser kann man sie verstehen und genießen. Es mag einige Klassik-Anhänger geben, die sich wie eine Elite vorkommen , aber generell setzt das einen bewussten Vergleich zu anderen Musik-Genres voraus, den die meisten nicht bewusst ziehen werden, da solche Vergleiche eine intensive Beschäftigung mit beiden Genres voraussetzt.

    Liebe Grüße

    Patrik

    http://mozartbloggt.de/5-gruen…-klassische-musik-hoeren/

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

  • Für mich hat "elitär" im Zusammenhang mit klassischer Musik überhaupt nichts mit "arrogant" zu tun, sondern ich definiere es als eine Bezeichnung dafür, dass ein durch intensive Beschäftigung mit klassischer Musik besonders qualifizierter Bevölkerungsanteil dieselbe besser komponieren, spielen oder als Zuhörer verstehen kann als der Bevölkerungsrest

    Lieber Klassikfan1 , das kann man natürlich so machen, aber dann ist jede Gruppe, auf die diese Kriterien zutreffen, elitär. Da finden sich dann Briefmarkensammler und Freunde noch exotischerer Hobbys. Auch das Sammeln von Pilsgläsern kann dem Sammler stille Freude bereiten und auch Wissen, was dann durchaus exklusiv sein kann.


    Meistens ist der Begriff der Elite doch stark soziologisch getrieben und beschreibt Gruppen der Gesellschaft, die Macht haben. Mancher denkt vielleicht, auch Wissen sei Macht. Aber jeder Game of Thrones Zuschauer weiß, nur Macht ist Macht .... ;) Und man erlebt leider hin und wieder Machthaber, denen man tiefergehendes Wissen abstreiten möchte. Diese zeichnen sich manchmal nur dadurch aus, auf ihrem Weg nach oben skrupellos Konkurrenz ausgeschaltet zu haben. Es ist natürlich von meiner Seite aus leicht zu sagen (ich gehöre nicht dazu) , aber ich möchte auch nicht dazugehören....


    Etwas Schönes besser zu können, als der Rest der Bevölkerung, kann einen hin und wieder mit Stolz erfüllen, aber eigentlich sollten die "Schönen Dinge" und die Beschäftigung mit ihnen ihren Sinn in sich tragen.


    my two cents.

  • Bedenken wir auch, dass es ohne die Eliten die sog. klassische Musik (jetzt als sehr weit gefassten Begriff, auch die Alte Musik meinend) zumindest bis zur Aufklärung wohl schwerlich gegeben hätte. Auftraggeber war zunächst quasi ausschließlich der Klerus, später dann auch der Adel, im Verlaufe der Neuzeit vermehrt auch das begüterte und gebildete Bürgertum. Dass ein Komponist völlig freischaffend und unabhängig agiert, das gab es vor der Etablierung des Komponisten als Tondichter und somit der Adelung zum Künstler, nicht mehr bloß Handwerker, eigentlich gar nicht. Und da sind wir eigentlich dann bereits in der Wiener Klassik um 1800. Mozart hatte diesen Schritt ja bereits versucht, wirklich gelungen ist er aber erst Beethoven.


    Eliten braucht es, woher sonst soll die Hochkultur kommen. So war es jedenfalls die meiste Zeit über. Eine Öffnung der Klassik hin zu den breiten Massen wird zwangsläufig nur mit einem Verlust an Qualität zu machen sein, eine Verwässerung mit der Popkultur unausweichlich. Aber wir leben eben in einer Zeit, in der sich auch selbsternannte Konservative an den Zeitgeist anzubiedern meinen, was dann in grotesken Bildern ausufert, wo plötzlich potthässliche weiße amerikanische Turnschuhe, sogenannte Sneakers, zum Gipfel der konservativ-elitären Ästhetik des europäischen Abendlandes erkoren werden. Im Klassikbereich ist das ja auch zu beobachten, wo man sich äußerlich vermehrt bewusst nicht-elitär im Auftreten zu geben versucht. Mir kommt das immer wie ein verzweifeltes Possenspiel vor. Wen wird man dadurch wirklich für die Klassik gewinnen? Wie groß sind hingegen die Verluste am elitären Stammpublikum, das sich mit Schaudern abwendet?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Bedenken wir auch, dass es ohne die Eliten die sog. klassische Musik (jetzt als sehr weit gefassten Begriff, auch die Alte Musik meinend) zumindest bis zur Aufklärung wohl schwerlich gegeben hätte.

    Absolut richtig!



    Eliten braucht es, woher sonst soll die Hochkultur kommen

    Sollte das ein logischer Schluss sein, so ist der in dieser Form nicht zulässig. Aus "brauchte" kann man diese Bedingung nicht einfach in die Jetztzeit übertragen. Geld braucht es! Das kann aber durchaus auch aus staatlicher Förderung kommen und muss nicht dem Mäzenatentum von Milliardären oder politischen Potentaten entspringen. Da bieten Demokratien ja ganz neue Möglichkeiten .... :)



    Um mich nicht misszuverstehen. Selbstverständlich begrüße ich die Kulturförderung außerhalb staatlicher Reglementierung. Bei politischen Potentaten würde ich dann doch gerne genauer hinsehen.

  • Musik hat etwas mit Geschmack zu tun, ebenso wie gutes Essen, gutes Parfum, gut Stereoanlagen, elegante Kleidung, die Möglichkeit sich eloquent auszudrücken, oder jemanden "von oben herab" niederzumachen etc etc. All das sind durchaus unterschiedliche Kriterien, die mit Geld nur indirekt etwas zu tun haben. Aber si definieren durchaus "Eliten"

    Wenn die "Proleten" (hier ist nicht der Beruf gemeint, sondern der gesllschaftliche - oft selbstgewählte Status) meinen- sie können über "klassische Musik" und "vergleichbares" verächtlich sprechen, dann nehme ich mir das Recht ihnen auf boshaft elegante Artr zu vermitteln, welch erbärmliche und ungebildete Kreaturen sie doch sind. Dazu benötige ich weder ein Schimpfwort, noch eine gehobene Lautstärke. Oft genügt ein Lächeln oder eine witzig Bemerkung.

    Mein bester ausspruch in diesem Zusammengang war mal, als mich einer dieser Untermenschen angeschrien hat: "SIE HALTEN SICH WOHL FÜR WAS BESSERES ?" Und darauf ich: Leise mit fragendem Unterton: "Besser als was" ? Als Sieeeee? -(Pause) Ja, natürlich.

    Ich muß allerdings provoziert werden um sowas zu machen - und es wirkt immer -weils mir Spaß macht.

    Ich bin hier im Gegensatz zu jenen, die sich aus der "Gesellschaft" (oder was heute als solche bezeichnet wird) ausgestoßen fühlen - weil sie einen anderen Lebensstil praktizieren - eigentlich stolz darauf, nicht dazuzugehören.

    In der Schule war ich von jenen Leute unterdrückt und angefeindet - danach fand ich es als Befreiung mit diesen Leuten nicht mehr sprechen zu müssen und lebte relativ isoliert. Das hat mich irgendwie geprägt - und die "Corona Krise" - die ich weitgehend in "prophylaktischer Quarantäne" verbringe, stellt für mich quasi einen Normalzustand dar.....Ich lebe mein bescheidenes bechauliches Leben und suche mir meinen Umgang aus - Was draussen in Welt passiert interessiert mich im Grunde nicht - es sei denn es beeinträchtigt meine Sicherheit oder meinen Wohlstand.

    Und so gesehen lebe ich doch ein bisschen "elitär"

    JUnd um das Thema abzurunden: "Nischenrepertoire" und "alte Musik" etc sind "elitär" - gemessen am Mainstream -Repertoire. Elite innerhalb der Elite - gewissermaßen.

    Heute schämen sich Leute dafür zur Elite zu gehören oder aber auch nur von der Umwelt so wahrgenommen zu werden - sie wollen sein -"wie alle anderen"

    Solch einen Wunsch habe ich nie verspürt....:no:


    Lassen wir doch die elitären Dinge elitär sein

    und versuchen wir nicht uns an Kreti und Plethi anzupassen.......:hello:


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Ist "klassische Musik" elitär?


    Ich würde sagen, eigentlich ist auf dieser Welt aus sich heraus erstmal nichts elitär. Klassische Musik an sich vermutlich auch nicht. Sie ist einfach nur.

    Aber vermutlich könnten Philosophen da besser Aufklärung geben als meine Winzigkeit.


    Ob sich ein Angehöriger einer bestimmten irdischen Lebensform (hier: der Mensch) , der eine gewisse Vorliebe für diese Art von o.a. Musik entwickelt hat, selber als "elitär bezeichnen würde, ist einerseits eine ganz andere Frage und andererseits wohl eine sehr individuelle Entscheidung.


    Mein bester ausspruch in diesem Zusammengang war mal, als mich einer dieser Untermenschen angeschrien hat: "SIE HALTEN SICH WOHL FÜR WAS BESSERES ?" Und darauf ich: Leise mit fragendem Unterton: "Besser als was" ? Als Sieeeee? -(Pause) Ja, natürlich.

    Ich muß allerdings provoziert werden um sowas zu machen - und es wirkt immer -weils mir Spaß macht.

    Lieber Übermensch Alfred Schmidt ;),


    wurden dir für derart, sagen wir, pointierte Antworten denn nie Prügel angedroht?


    Vermutlich warst du aber in jungen Jahren ein gefürchteter Nahkämpfer oder hattest sehr flinke Füße.


    Ein schönes Wochenende und freundliche Grüße nach Wien....MDM :hello:

    >>So it is written, and so it shall be done.<<

  • Vermutlich warst du aber in jungen Jahren ein gefürchteter Nahkämpfer oder hattest sehr flinke Füße.

    Nein aber ich hatte eine suggestive bösartige Ausstrahlung - Das kann ich hier im offenen bereich nicht weiter ausführen....

    (kann sich vermutlich hier sowieso niemand vorstellen)


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nein aber ich hatte eine suggestive bösartige Ausstrahlung - Das kann ich hier im offenen bereich nicht weiter ausführen....

    (kann sich vermutlich hier sowieso niemand vorstellen)


    mfg aus Wien

    Alfred

    Da wäre ich nicht so sicher. Auch Göttervater Zeus hatte ja seine zwei Seiten.

    Und um das Thema abzurunden: "Nischenrepertoire" und "alte Musik" etc sind "elitär" - gemessen am Mainstream -Repertoire. Elite innerhalb der Elite - gewissermaßen.


    Alfred

    Ich bin ja einer der wenigen, die viel mit Alter Musik zu tun haben. Aber als Elite fühle ich mich nicht. Ich habe noch mal meinen "Eichhörnchen-Thread" durchgeblättert, der ja hier wieder ausgegraben worden ist. Da bin ich doch erstaunt, wieviel Kenntnis Alter Musik dort vorhanden ist. In die Gegenwart gerettet ist aber davon nicht so viel!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Ich wollte es eigentlich woanders platzieren, habe aber den Thread nicht gefunden. Allerdings passt die Diskussion zwischen Stockhausen und Adorno auch in diesen Diskussionsfaden


  • Ach ja, typisch Adorno, - in seiner ein wenig wie Singsang anmutenden Diktion druckreif-hochkomplexer Syntax, die man auch in seinen Vorlesungen erlebte und die diese zu einer für ihre Hörer hochgradig anstrengenden Veranstaltung machten.

    Hochgescheit ist er aber, mit seiner Interpretation von "Verstehen", der These etwa, dass das musikalische Kunstwerk sich von seinem Schöpfer zu entfremden vermag, so dass er, wie jeder andere Rezipient in die Situation des Verstehen-Müssens von Fremdartigem gerät. Aber das könne nur geschehen, wenn es sich um ein wirkliches Kunstwerk handelt. Ein solches also, das aus der Intention des Experimentierens mit Neuartigem hervorgegangen ist.

    Und da bin ich wieder an dem Punkt, wo ich mich schon damals der Radikalität von Adornos Denken sperrte. Dann etwa, wenn er die These vertritt, dass man zwar Schönberg erst verstehen kann, wenn man Beethoven verstanden hat, aber umgekehrt auch Beethoven erst wirklich, wenn man Schönberg verstanden hat.

    Er hätte eigentlich sagen müssen: Dass man Beethovens Musik besser versteht, wenn man Schönbergs Musik verstanden hat, - nämlich im Sinne ihrer Historizität. Aber das passt nicht in die Radikalität seiner an der Wiener Moderne sich ausrichtenden musikalischen Ästhetik.

    Hab mich aber gefreut, diese Stimme wieder einmal zu hören. Vielen Dank, astewes!

  • Ach ja, typisch Adorno, - in seiner ein wenig wie Singsang anmutenden Diktion druckreif-hochkomplexer Syntax, die man auch in seinen Vorlesungen erlebte und die diese zu einer für ihre Hörer hochgradig anstrengenden Veranstaltung machten.


    Leider habe ich Adorno an der Universtät nicht mehr erleben können. Es gab wohl mit Hans-Jürgen Krahl einen Schüler, der es ihm in sprachlicher Diktion gleichtat. Es ist an sich schon bewundernswert.



    Und da bin ich wieder an dem Punkt, wo ich mich schon damals der Radikalität von Adornos Denken sperrte. Dann etwa, wenn er die These vertritt, dass man zwar Schönberg erst verstehen kann, wenn man Beethoven verstanden hat, aber umgekehrt auch Beethoven erst wirklich, wenn man Schönberg verstanden hat.

    Er hätte eigentlich sagen müssen: Dass man Beethovens Musik besser versteht, wenn man Schönbergs Musik verstanden hat, - nämlich im Sinne ihrer Historizität. Aber das passt nicht in die Radikalität seiner an der Wiener Moderne sich ausrichtenden musikalischen Ästhetik.


    Lieber Helmut Hofmann,


    Ich empfinde diese Diskussion, gerade was die Radikalität angeht, durchaus auch als Zeitdokument. Ich habe noch als Schüler und dann später, während des Studiums Adornos Negative Dialektik und Theorie der Ästhetik gelesen und versucht sie zu verstehen. Ob es mir gelungen ist, ist sicher eine berechtigte Frage :). Seine Schriften zur Musik sind aus irgendeinem Grunde an mir vorbeigegangen. Soweit ich mich erinnere (?) , gibt es da eine Ästhetik der Rückzugs oder besser der Verweigerung ( so in der Art: Es gibt kein Gedicht mehr nach Ausschwitz zu schreiben.) Insofern fand ich es in diesem Gespräch sehr interessant, dass Adorno dem Künstler ja noch die Intention der Verständigung mit anderen unterstellt, während hier IMO Stockhausen radikaler erscheint, weil er mit der Beschäftigung mit Musik an sich zufrieden ist.


    An einigen Stellen ist bei mir mit den Jahren und auch noch einmal nach dem Hören der Diskussion das Gefühl entstanden, dass die Philosophie in ihren Fragen besser ist als in ihren Antworten. Beide Diskussionspartner werfen ja das Problem des Verständnisses für Musik auf. Eine Frage, die mich, wenn auch auf deutlich naiverem Niveau, auch interessiert. Und ja, auch Schoenberg kann den Blick auf Beethoven schärfen. Aber, warum nur Schoenberg? Es gibt in der Diskussion eine ablehnende Haltung gegenüber Tendenzen aus den USA, die sich mir nicht wirklich erschließt. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass hier Politik mit einfließt. Man hat Angst vor "verflachenden" Einflüssen. Adorno bringt den Begriff Schund ins Spiel.


    Meiner Meinung nach sollte man offen sein und erst einmal analysieren. Bei so deutlicher Ablehnung drückt sich mir immer der Verdacht von Angst auf, der die Ablehnung motiviert. Aber das ist nur ein ganz oberflächlicher Eindruck nach dem ersten Hören.


    Es freut mich auf jeden Fall, dass Dir das Gespräch Freude bereitet hat.

  • Ach ja, typisch Adorno, - in seiner ein wenig wie Singsang anmutenden Diktion druckreif-hochkomplexer Syntax, die man auch in seinen Vorlesungen erlebte und die diese zu einer für ihre Hörer hochgradig anstrengenden Veranstaltung machten.

    Wenn ich das von Dir lese als Erfahrungsbericht, kann ich das anhand dieses Interviews sehr gut nachvollziehen! Er spricht wirklich "druckreif" - was von einem hohen Sprachvermögen zeugt. Aber anstrengend ist es in der Tat! Stockhausen dagegen hat diese gewisse Köllsche Jovialität, wie ich es von ihm aus persönlicher Erfahrung auch kenne! :)

    Ich habe noch als Schüler und dann später, während des Studiums Adornos Negative Dialektik und Theorie der Ästhetik gelesen und versucht sie zu verstehen. Ob es mir gelungen ist, ist sicher eine berechtigte Frage :) . Seine Schriften zur Musik sind aus irgendeinem Grunde an mir vorbeigegangen. Soweit ich mich erinnere (?) , gibt es da eine Ästhetik der Rückzugs oder besser der Verweigerung ( so in der Art: Es gibt kein Gedicht mehr nach Ausschwitz zu schreiben.)

    Wacker! :) Die Negative Dialektik ist schon ein hartes Brot! Wo Adorno seine Philosophie wirklich musiktheoretisch umsetzt, ist finde ich sein Mahler-Buch. Da gewinnt man geradezu das Anschauungsmaterial, was "negative Dialektik" bedeutet! Seine "Philosophie der neuen Musik" ist ja durchaus ambivalent. Eine Art kritische Apologie. Er konstatiert die Ersetzung von Sinn durch Stimmigkeit. Kann Stimmigkeit Sinn aber wirklich ersetzen? So wichtig und bedeutsam Adornos "Philosophie der neuen Musik" auch ist, es fehlt eine Auseinandersetzung mit dem französischen Strukturalismus. Daraus resultiert eine gewisse Überbetonung des grammatikalischen Elements, dass sich immer alles nur um die Reihentechnik dreht. Das Gespräch finde ich wirklich sehr hörenswert (ist auch in gedruckter Form zu lesen in der Stockhausen-Schriftenreihe), es fehlt allerdings eine gewisse Distanz - was für 1960 auch nicht verwunderlich ist. Ablehnung und Unverständnis hat das Neue immer erfahren. Aber: Das Neue setzt das Alte fort, indem es dieses zugleich verändert. Keine Kontinuität ohne Diskontinuität und umgekehrt. Neue Musik ist da viel radikaler, will Voraussetzungslosigkeit, so etwas wie einen radikalen Neuanfang in einem revolutionären Bruch der Kontinuität. Das hat zweifellos etwas Elitäres. Als Gegenreaktion kommt dann die Apologie des Populismus, dass Tonalität angeblich "Natur" sei - was natürlich falsch ist. Interessant, dass Adorno im Gespräch viel skeptischer ist als in seinen theoretischen Schriften, das Ephemere der Musik betont im Anschluss an Kant. Gewisse futuristische Tendenzen sind spürbar, dass Musik nur für den Moment geschaffen ist. Wirklich sehr stark finde ich, als Stockhausen sagt: Ich verstehe nicht, was ich komponiere und Adorno das mit Schönberg bestätigt. Das widerlegt das populäre Vorurteil, dass Neue Musik so ein vollständig verstehbares, geradezu ausgerechnetes und ausrechenbares System ist. ^^

    Aber, warum nur Schoenberg? Es gibt in der Diskussion eine ablehnende Haltung gegenüber Tendenzen aus den USA, die sich mir nicht wirklich erschließt. Ich habe ein wenig das Gefühl, dass hier Politik mit einfließt. Man hat Angst vor "verflachenden" Einflüssen. Adorno bringt den Begriff Schund ins Spiel.

    Antiamerikanismus ist für die deutsche Philosophie ja nicht untypisch. Hier zeigt sich bei Adorno insbesondere ein Rigorismus - Kompromisse akzeptiert er nicht. Heute, im Zeitalter der Postmoderne, wo die Verbindlichkeit und der Exklusivitätsanspruch nur einer Tradition der Moderne nicht mehr besteht und auch nicht mehr haltbar ist, hat sich das freilich grundlegend geändert. Die Komponisten gehen viel freier und zwangloser mit den verschiedenen musiksprachlichen Mitteln um - was mir sehr gefällt. Für Stockhausen selbst - wenn man an seine späten Sachen denkt - gilt das ja in nicht unerheblichem Maße auch. Als wir in Kürten die frühen streng seriellen Sachen gehört haben, war das zwar beeindruckend. Aber es reichte dann auch - da waren einem seine späteren Sachen dann doch näher. ^^


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wacker! :) Die Negative Dialektik ist schon ein hartes Brot!

    Jugendlicher Übermut! Das Alter macht weise ...


    Wo Adorno seine Philosophie wirklich musiktheoretisch umsetzt, ist finde ich sein Mahler-Buch.


    Danke für den Tipp. Ich werde mal sehen, ob ich es antiquarisch finde.


    Aber: Das Neue setzt das Alte fort, indem es dieses zugleich verändert. Keine Kontinuität ohne Diskontinuität und umgekehrt. Neue Musik ist da viel radikaler, will Voraussetzungslosigkeit, so etwas wie einen radikalen Neuanfang in einem revolutionären Bruch der Kontinuität. Das hat zweifellos etwas Elitäres.


    Ich war eigentlich über das Gespräch sehr überrascht. Ich hätte da viel verbissenere Argumentationen erwartet.


    Gewisse futuristische Tendenzen sind spürbar, dass Musik nur für den Moment geschaffen ist.


    Das wiederum fand ich von Stockhausen absolut überzeugend argumentiert. Er wendet das eigene Denken auf die Zukunft an und stellt fest, dass es vermessen wäre, zu erwarten, dass seine Musik Ewigkeitswert hätte. Insofern ist Stockhausen schlüssig. Dass sich im Alter Vorstellungen ändern, wer will es ihm ankreiden? Ich habe einige seiner Opern in der Kölner Philharmonie gesehen und die waren wesentlich unangestrengter zu rezipieren, als sein Frühwerk. Allerdings schwebte er bei diesen Aufführungen auch am Ende in gleißenden Gewändern nach vorne. Das ist auch nicht mehr der "kölsche Jung", wie wir ihn im Gespräch mit Adorno erleben. ;)


    Als Gegenreaktion kommt dann die Apologie des Populismus, dass Tonalität angeblich "Natur" sei - was natürlich falsch ist.


    Das ist die Angst von der anderen Seite! Sie ist "natürlich" nicht überzeugend. Die Geschichte der eigenen Kultur beweist das Gegenteil.


    Wirklich sehr stark finde ich, als Stockhausen sagt: Ich verstehe nicht, was ich komponiere und Adorno das mit Schönberg bestätigt. Das widerlegt das populäre Vorurteil, dass Neue Musik so ein vollständig verstehbares, geradezu ausgerechnetes und ausrechenbares System ist.


    das sehe ich ganz genauso.

    Die Komponisten gehen viel freier und zwangloser mit den verschiedenen musiksprachlichen Mitteln um - was mir sehr gefällt.

    Genau! Insofern ist das natürlich ein Zeitdokument von 1960.

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    Mit Fichte, Hegel und Kierkegaard im Hintergrund kann man Adorno auch eigentlich nur verstehen. Am besten, man hat ein Philosophiestudium! ^^


    Danke für den Tipp. Ich werde mal sehen, ob ich es antiquarisch finde.

    Da würde ich diesen Band bestellen - dort ist nämlich die auch wirklich sehr lesenswerte Alban-Berg-Monographie drin - Adorno war ja Alban Berg-Schüler!


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    Ich war eigentlich über das Gespräch sehr überrascht. Ich hätte da viel verbissenere Argumentationen erwartet.

    So war Stockhausen - er hatte eine sehr hohe Meinung von Philosophen und blieb auch bei Kritik immer gelassen - wenn sie von Personen kamen, wo er das Gefühl hatte, dass die ihn respektierten.

    Das wiederum fand ich von Stockhausen absolut überzeugend argumentiert. Er wendet das eigene Denken auf die Zukunft an und stellt fest, dass es vermessen wäre, zu erwarten, dass seine Musik Ewigkeitswert hätte. Insofern ist Stockhausen schlüssig. Dass sich im Alter Vorstellungen ändern, wer will es ihm ankreiden? Ich habe einige seiner Opern in der Kölner Philharmonie gesehen und die waren wesentlich unangestrengter zu rezipieren, als sein Frühwerk. Allerdings schwebte er bei diesen Aufführungen auch am Ende in gleißenden Gewändern nach vorne. Das ist auch nicht mehr der "kölsche Jung", wie wir ihn im Gespräch mit Adorno erleben.

    Das habe ich in meinem Aufsatz über die Schöpfung aus dem Nichts als Idee der Neuen Musik, den Stockhausen kannte und der ihm sehr gefallen hat, auch untersucht. Die Vorstellung, dass die Werke vergänglich sind, kommt von Wagner und Liszt. Wagner hat einen Proto-Futurismus vertreten, wonach eine Oper eigentlich nur einmal aufführbar sei und dann müsse der Komponist im Grunde eine neue komponieren - weil sich das Leben, dessen Ausdruck das Werk ist, immer verändert und nie stillsteht. Busoni, der ein Liszt-Schüler war, hat das in seiner Kritik der "Denkroutine" dann aufgegriffen und die Idee der elektronischen Musik formuliert, einer radikal voraussetzungslosen Kunst. Auch von Schönberg gibt es einen Aphorismus mit dem Titel "Voraussetzungslosigkeit". :hello:


    Schöne Grüße

    Holger

  • Der Thread wirft die Frage auf: "Ist klassische Musik elitär?", - und hier geht es gerade gesprächsweise um Theodor W. Adorno.

    Abweichung vom Threadthema? Nein, denke ich.
    Es war durchaus angebracht, dass astewes den Link zu einem Gespräch zwischen Adorno und Stockhausen in diesen Thread eingestellt hat. Denn die Art und Weise, wie „klassische Musik“, und dies in ihrer modernen Version, hier reflektiert wird, macht auf schlagende Weise sinnfällig, dass die Beschäftigung mit dieser, und sei es auch nur in Gestalt einfacher Rezeption, durchaus die Angelegenheit einer spezifischen gesellschaftlichen Gruppe ist, die man vom Grad ihrer Bildung und von ihrer Interessenlage her als „Elite“ bezeichnen kann. Wenn man denn diesen Begriff als rein sachliche Feststellung von qualitativen Eigenschaften, Gaben oder Fähigkeiten von Individuen, Gruppen oder Tätigkeitsbereichen verwendet, und ihn nicht – im Rahmen einer politischen oder soziologischen Theorie – als Auslese der „Besten“ einer Gesellschaft versteht.

    Aber um noch einmal auf Adorno zu kommen:
    Was mich an ihm immer schon fasziniert hat (und worum ich ihn insgeheim beneide), ist seine Fähigkeit, die analytische Betrachtung von Musik aus dem Detail heraus auf die Ebene der Musik in ihrer historischen Entwicklung zu heben und dabei Kategorien der musikalischen Ästhetik einzubeziehen. Auf mustergültige Weise kann man das an seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der Musik Gustav Mahlers erfahren. Mir hat er darin regelrecht die Augen geöffnet, - nicht so sehr, was die spezifische Eigenart von Mahlers Musik anbelangt, das haben andere, Eggebrecht zum Beispiel, auf tiefer schürfende Weise getan. Nein, es war der Aspekt ihrer „Modernität“, den er mir in seiner Tiefe erschloss.

    In seinen Gedanken zur „Form der neuen Musik“ von 1966 setzt er sich mit der Tendenz zur Desintegration auseinander, die ihm als Wesensmerkmal derselben erscheint. Und er meint, diese sei keineswegs eine Sache der jüngsten Entwicklungen, sondern zeige sich „fraglos in Gustav Mahlers Spätwerk“. Und er fährt fort:
    „Das Bewußtsein des Scheinhaften runder und in sich geschlossener Formen gegenüber den Impulsen, die sie harmonistisch einzusammeln trachten, dürfte jene Neigungen, einen dégoût am eigenen Gelingen, motivieren“.
    Immer wieder weist er darauf hin, dass „Mahlers Musik keinen verbürgten Sinn sich vorgibt; weil sie auch nicht, wie Beethoven, darauf hoffen darf, daß durch übergeordnete, dynamisch-architektonische Logik Sinn als gegenwärtiger sich entlade, muß er schutzlos, ungedeckt dem Einzelimpuls sich überantworten.“
    Die Neigung des musikalischen Details, sich gegen eine solche Integration zu sperren, äußere sich dann als Desintegration.

    In Mahlers „Drang zur Desintegration“ zeigt sich für Adorno dessen Zugehörigkeit zur Moderne. Mahler habe „dem Nichtidentischen sich anvertraut, auf gut Glück hoffend, es werde von sich aus, über Vielfalt und Widerspruch hinweg, zur Versöhnung und zur Identität finden; bereit aber auch, wenn diese Hoffnung enttäuscht wird, es einzubekennen.“
    Und in diesem Zusammenhang kommt er zu einer, wie ich finde, hochinteressanten, allgemeine Gültigkeit beanspruchenden Feststellung:
    „Authentische Kunstwerke wären solche, in denen der Zerfall einen Sinn der Kunstwerke stiftete, Synthesis zweiten Grades; der letzte Satz des Liedes von der Erde ist dafür eines der frühesten und eindringlichsten musikalischen Modelle.“

  • In seinen Gedanken zur „Form der neuen Musik“ von 1966 setzt er sich mit der Tendenz zur Desintegration auseinander, die ihm als Wesensmerkmal derselben erscheint. Und er meint, diese sei keineswegs eine Sache der jüngsten Entwicklungen, sondern zeige sich „fraglos in Gustav Mahlers Spätwerk“. Und er fährt fort:
    „Das Bewußtsein des Scheinhaften runder und in sich geschlossener Formen gegenüber den Impulsen, die sie harmonistisch einzusammeln trachten, dürfte jene Neigungen, einen dégoût am eigenen Gelingen, motivieren“.

    Mir fehlt momentan etwas Zeit, auf alle Gedanken einzugehen. Das hier finde ich aber gerade sehr spannend. Wenn es stimmte, könnte man Klavierstücke, seien sie von Schoenberg und gerade auch von Stockhausen ja in gewisser Weise in der Folge Mahlers sehen.

  • Wenn es stimmte, könnte man Klavierstücke, seien sie von Schoenberg und gerade auch von Stockhausen ja in gewisser Weise in der Folge Mahlers sehen.

    Aber ja, das kann man, - so wie Adorno das sieht.

    Und ich würde ihm darin ja gar gerne folgen, hätte ich das Zeug dazu: Die musikalische Werkkenntnis und das erforderliche reflexive Vermögen.

    Hab ich aber nicht.

  • Eine Frage: Wie oft kommt unter „Heute gehört“ Stockhausen?


    Wie oft kommt unter „Was empfehle ich literarisch“ Adorno?


    Der Ewigkeitswert: Den haben beide nicht. Beide sind sehr bedingt, was ihre Zeit betrifft. Überzeitliches zu schaffen war ihre Sache nicht.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • Der Ewigkeitswert: Den haben beide nicht. Beide sind sehr bedingt, was ihre Zeit betrifft.


    Wenn ich mich nicht täusche, sagt Stockhausen das ja mehr oder weniger selbst in der Diskussion. Es wird ja über das heutige Verständnis eines Werkes der Vergangenheit diskutiert. Siehe (höre) auch die Bemerkungen zu Beethoven.


    Es ist IMO eine schwierige Frage, wie denn das Überleben von Kunstwerken passiert. Ich höre gerade eine Interpretation der Kunst der Fuge, einem Werke, dem ich persönlich einen solchen Wert zubilligen würde. Ich höre das natürlich nicht so, wie Bach es sich vorgestellt haben mag. Ist das überhaupt interessant?



    Eine Frage: Wie oft kommt unter „Heute gehört“ Stockhausen?


    Wie oft kommt unter „Was empfehle ich literarisch“ Adorno?


    Der Ewigkeitswert: Den haben beide nicht.


    Wenn es einen solchen Ewigkeitswert geben sollte, würde ich ihn nicht an der Anzahl der Empfehlungen festmachen wollen. Empfehlungen enstpringen irgendwelchen Moden der Jetztzeit, aber die Ewigkeit ist wirklich laaaaang, sie scheint mir anderen Gesetzen zu unterliegen. Ewigkeit und Hitparade vertragen sich nicht. ;)


    Die Frage nach dem Ewigkeitswert von Kunst finde ich auch interessant. Ich halte sie für kaum beantwortbar. Vielleicht kann hier Dichtung helfen.


    Viktor Schklowski zitiert am Ende seines Buches über Majakowski den Dichter selbst (sinngemäß, das Buch ist mir leider momentan nicht zur Hand)


    Es bleiben übrig die Worte eines Dichters:

    Es sind nicht die, bei denen Logen applaudieren

    Die Worte leben und kriechen

    auf allen vieren ....


    Das Ewige ist häufig in der Jetztzeit nicht zu erkennen. Man sieht es nicht, aber es ist da!

  • Lieber astewes


    Danke für das das Gedicht Majakowskis. Es bringt die Sache auf den Punkt. Ich habe es für mich gleich abgeschrieben und verwende es als Signatur.


    LG moderato

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Danke für das das Gedicht Majakowskis. Es bringt die Sache auf den Punkt. Ich habe es für mich gleich abgeschrieben und verwende es als Signatur.


    Lieber moderato


    Ich habe aus dem Gedächtnis zitiert, es mag also ein paar Ungenauigkeiten geben. Das Buch ist schon recht alt. Soweit ich mich erinnere aus dem Inselverlag in einem roten Einband. Es scheint es gerade nicht einmal antiquarisch zu geben... So viel zur Mode und zum Ewigkeitswert.


    Diese Stelle hat sich mir tief ins Gedächtnis geprägt.

  • Wenn das Publikum aus seinem sehr zeitbedingten Zeitgeschmack heraus beurteilen will, ob und welche Kunst einen "Ewigkeitswert" hat, ist das an sich schon paradox und zeitigt dann auch komische Resultate. :D Beispiele: Die meisten Liebhaber klassischer Musik werden sich heute wohl einig sein, dass das "Wohltemperierte Klavier" von J. S. Bach so einen Ewigkeitswert hat. Nur: Ende des 18. Jhd. war man davon so gar nicht überzeugt. Die Fugen von Vater Bach galten als gelehrte, veraltete und verstaubte Musik. Man hörte lieber Empfindsames von Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel. Anderes Beispiel: Nicht etwa Goethe, sondern Ludwig Uhland galt lange Zeit als Deutschlands bedeutendster Dichter. Wer kennt heute noch Uhland? Und nehmen wir Beethoven: Seine 9. Symphonie wird überall auf der Welt ziemlich oft aufgeführt. Für die späten Streichquartette galt das aber nicht. Die erklingen im Konzert ungefähr so häufig wie Stockhausen. Haben sie deshalb weniger "Ewigkeitswert"? ^^


    Auch sollte man die ausübenden Musiker nicht vergessen. Musik will erst einmal gespielt werden bevor sie gehört wird. In Kürten habe ich eine ganze Reihe junger Musiker kennengelernt aus Europa und der ganzen Welt. Sie kamen, um Stockhausens kleine Solo-Stücke für Blasinstrumente zu lernen, die sie einzigartig fanden.


    Die Bedeutung von Autoren zeigt sich nicht zuletzt daran, wie intensiv und nachhaltig sie rezipiert werden. Der nachhaltige Einfluss von Adorno auf die Musikwissenschaften ist immens. Er hat ganze Generationen von Musikwissenschaftlern geprägt. Das gilt nicht nur für Neue Musik, sondern gerade auch für die Mahler-Renaissance oder etwa seine vielgelesene Schrift über Beethovens Spätstil. Eggebrechts Mahler-Buch ist ohne Adorno gar nicht denkbar. In der Philosophie ist es ähnlich. Im Kontext konstruktivistischer Systemtheorie, des Strukturalismus, Poststrukturalismus, der Phänomenologie des Fremden, der Diskurtheorie wird Adornos negative Dialektik rezipiert. Wer sich mit Luhmann, Foucault, Derrida oder dem späten Heidegger usw. beschäftigt, liest selbstverständlich auch Adorno. Man braucht sich nur die Statistiken über Arbeiten anschauen, die in Deutschland oder weltweit an Universitäten geschrieben werden. Da nimmt Adorno unter den Philosophen des 20. Jhd. bis heute einen der vorderen Plätze ein.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Auf mustergültige Weise kann man das an seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der Musik Gustav Mahlers erfahren. Mir hat er darin regelrecht die Augen geöffnet, - nicht so sehr, was die spezifische Eigenart von Mahlers Musik anbelangt, das haben andere, Eggebrecht zum Beispiel, auf tiefer schürfende Weise getan. Nein, es war der Aspekt ihrer „Modernität“, den er mir in seiner Tiefe erschloss.

    Ich muss gestehen, dass Mahler bei mir ein ziemlich toter Fleck ist. Ich habe mal in Teenie-Zeiten seine ersten Sinfonien gehört. Aber da nun sein Werk für Kammermusik recht überschaubar ist, tauchte er später in meiner Rezeption nicht mehr auf.


    Dr. Holger Kaletha Das Adorno Buch ist bestellt.



    „Das Bewußtsein des Scheinhaften runder und in sich geschlossener Formen gegenüber den Impulsen, die sie harmonistisch einzusammeln trachten, dürfte jene Neigungen, einen dégoût am eigenen Gelingen, motivieren“.


    das ist selbstverständlich auch im Hinblick auf eine vermeintliche Sonatenform interessant. Interessant ist es auch, dass Mahler seine Schöpfungen trotz dieses Argumentes Sinfonien nennt! ;)



    Immer wieder weist er darauf hin, dass „Mahlers Musik keinen verbürgten Sinn sich vorgibt; weil sie auch nicht, wie Beethoven, darauf hoffen darf, daß durch übergeordnete, dynamisch-architektonische Logik Sinn als gegenwärtiger sich entlade, muß er schutzlos, ungedeckt dem Einzelimpuls sich überantworten.“


    Das finde ich auch faszinierend. Bei allem Sprengen von Architekturen sucht Beethoven nach einer neuen Architektur, wie man nun auch immer zu diesen Werken stehen mag. Ich habe aber den Eindruck, dass Beethoven mit jedem dieser Werke ( Op. 106, Op. 111, Op. 130/133, Op. 135) wieder von vorne mit der Suche anfängt. Es scheint keine einheitliche zugrunde liegende neue Form zu geben. Jedes dieser Werke ist IMO ein formaler Neuenentwurf.


    Da empfinde ich die Klavierstücke Schoenbergs oder auch von Stockhausen völlig anders. Es sind tatsächlich eher Einzelimpulse, so eine Wurf in die Zeit um mal zu sehen ..

    Die Neigung des musikalischen Details, sich gegen eine solche Integration zu sperren, äußere dann als Desintegration.


    „Authentische Kunstwerke wären solche, in denen der Zerfall einen Sinn der Kunstwerke stiftete, Synthesis zweiten Grades; der letzte Satz des Liedes von der Erde ist dafür eines der frühesten und eindringlichsten musikalischen Modelle.“


    Also das Lied von der Erde. Ich schaue mal in den Thread zum Thema.


    Danke für Deine Ausführungen.

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