Die Frage "Wodurch?", lieber seicento, ist aber die Königsfrage, denn das "Wieso?" steckt ja in ihr. Der Vergleich mit der Sprache, den Du ziehst, ist durchaus naheliegend und deshalb interessant. Auch die Sprache, vor allem die lyrische, arbeitet mit den Signalen, die von reinen Lauten ausgehen und als solche beim Leser - vor allem beim Hörer! - Emotionen auslösen. In diesem Punkt ist sie mit der Musik verwandt. Die Verse
"Über allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch..."
...wirken in hrer lyrischen Aussage auch auf dem Weg über das lautliche Wechselspiel zwischen i- und u-Lauten. Der geniale Schubert greift dies übrigen dadurch auf, dass er auf die i-Laute jeweils eine melodische Spitze legt. Aber das nur nebenbei. Es soll zeigen, dass Lyrik wie auch Musik mit der evokativen Wirkung von Klängen arbeitet, die letzten Endes rational nicht erklärbar ist.
Weder die Philosophie noch die Neurologie, bzw. "Hirnforschung" können das Phänomen des Bewusstseins erklären. Und solange dies der Fall ist, sind wir auf Spekulationen angewiesen, wenn wir die rätselhafte Wirkung der Musik auf den Menschen "erklären" wollen. Aus diesem Grund hat man es auf dem naheliegenden Weg versucht: Dem der Phänomenologie. Man hat sich einfach Musik hergenommen, sich gefragt, wie sie auf den jeweiligen Hörer wirkt, und dann die weiterführende Frage gestellt, welche Zusammenhänge zwischen dieser jeweiligen musikalischen Faktur und den Emotionen bestehen.
Heraus kam dabei zum Beispiel ein solches, damals sehr weit verbreitetes Werk wie: Christian Friedrich Daniel Schubart, Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst. Wien 1806. Schubart greift darin viele einschlägige Publikationen auf, die in der Zeit davor, vom Barock an, erschienen sind. Auf Seite 377f. heißt es zum Beispiel:
"Jeder Ton ust enweder gefärbt (d.h. mit Vorzeichen versehen) oder nicht gefärbt. Unschuld und Einfalt drückt man mit ungefärbte Tönen aus. Sanfte, melancholische Gefühle, mit B Tönenen; wilde und starke Leidenschaften mit Kreuztönen.
C dur, ist ganz rein. Sein Charakter heißt: Unschuld, Einfalt, Naivetät, Kindersprache.
A moll, fromme Weiblichkeit und Weihheit des Charakters.
F- Dur, Gefälligkeit und Ruhe.
D moll, schwermüthige Weiblichkeit, die Spleen und Dünste brütet.
B dur, heitere Liebe, gutes Gewissen, Hoffnung, Hinsehnen nach einer besseren Welt.
G moll (...) Mißvergnügen, Unbehaglichkeit, Zerren an einem verunglückten Plane; Mißmuthiges Nagen am Gebiß, mit einem Worte, Groll und Unlust." (...)
Das geht jetzt noch seitenlang so weiter. Oben hat ein Mit-Taminoaner im Zusammenhang mit unserer Fragestellung von einem "Fortschritt" gesprochen, den es in dieser Frage gebe, - gar von "über Bord werfen" überholter Thesen" gesprochen. Er wiird, stelle ich mir vor, die Nase rümpfen, wenn er diesen Text von 1806 liest.
Worin aber soll denn der Fortschritt eigentlich bestehen, wenn es um die Frage geht, warum eine in C-Dur harmonisierte melodische Linie tatsächlich eine anderen emotionale Wirkung auf uns Hörer hat als eine in d-Moll-Akkorde eingelagerte? Jeder von uns, der mal versucht hat, eine Transposition eines kleinen musikalischen Werkes vorznehmen, weiß, dass es dann anders bei Hörer ankommt. Jeder, der sich mit dem Kunstlied beschäftigt, macht die Erhrung, dass der Wechsel des Tongeschlechts mitten in der musikalischen Faktur eine große Wirkung auf die musikalische Aussage hat und erkennen lässt, wie der Komponist diese Stelle im Gedicht kompositorisch gelesen hat.
Ich muss es leider noch einmal sagen: Die Fragestellung dieses Threads ist eine der musikalischen Ästhetik. Sie ist keine der Naturwissenschaften, also der Hirnforschung zum Beispiel. Deren wissenschaftliches Instrumentarium ist zur Reflexion von Fragen der musikalischen Ästhetik völlig ungeeignet, weil es nicht um mess- und definierbare Kausalitäten geht. In Fragen der musikalischen Ästhetik mit dem Fortschrittsbegriff zu operieren, ist der Sache völlig unangemessen.
Ein Fall schlichter, mit naturwissenschaftlichem Instrumentarium erfassbarer Fall von Kausalität lag vor, als Franz Liszt in Berlin einen Flügel beim Spiel ruinierte, so dass er zusammenbrach. Die Wirkung, die sein Klavierspiel zuvor auf das Berliner Publikum hatte - und die Heinrich Heine spöttisch kommentierte - , ist mit den Mitteln der Hirnforschung noch nicht einmal ansatzweise zu erfassen und zu erklären.