Ein umjubelter Beethoven Zyklus? - Beethovens Sinfonien unter Christian Thielemann

  • Es ist irgendwie bezeichnend, daß – abgesehen von Prof. Kaisers Lobhudelei, der meint Furtwängler und Knappertsbusch herauszuhören – bislang keine renomierte kritische Bewertung des Thielemann-Beethoven erfolgte (die DVDs gibt es ja immerhin schon seit November 2010).


    Von Chailly (erst im September 2011 erschienen) liegt zumindest jene von Classics Today vor.


    Ist da überhaupt noch was zu erwarten? Oder wird der Zyklus einfach totgeschwiegen? ?(

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich wiederhole meine in Beitrag 61 gestellte Frage: Wo sind denn die professionellen Kritiken zu diesem Zyklus unter Thielemann?


    Bei Classics Today finde ich nichts, das Fono Forum und Grammophone haben offenbar auch nichts hervorgebracht.


    Wieso wird dieser Beethoven-Zyklus nirgendwo rezensiert?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Auf DiePresse.com fand ich wenigstens eine kurze Rezension:


    "Christian Thielemanns Interpretationen sind viel diskutiert worden seit den Liveaufführungen im Wiener Musikverein, die mitgeschnitten wurden und jetzt laut Werbeslogan den „Beethovenzyklus für das 21. Jahrhundert“ darstellen. Tatsächlich war es die erste Gesamtaufnahme von Beethovens neun Symphonien seit Menschengedenken, in der die Wiener Philharmoniker von einem Dirigenten geleitet wurden, der als Interpret wirklich etwas zu sagen hat.


    Die letzten Unternehmungen dieser Art fanden in den frühen Siebzigerjahren statt. Die amtierende Philharmonikergeneration hat nun mit Thielemann wirklich jenseits aller (Originalklang-)Modeerscheinungen Beethoven konzentriert und in stringenten, auf große Spieltraditionen zurückgreifenden Aufführungen erarbeitet. Deren eminente Qualität lässt sich ohne Bildbeiwerk sogar noch besser würdigen: Das ist Musik, kraftvoll struktuiert, dramatisch, die den Hörer herausfordert. Zum Berieseln nicht geeignet!"


    "Seit Menschengedenken"? "Frühe Siebzigerjahre"? Das wäre ja Böhm. Der Rezensent hat offenbar noch nie etwas von den drei Wiener Beethoven-Zyklen von Bernstein [1977–1979], Abbado [1985–1988] und Rattle [2002] gehört. Aber vermutlich ist er einfach der Meinung, daß diese als Interpreten nichts zu sagen hatten. :pfeif:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Da in FonoForum 02/2012 der Beethoven-Zyklus unter Thielemann ebenfalls mit keinem Wort erwähnt wurde, gehe ich davon aus, dass die Redaktion der Auffassung ist, dass sie mit ihrer Kritik zur DVD-Ausgabe in FF 06/2011 bereits alles gesagt hat. Die CD-Ausgabe ist ja lediglich die Tonspur der DVD. Vermutlich hat die Redaktion damit Recht.


    Zitate:


    In gewisser Hinsicht ist dieser Zyklus erfreulich unberechenbar. Mit Etiketten wie "altmodich" oder "zelebrierend" oder "getragen" kommt man jedenfalls nicht weiter.


    Sucht man dennoch nach übergreifenden Kriterien, muss man es vielleicht über Thielemanns Klangideal versuchen: Es ist ein oft ins Dunkel gewendeter, das mystisch-Urgrundhafte dieser Musik betonender Klang, aber keinesfalls konturenarm, das wäre nicht Thielemanns Art. Die Schärfen bleiben erhalten, etwa bei den dissonanten Akkorden im Kopfsatz der Dritten. Beethoven erscheint hier als romantischer Geist, zerrissen zwischen Bewahrerlust und Erneuerungsdrang.


    [ ... ]


    Dem Klang fehlt es an Konturenschärfe, auch an Balance der einzelnen Instrumentengruppen, stellenweise wirkt er - entgegen Thielemanns musikalischer Intention - dumpf und sogar breiig, vor allem bei den sonst so seidigen Streichern.


    Zitat Ende.

  • Aber vermutlich ist er einfach der Meinung, daß diese als Interpreten nichts zu sagen hatten.


    Das braucht man nicht vermuten, das steht doch explizit dort!


    Erstaunlich ist aber, dass nicht einmal Bernstein etwas zu Beethoven zu sagen gehabt haben soll...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wer von einer "ersten Gesamtaufnahme von Beethovens neun Symphonien" seit Menschengedenken spricht, hat sich selbst für eine Kritik disqualifiziert.


    Die (Selbst-)Erkenntnis, dass diese abgedroschene Floskel für Werke, die ab 1800 entstanden sind, völliger Quatsch ist, würde ich von jedem Abiturienten erwarten.

  • Zitat

    Theophilus: Erstaunlich ist aber, dass nicht einmal Bernstein etwas zu Beethoven zu sagen gehabt haben soll.


    Dieser Gedanke ging mir beim Lesen dieser seltsamen "Kurzrezension" auch durch den Kopf, vor allem, nachdem ich gestern Abend wieder einmal das mitreißende Livekonzert Bernsteins mit "seinen" Wienern und Beethovens Siebter aus dem November 1978 gehört und gesehen hatte und mich im Bericht darüber im Thread über die Siebte zu der angesichts dieser Superrezension völlig abwegigen Annahme habe hinreißen lassen, dass die Wiener unter Bernstein stets herausragende Interpretationen abgeliefert hätten.


    Liebe Grüße


    Willi ;)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Wer von einer "ersten Gesamtaufnahme von Beethovens neun Symphonien" seit Menschengedenken spricht, hat sich selbst für eine Kritik disqualifiziert.


    Man kann natürlich über plakastive Formulierungen verschiedener Meinung sein, doch rate ich ab Größen des Journalismus zu attackieren - Es könnte ins Auge gehen...
    Ich würde sehr empfehlen, sich zu informieren WEN man hier angreift - und welche Folgen solch ein Angriff allenfalls haben könnte.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Alfreds Information hat mich ermutigt, meinen Beitrag gleich noch mal in die Online-Version der "Presse" als Kommentar unter den Artikel zu stellen. Wer so gedankenlos formuliert, darf sich nicht wundern, wenn man das beim Wort nennt.

  • Grad sah ich, daß es ja bereits einen Kommentar zum Artikel von Dr. Sinkovicz gibt:


    "Ich habe mir die Thielemann-Beethoven-Box gekauft und bin leider total enttäsucht. Eine so spannungslose und manieriert dirigierte Fünfte habe ich schon lange nicht mhr gehört. Kein Vergleich zu Carlos Kleibers sensationelles Aufnahme mit dem selben Orcherster. Und auch die Neunte zieht sich unter Thielemann dahin. Katastrophal ist auch die Aufnahmetechnik. Der Klang ist dumpf und verschwommen."

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • "Die Presse Online" über sich selbst:


    "Die Presse Online“ betrachtet es als journalistische Standespflicht, ihre Leser objektiv und so vollständig wie nur möglich über alle Ereignisse von allgemeinem Interesse zu informieren.


    Aufgrund des Artikels von Dr. Sinkovicz muss man also davon ausgehen, dass Geschäftsführung und Redaktion die Thielemann-Aufnahme nicht als "Ereignis von allgemeinem Interesse" ansehen.


    Wenn wir schon beim Witzeln sind, kann man gleich weitermachen:


    Wenn die Thielemann-Aufnahme einerseits "die erste Gesamtaufnahme von Beethovens neun Symphonien seit Menschengedenken" (mit bestimmten Eigenschaften) ist, andererseits sich der Autor erinnert: "Die letzten Unternehmungen dieser Art fanden in den frühen Siebzigerjahren statt" - was sagt dann der Autor über seine Zugehörigkeit zur Gattung Mensch?

  • Hallo Alfred,


    Man kann natürlich über plakastive Formulierungen verschiedener Meinung sein, doch rate ich ab Größen des Journalismus
    zu attackieren - Es könnte ins Auge gehen...
    Ich würde sehr empfehlen, sich zu informieren WEN man hier angreift - und welche Folgen solch ein Angriff allenfalls haben könnte.....


    nur aus reiner Neugierde: Was genau möchtest Du damit sagen?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    nur aus reiner Neugierde: Was genau möchtest Du damit sagen?

    Daß eine Klage wegen Rufschädigung ein teurer Spaß werden kann, vor allem dann wenn der Kläger genügend Background hat.



    Zitat

    "Ich habe mir die Thielemann-Beethoven-Box gekauft und bin leider total enttäsucht. Eine so spannungslose und manieriert dirigierte Fünfte habe ich schon lange nicht mhr gehört. Kein Vergleich zu Carlos Kleibers sensationelles Aufnahme mit dem selben Orcherster. Und auch die Neunte zieht sich unter Thielemann dahin. Katastrophal ist auch die Aufnahmetechnik. Der Klang ist dumpf und verschwommen."

    Wir alle wissen, wie solche "Meinungen" zustandekommen. Sie sind aus der gleichen Ecke, wie jene, die Karajan und Böhm angreifen - und immer muß der "sensationelle Carlos Kleiber" ins Spiel gebracht werden - der in Wahrheit gar nicht so sensationell war. Wie durchsichtig !!!
    Dabei schreibt oft ein und derselbe User unter verschiedenen Namen, verschiedene aber inhaltsidente "Beurteilungen", welche dann den eindruck einer "breiten Mehrheit" erzeugen sollen - und manchmal scheint dies sogar zu gelingen....
    Ich bin der letzte, der irgendeine Aufnahme der letzten Jahre als "hervorragend" bezeichnen würde, denn durch die viele - oft sehr guten Neuaufnahmen der letzten Jahre ist man gegenüber Superlativen schon leicht abgestumpft.
    Dennoch würde ich die Wiener Neuaufnahme unter Thielemann als eine der klangschönsten der letzten Jahre einstufen - ohne wesentliche Vernachlässigung der Spannung. Thielemann erreicht diese Spannung jedoch nicht durch nervöse Dauerspannung, sondern auch durch die Kunst der Entspannung. Thielemann ist die ideale alternative für alle jene, denen die neuesten Aufnahmen, verhetzt, widerborstig und ordinär vorgekommen sind...


    Seit einiger Zeit kann man ja bei jpc in die Aufnahmen selbst hineinhören...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um die erregten Gemüter etwas zu besänftigen: Eine im ganzen ziemlich positive Rezension von MusicWeb International (allerdings von den DVDs).


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Daß eine Klage wegen Rufschädigung ein teurer Spaß werden kann, vor allem dann wenn der Kläger genügend Background hat.


    Lieber Alfred,


    angenommen, das wäre realistisch und dieses Wissen wäre von Dir abgesichert - hättest Du dann Deine unter der Gürtellinie legenden Bemerkungen über Paavo Järvi und diverse Provinzorchester in diesem Forum abgesondert?

  • Bis jetzt habe ich nur zwei Kritiken über den Zyklus gelesen, die halbwegs Substanzielles sagen und ihre sehr allgemeinen Aussagen mit Beispielen belegen, dem Leser also Gelegenheit zur Überprüfung geben. Das ist die Kritik, die dankenswerterweise von Joseph II. aus Musicweb International eingestellt wurde und diejenige aus FonoForum 6/2011.


    Was hilft es denn, wenn hohle Phrasen geschwungen werden?



    Dieser Zyklus weckt in jedem Fall nostalgische Gefühle und lässt Raum und Zeit für schwelgerischen Klang

    Ach ... nostalgische Gefühle weckt auch der Spielplatz meiner Kindheit. "Raum und Zeit für schwelgerischen Klang" - dass ein Klang zur Entfaltung Raum und Zeit braucht, ist tatsächlich eine umwerfende Erkenntnis. Gut, dass wir durch Thielemann darauf gekommen sind!



    Die Presse-Wien - nicht linksliberal sondern konservativ - schreibt:


    Zitat "Aus großteils verwechselbarem Angebot ragt Thielemanns Deutung der Beethoven Sinfonien turmhoch hervor"

    Das klingt schon arg nach Waschmittelwerbung ... noch weißer als weiß ... es wird eigentlich überhaupt nichts gesagt.



    So, daß nicht etwa generell ein langsames Tempo gewählt wird, sondern daß Thieleman sich raffiniert den Gegebenheiten anpasst, Tempo und Ausdruck variert, vom zartesten Schmelz zum Furioso, was durchaus beeindruckend ist. Ich würde ihn durachaus als "Klangmagier" bezeichnen, der die "Farbe" dr sinfonie andauernd changieren lässt - und so die Hörer quasi hypnotisiert - so sie dafür prädestinert sind. Was für ihn zählt ist der grandiose positive Gesamteindruck.

    Thielemann passt sich "den Gegebenheiten" an - ach, wie dumm waren doch die Dirigenten vorher. Vermutlich spielt Thielemann also einen langsamen Satz langsam und einen schnellen Satz schnell. Oder was sollte da bitteschön gemeint sein? Wenn man als Leser erst einmal raten muss, war wohl schon der Schreiber ratlos.


    Aus der Kritik auf "DiePresse.com":

    Zitat

    Das ist Musik, kraftvoll struktuiert, dramatisch, die den Hörer herausfordert. Zum Berieseln nicht geeignet!

    Sicher - für die Musik lasse ich das sofort gelten. Und die Qualität der Beethoven-Sinfonien steht wohl auch nicht in Frage. Aber was sagt der zitierte Satz über die Interpretation?


    Ich meine, solche gut gemeinten Kritiken schaden der Aufnahme eher, als dass sie ihr nutzen. Lässt sich denn nichts Verbindlicheres zu dieser CD-Box sagen? Falls nicht: Dann schweigt lieber.

  • Der von Joseph II. verlinkte Artikel auf "Die Presse.com" steht übrigens zur Zeit nicht zur Verfügung. Die Macht eines Klassikforums?

  • Zitat

    hättest Du dann Deine unter der Gürtellinie legenden Bemerkungen über Paavo Järvi und diverse Provinzorchester in diesem Forum abgesondert?

    Durchaus. Denn zum einen ist "Provinzorchester" ein durchaus nachvollziehbarer Begriff - gemessen an den "großen Klangkörpern dieser Welt", zum andern stammt her Järvi nicht unbedingt aus einer Region die man gemeinhin mit Beethoven in Verbindung bringt. Kritiken sind prinzipiell kaum erfolgreich einklagbar, denn dies würde den Berufsstand der Kritiker generell in Frage stellen....


    *Mit "Provinz" ist hier natürlich "musikalische Provinz" gemeint...



    Zitat

    Dieser Zyklus weckt in jedem Fall nostalgische Gefühle und lässt Raum und Zeit für schwelgerischen Klang

    Auch wenn Wolfram sich über diese Aussage lustig macht - sie trifft genau ins Schwarze und sagt dem Hörer was ihn erwartet - und wovor er sich NICHT zu fürchten braucht . Es ist eine Beethoven Interpretation, die in der Traditon der letzten 50 Jahre steht, ohne "Neudeutung" oder "Anpassung an unsere Zeit", die keine schädlichen Einflüsse von zeitgenössischer Musik in sich trägt. Kurzum - ein Beethovenbild wie man es schon lange nicht bei Neuaufnahmen hören konnte - und das von manchen schmerzlich vermisst wurde...



    Zitat

    "Raum und Zeit für schwelgerischen Klang" - dass ein Klang zur Entfaltung Raum und Zeit braucht, ist tatsächlich eine umwerfende Erkenntnis. Gut, dass wir durch Thielemann darauf gekommen sind!

    Du sprichst ein großes Wort gelassen aus. ;)
    Denn bei Chailly beispielsweise hat man den Eindruck, es mangle ihm an jener Zeit, er hetzt stellenweise durch die Partitur - und beruft sich dabei auf Beethovens Metronomangaben. Auch Norringtons Aufnahmen stahlen eine gewisse Nervosität aus.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Auch wenn Wolfram sich über diese Aussage lustig macht - sie trifft genau ins Schwarze und sagt dem Hörer was ihn erwartet - und wovor er sich NICHT zu fürchten braucht . Es ist eine Beethoven Interpretation, die in der Traditon der letzten 50 Jahre steht, ohne "Neudeutung" oder "Anpassung an unsere Zeit", die keine schädlichen Einflüsse von zeitgenössischer Musik in sich trägt. Kurzum - ein Beethovenbild wie man es schon lange nicht bei Neuaufnahmen hören konnte - und das von manchen schmerzlich vermisst wurde...


    Ach herrjeh, da war es wieder! Diese Aussage mag zwar wohl ins schwarze Treffen (aber in welches: Karajan, Böhm, Furtwängler, Bernstein, Celibidache, Szell, Klemperer?), sie sagt dennoch über die Interpretation nichts aus.


    Zudem, lieber Alfred, würde mich mal interessieren, inwiefern eine "Tradition der letzten 50 Jahre" für eine Werkgruppe, die schon über 200 Jahre auf dem Buckel hat, relevant sein kann. Järvi, Chailly und all die anderen haben sicher keine "Neudeutung" oder "Anpassung an unsere Zeit" vorgenommen, sondern sich den Sinfonien mit aritkulatorischem und Balance-Rüstzeug der Beethovenzeit genähert. Also wenn hier überhaupt eine Anpassung an eine Zeit vrogenommen wurde, dann an die Beethovens, und das würde, ich sagen, scheint mir richtiger und angemessener als irgendeine "moderne" Tradition, die nach deiner Aussage gerade mal 50 Jahre alt ist und nicht auf Beethoven zurückgeht, aufleben zu lassen.


    Ich lasse Dir ja gerne deine Vorliebe für deine bevorzugte Interpretation, aber wer bist du, daß du "von schädlichen Einflüssen zeitgenössischer Musik" sprechen könntest? Schon allein dieser Ausdruck zeigt in seiner falschen Wahl, daß du nichts von dem Interpretationsansatz eines Chailly oder Järvi verstanden hast. Es wäre ein Zeichen von Klugheit, sich nicht zu Sachen zu äußern von denen man nichts versteht: si tacuisses ... So hört sich das alles halt eher nach Rechthaberei ohne Argumente an.


    Oder um es mit deinen Worten zu sagen: und beruft sich dabei auf Beethovens Metronomangaben
    Auf wen beruft sich Thielemann?

  • Zitat

    Also wenn hier überhaupt eine Anpassung an eine Zeit vorgenommen wurde, dann an die Beethovens,


    Wenn ich mir die Schönheitsideale des 18. und frühen 19. Jahrhunderts betrachte, ditto den Briefstil, dann erscheint mir das - wenngleich oft behauptet - wenig glaubwürdig.
    Eine Gruppe von Leuten stellt alles auf den Kopf, was jahrzehntelang - oder von mir aus jahrhundertelang Geltung hatte -und behauptet frech, das hätte eigentlich schon immer so gehört.



    Zitat

    Ach herrjeh, da war es wieder! Diese Aussage mag zwar wohl ins schwarze Treffen (aber in welches: Karajan, Böhm, Furtwängler, Bernstein, Celibidache, Szell, Klemperer?


    Genau in diese Richtung. Denn bei aller Verschiedenheit der hier genannten Dirigenten gab es immerhin einen gewissen Grundkonsens. Der wird nun in Frage gestellt.
    Und wenn jemand die alte Tradition fortsetzt, dann wird er von den "Reformern" gleich attackiert - und desgleichen seine Befürworter. Nicht mal vor MIR mach man scheinbar Halt.


    Nun gut - ich weiß mich zu wehren......



    Zitat

    Es wäre ein Zeichen von Klugheit, sich nicht zu Sachen zu äußern von denen man nichts versteht: si tacuisses ...


    Ich glaub, ich seh´nicht recht !!!!!!


    Ich halte diese Aussage für eine Frechheit sondergleichen, eine Anmaßung mir gegenüber, die ich NICHT tolerieren werde !


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Forenbetreiber und Generalmanager des Tamino Klassikforum

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Genauso wie es zweifellos Thielemann-Hasser unter den Journalisten gibt, die ihn als vermeintlichen Exponenten einer kulturkonservativ-reaktionären Rolle rückwärts direkt in den Wilhelminismus (oder noch Schlimmeres) bekämpfen, so gibt es eben auch die bedingungslosen Thielemann-Adoranten, die sturheil jedes auch noch so mittelmäßige seiner Dirigate zum unwiederbringlichen Einmal-und-nicht-wieder-Ereignis von musikhistorischer Größe aufblasen. Lässt man all die Artikel und Rezensionen der letzten Jahre zum Thema "Thielemann" von Herrn Dr. Sinkovicz Revue passieren, dann wird man sich des Eindruckes nicht erwehren können, im Kritiker der "Presse" einen besonders leidenschaftlichen Parteigänger des "Klangfanatikers", des "Animators", der "Legende", kurz: des "neuen Karajan" (Zitate Sinkovicz über T.) gefunden zu haben. Abgewogene Urteile über Thielemanns Dirigate und Aufnahmen, welche die Vorzüge und Nachteile seines spezifischen Werk- und Klangverständnisses erhellend einander gegenüber stellen würden, wird man bei Herrn Dr. S. aus W. wohl vergeblich suchen.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • Hallo Alfred,


    eine weitere neugierige Frage: Hat es irgendeine besondere Bedeutung, dass der Benutzer "flutedevoix" nur noch leicht ausgegraut erscheint?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Im Prinzip ist das, was GiselherH schreibt vermutlich richtig:


    Zitat

    ....wie es zweifellos Thielemann-Hasser unter den Journalisten gibt, die ihn als vermeintlichen Exponenten einer kulturkonservativ-reaktionären Rolle rückwärts direkt in den Wilhelminismus (oder noch Schlimmeres) bekämpfen....


    Und hier fängt es an, kritisch zu werden. Es wird hier kein Dirigat rezensiert, sondern eine (unterstellte) Weltanschauung - und das ist meiner Meinung nach unzulässig. Was man Herrn Thielemann anzutun versucht, das hat man auch mit Herbert von Karajan und Karl Böhm - mit unterschiedlichen, meist aber bescheidenen, Ergebnissen - versucht. Man hat - welche Dummheit !! - versucht die beiden angesehensten Dirigenten ihrer Zeit posthum als "Langweiler" und "historisch uninformiert" darzustellen.
    Ähnlich verfährt man jetzt mit Thielemann. Ein DEUTSCHER Dirigent mit DEUTSCHEM Repertoire, der noch dazu PFITZNER im Programm hat - welch ein Vergehen !!
    Aber natürlich hat auch die Gegenseite Einfluss - und lässt unzulässige Verunglimpfungen nicht zu.
    Das wiederum führt dann dazu, dass auch diese Seite gelegentlich übers Ziel hinausschießt.
    In der Tat steht Thielemann als Gallionsfigur für Beethoven, Wagner und Bruckner in der Nachfolge von schon weiter oben genannten Namen. Er ist weder eine "Furtwängler-Kopie", noch ein "Karajan-Jünger", desgleichen kein Nachahmer Böhms, und von Klemperer und Celibidache hat er allenfalls ein Quentchen. Alles in Summe zeigt sich doch eine gewisse Grundeinstellung. Eine die von den Wiener und den Münchner Philharmonikern durchaus mitgetragen wird - aus vollem Herzen. Auch die Staatskapelle Dresden passt hier gut ins Gesamtkonzept. Und wir erwarten uns von dort Einspielungen, die den Geist des mittleren 20. Jahrhunderts (und früher) atmen, bei gleichzeitiger Einbringung des persönlichen Temperaments.


    Auch ich habe inzwischen von Sinkovits mehrere Kritiken gelesen - und die Richtung seiner Kritiken war sicher merkbar.
    Indes sind seine Aussagen - wenngelich hier vielleicht ein wenig übertrieben - im Kern richtig:
    Thielemann IST der "Neue Karajan".
    Was Rattle und Abbado nicht, Norrington und Harnoncourt nur bedingt geschafft haben, Thielemann hat es geschafft.
    Er ist in aller Munde - und seine Aufnahmen werden - da umstritten - gekauft.
    Gekauft, wie vor ihm nur Karajan. Die einzige Beethoven-Sinfonien-Aufnahme neuerer Zeit, die ich neben seiner in Wien - in allen führenden Klassikläden gesehen habe, ist jene unter Chailly. Allerdings in wesentlich geringerer Menge.
    Die bei Tamino so gelobte Krivine-Aufnahme konnte ich nicht bekommen, da kein einziger von 5 führenden Klassikläden ein Exemplar vorrätig hatte, bzw es überhaupt führte. Ähnliches muß auch über Dausgaard (ich habe bei jpc gut 3 Wochen auf mein Exemplar der Sinfonie Nr 4 und 5 gewartet, weil Dausgaard keine Lagerware ist.
    Thielemann wird nicht nur von Dr. Sinkovits und der "Presse" als bedeutender Dirigent gesehen, auch die "Welt" bezeichnet ihn als "populärsten deutschen Dirigenten"


    http://www.welt.de/kultur/arti…te-deutsche-Dirigent.html


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich halte diese Aussage für eine Frechheit sondergleichen, eine Anmaßung mir gegenüber, die ich NICHT tolerieren werde !


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred Schmidt
    Forenbetreiber und Generalmanager des Tamino Klassikforum


    Icare, ait moneo, ne, si demissior ibis,
    unda gravet pennas, si celsior, ignis adurat:
    inter utrumque vola.

  • Was man Herrn Thielemann anzutun versucht, das hat man auch mit Herbert von Karajan und Karl Böhm - mit unterschiedlichen Ergebnissen - versucht. Man hat - welche Dummheit !! - versucht die beiden angesehensten Dirigenten ihrer Zeit posthum als "Langweiler" und "historisch uninformiert" darzustellen.


    Niemand, nicht einmal die größten Karajan-Gegner, hätte je Karajans Schlagtechnik, seine Orchesterbeherrschung, seine Fähigkeit als Orchestererzieher, seinen Klangsinn oder seine dramatischen Fähigkeiten in Frage gestellt. Wohl niemand bestreitet ernsthaft den Rang seiner Opernaufnahmen, vor allem der frühen Aufnahmen, oder die für damalige Verhältnisse sensationellen Aufnahmen mit dem Philharmonia Orchestra - eine Referenz nach der anderen ist da entstanden, und es kam nicht viel Besseres nach.


    Und sogar Adorno musste Karajans Aufnahmen der Orchesterwerke der Zweiten Wiener Schule Anerkennung aussprechen (er hatte sehr wohl die Größe dazu!), weil sie den Aufnahmen der Jünger der Avantgarde in vielerlei Hinsicht überlegen waren, nicht zuletzt in ganz elementar handwerklichen Dingen. Welch eine Schlappe für die Modernisten und Progressiven.


    Nein, Karajan wurde von ernst zu nehmenden Kritikern nicht als Langweiler bezeichnet, jedenfalls nicht für die Aufnahmen, die er machte, als er in dem Alter war, in dem Thielemann jetzt ist. Und kein Kritiker hat je von Karajan geschrieben, dass dieser "den schlechtesten Schumann-Zyklus aller Zeiten" auf Platte gebannt hätte. Und Karajans Beethoven-Aufnahmen mögen nicht jeder ästhetischen Vorliebe gerecht werden, aber sie wurden niemals so zerrissen wie diejenigen Thielemanns heute.


    Er ist weder eine "Furtwängler-Kopie, noch ein Karajan-Jünger, desgleichen kein Nachahmer Böhms, und von Klemperer und Celibidache hat er allenfalls ein Quentchen.


    Nun, wer soll Thielemann an einer Weltkarriere hindern, die diejenige von Rattle oder Barenboim vielleicht noch übertreffen wird? Vielleicht gerade seine größten Anhänger, die Thielemann in das denkbar schlechteste Licht stellen - weil sie offenbar machen, wie der musikalische Horizont und das musikalische Weltbild derer beschaffen ist, die Thielemann mögen. Ein Quäntchen Klemperer, ein Quäntchen Celibidache, dreimal umrühren, langsam aufwallen lassen ...

  • Thielemann IST der "Neue Karajan".


    Lieber Alfred,


    darf ich Dich als Forenbetreiber und Generalmanager dieses Klassikforums höflichst ersuchen, zu beschreiben, wie denn Deiner hochmögenden Meinung nach der "alte" Karajan beschaffen war?


    Nur so würde Deine Aussage ja irgendeinen Sinn ergeben. Sicher ist dies dieser vielfältig geforderten Aufmerksamkeit nur für einen ganz kurzen Moment entgangen.


    Jedenfalls hat Thielemann noch kein 18jähriges Model geheiratet noch den Pilotenschein absolviert noch ist er Chefdirigent der Berliner Phiharmoniker noch hat er auf politisch fragwürdigen Veranstaltungen politisch fragwürdige Werke dirigiert.


    Worin also besteht Deiner Meinung nach seine Nachfolgerschaft Karajans?


    Deiner geschätzten Antwort hoffnungsvoll entgegen harrend
    Wolfram

  • Werter Alfred,


    die Qualität eine Einspielung herauszuheben, indem ich immer wieder das "Schlechte" an anderen Einspielungen hervorhebe, iist nicht nur in der Musik fragwürdig.


    Wenn ich mir die Einspielungen der von dir kritisierten Einspielungen höre, ist eine gewisse Übereisntimmung in wichtigen Passagen zu hören. Wenn jetzt Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen, teilweise aus verschiedenen Kontinenten, eine Übereinstimmung in der Interpretation erreichen, was kann das denn wohl bedeuten?


    Das es darüber hinaus Feinheiten zu entdecken gibt, die sich aus der Komposition ergeben, gerade im Vergleich dieser Provinzorchester, ist vielleicht ein Lernprozess, den sich die Leute verschließen, die ihren größten Beethoven manifestiert haben.


    Wenn jetzt diese Leute Thielemann in den Himmel loben, so ziehe ich meine eigenen Rückschlüsse.


    Viele Grüße Thomas

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