Ist Tschaikowsky außer Mode ?

  • Leonard Bernstein schrieb 1967 eine, den musikalischen Gehalt würdigende, Analyse zur 6. Sinfonie h-moll, op. 74 "Pathétique". Die Zitate habe ich kursiv in Anführungszeichen gesetzt. Er beginnt mit der "anzüglichen" Frage "mancher Intellektueller und seriöser Musikliebhaber": "Ist Tschaikowsky wirklich ein Symphoniker?" und "warum er nicht dabei blieb, Lieder oder bestenfalls Opern zu komponieren.", "der unübertreffliche Themenbildner' ... 'Modelleur' wirkungssicherer Melodien." Zu finden im Buch "Von der unendlichen Vielfalt der Musik" auf den Seiten 171 bis 195. Antiquarisch oder in einer Bibliothek ist das 1968 deutsch erschienene Buch sicherlich noch erhältlich.


    In seinem Text weist Bernstein nach, dass absteigende Tonskalen, (Teile von Tonleitern) das verbindende Element der vier Sätze bildet. "Aus ihnen heraus wachsen Themen, Motive, Figurationen, Kontrapunkt, Basslinien und sogar Melodien." Auch die Quart kommt in der Sinfonie als "vereinender Faktor durch das ganze Werk hindurch" vor. Ebenso der "durchgreifende Gebrauch der Dissonanzen", "welche über die ganze Musik Schmerz verbreiten." oder "die ständige Verwendung dunkelgefärbter Töne in den Bratschen, Celli und Fagotten, und die besonders düsteren tiefen Hörner, was dem Werk ein ausserordentliches Pathos verleiht."


    Als musikalisch ungebildeter Teenager, der erstmals mit dieser Sinfonie in Kontakt kam, hatte mich die gut nachvollziehbare Analyse dieses mir damals unbekannten Dirigenten beeindruckt. Sie half mir, die erwähnten Skalen zu erkennen und mir die Musik aus diesem "Hörwinkel" anzuhören. Eine der ersten Aufnahmen war dann auch die Pathétique in Bernsteins Auslegung. Auch heute noch, nachdem ich eine musikalische Ausbildung genossen habe, bewundere ich Tschaikowskys Meisterschaft mit einfachstem musikalischem Material eine solche bewegende Aussage zu schaffen. ich wünsch mir, dass dieser Komponist in den Konzertprogrammen und CD-Katalogen weiterhin gepflegt wird.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Meiner Meinung nach ist das, was Tschaikowskis Musik kennzeichnet und in der Vorstellung vieler Kunstliebhaber als nicht ganz erstrangig erscheinen lässt, eine etwas forcierte Emotionalität. Gleichgültig, ob es dem Komponisten um den Ausdruck von Schmerz und Resignation (vgl."Pathetique") oder um den der Überwindung depressiver Stimmungen geht (vgl. 5. Sinfonie, letzter Satz) - stets tritt Tschaikowski etwas zu derb auf. Man hat manchmal den Eindruck des Gewollten, gut Gemachten, jedenfalls nicht organisch Gewachsenen. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Zeitgenossen, die ja gemäß dem Nüchternheit einfordernden Zeitgeist emotionalen Ausbrüchen ohnehin reserviert gegenüberstehen, mit Tschaikowski nicht viel anzufangen wissen.


    Konstantin

  • Die Zeitgenossen, die Tschaikowskij zu überemotional und vielleicht gar kitschig finden, sollten den Dirigenten wechseln. Vermutlich hören sie sich stark verwestlichte Aufnahmen an, auf die dieses Vorurteil tlw. zutreffen mag (wobei ich persönlich nie von Kitsch sprechen würde). Versucht doch die russische Referenz, Mrawsinkij, besser noch die späten Live-Mitschnitte aus den 70ern und 80ern als die DG-Aufnahmen aus dem Studio von 1960. Das ist eine knallharte Leseart, die nicht im Geringsten im Verdacht steht, schmalzig zu sein. Wenn man Mrawinskij direkt neben Bernstein stellt, hat man die beiden Extrempole. Für jeden sollte doch bei dieser enormen Bandweite etwas vorhanden sein. Nachfolgend mal ein Versuch, einige Interpreten von extrem hart und rau ("östlich") (links) bis extrem romantisch und emotional ("westlich") (rechts) zu ordnen:


    Mrawinskij — Swetlanow — Roschdestwenskij — Gergijew (Mariinskij) — Pletnjow — Markewitsch — Karajan — Klemperer — Furtwängler — Bernstein

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Meiner Meinung nach ist das, was Tschaikowskis Musik kennzeichnet und in der Vorstellung vieler Kunstliebhaber als nicht ganz erstrangig erscheinen lässt, eine etwas forcierte Emotionalität. Gleichgültig, ob es dem Komponisten um den Ausdruck von Schmerz und Resignation (vgl."Pathetique") oder um den der Überwindung depressiver Stimmungen geht (vgl. 5. Sinfonie, letzter Satz) - stets tritt Tschaikowski etwas zu derb auf. Man hat manchmal den Eindruck des Gewollten, gut Gemachten, jedenfalls nicht organisch Gewachsenen. Vielleicht ist das der Grund, warum viele Zeitgenossen, die ja gemäß dem Nüchternheit einfordernden Zeitgeist emotionalen Ausbrüchen ohnehin reserviert gegenüberstehen, mit Tschaikowski nicht viel anzufangen wissen.


    Wie passt das mit der überwältigenden Popularität Mahlers zusammen? :wacko:


    Sicher sind das Aspekte, die manche Musikfreunde stören. Ebensowenig wie bei Verdi, Puccini, Wagner, Mahler usw. leidet die Popularität Tschaikowskijs darunter.
    Denn wir sind uns doch im thread bisher weitgehend einig (und haben zumindest anekdotisch empirische Belege gesammelt), dass Tschaikowskij sich nach wie vor großer Beliebtheit erfreut. Bzw. nach wie vor ein überschaubarere, aber signifikanter Teil seiner Werke.


    Natürlich sind das 2. Klavierkonzert oder die 3. Sinfonie nicht allzu populär. Aber populärer als Violinkonzert, Schwanensee oder 5. Sinfonie geht eigentlich nicht mehr, und ich kann hier weder in den fast 25 Jahren, die ich die Klassikszene selbst verfolgt habe noch aus dem, was man aus der Anzahl von Plattenaufnahmen für die Jahrzehnte vorher schließen kann, Alfreds Ausgangsbehauptung nachvollziehen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich finde das hochinteressant, was Konstantin da schreibt. Ich selber wäre da nie darauf gekommen. Aber wenn man es liest...
    Wobei ich sicher jemand bin, der für klare (plumpe) Reize bestimmt sehr empfänglich ist. Wobei es in dem Beitrag ein wenig so klingt, als ginge es in Richtung Kitsch und das glaube ich nun gar nicht. Ich persönlich liebe Tchaikovsky sehr (die leider recht unbekannte Manfred-Symphonie gehört zu meinen Lieblingen) und fühlte mich damit eigentlich immer im Mainstream. Und letztes Jahr beim Neujahrsempfang unserer Kleinstadt spielte das Amateurorchester einen Satz aus der 3. (Weshalb ich auch bei Johannes´ Beitrag etwas gestutzt habe, - das ist doch ein Ohrwurm).
    Gerade die riesige BAndbreite bei ihm, vom walzerseligen Ballet über die aufbrausenden Konzerte und die großen Symphonien machen es m.E. kaum möglich, dass er aus der Mode kommen könnte.
    Was ich mir allerdings wünschen würde, dass er ein wenig in MOde kommen würde.
    Vielleicht entstehen ja, nach den Sibelius-Festspielen auf Tamino, hier ja mal welche mit ihm.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Ich kann Konstantins Ausführungen gut verstehen.
    Gerne gebe ich zu, dass ich nicht gerade das ganze Werk des Komponisten kenne, d.h. kein Spezialwissen aufbieten kann.
    Da gibt es bestimmt noch Sachen, die auch ich durchaus schätzen würde.


    Momentan denke ich gerade an die 5. Symphonie.
    Ich höre mir das Werk ehrlich gesagt fast nur für Hifi-Tests an, weil die Denon-CD so audiophil und echt klingt. Es gefällt mir auch musikalisch, aber eher wie eine norwegische Marzipan-Torte: Kann wirklich anfangs sehr gut schmecken, aber nach einem bis zwei Stücken ist es dann auch gut....hat zu viele Kalorien...oder wie soll man es sagen ohne dass der Text lang wird?
    Klar steht meinem Geschmack dann ein deutsches Holzlukenbrot (Roggen) aus der Bäckereien Bach, Beethoven oder Brahms dann doch wesentlich näher.


    Von daher war bei mir Tschaikowsky noch nie modisch gesehen "in", aber ich kenne privat auch einige Klassik-Hörer, bzw. auch Klassik-Einssteiger (einige davon sind leider nie darüber hinausgekommen), die sehr auf Tschaikowsky stehen, gerade auf das erste Klavierkonzert. Bei diesen meinen Freunden/Bekannten war Tschaikowsky schon immer nahezu gleichzusetzen mit dem Begriff "Klassik", mehr noch als Mozart oder Beethoven, von denen sie eher wenig bis nichts kannten/kennen. Für die ist Tschaikowsky - so glaube ich- eigentlich immer gerade in Mode.



    So wie ich es höre, entdecke ich in dieser Tschaikowsky-Musik, wenn ich sie denn hören soll, oft durchaus beeindruckende Fassaden, einschmeichelnde Melodien, die ich mir aber irgendwie nicht merken will.


    Mein Beitrag soll auch nur als kleine, dem sehr subjektiven Geschmack entsprungene Unterstützung für die Aussagen Konstantins verstanden werden. Zwar habe ich auch schon Einiges von Tschaikowsky gespielt und gesungen, aber es hat mich bisher noch nie dazu verleiten können, mich ernsthaft und intensiv mit dem Komponisten auseinanderzusetzen. Wer weiss....was nicht ist, kann ja noch kommen.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Dann will ich doch noch ein wenig Reklame machen:
    Eugen Onegin ist doch eine herrliche herzzerreissende Oper!
    Dann immer wieder: Die fantastische Manfred-Symphonie! Wenn die Orgel loslegt, gibt es bei mir kein Halten mehr, da ist der Tränenfluss vorprogrammiert.
    Das gewaltige Ende der 5., wenn er sich gar nicht von seinem Werk trennen kann und immer noch ein wenig drauflegt und hinauszögert und immer weiter hinan strebt....
    Die grenzenlose Heiterkeit vieler Stellen im Schwanensee, wo das Herz im Walzertakt mittanzt.
    Und das Violinkonzert mit der geballten Wucht ungezügelter Emotion. Da überflügelt er auch Sibelius.
    Und das feingesponnene Werkchen der Overtüre zu 1812 ist so ein netter Happen für zwischendurch.


    Doch doch! Wir sollten, glaube ich, mehr Tchaikovsky hören.


    Allerdings ist er einer der Komponisten, wo mir Bernstein nicht wirklich gefällt. Irgendwie resigniert er vor diesen Emotionswogen. Vielleicht ist er einer, der solche Wogen schaffen kann, wenn sie aber schon fertig vorliegen, dann passt es nicht.
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Allerdings ist er einer der Komponisten, wo mir Bernstein nicht wirklich gefällt. Irgendwie resigniert er vor diesen Emotionswogen. Vielleicht ist er einer, der solche Wogen schaffen kann, wenn sie aber schon fertig vorliegen, dann passt es nicht.


    Hallo Klaus,


    auf welche Bernstein-Aufnahmen beziehst du dich? Vermutlich die älteren bei CBS/Sony?


    Die späten Bernstein-Aufnahmen von Tschaikowskij (DG, 80er) sind jedenfalls an Emotionalität gar nicht zu übertreffen! Das sind ganz bestimmt die hyperemotionalsten Deutungen der drei späten Symphonien, von "Romeo und Julia" und "Francesca da Rimini", die es gibt. Besonders die "Pathétique" ertrinkt förmlich in Sentimentalität, gerade im Finalsatz, den Lenny auf unglaubliche 17 Minuten (!) dehnt. Aber auch das berühmte Liebesthema aus der "Romeo und Julia"-Phantasie-Ouvertüre wird in keiner mir bekannten Aufnahme so ausgekostet. Die Coda am Ende (wie auch bei der "Francesca") ist bei Bernstein hier an Intensivität nicht zu toppen.


    So sieht die Box mit sämtlichen späten Aufnahmen aus:


    61qkAzOXQmL._SL300_.jpg


    Ich habe zwischenzeitlich auch die früheren Bernstein-Aufnahmen auf CBS/Sony. Bei den Symphonien Nr. 1–3 gewiß formidabel, aber bei den übrigen Werken ziehe ich die späteren vor. Daneben existieren noch 70er-Jahre-Videos der 5. (Boston SO) und 6. (NYP).


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dann will ich doch noch ein wenig Reklame machen:
    Eugen Onegin ist doch eine herrliche herzzerreissende Oper!
    Dann immer wieder: Die fantastische Manfred-Symphonie! Wenn die Orgel loslegt, gibt es bei mir kein Halten mehr, da ist der Tränenfluss vorprogrammiert.


    ...


    Der Punkt war doch gerade, dass die Roggenbrot- und Kontrapunkt-Liebhaber nicht so auf überschwengliche Emotionalität stehen! Du machst "Werbung" genau mit dem Aspekt, der anscheinend eher als abstoßend empfunden wird...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • "Roggenbrot und Kontrapunktliebhaber" :D :hahahaha:


    Tja, das bin ich dann wohl... :D ......sind aber auch alles sinnliche Erfahrungen.



    mit ziemlich heiteren Grüssen
    :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo Klaus und Josef,


    +++ was Tschaikowsky´s Manfred - Sinfonie angeht, bin ich ganz bei Dir. Ich habe schon so einiges hier bei TAMINO über die Swetlanow-Aufnahmen dazu gechrieben. Leider ohne größere Resonanz in dem entsprechenden Thread --- offenbar gibt es wenige wirkliche Liebhaber dieses Werkes. Umso erfreulicher mit Dir einen Tschaikowsky-Hörer gefunden zu haben, der das Werk begeistert aufnimmt.


    - - - was Bernstein angeht, so kann ich deine Aussagen in Beitrag 67 nicht nachvollziehen. Wo ist hier Bernstein weniger emotional ? Wie und wo kannst Du feststellen wollen, dass er hier "vor Emotionswogen resigniert" ??? ;) Ich schreibe lieber nicht, was ich von solchen Aussagen halte ...


    Im Gegensatz zu Josef (der langsame Tempi weit mehr akzeptieren und schätzen kann als ich) kommt mir seine Tschaikowsky - GA New Yorker PH (SONY) mehr entgegen, weil Bernstein´s stimmige Tempi mich dort weit mehr überzeugen, als das übertriebene langgezogene Auskosten. Die SONY-GA ist kaum weniger packend emotional, wie die spätere bei DG (gem. Josef´s Abb).
    Die Sinfonien Nr.1 - 3 sind erstklassig (die Winterträume meine Favoritenaufnahme) und die Aufnahmen der Sinfonien Nr.4 -6 (1975, 1960, 1964) sind hochspannende Interpretationen, die neben Swetlanow, Karajan, Solti zu meinen Liebsten gehören.


    Josef, deiner Reihung in Beitrag 63 kann ich nicht so ganz folgen; ausserdem fehlt Solti ! Ich finde Bernstein ist näher an Swetlanow, als der sehr ausgewogene ruhige Roshdestwensky.


    Josef erwähnt als Beispiel Francesca da Rimini, das mit Lenny(DG) an Intensität kaum zu toppen ist. Stimmt, das ist der Wahnsinn ! Aber er braucht für Francesca unglaubliche 27:42... das Werk fällt für mich dadurch auseinander, ja nervt.
    :thumbup: Viel angemessener, mit ebenfalls fabelhafter Intensität und schlüssigen 24:36 wirkt das Stück in seiner Aufnahme (SONY, 1960), die auch in der GA enthalten ist.


    An Intensität hier auch fast nicht zu übertreffen (Das Finale ist der Wahnsinn), sind die im Tempo vernünftigeren Aufnahmen mit Swetlanow (WARNER, 1990)=25:40, die er spannend gestaltet ohne zu lamoryant zu werden; Mrawinsky (ERATO, 1981)=24:08; Mrawinsky (Brillant, 1972)=22:48

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ein GAng nach Canossa: Ich habe mich vertan! Einfach losgeschrieben, ohne nachzusehen. Ich abe überaubt keine Auto!
    Ich habe jedenfalls keine Bernsteinaufnahme von Tchaikovsky. - sondern Karajan. ICH! HABE! BERNSTEIN! MIT! KARAJAN! VERWECHSELT! :hahahaha::baeh01::cursing::no:


    Wahrscheinich weil sie so ähnliche Frisuren haben. Einen Eimer Asche auf mein Haupt!


    Aber dass Teleton den Manfred liebt, das freut mich. Dass es da einen Thread gibt freut mich auch. Ob ich den finde, da bin ich skeptisch, aber ich werde suchen.


    Ansonsten erbitte ich die Rückstufung von Profi auf Anfänger :pfeif:


    Zerknirscht:
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Klaus,


    eine Verwechslung kann ja mal vorkommen, :D wenn man sich noch nicht so intensiv mit dem Material auseinandergesetzt hat.


    ;) Du kannst aber jetzt auch nicht alle Karajan-Tschaikowsky-Aufnahmen über einen Kamm scheren. Direkt vorab - und das schreibt der, der Swetlanow bei Tschaikowsky über alles stellt:
    :!: Ich finde Karajans Tschaikowsky gar nicht schlecht, nein - je nach Sinfonie sogar sehr gut.


    Die DG-GA von 1976/9, die Du warscheinlich hast, gefällt mir bei den Sinfonien Nr.5 und 6 auch nicht ganz so gut, weil er dort nicht mehr die Hochspannung ausbreitet, wie bei den Älteren von DG 1964. Noch weniger haben mich dann die Karajan-Spätaufnahmen mit den Wiener PH der Sinfonien Nr. 5 und 6 (DG) überzeugt. Deine Aussagen in Beitrag 67 (letzter Absatz) passen trotzdem aber auch hier nicht !


    Die Karajan-GA finde hat mir bei den Sinfonien Nr.1-4 (DG, 1976) immer sehr gelegen. Emotion, Spannung und Dramatik, sowie gute Pauken kommen nicht zu kurz - das sind packende Aufnahmen, die von den Berliner PH begeisternd dargeboten werden.
    :!: Bei den Sinfonien Nr.5 und 6 sind es aber die Aufnahmen von DG 1964, die kaum weniger fastzinieren, als Solti und Swetlanow (hätte ich Swetlanow und Solti nie gehört, ware ich auf Ewig mit Karajan zufrieden gewesen). Karajan läßt dort feurig russisch die Post abgehen. Der 3.Satz der Pathetique gehört zu den besten Interpretationen überhaupt und die Pauken dort sind ein Traum !



    :angel: Josef erwähnt zu recht auch den grossen Mrawinsky.
    Ich schätze, genau wie er seine späteren LIVE-Aufnahmen der Sinfonien Nr.5 und 6 (Erato 1982/1983) und Nr.5 (Brillant, 11/82) ebenfalls höher ein, als seine DG-Aufnahmen der Sinfonien Nr.4 - 6 von 1960 (hier liegt mir die "auseinandersezierte" Fünfte am wenigsten) - dazu steht im Tschaik 5-Thread mehr ...
    Die DG-Mrawinsky-Aufnahmen sehen viele als Referenz. Da ist schon bei Nr.4 und Nr.6 schon was dran, aber wenn ich Solti und Swetlanow höre, dann schlägt meine Gunst eindeutig mehr in diese Richtung aus. Obwohl es viel vielleicht nicht verstehen werden - aber auch Bernstein (SONY) finde ich bei den Sinfonien Nr.4 - 6 besser ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich wollte in meinem letzten Beitrag keineswegs gegen Tschaikowski Front machen. Persönlich geht mir diese Musik gelegentlich sehr nah, so wie mir auch Sibelius, Smetana und Puccini nahe gehen. Aber es ist dieses Nahe-Gehen ein Überwältigtwerden durch starke Reize, die man manchmal bewusst aufsucht, manchmal sogar braucht (sozusagen als emotionale Katharsis). Es ist kein bewunderndes Eintauchen in die vom Komponisten entwickelte Eigenwelt des Kunstwerks, wie man es etwa beim Hören von Brahms erleben kann. Hier geht gewissermaßen eine Motiv aus dem anderen hervor, steht jede Phrase an ihrem richtigen Platz. Hier gibt es keine Verlegenheitslösungen, kein unmotiviert losdröhnendes Blech etc. Nicht zuletzt deswegen wurde etwa Brahms schon zu Lebzeiten - meiner Meinung nach mit Recht - als Erbe Beethovens bezeichnet, während Komponisten wie etwa Dvorak, Tschaikowski und - ja, auch Mahler! - ich bitte deren Verehrer ergebenst um Verzeihung - eben nicht als Genies ersten Ranges gelten.


    Gleichwohl gebührt Tschaikowski, Sibelius et. al. selbstverständlich Platz in unseren Konzertprogrammen und wir sollten uns vom Diktum Adornos,für den Musik offenbar ebenso intellektuell wie Wissenschaft sein muss, um gut zu sein, nicht unsere Fähigkeit zum emotialen Kunsterleben nicht verderben lassen.


    Konstantin

  • Ich weiß et nicht...
    Ein bisschen hört sich das so an wie eine Unterscheidung U und E-Musik.
    Ein interessanter Gedanke. Es ist sicher richtig, dass Tchaikovsky die emotionalen Sachen klar, deutlich und heftig einsetzt. Ich bin aber nicht sicher, ob dadurch Tiefe unbedingt verlorengeht. Und ich will hier vor allem noch einnmal auf die Manfredsymphonie hinweisen.
    Aber auch mein großer LIebling, die 5. hat doch ihre Komplexität, oder?
    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Es ist kein bewunderndes Eintauchen in die vom Komponisten entwickelte Eigenwelt des Kunstwerks, wie man es etwa beim Hören von Brahms erleben kann. Hier geht gewissermaßen eine Motiv aus dem anderen hervor, steht jede Phrase an ihrem richtigen Platz. Hier gibt es keine Verlegenheitslösungen, kein unmotiviert losdröhnendes Blech etc. Nicht zuletzt deswegen wurde etwa Brahms schon zu Lebzeiten - meiner Meinung nach mit Recht - als Erbe Beethovens bezeichnet, während Komponisten wie etwa Dvorak, Tschaikowski und - ja, auch Mahler! - ich bitte deren Verehrer ergebenst um Verzeihung - eben nicht als Genies ersten Ranges gelten.


    Hallo Konstantin,


    das kann nicht unwidersprochen bleiben. :D


    Höre dir mal Günter Wands sensationelle Aufnahme der 1. Brahms mit dem Chicago SO an. Da gibt es sehr wohl losdröhnendes Blech, aber alles andere als unmotiviert. ;)


    Und eine pauschale Absprechung des Genie-Status der genannten Komponisten würde ich so auch nicht stehen lassen. Dvořáks 8. und 9. sind doch zweifelsohne Meisterwerke, genauso Tschaikowskijs 4., 5. und besonders 6. Und grad Mahler, wo eigentlich jede ein Geniestreich auf ihre Weise ist. Wieso ist der doch eher sehr konventionelle Brahms im Vergleich zu diesen bitte als einziger ein Genie? (Ich empfinde alle als Genies, nur um Mißverständnissen vorzubeugen.)


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Kaiser Franz, (spricht man so einen Kaiser an? Ich sollte wohl lieber schreiben "Ew. Majestät!"?)


    Sie haben es ja selbst formuliert: Dröhnendes Blech gibt es zwar selbstverständlich auch bei Brahms. Nur eben niemals unmotiviert. Und eben die Tatsache, dass hier nichts unmotiviert aufeeinanderfolgt, ist genau das, was seine Musik meiner Meinung nach faszinierend macht, auch wenn sie, was die Verwendung des harmonischen Materials angeht, zugegebenermaßen konventionell ist.


    Ich würde übrigens weder Tschaikowski, noch Dvorak, noch Sibelius, Puccini oder Mahler den Status eines großen Komponisten und Künstlers absprechen. Ich höre alle diese Spätromantiker gern, ja manchmal auch mit Begeisterung - und doch ist mein Respekt vor ihrer Kunst ein wenig geringer als der vor jenem als "konventionell" geschmähten Deutschen, weil bei ihm einfach alles "stimmig" ist. Was bestimmte Interpretationskünstler aus diesem oder jenem Werk machen können, inwieweit sie es in seinem Charakter unterstreichen oder bis zur Unkenntlichkeit verzerren können, lasse ich hier dahingestellt. Meine Einschätzungen gelten nur der "Textur" der Komposition als solcher.


    Ich verbleibe Ew. Majestät untertänigster Diener


    Konstantin

  • Also - ich empfinde Brahms und (bei aller Gebrochenheit) auch Mahler als ausgesprochen "gefühlige" Komponisten, deren affektives Betroffensein immer mitschwingt. Sie machen aus ihrem innersten Herzen ein gewaltiges Drama. - Sibelius dagegen empfinde ich überhaupt nicht so, auch Debussy nicht. Deswegen möchte ich Konstantin insofern vehement widersprechen.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Es ging allerdings um Tschaikowskys Gefühlseligkeit, während man zumindest Debussy wohl kaum je so etwas unterstellt hat.
    Sibelius empfinde ich auch nicht als besonders emotional. Für mich schwankt der allzu oft zwischen hohlem Bombast und trockener Langeweile. Aber mit Tschaikowsky hat er nicht viel zu tun.


    Wie schon in anderen threads zu den Werken ausgeführt, halte ich Tschaikowsky inzwischen für wirklich brillant (Melodienreichtum, farbige Instrumentation usw.) in "leichteren" Werken wie den Balletten, der Serenade oder dem ersten Klavierkonzert, aber für grenzwertig, wenn er als ernsthafter Sinfoniker daherkommt. Die Gratwanderung ist ihm vielleicht in der 6. gelungen; in der 4. und 5. schätze ich einzelne Sätze (Kopfsatz der 5., Binnensätze der 4.) sehr, anderes kann ich nur noch schwer ertragen (beide Finali zB).


    NB: Ich habe nach wie vor nicht den Eindruck, dass die im Übermaß vorhandene oder fehlende Sentimentalität einen Einfluss auf die Popularität von Tschaikowsky vs. Brahms vs. Mahler hat. Die ersten beiden sind seit ungefähr hundert Jahren ungebrochen sehr populär und Mahler hat das in den letzten 30 Jahren weitgehend aufgeholt. Ich sehe keine Korrelation zwischen angeblicher "moderner" Ablehnung von "Sentimentalität" und der wachsenden/sinkenden Popularität irgendeines dieser drei Komponisten. Allenfalls könnte man argumentieren, dass anscheinend eine wachsende Zahl von Hörern in den letzten Jahrzehnten die Ausdrucksmittel barocker und vorbarocker Musik denen der spätromantischen Komponisten vorzieht. Aber letztere haben nach wie vor ziemlich sicher ein größeres Publikum als die Alte Musik.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Oh weh, unser mehrwöchiger finnischer Kochkurs wollte bei Johannes nix fruchten!


    Ist zwar ot, aber ich reagiere im Moment ziemlich allergisch auf die frühe Spätromantik, also zumal auf Taschaikowski, was aber nix mit der Qualität seiner Musik zu tun hat. - Von Brahms gibt es keine Durchführung von der Art der Pathétique, 1. No risk, no fun - soviel zur "Stimmigkeit".


    Ich hätte bis zum letzten Jahr ganz ähnlich zu Sibelius geurteilt (nicht stimmungsabhängig wie derzeit über Tsch.). Höre im Moment fast nur Sibelius und Renaissance-Musik. Sibelius ist irgendwie eine große Befreiung von der deutschen klassischen Romantik. In einem englischsprachigen Forum schrieb einer, Sibelius wirke auf ihn wie eine Brise frischer, starker Luft; er sei der einzige Komponist, bei dem man das Gefühl habe, nach draußen ins Freie zu gelangen. Sinngemäß. - Zugegeben, es ist eine Metaphorik. Aber besser könnte ich das auch nicht ausdrücken.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Die Frage, ob Tschaikowskij außer Mode ist, berührt hier im Thread Personen, die seine Symphonik mehr oder weniger aufs Korn nehmen. Wenn man jetzt sein 1. Klavierkonzert und sein Violinkonzert außen vor läßt, stellt sich doch die Frage, ob sein Klaviertrio (das Sextett "Souvenir de Florence" ist ja wieder ein anderer Fall) nicht doch von zeitloser Eindringlichkeit sei. Auch seine gefühlvollen romantischen Lieder oder seine Violine-Klavier-Piècen können doch nicht aus der Mode sein.


    Es sei denn, romantisches Gefühl und sinnliche Schönheit wären heutzutage aus der Mode. Dann aber wären wir wirklich sehr arm ...

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Es liegt mir SEHR fern, Tschaikowski wegen seiner "Gefühligkeit" geringzuschätzen. Aber ich empfinde den strukturellen Aufbau seiner größeren Werke (Sinfonien, Klavierkonzert, Violinkonzert) als nicht immer überzeugend. Die Motive gehen nicht auseinander hervor, die Durchführungen sind nicht immer organisch gearbeitet. Und NUR DESHALB wirkt Tschaikowsikis Gefühlsüberschwang manchmal nicht echt. Dass die "Pathetique" die Brahms-Sinfonien in ihrer strukturellen Beschaffenheit, in der Kompexität der Durchführung übertrifft, kann ich nicht finden. Verfolgen Sie doch mal, eine welch geradezu unübertroffen gelungene Antwort der Schlusssatz der 1. Sinfonie von Brahms (ja, die sogenannte "Zehnte von Beethoven") auf den hochgespannten, dramatischen Enleitungssatz darstellt! Und vergleichen Sie sie mit der Faktur der "Pathetique", in der jeder Satz sozusagen neben dem anderen steht. Ich gebe ja zu, dass der Mittelteil im 1. Satz der "Pathetique" - der mit dem wahrhaft pathetischen Posaunensolo" - mich jedesmal rührt. Aber musikalisch gelungener finde ich doch z.B. den Widerstreit der Themen und die schlussendliche Beruhigung im letzten Satz von Brahms Dritter.


    Was übrigens Sibelius betrifft, so ist er kein "sentimentaler" Komponist wie Tschaikoowski, da stimme ich meinen Vorrednern ausdrücklich zu. Aber die von mir erwähnte Schwäche, was die Themenverarbeitung angeht, ist auch sein Problem.


    Dennoch: Ich habe Respekt vor allen diesen großen Künstlern, zu deren Kategorie ich auch Grieg zählen würde. Aber Brahms ist denn doch wohl eine Nummmer größer!


    Konstantin

  • Was übrigens Sibelius betrifft, so ist er kein "sentimentaler" Komponist wie Tschaikoowski, da stimme ich meinen Vorrednern ausdrücklich zu. Aber die von mir erwähnte Schwäche, was die Themenverarbeitung angeht, ist auch sein Problem.


    Wenn man Qualität nur an Themenverarbietung messen würde (mit anderen Worten: Beethoven als einzige Norm erklären würde, an der alles gemessen würde), dann würde bereits Mozart uralt aussehen. Zig Sonaten, Klavierkonzerte, Sinfonien, Streichquartette von Mozart könnte man in der Luft zerreißen. - Hat schon jemand das zweite Thema in der Durchführung des Kopfsatzes von KV 550 wiedergefunden? Wohl nicht.


    Auch bei Schubert ist es wohl eher ein Nebeneinander von verschieden getönten Abschnitten, aus dem er "seine" Dramatik (die völlig anders geartet ist als die Beethovensche) bezieht. Bei Beethoven geht es eher um das Gegeneinander.


    Und wer wollte Brahms und Bruckner in Bezug auf thematische Verarbeitung vergleichen? Schönberg und Strauss?


    Ein "Problem", wie es in dem obigen Zitat genannt wird, ist es nur für den, der Beethoven als einzigen gültigen Maßstab hinstellt. Aber es gab und gibt andere Möglichkeiten, einen Sonatensatz zu komponieren, wenngleich das Beethovensche Modell natürlich bestechend ist.


    Die "Durchführung" des Kopfsatzes von Sibelius 4. Sinfonie enthält kaum thematische Arbeit - und doch ... was für ein genialer Sinfoniesatz ... :hello:

  • Also ich ganz persönlich mag Tchaikovsky viel lieber. Es liegt mir fern, hier eine objektive Skala anzulegen. Aber ich finde einfach, dass er es besser versteht, auf der Gefühlsklaviatur zu spielen. Ich spüre mehr Begeisterung, Emphase und Emotion.
    Und dafür höre ich Musik.
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Außer dem, was Wolfram anspricht, nämlich dass man, zumal in der Spätromantik, kaum eine Methode, Sinfonien zu komponieren als alleinseligmachende, festlegen kann, besteht m.E. kein klarer Zusammenhang zwischen Emotionalität und Prinzipien, die möglichst vollständige Durchstrukturierung eines Werks im Sinne des "Alles aus Einem" fordern. Im Gegenteil könnte man vielleicht nicht völlig zu Unrecht, manchen Komponisten die mehr oder minder diesem Prinzip anhängen, ankreiden, emotional unterkühlt oder "verspannt" zu sein. Selbst wenn man das nicht tut, kann man durchaus einräumen, dass Tschaikowskys 6. nicht nur offener, sondern auch "stärker" emotional ist als Brahms' 1. oder 4. (Von der Problematik der 1. Brahms-Sinfonie, die gegen das "Alles aus einem"-Prinzip verstößt, weil sie, gerade beim emotionalen Umschwung, zwei externe Elemente, den Alphornruf und den folgenden Choral, einbringt, mal ganz abgesehen.)


    Ich habe auch Zweifel, dass man die bei Konstantin anklingende Idee, dass Emotionen "ehrlicher", jedenfalls nicht übertrieben oder "kitschig" sind, wenn die musikalische Faktur stark strukturiert ist (grob gemäß der Bach-Haydn-Beethoven-Brahms-Linie), verteidigen kann. Ich glaube, einige Zeitgenossen Beethovens fanden die Ausdruckskraft einiger seiner Stücke exzessiv. Punkt. Unabhängig davon, ob sie die außerordentlich strenge und schlüssige Machart wahrgenommen haben oder nicht. (Wobei für Hoffmann in seiner berühmten Rezension der 5. Sinf. der "Chaos-Vorwurf" durchaus mit einer Ignoranz gegenüber den Feinheiten des musikalischen Zusammenhangs bei Beethoven, den er anderen Kritikern ankreidet, korreliert.) Umgekehrt würden wir jedoch Stücke von zB Schubert oder Dvorak, die in einer wenig vereinheitlichten gereihten Form gehalten sind, nicht deswegen des unauthentischen emotionalen Ausdrucks verdächtigen.


    Ungeachtet dieser starken Zweifel am "DESHALB" weiter oben, kann ich einiges von diesem Eindruck nachvollziehen. Allerdings sogar bei Tschaikowskys 5. Sinfonie, bei der ein Thema des Finales offenbar eine Dur-Variante des "Mottos" ist, die mithin zumindest teilweise solche Einheitlichkeitskriterien durchaus erfüllt. Es ist nunmal kaum möglich, ein Werk, dass sich durch ein "Schicksalsmotto" mehr oder minder explizit in die Tradition solcher Werke wie Beethovens 5. stellt, völlig unabhängig von solch einer Traditionslinie zu betrachten. Und ich muss auch zugeben, dass ich Tschaikowskys 4. u. 5. Sinfonie daher musikalisch nicht besonders schlüssig und vielleicht auch deswegen emotional aufgesetzt finde. Seine Gestik ist hochemotional und grandios und daher vom Klischeehaften bedroht, zumal wenn man den Eindruck hat, dass zB eine triumphale Apotheose nicht irgendwie "erarbeitet" wurde.


    Aber das ist natürlich ebenfalls vom "Beethoven-Vorurteil" geprägt. Vielleicht ist es, ungeachtet der offensichtlichen Anspielung auf die Tradition einer "Schicksalssinfonie" unfair, so an Tschaikowsky heranzugehen. Beethoven arbeitet in gewisser Weise umgekehrt: Obgleich prägnant wird ein simples Motiv wie das Hauptthema der 5. Sinfonie eben erst durch seine Allgegenwart und die beinahe obsessive Dichte der Faktur zum "Schicksalsmotiv". Dagegen sind die Schicksalsmotive in Tschaikowskys 4. u. 5. vom ersten Auftreten an "semantisch aufgeladen" und unabhängig von der musikalischen Verarbeitung. Man kann aus guten Gründen meinen, dass Beethovens Vorgehen in gewisser Hinsicht "höherwertiger" ist, aber warum sollten alle so vorgehen?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und ich muss auch zugeben, dass ich Tschaikowskys 4. u. 5. Sinfonie daher musikalisch nicht besonders schlüssig und vielleicht auch deswegen emotional aufgesetzt finde. Seine Gestik ist hochemotional und grandios und daher vom Klischeehaften bedroht, zumal wenn man den Eindruck hat, dass zB eine triumphale Apotheose nicht irgendwie "erarbeitet" wurde.

    Hallo Johannes,


    gibt es dafür Verdachtsmomente in der Literatur oder sind das Deine persönlichen Reflexionen?


    Tjakovskij begeistert vor allem die Jugend, das könnte man dahin deuten, dass sie


    a) die technischen Tricks des Komponisten, Emotionen zu erzeugen, nicht durchschaut
    oder
    b) eine natürliche Aufnahmefähigkeit besitzt, die noch nicht durch allerlei theoretische Erwägungen gedämpft ist.


    Für mich gilt Alternative b), sowohl bei Tjajkovskij wie auch bei Brahms (ich trau´mich das zu sagen, weil ich weiß, dass farinelli gerade im Urlaub ist).

  • Moin, es soll wohl "aus der Mode" heißen, aber egal:


    Da muss wohl oder übel weniger das persönliche Empfinden als vielmehr die Statistik ran.
    Wer sind dazu besser geeignet als die Werbepartner, die Produkte anbieten, die das Werk Tschaikowskys verkaufen. Und wenn etwas nicht verkauft wird, dann wird es von der Artikelliste genommen.
    Ich habe jpc geprüft. Dabei gehe ich davon aus, dass bei Suchanfragen dort eine maximale Anzahl von zurückgegebenen Datensätzen (Datenbanksysteme funktionieren oftmals so) erlaubt ist. Ich schätze, hier sind es 1000 (siehe Haydn, Verdi und Mozart).
    Peter Tschaikowsky kommt auf 995, Brahms auf 998, Beethoven auf 999 Nennungen.
    Miaskowsky erzielt zum Vergleich auf schlappe 75, Ligeti 113 und selbst Sibelius kommt nur auf 497!
    Danach dürfte Tschaikowsky keinesfalls aus der Mode sein, oder?


    Gruß aus Kiel

  • Nein, das ist mehr oder weniger persönlicher Geschmack. Tschaikowskys 6. und besonders die 5. Sinfonie, das 1. Klavierkonzert und Schmankerl wie Capriccio italienne, Nussknackersuite oder Marche slave und Ouverture 1812 gehörten zu den ersten Klassikwerken, die ich als Teenager vor vielen Jahren kennengelernt habe, als meine Wahrnehmung sicher noch nicht durch zuviel Theorie getrübt (oder geschärft) war ;) Und ich war damals natürlich ziemlich begeistert davon.
    Das Violinkonzert und die 4. Sinfonie habe ich allerdings erst Jahre später kennengelernt und ich mochte sie von Anfang an nicht besonders. Da war ich dann durch Beethoven, Mozart, Brahms verdorben...


    Ich meine NICHT, dass Tschaikowsky es nicht "ehrlich" meinte, oder dass Hörer, die seine Musik schätzen, auf Kitsch reinfallen. Aber für mich funktionieren die Stücke nur noch in homöopathischen Dosen. Dabei habe ich nichts gegen emotionale Musik, oder gegen eher locker gefügte (zumal beides, wie ich oben versucht habe, deutlich zu machen, erst einmal nichts miteinander zu tun haben muss). Aber während mich Werke, die ich viel häufiger gehört habe als Tschaikowskys und mir eher selten auflege, wie etwa Schuberts 8., Beethovens 5. oder gar die kleine Nachtmusik, dann beim Hören doch wieder begeistern, ist es mir bei Tschaikowsks tatsächlich passiert, dass ich ein Stück wieder ausgeschaltet habe, weil es mir einfach abgeschmackt und nervig erschien.


    Ich will nicht im Detail wiederholen, was ich an anderer Stelle (1, 2, 3 dazu gesagt habe, in besagten Threads und anderswo finden sich noch mehr Diskussionsanstöße, auch von anderen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner