Franz Schubert – Kunstlieder modifiziert, arrangiert, manipuliert und verziert

  • Wenn er das meint, dann sei ihm das auch gerne geglaubt.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Der Sänger Dietrich Fischer-Dieskau lobt bei diesem Schubert-Lied die Genialität in der Konzeption. Dies hat wohl auch der geniale und umtriebige Violinist Daniel Hope entdeckt und bietet das Lied in instrumentaler Version an.
    Bei »Auf dem Wasser zu singen« (D774 op. 72 von 1823) denkt man natürlich zunächst an das von Schubert vertonte Stolberg-Gedicht. Dietrich Fischer-Dieskau schreibt dazu in seinem Buch »Auf den Spuren der Schubert-Lieder« folgendes »Vielleicht ist dies die prägnanteste unter den vielen Wasserstudien Schuberts«
    Das Notenblatt ist mit »Mäßig geschwind« überschrieben, eine Anweisung, die einen gewissen Spielraum bei der Interpretation zulässt.


    Daniel Hope, 1974 in Durban geboren, begann bereits mit vier Jahren das Violinspiel und kam mit seiner Familie von Südafrika über Paris nach England, wo er studierte – unter anderem auch bei Yehudi Menuhin, der ihn auch nach seinem Studienabschluss unterstützte.
    Meine Aufmerksamkeit wurde geweckt, weil Daniel Hope im Rahmen des »HEIDELBERGER FRÜHLING« am 17. März 2013 ein Konzert gibt und zwei Schubert-Lieder auf dem Programm stehen, das zweite Stück ist »An die Musik«
    Hope ist ein äußerst vielseitiger Musiker und hat keinerlei Berührungsängste mit anderen Genres, sein Repertoire ist außergewöhnlich.
    Seine »Homage á Joseph Joachim« beinhaltet Werke, die in irgendeiner Form mit einem der wichtigsten Violinisten der Romantik zu tun haben.


    Zumindest die drei Minuten für »Auf dem Wasser zu singen« sollte sich der Schubert-Freund gönnen.

  • Die Aufnahme ist bei a..... nicht mehr mit Cover sichtbar. Anmerkung moderato


    Es hat ja im Forum schon Diskussionen darüber gegeben, ob die Gitarre dem Schubert-Lied angemessen sei, was zumindest bei der »Winterreise« für Irritationen sorgte. In diesem Falle hat Raphaella Smits zwei Lieder aus »Schwanengesang«, nämlich »Ständchen« und »Liebesbotschaft« herausgesucht.

    Raphaella Smits ist 1957 in der Nähe von Antwerpen geboren und studierte an den Konservatorien in Antwerpen und Brüssel. 1986 gewann sie als erste Frau den renommierten »Certamen International de Guitarra Francesc Tárrega«
    Das ist ein Wettbewerb für klassische Gitarre, der seit 1967 in der spanischen Kleinstadt Benicàssim zu Ehren des Komponisten Francisco Tárrega stattfindet.

    Auf der vorgestellten CD spielt Raphaella Smits zwei Schubert-Lieder nach einem Arrangement nach J.K. Mertz (1806-1856). Mertz war ein österreichischer Komponist und Gitarrist der Romantik. Eine Druckschrift aus dieser Zeit ist mit „SCHUBERT´SCHE Lieder“ überschrieben und in der Schnörkelornamentik sind die Liedertitel: Lob der Thränen / Aufenthalt / Liebesbotschaft / Ständchen / Die Post / Das Fischermädchen – eingedruckt, und dann heißt es: für die Guitare übertragen von J.K. Mertz.

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    Theo


  • Weilt man in Schuberts Geburtshaus in der Nußdorfer Straße in Wien, dann ist das schon etwas Besonderes, auch wenn Schubert dort nur viereinhalb Jahre verbracht hat, denn hier ist das Gemäuer tatsächlich absolut authentisch.
    Mir war es bisher dort nur vergönnt Musik als Konserve zu hören; nun findet sich auf dieser CD der Mitschnitt einer Aufführung, die an diesem historischen Ort im Juli 2002 stattgefunden hat.
    Die Protagonisten sind Yvonne Timoianu (Violoncello) und Alexander Preda (Klavier).
    Im Rahmen dieses Threads kam das Violoncello als Ersatz der Singstimme schon einmal zum Einsatz (siehe Beitrag Nr. 72), hier waren es vierzehn Schubertlieder, bei dieser CD sind es bescheidene drei, nämlich: Der Wanderer D 489 / Rastlose Liebe D 138 / Wanderers Nachtlied D 768.
    Der Booklettext weist darauf hin, dass diese drei Lieder erstmals in der Cello-Fassung aufgeführt und aufgenommen worden sind.
    Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass bei diesen beiden CDs die „Lieder ohne Worte“ durch die Sonate für Arpeggione und Klavier in a-moll, (D 821) flankiert werden. Yvonne Timoianu und Alexander Preda studierten an der Musikakademie Bukarest und an der Hochschule „Mozarteum“ in Salzburg. Yvonne Timoianus wichtigsten Lehrer waren: Serafim Antropov, Stefan Popov und Mstislav Rostropowitsch. Das 7-seitige Booklet ist zweisprachig (D/E).

  • Die Eingabe der Nummer bei a.... gibt keine Ergebnisse. Anmerkung moderato


    John Knittel: »Alt ist man dann, wenn man an der Vergangenheit mehr Freude hat, als an der Zukunft.«


    Wer möchte sich schon so negativ dargestellt sehen? Man muss fortschrittlich sein und zeitgemäß denken, also hört man einmal hinein ins Zeitgemäße, man darf das alles nicht so eng sehen. Wenn CLASSIC drauf steht, muss auch Klassik drin sein und wer wollte bestreiten, dass da auch Schubert dazu gehört? Auch wenn hier nur ein einziges Stück von Franz Schubert drauf ist, es gehört zum Threadthema.
    Hier hat man ein Potpourri zusammengerührt, das vom Prinzip her vieles enthält, was das Herz des Klassikfreundes erwärmt. Gleich nach Mozarts Klarinettenkonzert KV 622 kommt der Triumphmarsch aus Aida und in diesem illustren Umfeld darf natürlich das »Ave Maria« nicht fehlen; es werden deren gleich zwei angeboten: Das Schubertsche und das von Bach-Gounod.
    Das Resümee? Ich bin alt!


  • Eine Winterreise mit 25 Liedern? Ja, auch das gibt es; offensichtlich reizt es oft, etwas Neues zu bringen. Also hat man den 24 Liedern des Zyklus eine Drehleier-Version des »Leiermann« (1:24) vorangestellt, bevor der eigentliche Zyklus beginnt, wobei das Cello den Part der Singstimme übernimmt.
    Ganz neu ist das im Thread nicht; schon im Beitrag Nr. 72 vom 6. Dezember 2012 wurde mit der CD »Songs without Words« ein ähnliches Projekt vorgestellt, wobei Maisky / Hovara in ihrer Schubert-Präsentation nur zwei Lieder aus der »Winterreise« spielen, nämlich »Täuschung« und »Der Leiermann«.
    Wilhelm / Roloff bieten die gesamte »Winterreise«, die zunächst einmal durch die optische Gestaltung der CD ins Auge fällt. Von der Bookletgestaltung bin ich sehr angetan (aber das ist wirklich eine ganz persönliche Sache). Aber so gut mir die Grafik auch gefällt, am Schluss ist eine schöne Zeichnung mit einem Mann, der den Leierkasten dreht … Fischer-Dieskau machte darauf aufmerksam: »es handelt sich um die ältere Form der Leier und nicht etwa den Leierkasten!«
    Der Text bietet ansonsten einige gute Informationen, aber keine Liedtexte, wohl mit dem Argument, dass ja auch nicht gesungen wird …
    Stattdessen findet man etwas kurios anmutende Texte zum Beispiel bei den Danksagungen, die sehr ins Detail gehen. Es werden wirklich alle genannt, die an der Entstehung dieser CD in irgendeiner Weise beteiligt waren: Die Eltern, die Lehrer, die Professoren etc. sogar den Wirtsleuten Ulrich und Magda Kusterer vom Landgasthof Kreuz in Kirchheim/Schwaben, wird für Wohnung und den besten Zwiebelbraten gedankt …
    Der Cellist Wladimir Maria Wilhelm hat – dem Booklet zufolge – offensichtlich einen breit gefächerten beruflichen Werdegang, aber Cellounterricht bei verschiedenen Lehrern gehabt und auch an einem Meisterkurs von Mischa Maisky teilgenommen.
    Der Pianist Johannes Roloff wurde ab dem sechsten Lebensjahr von seiner Mutter unterrichtet, der Pianistin Ingeborg Rolloff-Robiller, daran schlossen sich weitere Studien an.
    Wenn man nun die beiden Stücke »Täuschung« und »Der Leiermann« von Maisky / Hovora mit der Einspielung von Wilhelm / Roloff vergleicht, bemerkt man, dass das bei Maisky / Hovora ein klein wenig langsamer über die Bühne geht, auch ein klein wenig schöner, wie man subjektiv wohl feststellen darf.
    Wer den Cello-Ton besonders schätzt, hat mit Wilhelm / Roloff die ganze »Winterreise« - Spieldauer 72:22.


  • Der dänische Bariton Bo Skovhus singt auf einer kombinierten CD Lieder von Schubert und Schumann mit Orchester. Da es in diesem Thread ausschließlich um Schubert-Lieder geht, sei auch nur auf diese eingegangen.
    Immer wieder wird die Frage aufgeworfen, ob es notwendig sei Schubert-Lieder zu orchestrieren und man hat schon viele Argumente für und gegen diese Praxis gehört und gelesen. Zu der hier vorgestellten CD wird gesagt, dass die Komponisten der Nachbearbeitungen Schubert nicht „verbessern“ wollten, sondern dass sie vor allem die Vielfarbigkeit des Orchesters reizte.
    Es sind auf dieser CD zehn Schubert-Lieder. Die ersten neun Stücke auf dieser Liste sind weitgehend durch andere Einspielungen bekannt, »Der Taucher« wird jedoch in dieser Aufnahme von 2006 als Weltersteinspielung bezeichnet, ein Melodram von immerhin 22:08 Minuten Dauer.


    Ständchen (Felix Mottl)
    Im Abendrot (Max Reger)
    An die Musik (Max Reger)
    Die Forelle (Benjamin Britten)
    Ihr Bild (Anton Webern)
    Memnon (Johannes Brahms)
    An Schwager Kronos (Johannes Brahms)
    Promotheus (Carl Nielsen)
    Erlkönig (Hector Berlioz)
    Der Taucher (Karl Aage Rasmussen)


    Karl Aage Rasmussen (*1947) ist ein dänischer Komponist und Schriftsteller, der von Bo Skovhus gebeten wurde, den „Taucher“ zu orchestrieren. Rasmussen hatte ja bereits die nur als Fragment hinterlassene Schubert-Oper »Sakontala« (D701) vervollständigt

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    Man hält es kaum für möglich, was heutzutage so alles produziert wird. Der Mann vergreift sich auch an anderen Komponisten und ist sogar in die Phalanx der typischen Frauenstimme eingedrungen und gibt auf seine unnachahmliche Art auch Schumanns Zyklus »Frauenliebe und -Leben« zum Besten...
    Vielleicht wäre das die Idealbesetzung für den Tannhäuser in der Rheinoper zu Düsseldorf...

  • Ich will doch nicht hoffen, dass diese (unfreiwillige?) Parodie ein typisches Produkt unserer Zeit ist...


    :hahahaha:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Zitat

    Ich will doch nicht hoffen, dass diese (unfreiwillige?) Parodie ein typisches Produkt unserer Zeit ist...


    Nein, das ist es natürlich nicht. Aber um das aufzuzeigen, hätte man sich ein wenig detaillierter und vor allem gründlicher auf dieses jämmerliche Produkt einlassen müssen, anstatt es nur mit einem kurzen Kommentar hier einfach nur coverbildmäßig hier einzustellen.
    Noch besser freilich wäre es gewesen, wenn man das ganz gelassen hätte. Denn diese CD verdient keine Publizität hier in diesem Forum!


    Ich habe so etwas von Liedgesang in meinem ganzen Leben noch nicht gehört. Selbst wenn Onkel Gustav beim Familienfest ein Schubertlied zum besten gab, war er intonationsicherer als dieser José Carlos Santos Silva. Außerdem konnte er die Texte wenigstens einigermaßen deutsch artikulieren.
    Man höre sich einmal an, - ohne Stimme, ohne den Ton zu treffen und in jämmerlichem Trauermarschtempo: "Die liiienden Lüüifte siind erwaacchde...". Es ist schlechterdings nicht zu fassen!


    Nein, - dieses Produkt ist mehr als ein schlechter Witz. Selbst wenn es eine Parodie auf den Liedgesang sein sollte, wäre es dazu völlig untauglich, weil zu schlecht gemacht.
    Mein erster Gedanke war, als ich da reinhörte: Produzent und Tonmeister müssen stockbetrunken gewesen sein. Anders wäre diese CD nie auf den Mark gekommen.

  • Nein, das ist es natürlich nicht. Aber um das aufzuzeigen, hätte man sich ein wenig detaillierter und vor allem gründlicher auf dieses jämmerliche Produkt einlassen müssen, anstatt es nur mit einem kurzen Kommentar hier einfach nur coverbildmäßig hier einzustellen.


    Normalerweise kenne ich CDs, die ich hier einstelle bestens und schreibe dann auch entsprechende Informationen dazu. Entschuldigung! - aber in diesem Falle konnte ich mich aufgrund der gehörten "Hörschnipsel" nicht zum Kauf entschließen, schließlich kann man sein Geld für Besseres einsetzen.
    Allerdings bin ich schon der Meinung, dass eine solche extreme Schubert-Darbietung rein informativ in diesen Thread gehört.

  • Aber nein! Wenn sich da einer zu entschuldigen hätte, dann wäre es der Produzent, - und zwar dafür, dass er ein solches Machwerk auf den Markt gebracht hat.


    Was man da zu hören bekommt, ist nicht etwa so etwas wie problematischer Liedgesang, also z.B. eine Interpretation, die die Lieder stimmlich mit Sentimentalität auflädt. Nein, das ist überhaupt kein Gesang mehr, weil dieser Mensch nicht nur über keine hinreichend ausgebildete Stimme verfügt, sondern auch das Material, das ihm zur Verfügung steht, nicht einzusetzen vermag. Alles, aber wirklich alles, was ein Sänger zur Liedinterpretation benötigt, ist hier nicht vorhanden.


    A propos „Hörschnipsel“: Mehr als das kann man ganz einfach nicht hören, ohne Gefahr zu laufen, eine Magenverstimmung davonzutragen.


  • Es irritiert schon etwas, wenn der Dichtername vor dem des Komponisten steht, aber dem gesprochenen Wort wird auf diesen zwei CDs ein besonderer Platz eingeräumt.
    Der mehrfach preisgekrönte Schauspieler Xaver Hutter, der auch in einer ARD-Produktion mal Mozart verkörperte, spricht hier alle Texte der Winterreise und ist durchaus engagiert bei der Sache, aber hat natürlich nicht die Ausdrucksmöglichkeiten eines Sängers. Nun, an Stelle der Gesangsstimme tritt hier das Cello.
    Die Plattenaufnahme vom 30. Juli 2008 beginnt mit Beifall im Saal des Schnopfhagen Stadl zu Oberkirchen in Österreich und endet mit Beifall nach dem letzten Lied »Der Leiermann«.
    Der Ablauf ist so, dass der Schauspieler den jeweiligen Lied-Text spricht, danach wird die Musik zu dem vorgegebenem Text gespielt - Klavier und Cello. Dann wird der nächste Text gesprochen usw.
    Aus dem 38-seitigen Booklet möchte ich folgendes zitieren:
    »Auf eine Umfrage der Vossischen Zeitung in Berlin im Jahre 1928 antwortete Albert Einstein: "Zu Schubert habe ich nur zu bemerken: Musizieren, lieben - und Maul halten!"
    Daran hält sich Martin Rummel und spielt sich "seine Winterreise". Gönnt sich die noble Geste den Text vorangehen zu lassen, um hinterdrein doch den gewissen Schritt weiter zu sein. Eine Art Relativitätstheorie? Bei Schubert ist nichts relativ. Absolut nichts.«

    Und etwas weiter im Booklet-Text heißt es dann:
    »Warum ich diesen Zyklus so aufführe? Einerseits aus purer Liebe zum Werk und erfühlter Seelenverwandtschaft mit seinem Verfasser. Und andererseits, weil so meiner Meinung nach eine vollkommen neue Sicht auf den Text, der immer noch hochmodern ist, und die Musik, die ohne die gleichzeitige Konzentration auf den Text einen ganz anderen Stellenwert bekommt, möglich ist.«

    Da kommt es wohl auch etwas darauf an, wer diese CDs hört. Der gesprochene Text mag vielleicht für jemand interessant sein, der die »Winterreise« nicht kennt; wer das gesungene Werk in vielen Exemplaren im Regal stehen hat, bedarf dieser Hilfestellung nicht, ich finde die Trennung von Text und Musik eher störend und es kommt mir so vor, dass sich jemand wichtigmacht, der eigentlich bei der Veranstaltung nichts zu suchen hat.
    Wie sehr mir die klassische Originalversion mit Sänger und Pianist / Pianistin fehlt, wird bei dem Stück »Das Wirtshaus« besonders deutlich, das in dieser Aufnahme einiges an Sensibilität vermissen lässt.
    Für Interessierte sei noch angemerkt, dass der in Wien geborene Cartoonist Rudi Klein für die optische Gestaltung dieser CD verantwortlich zeichnet. Alle Texte im Booklet sind in Englisch und Deutsch dargestellt.


  • Diese CD trägt das Signet von Radio Bremen und Professor Friedhelm Döhlal ist schon einige Jahre als Komponist und Pädagoge unterwegs, so darf man davon ausgehen, dass diese Aufnahme in keinem Hinterhof entstanden ist.


    Gegen die Musizierenden ist nichts zu sagen, aber es bleibt festzustellen, dass man hier »Winterreise« in Minimalform angeboten bekommt.
    Da sind einmal Bruchstücke zur Winterreise für Klavier, die im Booklet so vorgestellt werden:
    »Die "Bruchstücke zur Winterreise" entstanden in memoriam Karlheinz Pinhammer, der am 2. Mai 1985 tödlich verunglückte. In seinem letzten Konzert stellte Pinhammer Schuberts "Winterreise" und meinen Hölderlin-Zyklus "... wenn aber...", den ich 1969 als "eine andere Winterreise" imaginiert hatte, nebeneinander.«


    In einer anderen Publikation sagt Friedhelm Döhl zu seinem Werk:
    »1982 kam ich von Basel nach Lübeck. An der Musikhochschule war als Gesangsprofessor Karl-Heinz Pinhammer. Dieser hatte - vielleicht veranlaßt durch meinen früheren Kommentar - die Idee in einem Konzert meine Hölderlin-Fragmente mit Schuberts "Winterreise" zu verbinden. Das geschah am 5. März 1985 im Kieler Schloß, mit Manfred Fock am Klavier. Wenig später hatte Pinhammer einen tödlichen Unfall. Nach dem Tod Pinhammers verfolgten mich Momente der Schubertlieder, kreisten als Bruchstücke manisch in meinem Kopf. Ich befreite mich, indem ich sie niederschrieb - nur für Klavier ohne Gesang. Ich schickte sie dann Manfred Fock, dem Klavierbegleiter und Freund Pinnhammers, der die "Bruchstücke" dann als Komposition ernst nahm und mehrfach spielte. Sie erschienen später bei Breitkopf als "Bruchstücke zur Winterreise".
    Schuberts Lieder gelangten bei mir auf das Notenpapier nur als "Bruchstücke" ihrer selbst. Das schubertsche Material wurde einerseits kaum verändert. Andererseits wurde es radikal umfunktioniert, indem es quasi skelettiert wurde auf kleinste Bestandteile ("Deccolage") und im Charakter extrem zugespitzt wurde, - zu "offenen Wunden".«


    Es handelt sich um die Lieder:
    Gute Nacht
    Einsamkeit
    Der greise Kopf
    Die Krähe
    Im Dorfe
    Der Wegweiser
    Der Leiermann


    Die »Lübecker Nachrichten« schreiben am Mittwoch, 20. Januar 2010 zu einer Aufführung:
    »Zum Experiment — wie so häufig bei Musik aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts — gerieten Friedhelm Döhls „Bruch¬stücke zur Winterreise". Die für das klassisch geschulte Publikum ungewohnte Tonmalerei spielt mit Assoziationen der bekannten Lieder von Schuberts gleichnamigen Liederzyklus. Die Schwierigkeit, die zahlreichen Andeutungen, Zitate und Fragmente hörbar zu machen, meisterte Manfred Fock problemlos.«


    Aus meiner ganz egoistischen »Vokalsicht» ist das interessanteste dieser »Bruchstücke« der Hinweis auf den Bariton Professor Karl-Heinz Pinhammer (1936-1985). Pinhammer studierte in Berlin unter anderem auch bei dem berühmten Tenor Walther Ludwig. Es ist höchst verwunderlich, dass so ein Sänger keinen größeren Bekanntheitsgrad erreichen konnte. Gott sei Dank ist der Nachwelt eine »Winterreise« in Bild und Ton erhalten geblieben, die das Konzert vom 5. März 1985 wiedergibt. Wer wissen möchte was Stimmkultur bedeutet, höre sich seinen »Leiermann« an ...


    YouTube: Schubert: Winterreise - Karl-Heinz Pinhammer (Bariton) - Manfred Fock (Klavier)
    Aber auch die Döhlschen »Bruchstücke zur Winterreise« - Dauer 7:56 - kann man sich auf YouTube zu Gemüte führen: Döhl - Bruchstücke zur Winterreise

  • Dankenswerterweise hat hart darauf aufmerksam gemacht, dass man diese „Bruchstücke zur Winterreise“ von Friedhelm Döhl bei Youtube hören kann. Ich hab´s getan. Und …?


    Na ja! Hart scheut sich zwar – wie immer – , die von ihm vorgestellten CDs zu kommentieren, weil er – was zu respektieren ist – sich primär als „Anzeigender“ versteht. Ich aber scheue mich nicht, hier im Forum von mir zu geben, was ich von derlei Machenschaften im Umgang mit Schuberts Liedern halte. Zumal mir der Respekt, den hart in der Diktion seines Beitrags anscheinend diesem Herrn Döhl und seinem Professoren-Titel gegenüber an den Tag legt, gänzlich abgeht.


    Was mir beim Hören dieses Verhackstückens des Klaviersatzes der „Winterreise“ wie ein Blitzeinschlag wieder ins Bewusstsein trat, das ist die geradezu erstaunliche musikhistorische Modernität, die einem in diesem Werk begegnet. Die Liedmusik Schuberts verbleibt zwar weiterhin in der für ihn so typischen Textgebundenheit, aber sie erreicht einen Grad von musikalischer Autonomie, wie man ihr ansonsten nur noch in seinen Heine-Liedern begegnet. Schubert handhabt die Harmonik in geradezu kühner Weise, - in der Arbeit mit Chromatik, die vor dem Einsatz der Dissonanz nicht zurückschreckt und sich nicht scheut, an die Grenze der Tonalität zu gehen.


    In Schuberts „Winterreise“ begegnet man tatsächlich, lange vor dem liedkompositorischen Verlassen der Tonalität, wie sie sich bei Berg, Schönberg und Webern ereignet, dass erstmals die Tonalität als alleinige musikalisch sinnstiftende Grundlage von Liedkomposition zwar nicht negiert, aber zumindest doch infrage gestellt wird.


    Die Erinnerung daran ist aber auch das Einzige, was ich diesem Machwerk von Friedhelm Döhl als Sinn abzugewinnen vermag. Warum man Teile aus dem Klaviersatz der Winterreise herausnimmt und sie beim Vortrag in geradezu schroffer Weise abreißen lässt, sie also tatsächlich verhackstückt, und dem auf der Bühne auch noch bedeutungsschwanger hinterherblickt, …
    ich vermag damit nichts anzufangen, halte das schlicht für letztendlich belangloses Zeug.

  • Na ja! Hart scheut sich zwar – wie immer – , die von ihm vorgestellten CDs zu kommentieren

    Zitat

    Aus meiner ganz egoistischen »Vokalsicht» ist das interessanteste dieser »Bruchstücke« der Hinweis auf den Bariton Professor Karl-Heinz Pinhammer.


    Na ja, bei etwas gutem Willen könnte man da schon etwas herauslesen ...
    Aber zugegeben, Dein Kommentar war klarer und eindeutiger herausgearbeitet, aber ich verstehe zu wenig von Komposition, um hier das große Wort führen zu wollen oder zu können.

  • Mein erster Gedanke war, als ich da reinhörte: Produzent und Tonmeister müssen stockbetrunken gewesen sein. Anders wäre diese CD nie auf den Mark gekommen.


    Es gibt auch eine andere Möglichkeit.
    Vielleicht wollte man der Florence Foster Jenkins ihren bescheidenen Ruhm als schlechteste Sängerin der Welt nicht gönnen.


    Der Angriff ja auch gelungen, denn die noch hörbaren Gesangsansätze bei Frau Jenkins sind bei Herrn José Carlos Santos Silva erfolgreich eliminiert.
    Da kann man nicht einmal mehr den etwas modifiziert ursprünglich auf Frau Jenkins gemünzten Scherz anbringen, Herr Silva habe sich nicht von den Intentionen des Komponisten einschüchtern lassen, ganz einfach deswegen, weil man den Komponisten nicht wiedererkennt.

  • Zit: "bei etwas gutem Willen könnte man ..."

    Bitte meine Beiträge zu Deinem höchst sinnvollen und nützlichen Thread nicht persönlich nehmen, lieber hart!
    Sie verstehen sich ganz einfach als Ergänzung zu dem, was Du hier jeweils ausgeführt hast. Ergänzung im Sinne von Deutlichkeit im Urteil über den Sinn und den Nutzen einer CD-Produktion, die Thematik dieses Threads betreffend.
    Denn wir sind uns ja doch in diesem Fall - wie in den meisten anderen Fällen auch - einig. Nur unterscheiden wir uns in der Art und Weise, wie wir damit hier im Forum stilistisch-beitragsmäßig, im journalistischen Gestus sozusagen, umgehen sollten.
    Ich bin da eher für Klartext. Und stoße mich dabei allzu oft - und bedauerlicherweise! - mit Deiner dezent-vornehmen Art.

  • j


    Eine Art Booklet, bestehend aus einem vierfach gefalteten Blatt, stimmt den geneigten Hörer mit folgendem Text auf diese CD ein:


    »Herbst 1998. Nasskaltes Wetter. Wolken und dichter Nebel tauchen die Welt in ein trübes Licht. Am Abend eines solchen Tages kommen vier Musiker in einer Gastwirtschaft zusammen, um bei einem Glas Wein über neue Projekte nachzusinnen. Der ältere Herr am Nebentisch, altmodisch und etwas heruntergekommen gekleidet, fällt ihnen erst auf, als er sich zu ihnen setzt und um ein wenig Aufmerksamkeit bittet. Er habe da so eine Idee... Ja, es sei sogar sein Auftrag, ihnen dieses Material zu überreichen. Aus einer Aktentasche zieht er eine vergilbte Mappe hervor und legt sie vor die erstaunten Musiker auf den Tisch. Es sei ein bekannter Komponist, von dem das stamme. Und er habe im Alter den Wunsch geäußert, dass seine Musik bei künftigen Generationen lebendig sein möge. Sie könne ruhig ein wenig geändert, gegebenen Verhältnissen angepasst werden, solange nur der ihr eigene Geist gewahrt werde. Erst kürzlich seien diese Papiere auf irgendeinem Dachboden gefunden worden. Neugierig öffnen die vier die geheimnisvolle Mappe. Sie finden vergilbte Notenblätter mit Liedern aus Schuberts Winterreise, arrangiert für ein Quartett aus zwei Bläsern, Bass und einem Harmonieinstrument. Dazu einige lose Blätter mit handschriftlichen Notizen.
    "Lasst Euch von dieser Musik inspirieren und findet mit Euren Mitteln der Improvisation eigene musikalische Gedanken, die Ihr hie und da gerne hinzufügen könnt."
    "Die Sänger sollen darauf achten, dass die ursprüngliche Schlichtheit und Natürlichkeit der Lieder gewahrt bleibe...; erwägt außerdem die Möglichkeit, einige der Lieder von einer Sängerin vortragen zu lassen, da die Inhalte nicht nur von einer männlichen, sondern von der allgemeinen menschlichen Seelennot handeln."
    "Man möge sich bald wie zu Schuberts Zeiten zu einer Schubertiade einfinden, um das Ergebnis der neuen Bemühungen vorzutragen."
    Der ältere Herr vom Nebentisch hatte die Gastwirtschaft unbemerkt verlassen. Fragen waren also nicht mehr möglich.«


    Und so sehen wir betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen ...


    Zunächst zu den Fakten. Erfreulicherweise wird hier nicht die gesamte Winterreise angeboten, sondern nur die Hälfte der 24 Lieder des Originalzyklus.
    Die Auflistung der Stücke präsentiert sich so:


    Winterreise
    Gute Nacht
    Erstarrung
    Die Wasserflut
    Krähenflug
    Die Krähe
    Auf dem Flusse
    Die Post
    Im Dorfe
    Einsamkeit
    Ausschau
    Rückblick
    Gefrorene Tränen
    Der Wegweiser
    Der Leiermann


    Der Winterreise-Kenner reibt sich da etwas verwundert die Augen: Winterreise? Die Wasserflut? Ausschau?
    Die Liedtexte sind typografisch nicht optimal dargestellt und in Deutsch und Englisch auf optisch unruhigem Untergrund abgedruckt. Hier steht dann auch richtigerweise »Wasserflut« und nicht »Die Wasserflut«, wie auf der Rückseite der CD.


    Für die musikalische Bearbeitung zeichnet der 1962 in Stuttgart geborene Michael Kiedaisch verantwortlich; er studierte an der Hochschule für Musik in Stuttgart, Hauptfach Schlagzeug. Zunächst war er als Schlagzeuger in diversen Bands der süddeutschen Jazzszene aktiv. Seinem Lebensmotto nach interessiert er sich für das breite Spektrum der musikalischen Welt und will sich nicht auf eine bestimmte Spielform festlegen. Ja, Unverbindlichkeit ist immer ein einfaches Rezept, da bieten sich Freiräume für fast alles an ...


    Einerseits kann man einem Musiker nicht »verbieten« alles Mögliche auszuprobieren, andererseits habe ich aber auch als »Musikkonsument« die Freiheit nicht alles anhören zu müssen. Aber um eine persönliche Auswahl treffen zu können, muss man sich in einem breiten Spektrum erst einmal umhören, damit man nichts verpasst. Nun wäre es natürlich unangebracht eine solche Einspielung mit einer Fischer-Dieskau-, Goerne- oder Gerhaher- Aufnahme zu vergleichen. Aber wenn ich schon einmal von der rein klassischen Form abweichen möchte, dann sind für mich die Aufnahmen von Hans Zender (siehe Beitrag 2), Yuri Honing / Nora Mulder (Beitrag 21) oder auch Franui (Beitrag 89) weit wertvoller.


    Die Interpreten dieser modifizierten Winterreise sind:
    Grace Davidson, Jan Holbein - Stimmen
    Michael Kiedaisch - Marimba, Vibraphon, Steeldrum, Percussion, Bearbeitung
    Mike Svoboda - Posaune, Bassflügelhorn, Gartenschlauch
    Eberhard Hahn - Saxophone, Flöten, Bassklarinette, Klarinette
    Wolfgang Fernow - Kontrabass


    Die im Vorspann genannte Bedingung: »Die Sänger sollen darauf achten, dass die ursprüngliche Schlichtheit und Natürlichkeit der Lieder gewahrt bleibe... « wurde voll erfüllt, mehr Schlichtheit ist kaum möglich!
    Akustische Informationen zu dieser Aufnahme können per »Hörschnipsel« bei jpc abgerufen werden, das erspart mir eine weitergehende Beschreibung dieser »Schubertiade«.

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  • Ich habe mir ja fest vorgenommen, mich nicht mehr aufzuregen über all den Unsinn, der mit Schuberts "Winterreise" angestellt wird. Aber jedes Mal, wenn ich in eine neue Produktion dieser Art hineinhöre, ist der Ärger wieder da.
    Man kann sich ja durchaus kreativ-kompositorisch mit Schuberts Werk auseinandersetzen, - wenn man - und das ist der entscheidende Punkt dabei - versucht, mittels eines neuen Arrangements und einer spezifischen Instrumentation seinen Geist, die musikalische Aussage also, zu wahren und ihr neue Dimensionen abzugewinnen. So hat das etwa Hans Zender versucht, auf den hart in diesem Zusammenhang zu Recht aufmerksam macht.


    Aber in den allermeisten Fällen begegnet man bei solchen Produktionen genau dem Gegenteil: Einer regelrechten Perversion der musikalischen Aussage des Originals. Wenn beispielsweise - wie das hier das Fall ist - die Singstimme bei dem Lied "Die Krähe" von den Klängen einer Bassklarinette(?) und eines Marimbaphons zärtlich umspielt wird, ist die Einsamkeit des Wanderers, die sich im Ansprechen der Krähe artikuliert und die vom Klaviersatz mit seinen befremdlich flatternden Sechzehntel-Figuren akzentuiert wird, im wahrsten Sinne des Wortes weggeblasen. Das ist wehleidige, in weiche Klanglichkeit eingebettete Melodik, - meilenweit weg von der trostlos-einsamen Kühle des Schubertliedes .
    Eine Perversion eben!


  • Der Tenor Daniel Behle bedient mit seinen beiden Winterreise-Einspielungen sowohl konservative als auch fortschrittliche oder experimentierfreudige Musikfreunde.
    Rein technisch betrachtet ist festzustellen, dass die Version mit Klavierbegleitung 60:05 und die Trio-Begleitung 65:51 Minuten dauert.


    Zweimal hatte ich den Sänger bisher in Live-Konzerten erlebt und ganz besonders klingt mir noch sein »Der Hirt auf dem Felsen« (D 965) im Ohr und ich fürchtete, dass er die Winterreise vielleicht etwas »zu schön« singen könnte - aber er singt sie einfach gut; gemeint ist damit mein subjektiver Eindruck, dass Behle über eine Auswahl von Stimmfarben verfügt, die notwendig sind, diesen Zyklus zu singen.


    Aber der zentrale Dreh- und Angelpunkt dieser beiden CDs ist wohl der, dass hier neben der allgemein üblichen Klavierbegleitung bei der einen Aufnahme, noch eine Zugabe der besonderen Art erfolgt, wobei ansonsten Zugaben nach einer Winterreise im Konzertsaal nicht üblich sind.


    In der zweiten Aufnahme wird Behles Singstimme vom OLIVER SCHNYDER TRIO - bestehend aus Andreas Janke, Violine / Benjamin Nyffenegger, Violoncello / Oliver Schnyder, Klavier - begleitet.
    2012 debütierte das Oliver Schnyder Trio in der Tonhalle Zürich und legte kurz darauf seine erste CD mit den Klaviertrios von Franz Schubert vor.


    Die »Opernwelt« schreibt zu dieser Winterreise-CD:
    »Das Klavier bleibt grosso modo Mit-Erzähler, Violine und Cello weiten den Klangraum und unterstreichen gleichzeitig Motivverbindungen wie mit einem Marker, stellen die strukturelle Vernetzung des Zyklus dar. Außerdem lesen sie quasi zwischen den Zeilen, leuchten in den Seelenraum, drängen gelegentlich ins Surreale.«


    Diesen CDs ist ein relativ umfangreiches Booklet von 59 Seiten - D / E / F - beigegeben. In diesem Büchlein findet man auch ein Interview, das Jürgen Kesting mit Daniel Behle führt; und hier wird nicht nur ein Sänger, sondern auch ein Komponist befragt, denn Behle hatte zunächst Schulmusik, Posaune und Komposition studiert, aber nach eigener Aussage war er als Komponist und Posaunist eher weniger begabt.


    Im Booklet-Interview wird der Sänger und Komponist gefragt:
    »Es gibt neben der Bearbeitung Zenders, viele andere. Sie, Herr Behle, haben Komposition studiert, bevor Sie die Laufbahn eines Sängers eingeschlagen haben. Was hat Sie veranlasst, Schuberts Zyklus zu bearbeiten oder, genauer gesagt, für ein Klavier-Trio einzurichten?«
    Behles Antwort auf diese zentrale Frage:
    »Die Möglichkeiten eines Klaviertrios sind für eine feine unaufdringliche Bearbeitung eines Liederzyklus prädestiniert. Jede kammermusikalische Konstellation ohne Klavier führt zwar zum selben Ergebnis in anderer Farbe, verliert aber meist gegen die Kraft des Originals. Ich halte Die Schöne Müllerin und die Winterreise für komplementäre Werke - den zweiten Zyklus fototechnisch gesprochen als ein "Negativ" der Schönen Müllerin. Deshalb war es wichtig für mich, den Weg nach "Innen" weiter zu gehen. Das Violoncello und die Violine dringen, behutsam eingesetzt, tiefer in die Gefühlswelt des Reisenden ein. Sie setzen nicht nur lautmalerische Akzente, sondern ergänzen und bereichern sowohl den Gesangspart als auch die Stimme des Klaviers.«


    Das Booklet enthält neben diesem Interview, das hier nur in einem kleinen Ausschnitt wiedergegeben ist, auch einem essayistischen Text des bekannten Schweizer Schriftstellers Alain Claude Sulzer. Dieser Sulzer ist in musikinteressierten Kreisen bereits durch seine Novelle »Annas Maske« bekannt, die vom Tode der Sängerin Anna Sutter handelt.
    In diesem Text wird die düstere Kirche beschrieben, in der Franz Schuberts Leichnam eingesegnet wurde und Schuberts Ende bei seinem Bruder in der Kettenbrückengasse.
    Über Wilhelm Müller, den Textdichter der Winterreise, erfährt man nicht nur von dessen ausgedehnten Reisen. Es werden auch Zweifel abgedruckt die infrage stellen ob Wilhelm Müllers Frau den Tod ihres Gatten der Nachwelt wahrheitsgemäß überliefert hat. Auch hierzu eine kleine Textprobe: »Ob Wilhelm Müller tatsächlich friedlich im Bett starb, wie seine Frau behauptete (oder behaupten musste) , oder während eines Orgasmus´, über den zu sprechen damals undenkbar war, ist reine Spekulation, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen.«
    Die Liedtexte des Zyklus wären für Ersthörer vermutlich wichtiger gewesen, aber die sucht man innerhalb der 59 Bookletseiten vergeblich.


    Was den künstlerischen Gehalt dieser zwei CDs anbelangt, sehe und höre ich diese Produktion durchaus positiv.
    Hinweis:
    Einen eigenen Einblick kann man natürlich auch hier wieder bei YouTube gewinnen, weil jemand eine Aufführung dieser »Trio-Winterreise«, die hier umgeben von Sommerflor angeboten wird, eingestellt hat.
    Es handelt sich hierbei um eine Darbietung im Rahmen des Hirzenberg Festival 2013. Wer da mal rein hören möchte ...
    Mein subjektives Empfinden bei dieser YouTube-Darbietung:
    Das assoziiert bei mir Kurkonzerteindrücke. Wenn ich mir so etwas anhöre, dann im Konzertsaal oder mit aller "Andacht" auf den CDs..

  • Daniel Behle hatte nach meinem Eindruck eine glückliche Hand bei seinem Versuch, unterschiedliche Lösungen für die WINTERREISE anzubieten. Obwohl ich mit Bearbeitungen gewöhnlich meine Probleme habe, hier gibt es beides in einem Album: Original und Bearbeitung. Das ist pfiffig, das ist eine Lösung. Man kann wählen, sich für die eine oder die andere Variante entscheiden. Beides mögen oder daran herummäkeln. Beginnen möchte ich mit dem Lob. Behle singt, wie er kann. Er weckt keine falschen Hoffnungen, bleibt im Rahmen seiner lyrischen Möglichkeiten. Stimmlich klingt er noch viel jünger, als er es im wirklichen Leben ist. Das überzeugt mich. Er ist Jahrgang 1974, hatte eine gründliche musikalische Ausbildung – auch als Komponist. Behle verzichtet auf jegliche theatralische Mittel, er bleibt ganz bei der Musik. Nur vereinzelt und wohl dosiert holt er das dramatische Werkzeug hervor. Dadurch glückt ihm seine Einspielung so gut, so diesseitig. Sie ist nicht bitter, lässt einen nicht mit Tränen zurück. Wäre eine Entscheidung gefragt, meine Wahl würde auf das Original mit Klavierbegleitung fallen. Setzen in der zweiten Einspielung die zusätzlichen Instrumente ein - hart hatte die Namen der Solisten bereits genannt - zuckt es schon mal im Ohr. Was war denn das, durchschoss es mich beim ersten Hören. Zunächst hatte ich den Eindruck, als liege plötzlich eine ganz andere Musik auf. Und dann war mir, als mische sich ein Streichquartett über einen zusätzlichen Kanal in die Winterreise hinein, so wie im Radio, wenn zwei Sender aufeinander liegen. Das dürfte beabsichtigt sein, auch in seiner mitunter verstörenden Wirkung. Im letzten Lied, dem “Leiermann”, wird gar in einem Anflug die Leier simuliert. Weil es aber wie ein Dudelsack aus der Ferne kling, gerät dieser musikalische Moment zu sehr in die Nähe von Folklore. Für mich braucht gerade dieses Lied, in dem alles erstarrt, keinerlei Zutat. Es ist das Ende.


    Für mich ist dieses Album eine der interessantesten Annäherungen an die WINTERREISE in jüngster Zeit.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Albrecht Mayer wurde 1990 Solo-Oboist der Bamberger Symphoniker und ist seit 1992 in gleicher Position bei den Berliner Philharmonikern tätig.
    Ein Künstler mit dieser Erfahrung, der ansonsten auf so hohem Niveau musiziert, ist wohl von meiner Wenigkeit kaum zu kritisieren, aber als Hörer habe ich natürlich auch die Position, dass mir nicht alles gefallen muss was angeboten wird.
    Albrecht Mayer hat sich auf dieser CD mit THE KING´S SINGERS zusammengetan, um einen »musikalischen Winterzauber« einzuspielen. Wenn man auf die Programmfolge dieser CD schaut, fallen einem Namen wie Antonio Vivaldi, Johann Sebastian Bach und natürlich auch Franz Schubert auf. »Frühlingstraum« aus der »Winterreise« wurde zur Darbietung ausgewählt, da darf man gespannt sein ...
    Hätte ich diese Aufnahme schon bei der Threaderöffnung gekannt, wäre der Threadname noch um einen Begriff länger geworden und würde lauten:
    Franz Schubert – Kunstlieder modifiziert, arrangiert, manipuliert, verziert und ruiniert.
    Für Musiker, die beabsichtigen eine »Winterplatte« zu machen, bietet sich ein Zyklus wie die Winterreise wohl geradezu an, aber Menschen, die sich schon näher mit der Winterreise befasst haben, werden darüber nicht glücklich sein. Schubert sprach von »schaurigen Liedern« - hier ist eins.

  • Ärgere Dich nicht. Solche CDs werden nicht für unsereinen produziert. Ich erinnere mich an eine sehr aufgeräumte Moderatorin im Hörfunk an einem Sonntagnachmittag im Januar, an dem es für die Jahreszeit viel zu warm gewesen ist. Das ist ein paar Jahre her. Sie sagte in etwa: Bleiben Sie zu Hause, machen Sie es sich gemütlich und holen sich den Winter einfach in die eigenen vier Wände, zum Beispiel mit Schuberts Winterreise.


    Ich finde das "Dreimäderlhaus" eigentlich noch viel schlimmer. :(


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Diese CD kommt aus Schweden und erschien bereits im November 2014; im darauf folgenden Januar hatte ich die Aufnahme einige Male gehört und nun - nach einem Jahr Abstand - wieder.
    Im Vordergrund steht natürlich, dass der Sänger hier nicht vom Klavier, sondern von Gitarre und Klarinette begleitet wird. Der Bariton Jakob Högström ist hörbar auf einer nordisch, rauen Winterreise unterwegs, aber man hört differenzierten Gesang beim Vortrag der 24 Lieder, den ich zum Beispiel bei meiner letzten Live-Winterreise im Konzert nicht hören konnte.
    Dass der Sänger hier von Gitarre und Klarinette begleitet wird ist zwar ein quantitatives Mehr, aber als künstlerische Bereicherung empfinde ich das nicht, gerne hätte ich Högström nur mit Klavierbegleitung gehört.


    Eine Kritikerin schrieb zu dieser Aufnahme:
    »Und warum Jakob Högström das Tempo so extrem langsam nimmt, erschließt sich mir nicht.«

    Da habe ich mal spontan zu Gerhahers »Winterreise« (Aufnahme vom Januar 2001) gegriffen, da steht 77:59 Minuten drauf - Högström braucht mit seinen Mannen zur Darbietung des Werks 70 Minuten ...


    Jakob Högström debütierte 2009 an der Pariser Opéra comique und singt in Schweden auf der Opernbühne die lyrischen Baritonrollen.
    Das 11 Seiten umfassende Booklet ist relativ dürftig; die Rückseite typografischer Kraut- und Rüben-Murks. Die drei Interpreten werden in englischem Text vorgestellt.
    Alle Lieder sind in deutschem Text abgedruckt.

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    Klagen ist für Toren... eine Winterreise


    Wilhelm Müller, Text; Franz Schubert, Musik


    Manfred Maurenbrecher, Stimme; Marco Ponce Kärgel, E-Gitarre, Gitarre


    Die Kundenrezensionen, die beim Werbepartner nachzulesen sind, pendeln zwischen Begeisterung und totaler Ablehnung.

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928





  • In diesen Thread gehört natürlich schon längst auch die CD mit Julian Prégardien, der die Zeit der Schubertiaden in unseren Tagen wieder aufleben lässt.


    Der untenstehende Text aus einer Besprechung von BR Klassik, deckt sich vollinhaltlich mit meiner Meinung.


    Aus BR Klassik :
    »Im Zentrum des 75 Minuten langen Programms aber steht der Sänger Julian Prégardien, der mit seinem lyrischen Tenor für wahres Schubert-Glück sorgt. Bei ihm lässt sich jeder Ton auf die Goldwaage legen, und alles ist hochkarätig. Prégardien hat die ideale Stimme für dieses Repertoire. Ihm stehen alle sängerischen Mittel zur Verfügung, um das Ausdrucksspektrum der Lieder fein, unforciert und in klarer Diktion zu gestalten. Auch die Rolle des Sprechers hat Prégardien selbst übernommen. Er liest die Texte zwischen den musikalischen Abschnitten und macht aus seiner neuen CD ein kleines und feines Gesamtkunstwerk.«


    Aber auch die kritischen Untertöne in dem »DIE ZEIT«-Beitrag von Georg-Albrecht von Eckle zu dieser CD sind lesenswert: »Zurück in die Idylle«

  • Zit.: "Aber auch die kritischen Untertöne in dem »DIE ZEIT«-Beitrag von Georg-Albrecht von Eckle zu dieser CD sind lesenswert"


    Und worin bestehen die? Könnest Du so freundlich sein, lieber hart, sie ganz kurz noch zu referieren? Das würde mich sehr interessieren, - und vielleicht nicht nur mich. Beziehen sie sich auf das der CD zugrundeliegende Konzept oder auf die gesangliche Interpretation (was ich verstehen könnte, denn Julian Prégardiens liedinterpretatorische Künste begeistern mich nicht gerade. Er trägt mir die Liedmusik oft ein wenig zu effekthascherisch vor, siehe etwa "Heidenröslein". Ist aber ein ganz und gar subjektives Urteil)
    Oder wo setzen die "kritischen Untertöne" sonst an?

  • Und worin bestehen die? Könnest Du so freundlich sein


    Man bemüht sich ja stets freundlich zu sein ... ich traute mich einfach nicht, den Text hier reinzuziehen, wegen Urheberrecht und so ...
    Mit einem Link hat´s auch nicht funktioniert. Natürlich ist mir klar, dass der Hinweis nur Sinn macht, wenn man den Inhalt auch lesen kann.
    Wenn man aber den Titel »Zurück in die Idylle« bei Google eingibt, hat man den Text recht schnell zur Hand.


    http://www.zeit.de/2016/13/jul…egardien-tenor-liedgesang

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