VIVALDI, Antonio Lucio: JUDITHA TRIUMPHANS


  • Antonio Lucio Vivaldi (1678-1741):


    JUDITHA TRIUMPHANS
    DEVICTA HOLOFERNES BARBARIE
    (Die über den barbarischen Holofernes triumphierende Judith)
    Sacrum Militare Oratorium in zwei Teilen von Giacomo Cassetti nach dem apokryphen Buch Judith - Gesungen in lateinischer Sprache (RV 644)


    Uraufführung im November 1716 in der Pietà von Venedig


    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Judith, junge Witwe aus Bethulia, Mezzosopran/Alt
    Holofernes, assyrischer Feldherr, Mezzosopran/Alt
    Vagaus, Eunuch, Holofernes' Vertrauter, Sopran
    Abra, Judiths Magd, Sopran
    Ozias, Hohepriester von Bethulia, Mezzosopran/Alt


    Frauenchor: Soldaten Assyriens und bethulische Frauen.


    Das Orchester ist neben dem üblichen Streicherensemble mit zwei Trompeten, zwei Oboen einer Mandoline, zwei Blockflöten, zwei Sopran-Chalumeaus, vier Theorben, fünf „violas all'inglese“, einer Viola d'amore, Pauken und Orgel besetzt.



    INHALTSANGABE DES ERSTEN TEILS


    Nach der zweiteiligen Ouvertüre (eine Bearbeitung der ersten beiden Sätze des Konzerts RV 555 für drei Violinen, Oboe, zwei Blockflöten, zwei Violen all'inglese, Tenorschalmei, zwei Celli, zwei Cembali und zwei Violinen in tromba marina), bringt der Eingangschor der assyrischen Soldaten ihren Kampfeswillen zum Ausdruck:

    Arma, caedes, vindictae, furores

    Waffen, Gemetzel, Rache und Wut,/Angst und Schrecken/Gehn uns voraus.
    Möge im Trubel/Des Gefechts/Das Kriegsglück/
    Tausend Plagen,/Tausend Tode/Austeilen an euch.




    Der assyrische Feldherr Holofernes, den König Nebukadnezar wegen unzureichender Unterstützung von Vasallenstaaten zu einer Strafexpedition ausgesandt hat, wendet sich an seine Krieger, ruft den heutigen Tag rezitativisch zum Tag des Sieges aus und fordert in der anschließenden Arie von jedem unbedingte Standhaftigkeit auf dem Schlachtfeld:


    Nil arma, nil bella,/Nil flamma furoris
    Nichtig sind Waffen und Krieg,/Nichtig die Hitze des Gefechts,
    Wenn des Soldaten Herz/Ihm den Dienst versagt.
    Wofern er aber hoffend kämpft,/Wird sein Kampfesmut/An dieser Hoffnung erstarken.




    Der Vertraute von Holofernes, Vagaus, kommt mit einer Glücksbotschaft, wie er es nennt, für seinen Herrn: Eine Israelitin, Feindin zwar, aber vornehm und schön, hat höflich um eine Audienz gebeten:


    Matrona inimica,/Te quaerit ad arma
    Ein Weib von Rang, eine Feindin/Verlangt dich zu sehen,/Großer Feldherr Holofernes.
    Und schon bald, glaube mir,
    Wird sie dir als Freundin erscheinen,/Da du sie in ihrem Glanz gesehen.



    Durch Vagaus' Schwärmerei, von Vivaldi mit betörenden Klängen unterstützt, die das Bild einer schönen Frau musikalisch nachzeichnen, ist Holofernes neugierig geworden und befiehlt, die „hebrea Bellona“ zu ihm zu bringen.


    Stellt man sich nun eine Verwandlung in einen Vorraum von Holofernes Lager vor, in dem Judith und ihre Dienerin Abra warten, dann wird in Judiths erster Arie


    Quo cum Patriae me ducit amore
    Wo mich die Liebe zur Heimat hinführt/Und die süße Hoffnung auf Freiheit,
    Will ich, geleitet vom Licht des Himmels,/Unbeschadet zwischen die Heere treten



    die nur von Violinen und Continuo begleitet wird, Ängstlichkeit vor dem Zusammentreffen mit Holofernes deutlich. Judiths Dienerin Abra versucht mit aufmunternden Worten, ihre Herrin zu stärken. Ihre Arie „Vultus tui“ wird, als Ausdruck ihres niederen Standes, nur vom Continuo begleitet. Inhaltlich muntert Abra ihre Herrin auf, dass sie die Feinde durch ihre Schönheit bezwingen werde, die zur Schau gestellte Kampfbereitschaft der Assyrer müsse verzagen.


    Durch Judiths Rezitativ wird deutlich, dass Vagaus mit (seiner Stellung gemäß) einigen Soldaten auf die imaginäre Szene tritt: Sie bittet ihn, sofort zum Feldherrn gebracht zu werden. Vagaus erhält an dieser Stelle eine lyrische Arie (in der sich liebliche Oboen zum Streicherensemble fügen), die ihn als einen siegesgewissen Menschen kennzeichnen, für den klar feststeht, dass die schöne Jüdin ein Zeichen für den bevorstehenden Sieg gegen Bethulia anzusehen ist. Vagaus' Arientext wiederholen die ihn begleitenden Krieger fast unterwürfig, aber jedenfalls auch zustimmend:


    O quam vaga, venusta, o quam decora
    Oh wie lieblich, schön und sittsam bist du,
    Unsre wahre und einzige Hoffnung auf den Sieg.
    Beehre das Zelt des Feldherrn mit deinem Antlitz,
    Wende dich an Holofernes und schöpfe Hoffnung.




    Dann preist Vagaus gegenüber Judith seinen Feldherrn und empfiehlt ihr, Holofernes zu vertrauen. In der Arie „Quamvis ferro“ stellt er überschwänglich die zwei Seiten seines Herrn dar: Die eine ist kämpferisch, eines überragenden Feldherrn würdig, die andere ist mild, vorausgesetzt, dass Judith sich auch entgegenkommend zeigt.


    Judith wird endlich zu Holofernes geführt, und die mit barocker Sprache geformte Begrüßung zeigt ihn entzückt von ihrer strahlenden Schönheit. Judith dagegen bleibt in ihrer Antwort eher kühl, aber bestimmt: Nicht für sich bittet sie, sondern für ihre Heimat Bethulia will sie Frieden erreichen:


    Quanto magis generosa
    Wie viel hochherziger ist es,/Ruhmreicher für den Sieger,
    Segensreicher für den Besiegten.
    O, wie schön wäre deine Macht,/Wenn sie durch Milde verherrlicht!
    Bewahre uns, Fürst, vor bitterem Elend.



    Es ist eine außergewöhnliche Instrumentalbegleitung, die sich Vivaldi für diese Arie hat einfallen lassen: Eine Viola d’amore und zwei Soloviolinen spielen mit Bleidämpfern, den so genannten „piombi“, und geben dem Stück den charakteristischen Klang. Dass Judith dem Schönheitsideal des Feldherrn entspricht, bringt ihr nicht nur seine Zusage ein:


    Viel, oh Weib, verlangst du,/Wäre es mehr, es würde dennoch gewährt!
    Holofernes bittet sie sogar, Platz nehmen (Sede, o cara) und an der Tafel als ein Ehrengast mit ihm zu speisen:
    In meinem Zelt/Tischt erlesene Speisen auf,
    Was immer im Pontus schwimmt,/Durch die Lüfte fliegt oder auf Erden grast,
    Nichts sei euch zu schwer, es zu fangen.




    Natürlich nimmt Judith nimmt die Einladung dankend und mit bescheidenen Worten an, kommt sie ihrem Plan doch sehr gelegen; sie weist aber auch darauf hin, dass sie opulente Genüsse nicht gewohnt ist. Mit einer energiegeladenen Arie (Agitata infido flatu) versucht sie ihre Situation mit einem Bild aus der Natur zu erklären: Eine gegen heftigen Sturm kämpfende Schwalbe vergisst ihren Kummer, sobald eine leichte Brise ihr den Flug erleichtert hat.


    Holofernes' Befehl ist Vagaus und der Dienerschaft emsige Betriebsamkeit wert: Vivaldi kennzeichnet die Vorbereitungen zum Festmahl mit dem Klang von vier Solotheorben und einem einzelnen Cembalo (O servi, volate). Unterdessen wird deutlich, dass Vagaus ein Auge auf Abra geworfen hat, denn er wünscht ihr „Glück und Frieden“; das kommentiert Judiths Dienerin mit der spitzfindigen Bemerkung (aber sozusagen „beiseite gesprochen“), dass der Diener seinem Herrn mit großen Reden nacheifere. Ihrer Herrin versichert Abra unbedingte Treue, sie weiß, dass Judith mit Sorgen an die nächsten Stunden denkt.


    Das folgende Gespräch zwischen Judith und Abra deutet darauf hin, dass beide alleine sind, denn sie bekommt hier eine hinreißend vertonte Arie, in der ein solistisch eingesetztes Chalumeau (ein der Klarinette verwandtes Holzblasinstrument mit einfachem Rohrblatt) die im Text erwähnte klagende Taube musikalisch zeichnen soll:


    Veni, veni, me sequere fida
    Komm, komm, folge mir treu,/Geliebte Abra, verwitwet wie ich.
    Dir klage ich wie die Taube mein Leid,/In der Not bist du meine traute Gefährtin.
    Ist erst die undankbare/Tat getan,/Will ich sein deine Gefährtin im Glück.




    Abra wiederum redet in ihrer Arie „Fulgeat sol frontis decorae“ (Lass die Sonne auf reizender Stirn leuchten) Judith zu, ja standhaft zu bleiben und alle nur notwendigen Mittel einzusetzen, das gemeinsame Anliegen auch durchzusetzen. Dann glaubt Abra, aus Bethulia klagende Stimmen zu vernehmen und der erste Teil des Oratoriums endet mit einem Fernchor (Vivaldi gibt die Anweisung „pianissimo sempre“), in dem die Bewohner Betulias den Himmel anrufen, Judith möge Holofernes besiegen:


    Mundi Rector de Caelo micanti
    Herrscher der Welt im funkelnden Himmel,/Hör die Gebete und nimm an die Opfer,
    Die von einem Herzen, das für dich kämpft,/Fromm dir zu Ehren dargebracht werden.
    In Judith, die sich dir hat verschrieben,/Die süßen Flammen deiner Liebe entfache,
    Damit die Rohheit des Feindes bezwingend/Gib Betulia Hoffnung auf Frieden.
    Kehre als Siegerin heim aus dem Kampf,/Lebe wieder in Bußfertigkeit und Gebet,
    So du heute Holofernes besiegst, sollst du,/Tapfere Judith, die Epochen überdauern.




    INHALTSANGABE DES ZWEITEN TEILS


    Ozias, der Hohepriester von Bethulia sagt in einem Rezitativ den Sturz Holofernes' voraus:


    Cum nocte felici
    In dieser glückbringenden Nacht/Werden die gottlosen Feinde vernichtet
    Und mit dem Aufgehen der Sonne/Wird ihr Licht erlöschen.




    In der anschließenden Arie fordert er konsequent die Vernichtung des gottlosen Feindes:


    Jam saevientis in hostem
    Schon wurden, da sie zerschmettert den Feind,/Unserer keuschen Judith Gebete
    Im Himmel erhört, triumphierend/Kehrt sie alsbald zu uns zurück
    Und das verhasste Volk wird ohne Führer vergehn.




    Danach ist wieder eine Verwandlung in das Lager von Holofernes zu denken; hier schildert der Heerführer in einem Rezitativ (Nox in umbra dum surgit - Schon rücken die Schatten der Nacht heran) das Untergehen der Sonne, ist sich aber wohl in der folgenden düsteren Arie „Nox obscura tenebrosa“ (Die dunkel verfinsterte Nacht erstrahlt dir zuliebe hell) nicht bewusst, dass er in einen ironischen Tonfall verfällt, wenn er das Tagesdämmern und Judiths Schönheit in einem besingt.


    Judith hält nichts von solchen Betrachtungen; sie entgegnet ihm, dass alle Schönheit vergänglich ist. In „Transit aetas“ (Das Leben vergeht) singt sie zu einer besonders einfachen, aber wirkungsvollen Begleitung von einer Solomandoline zu den unisono geführten Violinen, von der Kürze des Lebens und dass die Menschen stets ihren eigenen Niedergang herbeiführen. Doch Holofernes nimmt die in Judiths Worten verstecke Verachtung nicht wahr; er ist in seiner heftig entbrannten Leidenschaft für Judith gefangen. Sie rät ihm jedoch, aber ohne Erfolg, seine Leidenschaft zu zügeln. Holofernes hört nicht zu, er fleht sie in seiner Arie


    Noli, o cara, te adorantis
    Weise nicht von dir, Geliebte,/Das Verlangen dessen, der dich anbetet.
    Schrecke nicht vor dem wilden Schlagen/Eines liebenden Herzens zurück.



    (begleitet von einer solistisch eingesetzten Orgel und einer verführerisch klingenden Oboe) an, seine Liebe nicht zurückzuweisen. Unbeeindruckt bittet Judith den Himmel um das „Geschenk deiner Erlösung“. Abermals bleibt Holofernes der Hintersinn in Judiths Worten unklar; ertrinkt auf ihr Wohl


    Ich trink auf die Hoffnung,/Von dir erlöst zu werden.
    Liebst du mich, werde ich deine Erlösung sein.



    und der Chor feiert, wohl doch etwas vorschnell, die Liebe der beiden:


    Plena nectare non mero
    Gefüllt nicht mit Wein, sondern mit Nektar/Sind die goldenen Kelche; holde Amoretten
    Krönen sie mit Myrthe und Rosen./Und in gegenseitiger Freude
    Möge die Glut dieser göttlichen Wesen/Zur reinen Flamme erblühen.



    Durch den Wein nunmehr in fröhlich-ausgelassener Stimmung, lässt Holofernes sie wieder hochleben.


    Jetzt hält sie es für angezeigt, entschlossen auf Holofernes' Stimmung einzugehen und singt für ihn ein Siciliano, das von „piombi“-gedämpften Violinen und Bratschen stimmungsvoll begleitet wird, und Holofernes in den weintrunkenen Schlaf sinken lässt:


    Vivat in pace, et pax regnet sincera
    Sie lebe in Frieden und wahrer Frieden regiere,
    Und in Betulia sei die Fackel der Liebe entzündet.
    Nur im Frieden herrscht immer wahres Glück;
    Nimmermehr mögen Kriege Schmerzen verursachen.
    Auf Frieden, meine Seele, setzt alle Hoffnung,
    Wenn Frieden Linderung heißt für unsre Gebrechen.
    Im Frieden, gütiger Gott, erreichst du alles
    Und teuer sind dir die Früchte des Friedens.




    Judith ruft Abra zum Gebet herbei, währenddessen auch Vagaus mit einigen Dienern (die wohl hinzugekommen sind) zu den Göttern betet, dass „Schatten und leise Winde“ den schlafenden Herrn behüten mögen. Seine Arie


    Umbrae carae. aurae adoratae
    Liebe Schatten, reizende Winde,/Streift nur ihn mit holdem Atem.
    Schläft der Herr,/Möge jedermann schweigen.
    Von beschwerlichen Sorgen/In angenehmem Schlaf/Sei seine gütige Seele frei.



    darf man ohne Übertreibung als ein weiteres Juwel dieses Oratoriums ansehen: Vivaldi lässt zwei Blockflöten zart über das Streicherensemble schweben.


    Vagaus ist stolz auf seinen Herrn und nennt Judith eine Glückliche, weil ihr die Eroberung eines so starken Mannes gelungen sei. Judith sieht das aber in Anbetracht ihres Vorhabens völlig anders: Gott hat es so gefügt, weil er es so wollte. Diese Äußerung ist für Vagaus unverständlich, er geht mit der Weisung an die Dienerschaft, das Festmahl abzuräumen, darüber hinweg. Nach dem Abgang aller Bediensteten bleiben Judith und Abra alleine zurück.


    Judith schickt ihre Dienerin vor Holofernes' Zelt und weist sie an, keinen hineinzulassen, aber an den bevorstehenden Sieg zu denken. Mit der lebhaften Arie „Non ita reducem“, in der Abra mit den barock-bildhaften Worten ihre eigene Aufregung beschreibt, bittet sie Gott um einen guten Ausgang von Judiths Plan.


    In einem bewegenden Accompagnato (Summe Astrorum Creator - Großer Schöpfer des Himmels) betet Judith zu Gott, ihr die nötige Kraft für die Ausführung ihres Vorhabens zu geben. In diesem instrumental begleiteten Rezitativ und in der anschließenden Arie


    In somno profundo
    Wenn in tiefem Schlaf/Einer versunken liegt,/Braucht er nicht aufzupassen,
    Wenn er unter deiner Obhut schläft;/Er aber möge schlafend ausbluten
    Und so seines Blutes/Beraubt mir/Ruhm verleihn.



    zieht Vivaldi alle Register seiner Instrumentationskunst, um eine gespenstische Wirkung zu erzielen: Fünf Viole all’inglese, begleitet von einer Violone und zwei Theorben schaffen diesen düsteren Klang.


    Ein weiteres Accompagnato der Judith erläutert nun das nicht sichtbare Geschehen:


    Impii, indigni Tiranni
    Das Schwert des gottlosen, unwürdigen Tyrannen/Hängt am Baldachin seines Betts:
    Ich ziehe es und haue damit/Dem Zerstörer Holofernes/In deinem Namen, Gott,
    Den bösen Kopf ab./Drum Lebewohl, schützendes Zelt,
    Möge der in dir errungene Sieg auf ewig/Berühmt sein im Himmel und auf Erden.




    Nach der Enthauptung des Holofernes ruft Judith Abra in das Zelt zurück und bittet sie, das blutende, abgetrennte Haupt in dem mitgebrachten Leinensack zu verstauen. Abra äußert in diesem Moment ihre Angst und rät dringend zur Flucht. In ihrer Arie zeigt sie jedoch wieder äußerliche Gefasstheit:


    Si fulgida per te
    Auch wenn durch dich leuchtete/Die uns geneigte Fackel des Himmels,
    Auch wenn in unsern Seelen/Süße Hoffnung/Und wohltuender Friede erstrahlen,
    Verdanken wir nur/Dem gütigen, ewigen Gott/Unseren Frieden und unseren Ruhm.
    Er gibt Feuer dem Herzen,/Er verleiht Kraft dem Arm
    Und aus seinen Händen/Empfangen wir unseren Sieg.




    Erneut muss man sich einen zeitlichen Wechsel vorstellen: Am frühen Morgen geht Vagaus zum Zelt seines Herrn und wundert sich über den offenen Eingang. Im Innern sieht er mit Entsetzen den Torso und das blutgetränkte Lager. In der Erkenntnis, dass hier keine Hilfe mehr möglich ist, ruft er die Soldaten herbei und schreit vor ihnen seine Wut nach Rache in einer abermals aufregend komponierten Arie heraus:


    Armatae face, et anguibus
    Bewaffnet mit Fackeln und Schlangen/Aus eurem finsteren und öden Reich
    Kommt, der rasenden Wut Gefährtinnen,/Ihr Furien zu uns.
    Lehrt unsere erzürnten Herzen,/Mit der Peitsche zu rächen,
    Mit Tod und Gemetzel/Den Tod eines solchen Feldherrn.




    Ein nochmaliger, gedanklich vorzunehmender Szenenwechsel führt nach Bethulia, wo der Hohepriester Ozias in einem Rezitativ einen schönen Tag heraufziehen sieht. Plötzlich bemerkt er in der Ferne Judith mit ihrer Dienerin Abra auf die Stadt zukommen. Völlig überzeugt, dass Judith ihren selbst gestellten Plan mit Erfolg ausgeführt hat, nennt er sie schon jetzt „Juditha triumphans“, begrüßt sie dann persönlich als „Auserwählte, dankt Gott für seine Hilfe und lässt in der folgenden fröhlichen Arie


    Gaude felix
    Freue dich,/Glückliches Betulia, frohlocke,/Sei getrost,/Arg gepeinigte Stadt.
    Du wirst vom Himmel geliebt/Und vom Glück,/Inmitten der Feinde auf ewig unbesiegt.



    seiner eigenen Freude freien Lauf, ruft aber auch die Bewohner Bethulias auf, sich an der wiedergewonnenen Freiheit zu erfreuen.


    Das anschließende Accompagnato (Ita decreto aeterno - So seh ich auf himmlischen Ratschluss) ist nicht nur ein Appell an die „Töchter Zions“, einen vom Himmel gewährten Sieg zu feiern, sondern zieht auch noch eine Parallele zu einem aktuellen politischen Ereignis: Im Juli 1716 war eine osmanische Streitmacht auf der für die Republik Venedig strategisch wichtigen Insel Korfu gelandet; daraufhin ging Venedig im August 1716 eine vertragliche Allianz mit dem Heiligen Römischen Reich ein und errang in der Folge einen Sieg gegen die Invasoren unter der Führung von General Graf Johann Matthias von der Schulenburg.


    Im Schlusschor wird nicht nur Judith gepriesen, sondern werden auch auch die Bewohner Bethulias/Venedigs, hier mit dem Begriff „Adria“ benannt, zum Lobpreis aufgefordert:


    Salve, invicta Juditha
    Sei gegrüßt, schöne, unbesiegbare Judith,
    Stolz unsres Landes und unsre erhoffte Rettung,
    Glorreiches Vorbild wahrhaftiger Tugend/Wirst du allezeit sein für die Welt.
    Da nunmehr der thrakische Barbar bezwungen,
    Sei zur Siegerin erkoren die Königin des Meeres.
    Und da nunmehr der göttliche Zorn besänftigt,
    Möge Adria leben und herrschen in Frieden.




    Ein würdiger Abschluss des Oratoriums, in dem auch die lange Zeit untätigen Pauken und Trompeten wieder im Orchester mitspielen dürfen...



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Das hier beschriebene Oratorium ist das einzig erhaltene von insgesamt vier Werken dieser Musikgattung aus der Feder von Antonio Vivaldi. Es ist ein Auftragswerk der Republik Venedig, die damit, wie schon im vorletzten Absatz der Inhaltsangabe erwähnt, den Sieg über eine osmanische Invasion staatstragend feierte. Die Uraufführung fand im November 1716 im „Ospedale della Pietà“ in Anwesenheit des Generals von der Schulenburg statt.


    Vivaldi verwendet ein reichhaltiges Instrumentarium, um den Arien seines Oratoriums einen unverwechselbaren Klang zu verleihen. Auffällig ist die Behandlung der Titelheldin Judith: Sie bekommt, sowohl in ihren sechs Arien mit unterschiedlichen Inhalten als auch in den zwei Accompagnati, differenziert besetzte Instrumentalbegleitung und wird dadurch als eine edle und einnehmende Frau charakterisiert. Ebenfalls sechs Einsätze hat an herausragenden Stellen der Handlung der homophon geführte Chor; polyphon vertonte Stellen finden sich lediglich im Eingangschor „Arma, caedes, vindictae, fuores“, der die assyrischen Krieger (zu Pauken und Trompeten) Kampfeswillen ausdrücken lässt, und der mit seiner militaristischen Klangwelt den Untertitel des Werkes unterstreicht: „Sacrum Militare Oratorium“.


    Von besonderem Interesse ist der Schlusschor des ersten Teils: „Mundi rector, de caelo micanti“. Weil den Bewohnern von Bethulia das Schicksal ihrer Heimat völlig ungewiss erscheint, ist ihr Gesang, ein Hilfe-Gebet zu Gott, von Vivaldi homorhythmisch, d.h. in allen Stimmen gleich geführt, also in der Art eines Choralsatzes vertont worden.


    © Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2013
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto der Hyperion-Einspielung (Dirigent Robert King)
    Harenberg Chormusikführer
    Talbot, Michael: Antonio Vivaldi (Insel Verlag, 1998)
    Wikipedia

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    MUSIKWANDERER

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  • Den interessierten Musikfreunde werden hier einige der im Handel erhältlichen Einspielungen vorgestellt; wie immer ist das kein Ranking:



    Nebenstehend die Aufnahme des Labels Ops mit der Academia Montis Regalis unter Alessandro de Marchi und den Interpreten Kozena, Herrmann, Trullu, Carraro



    Hier wird die Produktion von Hungaroton unter Nicholas McGegan vorgestellt; es singen Gloria Banditelli, Maria Zadori, Judit Nemeth, Annette Markert, Katalin Gemes; es spielt die Capella Savaria



    Robert King leitete die nebenstehende Hyperion-Aufnahme; es singen Ann Murray, Maria Cristina Kiehr, Susan Bickley, Sarah Connolly, Jean Rigby; es singt der King's College Choir, es spielt das King's Consort



    Das Label ABC hat diese Einspielung unter dem Dirigenten Attilio Cremonesi mit dem Orchestra of the Antipodes und den Solisten Sally-Anne Russell, David Walker, Sara Macliver, Fiona Campbell und Renee Martin vorgelegt



    Und noch die Tactus-Aufnahme mit Di Castri, Sciannimanico, Kennedy, Rossi; es spielt Modo Antiquo, Leitung Federico Sardelli

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