Ludvig Irgens Jensen - ein norwegischer Komponist

  • Die Phalanx an unbekannten Komponisten und dementsprechend unbekannten Werken, die Firmen wie cpo, Sterling, Naxos u.a. an uns vorbeiziehen lassen, nimmt anscheinend kein Ende. Von Ludvig Irgens Jensen hatte ich bis vor kurzem noch nie etwas gehört. Nach einer hymnischen Besprechung einer Doppel-CD mit seinen Orchesterwerken im Fonoforum und einer 9/9 Bewertung in classicstoday wurde ich neugierig und ein Angebot beim Marktplatz am Fluss führte dazu, dass ich nicht wie üblich auf die Preissenkung bei cpo in ein, zwei Jahren wartete, sondern die CD gleich bestellte.


    Ludvig Irgens Jensen wurde 1894 in Christiania (heute Oslo) geboren, studierte Philologie und nahm Klavierstunden. Das kompositorische Handwerk brachte er sich autodidaktisch bei. 1920 veröffentlichte er seine ersten Lieder und erregte ob der modernen, fast atonalen Tonsprache Aufsehen im rückständigen Norwegen. Sein Orchesterstück Passacaglia reichte er bei dem Kompositionswettbewerb ein, bei dem Atterbergs 6. als "Dollarsymphonie" den ersten Preis gewann. Die Passacaglia belegte unter den nordischen Kompositionen Platz 2 und wurde auch mehrfach international aufgeführt. Während der deutschen Besatzung im 2. Weltkrieg schrieb er unter Pseudonym Widerstandslieder, die nach England geschmuggelt und im Rundfunk gesendet wurden. Während des Krieges entstand auch seine einzige Symphonie. Er erhielt 1945 ein lebenslanges Staatsstipendium und starb 1969 kurz vor dem 75. Geburtstag in Sizilien.


    Von der Doppel-CD habe ich bisher nur die besagte Symphonie in d-moll gehört und zwar die ersten beiden Sätze. In der Originalfassung hat sie drei Sätze, aber auf Anraten eines Freundes hat LIJ den letzten Satz abgelöst und separat veröffentlicht. Auf der CD kommt er gleich nach der Symphonie, so dass es dem Hörer überlassen bleibt, ob er die zwei- oder dreisätzige Version hören will. Ich hatte nach zwei Sätzen nicht das Gefühl, es fehle etwas. Die Musik ist spätromantisch-tragisch und m.E. hervorragend. Dass sich nicht gleich unzählige Vergleiche aufdrängen, spricht für den Komponisten. Ich würde mal sagen, wer die Musik von Sibelius goutiert, dem dürfte auch dies gefallen, obwohl man kaum ähnlich Klingendes findet. Ich bin gespannt auf die anderen Stücke.


    Wem - wie mir - die Doppel-CD zum Vollpreis zu teuer ist und wer nicht warten möchte, die Symphonie gibt es auch bei Naxos und die Einspielung wurde bei classicstoday sogar 10/10 bewertet. Ich werde sie ebenfalls demnächst ordern.

  • Diese CD lässt mich echt ratlos zurück: wo hat sich diese Musik so lange versteckt, wieso taucht die jetzt erst auf?


    Ein möglicher Grund könnte sein, dass auch dieser Komponist aus der Zeit gefallen ist. So hat man in den 30er und 40er Jahren des letzten Jahrhunderts halt nicht mehr komponiert. Aber die Musik ist so gut und originär empfunden, dass das beim Hören völlig irrelevant wird. Das sind ERSTKLASSIGE Musikwerke. Die Einflüsse reichen von Mendelssohn über Grieg und Brahms bis zu Rachmaninoff und Nielsen. Aber es ist eine völlig eigenständige Musik, die melodischen Einfälle sind z.T. genial.


    Variationswerke sind normalerweise nicht so mein Ding (Ausnahmen bestätigen die Regel: z.B. Goldberg und Enigma). Aber diese 25-minütigen Variationen auf ein eigenes Thema sind hervorragend. Da verblassen die entsprechenden Werke von Brahms und Reger förmlich und wirken behäbig, altbacken und träge. Die Orchestrierung ist ein Musterbeispiel dafür wie man das Interesse des Hörers wirklich über 16 Variationen hält. Ab ins Standardrepertoire, kann ich da nur sagen.

  • Die Einflüsse reichen von Mendelssohn über Grieg und Brahms bis zu Rachmaninoff und Nielsen. Aber es ist eine völlig eigenständige Musik, die melodischen Einfälle sind z.T. genial.


    :jubel: Da kann mal mal sehen, was es an unentdeckter Klassik noch alles zu entdecken gibt. Bei den nordischen Komponisten gibt es nämlich massig Beispiele, auf die Deine Worte bezüglich "unentdeckter Meisterwerke" zutrifft - Rangström, Rautavaara, Englund, Merikanto, Kokkonen, Holmboe, Linde um nur einige aus dem 20Jhd zu nennen) !
    Von wegen nordische Komponisten "spröde und langweilig", wie an anderer Stelle zu lesen. Nein, das sind sie nicht !
    :hello: Danke Lutgra, die NAXOS-CD werde ich mir mal als Erste unter die Lupe nehmen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Danke Lutgra, die NAXOS-CD werde ich mir mal als Erste unter die Lupe nehmen.

    Es freut mich - lieber teleton - dass ich zumindest bei einem Tamino ein Interesse wecken konnte, aber wir liegen ja offensichtlich interessemäßig auch nicht allzuweit auseinander.


    Auf der Doppel-CD befindet sich auch eine kurze (17 min) Partita sinfonica, die ist auch grandios. Einziger Vorwurf - viel zu kurz. Aus dem Material hätte Rachmaninoff eine 50-minütige Sinfonie gemacht. Und die wäre beliebter als seine 1. und 3. Der letzte nur knapp 5-minütige Satz enthält eine dieser ganz großen elegischen Melodien, die einem Komponisten nur einmal im Leben einfallen (Elgar-Nimrod; Barber-Adagio).

  • Hallo zusammen,


    Ich wärme den Thread mal wieder auf, verbunden mit ein paar Eindrücken zu der bereits von Lutz erwähnten Doppel-CD. Das ist wirklich einmal mehr eine famose CPO-Produktion - so viel vorweg. Die Werke von Ludvig Irgens-Jensen bewegen sich kompositorisch in einem weitgehend spätromantischen Rahmen und sind trotz der Entstehungszeit nicht erkennbar avantgardistisch beeinflusst. Insofern entsprechen sie vollauf meinem Hörgeschmack. Für mich erstaunlich dabei, neben der hohen kompositorischen Qualität an sich, ist der Punkt, dass wir es hier mit einem sehr eigenständigen Musiker zu tun haben. Es fällt mir schwer, Bezüge zu anderen Komponisten her- und Vergleiche anzustellen. Als wirklich passend empfinde ich da nichts und jede Referenz eher verkrampft als tatsächlich treffend. Eine ausführliche Besprechung der CPO-Produktion findet man unter anderem auch hier.

    Viele Grüße
    Frank

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