HONEGGER, Arthur: JOHANNA AUF DEM SCHEITERHAUFEN

  • Arthur Honegger (1892-1955):


    JEAN D'ARC AU BÛCHER
    (JOHANNA AUF DEM SCHEITERHAUFEN)
    Dramatisch-szenisches Oratorium in elf Szenen - Text von Paul Claudel


    Konzertante Uraufführung am 12. Mai 1938 im Musiksaal des Stadtcasino Basel,
    szenisch bei den Jeanne d'Arc-Feiern im Mai 1939 und am 13. Juni 1942 im Stadttheater Zürich
    (deutsche Fassung von Hans Reinhard)


    SPRECHROLLEN


    Jeanne d’Arc (Johanna von Orleans)
    Frère Dominique (Bruder Dominik)
    Héraut III (3. Herold)
    L'âne (der Esel)
    Duc de Bedford
    Jean de Luxembourg
    Heurtebrise (Mühlenwind)
    Un Paysan (ein Bauer)
    L'appariteur (der Zeremonienmeister)
    Regnault de Chartres
    Guillaume de Flavy
    Perrot
    Ein Priester
    La mère aux tonneaux (Mutter Weinfass)


    GESANGSPARTIEN


    La Vierge (Die Jungfrau Maria; Sopran)
    Marguerite (Die Heilige Margarethe, Sopran)
    Catherine (Die Heilige Katharina, Alt)
    Porcus (Tenor)
    Une Voix (Eine Stimme, Tenor)
    Héraut I (Erster Herold, Tenor)
    Le Clerc (Der Geistliche, Tenor)
    Une Voix (Eine Stimme, Bass)
    Héraut II (Zweiter Herold, Bass)
    Une Voix d'Enfant (Kinderstimme)
    Gemischter Chor, Kinderchor


    Das Geschehen ereignet in Rouen am 30. Mai 1431.



    INHALTSANGABE


    Erste Szene
    Ein Hund heult durch die Nacht; beim zweiten Geheul fällt das Orchester, beim dritten der Chor ein. Dann eine plötzliche Stille, bis die einsetzende Morgendämmerung die Waldtiere erwachen und ihre Stimmen erheben lässt. Dann wieder gespenstische Stille, durch die ein Brummen dringt, das sich zu ständig lauter werdenden Rufen nach Johanna steigert.


    Zweite Szene
    Auch Bruder Dominik, Gründer des Ordens der Dominikaner, ruft den Namen der an den Pfahl ihres Scheiterhaufens gefesselten Johanna, als wolle er sie wachrütteln: Er hält in den Händen eine Schrift, deren Inhalt sich mit dem Leben der Jeanne d'Arc befasst. Frère Dominique lässt sich zu Füßen des Scheiterhaufens nieder und beginnt aus der Schrift zu lesen.


    Dritte Szene
    Stimmen verkünden das irdische Urteil über Johanna und rufen „Ketzerin! Gottesfeindin!Hexe! Abtrünnige! Königsfeindin! Volkes Feindin! Man töte und verbrenne sie!“ Die so Geschmähte versteht die Feindschaft nicht; Priester, die sie verehrte, das Volk, das sie geliebt und verteidigt hat, sollten sie so bedrohen? Bruder Dominik behauptet, dass sie keinem Gericht von Menschen, sondern einem von wilden Tieren ausgesetzt sei. In diesem Moment treten die tierischen Richter vor.

    Vierte Szene

    Als Vorsitzender des Gerichts fungiert das Schwein (Porcus), weil sich Tiger, Fuchs und Schlange verweigert haben. Als Beisitzer der Gerichtsverhandlung treten die Schafe auf und der Esel (Asinus) übernimmt die Funktion des Schreibers. Das Schwein verliest nun die Anklage, lässt immer wieder zweideutige Fragen zu und erlaubt, klare Antworten durch Verdrehungen ins Gegenteil zu verkehren. So kommt es am Ende zu einem erpressten Geständnis mit dem grausamen Urteil des Todes auf dem Scheiterhaufen. Johanna weist die Anklage, dass bei der siegreichen Schlacht gegen die Engländer der Verderber mit ihr im Bunde war, energisch zurück.


    Fünfte Szene
    Johanna hat Angst, Todesangst! Bruder Dominik versichert ihr, dass die tierischen Richter keinesfalls an Gott, den Herrn, wohl aber an den Teufel, den Verderber, glauben. Das für die Angeklagte unfassbare Urteil erklärt ihr Bruder Dominik mit dem Hinweis, sie sei das Opfer im Kartenspiel eines närrischen Königs.


    Sechste Szene
    Konzertant dargeboten ist das Geschehen dieser Szene, jenes groteske Kartenspiel, vom Publikum nur in der geistigen Vorstellung nachvollziehbar, szenisch wird es jedoch mittels der Pantomime deutlich: Es treten der König von Frankreich (mit der Torheit), der König von England (mit der Hoffart), der Herzog von Burgund (mit der Habsucht) und der Tod (mit der Wollust) auf - alle Herrscherfiguren und der Gevatter werden außerdem von den „Weibern“ (das Laster symbolisierend) begleitet. Die Könige wechseln dabei mehrmals die Plätze, nur die Lasterweiber bleiben stets am gleichen Ort. Erstaunlich ist: Entschieden wird diese Groteske nicht von den Herrscherfiguren, auch nicht von Gevatter Tod, sondern durch die „Buben“ (den Herzögen von Bedford, Johann von Luxemburg, Regnault von Chartres und Guillaume de Flavy). Letzterer liefert, als Verlierer dieses Spiels, Johanna dem Feuertod aus.


    Siebte Szene
    Der Klang von Kirchenglocken tönt durch nächtliches Dunkel. Johanna erkennt in der hellen Glocke die Stimme der Heiligen Margarethe, und in der tiefen jene der Heiligen Katharina. Es sind ihre beiden Schutzpatroninnen, deren Namen sie vor dem Kampf für die Freiheit Frankreichs auf ihr Banner geschrieben hatte, und der den Franzosen tatsächlich den Sieg brachte.


    Achte Szene
    Eine Rückblende: Am einem heiligen Weihnachtsabend feiert die Landbevölkerung ein Freudenfest (eine heidnisch wirkende Szene, die ihre Wirkung auch bei nur konzertanter Wiedergabe zu entfalten vermag). Hierbei begegnen sich der Riese Mühlenwind und das Mütterchen Weinfass (als Sinnbild nicht nur leiblicher Genüsse, sondern auch von Norden und Süden Frankreichs). Als der Name des Königs vom Herold ausgerufen wird, ergreift Johanna seine Hand und führt ihn, sein Widerstreben bewusst missachtend, mitten durch die Volksmenge in die Krönungskirche von Reims. Das geschafft zu haben macht Jeanne stolz und sie ruft aus: „Ich habe Frankreich gerettet, ich bin's, die Frankreich vereinte!“ Das kann Bruder Dominik nicht stehen lassen und er berichtigt sie: „Es ist Gott, der das getan hat!“ Und schon sind da die anklagenden Stimmen gegen Johanna.


    Neunte Szene
    Plötzlich ist die Stimme der Heiligen Margarethe zu hören: „Atme! Hoffe!“ Gleichzeitig steigt die Morgendämmerung über der Normandie herauf . Johannas Gedanken gehen zurück in ihre Heimat Lothringen; sie sieht sich als kleines Mädchen, das im geeigneten Zeitpunkt auf den Ruf Gottes hörte und die Heimat verließ um dem Land und der Krone zu dienen. Frère Dominique holt sie in die Realität zurück mit der Frage nach dem Schwert, das sie im Kampf führte. Und Johanna erinnert sich, wie es ihr der Erzengel Michael mit der Erklärung, es heiße „Liebe“, übergab.


    Zehnte Szene
    Johanna versucht, sich an ein bestimmtes lothringisches Lied, das „Trimazo“, zu erinnern, und singt es laut - aber Hassausbrüche der Volksmenge übertönen sie. Doch da sind auch tröstende Stimmen von Heiligen aus der Höhe, stetig lauter werdend, zu vernehmen.


    Elfte Szene
    Bruder Dominik hat sein Buch zugeschlagen - Johannas Lebensgeschichte ist zu Ende - und der Vorleser ist verschwunden. Da züngeln schon die ersten Flammen aus dem Holzstoß hervor. In Jeanne d'Arc steigen Gefühle der Angst, aber auch der Einsamkeit hoch. Plötzlich ertönt eine Stimme der Zuversicht, die Stimme der heiligen Jungfrau: „Du bist nicht allein!“ Doch „Einer“ mischt sich noch einmal ein: In der Gestalt eines falschen Priesters will der Verderber von Johanna eine Unterschrift unter ein Papier haben; diese Unterschrift, so behauptet er kühn, könne in letzter Sekunde ihr Leben retten. Aber Satan hat falsch spekuliert, denn Johanna lehnt ab, schreit ihm förmlich entgegen, keinesfalls lügen zu wollen! Aus der Höhe erklingen tröstende Stimmen; sie lassen Johanna den Schmerz des Feuers, das immer höher steigt, nicht mehr spüren. Der Klang gesprengter Ketten zeigt schließlich die in Gottes Herrlichkeit aufsteigende Johanna von Orleans. Die Heilige Jungfrau und die Heiligen Catherine und Margarethe empfangen sie: „Niemand hat eine größere Liebe gekannt denn der, der sein Leben hingibt für die Seinen.“



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Es war die bedeutende Tänzerin und Schauspielerin Ida Rubinstein, die Arthur Honegger um 1934 anregte, ein Werk über Jeanne d'Arc zu vertonen. Sie selber war durch ein studentisches Mysterienspiel auf das Thema gestoßen. Als Librettist konnte schließlich der große französische Literat Paul Claudel gewonnen werden; der gläubige Katholik hatte zunächst aus Ehrfurcht vor dem Thema abgelehnt. Dann entschied er sich jedoch anders und innerhalb weniger Wochen entstand das Libretto; Honegger begann noch im gleichen Jahr mit der Vertonung beginnen und schloss die Arbeit am 30. August 1935 ab.


    Die Uraufführung am 12. Mai 1938 in Basel (unter der Leitung von Honeggers Freund, dem Dirigenten und Mäzen Paul Sacher) riss das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin; auch die Kritik fand nur lobende Worte. Anders die französische Erstaufführung im Mai 1939, bei der Ida Rubinstein als Jüdin ausgebuht wurde, weil ihr das reaktionär-rassistische Publikum die Darstellung der französischen Nationalheldin (und Christin) nicht zugestehen wollte. Das Ensemble „Chantier Orchestral“ hatte merkwürdigerweise 1941 mit gerade diesem Werk überhaupt keine Probleme, denn seine Tournee durch das unbesetzte Frankreich war sehr erfolgreich.


    Nach der Befreiung Frankreichs von der deutschen Besetzung haben die Autoren das Oratorium um einen Prolog erweitert, der Jeanne d'Arc als Retterin Frankreichs feiert. Dieser Zeitbezug ist in der ursprünglichen Version nicht enthalten. Die hier vorgelegte Inhaltsangabe folgt dieser ersten Fassung. Unter
    Arthur Honegger - Jeanne d’Arc au bûcher
    wird die Erweiterung um den Prolog vorgestellt.


    Honegger und Claudel bedienen sich der Elemente des Mysterienspiels ebenso wie der des antiken Dramas, sie nehmen Anleihen bei der Oper, beim Oratorium und beziehen sogar die Kinotechnik mit ein, in dem sie in den szenischen Ablauf Rückblenden einbauen. Für seine Musik macht Honegger Anleihen beim französischen Volkslied (Voulez-vous manger de cesses?), beim Kirchengesang (Antiphon „Aspiciens a longe“), aber auch bei der barocken Musiksprache (transponiertes BACH-Motiv und barock inspirierte Tänze in der Kartenspiel-Szene) sowie dem Jazz (Arie des Porcus und Chor des Tiergerichts).


    © Manfred Rückert für den Tamino-Oratorienführer 2013
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Opernführer von Reclam von 1951, der das Werk unter Opern einreiht
    Kurt Pahlen: Oratorien der Welt
    Klavierauszug der Edition Salabert, Paris 1947

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    MUSIKWANDERER

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  • Zwei Aufnahmen von Honeggers szenischem Oratorium werden bei den Tamino-Werbepartnern Amazon und jpc angeboten, eine davon als CD-Version, eine andere für Schallplatten-Freunde (in der Chor und Orchester der Tschechischen Philharmonie unter Serge Baudo singen und spielen):


    In der nebenstehenden Audio-Aufnahme wirken als Solisten Susanne Altschul, Olaf Schröder, Juliane Claus, Birgit Remmert und Barbara Zintl mit; es singt der Hersfelder Festspielchor, es spielt das Radio-Sinfonie-Orchester Krakau unter der Leitung von Siegfried Heinrich.


    Die von Davidoff in seiner Inhaltsangabe erwähnte Aufnahme von Seji Ozawa (von der Deutschen Grammophon Gesellschaft vorgelegt), in der u. a. Marthe Keller und Georges Wilson mitwirken und Chor und Orchester National de France eingesetzt sind, ist nicht (mehr) erhältlich.


    In Zusammenarbeit mit dem SWR hat der Hänssler-Verlag das Oratorium unter Helmuth Rilling herausgebracht; es singt die Gächinger Kantorei, es spielt das Radio-Sinfonie-Orchester Stuttgart des SWR. Diese ist bei den Werbepartnern (noch) nicht gelistet.


    http://www.scm-haenssler.de/in…&maxH=400&config=scm-shop

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