Klavieraufnahmen in Konkurrenz oder als willkommene Ergänzung ?

  • Es ist ja bekannt, daß Primadonnen - aber auch Tenöre einander oft als Rivalen sehen. Wer ist der Grösste ?
    Ich vermag hier nicht zu beurteilen ob diese Rivalität verständlich oder irrational begründet ist, bzw inwieweit sich heutzutage nicht ohnehin Legende ist.


    Wie schauts nun aber bei den Pianisten aus ?


    Seht ihr sie als Konkurrenten zueinander, welche um Marktanteile kämfen - oder als Künstler die einander ergänzen, im Bestreben jeweils ihre eigene subjektive Sichtweise der großen (aber auch kleinen) Klavierwerke dem klavierbegeisterten Publikum nahezubringen ?


    Ich selbst neige in diesem speziellen Fall dazu, davon auszugehen, daß jede gute Klavieraufnahme den Markt belebt, weil das Interesse : "Wie machen das die anderen" zu immer neuen Anschaffungen ein und desselben Werkes verleitet - und man immer wieder beglückende Erlebnisse hat, die verloren gingen, gäbe es nur ein oder zwei Lesarten eines bestimmten Werkes.


    Mir geht es beispielsweise so, daß ich, wenn ich eine Zweitaufnahme einer Klaviersonate von Komponist X erwerbe, dummerweise damit den Grundstock zur Drittaufnahme legen - dann nämlich, wenn sich Erst- und Zweitaufnahme in der Gesamtstimmung derart unterscheiden, daß ich eine weitere Interpretation kennenlernen will. Sollten hier weitere Aspekte auftauchen kann die Sache für mich teuer werden - manchmal sofort- manchmal auf lange Sicht.....


    Selten, aüsserst selten bin ich enttäuscht, weil ich jedem Interpreten seine Meinung zugestehe. Oft ist eine Deutung im ersten Moment nicht so überzeugen, wie dann, wenn man sie öfter gehört hat. Somit werte ich auch eher nicht, sonderen erfreue mich an der interpretatorischen Vielfalt....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    eine interssanter Aspekt "den Pianistenmarktes" und ihre Aufnahmen als Konkurrenzmarkt zu sehen! Nun, in gewisser Weise würde ich mich deiner Meinung anschließen: Es herrscht Konkurrenz! Weniger der Pianisten untereinander (das vermag ich als Nicht-Berufsmusiker nicht zu beurteilen) als der Unterhaltungsindustrie (von den Platten-Labels angefangen zu den Konzertveranstaltern). Diese sind bemüht, ihr "Produkt" an den Hörer zu bringen.


    Als ambitionierter Hörer sehe ich die verschiedenen Interpretationen eines und des gleichen Werkes nicht als "Konkurrenz" sonder als "Ergänzung". Natürlich treibt mich schon auch die Neugierde dazu, mir vom Pianisten XY ein Aufnahmen zu besorgen und diese mit meine anderen Einspielungen zu vergleichen. Das macht ja auch den Reiz als Hörer aus. Die Vielfalt und Verfügbarkeit macht den Luxus unserer Zeit als Musikkonsumenten aus. Und dieser "Lust" fröhne ich gerne..... :hello: :hello:


    Gruß
    Niko

  • An sich bin ich eine von Konkurrenzdenken beherrschte Person, und ich kann verstehen, daß ein Künstler den Markt alleine beherrschen will.
    Bei Klavieraufnahmen meine ich jedoch, daß eine existierende Vielfallt in der Tat dazu führt, daß man mehrere Aufnahmen (über einen längeren Zeitraum) erwirbt und miteinander vergleicht. Es geht in diesem Falle nicht darum, den "besten" Pianisten zu küren - sondern persönliche Lesarten eines Stückes (zum Beispiel der "Mondscheinsonate") kennenzulernen. Oft - nein beinahe immer - führt dann ein solcher Vergleich zum Kauf einer dritten oder vierten Aufnahme.
    Mal ehrlich: Wie viele Einspieluingen der "Mondscheinsonate", der "Waldsteinsonate" bzw der "Appassionata" habt ihr in Eurer Sammlung? Ähnliche Fragen könnte man auch bei Mozart Sonaten und jenen von Franz Schubert stellen.....


    mit freundliche Grüßen
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn die Tenöre den Gladiatoren gleichen, oder den Titanen, so sind die PianistInnen Herrscher unterschiedlicher Planeten.


    Ich glaube dennoch, daß man u.a. auch deswegen so lange kauft, wie man irgendwie mit dem Stück, wie es interpretiert erklingt, nicht zufrieden ist. Ganz schlimm ist es dann bei ästhetischen Standards oder Konsensen (etwa bei Brahmssinfonien) - Neuaufnahmen klingen irgendwie alle aneinander angelehnt, alles wird richtig gespielt, aber es fehlt die Handschrift. Horowitz, Arrau, Backhaus, Kempff, Richter, Gilels, Brendel - da verbinden sich konkrete oder vage Vorstellungen mit einer Einspielung. Wenn ich heute bei Saturn vor einem CD-Regal stehe und mir nacheinander alle möglichen Aufnahmen eines Mozartkonzerts, einer Chopin-Polonaise oder einer Bachschen Fuge anhöre, habe ich nur selten das Gefühl: So und nicht anders muß es gespielt werden. Aber das liegt bestimmt nur an mir ...


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Also, ich glaube, daß einerseits die großen Pianisten nicht zueinander in Konkurrenz stehen, einfach weil die Rahmenbedingungen dagegen sind. Ich will das gerne zu erläutern versuchen:


    Zunächst ist jeder GROSSE Pianist in gewisser Weise EINMALIG, weder mit einem Lebenden noch einem verflossenen Kollegen vergleichbar. Im Gegensatz zu dem von mir geschätzten Farinelli, bin ich nicht der Auffassung, daß eine Zweit oder Drittaufnahme in erster Linie dann gekauft wird, wenn man mit der Erstversion nicht zufrieden ist. Im Gegenteil: jede begeisternde Neuaufnahme lässt in mir den Wunsch nach einer ebensoguten - aber anders interpretierten Einspielung wach werden.


    Das ist bei den heutigen Tonträgerpreisen - gemessen an jenen in meiner Jugend - durchaus leistbar.
    Also postoliere ich, daß kein Pianist durch einen anderen ersetzt werden kann.
    Noch weniger ausgeprägt ist die Konkurrenz im Livebereich. Wenn Pianist A gerade in Wien aktiv ist, gibt Pianist B einen Klavierabend in Wuppertal oderBasel. Man muß DAS hören was derzeit im lokalen Angebot ist - wie einst vor 100 oder gar 200 Jahren......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hier ist ein dreiteiliges Interview mit Katsaris, in dem er viel lobende Worte für die Konkurrenz (sagen wir besser Kollegen) findet: http://www.examiner.com/piano-…t-cyprien-katsaris-part-i


    Ich denke es ist eindeutig eine Charakterfrage, ob ein Pianist die anderen Pianisten (mit vergleichbarem Repertoire) als Konkurrenz oder Bereicherung empfindet. Manche sind eben egoistische Platzhirsche und andere umgänglicher...

  • Ich glaube, daß jede erworbene Klavier-Neuaufnahme, die man seiner Sammlung hinzufügt, dasVerlangen nach weiteren weckt. Man möchte wissen wie das Kempff oder Backhaus Interpretirt hat, will hören ob Schnabel wirklich so gut war, wie allgemein behauptet wird, will wissen was an Brendel so Besonderes ist, will ihn im Vergleich mit Badura Skoda hören, und ebenso ein oder 2 Vertreter der jungen Pianistengeneration kennenlernen.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Welch ein schönes Thema!


    Wenn auch nur höchst subjektiv zu beantworten von mir.
    Klavieraufnahmen leiden unter einem Dilemma: alle finden am Klavier statt.
    Einem heute derart nivelliert, ja, geradezu "gleichgültig" klingendem Instrument, dass es einer Persönlichkeit bedarf, dieser Nivellierung Persönlichkeit einzuhauchen.


    Vor wenigen Tagen war ich intensiv beschäftigt mit einer Aufnahme, die nie als CD erschien, Chopins Preludes op.28 mit Andrzei Wasowski. Kennt ihn jemand?
    Mich begleitet er schon sehr lange, seit 22 Jahren um genau zu sein.


    Ebenso befasse ich mich gerade mit Beethoven-Sonaten mit Samuil Feinberg.
    Seine Lesart der op.109...wer mag beschreiben, wie Unendlichkeit ist? Feinberg tut es.


    Beide Aufnahmen haben eines gemeinsam: sie hängen nicht am Klang des Flügels, sondern finden Musik und das, was sie sagt, hinter diesem Klang, diesem Neutrum, dieser Objektivierung mit klanglichen Mitteln des modernen Klaviers, bar der Individualität.
    Die immer vom Pianisten kommt, besser: vom Musiker.
    Nur: der ist oft nicht anwesend, selbst wenn da jemand sitzt und zur rechten Zeit die richtige Taste drückt.
    Dieses "Neutrum" Klavier kann ein ein wunderbares Instrument sein, Instrument im eigentlichen Sinne als Mittler.
    Doch wird es immer nur das aussagen, was sein Spieler sagen kann, es sei, es genügt die Bewältigung der Mechanik auf höchstem Niveau wie heute so oft üblich.


    Mein ungeliebtestes Instrument: das Klavier. Eins meiner liebsten Instrumente: das Clavier.
    Wohltemperiert am besten.....


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Ein schöner Beitrag, lieber Mike! Das Klavier ist ein mechanisches Instrument, das man beseelen können muß. Das ist die eigentliche Kunst des Klavierspiels. Dazu reicht es eben nicht, flink über die Tasten gleiten zu können. Technik ist nicht nur Mechanik. Emil Gilels sagte mal, einen Flügel muß man sich "unterwerfen". Der Geiger kann mit seinem Instrument verschmelzen sozusagen, das geht beim Klavier so nicht. Die ganz großen Pianisten können eben die Mechanik des Intruments vergessen machen. Dann wird es zum Orchester, zur Königin der Instrumente. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    vor wenigen Wochen fanden ein Freund und ich wieder zusammen nach langem Schweigen.
    Grund des Schweigens war nicht das Klavier, aber Anknüpfung an "alte Zeiten" sehr wohl.


    Instrumentalisierend würde ich stets vom Atem ausgehen. Muss ich wohl auch als Melante: Das Fundament von allen Dingen ist das Singen.
    Am wenigsten Instrument ist die Stimme, danach folgen Blasinstrumente, danach die Streicher, die noch nahen Körperkontakt haben. Und am Ende kommen die Claviere, die sich dem Musiker quasi als eigene Persönlichkeit entgegenstellen, siehe Gilels Aussage.
    Um aber Musik ganzheitlich zu betrachten, quatsch: sie zu erleben, benötige ich eine Ganzheitlichkeit aus Körper, Geist, Seele und Umfeld.
    Das zu erreichen ist am Claviere wohl am schwierigsten. Und dann auch wirklich dem Orchester verwandt, das auch "nur" mehr oder weniger macht, was der Dirigent tut.
    Das Klavier: eine der undankbarsten Erfindungen des Menschen; eine der schönsten, beginnt sie zu leben.


    Herzliche Grüße,
    Mike

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