Lieber Johannes,
Dir gefällt die Hammerklaviersonate von Beethoven, ich vermute mal, Du empfindest sie als melodisch; ich höre mehr Zerissenheit als Melodie.
Nein, ich empfinde die ebenfalls nicht als ausgesprochen melodisch (verglichen mit zB Beethovens op.101 oder 110), sondern stellenweise durchaus als "dornig", was aber der Faszination keinen Abbruch tut bzw. besteht sie vermutlich gerade darin.
Du empfindest die schnellen Noten bei Bach als eher uniform, ich finde sie spannend.
Ich versuche, 15 bis 20 Jahre später zu beschreiben, warum mir damals Bachs Klaviermusik (anders als die Brandenburgischen, h-moll-Messe etc.) wenig sagte. Das ist relativ schwierig, weil die damaligen Eindrücke ja sehr stark von den späteren überlagert sind. Denn heute habe ich nicht mehr diesen Eindruck gleichförmiger Langeweile, obwohl ich die meisten dieser Stücke immer noch nicht als "spannend" bezeichnen würde (und gleichmäßige schnelle oder mittelschnelle Noten sind ja objektiv bei etlichen Präludien, Allemanden usw. keine falsche Beschreibung der Musik). Und auch wenn ich heute keine Probleme mehr habe, dort Motive oder Melodien zu erkennen, so würde ich nach wie vor Bachs Klaviermusik nicht gerade als ein Füllhorn sanglicher und einprägsamer Melodien bezeichnen. Wenn man unter sanglicher Melodie beispielhaft so etwas wie das Thema des ersten Satzes von Mozarts A-Dur-Sonate oder meinetwegen auch "Mache dich, mein Herze, rein" versteht.
Da ich aber auch sonst viel Musik (Haydn, Beethoven, Brahms u.a.) schätze, die nicht in erster Linie von sanglichen Melodien lebt (gleichwohl sie viele einzelne davon enthält) ist das für mich nicht unbedingt ein Manko bei Bach.