Rudolf Kempe – Ein bescheidener Großer

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    Wie ich soeben feststellte, gibt es tatsächlich noch keinen gesonderten Thread zu Rudolf Kempe – ein Zustand, der hiermit beseitigt wird.


    Unzweifelhaft zählt er zu den bedeutendsten Dirigenten der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, und dennoch steht er stets im Schatten von Karajan, Solti und anderen. Woran liegt das?


    Kurzbiographie:


    Geboren am 14. Juni 1910 in Niederpoyritz bei Dresden, besuchte er zunächst eine Handelshochschule, ehe er von 1924–28 ein Musikstudium an der Orchesterschule der Sächsischen Staatskapelle Dresden in den Fächern Komposition und Dirigieren, Klavier und Oboe absolvierte. 1928 wurde er 1. Oboist in Dortmund, 1929 Wechsel in selbiger Funktion zum Gewandhausorchester Leipzig. 1933 ebenda Korrepetitor, 1936 Kapellmeister. 1942–48 in Chemnitz, ab 1946 als GMD. 1948 Wechsel nach Weimar. 1949–52 an der Staatsoper Dresden, seit 1951 musikalischer Leiter als Nachfolger Keilberths. 1952 Wechsel an die Staatsoper München als GMD und musikalischer Oberleiter (Nachfolger Soltis). 1961–74 Chefdirigent des Royal Philharmonic Orchestra London. 1965–73 Chefdirigent des Tonhalle-Orchester Zürich. 1967–76 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. 1976 Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra London. Gestorben am 11. Mai 1976 in Zürich.


    Besonders als Wagner- und Strauss-Dirigent bedeutend.


    Seine Diskographie ist umfangreich, daher nur einige Höhepunkte (die gern ergänzt werden dürfen und sollen):




    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Dieser Thread wäre unvollständig ohne diese Aufnahme, die Schallplattengeschichte geschrieben hat:



    Bedrich Smetana (1824-1884)
    Die verkaufte Braut (in dt. Spr.)

    Künstler: Fritz Wunderlich, Pilar Lorengar, Gottlob Frick,
    Bamberg SO,
    Dirigent: Rudolf Kempe
    Label: EMI , ADD, 1962


    Seit fast 48 Jahren behauptet sich diese Aufnahme - als Gesamtaufnahme wie als Querschnitt, als Vinyl-LP, als MC oder jetzt als CD als die Referenzaufnahme der Oper - und das, obwohl sie nicht in Originalsprache, sondern auf deutsch aufgenommen wurde!


    Selbst wenn er nichts anderes in seinem Leben gemacht hätte, allein durch diese Aufnahme ist ihm ein Platz in der Schallplattengeschichte sicher!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    ...
    Unzweifelhaft zählt er zu den bedeutendsten Dirigenten der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, und dennoch steht er stets im Schatten von Karajan, Solti und anderen. Woran liegt das?
    ...


    Vermutlich daran, dass er keinen der wirklich wichtigen Posten im Musikbetrieb erringen konnte. Es fehlen daher die dauerhaften Spuren, die auch eine breitere Öffentlichkeit immer wieder an ihn erinnern. Bei den Aufnahmen ist das anders, da gibt es einiges mit Ewigkeitswert. Da er aber einer derjenigen ist, die zu Unrecht zu stark vergessen wurden, sind seine Aufnahmen eben nur Kennern bekannt, und daran wird sich nichts ändern. Besonderes Pech ist auch, dass er durchaus das Zeug zu einer überzeugenden Alterskarriere gehabt hätte. Da stirbt er völlig überraschend am Pult an plötzlichem Herzversagen...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wäre ich zynisch, so würde ich sagen, er hatte zudem das falsche Label "hinter sich". Um als "großer Star" in die Musikgeschichte einzugehen bedarf es einer Schallplattenfirma mit gelbem Etikett...
    Sehr gut am Beispiel Karajans nachzuvollziehen: Während man bei EMI der Auffassung war, Karajan habe längst alles aufgenommen was aufzunehem wert war - der Mann sei "ausgebrannt" nahm man ihn bei DGG mit Handkuss - und eine der ergfolgreichsten Karrieren in der Geschichte der Schallplatte begann.....


    Aber ich glaube nicht, daß Kempe wirklich lediglich "Insidern" bekannt ist. Ich mag zwar "Klassik-Insider " sein , "Wagner- " odr Richard Strauß-" Insider bin ich indes nicht. Dennoch - der Name Kempe ist bei mir mit zwei wichtigen Aufnahmen in der Sammlung vertreten -und wohl weiß ich, daß hier etwas Besonderes besitze.....


    Ich glaube auch, daß Threads wie dieser - so sie gelesen werden - Interpreten wieder ins Gedächtnis des interessierten Publikums zurückrufen können....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ...
    Ich glaube auch, daß Threads wie dieser - so sie gelesen werden - Interpreten wieder ins Gedächtnis des interessierten Publikums zurückrufen können....
    ...


    OK, "interessiertes Publikum" ist etwas umfangreicher als Kenner, aber noch immer klein genug, als dass wir übermütig werden sollten. Er gehört mit einstigen Größen wie Rafael Kubelik eben zu jenen schon recht vergessenen, deren Ruf nur mehr in Liebhaberkreisen weiter getragen wird. Dabei standen beide in ihrer besten Zeit in Punkto Popularität nur wenig hinter den größten zurück.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Wenn man bei amazon "Kempe" eingibt wirde auch zuerst seine bekannteste GA, die Richard Strauss-Orchesterwerke angezeigt.
    Sicher die EMI-Großtat, die ihn am bekanntesten gemacht hat - und das mit Recht.


    Schaue ich mir sienen Lebenslauf an, so kann ich auch nicht recht verstehen, warum er dennoch so im Schatten von Karajan und Solti verblieben ist - und das bis heute. Ob es tatsächlich am Schallplattenlabel gelegen hat, wie Alfred meint ? Es war zuerst das ostdetutsche Label Berlin Classics, erst später folgte die EMI. Haben beide nicht die Vermarktungspolitik der DGG drauf ? - warscheinlich nicht !
    Aber auch sein Repertoire, zumindest auf dem CD-Markt, ist nicht so riesig - in dieser Hinsicht würde ich ihn mit Kleiber vergleichen - bei dem fehlt auch so manches ...............



    *** Eine sehr gute, dennoch eigenwillige Interpretation Kempes von Strawinsky und Britten, bei der er den Werken seinen persönlichen Stempel aufdrückt findet sich auf dieser CD, die ich als DVD besitze:



    Strawinsky: Der Feuervogel - Suite 1919
    Britten: Sinfonia da Requiem

    Staatskapelle Dresden , Kempe
    Berlin Classics, 1970, ADD


    Kempe lotet bei beiden Werken Details aus, die bei anderen Dirigenten ungehört bleiben. Tiefgehende Sichtweisen............. Schade das es davon nicht mehr gibt - es blieben Einzelaufnahmen.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Da stirbt er völlig überraschend am Pult an plötzlichem Herzversagen...


    ...und das bekam in Deutschland kaum jemand mit, denn zum Zeitpunkt seines Todes streikten gerade die Zeitungen, so daß es keine Nachrufe gab...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich wußte gar nicht, daß auch Kempe auf dem Pult gestorben ist.


    Ob seine relativ geringe Popularität wirklich damit zusammen hängt, daß er die "falschen" Orchester dirigierte? Das Royal Philharmonic Orchestra etwa dürfte ja ein "Spitzenorchester" sein.


    So richtig kenne ich bisher eigtl. nur seinen Wagner (sein "Lohengrin" war meine erste Wagner-Opern-Aufnahme). Das Dirigat ist nicht so breit wie bei seinem Zeitgenossen Knappertsbusch, wohl eher Keilberth ähnlich. Seine "Meistersinger" habe ich mit eher schnellen, wenig pathetischen Tempi in Erinnerung.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Joseph II.
    Ob seine relativ geringe Popularität wirklich damit zusammen hängt, daß er die "falschen" Orchester dirigierte? Das Royal Philharmonic Orchestra etwa dürfte ja ein "Spitzenorchester" sein.
    ...


    Na ja, da fallen einem aber schon noch einige "bessere" - oder zumindest bedeutendere - ein. Außerdem, kannst du die Chef-Dirigenten des RPO der letzten Jahrzehnte aus dem Gedächtnis aufsagen?


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Na ja, da fallen einem aber schon noch einige "bessere" - oder zumindest bedeutendere - ein. Außerdem, kannst du die Chef-Dirigenten des RPO der letzten Jahrzehnte aus dem Gedächtnis aufsagen?


    :hello:


    Da hast Du natürlich auch wieder recht.


    Spontan fiel mir Sir Thomas Beecham ein, sah gerade aber, daß auch Dorati mal der Chefdirigent dort war.


    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zitat

    Original von Joseph II.
    ...
    Spotan fiel mir Sir Thomas Beecham ein, sah gerade aber, daß auch Dorati mal der Chefdirigent dort war.
    ...


    Es war ja Beechams Orchester, und zu seiner Zeit international sicherlich renommierter als heute - ohne dass ich da jetzt irgendetwas negatives sagen will. Aber Chef des RPO gewesen zu sein ist halt ein bißchen zu wenig, um für heutige Popularitätspunkte zu sorgen.


    Der erwähnte Dorati ist ja auch ein gutes Beispiel. Ein ähnliches Kaliber wie Kempe, hat er aber historisch etwas mehr Spuren hinterlassen. Zum einen hat er mit seinen legendären Mercury-Aufnahmen Schallplatten-Geschichte geschrieben und dann ist er mit zwei weiteren großen Projekten unsterblich. Die erste Gesamteinspielung der Haydn-Symphonien und die erste Sammlung von Aufnahmen der wichtigsten Haydn-Opern. Von Kempe haben wir zwei überragende Wagner-Einspielungen, die überragende Verkaufte Braut und die großartige Einspielung aller Orchesterwerke von Richard Strauss. Pech nur, dass die Orchesterwerke des ÜKAZ im Moment nicht so sehr gefragt sind, und dementsprechend verramscht werden. Und da es mit den beiden Wagner-Opern auch Probleme mit der Verfügbarkeit geben soll, hat Rudolf Kempe aus heutiger Sicht leider wirklich nicht zum richtigen Label gehört. Aber auch der mit der umfangreicheren Diskographie gesegnete Antal Dorati ist heute kein Thema für den breiten Klassikmarkt, sondern wie Kempe ein Fall für die Liebhaber und Experten.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Rudolf Kempe war ein besonders intelligenter Orchesterleiter. Alle seine
    Aufnahmen, egal ob Sinfonik oder Oper, zeichnen sich durch eine besonders analytisch, tiefgründige Deutungsweise aus. Darüberhinaus war er ein erzmusikalischer Könner in seinem Metier.
    Im Forum wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine Reihe seiner Aufnahmen Referenzcharakter haben.Aus diesem Grunde glaube ich nicht, dass er zu den Vergessenen zählt.
    Ich möchte auf seinen Bayreuther Ring 1960 -1964 besonders hinweisen. Von der Orchesterleistung her grandios, dazu mit Nilsson, Varnay, Hopf, Windgassen, Hotter, Frick, Stewart, Cordes, Ottakar Kraus usw. eine Jahrhundertbesetzung. Dieser Ring wird in die Interpretationsgeschichte eingehen, auch weil es die beste Inszenierung des permanent als Regisseur unterschätzten, oder bewußt ins schlechte Licht manipulierten Wolfgang Wagner war.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von operus
    ...
    Ich möchte auf seinen Bayreuther Ring 1960 -1964 besonders hinweisen. Von der Orchesterleistung her grandios, dazu mit Nilsson, Varnay, Hopf, Windgassen, Hotter, Frick, Stewart, Cordes, Ottakar Kraus usw. eine Jahrhundertbesetzung. Dieser Ring wird in die Interpretationsgeschichte eingehen, ...


    Da sieht man ja schon die Problematik: ich kenne diesen Ring nicht! Und da bei mir 14 vollständige Ringe herumstehen (falls ich in Gedanken richtig gezählt habe), dürfte ich doch schon einem relativ kleinen Kreis von Musikliebhabern angehören, die dieses Werk in ungewöhnlich vielen Facetten kennengelernt haben. Daraus kann man ermessen, für wie wenige Kempes Ring von Bedeutung sein wird. Kempe ist eine Größe für Kenner und Liebhaber, für die breite Musiköffentlichkeit ist er fast nicht mehr vorhanden. Und das wird sich auch nicht mehr ändern. Mit dieser Tatsache muss man leben. Für die, die ihn kennen und schätzen, ist das ja eigentlich auch kein besonderes Problem...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Das Problem des Kempe-"Rings" ist hierzulande ja schon die schwere Beschaffbarkeit. Über Amazon kriegt man ihn kaum noch, muß man also gleich zu ArkivMusic, die ihn dort zu nem wahnwitzigen Preis von 235 Dollar anbieten ("http://www.arkivmusic.com/classical/album.jsp?album_id=21232").


    Wünschenswert wäre daher, daß ein renomiertes Label wie Orfeo sich dessen mal annimmt – wie sie es beim Knappertsbusch-"Ring" von 1956 bereits auch vorbildlich taten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Theophilus Beitrag Kempe 6.9.2009
    Hallo Theophilus,
    zufällig ist mir Dein Beitrag über Kempe untergekommen.
    Der Tod an Pult ist wohl eine Verwechslung mit Joseph Keilberth,der 1968 bei den Münchner Opernfestspielen während einer Tristanaufführung starb.
    Kempe ist im Mai 1976 an den Folgen eines chronischen Leberleidens in Zürich verstorben.Sein letztes Konzert war einige Wochen zuvor das Faschingskonzert der Münchner Philharmoniker.
    Ansonsten verbinden Kempe und Keilberth einige Parallelen :
    Beide waren Chefdirigienten an der Münchner Staatsoper (Kempe bis 1954, Keilberth bis 1968 ); beide leiteten oft die Bamberger Symphoniker und haben dabei auch etliche Aufzeichnungen hinterlassen und schließlich waren beide Vertreter der berühmten "3 K - Ära" Münchens:
    Kempe bei den Münchner Philharmonikern,Keilberth an der Staatsoper und Kubelik beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.Wenn man will,kann man noch 2 K´s dazuzählen,die es allerdings im Vornamen trugen: Karl Richter beim Bachchor und -Orchester sowie Kurt Eichhorn beim Rundfunkorchester des BR.
    An diese Zeiten denke ich noch oft wehmütig aber auch dankbar zurück.
    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Hallo,
    noch eine Ergänzung zu Rudolf Kempe:
    oft wird übersehen,daß er es war,der die Münchner Philharmoniker wieder zu einem Spitzenorchester formte.
    Durch die anschließende Celibidache-Ära tritt die Leistung Kempes leider etwas in den Hintergrund.
    Es ist Celibidache hoch anzurechnen,daß er kurz für seinem Tod das Verdi-Requiem dirigierte und es seinen beiden Vorgängern Fritz Rieger und eben Rudolf Kempe widmete.
    Zu Kempes Zeiten hieß es bei den Münchner Philharmonikern . " Laut sind wir schon fast Weltklasse ". Kempe soll ergänzt haben :" Nicht nur das"
    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Hiezu etwas persönliches:


    In meiner Jugend war ich kein wirklicher Freund der Musik von Richard Strauß (und eigentlich bin ich es heute noch nicht...)


    Um 1968/69 wurde im Wiener Gartenbau Kino, einem der grössten und elegantesten seiner Zeit, die Premiere von Kubricks 2001 -Odyssey im Weltraum - gegeben - und ich war mit dabei.


    Der Film verwendete unter anderem den Beginn der Musik von "Also sprach Zahrathustra" (in der analogen Aufnahme von Herbert von Karajan) - Ich war beeindruckt.
    Solche (vermeintlichen) "Effektstücke kaufte ich damals in der spektakulären "DECCA PHASE 4" Technik - unter einem gewissen Mr. Lewis .Sehr schnell hatte ich herausgefunden, daß das Werk - vom Anfang mal abgesehen, nicht so vordergründig beeindruckend war - wie ich es erhofft hatte.
    Es folgte Jahre später eine Aufnahme mit Karajan (Digital) - aber auch hier wollte der Funke nicht so recht überspringen.



    Ich weiß nicht mehr wie ich auf die Kempe -Aufnahme kam - aber sie war einfach ein Erlebnis. Optimal durchhörbar - klangschön und spannend, lernte ich das Werk plötzlich neu kennen und lieben.
    Als ich- wiederum Monate später - die Lesart Karl Böhms hören und kaufen konnte - änderte das nichts daran, daß ich der Kempe-Einspielung den Vorzug gab,, und das tu ich noch heute...


    Die Aufnahme wurde bereits weiter oben gezeigt, ihr Ausnahmerang aber nicht beschrieben, deshalb setze ich sie erneut in den Blickpunkt dieses Threads


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Aus audiophiler Sicht kann ich nur sagen: Gottseidank spielte Kempe nicht für die DGG. Die Emi-Technik setzte bei den co-produzierten Eterna-Sträussen nochmal eins drauf; gerade die Alpensinfonie und der Till sind für mich mit der Dresdnern ohne Beispiel (Alpine Sph. mit RPO ist selbst unter Kempe keine Konkurrenz, allein was das Blech betrifft).


    Überhaupt - was für ein Orchester (bei Strauss eh mein Favorit, auch unter Böhm). - Die Ariadne hab ich wehmühtig mit Leinsdorfs Wiener Einspielung verglichen - man nehme das Vorspiel, die ersten paar zig Takte - Kempes funkelnde Liebe zum Detail klingt um Dimensionen differenzierter, wie eine Partitur gegen den Klavierauszug (bildlich).


    Die Meistersinger mit BPO von 1956 sind einer der großen Idealfälle in der Aufnahmegeschichte. Was für ein Ensemble, was für ein Dirigat. Das Orchester zu Beckmessers Preislied-Stibitzer in seiner pantomimischen Pointierung, dazu Kusche und Frantz - 10 Jahre nach WK 2 ist das Stück ganz sich selbst zurückgegeben, frei von jeglichem deutsch-allzudeutschen Pathos, eine geistvolle Komödie oder besser: das beste deutsche Lustspiel nach Lessing. - Da kommt Karajan trotz Kollo und Dresdnern lange lang nicht.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Bei Zweitausendeins habe ich mal diese Box ergattert:


    Dort ist sie inzwischen leider als 'ausverkauft' gekennzeichnet.


    Für mich in den meisten Fällen immer noch eine Strauss-Referenz.


    Die Aufnahmen hatte ich schon von meinem Großvater als LP-Boxen geerbt und so endlich auch Silberscheiben! Grandios!

  • Es ist wirklich erstaunlich, zu welchen Höchstleistungen die Staatskapelle Dresden in jener Zeit fähig war, nicht nur unter Kempe. Den Spitzenorchester-Status beansprucht sie ja auch heute noch, doch war Sinopolis viel zu frühes Ableben ein gravierender Einschnitt.


    Kempes Berliner "Meistersinger" von 1956 sind natürlich toll (BTW: Karajans von 1970 würde ich gleichrangig sehen) und haben nur einen Schönheitsfehler: sie sind leider noch in Mono aufgenommen. EMI war da hinten dran. Von daher: Ja, vielleicht doch das falsche Label. Überhaupt ist der EMI-Klang von wechselhafter Qualität (schlimme Beispiele bzgl. Tonqualität noch in den 70ern, etwa Karajans "Don Carlo", grandios dagegen die besagten "Meistersinger"). Ich ziehe den dunkleren von DGG bei weitem vor, sogar vor Decca. Aber das ist ein anderes Kapitel ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

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  • Lieber Operus,


    ich pflichte dir aus ganzem Herzen bei, was den Ring 60-64 betrifft. Ich war zwar noch nicht geboren, habe aber, quasi als geliehene Raubkopie aus Italien, mal einen Mitschnitt von, ich glaube, 1961 gehört. Sängerisch ganz groß. Für mich herausragend Aase Nordmo-Loevberg als Sieglinde, Kraus als Alberich, Frick als Hunding und Hagen und der oft so schlecht bewertete Hans Hopf als Siegfried. Einziger sängerischer Wehrmutstropfen ist der Wotan: Rheingold und Siegfried macht Hermann Uhde, der keine Stimme mehr für die Partie hatte, sie aber glänzend sang, Walküre sang Jerome Hines, der absolut die Stimme hatte, aber mit Musik und Text nicht so gut zurechtkam.


    Musikalisch ist dieser Ring der Himmel auf Erden!!! Wie da einerseits fast episches Theater gemacht wird in der Musik, andererseits aus vollem Herzen einfach musiziert wird, mit soo vielen Mikrostrukturen und Feinheiten, mit spannendster Dramaturgie, das habe ich so noch nie gehört. Hoffentlich wird ein Mitschnitt veröffentlicht in den nächsten Jahren.


    Rudolf Kempe ist einer meiner Lieblingsdirigenten, einer der wenigen, von denen ich Richard Strauss wirklich gerne höre. Ich möchte gerne noch zwei Live-Mitschnitte in eurem Bewusstsein verankern:



    Von der Klangqualität abgesehen, eine tolle Aufnahme. Lorenz ist fantastisch, aus den Nebenrollen ragt Elisabeth Söderström heraus, und ein Ensemble mit Frick, Frantz, von Rohr, Wiener, Melchert, Kmentt, Berry.
    Unglaublich ist das Finale vom ersten Akt, die Geistererscheinungen. Wie der Kempe das macht, wie er die Hauptfigur quasi in den Mittelpunkt einer himmlisch langsamen, wie unendlichen Rotation stellt, wie er da die Nähe von Palestrina und Parsifal herauszaubert. Einfach toll!


    Etwas weniger spektakulär der andere Mitschnitt:
    4035122651355.jpg



    Exzellente Sänger allesamt, Svanholm in Topform (der Mann wird ja wegen seiner kurzen Tenor-Karriere oft unterschätzt9 und ein Dirigat aus einem Guss; ein großer Bogen von Schiff bis Liebestod. Neben Karajans Bayreuthmitschnitt und den berühmten Aufnahmen von Furtwängler und Kleiber mein absoluter Favorit!
    (Das Bild will irgendwie nicht. Ist bei Walhall erschienen: Met 1955,
    Besetzung: Svanholm, Varnay, Hines, Thebom, Metternich)

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • Heute vor 100 Jahren, am 14. Juni 1910, wurde in Dresden der große Dirigent Rudolf Kempe geboren († 12. Mai 1976 in Zürich). Begann 1928 als Oboist in Dortmund. 1935 debütierte er an der Leipziger Oper als Dirigent mit dem Wildschütz und erhielt einen Vertrag als Kapellmeister und Korrepetitor.


    Er galt als Spezialist des spätromantischen deutsch-österreichischen Repertoires, insbesondere Richard Wagners, Anton Bruckners, Johannes Brahms' und, mehr noch, Richard Strauss'.


    Zitat

    Kempe war ein selbstbeherrschter Dirigent, der sein großes technisches Können ganz in den Dienst der Orchester, der Musiker und Sänger stellte. Er sah und erlebte Musik weniger als publikumswirksame Veranstaltung, sondern eher aus der Perspektive der gemeinsam Musizierenden. Daher war er auch ein Anhänger des Ensembletheaters. Seine klare Zeichengebung unterstützte seinen strukturalistischen Interpretationsstil, den man gut daran erkennen kann, dass er gerade in den großen spätromantischen Partituren die kammermusikalischen Qualitäten, die Nebenstimmen und die feinen Klangschattierungen hörbar machte.
    (Wiki)


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Von meinen 25 Aufnahmen mit Kempe höre ich naürlich am liebsten aus der 9-CD Box mit Richard Strauß. Aber auch die Beethoven-Sinfonien GA, Dvorak 9 und Rheingold bei BC sowie die Alpensinfonie sind hörenswert. Über seine Operngesamtaufnahmen, die ich ebenfalls besitze, ist alles gesagt. Für mich war er ein "Bescheidener Großer".


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Auch ich gehöre zu den Glücklichen, die die legendäre "Verkaufte Braut" unter Rudolf Kempe mit den beiden unvergleichlichen Gegenspielern Fritz Wunderlich und Gottlob Frick besitzen sowie die ebenfalls hier schon erwähnte 9CD-Box mit Straussens Orchesterwerken. Da ich diese Werke auch von Zinman habe, kann ich vergleichend sagen, dass Kempe hier doch packender musiziert. Für mich sind beide Kempe-Boxen Referenzen. Ich weiß nicht, ob es noch einmal eine so gute Strauss-Box gibt, eine so gute "Verkaufte Braut" wird es nie wieder geben.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Operus,


    ich pflichte dir aus ganzem Herzen bei, was den Ring 60-64 betrifft.Sängerisch ganz groß. Für mich herausragend Aase Nordmo-Loevberg als Sieglinde, Kraus als Alberich, Frick als Hunding und Hagen. Einziger sängerischer Wehrmutstropfen ist der Wotan: Rheingold und Siegfried macht Hermann Uhde, der keine Stimme mehr für die Partie hatte, sie aber glänzend sang, Walküre sang Jerome Hines, der absolut die Stimme hatte, aber mit Musik und Text nicht so gut zurechtkam.


    Musikalisch ist dieser Ring der Himmel auf Erden!!! Wie da einerseits fast episches Theater gemacht wird in der Musik, andererseits aus vollem Herzen einfach musiziert wird, mit soo vielen Mikrostrukturen und Feinheiten, mit spannendster Dramaturgie, das habe ich so noch nie gehört.


    Auch ich kann dem nur unbedingt beipflichten! Beim Kempe-Ring habe ich Dinge gehört, die ich vorher niemals gehört habe und wie fein er dieses Orchester-Netz webt, die klitzekleinsten Nuancen kommen so plausibel und plastisch zum Tragen, nichts wird übergespielt oder im Eifer des Drama-Gefechts mal eingeebnet und dabei bleibt es immer spannend und formschön, ich muss da wirklich immer wieder drüber staunen. Es ist glattweg so als würde er mehr Musik spielen als die anderen Dirigenten (was an sich natürlich nicht so ist, aber man hat das Gefühl, er gäbe einem mehr Töne). Sängerisch auch sehr stimmig und ich gebe zu, dass es richtig ist, dass Hermann Uhde dort nicht mehr ganz auf der Höhe seiner Stimme ist, dies aber durch sein Vokalisten- und Darstellungstalent ewig wieder herausreißt, man höre nur mal die sonst nicht immer so sonderlich packende Erda-Szene aus dem "Siegfried"...Kempe, Uhde und Marga Höffgen als tolle Erda, so muss das sein!
    Schade, dass Kempe, dass nicht in Stereo machen konnte.
    Genauso schade, dass er immer noch ein "Insider-Tip" zu sein scheint.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Soeben wollte ich Kempes weiter oben von mir vorgestellte Aufnahme von "Also sprach Zahrathustra" bei den unverzichtbaren Aufnahmen einfügen, da musste ich feststellen, daß die Aufnahme bereits gestrichen war.
    Glücklicherweise gibt es sie jetzt auf einer Doppel-CD im Programm.

    Schall und Wahn trifft es auf den Punkt genau, was ich empfinde, wenn er, wenngleich bei einer anderen Aufnahme Kempes schreibt: "Es ist glattweg so als würde er mehr Musik spielen als die anderen Dirigenten". Geanu das war mein Eindruck, auch bei Zahrathustra, Gegen Kempes Aufnahme verblassten auch Karajan und mein Lieblingsdirigent Karl Böhm. Es war, als ob man ein anderes Werk hörte, platischer und feiner durchgezeichnet, zugleich von höchster Musikalität....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es ist wirklich unglaublich.
    Die in Beitrag 19 abgebildete BRILLANT-9CD-Box (eine Übernahme von EMI) ist tatsächlich nirgendwo mehr greifbar.


    Nur die ursprünglichen EMI-Aufnahmen sind nach wie vor in verschiedenen Versionen (als Einzel-, Doppel-CD und als Kempe-GA) am Markt:

    EMI, 9CD, Kempe-GA


    Wohl dem der die BRILLANT-Box seinerzeit für 20Euro abstauben konnte!
    Ich hatte sie mir gekauft um einige fehlende Werke von Richard Strauss endlich auf CD zu besitzen: wie die Josefslegende op.63, alle Bläserkonzerte (finde ich jetzt nicht so doll, dieses Getröte!), Violinkonzert op.8, Rosenkavalier- Walzerfolge, u.a


    Herausragend mit Kempe finde ich Macbeth und Die Alpensinfonie.
    Also Sparch Zarathustra, Don Juan und Till Eulenspigel sind natürlich auch eine Klasse Aufnahme, ... ;) aber da punktet Solti (Decca) bei mir noch mehr. Die hochgeschätze Burleske finde ich auch mit Serkin/Ormandy ungleich packender.
    Die Aufnahmen sind klangtechnisch befriedigend-sehr gut, also nicht alle auf einem gleich hohen Niveau !


    ;) Wer die R.Strauss-Werke auf Decca gemischt mit Solti, Maazel, Metha, Dohnanyi hat, wird da hier und da sogar besser bedient; Ein Heldenleben mit Karajan (DG, 1959) ist ohnehin unerreicht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es ist wirklich unglaublich.
    Die in Beitrag 19 abgebildete BRILLANT-9CD-Box (eine Übernahme von EMI) ist tatsächlich nirgendwo mehr greifbar.


    Für den einen oder anderen vielleicht ärgerlich, aber Brilliant hat uns nicht ganz vergessen: die Kempe-Aufnahmen finden sich samt und sonders in der Brilliant-Strauss-Edition!


    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Die allgemeine Anerkennung, die Rudolf Kempes Gesamteinspielung des Orchesterwerkes von Richard Strauss im entsprechenden thread gegenwärtig erfährt, lässt weiteren Beitrag zu diesem Dirigenten gerechtfertigt erscheinen.


    Kempe wurde bald nach seiner Ausbildung an der Orchesterakademie der Staatskapelle in Dresden Oboist im Gewandhausorchester, in der Zeit der Kapellmeisterschaft Furtwänglers. Parallel zur Instrumentalistentätigkeit betätigte er sich zusätzlich als Dirigent, seit 1936 dann ausschließlich, zunächst an der Städtischen Oper Leipzig. 1949 wurde er am Ort seiner Ausbildung GMD der Sächsischen Staatskapelle. Die bald darauf geknüpften Verbindungen zur Wiener und Münchner Staatsoper sollten konstant bleiben. Nach der MET folgte 1953 ein Debüt in Covent Garden, daß eine lebenslange Verbindung mit London initialisierte. Kempe war zwischenzeitlich Chef des RPO und des BBC-Orchestra; noch heute ist er in Großbritannien in bleibenderer Erinnerung als in Deutschland. Unter den mitteleuropäischen Sinfonieorchestern hatten schließlich das Tonhalle-Orchester und schließlich die Münchner Philharmoniker die engste Beziehung zu Kempe. Seine äußere Unrast steht im auffallenden Gegensatz zu seiner musikalischen Sorgfalt.
    Kempes Desinterresse an "Musikpolitik" und auch an äußerem musikalischem Glanz haben die Nachwelt fast vergessen lassen, daß er einer der fähigsten deutschen Dirigenten des 20. Jahrhunterts war. Heute, am Tag nach dem Tod Claudio Abbados, erinnert Kempes Musizierhaltung unvermeidlich an dessen späte Jahre.


    Rudolf Kempes Sorgfalt gegenüber musikalischen Details und seine Beachtung dynamischer Anweisungen - er war ein "piano-Dirigent", der die dynamische Dramaturgie " von unten" aufbaute - machen ihn zu einem vorzuglichen Richard Strauss Interpreten. Besonders bezeichnend ist hier der "Till Eulenspiegel", äußerlich ein Orchesterreißer, der tatsächlich aber von den sublimen musikalischen Details lebt. Strauss hat hier nicht unwesentlich seinen hoch elaborierten "Personalstil" entwickelt. Viele Dirigenten scheitern an diesem Stück, so daß die subtilen, hintergründigen Aspekte des Straussschen Humors verlorengehen. Kempe ist einer der sehr wenigen Dirigenten, die etwa den intrikanten Rhytmus ab Takt 113 wie notiert realisieren (musikdiktatschreibende Studenten würden von der Mehrzahl von Kempes Kollegen böse verladen...) und zudem noch die Anweisungen "piano", "grazioso" umsetzen konnten. Dies ist nun gewiß kein Selbstzweck, sondern entscheidend für Stimmung und musikerzählerischer Dramaturgie des Stücks. So ist es auch bei Dynamik und Stimmführung um T 170-187.: bei Kempe vermag der Hörer - ausnahmsweise -der musikalischen "Erzählung" ganz zu folgen. Erst durch Kempe habe ich z.B. begriffen, was die Passagen ab Takt 229 ausmalen. Straussverächter, die "Ein Heldenleben" für pompös-banal und selbstbeweihräuchernd halten, könnten u.U. durch die Einspielung dieser Box bekehrt werden. Anstelle von Klangprotz hört man humane Dimensionen, Humor, Polyphonie (die Violinen sind geteilt) und Kohärenz. Anstatt noch weitere Werke hervorzuheben überlasse ich das finale Kompliment lieber Alfred Schmidt:
    "Kempe war ein vorzüglicher Dirigent, seine Aufnahme von "Also sprach Zarathustra" (mit der Staatskapelle Dresden) stelle ich über beide von Karajan und sogar über jene von Karl Böhm."


    Richard Strauss, Orchesterwerke, Staatskapelle Dresden (1970-76)


    Unverdientermaßen weniger bekannt als der Strausszyklus ist die späte Gesamteinspielung der Brahms-Sinfonien. Es spielen die Münchner Philharmoniker, die qualitativ doch recht weit von der Staatskapelle entfernt sind. Zudem ist die Aufnahmequalität mittelmäßig und die Membran/Documentausgabe offenbar von Schallplatte überspielt. Egal: hier liegt die aus meiner Sicht zentrale Einspielung von Brahms 1-4 vor. Brahms ist in seinem hochkomplexen Stil durchaus eine Art Vorgänger von Richard Strauss. Dabei wirken sich auch hier Kempes schon genannte Vorzüge aus. Brahms differenzierte Struktur, der Detailreichtum, die komplizierte "Präpolyrhytmik" sind sehr schwer zu realisieren. Die Einspielungen von Brahms gesammelten Sinfonien sind entweder ignorant gegenüber zahlreichen Details (ginge es nach der Mehrzahl der Dirigenten, hätte sich Brahms viel Arbeit ersparen können) oder leiden - im schon nicht häufigen Fall genauerer Partiturbeachtung - nicht selten unter einer gewissen Steifheit. Dies gilt auch für Hans Swarowskys sonst sehr gelungener Einspielung. Während der Wiener Swarowsky einen eher (vermeindlich) norddeutsch-spröden Brahms bietet, hat Kempe's eine fast "wienerische" Eleganz (mit den WPh hat Kempe eine bemerkenswerte Darstellung von Léhars "Gold und Silber" hinterlassen). Kempe gelingt so etwas wie die Quadratur des Kreises: Brahms ist detailreich, die Rhytmik nicht unterminiert; gleichzeitig hat dieser fliessende Brahms eine bemerkenswerte Noblesse, die ihn vom Vorurteil, "too teutonic" zu sein, befreien könnte. Diese differenzierte Darstellung schließt selbstverständlich auch die Instrumentierung ein. Wer Brahms lieber in Form einer konstanten braunen Klangsoße hört wird mit Kempe nicht glücklich.


    Die Membranbox schließt auch zwei exzellente Bruckneraufnahmen ein: Sinfonien 4 & 5. Es ist ein Bruckner ohne Weihrauch, von einem Dirigenten der seine Fähigkeiten nicht hinter bloßem Wohlklang verstecken muß. Benjamin Cohrs hat andernorts in diesem Forum bereits auf Kempes Bruckner hingewiesen. Die ohnehin strukturbetonte 5. profitiert von der überlegten Disposition des Dirigenten, durch welche die Schlußsteigerung der finalen Doppelfuge erst so recht zur Geltung kommt.Die 4. gilt für gewöhnlich als eine der konzeptionell schwächsten Sinfonien Bruckners, was nur durch etliche "schöne Stellen" kaschiert würde. Kempes Einspielung belegt etwas anderes. Ich möchte auch nicht auf Jochums ungemein klangschöne Finalcoda verzichten, aber erst durch den klug agierenden Kempe habe ich Kohärenz und Konzeption dieser Sinfonie verstanden.


    Johannes Brahms, Sinfonien 1 - 4 ; Anton Bruckner, Sinfonien 4 & 5, Münchner Philharmoniker (1975)


    Nicht vergessen blieb Kempes Wagner. Sein größter Wurf ist jedoch selbst zum Kempe-Jubiläum und im Wagnerjahr nicht vollständig wiederveröffentlicht worden. Jetzt gibt es die u.g. Alternative. Die Meistersinger von Nürnberg, Wagners an sich schon "humanste" Oper bekommt durch Kempe noch eine zusätzliche menschliche Dimension. Schon das Vorspiel ist ein lebendiger, leichter, fast verspielter, aber natürlich wohl disponierter Wagner ohne Bombast. Genial ist z.B. das Finale des zweiten Aktes.
    Vielfach klingt die Fuge etwas steif, oder sie wird beschleunigt, um eine "opernhafte Lebendigkeit" zu bewahren. Kempe manipuliert das Tempo nicht und doch geht alles wundersam und locker zusammen: Wagners Idee, den Ausbruch des totalen Chaos musikalisch fugiert darzustellen, kommt hier erst richtig zur Geltung. Ich wünschte nur, Kempe hätte dieses Werk mit "seiner" Dresdner Staatskapelle (in "Karajan-Form" von 1970) im Studio aufnehmen können.


    Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg, Berliner Philharmoniker (1956)


    Kempes Stärke für's lyrische Element bei Wagner kommt alternativ auch im Lohengrin mit den Wiener Philharmonikern zur Geltung. Vielleicht auf Grund seiner Erfahrung mit der Staatskapelle wußte er die ja in vielerlei Hinsicht verwandten Philharmoniker zu "nehmen" und ihnen ihre schönsten Klänge zu entlocken. Sängerisch ist die Aufnahme insgesamt gut besetzt, insbesondere was Elsa, Ortrud und König Heinrich angeht. Hinsichtlich des Dirigats bleiben allerdings die "Meistersinger" die Jahrhundertaufnahme.


    Bei Testament findet sich eine 12 CD-Box, die u.a. Wiener Schmankerl, darunter die erwähnte Léhar-Aufnahme, enthält. Die EMI-Jubiläumsbox ist nicht zu empfehlen. Sie enthält etliche auseinandergepfückte Fragmente, darunter Querschnitte aus dem Lohengrin und den Meistersingern. Keine Alternative sind die t.w. enthaltenen Einspielungen der Brahms-Sinfonien mit den Berliner Philharmonikern. An sich gelungen, hat Kempe sie b.z.w. sich in München übertreffen können.


    Die drei eingestellten Veröffentlichungen sind jedenfalls die empfehlenswertesten. Die Strauss-Box ist in der Warner Veröffentlichung günstig, bei Brilliant noch billiger zu haben. Die Brahms/Bruckner-Box ist momentan bei jpc für geradezu unangemessene 7 Euro erhältlich.

    2 Mal editiert, zuletzt von Gombert ()

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