In welchen Aufnahmen ist der "typische Klang" der Berliner Philharmoniker am deutlichsten zu hören ?

  • Abbado schien hier ein ebenso unmusikalischer Orchesterquäler zu sein, wie Herbert von Karajan

    Sorry, Andreas, aber ich finde deinen ganzen Beitrag im Allgemeinen und diesen Satz im Besonderen völlig abwegig oder um es drastischer auszudrücken: Groben Unfug!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es hängt mir selbst zum Halse heraus, immer wieder auf alte Aufnahmen zu sprechen kommen zu müssen, aber es ist nun einmal so, dass mich jede Aufnahmen der Philharmoniker unter Knapperstbusch, Barbirolli, Wand, Celibidache oder Furtwängler mehr fasziniert als alles unter Karajan, der schließlich nichts mehr dem Zufall überließ und auch manipulierend in seinen Aufnahmen eingriff. Damit kam er an sein Ende und an das Ende von Interpretation.


    Eine interessante Ansicht, lieber Rheingold, und was es mich betrifft, rennst Du damit offene Türen ein.
    Was ich dagegen nicht verstehe, dass Du in der Frage der Operninszenierungen eher eine gegenteilige Meinung vertrittst. Jedenfalls kommt es mir so vor.
    Sicher geht es Dir in erster Linie um das rein Szenische, doch kann man das schließlich vom Übrigen nicht trennen.
    Und ich kann mir nicht helfen, die Gesangskunst und das künstlerische Engagement einer Schwarzkopf, einer Rothenberger, eines Wunderlich, eines Metternich und ja, auch eines Rudolf Schock sind für mich heute noch ein Garant für höchste Opernkunst.
    Wurde Preys Figaro jemals übertroffen? Oder Schwarzkopfs Marschallin, Rothenbergers Sophie, Metternichs Dappertutto, Wunderlichts Tamino?
    Mir scheint, dass Sänger dieses Kalibers immer seltener werden, weil - und hier bin ich wieder on topic - das Streben nach technischer Perfektion immer mehr den Individualismus in der Kunst verdrängt. Ich denke, das hat sich auch auf die Orchesterkultur ausgedehnt, wo Lautstärke und Effekte wirksam als Stilmittel eingesetzt werden.
    Leider, wie ich fürchte, auch dem modernen Publikumsgeschmack ensprechend.


    Es würde mich allerdings freuen, wenn ich hier daneben liege.

  • Ich halte dieses Orchester für höchst professionell. Darin ehe ich seine
    eigentliche Stärke, das Typische. Es kann sich in Nullkommanix auf
    einen Dirigenten einstellen, den Schalter quasi umlegen und ihm folgen.


    Hallo Rheingold,


    ich will den Berlinern keineswegs schaden, sie tun mir leid und brauchen m.E. Hilfe. Ich zweifele an der von Dir genannten Fähigkeit. Man vergleiche hierzu den inspirierten Bruckner unter Leitung von Günter Wand mit dem NDR-Sinfonieorchester mit dem nüchtern-uninspirierten Bruckner unter Leitung von Günter Wand mit den Berliner Philharmonikern. Und ich halte Wand für einen ausgezeichneten Dirigenten!
    Die Berliner brauchen m.E. dringend einen guten Chefdirigenten, der sie nicht quält und sie das Singen und Sprechen auf ihren Instrumenten lehrt - ohne zu forcieren. Sie sind nach meiner Ansicht an Herbert von Karajan, einem unmusikalischen Orchesterquäler, unmusikalisch geworden. Seine Nachfolger waren wohl auch nicht viel besser.


    Liebe Grüße

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Zitat von »AH.«



    Abbado schien hier ein ebenso unmusikalischer Orchesterquäler zu sein, wie Herbert von Karajan
    Sorry, Andreas, aber ich finde deinen ganzen Beitrag im Allgemeinen und diesen Satz im Besonderen völlig abwegig oder um es drastischer auszudrücken: Groben Unfug!


    Es gibt zahlreiche Filmaufnahmen und Schallplatten, die Karajan bei der Probenarbeit zeigen.
    Man kann nun wirklich nicht behaupten, Karajan sei ein "unmusikalischer Orchesterquäler". Im Gegenteil fasziniert die intensive, dabei stets höfliche und verbindliche Art, wie der seine Intentionen dem Orchester mitteilen konnte.
    Die Behauptung, Karajan sei "unmusikalisch" ist ebenso glaubwürdig, wie diejenige, Ferdinand Sauerbruch oder August Bier hätten nicht operieren oder Rudolf Virchow oder Robert Koch nichts mit dem Mirkroskop anfangen können und für die Medizin nichts geleistet :cursing:


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Es gibt zahlreiche Filmaufnahmen und Schallplatten, die Karajan bei der Probenarbeit zeigen.
    Man kann nun wirklich nicht behaupten, Karajan sei ein "unmusikalischer Orchesterquäler". Im Gegenteil fasziniert die intensive, dabei stets höfliche und verbindliche Art, wie der seine Intentionen dem Orchester mitteilen konnte.
    Die Behauptung, Karajan sei "unmusikalisch" ist ebenso glaubwürdig, wie diejenige, Ferdinand Sauerbruch oder August Bier hätten nicht operieren oder Rudolf Virchow oder Robert Koch nichts mit dem Mirkroskop anfangen können und für die Medizin nichts geleistet :cursing:


    Viele Grüße


    J.Schneider

    :jubel:


    Und bei Abbado weiß ich im Gegensatz zu Karajan aus eigenem Erleben, wie unsinnig diese Behauptung ist!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Abbado hatte eigentlich den Ruf, das individuelle "Timbre" eines Orchesters wahren zu können.
    So klangen etwa die Wiener Philharmoniker selten so "wienerisch" wie in Abbados Aufnahmen von Bruckners 4. und v.a. 7. Sinfonie.


    Während seiner Berliner Regentschaft gab es sicherlich Umbrüche, die nicht zuletzt etlichen Pensionierungen von Orchestermitgliedern geschuldet waren. Darin mag ein Grund zu sehen sein, warum das NDR-Orchester unter Wand in einigen Fällen überzeugender wirkt.


    Welcher Referenzpunkt legt den "eigentlichen" Klang der Berliner Philharmoniker fest? Arthur Nikisch, 1913 in den Trichter gespielt?

  • Welcher Referenzpunkt legt den "eigentlichen" Klang der Berliner Philharmoniker fest? Arthur Nikisch, 1913 in den Trichter gespielt?


    Das wäre wohl die Extremposition. Für die meisten hier dürfte es aber die Ära Furtwängler sein, die (mit Unterbrechungen) gut drei Jahrzehnte dauerte.


    Da Günter Wands Bruckner herangezogen wurde: Im Falle der 5. Symphonie, die er, weiß Gott, zigmal aufgenommen hat, klingt kein von Wand dirigiertes Orchester so tadellos wie die Berliner Philharmoniker. Denke ich allein an die exzellenten Blechbläser im Finale! Vielleicht mag das dem einen oder anderen routiniert vorkommen. Meiner bescheidenen Meinung nach liegen aber bereits Welten zwischen Wands Aufnahme von 1996 und jener Karajans von 1976, die vergleichsweise belanglos daherkommt, wenn auch orchestral ebenfalls perfekt, aber irgendwie seelenlos.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Welcher Referenzpunkt legt den "eigentlichen" Klang der Berliner Philharmoniker fest? Arthur Nikisch, 1913 in den Trichter gespielt?

    :thumbsup:


    Für die meisten hier dürfte es aber die Ära Furtwängler sein, die (mit Unterbrechungen) gut drei Jahrzehnte dauerte.

    Warum sollte das so sein? Die große Zeit der Langspielplatte und die Stero-Zeit begann doch eigentlich erst mit Karajan.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Warum sollte das so sein? Die große Zeit der Langspielplatte und die Stero-Zeit begann doch eigentlich erst mit Karajan.


    Das stimmt zwar, aber was ist Karajan gegen Furtwängler? Man nenne mir mal eine einzige Aufnahme, in der Karajan Furtwängler (nicht nur klangtechnisch) übertrifft. Für viele gilt Furtwängler als der größte Dirigent aller Zeiten, und die Berliner Philharmoniker waren eben mal sein primäres Orchester. Gäbe es Furtwängler auch in Stereo, bräuchten wir überhaupt keine Neuaufnahmen mehr. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Das stimmt zwar, aber was ist Karajan gegen Furtwängler? Man nenne mir mal eine einzige Aufnahme, in der Karajan Furtwängler (nicht nur klangtechnisch) übertrifft. Für viele gilt Furtwängler als der größte Dirigent aller Zeiten, und die Berliner Philharmoniker waren eben mal sein primäres Orchester. Gäbe es Furtwängler auch in Stereo, bräuchten wir überhaupt keine Neuaufnahmen mehr. :D


    Ich glaube, du versuchst hier deine subjektive Sichtweise in einer Art und Weise zu "objektivieren", die so nicht ganz statthaft ist. Es ist genauso legitim, Karajan für bedeutender als Furtwängler zu halten, auch wenn es viele anders sehen mögen. Letztlich waren es zwei aufeinanderfolgende lange "Ären" bei den Berliner Philharmonikern, die sich so nur schwer vergleichen lassen. Die internationale Weltgeltung und Vermarktung des Orchesters setzte eigentlich erst mit Karajan ein und ich bin dankbar, dass unter seiner Leitung nicht nur viele musikalisch und tontechnisch hervorragende Aufnahmen dieses Orchesters entstanden, und dass dabei auch Repertoire bedient wurde, das von Furtwängler nicht bedient wurde. Schon allein für seine wunderbaren Sibelius- und auch übrigens Puccini-Einspielungen hat er bei mir immer ein Stein im Brett, und ich finde es unredlich, ihn nur im Vergleich zu Furtwängler beurteilen zu wollen und ihn als Resultat dieses Vergleichs gering zu schätzen.


    Übrigens ist dein letzter von mir zitierter Satz besonders unsinnig, denn neue Aufnahmen braucht man immer, weil der musikwissenschaftliche Stand immer weiter voranschreitet. Nicht auszudenken, wenn die "Matthäus"-Passion als letztes von Furtwängler eingespielt worden wäre...
    Wenn man also nicht gedanklich 1954 stehen bleiben will, sollte man auch nachfolgende Aufnahmen zu schätzen wissen. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Da Günter Wands Bruckner herangezogen wurde: Im Falle der 5. Symphonie, die er, weiß Gott, zigmal aufgenommen hat, klingt kein von Wand dirigiertes Orchester so tadellos wie die Berliner Philharmoniker. Denke ich allein an die exzellenten Blechbläser im Finale! Vielleicht mag das dem einen oder anderen routiniert vorkommen. Meiner bescheidenen Meinung nach liegen aber bereits Welten zwischen Wands Aufnahme von 1996 und jener Karajans von 1976, die vergleichsweise belanglos daherkommt, wenn auch orchestral ebenfalls perfekt, aber irgendwie seelenlos.


    Lieber Joseph,


    auch für mich ist die 5. mit Wand und den Berliner Philharmonikern das "Sahnehäubchen" der gemeinsamen Zusammenarbeit. Auch die 9. Schuberts ist vorzüglich in meinen Ohren. Bei den anderen Bruckner-Sinfonien hingegen favorisiere auch ich diejenigen, die Wand mit "seinem Orchester"-dem SO des NDR- gemacht hat.


    Weiterhin, denke ich, gibt es einen weiteren Beleg für die Klasse des Orchesters und das bei einem Komponisten, bei dem es "mainstreamiger" kaum mehr geht ;) :



    Die Spielfreude des Orchesters ist hörbar, ebenso wie die hervorragende Qualität in allen Orchestergruppen.


    Leider ist ja bekanntlich gerade die 9. Sinfonie nicht als Livemitschnitt aus Santa Cecilia enthalten. Ein Wermutstropfen...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Das dieser zugegebenermaßen sehr subjektive und nicht ganz ernst gemeinte Kommentar (letzter Satz) Widerspruch ernten würde, war mir bereits vorher klar. ;)


    Wir hatten hier im Forum mal einen sehr, sehr engagierten Fan von Wilhelm Furtwängler, der dies vermutlich todernst gemeint hätte und sogar noch weiter gegangen wäre (ich glaube, ein Karajan-Freund war er ganz und gar nicht). Ich mag durchaus einige Aufnahmen von Karajan, seltsamerweise auch welche, die gemeinhin eher als "auf hohem Niveau misslungen" gelten (seine 5. und 6. von Mahler z. B., auch den umstrittenen "Lohengrin"; ganz toll "Die Meistersinger" live aus Salzburg mit den Berlinern).


    Hier geht es um die Berliner Philharmoniker und ihren "typischen Klang". Für mich ist der typische Klang des Berliner Philharmonischen Orchesters (um das mal korrekt auszuschreiben) in den Aufnahmen von Furtwängler, aber auch von Knappertsbusch (einiges bis einschließlich 1956 ist da erhalten; später ließ ihn Karajan ja nocht mehr ran), Klemperer (Beethoven), Cluytens (Beethoven), Jochum (Brahms) und Barbirolli (Mahler) noch deutlich eher vorhanden als später bei Karajan. Hiervon würde ich allenfalls sehr frühe Aufnahmen Karajans mit den Berlinern ausnehmen, etwa seine Einspielung der 8. Symphonie von Bruckner von 1957, in der das Orchester eindeutig noch nach Furtwängler klingt und die m. E. auch Karajans beste Interpretation dieses Werkes ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

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    – Luís de Camões

  • Gäbe es Furtwängler auch in Stereo, bräuchten wir überhaupt keine Neuaufnahmen mehr.


    Ich stelle mit Bestürzung fest, dass es hier in einigen Beiträgen einige "Mitläufer" von AH gegen Karajan gibt. Es sind die, die es eigendlich nicht nötig hätten und auch solches nie von sich gegeben hätten.


    Lieber Josef,
    wenn Furtwängler in Stereo gewesen wäre, dann hätte man einige nicht mehr zeitgemässe Extras von ihm noch besser erfassen können. Es gäbe (und gibt) immer Alternativen, die auch Furtwängler nicht als den "Gott der Dirigenten" entlarven.


    :!: Es gibt heute einen Beitrag der diesen AH-Quark über die Berliner PH und auch über Karajan genau, knapp, angemessen und kurz spezifiziert: Stimmenliebhaber in Beitrag 31 !!!
    Mehr Worte dazu lohnen auch nicht ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Es ist eine schwer zu beantwortende Frage inwieweit es anstrebenswert ist den Klang eines Orchesters völlig unverändert beizubehalten - und zudem noch - ob das überhaupt im Bereich des Möglichen liegt. Den ersten Teil der Frage möchte ich nicht beantworten, den zweiten indes verneinend.
    Wir erleben heute, daß viele Leute heute Karajans Klangvorstellungen ablehnen - etwas das vor 50 Jahren als undenkbar gegolten hätte. Zu Lebzeiten von BEIDEN Dirigenten war da auch für die EMI die Frage, welchem der beiden verfeindeten Dirigenten der Vorzug zu geben sei. Der legendäre Walter Legge versuchte anfangs zu vermitteln, schlug sich aber dann, als es hart auf hart ging, eindeutig auf die Seite Karajans. Er war (damals) der Dirigent der Zukunft, des neuen Stils, Der Tod Furtwänglers bestätigte auf eigenartige Art die "Richtigkeit" seiner Entscheidung. Dann gab es noch die Nachfolgefrage des Orchesters. Dieses entschied sich überraschend eindeutig - nicht wie erwartet für Celibidache - er hätte Furtwängles Stil einigermaßen weiter beibehalten - sondern für den 45 jährigen Herbert von Karajan. Auch wenn Furtwänglers Aufnahmen mit heutiger Technik aufgenommen wären - auch die Wiedergabe von Klassischer Musik unterliegt dem Zeitgeist (das Wort "Mode" vermeide ich in diesem Zusammenhang bewusst)- man hätte nach neuen Aufnahmen gerufen, so wie das auch nach Karl Böhm in Sachen Mozart passiert - egal ob da was "Besseres" nachfolgt - oder auch nicht.....
    Ich glaube übrigens, daß Rattle der erste Dirigent war der die Spielkultur und Repertoirephilosophie der Berliner Philharmoniker verändern wollte und dies auch getan hat. Möge er dereinst dafür in der Hölle schmoren....... :untertauch:


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Wolfgang,


    Mitläufer gegen Karajan? Ich habe erstens den zitierten Satz sowohl mit Smiley gekennzeichnet als auch zusätzlich als nicht ganz ernst gemeint deklariert. Zweitens schrieb ich eindeutig nachlesbar, dass ich einige Aufnahmen von Karajan durchaus schätze. Dass sich oft erst nach jahrelangem vergleichenden Hören die eigenen Favoriten herausstellen, dürfte doch jedem von uns bekannt vorkommen.


    Die Abwertung der Berliner Philharmoniker kann ich übrigens so auch nicht nachvollziehen. Ich würde sie wohl nicht zum weltbesten Orchester küren, aber trotzdem. Überschätzt halte ich persönlich eher die Wiener Philharmoniker der letzten Jahr(zehnt)e, wobei dies in diesem Forum eine praktisch unaussprechbare Meinung darstellen dürfte.


    Liebe Grüße
    Joseph

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Lieber Josef,
    den "Mitläufer" meinte ich bei Dir auch nicht speziell. (Obwohl dein zitierter Satz ohne AH nicht geschrieben worden wäre !)
    Dazu haben wir in den vergangenen Jahren schon zu viele Hammeraufnahmen mit den Berliner PH Beide für gut befunden. Ich erinnere nur an Tschaikowsky Sinfonie Nr.6 (DG, 1964) - den 3.Satz liefert kaum einer mitreissender als Karajan !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Den "eigentlichen" Klang des Orchesters zu definieren dürfte unmöglich sein, doch zeugt die starke Prägung, welche dieses Ensemble durch ihre jeweiligen "Chefs" erfuhr, auch ein wenig von deren Idiosynkrasie. Gleichgültig ob Furtwängler, Karajan oder Rattle: Alle entwickelten eine ausgeprägte (mitunter diametral entgegengesetzte) "Personalästhetik", die nicht selten verhinderte, dass einem spezifischen Werk in seiner individuellen Charakteristik so ganz Gerechtigkeit widerfuhr. Oder nur dort wirklich Überzeugendes entstand, wo diese Personalästhetik mit den Erfordernissen des Stücks quasi zufällig übereinstimmte. Dirigierte der jeweilige "Orchstererzieher" zu einem Zeitpunkt, an dem das Ensemble (bereits) von seiner Klangvorstellung beherrscht wurde, war die Gefahr von Einseitigkeit gross. Bemerkenswerte Ergebnisse erklangen nicht selten da, wo eine gewisse Widerständigkeit in Form fähiger Gastdirigenten hinzutrat, die von der Grundlagenarbeit des Chefdirigenten profitierten, ohne dessen Klangidealen unterworfen zu sein. Die Orchesterleistung vermochte von derartigen Konstellationen erheblich zu profitieren - vermutlich stammen in dieser Hinsicht mehr "Referenzaufnahmen" von den Gästen als von den Chefs - spontan wäre etwa zu nennen: Markewitsch: Sinfonie KV 338; Fricsay: Tschaikowsky, 5. Sinfonie; Cluytens: Pastorale; Maazel: Capriccio espagnol; Kubelik: Dvorak, 6. Sinfonie; Jochum: Bruckner, 4. Sinfonie; Szell: Tragische Overtüre ...bis hin zu der soeben mehrfach erwähnten Bruckner 5 unter Wands Leitung.


  • Lieber hami, weil das Thema wohl nicht so ganz hierher gehört, möchte ich nur ganz kurz darauf antworten, denn Du hast mich angesprochen mit eine Frage. Ich glaube, man kann eine Operninszenierung dann doch nicht mit der Interpretation einer Sinfonie oder eines Konzertstückes vergleichen. Die Ästhetik einer Bühnenaufführung folgt doch ganz anderen Gesetzen. Ihr Verfallsdatum sehe ich allerdings schneller verfallen als das einer Musikkonserve. Das bezieht sich nicht auf die Sänger. Da stimme ich Dir aus voller Seele zu.


    Und nun noch eine Bemerkung zum eigentlichen Gegenstand. Es sind sehr unterschiedliche Meinungen und Eindrücke geäußert worden über die Berliner Philharmoniker. Das sollte doch gut sein für ein Forum. Es ist zu hoffen, dass das so bleibt. Ich kann mich jedenfalls nicht damit anfreunden, dass jemand für das, was er als seinen persönlichen Eindruck wiedergibt, gleich abgewatscht wird. :( Ich ertappe mich auch dabei, immer gebührend herauszustreichen, dass etwas nach meiner Meinung, nach meinem Dafürhalten, nach meiner Meinung usw. ist. Um ja nicht anzuecken? Darüber ärgere ich mich am meisten selbst, weil das gar nicht meine Art ist, denn ich ecke auch gern an. Mein Gott - ist es nicht vielmehr so, dass das, was ich schreibe auch meines ist, das eigene Urteil eingeschlossen. ?(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • ist es nicht vielmehr so, dass das, was ich schreibe auch meines ist, das eigene Urteil eingeschlossen.


    Solange man nicht verheiratet ist, trifft das voll und ganz zu.
    Zum Thema würde ich gerne die Meinung der Orchestermitglieder hören. Privat natürlich, nicht vor laufender Kamera.

  • Solange man nicht verheiratet ist, trifft das voll und ganz zu.


    Guten Gewissens kann ich von mir sagen, dass ich verheiratet bin. Und es trifft trotzdem oder vielleicht gerade deshalb zu! ;)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Da wohl nur wenige von uns das Privileg hatten, die Berliner Phil noch mit Furtwängler live zu erleben (mit Karajan wohl einige, ich aber auch nicht; da hätte ich als Teenager ein anderes Budget haben müssen, ich war historisch etwas zu spät dran...), muss man sich auf Aufnahmen/Mitschnitte beschränken.
    Das sollte, insbesondere was den "Klang" betrifft, zur Vorsicht mahnen, doppelt bei Karajan, dessen Aufnahmen anscheinend sehr spezifische Kunstprodukte gewesen sind (und bei dem ich oft gehört habe, dass begeisterte Konzertbesucher die Aufnahmen, gerade auch klanglich, enttäuschend fanden) und zehnfach bei Furtwängler, der das Aufnahmestudio hasste.


    Besonderheiten des Klangs unter Karajan scheinen (aber auch die sind keineswegs auf den mir bekannten Aufnahmen durchweg vorhanden) zu sein: Möglichst integrierter, streicherdominierter Klang, ebenso ein massiver und voller Klang (eher zulasten von Transparenz), allmähliche Übergänge "ansatzloses" Entstehen des Klangs, Flexibilität nur in recht engen Grenzen (beides eher zulasten von "Klangrede", rhetorisch-individueller Phrasierung zB bei Holzbläsern). Negativ ausgedrückt, führt das manchmal zu einer verschwommenen "Klangwolke", positiv formuliert zu einem mitreißenden "Klangstrom" mit beeindruckenden Steigerungen usw.
    Furtwängler hat ebenfalls eher einen massiven und vollen Klang, starke dynamische Unterschiede, aber deutlich präsentere und individuellere Holzbläser, breitere und v.a. weit flexiblere Tempi (bis hin zu teils bizarren Beschleunigungen und Abbremsungen). "organisch" mag eine abgedroschene Metapher sein, aber sie scheint es oft gut zu treffen, ebenso das Klischee der maschinenartigen, "seelenlosen" Perfektion bei Karajan. (Wir hatten dochmal einen interessanten Vergleich mittels youtube mit dem Finale aus Tschaikowskys 5. Karajan vs. Celibidache)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Natürlich ist der Vergleich eines individuellen "Orchesterklangs", der ggf. durch das Wirken des verantwortlichen Chefdirigenten wesentlich mitbestimmt wird, anhand von Tonkonserven fast nicht möglich, wenn -wie hier beim Vergleich von Furtwängler und Karajan- eine als revolutionär zu bezeichnende Veränderung in der Aufnahmetechnik stattgefunden hat.
    Die DG-Aufnahmen unter Karajan waren ja klassische Stereo- Multimikrofonie-Projekte im Gegensatz zu den Mono-Aufnahmen Furtwänglers.
    Die Multimikrofonie hat den theoretischen Vorteil der höheren Transparenz des Klanggeschehens, im Übermaß allerdings bewirkt sie eher das Gegenteil, nämlich je nach Mix der zahlreichen Tonspuren die oft bei Karajan kritisierte "Klangwolke", die man allerdings auch als künstlerisches und ästhetisches Alleinstellungsmerkmal der Karajan-Aufnahmen betrachten und entsprechend goutieren kann. Ein weiteres Merkmal der Karajan-Aufnahmen war die sehr weite Dynamik, die mit den z.Zt. der Herstellung der Schallplatten und später CDs (sechziger und siebziger Jahre) im Heimbereich gebräuchlichen Anlagen überhaupt nicht befriedigend abzubilden war und selbst heute noch ambitionierte Anlagen erfordert.
    Dies alles hat allerdings mit der Spielkultur des Orchesters selbst praktisch nichts zu tun, die m.E. während der Furtwängler- und Karajan-Ära keine wesentliche Veränderung erfahren hat.
    Ohne Abbado oder Rattle schmähen zu wollen, finde ich allerdings auch, daß die Wiener Philharmoniker, wenn man sich zu einem irgendwie gearteten "Ranking" herbeilassen will, inzwischen die Berliner überholt haben, während zu Zeiten von Karajan und Böhm aus meiner Sicht Gleichstand zu verzeichnen war; dies ist aber meine höchst subjektive Auffassung.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Ich glaube übrigens, daß Rattle der erste Dirigent war der die Spielkultur und Repertoirephilosophie der Berliner Philharmoniker verändern wollte und dies auch getan hat. Möge er dereinst dafür in der Hölle schmoren.......


    In welchem Repertoire gibt es denn diesen berühmten speziellen Klang der Berliner Philharmonike? Natürlich in der Romantik, hier besonders Brahms, Bruckner, Wagner......
    Und wenn es um diese Literature geht, dann höre ich das genau anders. Es klingt jetzt schöner, wärmer und "deutscher" als je zuvor. Ich verweise hinsichtlicher Musikbeispielen noch einmal auf diesen Beitrag.


    Was schon bei Abbado, aber vor allem seit Rattle neu hinzukam, ist die Öffnung des Orchesters in Richtung historische Aufführungspraxis einerseits und auch Moderne andererseits.
    Sie sind heute flexibler und besser denn je, meiner Ansicht, bzw. besser meinem Hören nach.


    Es gibt im Bereich Sibelius und Wagner grandiose, positive Beispiele des Klangs der Karajan-Ära.
    Allerdings hörte ich auch vor einigen Tagen in die Romantische von Bruckner mit Karajan und diesem Orchester, d.h. ich versuchte es. aber irgendwann ging es einfach nicht mehr, weil ich diesen herrisch-protzenden und gleissenden Klang nicht mehr aushielt, jenes in dieser Phase besonders gepflegte Bruckner-Grundmissverständnis (Bruckner als Plattform zur durchschaubar-peinlichen Selbstdarstellung eines Mannes, der sich im Moment der Einspielung offenbar für groß hielt und sein ihm zur Darstellung dieser Eitelkeit dienliches Orchester in brutale Lautstärken forciert) regelrecht als Gewalttat empfand.
    Karajan hat dem Klang des Orchester manchmal gutgetan (bei Wagner passt das ja...), aber manchmal auch nicht.
    Ich für meinen Teil hätte da schon ganz gerne Bruckner gehört, nicht Brucknernoten als Basis für etwas unmenschlich Großtuerisches.
    Obwohl ich ja bei Bruckner nicht Wand-Fan bin, erkenne ich doch sehr an, dass hier die Inhalte der Musik im Vordergrund stehen, nicht Wand.
    Dasselbe gilt für Rattle und übrigens auch für Celi. Ja, er ist in Proben ein Rechthaber gewesen, aber wenn es um den Bruckner geht, macht er sich nicht durch seine von der Mehrheit abweichenden Tempi wichtig. Das gerade nicht - er hat unglaublich viel vom Wesenskern dieser Musik verstanden und vermittelt das auch. All das kommt auch sehr direkt im Klang zum Ausdruck. Karajan liefert für Bruckner bei seiner BPO-Einspielung der Romantischen einen Klang, der sich in seinem hohlen, sinnlosen Protzglanz selbst genügt. Ich kann verstehen, dass BPO-Musiker und Bruckner-Fans gerade deswegen das Orchester verließen, und zu den Münchener Philharmonikern stießen.



    Die DG-Aufnahmen unter Karajan waren ja klassische Stereo- Multimikrofonie-Projekte im Gegensatz zu den Mono-Aufnahmen Furtwänglers.
    Die Multimikrofonie hat den theoretischen Vorteil der höheren Transparenz des Klanggeschehens, im Übermaß allerdings bewirkt sie eher das Gegenteil, nämlich je nach Mix der zahlreichen Tonspuren die oft bei Karajan kritisierte "Klangwolke", die man allerdings auch als künstlerisches und ästhetisches Alleinstellungsmerkmal der Karajan-Aufnahmen betrachten und entsprechend goutieren kann.


    Einer der besten Karajan-Aufnahmen überhaupt gibt es gar nicht kaufen. Es ist eine Live-Aufführung der Erocia......irgendeine Festveranstaltung war es, noch im Beisein des Bundeskanzlers, also Helmut Schmidt.
    Ich habe es damals mit einem AKG-K340 und einem Luxman-Tuner im Radio live gehört und dazu das TV-Bild gesehen, das auch gleichzeitig ausgestrahlt wurde.
    Hier konnte Karajan nicht an den Fadern des Mischpultes herumspielen. Genausowenig hat er hier selbst Bildregie geführt, d.h. man sah die Gesichter der Musiker, sie saßen nicht so militärisch aufgestellt, er war nicht so oft im verklärten Gegenlicht mit Haarschimmer zu sehen, wie er sich selbst gerne bei seinen eigenen Filmschnitten darstellte.
    Es war klanglich und musikalisch die beste Eroica, die ich bis heute von ihm und den Berlinern gehört habe.


    Wieviel besser, dynamischer, räumlicher, bewegender, luftiger, wärmer, aufgelöster uvm. Aufnahmen vom Symphonieorchester klingen können, wenn man nur mit 2 AB-Hauptmikrofonen (nicht weit auseinander, Gruß an A.H.) an idealer Stelle postiert abnimmt, kann man bei den legendären Denon One Point-Aufnahmen und High-End-Equipment erfahren. Es gibt aber auch andere heutige, technisch gute Aufnahmen mit vorsichtigem Einsatz Stützmikrofonen, die m.E. besser klingen, als diejenigen, bei denen Karajan sich erlaubte, im wahrsten Sinne des Wortes sich in die Arbeit der Tontechner einzumischen.
    Statt dass er versuchte, einen natürlichen Klang zu verfolgen, der dem Konzerterlebnis mit einem idealen Hörplatz entspricht, hatte er eigene ästhetische Vorstellungen, die m.E. nicht unbedingt zur Verbesserung beitrugen, denn der natürliche Klang in guter Akustik ist m.E. auch immer noch der beste.


    Ich besitze einige Karajan-Aufnahmen, die auch technisch richtig gut klingen. so als wenn sie in 2014 aufgenommen worden wären. Wenn ich mich recht erinnere, sind die von der DG dann später noch einmal neu abgemischt worden, diesmal auch mit entsprechenden Time-delay etc. für im Orchester weiter hinten sitzende Instrumentalisten. Man will damit wohl den unnatürlichen Eindruck, dass eine Oboe genauso vorne steht, als ob er wie ein Solist im Oboenkonzert vor dem Orchester stünde, wieder entfernen. Manche Neuabmischungen sind da ziemlich gut geworden. Hoffentlich irre ich mich nicht, aber ich sehe noch den Text hinter auf CD auf dem die Infos zu den Neuabmischungen stehen. War es Sibelius und DG? Ich müsste suchen...


    Solche Dinge gibt es heute nicht mehr und man kann sehr froh sein, wenn man den unfassbar vollen und luxeriösen Klang der BPO in einer neueren Aufnahme im herrlich natürlichen Klangbild erleben kann, wie z.B. die Maazel-Wagner Blu-ray, die ich in meinem obigen Post bereits erwähnte.


    Das Reden im Sinen von "früher beim HvK, da gab es noch Klang.....heute hingegen.....) entbehrt jeder Grundlage, aber es wird trotzdem gerne immer wieder gepostet.


    Wenn es um die Zeiten des "goldenen" Klangs des BPO geht, leben wir schon seit Jahren mitten in diesen Zeiten.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    wir sind offenbar nicht kongruent über Herbert von Karajan. Denn wenn ich gefragt würde, was er konnte, würde ich sagen: Bruckner. Ich habe die 3. und die 9., die 8 habe ich mir einmal ausgeliehen und ich ziehe zwar Wand, Schuricht, Eichhorn, Giulini oder Walter vor, dennoch ist es erkennbar Bruckner. Ich habe auch kurz in Karajans letzte Aufnahme hineingehört, Bruckners 7. und mir fiel ein Accelerando zum Höhepunkt des Adagios auf, das ich von anderen Dirigenten nicht kannte. Ich schaute in die Partitur - und es steht darin!
    Bei Bruckner ist es nach meiner Ansicht so, daß wenn man die Partitur spielt, Bruckner entsteht. Vielleicht kann man auch noch mehr machen, die Musik rhythmisch zum Schwingen bringen, wie Günter Wand es 1986 bei der 6. tat oder Kurt Eichhorn mit BR-Sinfonieorchester bei der 5. Aber zumindest später Bruckner ist "nicht menschlich" in seinem Ausdruck. Bruckner singt und spricht nicht. Aber er muß phrasiert werden und man muß Spannung und Entspannung richtig erkennen und dirigeren.
    Karajans Bruckner ist vor mir insgesamt eher statisch. Kein besonders guter Bruckner, aber Bruckner.


    Der Rest der Musik soll nach meinem Verständnis singend und/oder sprechend artikuliert werden. Und das kann oder tut Karajan, so wie ich ihn kenne, nicht oder falsch. Deswegen nannte ich ihn "unmusikalisch". Dabei handelt es sich natürlich um ein subjektives ästhetisches Urteil.


    Nimmt man seinen Brahms, so ist er stets forciert, steht unter Dauerspannung, weder redet er, noch singt er. Das finde ich quälend. Man vergleiche hierzu Bruno Walter, der ja direkt aus der romantischen Tradition stammt. Wenn Walter authentisch ist, ist Karajan vor mir falsch.


    Meine "Musik-Ansprache"


    Liebe Grüße


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Die Berliner sind nach meiner Ansicht das schlechteste professionelle Orchester der Welt - und das einzig wirklich schlechte unter den professionellen, aber vielleicht könnte Herbert Blomsted helfen, aus den Berliner Philharmonikern wieder einen musikalischen Klangkörper zu machen.

    Lieber Andreas, deine Meinung ist wohl interessant, doch hier ziemlich singulär. Ich besuche oft Konzerte mit den Berliner Philharmonikern und auch anderen Orchestern in Berlin, auch Gastorchester aus London, Moskau, Wien usw. Da kann ich gut vergleichen und für mich gehören sie nunmal zu den besten Orchestern! Berlin oder Wien, für mich ziemlich unentschieden. Sie haben z.B. phänomenale Solobläser, mit Albrecht Mayer wohl sogar den weltbesten Oboisten, wie in einer Berliner Zeitung jetzt zu lesen war und auch einen sonoren Streicherkörper. Um zu Blomstedt zu kommen: Ich bin gleich auf dem Weg in die Philharmonie und werde mich bei Bruckners Achter mit Blomstedt wieder vom "typischen Klang" der Berliner Philharmoniker überzeugen lassen. Vielleicht melde ich mich dann noch mal hier.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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  • Auch ich habe mir heute nachmittag die von Andreas erwähnte Siebte (Karajans letzte Aufnahme) von April 2009 angehört und war -wie schon bei früheren Hörsitzungen- auf eine eher sentimentale Weise beeindruckt. Man muss bedenken, daß Karajan diese Aufnahe -weit erntfernt von allen früheren Eitelkeiten- seinem schwer kranken Körper quasi abgerungen hat. Es zeigt sich hier die Quintessenz und die Erfahrung eines langen Lebens für die Musik, und diese hat bei Karajan zweifellos, ganz unabhängig von manchen Arabesken seiner Persönlichkeit, im Vordergrund gestanden.


    @ Glockenton
    Warum sich die One-Point-Aufnahmen nicht auf breiter Front durchsetzen konnten, sondern auch heute noch mehr oder weniger Multimikrofonie betrieben wird -wenn auch sicher in geringerem Maße wie früher- hat sich mir nie ganz erschlossen, da die Grundidee des Verfahrens ja nicht neu ist---s. z.B. die Mercury Living-Presence- Aufnahmen oder die Ursprungsidee des "Decca-Tree".


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • wir sind offenbar nicht kongruent über Herbert von Karajan. Denn wenn ich gefragt würde, was er konnte, würde ich sagen: Bruckner.


    Tja, und gerade Bruckner und Schubert finde ich von ihm eher nicht so überzeugend (Bach ist noch eine grundsätzlich andere Sache).
    Wenn er aus meiner Sicht etwas konnte, dann waren es bestimmte ihm liegende Beethoven-Symphonien (3, 5, 7, 9), sein früher Brahms (bei dem noch nicht das aus meiner Sicht richtig beschriebene Drücken nach vorne nicht so bestimmend war), Sibelius und Wagner.


    Karajans Bruckner ist vor mir insgesamt eher statisch. Kein besonders guter Bruckner, aber Bruckner.


    Schon einig, wobei wir ja hier eigentlich eine Klangdiskussion über den typischen Klang des BPO führen. Und gerade Bruckner, Brahms oder auch Schubert kann dieser Klang mit seinen Vorzügen zur Geltung kommen. Wenn man dann aber z.B. den zweiten Satz der Vierten von Bruckner nimmt, dann wird dort eine Geschichte erzählt. Es gibt dort zwar auch Erleuchtungen auf diesem Pilgerweg, aber man findet vor allem den eindrücklichen Charakter des innerlichen Gebrochenseins. Wenn man sich da an langgezogenen, karajanesken Legatolinien und am Strahlklang aufhängt, sich damit begnügt und nicht weiter zum eigentlichen Kern der Aussage vordringt, dann ist das eine Oberflächenpolitur, obendrein bei Stellen, die niemals vor kaltem Selbstbewusstsein strotzen sollten. Bruckner will aus meiner Sicht gerade nicht so etwas Übermenschliches darstellen, sozusagen im Sinne von stark, herrlich und grausam. Eigentlich geht es bei ihm eher um das Gegenteil und um sehr viel katholische Religion, weshalb er ja auch bei aller Bewunderung und bei aller Übernahme von Stilmitteln ein gänzlich anderer Komponist als Wagner ist.
    Der Dirigent, der diesen Feinheiten in seinen Interpretationen besonders gut nachspürt und sie vermitteln kann, ist aus meiner Sicht Celibidache. Dort wo man bei anderen nur den irgendwie nicht nachvollziehbaren Krach eines massiven Blecheinsatzes hört, erschliesst sich bei ihm der Zusammenhang. Es ist eine humanere Brucknerinterpretation. Trotz der Breite geht da für mich der Überblick über die Form nicht verloren. Form an sich ist ja etwas Schönes, aber ohne verstandenen Inhalt nützt mir jedenfalls die Form auch nicht viel.


    Den Bruckner-Spätaufnahmen Karajans mit dem WPO gestehe ich gerne ihre hohen individuellen Qualitäten des gereiften, altersweisen Mannes zu. Vielleicht musste Karajan an sich selbst dieses Gebrochensein, das Sterbliche usw. erfahren damit sein Bruckner ein etwas anderes Gesicht bekam
    Ich habe mir die selbst auf CD besorgt, auch zwei Symphonien auf DVD. Hier allerdings geht es ja um den typischen Klang des BPO, und bei diesem Thema ist ja der Name Karajan auch automatisch mit dabei.


    Weiter oben wurde die Frage gestellt, ob Rattle von diesem Klang überhaupt etwas übriggelassen habe. Nein, er hat nicht nur etwas "übriggelassen", sondern diesen Klang bei der romantischen Literatur noch verstärkt, erweitert und sogar verschönert, gerade bei den Brahms-Symphonien.
    Es ist bei ihm und dem BPO ein Atmen, ein Sprechen und ein Singen und vor allem ein vollmundiger, erdiger, saftiger und warmer Klang, der dieses Orchester von je her auch irgendwie "größer" erscheinen lässt, als andere.


    Mir ist das mit der klanglichen Größe z.B. selbst beim Harnoncourt aufgefallen. Erst hörte ich eine Schubert-Symphonie mit dem Concertgebouw Orkest, und direkt danach dasselbe Werk mit dem BPO und ebenfalls mit Harnoncourt als Dirigenten. Hier klang das BPO sehr groß, warm, und voll, während das andere Orchester etwas spröder und "irgendwie kleiner" tönte. Ob es wirklich an den Orchester oder an den Aufnahmen lag, kann man ja schwer sagen. Aber weil mir bei Vergleichen genau diesen Unterschied schon oft begegnet ist, bin ich geneigt, es doch auf das Orchester selbst zu schieben.


    In alten Zeiten hatten sie jedoch nur dieses Klangbild, was natürlich für einen Haydn, einen Bach oder einen Mozart nicht adäquat ist, weil es dem Sprechenden dieser Musik eben nicht so entspricht.
    Von daher ist es ein Verdienst Rattles, das Orchester auch für diese Komponisten fitgemacht zu haben, bzw die Musiker des Orchesters habe das ja selbst so sehr gewünscht. Wenn man seine klangliche Kernidentität bei den hierfür geeigneten Komponisten weiterlebt, dann ist das eine tolle Sache. Ebenso ist es nur zu begrüßen, dass man sich hinsichtlich der von der historischen Aufführungspraxis besonders profitierenden Komponisten eine größere Flexibilität angeeignet hat, auch im Wettbewerb mit anderen Orchestern.


    Gruß
    Glockenton


    PS.: hinsichtlich der Aufnahmetechnik wünschte ich mir, dass es bei den neuen Aufnahmen der Majors und der anderen Firmen auch noch die Möglichkeit gäbe, die Einspielung als Kunstkopfaufnahme zu bekommen, was ja bei der im Hifi-Markt erstaunlich gestiegenen Bedeutung des Kopfhörerhörens vielleicht auch irgendwann einmal sich bezahlt machen könnte. Das Schöne am Kopfhörer ist ja, dass man mit vergleichsweise geringem finanziellem Aufwand schon eine Klangqualität bekommt, von der einfache bis mittlere Consumer-Boxen nur träumen können, gerade auch, wenn man an die Abhörräume denkt. Wenn dann noch das Problem der IKL gemildert würde und die Nachteile der Multimikrofonie wegfielen, dann wäre das ja ein Leckerbissen. Wäre sehr gespannt, wie das BPO in einer solchen Aufnahme über meine Kopfhöre klänge. Ich kann mich jedenfalls an Kunstkopf-Orchesteraufnahmen mit Stax-Kopfhörern und dem Jecklin Float erinnern, die einfach überwältigend waren. Das wünschte ich mir....

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Karajans DG-Aufnahme der 4. Sinfonie Bruckners empfinde auch ich als misslungen. "Romantisch" ist da nichts mehr (die EMI-Einspielung wirkt noch halbwegs "natürlich" - aber nur im unmittelbaren Vergleich). Andererseits erhält die 2. Sinfonie eine überraschende Kontur - sie wirkt auf bemerkenswerte Weise enthumanisiert, die Coda des Kopf- wie des Finalsatzes erinnern durch sarkastisch-bösartige Affirmation bereits an Schostakowitsch. Ein anfechtbarer, aber nicht implausibler Ansatz, durch den harschen Klang der frühen digitalen Aufnahmetechnik noch unterstützt. Als Harnoncourt die von Karajan dirigierten Bruckner-Scherzi lobte, mag er u.a. an den entsprechenden Satz der 3. Sinfonie gedacht haben, der mit enormer "rustikaler Aggressivität" erklingt - ein Effekt, den sich beide Dirigenten ungern nehmen liessen.