Kann man Mozart eigentlich NICHT mögen?

  • Zitat aus Beitrag 296 "Möglicherweise gibt es einen ganz kurzen moll-Akkord, aber sicher bin ich nicht."


    Ich meine, Mozart muss man nicht verteidigen. Es steht doch jedem frei, ihn zu mögen oder eben auch nicht. Jedoch möchte ich eine sachliche Klarstellung zum Kopfsatz von KV 459 anbringen.


    Der Satz beginnt in F-Dur. Der Seitensatz der Exposition (also das zweite Thema) steht durchgehend in C-Dur (=Dominante zu F) mit kurzer Ausweichung nach d-moll.
    Die Durchführung knüpft hier an, indem sie in der Parallele a-moll beginnt und dann (mit Zwischendominanten) über d-moll, g-moll, c-moll, f-moll, h-moll wieder nach a-moll zurück findet.


    Von dort moduliert Mozart ins F-Dur der Reprise zurück, die jedoch das Thema weiter verarbeitet und unter anderem nach A-dur, d-moll, h-moll und g-moll geht, vor allem bei Verarbeitung des Seitenthemas. In einem Falle wechseln sogar die Tonarten während des Hauptthemas mehrfach, wo zuvor das Thema selbst stets bei seiner Tonart blieb.


    Man könnte bei Mozart sehr wohl Beispiele für enervierendes "Kleben" an einer Tonart finden (beispielsweise in den sehr frühen Flötensonaten). Dieser Satz scheint mir dafür jedoch gänzlich ungeeignet.


    Zudem bietet er wesentlich mehr Qualitäten, als jene der Harmonik. Ich finde die Instrumentierung sehr ansprechend, da den Bläsern eine sehr eigenständige Rolle zukommt, und sie regelrecht mit dem Klavier konzertieren und sich teilweise von ihm begleiten lassen.


    Diesen Beitrag schrieb ich noch ohne jenen zuvor geschriebenen von Hasiewicz mit ein zu beziehen, den ich eben erst sah.

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Danke, Bachiana, für diese schöne Illustration! Ich bin selbst immer schon ein ausgeprägter Harmonieliebhaber gewesen und verstehe diese Präferenz von AH durchaus. Die Beispiele langsamer Sätze, die ich genannt habe, sind aber gleichermaßen berückend wie unmittelbar zu hören, dass ich sie dem Diskutanten tatsächlich ans Herz legen möchte, denn es mag durchaus sein, dass man bei oberflächlichem Hören die Rückungen in KV 459 gar nicht so wahrnimmt.


    Es gehört nicht hierher, aber mein Faible für Reizharmonik führt mich immer wieder zur Musik der klassischen Moderne hin, sei es Korngold, sei es der klassizistische Strawinsky, sei es Messiaen. Dennoch: Man wird auch bei Mozart ganz gewiss fündig.


    Zitat

    Zweiterbass: Ich bezweifle sehr ob die Harmonik von der Melodie getrennt gesehen/gehört werden kann (also kein 1. - 2. ) - Beides bedingt sich und geht meist eine enge Verbindung ein.


    Das bezweifle ich auch, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass dies beim Hören geschehen kann. Das ist es auch, was ich oben mit "Reizharmonik" meine und was bis hin zu einer Farbempfindung gehen kann. Etwa in der Mitte des Mittelsatzes von KV 453 finden sich mehrere Generalpausen mit anschließenden akkordischen Harmoniewechseln. Eine der Dur-Varianten (es könnte As sein - ganz sicher bin ich mir nicht, jedenfalls weit entfernt von der Grundtonart des langsamen Satzes - und auch nach vorausgehenden Moll-Einsätzen) dunkelt für mich das Thema derart ab, dass ich es jedesmal als elektrisierend empfinde, im besten Sinne als eine wunderbar "schöne Stelle". Man möge nachhören!


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich vergebe keine Punktzahlen für Harmonik

    Ich auch nicht, das machen wohl nur die allerwenigsten, denn ansonsten wäre die Meinung, Franz Liszt sei der größte Komponist aller Zeiten, sicherlich längst Allgemeingut! :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich auch nicht, das machen wohl nur die allerwenigsten, denn ansonsten wäre die Meinung, Franz Liszt sei der größte Komponist aller Zeiten, sicherlich längst Allgemeingut! :D


    Seltsam: Liszt fällt mir da nicht ein an erster Stelle. Ich lasse es aber spontan für die Jeux d'eaux à la Villa d'Este (zum Beispiel) gerne gelten.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Der Satz beginnt in F-Dur. Der Seitensatz der Exposition (also das zweite Thema) steht durchgehend in C-Dur (=Dominante zu F) mit kurzer Ausweichung nach d-moll.
    Die Durchführung knüpft hier an, indem sie in der Parallele a-moll beginnt und dann (mit Zwischendominanten) über d-moll, g-moll, c-moll, f-moll, h-moll wieder nach a-moll zurück findet.


    Hallo Bachiana,


    ich habe in der Durchführung kein moll oder so gut wie kein moll gehört. Leider liegt mir gerade keine Partitur vor, möglicherweise hast Du dich im Konzert geirrt.


    Liebe Grüße


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Oh. Ich (und ich vermute die anderen auch) sprach vom Klavierkonzert Nr. 19 F-Dur KV 459.

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Man möge nachhören!


    Was ich getan habe. Ich hoffe, ich habe die richtige Stelle gehört (in der YouTube-Einspielung mit Dohnanyi ca. 4:20 - 5.35). Ich höre das wie eine Kadenz, obwohl es natürlich keine ist. Bei 4:20 verlässt er die Grundtonart des 2. Satzes und moduliert über verschiedene Tonarten und -geschlecht bei 5:35 zur Grundtonart des 2. Satzes zurück. Dabei verwendet er das/die Thema/Melodie des 2. Satzes aber nur bruchstückweise.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Bitte, Zweiterbass, schicke uns den Link, auf den du dich beziehst. Damit wir sicher eine korrekte Kommunikatoonsgrundlage haben. Danke!

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  • Ich gehe davon aus, dass zweiterbass die selbe Passage meint wie ich. Die Beschreibung trifft zu.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!


  • Liebe Bachiania, vielleicht kann ich aushelfen, ich habe zwar Dohnany bei Youtube nicht gefunden, dafür aber den von mir heiß und innig geliebten Radu Lupu unter David Zinman; wenn das kein Ersatz ist. Die Herrschaften sehen noch ziemlich jung aus, alos muss das schon eine ältere Aufnahme sein, dennoch aber mit fabelhaftem Klang.
    Ich habe den ersten und den zweiten Satz gehört, und obwohl ich keine Partitur von dem Konzert habe, konnte ich erkennen, im Gegensatz zu den Ausführungen von zweiterbass, dass an der entsprechenden Stelle (ca. 4:20-5:35 min.) im ersten Satz diese Moll-Modulationen sind.
    Im zweiten Satz sind bei ca. 2 1/2 Minuten Mollsequenzen, bei ca. 4:20 min. etwa beginnt die Reprise, und die steht eindeutig in Dur.


    Ich hoffe ein wenig zur Aufklärung beigetragen zu haben, oder habe ich die Verwirrung noch vergrößert?


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Willi, Du sprichst von 459, zweiterbass, Du meinst 453. Ich auch. Danke für den Link! Denn jetzt kann ich auch die Modulation nach As (1) benennen, die mich ganz besonders fasziniert: 6'06'', also erst nach der Wiederaufnahme des kompletten Themas.


    459 ist aber für mich jetzt natürlich auch sehr interessant.


    Und AH sollte endlich Abbitte leisten. :D


    :hello: Wolfgang


    (1) EDIT: Zunächst meinerseits Abbitte. Es ist Es-Dur!

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  • Soeben ist mir noch etwas Beunruhigendes aufgefallen: Wenn ich hintereinander auf dem Klavier einen einfachen Dur-Dreiklang zuerst in C und dann in Es anschlage, empfinde ich Es eher als heller denn als dunkler. Scheint doch nicht zu funktionieren (bei mir?) mit diesen Farbwahrnehmungen! :S


    :hello: Wolfgang

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  • [Die Herrschaften sehen noch ziemlich jung aus, alos muss das schon eine ältere Aufnahme sein, dennoch aber mit fabelhaftem Klang.

    Ich habe es heute mal über meine HiFi-Anlage laufen lassen: Da merkt man dann schon, dass da zu »fabelhaft« noch einiges fehlt. Aber bei der Wiedergabe am Rechner oder auf einer Billiganlage hört sich das tatsächlich gar nicht schlecht an.

  • Liebe Mozartfreunde,


    Nun fand auch ich die Zeit, mir diesen zweiten Satz von KV 453 anzusehen. In der Tat ist diese Modulation bei 06:06 interessant. Doch noch spannender ist es, wenn man die Betrachtung etwas früher beginnt, nämlich bei T. 69, (bzw. 04:33 in unserer Aufnahme), wo das Klavier einen waghalsigen Modulationsweg von d-moll bis nach Gis-Dur nimmt (wo es schließlich bei 05:30 angelangt ist).


    Noch gewagter ist dann die Tatsache, dass Mozart von dieser sehr weit entfernten Tonart (die immerhin 8 Kreuze hat !) in nur vier Takten nach C-Dur rückmoduliert ! Dies geschieht, indem er bei ein und demselben Akkord sukzessive die Vorzeichen entfernt. Eines nach dem anderen. Dadurch mutiert die Harmonik mehr als sie moduliert, und hinterlässt beim Hörer das eigenartige Bauchgefühl, stets zu denken, man sei schon dort, wo man hingehöre, und dann beim nächsten Akkord eines besseren belehrt zu werden.
    (Diese vier Akkorde finden dann von 05:33 bis 05:49 statt)


    Kaum glaubt man dann mit dem gewonnenen C-Dur endlich festen Boden unter den Füßen zu haben kommt eine einfache Modulation nach G-Dur. Das ist ja nach alledem nicht besonders bemerkenswert. Dann kommt besagte Generalpause (bei 06:06).
    Dies ist nun Wolfgangs Lieblingsstelle.
    Mozart wendet nun genau die reziproke Technik von zuvor an: er ändert nicht einen Ton des Akkordes, sondern lässt genau EINEN Ton gleich, nämlich das g und erniedrigt alle anderen Töne, so dass der befremdete Hörer sich urplötzlich in Es-Dur befindet!!!
    Eine weiter Weg für gerade mal 24 Takte ! Vor allem, weil Gis-Dur und Es-Dur im Quintenzirkel wahrlich eine halbe Weltreise sind. Hier könnte sich so mancher Spätromantiker noch was abschauen.
    Und weils so schön ist, liefere ich der Einfachheit halber die Noten gleich mit:



    Es grüßt euch


    Mozartiania

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)

  • Vielen Dank, Meisterin Mozart-Bachiana!


    Meine Lieblingsstelle ist, wie mir scheint, rein hörpsychologisch entstanden, und wirkt auch nicht bei jeder Einspielung in gleicher Weise. Deine Beschreibung zeigt mir wieder einmal überdeutlich, dass es sich bei Mozart - wo es so oft beim Klischeehörer am allerwenigsten geschieht - ganz besonders lohnt, das Detail nachvollziehen, unabhängig davon, ob man dies im Konzert oder beim nicht allzu genauen Rezipieren daheim auch hört bzw. hören würde, um sich der Bedeutung dieser Musik bewusst zu werden.


    Natürlich liegt diese Bedeutung im Prinzip innerhalb des Rahmens einer Funktionsharmonik, welche im Laufe des 19. Jahrhunderts systematisch außer Kraft gesetzt wird. Mozart ist kein Revolutionär - das ist Beethoven, später dann Wagner, Debussy, Schönberg. Was er ohne Revolution schafft, macht ihn einmalig.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Das G-Dur-Konzert war eines von Bernsteins Lieblingsstücken (und eines der wenigen Konzerte, die er als Pianist häufig gespielt und auch eingespielt hat). Ich meine, es gäbe in einem seiner Bücher auch Anmerkungen dazu; also, wenn jemand die eh im Regal stehen hat, lohnte es das Reinschauen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Deine Beschreibung zeigt mir wieder einmal überdeutlich, dass es sich bei Mozart - wo es so oft beim Klischeehörer am allerwenigsten geschieht - ganz besonders lohnt, das Detail nachvollziehen, unabhängig davon, ob man dies im Konzert oder beim nicht allzu genauen Rezipieren daheim auch hört bzw. hören würde, um sich der Bedeutung dieser Musik bewusst zu werden.


    Nicht nur beim" Klischeehörer" ! Ich habe dieses Konzert schon oft gehört, und kannte es folglich im Prinzip sehr gut. Die entsprechenden Stellen fand ich immer irgendwie "ein wenig interessant", aber dann waren sie ja auch schon wieder vorbei ! Dies ist einer der Hauptgründe, warum ich es liebe, Musik zu analysieren. Weil ich fast immer, sobald ich großartige Werke wirklich nahe betrachte, auf Details stoße, die das Werk 1. noch besser verständlich machen und 2. viel mehr schätzen lassen, welche Genialität hinter vielen Werken steckt. Was für den Hörer einfach "ganz besonders schön oder wunderbar" klingt, hat ja auch Gründe ! Und die oftmals sehr durchdachte Komplexität vieler Stücke (auch formal, nicht nur harmonisch) bringt dann beim Hörer das große Erlebnis hervor, das er sich nicht erklären kann und auch gar nicht erklären müssen sollte !

    Man sagt, wenn die Engel für Gott spielen, so spielen sie Bach, füreinander aber spielen sie Mozart.
    (Sir Isaiah Berlin)


  • Fragt sich nur, welche. Mozart hat ja manchmal bewusst für das musikalische Fußvolk komponiert.


    Ja, für solche wie Leonard Bernstein ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Ja, für solche wie Leonard Bernstein ;)


    Verstehe ich nicht. Ich mag Bernsteins Mozartaufnahmen.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ja, haste nicht verstanden. Es ging nicht um seine Aufnahmen. Sondern darum, dass ein Komponist und hervorragender Musiker wie Bernstein natürlich nicht zum "Fußvolk" (denen mit den langen Ohren) gehört, aber anscheinend trotzdem nicht zu verfeinert und gescheit für Mozart gewesen ist.
    Aber wenn man Witze erklären muss, waren sie wohl leider schlecht... :untertauch:

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)