Der besondere Liederabend

  • Internationaler Wettbewerb für Liedkunst - Stuttgart 2014
    Dieser Wettbewerb fand vordem in Wien statt; seit 1987 wird er in Stuttgart ausgerichtet und ist ausschließlich für Lied-Duos (jeweils Singstimme + Klavier) ausgeschrieben. In diesem Jahr gingen Bewerbungen von 63 Lied-Duos ein (Bedingung: Vor dem 31.12.1981 geboren) ein, Eine Vorjury wählte aus diesem Reservoir 33 Duos aus, die sich dann in drei Runden der hochkarätig besetzten Jury präsentierten. Da wurde auf sehr hohem Niveau musiziert, von dieser Seite her droht dem Kunstlied ganz sicher keine Gefahr.
    Ort der Handlung: Konzertsaal, Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart
    Die Jury:
    Brigitte Fassbaender (Vorsitz), Deutschland
    Birgit Steinberger, Österreich
    Robert Holl, Niederlande/Österreich
    Graham Johnson, Großbritannien
    Wolfram Rieger, Deutschland
    Peter Schreier, Deutschland
    Kurt Widmer, Schweiz


    Am Sonntag, 28. September war dann das Preisträgerkonzert mit den Preisträgern:
    1. Preis - Ludwig Mittelhammer, Bariton / Jonathan Ware, Klavier
    2. Preis - Emma Moore, Sopran / Klara Hornig, Klavier
    3. Preis
    - Marie Seidler, Mezzosopran / Katharina Thöni, Klavier
    Carine Tinney, Sopran / Thomas Wypior, Klavier


    Die Programmfolge des Abschlusskonzerts:


    Carine Tinny - Thomas Wypor
    Franz Schubert - Erster Verlust
    Amy Beach - Ah, Love, but a Day
    Hugo Wolf - Traurige Wege / Anacreons Grab
    Marie Seidler - Katharina Thöni
    Hugo Wolf - Bedeckt mich mit Blumen / Auf ein altes Bild
    Franz Schubert - Rastlose Liebe / Du liebst mich nicht
    Emma Moore - Klara Hornig
    Franz Schubert - Suleika I / Am See
    Hugo Wolf - Lebe wohl / Ganymed
    Ludwig Mittelhammer - Jonathan Ware
    Franz Schubert - Auf der Bruck / An den Mond
    Hugo Wolf - Mädchen mit dem roten Mündchen / Storchenbotschaft


    Nach den mit großem Beifall bedachten Darbietungen der Preisträger-Duos folgte die Preisverleihung durch die Juryvorsitzende Kammersängerin Brigitte Fassbaender und den Wettbewerbsleiter Hans Georg Koch.


    Nun stand die Verleihung der Hugo-Wolf- Medaille an; die erstmals 2008 an Dietrich Fischer-Dieskau vergeben wurde. Die Laudatio auf Graham Johnson hielt Kammersängerin Birgit Steinberger - im flotten Dirndl - und flocht eine Grußbotschaft von Dame Felicity Lott ein.


    Als Hommage an den Geehrten trat nun die Sopranistin Christiane Karg in Begleitung von Wolfram Rieger auf, wobei das Wort "Begleitung" hier Doppelsinn hat, denn die Sängerin hatte sich bei den Glyndebourne Opernfestspielen auf der Bühne so verletzt, dass sie mit Gehilfe auftreten musste. Ich hatte sie vor acht Wochen in Feuchtwangen gehört, ihre Stimme hat durch den Unfall nicht gelitten.
    Zuerst bot sie Schuberts »Hoffnung« und danach »Du bist die Ruh«, das war ganz edel gesungen!
    Nach diesen beiden Schubertliedern bot Frau Karg einige kleinere Stückchen von Hugo Wolf aus dem Italienischen und Spanischen Liederbuch.


    Hinweis:
    Das Preisträgerkonzert wurde vom Südwestrundfunk SWR2 aufgezeichnet.
    Sendetermin: Samstag, 27. Dezember 2014, 20:03 Uhr


  • (c) Thies Rätzke


    Man sitzt in der Laeiszhalle zu Hamburg und ist einerseits etwas enttäuscht, weil ein recht interessantes Programm angekündigt war - wenn ich mich recht erinnere: Haydn, Beethoven und Berg - andererseits hört man auch Schubert mal wieder gern und wenn dann gar ein Notenständer auf der Bühne steht, darf man sogar auf seltene Stücke gespannt sein.
    Immer wieder ist festzustellen, dass praktisch jeder Liederabend etwas Besonderes ist...
    In diesem Falle bot sich die Besonderheit zunächst so dar:
    Am 7. November 2014 wurden die Konzertkartenbesitzer mit dieser Nachricht konfrontiert:
    »Das Programm des Liederabends von Christian Gerhaher und Gerold Huber am 20. November 2014 im Kleinen Saal der Laeiszhalle muss geändert werden, da Christian Gerhaher leider in der dafür vorgesehenen Probenzeit erkrankte.
    Aus diesem Grund präsentieren die beiden Künstler nun Goethe-Texte in Vertonungen von Franz Schubert und Wolfgang Rihm, einschließlich der „Harzreise im Winter“, die Wolfgang Rihm Christian Gerhaher gewidmet hat und die im Juni 2014 beim Würzburger Mozartfest von Christian Gerhaher und Gerold Huber uraufgeführt wurde.«


    Mit diesem Morbus Crohn müssen Sänger und Publikum eben zurechtkommen, man darf wohl vermuten, dass dies der Grund zur Programmänderung war, aber ich weiß dies nicht definitiv...
    Die Gedanken gehen zurück zum 3. Mai 2003, wo ich Christian Gerhaher und Gerold Huber erstmals live im Rokokotheater in Schwetzingen hörte, damals mit Schuberts »Schwanengesang«. 2005 konzertierte er hier dann nochmals, dieser Mann, der wenig Ahnung von Musik hat, wie er das in Interviews gerne kundtut...
    Dann 2013 beim Heidelberger Frühling, wo er Lieder von Schumann und Hollinger bot und man die beiden Protagonisten nach dem Konzert noch in einem recht lockeren »Zugabe-Gespräch« erleben konnte...
    In mehr als zehn Jahren ist Gerhahers Stimme natürlich gereift, hat sich verändert und der Sänger hat zwischenzeitlich eine Menge Erfahrungen und Preise gesammelt, denn der professionellen Kritik ist diese Entwicklung auch nicht entgangen. Daneben gibt er auch in der Oper eine gute Figur ab, aber sagt auch: »Mich haben Konzerte immer viel mehr fasziniert, und das hat sich bis heute nicht geändert. Das Konzert ist das Zentrum meines Tuns und wird es auch bleiben.«
    Unmittelbar nach seinem abgeschlossenen Medizinstudium ging er ans Würzburger Theater und sang sich dort von der Operette bis zur großen Oper durchs Repertoire. Operette mag er ja überhaupt nicht, er steht sogar Strauss-Liedern eher reserviert gegenüber, ist selten mit seiner Leistung so richtig zufrieden, wenn man nicht an sich selbst zweifelt, meint er, wird der Gesang doch sofort schal.
    Von schalem Gesang konnte an diesem Abend keine Rede sein, war es doch ein Programm »abseits jeglicher Kulinarik«, wie man das in einer Kritik eines kongruenten Liederabends in Salzburg lesen konnte. Bei diesem Hamburger Liederabend sah die Programmfolge so aus:
    Franz Schubert
    Sehnsucht D 123
    Hoffnung D 195
    Wonne der Wehmut D 260
    An den Mond D 296
    Geheimes D 719
    Rastlose Liebe D 138
    Nachtgesang D 119
    Schäfers Klagelied D 121
    Wolfgang Rihm - aus Goethe-Lieder (2004/2007)
    Willst du dir ein gut Leben zimmern
    Worte sind der Seele Bild
    Heut und ewig
    Höchste Gunst
    Parabase
    Aus »Wilhelm Meisters Wanderjahren«
    Franz Schubert - »Gesänge des Harfners«
    Wer sich der Einsamkeit ergibt D 478
    Wer nie sein Brot mit Tränen aß D 480
    An die Türen will ich schleichen D 479b


    - Pause -


    Franz Schubert
    Promotheus D 674
    Mahomets Gesang D 549 (Fragment)
    Ganymed D 544
    An Schwager Kronos D 369
    Wolfgang Rihm
    Harzreise im Winter (2012)
    Franz Schubert
    Willkommen und Abschied D 767
    Zugabe: Wanderers Nachtlied D 768


    Christian Gerhaher äußert sich in dem außergewöhnlich gehaltvollen Programmheft zu diesem Liederabend folgendermaßen:
    »Der heutige Liederabend mit Vertonungen von Gedichten Johann Wolfgang von Goethes durch Franz Schubert und Wolfgang Rihm stellt in gewisser Weise eine Hommage an Goethes acht große "Sturm und Drang"- Hymnen dar, die in den Jahren 1772-77 entstanden sind. Ich habe immer bedauert, dass Schubert nur drei dieser herausragenden Meisterwerke ganz vertont hat (Prometheus, Ganymed und Kronos), und habe darum über Jahre hinweg überlegt, ob und wie vielleicht zeitgenössische Komponisten dies zu einem Zyklus vervollständigen könnten. Als ich Wolfgang Rihm vor zweieinhalb Jahren fragte, ob er vielleicht an der Komposition der restlichen fünf Gedichte interessiert sein könnte, antwortete er zunächst, dass er sich seine Texte sonst eigentlich selbst aussuche. Dennoch hatte ich schon nach zwei Wochen seine fertige "Harzreise" im Briefkasten. Um diese neue sowie die drei bestehenden Schubert-Kompositionen herum bauten Gerold Huber und ich die zweite Hälfte des Liederabend-Programms. Für zukünftige Liederabende plant Gerold Huber bereits eine Vertonung des "Sturmliedes" - und ich bin sicher, dass sich auch noch Lösungen für "Wanderer" und "Seefahrt" finden werden, vielleicht auch eine Vervollständigung oder Neukomposition des Schubert-Fragments "Mahomet".«


    Das Publikum war übrigens mal wieder zahlreich erschienen - dies sei zu der viel gebrauchten Aussage, dass Liederabende kein Publikum fänden festgestellt, es war kein leerer Platz zu sehen.
    Zudem vermittelte das beengte Ambiente den Eindruck, dass die Sitze im Konzertsaal nicht ausreichen könnten... Dies war übrigens der erste von vier Liederabenden an diesem Ort.
    Gerhaher meint übrigens, dass es völlig normal sei, wenn da so ein silbergrauer Schimmer über dem Publikum des Kunstliedes liegt und argumentiert: »Für manches braucht man vielleicht erst eine gewisse Reife, um es zu verstehen und anzunehmen. Gerade beim Kunstlied, meinem Steckenpferd, wird das ältere Publikum mit den vertonten Gedichten vermutlich mehr anfangen können als jüngere Menschen.«
    Eigentlich braucht man es fast nicht erwähnen, dass die 639 Besucher herzlichen Applaus spendeten, denn dieses Lied-Duo ist zurzeit sehr populär, wobei der Sänger sagt, dass sie gerade in Mode seien und Moden seien vergänglich. Und wie sieht die offizielle und veröffentlichte Kritik diesen Liederabend?
    Der Rezensent des »Hamburger Abendblatt« hat diesen Liederabend - der Beitrag hat die Überschrift:
    Zwei Männer, ein Flügel und Goethes "Gesänge"- so gehört (Auszug aus dieser Kritik):
    »Man muss diesen Sänger erlebt haben, wie er auf der Höhe seines Erfolgs um jede Note, jede Wendung im besten Sinne ringt, als hinge sein Leben daran. Skrupulös genau formte er die Silben und färbte die Vokale, und seine Stimme klang so natürlich, als spräche er. Schon beim beinahe rezitativischen "An die Sehnsucht" zu Beginn musste jeder im Saal das Gefühl haben, Gerhaher erzähle ihm, und nur ihm, etwas sehr Persönliches. Und Huber begleitete nicht nur auf Augenhöhe, er erwiderte auch artikuliert, präsent und ohne sich als eigenständigen Künstler zu verleugnen. Herrlich, wie er die Ironie in Rihms "Willst du dir ein Gut Leben zimmern" aufnahm und an der Tastatur mit Bauklötzen zu spielen schien.
    Zwei Männer und ein Flügel auf einer Bühne, ohne Beiwerk, ohne Mätzchen. Mehr braucht es nicht für ein Gesamtkunstwerk.«


    Noch eine praktische Bemerkung zu diesem Konzertveranstalter Elbphilharmonie-Konzerte Laeiszhalle:
    Nicht nur das Programmheft war vorzüglich aufbereitet, die Verwaltung verfügt auch über ein ganz ausgezeichnetes Buchungssystem, wo von jedem Platz aus der Blick zur Bühne simuliert wird.



  • Liederabend in der Montagehalle des Nationaltheaters Mannheim am Sonntag, 18. Januar 2015


    Liederabend Nikola Diskić (Bariton) / Alexander Fleischer (Klavier)


    Die Überschrift zu diesem Beitrag könnte vermuten lassen, dass hier hochmoderne Musik aufgeführt wurde, aber das genaue Gegenteil war der Fall, unter anderem wurden sogar Kompositionen von Carl Loewe zu Gehör gebracht.
    Dieser Konzertbericht steht im Zusammenhang mit dem Beitrag Nr. 13 vom 17. Mai 2014.
    Das Nationaltheater Mannheim bietet im Jahreslauf einige Liederabende in ungewöhnlichem Ambiente an.
    Eine Montagehalle ist kein Konzertsaal, das Publikum hatte diesmal einen anderen Blickwinkel, aber alle 85 aufgestellten Stühle waren besetzt. Das Licht war während des Konzerts nicht gedimmt, was man einerseits bedauern konnte, andererseits aber die Möglichkeit bot Liedtexte mühelos mitzulesen - wer kennt schon Uhlands »Die Vätergruft« auswendig?


    Programm des Liederabends


    Franz Schubert (1797-1828)
    Der Wanderer (Georg Philipp Schmidt von Lübeck)
    Der Zwerg (Matthäus Kasimir von Collin)
    Prometheus (Johann Wolfgang von Goethe)


    Franz Liszt (1811-1886)
    Es war ein König in Thule (Johann Wolfgang von Goethe)
    Die Fischerstochter (Franz Karl Graf Coronini-Cronberg)
    Die Vätergruft (Ludwig Uhland)
    Die drei Zigeuner (Nikolaus Lenau)


    - Pause -


    Hugo Wolf (1860-1903)
    Storchenbotschaft (Eduard Mörike)
    Geselle woll´n wir uns in Kutten hüllen (Paul Heyse)
    Der Tambour (Eduard Mörike)
    Der Schreckenberger (Joseph von Eichendorff)


    Carl Loewe (1796-1869)
    Tom der Reimer (Theodor Fontane)
    Edward (Johann Gottfried Herder)
    Herr Oluf (Johann Gottfried Herder)
    Odins Meeresritt (Aloys Wilhelm Schreiber)


    Franz Schubert
    Erlkönig (Johann Wolfgang von Goethe)


    Zugaben:


    Robert Schumann (1810-1856)
    Die beiden Grenadiere (Heinrich Heine)


    Aleksandar S. Vujić (*1945)
    Die da oben (Milan Mićović)


    Der serbische Bariton Nikola Diskić (*1983) stammt aus Belgrad, wo seine musikalische Ausbildung begann. Ab 2007 setzte er seine Studien bei Prof. Snežana Stamenković an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim fort.
    Bereits während des Studiums gastierte er am Nationaltheater Mannheim und wurde in der Spielzeit 2011/2012 als festes Ensemblemitglied engagiert. Im Jahre 2012 wurde ihm der »Arnold-Petersen-Preis« (Arnold Petersen war langjähriger Intendant des Nationaltheaters) verliehen. Auif der Opernbühne sieht und hört man ihn zum Beispiel als Papageno, Figaro oder Schaunard, um nur wenige Beispiele zu nennen.
    Für mich war die Stimme nicht neu, denn zum Abschluss eines Meisterkurses, den Thomas Hampson im April 2013 in Heidelberg gab, sang er Schumanns »Löwenbraut» und Mahlers »Fischpredigt« und im September letzten Jahres konnte ich ihn beim internationalen Wettbewerb für Liedkunst beim Hugo Wolf-Wettbewerb in Stuttgart hören.
    Von Nikola Diskić gibt es bei YOUTUBE eine Aufnahme von diesem Wettbewerb, wo er drei Lieder singt, zwei davon sang er nun auch in der Montagehalle, nämlich »Der Wanderer« und »Edward«. So ist es also möglich, dass auch Daheimgebliebenen ein kleiner Eindruck der Stimme dieses Sängers vermittelt werden kann.


    Der Pianist Alexander Fleischer war auch schon vom HEIDELBERGER FRÜHLING und von der Hugo-Wolf-Akademie her bekannt. Er studierte an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« und belegte Meisterkurse bei einigen Größen der Liedinterpretation. Alexander Fleischer spielte unter anderem beim Lucerne Festival, Musikverein Wien und im Festspielhaus Baden-Baden, also Örtlichkeiten, die zumindest rein optisch mehr hergeben als eine Montagehalle.
    An der Berliner Hochschule für Musik »Hanns Eisler« hat Alexander Fleischer eine Gastdozentur. Außerdem unterrichtet er an der Staatlichen Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Mannheim und betreut dort eine Liedklasse.
    Der Abend begann mit wohlbekannten und oft gehörten Tönen, aber schon beim »Zwerg« hat man eine Ballade, die eher seltener im Konzertsaal zu hören ist. Der ganze Abend war ja als Balladenabend konzipiert. Nikola Diskić verfügt über entsprechende stimmliche Möglichkeiten, deshalb hätte ich mir beim »Zwerg« eine etwas reichhaltigere Stimmfärbung durchaus vorstellen können. Bei Liszts »König in Thule« schwingt im Hinterkopf immer die Schubertsche Version mit ...
    Bei »Die drei Zigeuner« - eines der großen Liszt Lieder - ist der vorgenannte Effekt nicht vorhanden, hier hatte der Pianist seinen »Soloauftritt«, weil sich die Singstimme über weite Strecken schont, und beide Künstler schonten sich, indem sie Lenaus 7. Strophe nicht interpretierten, dieses Anhängsel muss ja nicht sein ...
    Nach der Pause dann ein schöner Übergang zu vier Liedern von Hugo Wolf, wobei die »Storchenbotschaft«, wohl eines der besten Lieder musikalischen Humors, vom Sänger so vermittelt wurde, dass der Humor auch übersprang.


    Dann endlich mal wieder Balladen vom Allerfeinsten, vom Balladenkönig Carl Loewe; zur dezenten Einstimmung mit »Tom der Reimer«, sehr schön, die Zusammenarbeit der beiden Interpreten; danach wurde es etwas lauter ...
    Hier fühlte sich Nikola Diskić sichtlich und hörbar zuhause. Der »Edward« kann ja, wie oben beschrieben, nachgehört werden. Mit »Odins Meeresritt« wurde der Sänger echt innovativ, denn so schön hatte ich den zweifelnden Schmied noch nie lachen hören, und das klang recht natürlich und in keiner Weise etwa aufgesetzt.
    Im Schlussstück kehrte das Duo wieder zu Schubert zurück - zum »Erlkönig«, einer äußerst populären Ballade, zu der praktisch jeder Hörer Zugang hat, ein gut dargebotener Schlusspunkt, der natürlich nur im Programmheft den Schluss bedeutete.
    Das Publikum erklatschte sich zwei Zugaben, die nicht angesagt wurden ...
    Schon bei den ersten Klaviertakten war klar, dass ein weiterer Komponist den Saal betreten hatte - Robert Schumann, »Die beiden Grenadiere«
    Die zweite Zugabe war mit einiger Sicherheit ein Hugo Wolf-Lied, das ich nicht kannte - war es dann aber doch nicht, der Komponist heißt Alexandar S. Vujic, der Titel des Stückes: »Die da oben«
    Damit Leser nicht googeln müssen: Alexandar S. Vujic (*1945) ist ein serbischer Komponist, Pianist und Dirigent.


    Information: Der nächste Liederabend ist an gleicher Stelle für den 31. März 2015 geplant.


    Der »Mannheimer Morgen« äußerte sich zu dieser Veranstaltung so:
    »Auch wenn Nikola Diskić, seit 2011 fest im NTM-Ensemble, bisher mit Lob und Ehre (Arnold-Petersen-Preis) überhäuft wurde, so gehörte doch Mut dazu, mit einem solch anspruchsvollen Balladen- und Liederabend zu debütieren. In der kahlen zur Hälfte bestuhlten Montagehalle des Theaters verstummte der einsame Zwischendurch-Klatscher nach dem ersten Lied sofort - auch vom Publikum wird die Konzentration eingefordert, die der Sänger und sein fabelhafter Klavierbegleiter Alexander Fleischer so eindrucksvoll vorleben!
    Der hohe intellektuelle Anspruch des Abends wird schon bei den drei Schubert-Liedern zu Beginn offenbar, als auf den gemütvollen »Wanderer« das gespenstisch-morbide Schauerdrama »Der Zwerg« und der stolze »Prometheus« folgen. Diskić singt das ganze Programm auswendig, und es ist des Staunens kein Ende über die totale Verschmelzung von Text und Musik, die gestalterische Intensität seines genuin lyrischen, modulationsfähigen Baritons.«

  • Achtung Kunstliedfreunde:


    Oper: Das starke Stück - extra Musiker erklären Meisterwerke
    Christian Gerhaher erklärt und singt "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert
    Bernhard Neuhoff im Gespräch mit dem Bariton und seinem Begleiter Gerold Huber
    Wiederholung vom 6. Januar 2012
    Kaum ein anderer Interpret fasziniert im Augenblick so viele Klassik-Fans für die vernachlässigte Gattung des Kunstlieds wie der Bariton Christian Gerhaher. Das liegt nicht nur an seiner betörend schönen Stimme. Wie kaum ein Zweiter vermag es Gerhaher, Text und Musik zu einer unmittelbaren Einheit verschmelzen zu lassen, die emotional unter die Haut geht und zugleich skrupulös durchdacht ist. In der Sendung "War es also gemeint?" erklärt der Sänger im Gespräch mit Bernhard Neuhoff den Liederzyklus "Die schöne Müllerin" von Franz Schubert. Dabei illustriert Gerhaher zusammen mit seinem kongenialen Begleiter Gerold Huber seine persönliche Deutung durch zahlreiche klingende Beispiele. Anschließend sind die beiden Künstler mit dem gesamten Liederzyklus in einem Konzertmitschnitt aus Wien zu hören.
    19.00 Konzertabend Franz Schubert: "Die schöne Müllerin"
    Christian Gerhaher, Bariton; Gerold Huber, Klavier (3 hrs.)


  • »Das Springen vom Becken ist verboten«, so ist es noch immer auf dem Boden des Frauenbades in Heidelberg zu lesen, ein Bau, der ursprünglich in den Jahren 1903-1906 entstand und im Laufe der Jahrzehnte verlottert war, wurde in den letzten Jahren neuen Funktionen zugeführt.
    Hier fand nun dieser Liederabend statt, der sowohl von der Programmgestaltung als auch vom Atmosphärischen her Neues bot. Die Veranstalter stellen fest, dass Musik auch im Raum und durch den Raum wirkt, der hell oder dunkel, prachtvoll oder karg, modern oder alt, schick oder verkommen, groß oder klein sein kann.
    Dieses Festival verfügt ja über einen prachtvollen Jugendstilsaal und die Alte Aula der Universität - jetzt hatte sich also das ehemalige Frauenbad als zusätzlicher Veranstaltungsort noch hinzugesellt.
    Die Lokalpresse titelte: »Heidelberger Frühling 2015 skizziert Liederabend der Zukunft«
    Na ja! Ein schlechtes Produkt ist der gute alte Liederabend keineswegs und ich mag nun nicht gleich mit fliegenden Fahnen zum neuen Produkt überlaufen. Wichtig scheint mir immer, dass gekonnt und kompetent musiziert wird, und dieser Sachverhalt war gegeben.


    »Lied.lab« - Es war das erste Lied.lab beim HEIDELBERGER FRÜHLING; da muss auch ein gut trainierter Liederabendgänger erst mal nachfragen, was sich hinter diesem Begriff verbirgt - aha, Lied-Labor...

    Die Atmosphäre war entspannt, man saß auf Pappkartons - die allerdings nicht aus Supermärkten herbeigeschafft wurden, sondern in durchaus ansprechendem Design locker um den Flügel gruppiert waren. Damit schuf man einen Ort, an dem junge Sängerinnen und Sänger ihre persönlichen Visionen bezüglich des Liedvortrags erproben können. Aber da waren keine Anfänger am Werk, die beiden Sänger und der Pianist waren mir von Meisterkursen Thomas Hampsons bestens vertraut.
    Die Stipendiaten Sebastian Seitz (Liedakademie 2012) und Maximilian Krummen (Liedakademie 2011) gestalteten diesen Abend mit ihren soliden Baritonstimmen. Begleitet wurden die Sänger von Jonathan Ware am Klavier (Stipendiat der Liedakademie 2012), Lisa Maria Schumann, Violine und Benedict Kloeckner Violoncello.


    Der Abend stand unter dem Motto »Liebe« und bot eine Mischung aus Kunstliedern und Volksliedern. Der Konzertbeginn hatte so einen Hauch von »Flashmob«, als das Trio seine Plätze einnahm und scheinbar aus dem Publikum heraus eine gepflegte Baritonstimme erklang ...
    Im Folgenden wurden schottische, irische, wallisische, englische, ja sogar schwäbische Volkslieder vorgetragen.
    Den breitesten Raum nahmen Beethovens Volksliedbearbeitungen ein, aber natürlich waren auch Brahms und Haydn zu hören und der Amerikaner Charles Ives - sogar ein paar Takte Schubert waren zu vernehmen, als die Sänger bei ihren eingestreuten Erläuterungen zu den vorgetragenen Liedern erklärten, dass auch das berühmte »Ave Maria« auf Walter Scotts Gedicht »Lady of the Lake« basiert.
    Der junge Komponist Dominik Dieterle steuerte bearbeitete Volksliedbeiträge bei.
    An diesem Abend wurden neun Kunstlieder in der klassischen Form - Singstimme mit Klavierbegleitung - angeboten. Im Publikum sah man auch Thomas Quasthoff und man hatte den Eindruck, dass er den Akteuren sehr zugetan war.


    Die Rhein-Neckar-Zeitung sah das Konzert so (Auszug):


    »Der Abend war deshalb so hinreißend, weil er Herz und Hirn gleichermaßen ansprach. Liebesfreud’ und Liebesleid durchzogen das Konzert im Wechsel, und dabei wurden durchaus Entdeckungen gemacht. Etwa die Heine-Vertonungen von Charles Ives, die man nur aus Schumanns "Dichterliebe" kennt. In "Ich grolle nicht" legt der amerikanische Komponist den Hauptakzent anders als Schumann auf die Zeile "Das weiß ich längst", was dem Ganzen eine Abgeklärtheit gibt, die über dem Unmut steht, den das Schumann’sche Klaviergerassel dem Text unterlegt.
    Das erste Lied-Labor war ein großer Erfolg. Das interessierte Publikum begegnete sich fast familiär und ließ sich dann rasend begeistern. Zwei Zugaben gab es - und jede Menge Gesprächsstoff für den Nachhauseweg.«


    Klassischer Liederabend oder neue Form? Als ich ältere Herrschaften tags darauf im prächtigen Ballsaal bei klassischem Lied-Vortrag traf, meinten die, dass man hier wesentlich besser sitzt ...
    Beide Formen tun sich nichts; meine Empfehlung: Das eine tun und das andere nicht lassen ...



  • © studio visuell photography


    Alles was gut werden soll braucht eine solide Vorbereitung, und die ist in den Meisterkursen an der jährlich stattfindenden Liedakademie stets gegeben. Während man sich früher in der Alten Aula der Universität vorbereitete, war heuer der Ballsaal in der Stadthalle Ort des Geschehens.
    Es ist schon etwas Besonderes, wenn relativ junge Künstler mehr als eine Woche lang Lieder einstudieren, und diese dann bei einem Abschlusskonzert dem Publikum anbieten, das, entsprechendes Interesse vorausgesetzt, auch bei der Erarbeitung dabei sein konnte.


    Zudem gab es diese »Mini-Liederabende« zur Mittagessenszeit, die als »open stage der stipendiaten« im Programm des Heidelberger Frühlings standen.
    An jedem Tag durfte jeweils ein Stipendiat/in sich in einem Konzert mit der Dauer von etwa einer halben Stunde und entsprechender Begleitung und Bekleidung vorstellen, denn hier wurde dann auch nicht in Jeans gesungen ...


    Exemplarisch für so einen Tag sei einmal das Kurz-Programm der 1992 geborenen Französin Elsa Dreisig vorgestellt, die im Ballsaal der Stadthalle von Alexander Fleischer am Flügel begleitet wurde:


    Anton Webern - Vorfrühling
    Franz Schubert - Im Frühling / Frühlingstraum
    Felix Mendelssohn Bartholdy - Hexenlied
    Robert Schumann - Frühlingsnacht
    Richard Strauss - Frühling
    Charles Gounod - Au Printemps
    Francis Poulenc - C´est le joli printemps
    Claude Debussy - Green
    Kurt Weill - Green-up time


    Und Vergleichbares gab es dann an zehn Tagen und danach präsentierten Thomas Hampson und Thomas Quasthoff das Ergebnis der Arbeit in der Heidelberger Stadthalle, wo das Programm des Abends von drei Sängerinnen, zwei Sängern und zwei Pianisten gestaltet wurde und zeitweise noch Instrumentalisten zum Zuge kamen. Insgesamt wurde ein Programm von einem Dutzend Komponisten angeboten.



    Richard Strauss
    Wie sollten wir geheim sie halten
    Marie Seidler (Mezzo-Sopran), Alexander Fleischer (Klavier)


    Johannes Brahms
    Unbewegte laue Luft
    Marie Seidler (Mezzo-Sopran), Alexander Fleischer (Klavier)


    Robert Schumann
    Auszüge aus Dichterliebe:
    Im wunderschönen Monat Mai
    Aus meinen Tränen spriessen
    Die Rose, die Lilie, die Taube,die Sonne
    Wenn ich in deine Augen seh´
    Ich will meine Seele tauchen
    Elsa Dreisig (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier)


    Johannes Brahms
    Zwei Gesänge op. 91, Nr. 1
    Idunnu Münch (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier), Miren de Diego Cortaza (Viola)


    Johannes Brahms
    Zwei Gesänge op. 91, Nr. 2
    Marie Seidler (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier), Miren de Diego Cortaza (Viola)


    Richard Strauss
    Zueignung
    William Goforth (Tenor), Alexander Fleischer (Klavier)


    Gustav Mahler
    Revelge
    William Goforth (Tenor), Alexander Fleischer (Klavier)


    Ivor Gurney
    Sleep
    Elliott Hines (Bariton), Alexander Fleischer (Klavier)


    Roger Quilter
    Go, lovely rose!
    Marie Seidler (Mezzo-Sopran), Alexander Fleischer (Klavier)


    Ernest Chausson
    Chanson perpétuelle
    Elsa Dreisig (Mezzo-Sopran), Alexander Fleischer (Klavier), Amelior Quartett


    - Pause -


    Ralph Vaughan Williams
    On Wenlock Edge (1. & 6. Satz)
    William Goforth (Tenor), Alexander Fleischer (Klavier), Amelior Quartett


    Samuel Barber
    Dover Beach op. 3
    Elliott Hines (Bariton), Amelior Quartett


    Henri Duparc
    L´ invitation au voyage
    Elsa Dreisig (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier)


    Franz Schubert
    Auf der Bruck
    Elliott Hines (Bariton), Jonathan Ware (Klavier)


    Hugo Wolf
    Kennst du das Land
    Idunnu Münch (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier)


    Edvard Grieg
    Dereinst Gedanke mein
    Zur Rosenzeit
    Ein Traum
    Idunnu Münch (Mezzo-Sopran), Jonathan Ware (Klavier)


    Auf der Bühne standen zwar junge Leute, aber wenn man in deren Lebensläufe schaut wird recht schnell klar, dass das in aller Regel keine blutigen Anfänger sind, da ist schon reichlich Konzerterfahrung vorhanden und die meisten wird man ganz sicher in einem größeren Rahmen mal wiedersehen. Um den Nachwuchs des Liedgesangs braucht man sich absolut keine Sorgen machen.
    Bei diesem HEIDELBERGER FRÜHLING 2015 war auffallend, dass die Gesangsdarbietungen nicht nur mit dem ansonsten obligatorischen Klavier begleitet wurden, sondern auch mal eine Viola, ein Trio oder ein Quartett erklang.


    Als Thomas Quasthoff zur Zukunft des Leides befragt wurde riet er zu »Mischprogrammen« und meinte damit etwa Songs von Cole Porter oder George Gershwin, die einen Liederabend interessanter machen könnten. Im Übrigen finde er die Riten des klassischen Liederabends »old fashioned« und wünsche sich hier Sänger, die auf ihr Publikum zugehen und die vermitteln, dass das Privileg, auf der Bühne zu stehen, auch »unfassbaren Spaß« bereitet.


    Interessanter für wen? Das ist wohl eine interessante Frage - und Spaß suchte ich eigentlich im Liederabend nicht, dennoch erlebte ich schon sehr viel Freude, trotz dieser Riten ... Was ist denn so schlimm daran mal an einem Abend nur eine Singstimme mit Klavierbegleitung zu hören?
    Mein vorletzter Liederabend fand in Werkstattatmosphäre statt - dieser nun in Jugendstilumgebung; wichtig ist für mich allein die künstlerische Qualität, und die konnte sich hier wie da hören lassen ...

  • Als Thomas Quasthoff zur Zukunft des Leides befragt wurde riet er zu »Mischprogrammen« und meinte damit etwa Songs von Cole Porter oder George Gershwin, die einen Liederabend interessanter machen könnten. Im Übrigen finde er die Riten des klassischen Liederabends »old fashioned« und wünsche sich hier Sänger, die auf ihr Publikum zugehen und die vermitteln, dass das Privileg, auf der Bühne zu stehen, auch »unfassbaren Spaß« bereitet.


    Es wundert mich schon, ausgerechnet aus dem Munde von Quasthoff diesen Schuss Klassik-Radio-Philosophie zu vernehmen. Er scheint mit der Zeit zu gehen. Am Ende wird er wohl durch die Entwicklung recht bekommen. Ich sehe das klassische Liederabend-Programm auch als Auslaufmodell an. Zwangsläufig. Obwohl eine Lieder-CD nach der anderen auf den Markt kommt, gibt es zumindest hier in meiner Heimatstadt Berlin kaum mehr Liederabende, wie ich sie so sehr liebe. Glaubt man seitens der Veranstalter, das Publikum bringe die Konzentration dafür nicht mehr auf? Das Verschwinden vieler schöner Dinge beruht nach meiner Beobachtung auf Irrtümern. Eine Redakteurin im Hörfunk sagte zu einem mir bekannten freien Mitarbeiter, der ein Arienprogramm zusammenstellen sollte: "Bloß keine Mono-Aufnahmen! Die will niemand mehr hören!" Ja, woher weiß sie das? So werden vielleicht auch die klassischen Liederabende weggewischt. Auch bei vielen Festivals sind sie inzwischen aus den Programmen genommen! Schwarzkopf und Dieskau haben einst reine Wolf-Programme gesungen. Es ist wohl zu lange her.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich sehe das klassische Liederabend-Programm auch als Auslaufmodell an.


    Lieber Rheingold,
    wie man sich denken kann, beobachte ich den »Markt« der Liederabende genau. Mit diesem Thread wollte ich aufzeigen, dass der Besuch von Liederabenden auch heute immer wieder möglich ist, und dass da auch immer wieder Besonderes geboten wird.


    Einerseits kann ich dieser »Auslaufmodell -Theorie« nicht widersprechen, andererseits wurde ich durch die Praxis belehrt, dass dem nicht so ist.
    Während ich vor zwanzig Jahren noch morgens um sechs an der Vorverkaufsstelle stand, habe ich am 8. Dezember 2014 - da eröffnete der Vorverkauf der Schwetzinger Festspiele 2015 - erst noch gemütlich zu Hause (die Auslaufmodelltheorie im Kopf) gefrühstückt; als ich gegen 10:00 Uhr in der Vorverkaufsstelle auftauchte, waren bereits alle Tickets für den Liederabend von Gerhaher weg ... Gerhaher / Huber gestalten einen reinen Mahler-Abend - so kann es einem ergehen, wenn man glaubt, dass der Liederabend ein Auslaufmodell sei. Aber ich habe bei dem Verzicht eine kleine Freude empfunden, dass es noch ein so großes Interesse gibt.

  • d


    Der besondere Liederabend, ein ausgefallener Liederabend; Wortspiele bieten sich hier geradezu an.
    Die Tatsachen:
    Der Liederabend fand am Samstag, 9. Mai 2015 in der Montagehalle des Mannheimer Nationaltheaters statt, endlich, muss man dazu schreiben, denn auf der Eintrittskarte steht als Termin der 31.03.2015.
    Am geplanten Tag fand man jedoch nur einen Zettel an der Tür, dass der Liederabend heute nicht stattfindet und auf den 9. Mai 2015 verlegt ist.
    Dieser zweite Liederabend in der Spielzeit nahm die Premiere von »La damnation de Faust» zum Anlass, Liedvertonungen aus Faust, Wilhelm Meister und anderen Werken von Johann Wolfgang von Goethe zu präsentieren.
    Die Komponisten Hugo Wolf, Robert Schumann und Hector Berlioz standen im Mittelpunkt, daneben hörte man aber auch einmal wieder Lieder von Ludwig van Beethoven, Heinrich Marschner, Ferruccio Busoni, Modest Mussorgsky und sogar Giuseppe Verdi - wann hört man schon mal so was in einem Liederabend?


    An diesem Abend kamen noch nicht einmal fünfzig Besucher, die drei Liedsänger und der Pianist, allesamt vom Ensemble des Mannheimer Nationaltheaters, konnten einem ob dieses geringen Interesses nur leidtun, denn die Stadt hat immerhin 300.000 Einwohner und das Opernhaus bietet 1.200 Besuchern Platz.
    Aber an diesem Abend kam so alles zusammen, was das Publikum von diesem Liederabend fernhalten konnte: Da war die Terminverlegung, eine Riesenabsperrung wegen einer großen Marathonveranstaltung und dann noch der Streik der Lokführer ... auch mir war es nur durch sportliche Fitness möglich, diesen Liederabend gerade noch pünktlich zu erreichen; ich möchte ja hier die Realitäten der Liederabendbesuche abbilden, deshalb diese Schilderung.


    Die Interpreten des Abends waren:
    Astrid Kessler (Sopran)
    Dorottya Láng (Mezzosopran)
    Thomas Jesatko (Bariton)
    Robin Phillips (Klavier)
    Dorothea Krimm sprach zwischen den Liedblöcken die verbindenden Worte zu dem Gebotenen.


    1. In Auerbachs Keller I
    Ludwig van Beethoven, Mephistos Flohlied, op. 75 Nr. 3
    Hugo Wolf, Frech und froh I, aus: Goethe-Lieder Nr. 16
    Hugo Wolf, Der Rattenfänger, aus: Goethe-Lieder Nr. 11
    Heinrich Marschner, War eine Ratt´ im Kellernest, op. 47 Nr. 6


    2. Wilhelm Meister I
    Robert Schumann, Lieder und Gesänge aus Wilhelm Meister, op. 98a
    1. Kennst du das Land
    2. Ballade des Harfners
    3. Nur wer die Sehnsucht kennt
    4. Wer nie sein Brot mit Tränen aß
    5. Heiß mich nicht reden
    6. Wer sich der Einsamkeit ergibt
    7. Singet nicht in Trauertönen
    8. An die Türen will ich schleichen
    9. So lasst mich scheinen


    - Pause -


    3. In Auerbachs Keller II
    Ferruccio Busoni, Lied des Brander, aus: 5 Goethe-Lieder
    Robert Schumann, sitz ich allein, op. 25 Nr. 5
    Robert Schumann, Setze mir nicht, du Grobian, op. 25 Nr. 6
    Modest Mussorgsky, Es war einmal ein König


    4. In Gretchens Stube
    Hector Berlioz, Autrefois un roi de Thulé, aus: La domnation de Faust
    Hector Berlioz, Sérénade de Méphistophélès, aus: Huit scénes de Faust op. 1 Nr. 8
    Giuseppe Verdi, Perduta ho la pace, aus 6 romanze, Nr. 5


    5. Wilhelm Meister II: Mignon
    aus: Hugo Wolf, Goethe-Lieder, Nr. 5-7, 9
    1. Heiß mich nicht reden
    2. Nur wer die Sehnsucht kennt
    3. So lass mich scheinen
    4. Kennst du das Land?


    Das Programm war für einen Liederabend, was die Komponisten betraf, bunt gemischt, aber Goethes Texte hielten das Ganze beieinander.
    Der Bariton Thomas Jesatko ist nach meiner Ansicht nicht der geborene Liedersänger und sicher auf der Opernbühne besser aufgehoben. Er begann den Abend mit Beethovens »Flohlied«, das hatte man schon besser gehört, aber ich vergleiche hier mit den großen Liedsängern.
    Als der gleiche Sänger jedoch nach der Pause »Es war einmal ein König« von Mussorgsky darbot, war das geradezu ein Weltstadtereignis, Thomas Jesatko zog hier alle Register seines Könnens und alleine dieses Stück hatte schon die Anreise gerechtfertigt.
    Wäre Mussorgsky nicht bereits 1881 gestorben, hätte man vermuten können, der Komponist hätte den Sänger hinter der Bühne vor dem Auftritt zu einem Drink eingeladen ...
    Die beiden Damen boten gerade in den Liedern nach der Pause wunderbaren Liedgesang, gepflegte Stimmen, denen man mit Genuss lauschen konnte. Die Stimme der Sopranistin Astrid Kessler war mir bereits durch eine »Frauenliebe-CD« bekannt. Ihre variationsreiche Stimme in Verbindung mit ihrem darstellerischen Talent hätten einen größeren Rahmen verdient gehabt.
    Die gebürtige Budapesterin Dorottya Láng verfügt über einen kultivierten Mezzosopran, den man auch in der Neuproduktion von »La damnation de Faust« des Nationaltheaters hören konnte, wo die Sängerin als Marguerite auftrat. Auch Dorottya Láng, noch keine dreißig Jahre alt, wird selten vor so spärlichem Publikum singen, wer mag, kann sich die Vielseitigkeit dieser Stimme bei YouTube anhören, unter anderem in einem Liedwettbewerb in der Wigmore Hall.


    Aber dieser Rahmen konnte mit der renommierten Wigmore Hall keinesfalls konkurrieren; als sich der Pianist Robin Phillips - er ist seit 2012 als Repetitor am Nationaltheater - mit Sängerinnen und Sänger zum Schlussapplaus verbeugte, musste man sich nur die Feuerlöscher und den Elektroschaltschrank im Hintergrund wegdenken ... es hätte durchaus auch eine Veranstaltung in Schwetzingen, Schwarzenberg oder einem anderen renommierten Festspielort sein können, wenn man es auf die künstlerische Qualität bezieht.
    Die noch nicht einmal hundert Hände und Bravo-Rufer gaben ihr Bestes, um den Künstlern zu zeigen, dass sich ihr Auftritt in irgendeiner Weise doch gelohnt hat.



  • Die Wasserflasche stand nach dem Konzert noch unberührt in dieser ungünstigen Position


    Im Vorspann zu diesem Liederabend war zu lesen, dass es dem Sänger darum gehe »Menschen zu erreichen und sie mit Gefühlen zu konfrontieren, die immer mehr zur Seltenheit gehören, die immer weniger zum Alltagsleben gehören.«
    In diesem Text heißt es dann weiter, es sei ihm nicht daran gelegen, seinem Publikum den Text eines Liedes zu erklären, sondern durch Klang dessen Stimmungsgehalt.
    Das ist Matthias Goerne auch an diesem Abend mal wieder vortrefflich gelungen, aber das gelang auch jenem trefflich, der seinem Publikum den Text eines Liedes zu erklären versuchte, das sollte man schon festhalten.


    Das Programm


    Robert Schumann
    Aus "Myrthen" op. 25
    Nr. 15 Aus den hebräischen Gesängen
    Aus "6 Gedichte aus dem Liederbuch eines Malers" op. 36
    Nr. 5 Dichters Genesung
    Nr. 6 Liebesbotschaft
    Liederkreis op. 39
    nach Joseph von Eichendorff
    Liederkreis op. 24
    nach Heinrich Heine


    Eigentlich dachte man, dass es nun los geht. Pianist und Umblätterer saßen am Flügel und der Sänger stand auch in Position, sogar eine Flasche Mineralwasser war am Fuß des Steinway-Flügels deponiert, aber Goerne mochte so nicht singen, er erklärte, dass er mit der Technik ein anderes Licht vereinbart hatte und eilte zur Hinterbühne, um dort für intimere Lichtverhältnisse auf der Bühne zu sorgen.


    Die beiden Künstler boten an diesem Abend einen recht breiten Querschnitt aus dem Liedeschaffen Robert Schumanns.
    Zu Beginn hatte der Bariton das Lied Nr. 25 aus »Myrthen« ausgewählt, das eher zu den unbekannteren Liedern des Opus 25 zählt und auch die Lieder aus Opus 36 sind nicht gerade populär.


    Der wohlbekannte Schumann war dann im »Liederkreis« mit 12 Gedichten von Eichendorff zu hören und Goerne hatte sich nach diesen insgesamt 15 Liedern seine Pause redlich verdient und beide Protagonisten wurden mit reichlich Beifall für ihre Leistung bedacht.


    Im Opus 24 mit neun Liedern nach Gedichten von Heinrich Heine sind ja einige Preziosen zu finden, die immer wieder Freude bereiten: »Schöne Wiege meiner Leiden«, »Berg und Burgen schaun herunter«, »Anfangs wollt ich fast verzagen« ... das sind Lieder, die das Edle in Goernes Stimme besonders aufzeigen.
    Nach »Mit Myrthen und Rosen«, dem letzten Lied des offiziellen Programms, war dann für einige Sekunden Stille angesagt, bevor das Publikum mit donnerndem Applaus und Bravorufen kund tat, dass der Abend gefallen hat, die Zuhörer musste schon einiges tun, um sich eine Zugabe zu erklatschen.

    Endlich hatte Piotr Anderszewski ein weißes Blatt in der Hand, für Liederabend-Kenner ein untrügliches Zeichen, dass nochmal was gesungen wird.
    Die Zugabe wurde nicht angesagt, war aber schon nach den ersten Klaviertakten erkennbar; der Text wurde 388 Mal vertont, natürlich auch von Schumann, es ist eines der schönsten Schumann-Lieder überhaupt: »Du bist wie eine Blume«
    Atemberaubend schön gesungen und es war klar, dass es danach keine zweite Zugabe mehr geben konnte.


    Der nur wenige Zeilen umfassende Konzertbericht in der Zeitung ist mit »Schule der Empfindung« überschrieben und stellt unter anderem fest, dass Goerne die Gefühle unters Mikroskop legt und dazu alle Zeit der Welt hat und dass man die Erstarrung in »Auf einer Burg« vielleicht noch nie in einer solchen Super-Zeitlupe zur Kenntnis nehmen konnte.
    Und zum Pianisten des Abends schreibt Hans-Günther Fischer:
    »Die Klavierbegleitung Piotr Anderszewskis trägt das Ihre dazu bei, das Wort "Begleitung" grenzt hier an Beleidigung. Man kennt den Polen hauptsächlich als Solokünstler - und als Schumann-Spezialisten. Die Klavier-Tautropfen im Hit "Mondnacht" sind kein halbes Dezibel zu laut.«


    Vor zwölf Jahren hörte ich Goerne erstmals bei den Schwetzinger Festspielen, damals noch im Jagdsaal, inzwischen bevorzugt er das Rokokotheater, ein intimer Rahmen mit hervorragender Akustik. Stimme und Person haben sich verändert. Heute ist er mit Abstand der unruhigste aller großen Sänger im Genre Lied, und er erklärt mit seiner Hand Wellenbewegungen und Vogelflug. Aber er scheut keine Körperbewegung, um den jeweils idealen Ton aus sich herauszupressen. Es ist immer wieder beeindruckend, diese Stimme in der Vielfalt ihrer Farbnuancen zu hören.


    Wer dieses Konzert hören möchte, kann sich eine eigene Meinung bilden:
    Rundfunkübertragung SWR2 am Sonntag, 31. Mai 2015 - Mittagskonzert 12:30 -13:58 Uhr

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zit: "Wer dieses Konzert hören möchte, kann sich eine eigene Meinung bilden."


    Das habe ich getan, - und mir diese Meinung auch gebildet. Dank übrigens an hart für diesen ausführlichen und sorgfältig ausgearbeiteten Beitrag und den Hinweis auf den Termin der Rundfunk-Übertragung. Und nun gehe ich, ganz naiv, einmal davon aus, dass er diese Meinung auch hören möchte.


    Dem würde ich auch nachkommen. Gerne wüsste ich zuvor aber, wie er, der ja bei diesem Liederabend wirklich zugegen war, die interpretatorische, die gesangliche und die pianistische Leistung also, selbst beurteilt.
    Hart hat sich ja, wie er das, darin seinem Verständnis als "Berichterstatter" folgend, hier in diesem Thread durchweg tut, eines eigenen kritischen Kommentars enthalten. Nur an einer Stelle blitzt diesbezüglich etwas auf, und zwar in der Bemerkung zur Zugabe ("Du bist wie eine Blume"): "Atemberaubend schön gesungen...".


    Ich selbst habe das aber - und deshalb mein Beitrag zu diesem Thread an dieser Stelle - ganz anders erlebt und aufgenommen, - wie diesen ganzen Schwetzinger Liederabend überhaupt.
    Schön wäre es nun und wünschenswert, wenn ich harts Meinung dazu in ein paar Sätzen hier lesen könnte.
    Vielleicht haben ja aber auch noch andere Tamino-Liedliebhaber diese Übertragung ebenfalls gehört und könnten das, was sie dazu zu sagen haben, hier einbringen. Dann würde sich vielleicht - verlockender Gedanke eines unverbesserlichen Tamino-Träumers (der es eigentlich von seinen eigenen diesbezüglichen Erfahrungen her besser wissen sollte) - eine interessante Diskussion daraus entwickeln.

  • Ich selbst habe das aber - und deshalb mein Beitrag zu diesem Thread an dieser Stelle - ganz anders erlebt und aufgenommen, - wie diesen ganzen Schwetzinger Liederabend überhaupt.


    Da wird man ja noch zu später Stunde neugierig ...
    An sich ist das ein ganz normaler Vorgang, dass man bei Betrachtungen von Kunst zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen kann. Objektiv war in meinem Beitrag ohnehin nur die Nennung des Veranstaltungsorts und der Programmfolge ...


    Bezüglich der Klavierbegleitung habe ich ganz bewusst den Rezensenten Hans-Günther Fischer zitiert, darauf vertrauend, dass er die Kompetenz hat dies zu beurteilen; ich traue mir da kein fachlich fundiertes Urteil zu und mit dem Satz »er war ein aufmerksamer Begleiter«, kann kein Mensch etwas anfangen.


    So ein Liederabend widerstrebt, meiner Meinung nach - wie künstlerische Prozesse überhaupt - der schematischen Festlegung von Beurteilungskriterien. Ein kluger Mann, es war Franz von Holtzendorff, sagte einmal:
    »Die gesunde Kritik sollte bei der Beurteilung künstlerischer Leistungen weniger darauf sehen, Proben des eigenen Scharfsinns abzulegen, als mehr danach streben, unsere Fähigkeit zur Aufnahme geistiger Genüsse zu steigern.«


    In meinem Beitrag wies ich bereits darauf hin, dass die ersten drei Lieder eher zu den unbekannteren Liedern aus Schumanns Liedschaffen gehören, aber ich kann nicht ausschließen, dass Leute anwesend waren, die gerade diese Lieder in- und auswendig kannten und somit einen ganz anderen Höreindruck hatten, das heißt, man hört immer subjektiv.
    Wäre es ein Wunschkonzert gewesen, hätte ich mir aus »Myrthen« eher Widmung, Freisinn, Der Nussbaum oder die Lotosblume herausgesucht ...


    »Schöne Wiege meiner Leiden«, »Berg und Burgen schaun herunter«, »Anfangs wollt ich fast verzagen« ... das sind Lieder, die das Edle in Goernes Stimme besonders aufzeigen, so schrieb ich, und damit meine ich die Fähigkeit Stimmungsbilder zu entwickeln. Das ist eigenständiges schöpferisches Handeln des Sängers, der ein Füllhorn von Empfindungen zum Ausdruck bringen kann und - so wie ich es hörte - an diesem Abend davon reichlich Gebrauch machte.
    Ein solcher Liederabend lebt vor allem von dem unmittelbaren Augenblick - es stellt sich dann die Frage: hat mich ein bestimmtes Lied gerade eben berührt, begeistert, erregt oder vielleicht sogar irritiert?


    In der Pause hörte ich eine Dame sagen: »So habe ich einen Sänger noch nie atmen hören« ... ja, Goerne arbeitet mit ganzem Körpereinsatz und vielleicht ist das der Grund, warum er diesen Farbenreichtum an Tönen ausbreiten kann.
    Und was die Zugabe anbelangt - ich hatte meiner Frau am Ende des Vortrags zugeflüstert: »Das ist Gesangskultur«. Darüber dürfte es eigentlich keine Diskussion geben.
    Goerne hatte in Schwetzingen sowas ähnliches schon einmal gemacht, es war damals ein Schubert-Abend und er sang als Zugabe »Im Abendrot«


    Vielleicht bin ich ein Piano-Fetischist?

  • Darüber dürfte es eigentlich keine Diskussion geben.

    Doch, darf es, denn:

    An sich ist das ein ganz normaler Vorgang, dass man bei Betrachtungen von Kunst zu unterschiedlichen Beurteilungen kommen kann.

    Natürlich spielt bei Stimmbewertungen immer eine starke subjektive Komponente mit, aber ich konnte der Stimme von Matthias Görne leider noch nie etwas abgewinnen - im Opernhaus nicht und bei einem erlebten Liederabend auch nicht (ist allerdings alles schon ein paar Jahre her).

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es ging mir nicht um die Stimme Goernes. Dass beim Thema „Stimme“ viel Subjektivität im Spiel sein muss, dürfte unbestreitbar sein. Deshalb klammere ich diesen Aspekt bei meinen kritischen Betrachtungen von sängerischen Liedinterpretationen immer weitgehend aus. Mich interessiert in erster Linie, was ein Interpret mit seiner Stimme aus den Liedern macht.


    Und hier ist mir nun – durchaus nicht angenehm, sondern eher ein wenig anstößig – aufgefallen, dass Goerne sowohl bei Schumanns Opus 39, wie auch bei Opus 24 sehr häufig ungewöhnlich langsame Tempi im Vortrag nimmt, - z.T. fand ich sie sogar schleppend. Viele dieser Lieder hatte ich so bislang noch nicht gehört, und ich habe mich natürlich gefragt, ob er darin der jeweiligen Komposition gerecht wird.


    Hart zitiert aus einer Kritik in einer Zeitung die Bemerkung: …“ dass Goerne die Gefühle unters Mikroskop legt und dazu alle Zeit der Welt hat und dass man die Erstarrung in »Auf einer Burg« vielleicht noch nie in einer solchen Super-Zeitlupe zur Kenntnis nehmen konnte.“
    „Auf einer Burg“ ist solch ein Beispiel, bei dem ich mir ziemlich sicher bin, dass Goerne mit dem von ihm gewählten Tempo dem Lied selbst nichts Gutes tut.


    Wahrscheinlich hat er sich von dem einleitenden Bild des eingeschlafenen Ritters zu dieser Interpretation verführen lassen. Er hat dabei aber, wie ich finde, der Tatsache nicht genügend Beachtung geschenkt, dass Schumann in die melodische Linie der zweiten und der vierten Strophe einen Steigerungseffekt gelegt hat. Fünf Mal wird auf demselben Ton deklamiert („Eingewachsen Bart und Haare…“ und: „Eine Hochzeit fährt da unten…“), dann folgt ein Sextsprung. Das Ganze wiederholt sich drei Mal, dabei wird aber die tonale Ebene jeweils um eine Sekunde angehoben. Dadurch kommt eine Binnenspannung in die Melodik. Genau diese ist aber bei Goerne nicht zu vernehmen. Er schleppt sich stimmlich geradezu müde nach oben. Und beim Zuhören hatte ich den Eindruck, dass er damit das Bild der letzten Strophe verfehlt: Das von der Hochzeit auf dem Rhein und den munter spielenden Musikanten.

  • Mich beschäftigen solche Beiträge, wie der zu diesem Thread hier, hinterher immer noch einige Zeit. Und es drängt mich zu Nachträgen.
    Da lese ich die Bemerkung von hart:
    "Und was die Zugabe anbelangt - ich hatte meiner Frau am Ende des Vortrags zugeflüstert: »Das ist Gesangskultur«. Darüber dürfte es eigentlich keine Diskussion geben."
    Und mir fällt ein, was ich - es ist wirklich keine Lüge - beim Hören eben dieser Zugabe zu meiner Frau, die mit mir zusammen die Rundfunkübertragung gehört hat, sagte. Es war - ungefähr wiedergegeben - dieses:
    Warum nur nimmt Goerne dem Lied seine Emphase, dieses melodische jubelnd-beschwörende Preisen der Frau in ihrer blumenhaften Schönheit? Warum dehnt er das Lied gesanglich so, dass mir danach ist, ihn in seinem Vortrag voran zu schieben?


    Aber da ist es, das Problem.
    Es ist ein anderes, einen Liedsänger live zu erleben, als ihm am Lautsprecher zu lauschen. Ich habe Matthias Goerne drei Mal live als Liedsänger erlebt und war jedes Mal hingerissen. Man erlebt ihn tatsächlich so, wie hart ihn geschildert hat.
    Ich beneide ihn um diese Schwetzinger Erfahrung.

  • Mich beschäftigen solche Beiträge, wie der zu diesem Thread hier, hinterher immer noch einige Zeit. Und es drängt mich zu Nachträgen.


    So sollte es auch sein, und mir geht das ganz ähnlich, was ein Grund ist noch einige Gedanken zum Thema anzufügen.


    Ja, Matthias Goerne in Schwetzingen ... ich habe meiner Angabe aus dem Gedächtnis heraus nicht ganz getraut und nun gründlich nachgesehen; die Mitteilung des Ersthörens vor 12 Jahren stimmte nicht.
    Es war genau am 29. Mai 1997 und zwar war das Konzert nachmittags um 17:00 Uhr, der junge Goerne bot damals »Die schöne Müllerin« im »Jagdsaal«, der in der Zwischenzeit zum »Mozartsaal« wurde. Damals waren die Interpreten noch nicht auf der Eintrittskarte aufgedruckt, ich verlasse mich auf meinen handschriftlichen Vermerk auf der Ticket-Rückseite, dass Matthias Goerne sang. Danach findet sich noch eine Karte vom 30. Mai 1999, nach dessen Aufdruck Goerne im Rokokotheater einen Liederabend mit Alfred Brendel gab - ich hätte also gedanklich noch vor die Jahrtausendwende schauen sollen. Insgesamt konnte ich vor Ort Goerne also siebenmal hören.
    Als er einmal nach dem Konzert am Nebentisch mit seiner Entourage Platz nahm, musste ich miterleben, dass er mit seinen Leuten das Lokal wieder verließ, weil man ihm sagte, dass die Küche schon geschlossen hatte ...


    Da sind aber nicht nur diese Schwetzinger Erfahrungen, die man des Standortvorteils wegen hat ... da sind Liederabende mit Goerne in Schwarzenberg, aber auch einmal eine »Winterreise«, die ich im nahen Heidelberg mit ihm erleben durfte. Natürlich habe ich die »Winterreise« von vielen hervorragenden Sängern gut gesungen gehört, aber »Das Wirtshaus«, also das 21. Lied, ist mir als unauslöschliches Bild wie eingebrannt, Eric Schneider berührte mit seiner Nasenspitze fast die Tasten ... da kommt vieles zusammen, wenn solche Bilder entstehen: der Raum, die Beleuchtung, der Blickwinkel und vieles mehr - wer denkt da noch an Noten?


    Wenn man solche Dinge als unbeschreiblich schön bezeichnet, dann muss man das wörtlich nehmen und es ist nicht zwingend, dass jemand drei Sitze weiter das gleiche Erlebnis hatte, um so schöner, wenn man dann bemerkt, dass andere Gleiches empfunden haben.
    Der Kritiker Rainer Köhl schrieb damals:
    »Eines steht fest: Ein Liederabend mit Matthias Goerne gehört zu den ganz seltenen, wahren Offenbarungen die der Konzertbetrieb hergibt. Lange hat es keinen Künstler mehr gegeben, der so sehr zu fesseln vermag, dessen Singen so unter die Haut geht. Den Liederabend des jungen Baritons in der Heidelberger Stadthalle als Sternstunde des Gesangs zu bezeichnen, greift zu kurz, um dem Phänomen von Goernes einzigartiger Kunst gerecht zu werden. Freilich lässt längst nicht nur schöner Wohlklang und eine fabelhafte Gesangs-Technik einen Abend mit dem Sänger zum Erlebnis werden. Viel eher ist es die unbeschreibliche Intensität seines Vortrags, welche das Publikum den Atem anhalten lässt.«


    Aber ich besuche ja auch Liederabende, die nicht von den ganz großen Namen gestaltet werden. Da war Heike Wessels, eine Sängerin des Mannheimer Nationaltheater-Ensembles, die im Mai 2014 große Kunst bot (siehe Beitrag Nr. 13) - unauslöschlich hat sich ihr »Och Moder, ich well en Ding han« - Brahms op. 107, 33 - bei mir eingegraben. Damals schrieb ich, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass das irgendwo auf der Welt besser gesungen werden kann; da lehnt man sich natürlich ganz weit aus dem Fenster, aber mit solchen subjektiven Eindrücken geht man dann glücklich nach Hause, und darum sollte es, zumindest aus meiner Sicht, beim Besuch eines Liederabends gehen ...


    Aber nun einige Gedanken zu dem unbestritten Einwand:

    Zitat

    Er hat dabei aber, wie ich finde, der Tatsache nicht genügend Beachtung geschenkt, dass Schumann in die melodische Linie der zweiten und der vierten Strophe einen Steigerungseffekt gelegt hat.


    Gerald Moore sagte einmal, als er von seiner Zusammenarbeit mit Sängern sprach:
    »Die Behauptung, dass sehr wenig Musik in genauem Tempo und mit sklavischer Beachtung der Taktstriche aufgeführt werde, besteht nicht zu Unrecht, und John McCormack - wie vor ihm John Coates - bewies dies durch seine Interpretation.«
    Und bezüglich seiner Arbeit mit Dietrich Fischer-Dieskau meinte Moore:
    »Ich kann mir kein Lied vorstellen, bei dem Fischer-Dieskau durchweg das genaue Tempo einhalten würde«


    Bei Christian Gerhaher findet man zu diesem Thema:
    »Es gibt nichts Letztgültiges. Nicht mal der Komponist weiß es ja am Ende genau, wie er es gemeint hat. Ich finde, diese Unschärfe in der Rezeption, wie sie von Wittgenstein endlich und längst überfällig formuliert worden war, die ist aus der Kunst nicht mehr wegzudenken.«


    Zum Schluss lasse ich auch noch Edda Moser zu Wort kommen, deren Gedanken mit den meinen kongruent sind - sie meint:
    »Der Opernsänger hat die ganze Bühne, das Licht, Kostüm und Maske, den Chor, die Kollegen – der Liedsänger hat nur den Pianisten und seinen Glauben an Gott.«


    Nun, Licht hatte Goerne auf der Schwetzinger Festspielbühne auch, aber er musste erst daran drehen lassen, damit es zu seinem Gesang stimmend war ...

  • Lieber Hart, lieber Helmut,


    wiewohl ich, fern von Schwetzingen, selten Liederabende besuche (dort hörte ich immerhin einmal Mitsuko Shirai), sprechen mir eure beiden letzten Beiträge aus der Seele. Ein leises, beredtes Plädoyer für die Subjektivität, für das Je ne sais quoi, das Inkommensurable. Und vielleicht ließe sich dennoch sagen, daß große Interpretationskunst nur zustande kommt, wenn der Hörer im entscheidenden Moment bereit ist, sich zu öffnen - wenn er das, was der Interpret gleichsam "channelt", perziperen kann - so daß wahre Inspiration bloß im Gleichschwingen von Sender und Empfänger stattfindet.


    Und noch ein anderer Gedanken bewegt mich. Geschichlich hat nichts auf die spezifische sängerische Leistung, die Ästhetik Fischer-Dieskaus hingewiesen. Er faßt singulär zusamen und entwickelt, was in ihm zum Ausdruck drängt. Man konnte sich zuvor gewisse Valeurs in der Gestaltung eines Kunstliedes vielleicht vorstellen; aber man mußte sich stimmliche Qualitäten zusammenphantasieren, die bis zu Fischer Dieskau in keinem menschlichen Individuum zur Kongruenz kamen.


    Ich mußte dieser Tage oft daran denken, als ich mir bei youtube verschiedene Versionen von Schumanns "Waldgespräch" aus op. 39 anhörte, von denen keine mich befriedigte. Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal eine Frauenstimme, die das bewältigt - das Drängen des Mannes, sein Grauen, die irisierende Frauenerscheinung und ihre bedrohliche, schneidende Kälte am Schluß (da müßte es wie die Flagstad klingen). Aber dies nur in Parenthese.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ich mußte dieser Tage oft daran denken, als ich mir bei youtube verschiedene Versionen von Schumanns "Waldgespräch" aus op. 39 anhörte, von denen keine mich befriedigte. Vielleicht gibt es ja irgendwann einmal eine Frauenstimme, die das bewältigt - das Drängen des Mannes, sein Grauen, die irisierende Frauenerscheinung und ihre bedrohliche, schneidende Kälte am Schluß (da müßte es wie die Flagstad klingen). Aber dies nur in Parenthese.


    Lieber farinelli, Du solltest Dir wieder einmal Sena Jurinac anhören:



    Die Flagstad hat ja op. 39 nicht aufgenommen, nur "In der Fremde". Und das ziemlich spät, nämlich 1956. Daraus ziehe ich den Schluss, Zweifel zu haben, ob sie in dem von Dir so eindrücklich beschriebenen Moment Deine Erwartungen hätte erfüllen könne. Für mich ist es Jurinac! Ob je eine Frauenstimme wird bewältigen können, was Du Dir interpretatorisch von dem Lied "Waldgespräch" versprichst und was mit meinen eigenen Erwartungen stark zusammenkommt? Ich glaube es nicht. Dieser Tage sah ich im TV einen Bericht über ein Theatertreffen der Jugend, wobei auch gesungen wurde, was sie für Klassik hielten. Da waren sehr aufgeweckte, selbstbewusste und interessierte junge Menschen unterwegs, die sich deutlich ausdrücken können und die alle in die Kunst streben. Es wurde gesagt, dass mit dem alten Kram endlich Schluss sein müsse, mit dem, was die weißhaarigen Bildungsbürger so mit sich herum schleppen. Ich habe mit Güte zugehört und an die eigenen frühen Jahre denken müssen. Man wird ja sehen. Aber eines wurde mir sehr klar, dieses sich Einlassen und Versinken in genau solche Situationen und Stimmung, wie sie sich im "Waldgespräch" ausdrücken, dürfte verloren sein. Es wird ja in Worte und Musik etwas gekleidet, was sich eigentlich gar nicht ausdrücken lässt. Hier beginnt für mich die Kunst, die Kunst der Interpretation. Man muss nicht nur singen können, man muss über solche Dinge auch etwas Bescheid wissen, wenigstens intuitiv.


    Mit besten Wünschen für hinreißenden Liederabende - auch mit viel, viel Loewe! - in die Runde!

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Guten Morgen, lieber Rheingold1876, und hab vielen Dank für die CD-Empfehlung. Ganz wundervoll!


    Wenn du Recht hättest mit deiner Einschätzung, wäre das sehr traurig. Aber ich denke auch oft, daß die Kunst des 19. Jh. uns allmählich, ihrer inneren Selbstverständlichkeit nach, verloren geht. Dann stehen wir davor wie heute vor der Kunst des 18. Jh. und müssen sie HIP-mäßig rekonstruieren.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Überrascht und hoch erfreut bin ich über das, was sich hier tut: Ein kleines, leises, feines Gespräch über Liedinterpretation. Ich kann mich in all dem wiederfinden, was hierzu gesagt wird: in den Zitaten, die hart anführt, in dem sich situativ konstituierenden „Gleichschwingen von Sender und Empfänger , von dem farinelli spricht, und auch in der Feststellung von Rheingold: „Man muss nicht nur singen können, man muss über solche Dinge auch etwas Bescheid wissen, wenigstens intuitiv.“


    Aber ich meine:
    Bei aller Subjektivität, die der Rezeption von Liedgesang wesenhaft eigen ist, - sie ist nicht absolut. Es gibt auch das Phänomen der qualitativen Differenz und, noch weiter reichend, das – durchaus konstatierbare - interpretatorische Verfehlen der künstlerischen Aussage. Farinelli hat das ja indirekt belegt, indem er sein Unbehagen darüber zum Ausdruck brachte, auf keine gelungene, die musikalische Aussage voll erfassende Interpretation von „Waldesgespräch“ gestoßen zu sein. Mir selbst wird das zurzeit bei meinen Beschäftigungen mit den verschiedenen neuen Interpretationen der „Winterreise“ bewusst. Wenn ein Florian Prey das Lied „Im Dorfe“ singt, dann ist der qualitative Unterschied zu der Interpretation etwa eines Christian Gerhaher selbst für einen Menschen vernehmlich, der sich nicht gründlich mit dem Lied und dem Liedgesang beschäftigt hat.


    Gewiss, voll rational deskriptiv fassbar sind solche qualitativen Unterschiede nicht, und sie bewegen sich auch in seinem sehr weiten Ermessensspielraum, - eben weil es in der Kunst nichts „Letztgültiges“ gibt, wie Gerhaher meint. Und man könnte hinzufügen: Weil Kunst in ihrer Aussage wesenhaft polyvalent ist. Aber von Gerhaher gibt es auch die schöne Feststellung: „Singen ist das sinnliche Begreifen einer Idee“. Das beinhaltet, dass man sie, eben weil es sich um eine „Idee“ handelt, nie ganz „begreifen“ wird. Es beinhaltet aber auch, dass es in diesem Akt des „Begreifens“ unterschiedliche Stufen der Annäherung, ja sogar das Verfehlen gibt,

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  • © Schubertiade GmbH
    Bei Sommerwetter hat das Publikum hier ein erweitertes Foyer zur Verfügung. Ein Klingelzeichen gibt es nicht; bevor das Konzert beginnt und zum Ende der Pause erscheinen zwei Musiker/innen auf der grünen Wiese und kündigen das mit ihren Waldhörnern an ...


    Beim viele Monate zuvor getätigten Ticketkauf hatte man lediglich die Information, dass Michael Volle, begleitet von Helmut Deutsch, Schuberts »Schwanengesang« zu Gehör bringen wird.
    Gerne erinnerte ich mich zurück als Michael Volle, damals begleitet von Ulrich Eisenlohr, am 18. April 1998 in der Stadthalle Heidelberg diesen Zyklus, der ja bei Lichte besehen kein echter Zyklus ist, sang. Volle, eine stattliche Sängergestalt, stand damals souverän am Flügel und sang die Lieder des »Schwanengesang«. Dann war für ihn Schluss, weil zwei andere Sänger noch zwei Schubert-Zyklen vortrugen.


    Der tüchtige Verleger Tobias Haslinger hat die letzten von Schubert komponierten Lieder unter dem Begriff »Schwanengesang« gebündelt und diese Lieder so annonciert:


    »Auch Schubert, dieser edle Musenliebling ist dahin! - Nur zu rasch folgte er, wie auf magischen Wink, dem großen Meister Beethoven in das Land der ewigen Harmonien!! Ungeheuchelte Trauer umschwebt ihr Andenken; nur ihr geistiges Vermächtnis gewährt uns Ersatz ...
    Den zahlreichen Freunden seiner klassischen Muse wurden unter obigem Titel die letzten Blüten seiner edlen Kraft geboten. Es sind jene Tondichtungen, die er im August 1828, kurz vor seinem Dahinscheiden, geschrieben. Arbeiten, die auf das bewährteste den Beruf seiner reichbegabten Meisterschaft verkünden, so daß man versucht wird zu glauben, die Tüchtigkeit dieses im blühensten Alter entschwundenen Genius habe sich mit dem rüstigen Aufgebote aller Fülle und Macht noch einmal erhoben, um seinen Lieben eine recht preiswürdige Spende des Abschiedes zu hinterlassen.«


    Seit 1998 hatte ich diese Liederzusammenstellung schon von vielen anderen Sängern immer wieder mal gehört, aber nicht mehr von Michael Volle, aber die aktuelle Stimme war mir vertraut, weil er im letzten Jahr in Schwarzenberg die »Winterreise« sang. (Siehe Beitrag Nr. 27).
    Sicher sind die 14 Lieder des »Schwanengesang« vom zeitlichen Umfang her gesehen zu wenig, um einen ganzen Liederabend zu gestalten. Ein Blick ins Programmheft zeigte, dass an diesem Abend als erstes Stück »Der Taucher«, das längste aller Schubertlieder, geboten wurde.
    Natürlich stand ein Notenständer beim Klavier, kein Mensch wird das einem Sänger verübeln, wenn ein so gewaltiges Stück vorgetragen werden soll; denn erst nachdem er sich zu der Textstelle »und stürzt hinunter auf Leben und Sterben ...«, fast am Ende des Stückes, durchgesungen hat, gönnt man ihm eine größere Pause. Eine große Leistung; nach mehr als zwanzig Minuten hatten sich die beiden Vortragenden den Beifall redlich verdient!


    Danach wurde mit dem ersten Teil des »Schwanengesang« begonnen, mit den Gedichten nach Heinrich Heine, D 957 / 8-13
    Der Atlas
    Ihr Bild
    Das Fischermädchen
    Die Stadt
    Am Meer
    Der Doppelgänger


    Nach der Pause dann zunächst drei Lieder nach Gedichten von Johann Gabriel Seidl:


    Der Wanderer an den Mond, D 870
    Sehnsucht, D 879
    Die Taubenpost, D 965A


    Nun folgte der zweite Teil mit Liedern aus »Schwanengesang« nach Gedichten von Ludwig Rellstab, D 957 / 1-7
    Liebesbotschaft
    Kriegers Ahnung
    Frühlingssehnsucht
    Ständchen
    Aufenthalt
    In der Ferne
    Abschied


    An diesem Abend wurden grundsätzlich alle Lieder vom Notenständer gesungen und ich erinnerte mich an eine Kritik von Silvia Thurner, die im letzten Jahr anlässlich einer »Schönen Müllerin«, die Benjamin Bruns damals vortrug meinte:


    »Den Vortrag der "Schönen Müllerin" mit der Unterstützung von Noten sollte bei der Schubertiade tabu sein.«


    Ich löste das für mich so, dass ich einfach mit geschlossenen Augen hörte, vielleicht dachten die Umsitzenden, dass man mir eine Karte geschenkt hat und ich aus Desinteresse eingeschlafen sei ...
    Es ist viel geschehen seit ich Volle vor 17 Jahren mit diesen Liedern hörte. Das Programmheft nennt eine stattliche Anzahl von weltweiten Aktivitäten des Sängers an den ersten Häusern und einem sehr breiten Rollenspektrum; das ist wohl der Grund, dass nicht frei gesungen wurde.
    Der Begeisterung des Publikums tat dies keinen Abbruch, es erklatschte sich noch zwei Zugaben, von denen ich nur das erste Lied kannte, es war "Bei dir allein, D 866 Nr. 2"


    Die bereits oben erwähnte Silvia Thurner meinte zu diesem Liederabend:
    »Direkt ins Geschehen führte Michael Volle die Zuhörenden mit der Schubert-Ballade „Der Taucher“. So spannungsgeladen, mit einer individuellen Zeitgestaltung und ausdrucksvollen Rollenzuschreibungen, variiert mit rezitativischen, lyrischen und hymnischen Passagen, habe ich dieses „Drama“ schon lange nicht mehr gehört. Neben dem Gesangspart nahm auch Helmut Deutsch am Klavier eine bedeutende Rolle ein. Beispielsweise gestaltete der Pianist die Bilder von todbringenden Wasserstrudeln - teils illustrierend und teils psychologisch deutend - so plastisch, dass das (Opern)Kino im Kopf geradewegs stattfinden konnte.


    Nach dem gewichtigen „Atlas“ aus Schuberts „Schwanengesang“ verströmten „Ihr Bild“ und „das Fischermädchen“ eine große Ruhe. Beinahe mystisch leitete Helmut Deutsch den Klavierpart in „Die Stadt“ ein. In einem fein abgestimmten Verhältnis zwischen dem Gesangs- und dem Klavierpart entfalteten auch die Lieder „Am Meer“ und „Der Doppelgänger“ mit seiner eigentümlichen Harmonik ihre volle Wirkung. Das warme Timbre in den hohen Lagen und die Textdeutlichkeit, mit der Michael Volle alle Lieder sang, bildeten weitere Markenzeichen.
    Im zweiten Teil nahm sich der Bariton etwas zurück. Die Deutung des „Ständchen“ tanzte - missfallend - aus der Reihe, und die teilweise nicht ganz überzeugende Intonation dämpfte den positiven Gesamteindruck. Dessen ungeachtet boten Michael Volle und Helmut Deutsch einen emotionsgeladenen und fesselnden Liederabend.«


    Dass das "Ständchen" den positiven Gesamteidruck gedämpft hätte, habe ich so nicht empfunden, aber es hat mich schon etwas gewundert, dass sich die Dame diesmal am Notenständer nicht störte ...


    Wie sehen andere Sänger und Sängerinnen diese Sache?


    Als Jonas Kaufmann vor fünf Jahren einen Liederabend in München gab, eröffnete er diesen mit einer Ansage, um den auf der Bühne stehenden Notenständer zu erklären. Er sagte, dass ihn der Notenständer zwar "wahnsinnig" störe, aber er habe den Kopf so „voll von Lohengrin und Cavaradossi“, dass er sich nicht so ganz auf sein Gedächtnis verlassen wolle.


    Edda Moser sagte es 2012 in einem Interview ganz hart:
    »Auswendig singen ist eine Grundbedingung. Sänger, die sich mit einem Notenständer auf die Bühne stellen und in ihren Liedern blättern, kann man vergessen.«


  • Marcelo Amaral / Elly Ameling / Julian Prégardien / Christoph Prégardien / Robert Holl



    Fotos: Reiner Pfisterer


    Natürlich war das gar kein Liederabend, sondern eine Lied-Matinee im Opernhaus zu Stuttgart, aber bei dieser Veranstaltung traf sich die Crème de la Crème des Liedgesangs, da sollte man die Sache nicht so eng sehen und darüber berichten.


    Man kann dabei nur hoffen, dass man die richtigen Daten verwendet, denn die sind im Internet recht unterschiedlich dargestellt, wie die zitierten Beispiele zeigen:
    »Zum 80. Geburtstag im Jahr 2003 ehrte die Plattenindustrie sie mit einem hübschen Präsent ...«
    oder:
    »Elly Ameling steht mit 87 Jahren immer noch auf der Bühne, nun allerdings mit pädagogischen Zielen ...«


    In einem Tamino-Thread mit dem Titel: Elly Ameling - Engelsstimme findet man eingangs:


    »... Ameling stammt aus Rotterdam. Am 8. Februar 1934 geboren.« - nun, dieses Datum findet sich im Sängerlexikon Kutsch/Riemens.


    William B. A. hat am Sonntag, 8. Februar 2015, 00:03 zum 82. Geburtstag gratuliert, das dürfte wohl das richtige Datum sein, denn so steht das auch im Programmheft zu den Feierlichkeiten am 8. November 2015 in Stuttgart.


    Schließlich sei noch festgehalten, dass lutgra bereits am 11. September 2015 im Elly-Ameling-Thread auf diese Veranstaltung hingewiesen hat.


    Die im Vorfeld in vielen Presseveröffentlichungen erschienene Mitteilung las sich so:


    Sopranistin Elly Ameling erhält Hugo-Wolf-Medaille

    »Stuttgart (dpa/lsw) - Die niederländische Sopranistin Elly Ameling (82) wird mit der Hugo-Wolf-Medaille 2015 geehrt. «Ihre Stimme war so perfekt geschult, dass ihr Gesang vollkommen natürlich klang», teilte die Internationale Hugo-Wolf-Akademie in Stuttgart zur Begründung mit. Ameling habe vor allem in den 1960er Jahren als Lied- und Oratoriensängerin eine beispiellose Karriere rund um die Welt gemacht und dem deutschen Kunstlied vor allem in den USA zu neuer Bekanntheit verholfen. Man ehre sie für ihre besonderen Verdienste um die Liedkunst. Ameling gilt als Spezialistin für das deutsche und französische Lied. Sie wird die undotierte Auszeichnung am 8. November im Opernhaus Stuttgart entgegennehmen. Die Laudatio hält ihr Landsmann, der Liedsänger und Liedkomponist Robert Holl.«


    Als Lied- und Oratoriensängerin hat Elly Ameling sich in der Tat allergrößte Verdienste erworben und in der Regel waren die Kritiker stets voll des Lobes - zwei Beispiele:


    »Elly Amelings Stimme besitzt eine sehr Intensive Ausstrahlung. Wie man sich bereits anhand ihrer Platten überzeugen konnte, gehört sie zur Schar jener wenigen Sängerinnen, deren Stimmen so perfekt geschult sind, daß ihr Gesang vollkommen natürlich klingt. Die Stimme ist ebenso rein, wie schön und wird getragen von einer Technik, dank derer alles vollkommen mühelos wird... Diktion und Phrasierung sind makellos.«
    Robert T. Jones, New York Times, 13. April 1969


    »Die holländische Sopranistin ist heute einzigartig. Auf der Liedszene kann man heute keinen besseren Gesang, keine natürlich-schönere Stimme hören, und man muß schon weit zurück gehen - vielleicht auf Elisabeth Schumann, wie ein Experte meinte - , um einen rechten Vergleich zu finden.«
    San Francisco Chronicle, 31. Juli 1969


    Die Verleihung der Hugo-Wolf-Medaille ist für die Sängerin eine weitere Anerkennung, der schon viele andere vorausgegangen sind:
    Vier Mal erhielt sie den »Edison«, ein fünftes Mal für ihr Gesamtwerk, drei Mal wurde sie mit dem Grand Prix du Disque und dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Die niederländische Königin ernannte Elly Ameling 1971 zum Ritter des Ordens von Oranien-Nassau und zeichnete sie zu ihrem 75. Geburtstag mit dem Orden vom Niederländischen Löwen aus. Dazu kommen vier Ehrendoktortitel an Universitäten in den USA und in Kanada.


    Die Internationale Hugo-Wolf-Akademie wurde 1894 von Hugo Faißt, einem Freund des Komponisten, gegründet. Die Hugo-Wolf-Medaille wird von der Akademie seit 2008 verliehen.
    Zu den bisherigen Preisträgern zählen:
    Dietrich Fischer-Dieskau, Peter Schreier, Christa Ludwig, Brigitte Fassbaender, Graham Johnson - und seit 2015 nun auch Elly Ameling.


    Für den musikalischen Rahmen der Feierlichkeiten zeichneten die Tenöre Christoph und Julian Prégardien mit dem Pianisten Marcelo Amaral verantwortlich


    Es ist nun auch schon wieder fünf Jahre her, dass ich bei den Schwetzinger Festspielen einen Auftritt von Vater und Sohn erleben konnte, was damals wohl Julians erste Gehversuche an der Öffentlichkeit waren - sein Debüt hatte er 2007, seit 2009 war er am Opernhaus Frankfurt engagiert.


    Zu Beginn des Konzerts betrat Christoph Prégardien schlank und drahtig die Bühne und bot die vier Lieder Gustav Mahlers, wobei insbesondere der Beginn beim abschließenden »Urlicht« wieder einmal die sensible Stimmführung des 59-Jährigen aufhorchen ließ.


    Die Hugo Wolf-Lieder wurden dann von Sohn Julian zu Gehör gebracht. Wenn das letzte Live Erlebnis fünf Jahre zurückliegt, stellt man fest, dass Bartwuchs und Stimme gewachsen sind, wobei der letztere Aspekt natürlich der Wichtigere ist und eines dicken Lobes bedarf; der nunmehr 31-Jährige ist zu einem Sänger von Format herangereift. Natürlich wurde der Liederblock mit »Abschied« beendet, da ist in aller Regel begeisterter Applaus fast automatisch sicher, aber ganz abgesehen von den zündenden Schlussakkorden - da waren bewundernswerte Feinheiten in der Gestaltung zu hören.


    Kammersänger Robert Holl, ein Landsmann von Elly Ameling und ebenso in Rotterdam, aber 14 Jahre später geboren, hielt die Laudatio auf seine Kollegin, in der er die Leistungen der Geehrten nochmals Revue passieren ließ und dabei etwas mit seiner Loseblatt-Sammlung zu kämpfen hatte, aber man darf wohl davon ausgehen, dass diese Fakten fast jedem der 500 Matinee-Besucher bekannt waren. Im Verlaufe seiner Rede kam Holl auch auf eine uralte Mühle zu sprechen und illustrierte seine Ausführungen mit einer verhaltenen Gesangseinlage aus der »Müllerin«.


    Nach der Überreichungszeremonie bedankte sich die Geehrte und brachte dabei launig zum Ausdruck, dass das Reden auf einer Bühne nicht so ihre Sache sei, während sie mit dem Singen nie Schwierigkeiten gehabt habe. Aber die betagte Dame verkniff sich eine Kostprobe ihres Könnens, in den mittleren 1990er Jahren beendete sie ihre Konzerttätigkeit.
    Elly Amelings Stimme war so perfekt geschult, dass man es eigentlich nicht hörte, denn sie klang immer natürlich. Als Primadonna ist sie nie aufgefallen, war aber schon mal Selbstzweifeln ausgesetzt und nahm sich für einige Monate eine Auszeit, in der sie als Buchhändlerin arbeitete.


    Ein Blick ins Sängerlexikon zeigt das künstlerische Schaffen von Elly Ameling so auf:


    »Sie war Schülerin der Gesangpädagogen Jo Bollekamp und Jacoba Dresden-Dhont in Rotterdam. 1956 gewann sie den Noordewier-Preis beim Gesangwettbewerb von s'Hertogenbosch, 1958 wurde sie erste Preisträgerin beim internationalen Gesangwettbewerb von Genf. Weitere Ausbildung durch Pierre Bernac in Paris. Nunmehr entwickelte sich eine ungewöhnlich erfolgreiche Karriere der Künstlerin, die sich zunächst auf den Konzert- und zumal den Oratoriengesang beschränkte. Sie galt als eine der bedeutendsten Bach- Interpretinnen innerhalb ihrer künstlerischen Generation, war aber auch in Werken von Händel, Mozart, Mendelssohn und in Aufgaben aus der klassischen Barockliteratur hochgeschätzt. Ihre Konzertreisen brachten ihr namentlich in Deutschland, aber auch in Österreich, in der Schweiz, in Belgien und nicht zuletzt in Nordamerika triumphale Erfolge. Sie fügte auch das Kunstlied in ihr Repertoire ein und galt bald auf diesem Gebiet, zumal in der Interpretation der Lieder von Schubert, R. Schumann, J. Brahms und Hugo Wolf, als eine der bedeutendsten Sängerinnen ihrer künstlerischen Generation. 1959 sang sie das Sopransolo in der Premiere von Frank Martins »Mystère de la Nativité« und die Solopartie in der 4. Sinfonie von Gustav Mahler bei den Salzburger Festspielen unter Rafael Kubelik. 1971 unternahm sie eine glanzvolle Tournee durch die USA und Kanada. 1967 sang sie beim Musikfest von Spoleto, 1968 beim Festival von Montreux und beim New Yorker MozartHaydn Festival. 1970 trat sie im holländischen Fernsehen als Butterfly auf. In der Spielzeit 1973-74 betrat sie erstmals die Opernbühne, und zwar sang sie in Amsterdam die Ilia in Mozarts »Idomeneo«, die sie im gleichen Jahr in Washington wiederholte. Die Künstlerin lebte in Zwijndrecht bei Rotterdam. Königin Juliana von Holland ernannte sie 1971 zum Ritter des Oranien-Ordens; sie erhielt die Ehrendoktorwürde der Universitäten von Princeton, Vancouver und Cleveland. Sie trat bis 1996 gelegentlich als Liedersängerin auf und gab u.a. 1996 noch einen Liederabend in Wien. Sie veröffentlichte eine Selbstbiographie unter dem Titel »Vocaal aventur« (Soest, 1978).
    Sehr viele Schallplattenaufnahmen zeigen uns die Stilsicherheit ihrer Vortragskunst wie die Tonfülle und den Glanz ihrer Stimme. Diese Aufnahmen erschienen bei Decca (Matthäuspassion, »Die Schöpfung« von Haydn), Harmonia mundi, Philips (Weihnachtsoratorium von J.S. Bach, Eurilla in »Orlando paladino« von J. Haydn, »Elias« von Mendelssohn, Requiem von Cimarosa, Sinfonien von Gustav Mahler, Bach-Kantaten, Lieder von Duparc und Satie, »La Damoiselle élue« von Debussy, »Schéhérazade« von Ravel; auf dieser Marke wurde auch ein umfangreiches Album unter dem Titel »Belcanto des 18. Jahrhunderts« veröffentlicht), Electrola (Johannespassion von J.S. Bach), Erato (Mozart-Requiem) und bei DGG; dazu auf verschiedenen Marken Aufnahmen von Kantaten und Liedern.«

    [Lexikon: Ameling, Elly. Kutsch/Riemens: Sängerlexikon, S. 458 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 65) (c) Verlag K.G. Saur]


    Im zweiten Programmteil sang Julian Prégardien zunächst Lieder aus Opus 24 von Robert Schumann nach Texten von Heinrich Heine.
    Danach sang Vater Prégardien drei Lieder von Franz Schubert, dann trat beim letzten Lied, dem bekannten »Nacht und Träume«, der Sohn hinzu und das Lied erklang von den beiden Prachtstimmen gesungen. Puristische Kritiker mögen das vielleicht kritisch sehen, aber ich kann mir schon vorstellen, dass auch Franz Schubert dieser Version ehrlichen Beifall gespendet hätte.
    Das gut gestimmte Publikum applaudierte so intensiv, dass Vater und Sohn nochmal zwei gemeinsam gesungene Schubert-Lieder zu Gehör brachten.


    Das musikalische Programm der Matinee:


    Gustav Mahler (1860-1911)
    Aus: Des Knaben Wunderhorn
    Wer hat die Liedlein erdacht
    Lob des hohen Verstandes
    Rheinlegendchen
    Urlicht


    Hugo Wolf (1860-1903)
    Vier Mörike-Lieder:
    Zur Warnung
    Auftrag
    Selbstgeständnis
    Abschied


    Robert Schumann (1810-1856)
    Aus: Liederkreis Opus 24 (Heinrich Heine)
    Morgens steh ich auch und frage ...
    Es treibt mich hin, es treibt mich her ...
    Ich wandelte unter den Bäumen ...
    Lieb Liebchen, leg´s Händchen aufs Herze mein ...
    Schöne Wiege meiner Leiden ...


    Franz Schubert (1797-1828)
    Dass sie hier gewesen D775 (Rückert)
    Greisengesang D778 (Rückert)
    Im Walde (Waldesnacht) D708 (Schlegel)
    Nacht und Träume (Duett) D827 (Collin)


    Zugaben:


    Franz Schubert (1797-1828)
    Licht und Liebe D352 (Collin)
    Im Abendrot D799 (Lappe)

  • Es ist ja immer interessant zu erfahren aus welchem Blickwinkel andere Konzertbesucher eine Veranstaltung sehen. Die Kulturjournalistin Susanne Benda von den STUTTGARTER NACHRICHTEN berichtet von dieser Matinee so:


    „Sie war eine der größten Liedsängerinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, sagt Robert Holl, der Bass, über seine Kollegin Elly Ameling, die am Sonntag im Stuttgarter Opernhaus mit der Hugo-Wolf-Medaille ausgezeichnet wurde.


    „Sie war eine der größten Liedsängerinnen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“: Das sagt Robert Holl, der Bass, über seine Kollegin Elly Ameling, als diese am Sonntag mit der Hugo-Wolf-Medaille ausgezeichnet wird. Erstens hat er natürlich recht. Und zweitens ging es ihm wohl ähnlich wie der Preisträgerin, die ihren Dank für die freundliche Laudatio ihres Landsmannes mit einem schönen, treffenden Satz beginnt: „Ich hätte“, sagt die heute 82-Jährige zum Publikum im Stuttgarter Opernhaus, „viel lieber vor Ihnen gesungen als gesprochen.“
    Das Singen übernehmen zwei, die man treffender nicht hätte auswählen können. Christoph und Julian Prégardien, Vater und Sohn und beide Tenöre, beherrschen exzellent das, was für Elly Ameling die Grundlage aller Vokalkunst ist: das Singen in weiten Bögen, das Verbinden der Töne zu atmenden Phrasen, das sogenannte Legato. Außerdem durchdringen beide die Verbindung von Poesie und Musik so intelligent und so intensiv, dass die Lied-Matinee zu einem Hochlied auf eine zu Unrecht ins Abseits gedrängte Kunstform der höchsten Verfeinerung gerät.
    Lieder von Gustav Mahler singt Christoph Prégardien (59) mit feinem Gespür für die Balance von Sprache und Klang, mit exzellenter Tonvorstellung, glasklarer Aussprache und einem Textverständnis, das selbst in kleinsten Worten und Wendungen feine Momente der Ironie aufstöbert. Dass die hohe Lage bei diesem Ausnahmesänger manchmal nicht mehr optimal anspricht und bei lauten Stellen gelegentlich zu flattern beginnt, dass ihm die überdrehten Verzierungen beim „Wer hat dies Liedlein erdacht?“ nicht ganz sauber gelingen: Das alles ist angesichts etwa des Anfangs von „O Röschen rot“, der einen in Abgründe blicken lässt, vollkommen nebensächlich.

  • Im zweiten Teil ihres Artikels schneidet Susanne Benda eine interessante Frage an ...


    Prégardien empfiehlt sich als künftiger Wolf-Preisträger

    So wie der Vater auf packende, nein: erschütternde Weise in Schuberts „Dass sie hier gewesen“ und „Greisengesang“ von Vergangenem und von Vergehen singt, so überzeugend wirkt – neben einer wundervoll gerade geführten Stimme – die theatralische Unmittelbarkeit, mit der sein Julian Prégardien (31) bei Liedern von Hugo Wolf an diesem Vormittag einen postalkoholischen Brummschädel („Zur Warnung“) oder auch den Tritt in den Hintern lebendig ¬werden lässt, mit dem im „Abschied“ der Künstler einen lästigen Kritiker die Stiege hinunterbefördert.
    Marcel Amaral, der auf dem Flügel Wolfs Schadenfreude in launig überdrehtem Walzertakt teilt und der auch andernorts wach und spielerisch Stimmungen vor- und weiterführt, beweist erneut seine Klasse als Tastenpartner. Als Vater und Sohn schließlich bei Schuberts „Nacht und Träume“ auf so innige Weise zusammenfinden, als sängen sie ein Liebesduett, da muss man überzeugt sein: Hier stehen ein künftiger Wolf-Preisträger und sein Laudator auf der Bühne. „Ich bin“, hatte Elly Ameling gesagt, „ein glücklicher Mensch.“ Hier stehen zwei davon.

  • Susanne Rudolph berichtet in der SÜDWEST PRESSE von dieser Liedermatinee folgendes:


    Große Dame der Liedkunst: Elly Ameling geehrt


    »Viel lieber hätte ich für Sie gesungen als geredet, denn im Lied lässt sich viel besser ausdrücken, was man empfindet: Hier steht ein glücklicher Mensch!«


    Inniger als mit dieser Huldigung an das Lied hätte sich Elly Ameling, die große alte Dame der Liedkunst, kaum bedanken können für die Hugo-Wolf-Medaille, die ihr in der Stuttgarter Staatsoper verliehen wurde - eine der zahlreichen Ehrungen im Leben der 82-jährigen niederländischen Sopranistin. Immer sind es die absolut "herausragenden Verdienste um die Liedkunst", die mit dieser Medaille von der Internationalen Hugo-Wolf-Akademie gewürdigt werden.
    Auch Landsmann und Kammersänger Robert Holl, der die Laudatio hielt, hätte wohl lieber gesungen. Reden scheint seine Sache nicht so zu sein. Umso berührender aber seine sehr persönliche Würdigung Amelings, sein begeistertes Lob einer "wunderbaren und technisch perfekten Stimme, in der der Sehnsuchtston der Romantik klingt", seine Hochachtung vor der Lehrerin, die den Nachwuchs mit der richtigen Mischung aus "Leidenschaft, Strenge und Humor" unterrichtet, und vor der hoch gebildeten Kollegin, die auch andere Künste liebt. "Das Leben ist eine beständige Aufforderung zum Lernen", diese Auffassung, davon zeigte sich Holl überzeugt, halte Elly Ameling so "frisch und jung".
    Nicht sprechen, nur singen: Das war mit Liedern von Mahler, Wolf, Schumann und Schubert einzig Christoph und Julian Pregardien (am Klavier Marcelo Amaral) vorbehalten, Vater und Sohn, beide wundervolle Tenöre mit einem unüberhörbar ähnlichen Timbre, weich und samten. Doch interessant: Während der Vater ganz bei der Intimität des Lieds blieb, jeder Empfindung die passende Farbe gab, geriet beim Sohn manches eine Spur zu opernhaft, zu gemacht. Erst in den drei letzten Schubert-Duetten wurde man entführt in das, was Elly Ameling zuvor "das Paradies der Liedkunst" genannt hatte. Sie verbeugte sich denn auch tief vor den Pregardiens.

  • Karsten Mewes - Bariton / François Salignat - Klavier - Liederabend am 5. Dezember 2015




    Die Montagehalle des Mannheimer Nationaltheaters ist ja in diesem Thread bereits bekannt, also braucht dieses ungewöhnliche Ambiente für einen Liederabend nicht immer aufs Neue beschrieben werden. Aber gerade in dieser Umgebung wurde der optische Kontrast noch gesteigert, indem beide Künstler konservativ das Podium im Frack betraten, was ich an dieser Stätte bisher noch nicht gesehen hatte.


    Die Veranstaltung war erfreulicherweise ausverkauft und Interessenten mussten auf einer Warteliste geparkt werden.


    Karsten Mewes wurde 1959 in Pirna geboren, wuchs in Berlin auf und studierte 1979-1985 an der HfM Hanns Eisler in Berlin. 1985 belegte er bei einem Opernsängerwettbewerb der DDR einen beachtlichen 3. Platz, aber beim IX. Internationalen Robert Schumann Wettbewerb in Zwickau sogar den 1. Platz und wurde mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.


    Der Karrierestart von Karsten Mewes fand immerhin an der Berliner Staatsoper statt, wo er in einer Ruth Berghaus-Inszenierung den Masetto in »Don Giovanni« sang. Damals gestaltete er ohnehin viele Mozart-Rollen, an die 400 Mal gab er den Papageno. Nach der sogenannten »Wende« war Mewes als freischaffender Künstler tätig, sang in einer Schlingensief-Inszenierung des »Parsifal« in Bayreuth und sprang schließlich 2008 in Mannheim als Holländer ein und blieb gleich da.


    Über die Jahre stand er am Nationaltheater als Hans Sachs, Wotan, Klingsor, Scarpia ... auf der Bühne, zum Ende der Spielzeit wird er das Mannheimer Theater verlassen, so dass dieser Liederabend auch als eine Art Abschied gelten kann, was in stürmischem Applaus zum Ausdruck gebracht wurde, den ich auch als Dank für die geleistete Opernarbeit interpretierte.


    Der Pianist François Salignat studierte an den Conservatoires von Lyon und Rueil-Malmaison und übersiedelte dann nach London, wo er an der Guildhall School of Music Klavierbegleitung und am National Opera Studio Korrepetition studierte; das Liedfach erarbeitete er sich mit so renommierten Spezialisten wie Graham Johnson, Malcolm Martineau und Roger Vignolles. Er wirkte an den Opernhäusern in Hamburg, Mainz, Freiburg und Karlsruhe. Mit Beginn der Spielzeit 2014/15 ist er Solokorrepetitor mit Dirigierverpflichtung am Nationaltheater Mannheim.

    Grundsätzlich gilt mein Respekt jedem, der eine Winterreise singt, weil das immer eine enorme Leistung darstellt, aber wenn man gefragt wird, wie es denn gewesen sei, hat man dazu natürlich eine subjektive Meinung, wollte man objektiv versuchen so einen Abend darzustellen, nähert man sich der Buchform ...


    Karsten Mewes hat sich hier Meriten als Opernsänger erworben, aber eine Stimme entwickelt sich natürlich dann auch in diese Richtung, da mag einmal ein lyrischer Bariton gewesen sein, da war auch mal ein Bass, wie man weiß - und auch heute noch hört - , aber dann führte der Weg zu Wagner. Vor Jahren sagte der Sänger einmal in einem Interview: »Ich wollte immer so dramatisch wie nur möglich singen.«, er wollte Stimmdarsteller sein.

    Wäre es ein Wunschkonzert gewesen, hätte ich mir von dieser Stimme Loewe-Balladen gewünscht. Aber es war eben die Winterreise und die hat man von Dieskau, Goerne, Gerhaher oder Holl im Ohr, wo weniger dramatisch, aber differenzierter gesungen wird; vielleicht ist dieser Vergleich etwas unfair, weil die Vorgenannten als Spezialisten des Liedgesangs gelten. Die Lieder »Die Wetterfahne«, »Mut« und »Die Nebensonnen« waren nach meinem Empfinden der Stimme von Karsten Mewes adäquat.
    Nimmt man den gesamten Zyklus dieser 24 Lieder, dann wäre es geschickt gewesen, wenn sich der Sänger an den Lichtverhältnissen orientiert hätte, denn erstmals in dieser Liederabend-Serie in der Montagehalle war die Beleuchtung wohltuend stark reduziert.
    Nur die Interpreten standen im Rampenlicht.
    Am Ende des Abends dann etwas, das ich nach unzähligen »Winterreisen« noch nie erlebt hatte, nach stürmischem Applaus gewährten die beiden Künstler eine Zugabe: »Der Lindenbaum«


    Die nächsten Liederabende in der Montagehalle:
    Mittwoch, 17. Februar 2016
    Samstag, 19. März 2016
    Freitag, 27. Mai 2016

  • Hallo!


    Gestern - der erste Liederabend meines Lebens. Und es war herrlich.


    Durch die CD "Heimliche Aufforderung" mit Liedern von Richard Strauss


    und


    Verwandlung - Lieder eines Jahres



    begann ich mich für die Sängerin Christiane Karg zu interessieren. Über ihre Webseite wurde ich auf ihren Liederabend in Wiesloch im Palatin aufmerksam.


    Das Programm (begleitet von Gerold Huber):


    Robert Schumann - Widmung
    4 Lieder von Klara Schumann
    Robert Schumann - Frauenliebe und Leben
    Robert Schumann - Die Löwenbraut
    8 Lieder von Johannes Brahms


    Als Zugabe sang Christiane Karg "Liebst Du um Schönheit" von Gustav Mahler, das sie im ersten Teil bereits in der Vertonung von Clara Schumann gesungen hatte. Ähnlich mit der zweiten Zugabe: War das letzte Lied des offiziellen Teils die Mondnacht von Johannes Brahms, gab sie als Zugabe die Vertonung von Robert Schumann.


    Ein bezaubernder warmer Sopran einer ebenso bezaubernden Frau mit selbstbewusstem und zugleich bescheidenem Auftreten - in 100%igem Einklang mit einem hervorragenden Liedbegleiter.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber WoKa,
    das war also der erste Liederabend Deines Lebens - Gratulation!
    Ich habe im Verlaufe eines langen Lebens unzählige erlebt, natürlich auch Christiane Karg gehört (siehe Beitrag Nr. 23) in diesem Thread.


    Deine Mitteilung hat mich jedoch tief getroffen, weil ich von dieser Veranstaltung in Wiesloch absolut keine Ahnung hatte. Hätte ich davon gewusst, wäre ich traurig gewesen, weil man eben nicht gleichzeitig an zwei Orten sein kann. Das Programm von Christiane Karg wäre für mich attraktiver gewesen, weil sie auch Schumanns »Frauenliebe und -Leben« sang, ein Zyklus, der ganz selten gesungen wird, während Schuberts »Winterreise« doch öfter zu hören ist.


    In einer halben Stunde hätte ich beide Konzerte erreichen können. Man kann sich darüber ärgern, dass man nicht bei beiden Veranstaltungen sein kann, aber es auch positiv betrachten und sich darüber freuen, dass die Kulturszene so etwas bietet.


  • Bass-Bariton Bartosz Urbanowicz (links) mit dem Pianisten Robin Phillips


    Ein Liederabend am Mittwoch, 17. Februar in der Montagehalle des Nationaltheater Mannheim


    »Drei junge Sänger des NTM-Ensembles, Maria Markina, Bartosz Urbanowicz und Raphael Wittmer, finden sich am 17. Februar zu einem Liederabend zusammen, um inspiriert durch die Premiere von Prokofjews »Der Spieler« eine Auswahl russischer Lieder zu präsentieren.
    Sie singen teilweise in der Originalsprache. Von Prokofjew selbst stammen die Drei Kinderlieder und »Das hässliche Entlein«– Zyklen, die den Humor und die Spiel-Lust Prokofjews hervorragend zur Geltung bringen. Einen starken Kontrast bilden die »Lieder und Tänze des Todes« von Modest Mussorgsky. Sie entstanden fast 50 Jahre vor dem Spieler und scheinen doch durch ihr Thema, den Totentanz, eng an die Spielsucht und das wirbelnde Roulette anzuknüpfen. Auch die vier Lieder auf Zeitungsannoncen (1928) des Modernisten Alexander Mossolow verraten schon im Titel einen spielerisch-humoristischen Umgang mit Kunst. Die Lieder und Romanzen von Nikolai A. Roslawez entstammen ebenso wie die Mossolows der unterdrückten russischen Avantgarde.«


    Das war die Vorankündigung dieses Liederabends; zum Beginn wurde jedoch bekanntgemacht, dass der Tenor Raphael Wittmer erkrankt ist.


    Das Programm musste also rasch umgeschrieben werden, so dass nicht teilweise in russischer Originalsprache gesungen wurde, sondern das ganze Programm.


    Dorothea Krimm moderierte das Programm, so dass man etwas zu den Komponisten und deren Umfeld erfuhr, und mit dem musikalischen Inhalt der Lieder einigermaßen vertraut war. Alle Texte waren in der deutschen Übersetzung abgedruckt und die Beleuchtung so geschaltet, dass man mitlesen konnte.


    Den Löwenanteil dieses Liederabends bestritt die in Moskau geborene Mezzosopranistin Maria Markina die man in Mannheim bereits in »Tancredi«, »Der ferne Klang« und »La damnation de Faust« hören konnte. Nachdem sie als 21-Jährige an der neuen Oper Moskau engagiert war, führte sie ihr Weg über Housten und die Staatsoper Hamburg nach Mannheim.
    Maria Markina sang an diesem Abend 15 Lieder von den 19, die auf dem Programm standen.
    Da waren recht lange, aber auch extrem kurze Lieder dabei.


    Bei op. 21 »Vier Zeitungsannoncen« von Alexander Wassiljewitsch Mossolow seien die vier Liedtexte einmal dargestellt:


    1. Weitersagen: Blutegel höchster Qualität
    kauft und setzt man nur bei P. N. Artemjew.

    2. Hund entlaufen. Hündin, Englischer Setter,
    weiß mit Kaffeeflecken. Vor dem Kauf
    und Verkauf warne ich! Der Finder erhält
    eine Belohnung.


    3. Herr Stephan Naumowitsch Stotterer,
    ein Bürgeraus dem Hof Babitsch im Donbezirk
    ändert seinen Namen von Stotterer in Näsler.
    Personen, die Einwände gegen die Änderung
    des Namens haben, werden gebeten, dies in
    Krasnodar zu melden.


    4. Vernichte persönlich Ratten und Mäuse.
    Gute Empfehlungen. 25 Jahre in Praxis.


    Mossolow kannte ich nicht und habe nachgeschlagen. Da heißt es dann unter anderem:
    »In vielen Werken meidet Mossolow den Wohlklang und setzt fast alle Regeln der Tradition außer Kraft.«
    Solcherart Lieder leben wohl eher von der Exklusivität ihrer seltenen Darbietung.


    Ob melancholisch oder lustig, die Sängerin verfügt über ein Stimmpotenzial, das es ihr ermöglicht alle erforderlichen Nuancen und Schattierungen optimal darzustellen, wobei ich insbesondere an »Missverständnis« und »Ich habe dich nicht gerufen« denke.


    Der polnische Bass-Bariton Bartosz Urbanowicz beschloss den Liederabend mit vier großen Liedern von Modest Mussorgski. Urbanowicz hat an der Musikakademie in Katowice studiert und debütierte mit 23 Jahren als Warlaam in »Boris Godunov«.
    Diese Lieder hatte ich letztmals im Sommer 2010 gehört, damals, in Schwarzenberg vom großen Robert Holl vorgetragen.
    Urbanowicz hat zwar eine ganz andere Stimme, aber er trug diese vier Lieder absolut souverän - anscheinend mühelos und ausdrucksstark vor.


    Die beiden Vokalisten wurden von Robin Phillips begleitet, der insbesondere bei »Trepak« Schwerstarbeit zu verrichten hatte.


    Der Beifall für die drei Künstler war spärlich, was absolut nichts mit der Qualität des Gebotenen zu tun hatte - von den etwa 100 Stühlen in der Montagehalle waren etwa nur zwei Drittel besetzt.
    Das vorangegangene Konzert war überlaufen, da hätte man noch Stühle gebraucht - damals stand die »Winterreise« auf dem Programm.


    Das Programm des Abends:


    Modest Petrowitsch Mussorgski (1839-1881)
    Am Don blüht ein Garten
    Hebräisches Lied
    Gopak


    Alexander Wassiljewitsch Mossolow (1900-1973)
    Vier Zeitungsannoncen op. 21


    Sergei Sergejewitsch Prokofjew (1891-1953)
    Das graue Kleid
    Der Zauberer


    Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906-1975)
    Satiren (Bilder der Vergangenheit) op. 109
    1. An den Kritiker
    4. Missverständnis
    5. Kreutzer-Sonate


    - Pause -


    Nikolai Andrejewitsch Roslawez (1881-1944)
    Abendliche Felder (Konstantin D. Balmont)
    Ich habe dich nicht gerufen (Alexander Blok)
    Abend (Nikolai Gumiljow)


    Modest Petrowitsch Mussorgski
    Lieder und Tänze des Todes
    Wiegenlied
    Ständchen
    Trepak
    Der Feldherr


  • Der Rahmen in dem die Schubertiade stattfand


    Wer mit dem Begriff »Schubertiade« konfrontiert wird, denkt eher an Wien, Schwarzenberg oder Hohenems, aber nicht an Duisburg.
    Als man Christoph Prégardien fragte:

    »Können Sie uns kurz erklären, was eine Schubertiade ist?«
    Erklärte er:
    »Das sind Konzerte, die in Wien entstanden sind. Dabei werden Stücke ganz unterschiedlicher Genres aufgeführt. Ich freu mich sehr darauf – es wird für das Publikum äußerst unterhaltsam.«


    Und so war es dann auch ...


    Das äußere Umfeld und die beteiligten Künstler:


    Es ist ein relativ junger Theaterbau, der erst 1995 entstand. Dabei war an Schubert nicht gedacht, denn der Theaterneubau wurde für die Stella AG errichtet und diente von Januar 1996 bis November 1999 als Bühne für die Musicalproduktion »Les Misérables«.
    Der Betreiber ging in Insolvenz und die Stadt Duisburg kaufte das Theater, das 1540 Sitzplätze hat. es diente als Ausweichbühne für die Duisburger Philharmoniker, danach wurden Abrisspläne entwickelt. Seit die Spielstätte der Philharmoniker im August 2012 aus Brandschutzgründen geschlossen wurde, ist das Theater am Marientor wieder die Spielstätte der Duisburger Philharmoniker. Durch den Einbau einer Steuerung für die Raumakustik kann der Saal die Anforderungen an eine Konzerthalle für Kammer- bis Philharmonische Konzerte erfüllen und weiterhin für Sprach- und U-Musikveranstaltungen auch von lokalen Veranstaltern genutzt werden.


    Am 18. Januar 2016 feierte Christoph Prégardien seinen 60. Geburtstag und es scheint, dass man diese Feierlichkeiten bis zu diesem voluminösen und gehaltvollen Konzert ausdehnte. Die Vokalkunst Franz Schuberts bestimmte den Abend, aber auch einige Stücke anderer Komponisten wurden in das Programm eingefügt.


    Lieder und Ensemble-Gesänge von Franz Schubert
    Julian Prégardien, Tenor
    Samira Prégardien, Klarinette
    Andreas Frese, Klavier
    Michael Gees, Klavier
    Hornisten der Duisburger Philharmoniker:
    Ioan Ratiu, Horn
    David Barreda Tena, Horn
    Waltraud Prinz, Horn
    Marci McGaughey, Horn
    Jan Schumacher, Dirigent
    Camerata Musica Limburg


    Die Programmfolge:


    Camerata Musica Limburg, Christoph Prégardien, Julian Prégardien, Andreas Frese
    Franz Schubert
    Ständchen D 920
    Die Nacht D 983c
    Nachthelle D 892
    Lied im Freien D 572


    Christoph & Julian Prégardien, Michael Gees
    Friedrich Silcher
    Frisch gesungen
    Loreley


    Franz Schubert
    Erlkönig D 328
    Wanderers Nachtlied D 768


    Christoph Prégardien, Michael Gees
    Der Zwerg D771
    Im Walde D 708


    - Pause -


    Michael Gees
    Improvisationen zu den folgenden Goethe-Liedern


    Julian Prégardien, Andreas Frese
    Franz Schubert
    Schäfers Klagelied D 121
    Der Musensohn D 764
    Nähe des Geliebten D 162
    Heidenröslein D 257


    Christoph Prégardien, Ioan Ratiu, Andreas Frese
    Franz Schubert
    Auf dem Strom D 943


    Samira Prégardien, Michael Gees
    Robert Schumann
    Drei Romanzen für Klarinette und Klavier 0p. 94


    - Pause -


    Camerata Musica Limburg, Christoph Prégardien
    Ralph Vaughan Williams
    The Turtle Dove
    The Winter is Gone
    Linden Lea
    Loch Lomond


    Camerata Musica Limburg, vier Hornisten
    Franz Schubert
    Nachtgesang im Walde D 913


    Julian Prégardien, Samira Prégardien, Michael Gees
    Franz Schubert
    Der Hirt auf dem Felsen D 964


    Christoph & Julian Prégardien, Michael Gees
    Franz Schubert
    Zum Rundetanz D 983
    Auf dem Wasser zu singen D774
    Meeres Stille D 216
    Nacht und Träume D 827


    Zugaben:


    Christoph & Julian Prégardien, Michael Gees
    Franz Schubert
    Im Abendrot D 799


    Christoph & Julian Prégardien, Michael Gees, Camerata Musica Limburg
    Franz Schubert
    Zur guten Nacht D 903


    Die Verabschiedung brachte es auf den Punkt:


    Wir dürfen fröhlich gehen;
    Was wir gehört, gesehen,
    Getan das darf kein Mann bereun;
    Und das, was wir empfunden,
    Was enger uns gebunden
    An Freund und Kunst, darf uns erfreun.


    Rudolf Hermes überschreibt in der WAZ seine Kritik so:
    »Duisburger Publikum erlebt herausragenden Musik-Marathon
    Für den gut dreistündigen Abend von Christoph Prégardien mit Familie und Freunden gab es Bravo-Rufe und Ovationen.«


    Ein herausragender, ja denkwürdiger Abend war diese Schubertiade am Samstag im Theater am Marientor. Tenor Christoph Prégardien, der hier zurzeit auch die drei großen Schubert-Liederzyklen singt, hatte mit Familie und Freunden zum mehr als dreistündigen Abend geladen. Trotz der Dauer gab es bei Künstlern und Publikum keine Ermüdungserscheinungen – alle Künstler erhielten viele Bravo-Rufe und stehende Ovationen.


    Was die Beifallsgestaltung anbelangt, bemerkte der versierte Liederabendgeher recht bald, dass die heute üblichen Gepflogenheiten sich bis hierher noch nicht herumgesprochen hatten, denn nach jedem beendeten Lied wurde dankbar geklatscht. Nach der ersten Pause trat dann Michael Gees an die Rampe, um in wohlgesetzten Worten darum zu bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen, und das hat dann auch im Folgenden wunderbar geklappt. Übrigens kann ich mich kaum entsinnen jemals einen so »ungehusteten« Liederabend erlebt zu haben, ein vorzüglich diszipliniertes Publikum.


    Vater und Sohn solo und im Duett
    Ungewöhnlich war schon der Beginn: Christoph Prégardien hatte sich für das „Ständchen“ bei der Camerata Musica Limburg eingereiht, auch Sohn Julian blättert ganz unscheinbar dem Pianisten Andreas Frese die Noten um. Die Camerata besteht aus ehemaligen Limburger Domsingknaben, bei denen auch die Prégardiens ihre ersten musikalischen Erfahrungen sammelten.
    Das Niveau der Camerata bemerkt man besonders in den A-cappella-Werken: Die 15 Stimmen verschmelzen perfekt, der Gesamtklang ist rund und klar. Zudem achtet Chorleiter Jan Schumacher auf die Verständlichkeit der Texte. So genießt das Publikum unbeschwert die Musik.
    Der Abend ist in drei Blöcke unterteilt, in denen sich die Künstler immer wieder in unterschiedlichen Formationen zusammenfinden. Natürlich treten die beiden Prégardien-Tenöre auch solistisch auf, doch besonders spannend ist es, wenn Vater und Sohn im Duett singen. Da wird zum Beispiel „Wanderers Nachtlied“ als zweistimmiges Lied gesungen, während andere Stücke als musikalische Wechselrede interpretiert werden.


    Sinnfällige Rollenverteilung im "Erlkönig" Originell und gleichzeitig sinnfällig ist die Rollenaufteilung im „Erlkönig“: Der einleitende Erzähler wird abwechselnd gesungen, die Rolle des Vaters übernimmt natürlich Christoph Prégardien, den Sohn Julian. Die Gesänge des Erlkönigs werden als verführerisches Duett beider Stimmen geboten.


    Da taucht natürlich bei Puristen die Frage auf, ob man das darf. Obwohl ich mich diesem Personenkreis eher zurechne, sage ich, dass man es darf, wenn man es so macht wie die beiden; ja man muss es geradezu, wenn so zwei edle und harmonierende Stimmen zur Verfügung stehen.
    Eine andere Neuerung, die so neu eigentlich auch wieder nicht ist, denn Christoph Prégardien führte das schon bei einer CD-Aufnahme 2007 ein, sind die Verzierungen, von denen nun Vater und Sohn Gebrauch machen, auch an diesem Abend.
    Vater Prégardien weiß, dass er damit auch schon langjährige Freunde irritierte, die schockiert zu ihm sagten: »Also nein, was hast du denn da gemacht?«


    Julian Prégardien hörte ich 2010 erstmals mit wenigen Liedern bei den Schwetzinger Festspielen; was ist diese Stimme gereift! Er sang in Duisburg auch »Der Hirt auf dem Felsen«, seine Mutter begleitete auf der Klarinette - dieses Stück ist ja in Liederabenden so selten zu hören.


    Bemerkenswert sind die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Stimmen: Der Tenor von Prégardien Senior klingt mittlerweile baritonaler und trägt füllig in den Raum hinein. Prégardien Junior verfügt über eine wunderbar blühende Stimmfarbe und beeindruckt mit seinen bruchlosen Beimischungen der Kopfstimme in der Höhe. Dass Vater und Sohn zudem exzellente Textgestalter und den vielen Feinheiten in den Texten nachspüren, ist bei den Prégardiens eine Selbstverständlichkeit.
    Mit Andreas Frese und Michael Gees setzen zwei Pianisten ganz individuell Akzente. Andres Frese geht seinen Klavierpart eher vom rhythmischen an und treibt die Lieder stärker voran. Michael Gees hingegen erschafft eine Klangatmosphäre, die permanent im Fluss ist und aus der dann einzelne Stimme aufblitzen.
    Nach begeistertem Beifall gab es gleich zwei Zugaben: Das Chorstück „Zur guten Nacht“ fasst die Stimmung des Abends sehr schön zusammen: „Wir dürfen fröhlich gehen, was wir gehört, gesehen, getan, das darf kein Mann bereuen.“«


    Das war insgesamt eine sehr gelungene Veranstaltung, bei der Stimmenliebhaber voll auf ihre Kosten kamen. Wo auch die Solostimmen am Abend auftauchten, war es ein Genuss zuzuhören. Highlights im Sinne des klassischen Kunstliedvortrags der Singstimme mit Klavier waren »Der Zwerg« und »Im Walde«, gesungen vom Vater und die vier Goethelieder, die der Sohn vortrug.
    Fast sechs Jahre ist es nun her, dass Christoph Prégardien seinen Sohn mit einigen Liedern in Schwetzingen vorstellte, nun kam noch Samira Prégardien mit ihrer Klarinette hinzu. Sie ist eigentlich Lehrerin an einem Gymnasium, aber hat das Instrument immerhin auch bei der renommierten Sabine Meyer studiert. Michael Gees - so hat man zumindest den Eindruck - gehört fast auch zur Familie.
    Aber es kommt nun zu den Schwetzinger Festspielen 2016 aus der erweiterten Familie noch eine weibliche Singstimme hinzu. Die Sopranistin Julia Kleiter wird dann mit Christoph Prégardien auftreten, es ist seine Nichte.
    Nicht unerwähnt sollte bleiben - für mich ein Novum - dass das Ticket in Reihe zwei für 22,00 Euro zu haben war.


    Anmerkung: Der rot dargestellte Text stammt aus der WAZ

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