Beethoven, Sonate Nr. 3 C-dur op. 2 Nr. 3
Glenn Gould, Klavier
AD: 1976/79
Spielzeiten: 7:26-12:45-3:29-5:25 --- 29:05 min.;
Die Wunder scheinen nicht abzureißen in der Rezeption dieser Sonate. Glenn Gould spielt vom ersten Ton an nicht, was er will, sondern, was in der Partitur steht, anscheinend ganz ohne Hintergedanken, in großer Klarheit und warmer Tongebung, rhythmisch und dynamisch ohne den geringsten Fehl und Tadel.
Die erste Hälfte des Seitenthemas nimmt er leicht, in der Begleitung rhythmisch akzentuiert und im Dolce keck singend, und auch schon mal den einen oder anderen Begleitakkord gebrochen spielend. Sei's drum, das klingt großartig, auch der Schwung des letzten Viertels des Seitenthemas. Auch die Schlussgruppe lässt keine Wünsche offen. Einer jedoch bleibt offen: leider wiederholt er die Exposition nicht.
In der tastenden Einleitung geht er mit entsprechender Steigerung auf das 1. Zentrum zu, das er mit markigen Glockenschlägen spielt und mit einem wundervollen Calando abschließt. Das 2. Zentrum spielt er rhythmisch und dynamisch herausragend. Auch dass er in der Endphase der Durchführung das letzte Fortissimo nur mezzopiano in die Sforzandokette einbindet, klingt hier recht schlüssig.
Auch die Synkopenkette in der Reprise ist großartig gespielt, in äußerst humorvollem Rhythmus.
Das Seitenthema ist unter ähnlichem Aspekt zu sehen mit einem etwas akzentuierterem Rhythmus, als schon öfter gehört. Das Dolce ist wieder reiner, rhythmisierter Gesang und das letzte Viertel dynamisch sehr hoch stehend.
Auch für die erste Phase der Coda hat er eine schöne Lösung: er lässt die Begleitung nicht im abgrundtiefen ppp-Keller verdämmern, sondern gibt ihr im Piano durchaus Körper und Klang, setzt dies auch in den letzten vier Takten in den Glissandi fort, und: o große Überraschung, als bisher Einziger, verzichtet er in der Kurzkadenz Takt 232 auf einen hochtemporalen Kontrast, sondern spielt die Sechzehntel ganz entspannt und präzise, durchaus nicht staccato, wie er es sonst schon mal ganz gerne (und mit Absicht) getan hat und spielt sogar im letzten Teil in dem Sechzehntelabstieg ein kleines Ritartando, und selbst das klingt so schlüssig. Auch die hochdynamische zweite Codaphase ist herausragend gespielt.
Dies war mit Abstand der bisher am besten gespielte Beethovensatz, den ich von Gould gehört habe, und ich habe immerhin bisher 7 Sonaten von ihm zensiert.
Das Adagio jagt mir einen Schauer nach dem Anderen über den Rücken. Wie kann man das nur so langsam spielen und so spannungsreich. Das ist extremst, und da wir keine Metronomzahlen haben, ist das durchaus legitim, wie er hier spielt. Der Gefahr, dass die Musik auseinanderfällt, begegnet er durch sein äußerst spannungsreiches Spiel und im Zweiunddreißigstel-Teil b zusätzlich durch ein en stärker akzentuierten Rhythmus in den Zweiunddreißigsteln. Das klingt unglaublich aufregend.
Und in den ff-Abschnitten tut sich ein gewaltiger dynamischer Kontrast auf mit sonoren Glockenschlägen im Bass und weiter akzentuiert durchlaufenden Zweiunddreißigsteln im Diskant. So bewusst klar, Note für Note, die rhythmische Verzahnung klar nachvollziehend, habe ich den Satz noch nie gehört und werde ihn auch wohl nicht wieder hören. Die letzten beiden Takte 41/42 sind vollends zum Niederknien.
Auch den reprisenförmigen Teil a* mit integriertem Teil b spielt er in dieser aufregenden Langsamkeit, und die beiden dynamischen Höhepunkttakte 53 und 54, bei vielen Pianisten wohl als dynamische Höhepunkte wahrgenommen, haben hier bei Gould zusätzlich etwas Apokalyptisches- Herausragend!
Grandios auch die Vorschlagsnotensequenz. Klarheit und Eindringlichkeit sind hier die größten Pfunde, mit denen Glenn Gould wuchert. Und so ist es auch kein Wunder, dass das letzte Doppelforte und der gebrochenen Akkord danach so klar hervortreten.
Und dann die Coda: unbegreiflich und atemberaubend.
Zwei Sätze von derart temporalem Kontrast und gleichzeitig eminenter musikalischer Tiefe sind sehr, sehr selten. Vor allem sind es sonst oft die Interpretationen klassischer Mitte, die überzeugen. Hier ist es umgekehrt.
Irgendwo polarisiert Gould doch immer, irgendwo hat er eine Leiche im Keller. Hier im Allegro ist das langsame Tempo dafür verantwortlich, dass er den Mittelteil des Scherzos nicht wiederholt, und für ein Scherzo, das eigentlich das Tempo des Kopfsatzes aufnehmen müsste, ist es auch in diesem Tempo zu betulich. Am besten gefällt mir hier noch das Trio. Man kann eben doch besser ein Adagio sehr langsam spielen als ein Allegro.
Im Finale spielt er dagegen ein Tempo der klassischen Mitte und eine relativ hohe Grundlautstärke, natürlich wieder die große tonale Klarheit, die wir von ihm gewohnt sind. Pianistisch kennt er ja ohnehin keine Grenzen, und so ziehen Rückleitung und Dolce-Mittelteil ohne Überraschungen an uns vorüber und in dieser Weise legt er den musikalischen Aufbau klar zu Tage. Allerdings scheint mir der dynamische Grundlevel auch in den Fortepassagen höher zu sein als bei anderen. Ich weiß nicht, ob das eine Sache der Aufnahme ist. Nach neuerlichem Seitensatz nähern wir uns der Coda, die er mit großer Souveränität spielt, aber ohne virtuose Mätzchen. Dafür beschert er uns ein herausragendes Calando und Rallentando.
Um in Referenzsphären vorzustoßen, hätte es eines echten Scherzos bedurft, dennoch mit das Beste an Beethoven, was ich bisher von Gould gehört habe.
Liebe Grüße
Willi