Sollen wir uns wirklich auf eine Stufe stellen mit Eduard Hanslick... ?

  • Danke, Dieter, für deine Nachhilfe; es war tatsächlich eine ernsthafte Frage und ich hatte nicht weit genug gedacht. Meine erste Frage: ich habe mich mit Musiktheorie bzw. Musikpsychologie noch nie beschäftigt, daher ist mir das alles neu. Dazu brauche ich das Papier, auf dem es gedruckt steht, ich kann am Rechner nicht lesen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das finde ich nun wiederum gar nicht.

    Was bitte? War ich oder dr. pingel gemeint?
    Deine Bemerkung passt auf mich, aber das Zitat kommt vom Dr..... ?(



    Und Deine Aussage »Durch die ›Beschränkung‹ auf das Allgemeine, können in der Seele des die Musiksprache verstehenden und nachempfindenden Hörers nahezu alle möglichen Assoziationen/Verknüpfungen hochkommen« liest sich für mich doch geradezu wie ein Beleg für das, was Holger geschrieben hat. Wenn im Hörer »nahezu alle möglichen Assoziationen/Verknüpfungen hochkommen« dürfen, dann liegt es doch an mir als Hörer und ist nicht in der Musik festgeschrieben, was ich empfinde. Und das sagt mir ja auch meine eigene Erfahrung, dass ich ein- und dasselbe Musikstück zu unterschiedlichen Zeiten, in unterschiedlichen Stimmungen, mit unterschiedlichen Erfahrungen, die ich gemacht habe, ganz anders empfinden kann.

    In seinen wieder einmal hervorragenden Ausführungen will ich Holger gar nicht widersprechen.
    Ich widerspreche lediglich den oftmals wenig schmeichelhafen Äußerungen Hanslicks über Bruckner.
    Mir ist schon klar, dass man hier aus unserer Sicht, bei der uns diese gesamte Musikgeschichte ausgebreitet vorliegt, und der Sicht des in der Musikgeschichte als Zeitgenosse steckenden Hanslick unterscheiden muss. Am Ende des Tages muss man dann aber doch sagen, dass die Geschichte der Musikrezeption und der Musikausübung dem Bruckner auf jeden Fall recht gegeben hat. Hierbei sollte man auch auf das Verdienst eines Günter Wand hinweisen, der sich für diese Musik stark gemacht hat. Die Zeiten, in denen ein Bruckner noch nicht zu den ganz Großen zählte, sind meines Wissens nach noch gar nicht so lange her.


    Seit meiner Jugend bin ich nun starker Liebhaber und Anhänger der Musik von Brahms. Meinen Zugang zu Bruckner habe ich erst seit einigen Jahren so richtig finden könnten. Von daher kann ich Kritiker schon ein bisschen verstehen, wenn er Schwierigkeiten mit dieser Musik hatte, wobei die bei ihm ja auch prinzipiell waren.
    Allerdings gibt es auch viele Hörer, die mit den Symphonien Brahms am Anfang ebenso wenig anfangen können. Gerade in der Romantik, die nicht wie im Barock eine eindeutig gemeinsame Stilistik hatte ( jeder praktizierte sozusagen seinen eigenen Romantik-Stil) ist es klug, nicht gleich nach dem ersten Hören mit einem Urteil schnell herauszukommen. Manchmal braucht man Jahre, bis einem etwas von einem Werk aufgeht und die Liebe zu dieser Musik dementsprechend hinzukommt.
    Das Schöne an der Musik von Brahms und Bruckner ist für mich ja, dass ich bei beiden immer wieder Neues entdecken kann. Ihre symphonischen Werke sind Fixpunkte, mit denen man lebt, die einen ein Leben lang nicht loslassen.


    Helmut Hofmann hat den Grad des Brahmsverständnisses bei Hanslick dankenswerterweise angesprochen. Leider kenne ich mich da nicht gut genug aus, aber ich finde das Thema interessant.


    Ob die Erste von Bruckner schon das Gewicht der Ersten von Brahms hat? Die Frage ist interessant, aber ich will sie hier nicht erörtern.


    Ich möchte noch einmal betonen, dass ich die schönen Beiträge von Helmut Hofmann und auch von Dr. Holger Kaletha wieder aufs Neue schätzen gelernt habe. Nach deren Lektüre bin ich wieder einmal klüger als vorher, ein für mich immer wieder vergnüglicher Umstand.



    Gruß :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Das ist schwere Kost, ich werde mir das ausdrucken, damit ich darüber nachdenken kann. Nur eine kleine philosophische Frage fällt mir jetzt schon dazu ein: Erzeugt ein umstürzender Baum im Wald ein Geräusch, auch wenn kein Mensch in der Nähe ist?


    Den Sinn Deiner Frage habe ich nicht so ganz verstanden, lieber Dr. Pingel. Ein Geräusch verlangt im Prinzip einen Hörer, es ist ja etwas Hörbares. Natürlich muß nicht tatsächlich ein Hörer anwesend sein, aber für einen potentiellen Hörer produziert der umstürzende Baum etwas Wahrnehmbares. Auch wenn niemand konkret da war, hätte es jemand wahrnehmen können. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zu dem ganzen Komplex "Absolute Musik" fand ich in "Von Beethoven bis Mahler" v. Martin Geck sehr viel bedenkenswertes - auch Hanslicks Ästhetik wird dort referiert...


    Vielleicht kann man die Verbissenheit, mit der jemand wie Hanslick die Idee einer "autonomen" oder "absoluten" Musik verteidigt, nur vor dem Hintergrund verstehen, daß es so etwas wie Instrumentalmusik als Kunstform - im emphatischen Sinne des 19.Jhdts verstanden - noch nicht soo lange gab, eigentlich seit Haydns Symphonien*, die ja für Romantiker wie E.T.A. Hoffmann oder Wackenroder die Folie für ihre Begeisterung für die "absolute" Musik abgaben.
    Wenn es darum geht, die Musik als für sich stehende Kunstform zu verteidigen gegen ihre Vereinnahmung im Wagnerschen Musikdrama und in der symphonischen Dichtung, läßt sich manche Zuspitzung, die man als Leugnung emotionaler Gehalte abzulehnen geneigt ist, besser verstehen - als Beharren darauf, daß die Musik einen Wert jenseits irgendwie verbal aussprechlicher Inhalte besitzt - wenn sie gut gemachte Kunst ist, was die Betonung formaler, analytisch begreiflicher Qualitäten erklärt.


    *Daß es schon seit Renaisance und Barock kunstvolle Instrumentalmusik gab, wird im Bewußtsein Hanslicks und seiner Zeitgenossen vermutlich keine sehr große Rolle gespielt haben: die wurde ja meines Wissens zu der Zeit eher nicht aufgeführt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Man muß natürlch die Kritiken des Eduard Hanslick komplett lesen (wozu der heutige Hörer vermutlich nur in den seltensten Fällen bereit ist) Sie waren stets wohlbegründet und geistvoll, entsprachen auch in wesentlichen Punkte der Zeit. Daß sie konservativ waren hat damals eben nur seine Gegner gestört. Heut - da man den Verlauf der Musikgeschichte kennt - ist es leicht über Hanslick zu lächeln oder seine Urteile und Kritiken in Frage zu stellen. Was nicht bedeutet, daß er nicht in vielen Punkten recht hatte.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • auch sein Buch "Vom musikalisch Schönen".
    Hatte ich vor langer Zeit mal am Wickel, als ich noch sehr wagnerkritisch war - also etwas mehr als heute.


    Besagtes "Von Beethoven bis Mahler" v. Martin Geck hat meine da etwas zurechtgerückt, ich finde das zu dem ganzen Komplex sehr lesenswert.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Zu dem ganzen Komplex "Absolute Musik" fand ich in "Von Beethoven bis Mahler" v. Martin Geck sehr viel bedenkenswertes - auch Hanslicks Ästhetik wird dort referiert...

    Das interessiert mich natürlich, lieber Philmus. Denn mit Hanslick habe ich mich intensiv beschäftigt.

    Vielleicht kann man die Verbissenheit, mit der jemand wie Hanslick die Idee einer "autonomen" oder "absoluten" Musik verteidigt, nur vor dem Hintergrund verstehen, daß es so etwas wie Instrumentalmusik als Kunstform - im emphatischen Sinne des 19.Jhdts verstanden - noch nicht soo lange gab, eigentlich seit Haydns Symphonien*, die ja für Romantiker wie E.T.A. Hoffmann oder Wackenroder die Folie für ihre Begeisterung für die "absolute" Musik abgaben.

    Bei Hanslick muss man glaube ich berücksichtigen, in welchen zeitlichen Kontext das steht. Das ist eine Zeit, wo sich einerseits die Ernüchterung breit gemacht hat, was die hochfliegenden Träume des Idealismus (wozu auch die Frühromantik gehört) angeht. Man pocht statt dessen auf wissenschaftliche Objektivität. Der zweite Punkt - mit dem ersten zusammenhängend - ist die Kritik des Subjektivismus, Psychologismus. Er polemisiert ja gegen das, was er die "verrottete Gefühlsästhetik" nennt. Hanslick sucht danach, was sich "objektiv" als Gehalt eines musikalischen Erlebnsses ausweisen lässt, und nicht durch irgendwelche Projektionen, Assoziationen vom Hörer in dieses sozusagen von außen hineingetragen wird. Das wird dann alles - in einer analytischen Betrachtung - abgezogen von dem eigentlich ästhetisch relevanten Teil. (Natürlich bestreitet Hanslick nicht, dass Musik jede Menge "Gefühlswirkungen" und Assoziationen hat, nur ist das dann nicht das originär Ästhetische, sondern nur eine Frage der Psychologie des musikalischen Erlebens.) Deswegen auch seine vehemente Ablehnung von Programmmusik. Ich interpretierte ihn als den eigentlich ersten "Phänomenologen" unter den Musiktheoretikern (was ich in meinem Buch, was hoffentlich bald erscheinen wird auch ausgeführt habe.) ;) :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Natürlich bestreitet Hanslick nicht, dass Musik jede Menge "Gefühlswirkungen" und Assoziationen hat, nur ist das dann nicht das originär Ästhetische

    Eine Haltung, die ich erstmal nicht so ganz falsch finde. Entscheidend ist aufm Platz, was erklingt. Ob man deshalb komplett darauf verzichten muss, sich für etwaige Inhalte und Botschaften von Musik zu interessieren, steht auf einem anderen Blatt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)