Wladimir Fedossejew — Großer Russe im Schatten

  • Von den bedeutenden Dirigenten aus den Zeiten der Sowjetunion sind mittlerweile nur mehr wenige übrig geblieben. Kondraschin (gestorben 1981), Mrawinsky (gestorben 1988) und Swetlanow (gestorben 2002) weilen schon lange nicht mehr unter den Lebenden. Anders als Roschdestwensky (geboren 1931) und Temirkanow (geboren 1938) ist Fedossejew im deutschsprachigen Raum allenfalls namentlich bekannt. Wenige werden mit dem Namen dieses Dirigenten, der seinem Orchester nun seit bereits sage und schreibe 42 Jahren vorsteht, viel anfangen können. Zeit, dies zu ändern.



    Wladimir Iwanowitsch Fedossejew (tlw. auch Fedosejew), international bekannter als Vladimir Fedoseyev, geboren am 5. August 1932 in Leningrad, ist ein russischer Dirigent.


    Erste Kontakte zur Musik vermittelte ihm sein Vater. Während der Leningrader Blockade im Zweiten Weltkrieg gab Fedossejew in Krankenhäusern seine ersten Konzerte. Nur durch großes Glück überlebte er die Bombardierung des Zuges, der ihn aus Leningrad evakuieren sollte.


    Nach seiner Rückkehr studierte er an der Mussorgsky-Musikhochschule. Seine Ausbildung setzte er in Moskau an der Gnessin-Musikschule unter Nikolaj Reznikow fort.


    1959 wurde er zum Chefdirigenten des sowjetischen Orchesters für russische Volksinstrumente berufen. Bei Leo Ginzburg verfeinerte er die hohe Kunst des Dirigierens am Moskauer Konservatorium. Der Durchbruch erfolgte schließlich 1971 durch ein Gastkonzert mit den Leningrader Philharmonikern auf Einladung Mrawinskys.


    1974 wurde Fedossejew künstlerischer Leiter und Chefdirigent des Moskauer Rundfunk-Symphonieorchesters (früher Großes Rundfunk- und Fernseh-Symphonieorchester der UdSSR, seit 1993 Tschaikowsky-Symphonieorchester). Mit dem Orchester unternahm er Tourneen nach Europa, Asien und in die Vereinigten Staaten.


    Zwischen 1997 und 2004 amtierte er zudem als Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Daneben dirigierte er bedeutende Orchester in aller Welt, darunter die Berliner Philharmoniker, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Gewandhausorchester Leipzig, das Gürzenich-Orchester Köln, das Tonhalle-Orchester Zürich, das Cleveland Orchestra, das Detroit Symphony Orchestra und das Pittsburgh Symphony Orchestra.


    Fedossejew ist auch als Operndirigent in Erscheinung getreten, so in Wien, Zürich, Bregenz, Mailand, Florenz, Bologna und Rom.


    Wladimir Fedossejew erhielt zahllose Auszeichnungen, darunter Volkskünstler der RSFSR (1973), Volkskünstler der UdSSR (1980), Staatspreis der UdSSR (1989), Verdienstorden für das Vaterland (1996 4. Klasse, 2002 3. Klasse, 2005 2. Klasse), Großes Silbernes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich (1996), Puschkin-Medaille (1999), Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (2002), Goldmedaille der Internationalen Gustav Mahler Gesellschaft Wien (2007) sowie Orden der Ehre (2013).


    Fedossejews Diskographie ist ziemlich beträchtlich und umfasst keineswegs nur russische Komponisten, sondern sogar Haydn.






    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Anders als Roschdestwensky (geboren 1931) und Temirkanow (geboren 1938) ist Fedossejew im deutschsprachigen Raum allenfalls namentlich bekannt. Wenige werden mit dem Namen dieses Dirigenten, der seinem Orchester nun seit bereits sage und schreibe 42 Jahren vorsteht, viel anfangen können.


    Die allererste Aufnahme, die ich vor ca 35 Jahren bei jpc bestellte, war eine Box mit den 8 Symphonien von Alexander Glasunow, die als Sonderedition beim Werpepartner erschien. Diese Vinylbox besitze ich immer noch. Aber wenn ich den lächerlichen Preis der CD-Ausgabe sehe, bestelle ich sie vielleicht auch in diesem Format noch einmal.



    Just gestern abend habe ich auf youtube eine Aufnahme der hörenswerten 5. Symphonie von Yuri Butsko gehört, Dirigent Vladimir Fedossejev. Gedankenübertragung?


  • Wladimir Fedossejew steht tatsächlich im Schatten der Grossen = Roshdestwensky - Swetlanow - Kondraschin - Mrawinsky ... kann sich aber durchaus in diese Gruppe einreihen.
    Es liegt vielleicht auch daran, dass es von ihm nicht so viele CD-Aufnahmen gibt und er "brav" bei seinem Tschaikowsky SO in Moskau verblieben ist, dass übrigens auch den von mir geschätzten typisch russischen Orchesterklang mit seinen markanten Blechbläsern hat.


    Ich habe eine ganze Reihe CD-Aufnahmen mit Fedossejew, die es (wie gesagt) mit den Grossen durchaus aufnehmen können und mit einem Wort gesagt = diese haben Biss !


    :!: Fedossejew setzte sich ewig sehr für aktuelle russische Komponsten des 20.Jhd ein und hat so manche Uraufführung geleitet: Dabei sind Andrei Eshpai, Boris Tschaikowsky, Tikhon Khrennikow.
    Bei seinen Aufnahmen sind auch einige Weinberg-Sinfonien dabei, die mir kurzweiliger erscheinen, als die Naxos-Produktionen ....


    *** Für mich "der absolute Hammer" ist diese seinerzeit schwierig zu bekommende Russian Disk mit den Sinfonien Nr. 4 und 5 von Andrei Eshpai:
    -->
    Russian Disk, ADD



    *** Exqusit sind die Khrennikow - Konzerte für die Soloinstrumente Violine und Klavier:

    Brilliant, 1988, DDD



    *** Seine umwerfende CD-Aufnahme der Rachmaninoff: Sinfonische Tänze op.45 finde ich jetzt gar nicht mehr ( ;) bei den Anbietern ... bei mir im Regal schon). Sie kann es mit den Swetlanow-Aufnahmen aufnehmen und klingt dann auch noch durch das aktuellere Aufnahmedatum technisch perfekt. Bei mir eine Ausgabe von ZYX: (ZYX - Melodiya-CD, DDD).


    Davon gab es offenbar auch eine weitere Übernahme auf CD von JVC japan:
    -->
    Melodiya, JVC, DDD



    *** Neben Swetlanow (Melodiya), Bernstein/NYPH (SONY) hat Fedossejew die genialste Aufnahme von Strawinsky: Le Sacre du Printemps vorgelegt.
    Eine Melodiya-Aufnahme vom Juni 1981. Damals gab es in Russland noch nicht die Digitaltechnik für die CD-Herstellung, sodass sich die Japaner bei JVC im Jahre 1985 dieser Aufnahme angenommen haben und haben diese auf CD herausgebracht: :thumbup: Nicht nur von der Int herausragend, sondern auch klangtechnisch ein audiophiler Leckerbissen erster Klasse.
    Leider finde ich auch diesen CD-Leckerbissen auch nicht mehr ... wohl dem der diese CD hat und kennt, der weis diese CD zu schätzen ... auch wenn sie nur knapp über 30Min läuft. Sie müsste im entsprechenden Strawinsky - Thread eine Abb haben.
    (JVC, Melodiya, 1981, DDD)



    *** Besonders sein Freund Boris Tschaikowsky lag ihm am Herzen ... dazu in den nächsten Tagen mehr ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Fedossejews dürfte auch nach seiner Zeit als Chefdirigent der Wiener Symphoniker (1997-2004) mit diesem Orchester zusammengearbeitet haben. So stammt beispielsweise die Weinberg-Edition (3 Folgen) aus dem Jahre 2010 (Live-Mitschnitt des ORF, auf NEOS veröffentlicht).



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Gerade wieder gehört und die frühere Einschätzung bestätigt bekommen.


    Seine in den 1980er Jahren entstandenen Symphonien 17-19 bündelte Weinberg zu einer Trilogie "Die Schwelle des Krieges", die sich auf seine Erlebnisse während des 2. Weltkrieges beziehen. Der Eröffnungssymphonie stellt er ein Motto von Anna Akhmatova voran: Mein Land, du hast wiedergewonnen deine Macht und deine Freiheit! Aber in der Schatzkammer der Erinnerung des Volkes werden immer bewahrt bleiben die verbrannten Jahre des Krieges.
    Es ist eine große reine Instrumentalsymphonie mit vier Sätzen von zusammen 53 min Länge. Gleich der eindrucksvolle Beginn zeigt wohin die Reise geht, in eine der düstersten und traurigsten Klanglandschaften, die im 20. Jahrhundert geschaffen wurde. Nur an wenigen Stellen vor allem im Finalsatz keimt ein wenig Hoffnung und Zuversicht auf. Ich glaube, nur Allan Pettersen hat vergleichbar düstere Musik komponiert. Für mich eines der ganz großen Werke des Komponisten.


    Die Liveeinspielung von den Bregenzer Festspielen 2010 mit den Wiener Symphonikern unter Vladimir Fedoseyev, einem engen Freund und Förderer, ist an Authentizität wohl kaum zu überbieten.


    Für mich schon jetzt ein unverzichtbarer Beitrag zur Musik des 20. Jahrhunderts.

  • Am Dienstag war es soweit. Endlich erlebte ich Wladimir Fedossejew mit seinem Moskauer Orchester, das seit 1993 passenderweise nach Tschaikowski benannt ist und sich zur Verbreitung von dessen Musik verpflichtet sieht, mit einem reinen Tschaikowski-Programm im Wiener Musikverein. Star-Allüren hat Fedossejew nicht. Fast unscheinbar schritt er ans Podium, für einen Mann im 85. Lebensjahr überaus vital wirkend. Gespielt wurde die österreichische Erstaufführung der erhaltenen und rekonstruierten Fragmente der Oper "Undina" (1869), die leider keine einzige szenische Aufführung erlebt hat und deren Partitur 1875/76 durch des Komponisten eigene Hand im Feuer gelandet war. Glücklichen Umständen (einer konzertanten Moskauer Aufführung einiger Szenen 1870 und den langwierigen Wiederherstellungsanstrengungen Schebalins 1958) verdanken wir es, dass diese herrliche Musik nun doch noch erklingen darf. Nach der Pause dann eine eigens von Fedossejew arrangierte Suite aus "Schwanensee". Das Tschaikowski-Symphonieorchester machte seinem Namen alle Ehre und bot eine spitzenmäßige Leistung auf, die keine Vergleiche zu scheuen brauchte. Später hörte ich in die Einspielungen des "Schwanensee" von Swetlanow, Ermler und auch Fedossejew selbst aus den 80er Jahren. Keine erreichte das in Wien Dargebotene, meist schon wegen gewisser klanglicher Einschränkungen. Dass der Paukist eine so essentiell herausragende Rolle in den effektvollen Abschnitten spielt, konnte man in den alten Aufnahmen eher erahnen. Live war es geradezu markerschütternd. Die Coda des himmlischen Finales habe ich noch niemals so überzeugend gehört: Das Harfensolo war besonders zelebriert ausgekostet, die russischen Streicher so traumhaft üppig. Ein wahres Klangbad. Die letzten Takte verzögerte der Dirigent gekonnt, und der Paukist und der Schlagwerker an der überdimensionierten großen Trommel folgten tadellos: Es wurde immer langsamer und immer lauter. Aber auch die lyrischen Momente völlig überzeugend, fast kammermusikalisch dargeboten. Die 43 Jahre an der Spitze dieses Orchesters haben wohl zusammengeschweißt. Neben Roschdestwenski das letzte Relikt der Sowjetunion, vielleicht auf eine Weise noch mehr als dieser durch die ununterbrochene Bindung ans Orchester. Überraschend viele ältere Musiker in demselben. Dem Alter nach zu urteilen, spielten nicht wenige wohl schon vor der "Wende". Wladimir Fedossejew verzauberte das sichtlich begeisterte Publikum an diesem Abend und bescherte dann noch zwei Zugaben. Es ist mir unverständlich, wieso er so im Hintergrund anderer "Stardirigenten" steht, bei denen live zuweilen weniger dahinter ist, als man vorher glaubte. Nicht zuletzt wegen dieses beglückenden Konzerts landete Fedossejew jetzt auch auf meiner Liste der großen Dirigenten. "Großer Russe im Schatten" eben.


    Einziger Wermutstropfen: Der ORF unterlässt offenbar eine Rundfunkübertragung. Zumindest ist bislang nichts auf Ö1 angekündigt. Eigentlich unverzeihlich bei einer solchen Opernpremiere, aber irgendwo auch typisch.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nicht zuletzt wegen dieses beglückenden Konzerts landete Fedossejew jetzt auch auf meiner Liste der großen Dirigenten. "Großer Russe im Schatten" eben.


    Zu diesem herrlichen Konzerterlebnis, einen der letzten der grossen Russen erleben zu können, bist zu zu beglückwünschen.
    Zum Glück kann man das auf CD noch nachempfinden, was Du erlebt hast ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Das ist ein interessanter Hinweis. Vielen Dank. Vladimir Fedosseyev ist ein wirklich guter Dirigent, der nie im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.
    Ich habe Ihn einmal live erlebt, nämlich im Pariser Salle Pleyel vor einigen Jahren mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France und der Pianistin Elisabeth Leonskaja. Ein rein russisches Programm: Rachmaninovs Zweites Klavierkonzert und die Scheherazade von Rimsky-Korsakov. Es war ein wunderbares Konzert, von Fedosseyev mit großer Leidenschaft und Hingabe dargeboten. Man merkte Ihm die Freude beim Dirigieren an - das übertrug sich wirklich auf Orchester und Publikum. Toll. Ich erinnere mich sehr gerne daran zurück.


    Herzlichen Glückwunsch und Alles Gute!

  • Guten Abend,


    Ganz lieben Dank an lutgra - der Tip mit den Glasunow Sinfonien war für mich ein Volltreffer. Ich habe ein bißchen reingehört und gleich bestellt. Ich freue mich schon darauf! Kannte ich doch bisher nur das Violinkonzert - aber Tamino bildet, bringt Freude aber kostet leider immer wieder....


    Schönes Wochenende noch!


    Kalli

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • *** Besonders sein Freund Boris Tschaikowsky lag ihm am Herzen ... dazu in den nächsten Tagen mehr ...


    Das hatte ich ganz vergesen und hole es fast ein Jahr später nach.
    Fedossejew hat sich auch für zeitgenössische Komponisten wie Andrei Eshpai und Boris Tschaikowsky (1925 - 1996) entscheidend eingesetzt.


    Mit Fedossejew entstanden somit massstabsetzende Aufnahmen von den Sinfonien und Werken beider Komponisten - hier die CD´s von
    Sinfonien + Sinf.Dichtungen von Boris Tschaikowsky:



    Sebastophol Symphony ( 1980) = Sinfonie Nr.3
    The Wind of Siberia (1984)
    Music für Orchestra (1987)
    Chandos, 2005, DDD



    Sinfonie Nr.2 (1967)
    Sinfonie mit Harfe (1993) - Premiere
    RELIEF; 1977, 1993, ADD/DDD


    Fedossejew gehört (wie Swetlanow) auch eher zu den Dirigenten, die sich mehr zu den gemässigten und tonalen Zeitgenossen hingezogen fühlen. Insofern haben wir es auch bei Boris Tschaikowsky mit "voll genissbarem Material" zu tun ;) !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang