"Typisch französisch" mutet seine Leichtigkeit an, sein Mut zur Einfachheit, zur Eleganz, der so vielen Komponisten des 20. Jahrhunderts abhanden gekommen ist. Er selbst stellte sich in die Nachfolge des großen Erik Satie - und doch war er ein Eigener: Henri Sauguet
wurde am 18. Mai 1901 in Bordeaux als Henri-Pierre Poupard geboren und nahm den Namen seiner Mutter als Künstlernamen an. Er war Organist und Pianist, als Komponist war er weitestgehend Autodidakt, sieht man von einigen Stunden bei Joseph Cantéloube und später bei Charles Koechlin ab.
Sauguet stand der "Groupe des Six" durch seine Freundschaft mit Milhaud nahe, war aber keines ihrer Mitglieder - obwohl man das angesichts seiner sehr schlanken und eleganten, jedoch keineswegs oberflächlichen Musik vermuten würde.
Sauguets erster Erfolg war die Opéra bouffe "Le plumet du Colonel" (1924). Der nächste Erfolg kam mit dem Ballett "La chatte", zu dem ihm Serge Djaghilew beauftragte. Allerdings beging Sauguet den Fauxpas, das Werk nicht Djaghilew zu widmen, wodurch er bei ihm und den vielen ihm nahestehenden Personen in Ungnade fiel und auf einem ersten Gipfel des Erfolgs plötzlich wieder zu kämpfen hatte.
1934 spielte Clara Haskil die Uraufführung von Sauguets Erstem Klavierkonzert. Seine erste große Oper, "La Chartreuse de Parme", vollendete Sauguet 1936, sie gilt als ein Meisterwerk der neuen französischen Oper, wird aber auch in Frankreich praktisch nicht mehr aufgeführt.
1945 folgte der dauerhafteste Erfolg Sauguets, das Ballett "Les forains". Damit schien Sauguet als Komponist unterhaltsamer Ballettpartituren etabliert. Doch seine aus der gleichen Zeit stammende erstaunlich herbe Erste Symphonie "Expiatoire" ist den Opfern des Zweiten Weltkriegs gewidmet und von einer teilweise düsteren Leidenschaft, wie sie in der französischen Musik selten vorkommt.
Seine Zweite Symphonie, für Soli, Chor und Orchester geschrieben und von etwa eindreiviertelstündiger Spieldauer, ist trotz der unfranzösisch scheinenden Maßlosigkeit ein Meisterwerk der präzisen Formulierung. Aufwand und Ausdehnung fallen nicht ins Gewicht, weil Sauguet die Kräfte überlegen disponiert.
Während die Dritte Symphonie leichtgewichtiger ist, ist die Vierte ("Du troisième âge"), ein Alterswerk, von süß-bitterer Melancholie geprägt und auf stille, ganz unpathetische Weise berührend.
Stilistisch ist Sauguet schwer einzuordnen: Er erinnert oft an Poulenc, doch Sauguets Melodik ist kantiger und seine Harmonik ist merklich von Koechlins Akkordik beeinflußt. Andererseits kann Sauguet einem Spiel von wohlklingenden Terzen einen völlig neuen Tonfall abgewinnen, wie er in "La chatte" und "Les forains" immer wieder unter Beweis stellt.
Wahre Juwele sind Sauguets Lieder, von feiner, tiefer Empfindung getragen, aber ohne Larmoyanz: Sehr französisch also, vielleicht in ihren Betonungen der subtilen Nuance zu französisch um im nicht-frankophonen Raum Hörer zu finden.
Sauguet starb am 22. Juni 1989 in Paris.
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Außerdem hat Michel Plasson "Les forains" aufgenommen, die EMI-CD ist gestrichen, taucht aber ab und zu auf - zugreifen, wenn es der Preis erlaubt! Ebenso bei der von Manuel Rosenthal bewunderungswürdig eingespielten Komischen Oper "Les caprices de Marianne", aber da sind die Preise derzeit in schwindelerregender Höhe.