HENRI SAUGUET (1901-1989) - nicht nur Satie-Nachfolger

  • "Typisch französisch" mutet seine Leichtigkeit an, sein Mut zur Einfachheit, zur Eleganz, der so vielen Komponisten des 20. Jahrhunderts abhanden gekommen ist. Er selbst stellte sich in die Nachfolge des großen Erik Satie - und doch war er ein Eigener: Henri Sauguet
    wurde am 18. Mai 1901 in Bordeaux als Henri-Pierre Poupard geboren und nahm den Namen seiner Mutter als Künstlernamen an. Er war Organist und Pianist, als Komponist war er weitestgehend Autodidakt, sieht man von einigen Stunden bei Joseph Cantéloube und später bei Charles Koechlin ab.


    Sauguet stand der "Groupe des Six" durch seine Freundschaft mit Milhaud nahe, war aber keines ihrer Mitglieder - obwohl man das angesichts seiner sehr schlanken und eleganten, jedoch keineswegs oberflächlichen Musik vermuten würde.


    Sauguets erster Erfolg war die Opéra bouffe "Le plumet du Colonel" (1924). Der nächste Erfolg kam mit dem Ballett "La chatte", zu dem ihm Serge Djaghilew beauftragte. Allerdings beging Sauguet den Fauxpas, das Werk nicht Djaghilew zu widmen, wodurch er bei ihm und den vielen ihm nahestehenden Personen in Ungnade fiel und auf einem ersten Gipfel des Erfolgs plötzlich wieder zu kämpfen hatte.


    1934 spielte Clara Haskil die Uraufführung von Sauguets Erstem Klavierkonzert. Seine erste große Oper, "La Chartreuse de Parme", vollendete Sauguet 1936, sie gilt als ein Meisterwerk der neuen französischen Oper, wird aber auch in Frankreich praktisch nicht mehr aufgeführt.


    1945 folgte der dauerhafteste Erfolg Sauguets, das Ballett "Les forains". Damit schien Sauguet als Komponist unterhaltsamer Ballettpartituren etabliert. Doch seine aus der gleichen Zeit stammende erstaunlich herbe Erste Symphonie "Expiatoire" ist den Opfern des Zweiten Weltkriegs gewidmet und von einer teilweise düsteren Leidenschaft, wie sie in der französischen Musik selten vorkommt.


    Seine Zweite Symphonie, für Soli, Chor und Orchester geschrieben und von etwa eindreiviertelstündiger Spieldauer, ist trotz der unfranzösisch scheinenden Maßlosigkeit ein Meisterwerk der präzisen Formulierung. Aufwand und Ausdehnung fallen nicht ins Gewicht, weil Sauguet die Kräfte überlegen disponiert.


    Während die Dritte Symphonie leichtgewichtiger ist, ist die Vierte ("Du troisième âge"), ein Alterswerk, von süß-bitterer Melancholie geprägt und auf stille, ganz unpathetische Weise berührend.


    Stilistisch ist Sauguet schwer einzuordnen: Er erinnert oft an Poulenc, doch Sauguets Melodik ist kantiger und seine Harmonik ist merklich von Koechlins Akkordik beeinflußt. Andererseits kann Sauguet einem Spiel von wohlklingenden Terzen einen völlig neuen Tonfall abgewinnen, wie er in "La chatte" und "Les forains" immer wieder unter Beweis stellt.


    Wahre Juwele sind Sauguets Lieder, von feiner, tiefer Empfindung getragen, aber ohne Larmoyanz: Sehr französisch also, vielleicht in ihren Betonungen der subtilen Nuance zu französisch um im nicht-frankophonen Raum Hörer zu finden.


    Sauguet starb am 22. Juni 1989 in Paris.



    Zum Kennenlernen empfehle ich:


    Außerdem hat Michel Plasson "Les forains" aufgenommen, die EMI-CD ist gestrichen, taucht aber ab und zu auf - zugreifen, wenn es der Preis erlaubt! Ebenso bei der von Manuel Rosenthal bewunderungswürdig eingespielten Komischen Oper "Les caprices de Marianne", aber da sind die Preise derzeit in schwindelerregender Höhe.


    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin,


    vielen Dank für die Eröffnung dieses threads. Vielleicht kannst Du ja ein wenig Überzeugungsarbeit leisten, denn bisher vermochten mich ein, zwei Kontakte mit der Musik Sauguets nicht sonderlich zu begeistern. :rolleyes:
    Dabei widmet sich doch mein geliebeter Goldbeck..... :rolleyes:


    Ich kenne die von Dir empfohlene Marco-Polo-Einspielung der 2. Symphonie, allzuviel Erinnerung, außer daß ich gas Ganze etwas langwierig fand, habe ich leider nicht mehr.


    G. schreibt: "Henri Sauguet, geboren 1901 in Bordeaux, verdankt wie Georges Auric guter Ballettmusik seinen Ruf: La chatte (1927), Les mirages (1943), Les forsains (1945), La dame aux camélias (1957).


    Gibt es davon überhaupt Einspielungen (entdeckt habe ich zunächst keine) und wenn ja, welche könntest Du empfehlen??


    :hello:
    Wulf

  • Lieber Edwin,


    auch ich danke Dir für die wichtige Erinnerung an Henri Sauguet.


    Ich höre mir ab und zu seine 1. Sinfonie an, ebenfalls mit Almeida und dem Moskauer Symphonikern.
    Das scheint mir eine flirrende Mischung aus sperrigem Magnard und düsterem Barber zu sein (man nehme meine Bauch-Vergleiche nicht allzu wörtlich :D)


    Jedenfalls habe ich auf meinem i-Tunes hinter die Tracks notiert:
    „ Sauguet isch sau guet“ (Eidgenossen-slang: „Sauguet ist schweinisch gut“).


    Empfehlenswerte Musik ist das, insofern man das herb-flirrende (in Sauguets Fall nicht schwüle) Fin-de-siècle-Idiom mag.
    Den Hinweis auf idiomatische Querbezüge zu Koechlin möchte ich vehement unterstreichen!


    Mit herzlichem Gruss aus Bern
    Walte

  • Lieber Wulf,
    im Moment ist Sauguet auf CDs grauenhaft unterrepräsentiert. Ich habe ein wenig auf Schallplatte: Vokale Kammermusik etwa, "La chatte" (unter Markevitch!) und "Les forains" sowie "Tableaux de Paris" unter Plasson, dazu kommen die CDs der Symphonien, "Les caprices de Marianne" und die auf auf dem so wertvollen Timpani-Label erschienenen Lieder.


    Das Werk, mit dem mir Sauguet auf Anhieb sympathisch wurde, ist derzeit weit und breit nicht aufzutreiben, nämlich die "Tableaux de Paris". Dieses Stück ist ein kleines Wunder: Ein Paris-Tongemälde völlig frei von Kitsch und so atmosphäredicht, wie man es nur erwarten kann. Satie und Poulenc sind Pate gestanden, aber wenn Sauguet eine Ziehharmonika einen Anklang von Chanson spielen läßt und das Ganze doch nicht sentimental wirkt sondern wie eine klangliche Arabeske in einer vielgestaltigen Erzählung, ist das dermaßen persönlichkeitsstark und überzeugend, daß man es nur noch bewundern kann.


    Die Zweite Symphonie finde ich, trotz einiger Längen und mangels Alternativen, einen guten Einstieg, weil sie die Bandbreite von Sauguets Schaffen am besten dokumentiert. Die anderen Symphonien, vor allem die Erste, sind ungewöhnlich herb und offenbaren in der Melodik einen mitunter etwas verkrampften Zug. Man hat hier manchmal das Gefühl, Sauguet modifiziert allzu gewaltsam den zu erwartenden Fluß mit der Absicht, originell zu wirken.


    Das ist auch ein Zug, der in "Les Caprices de Marianne" das Vergnügen hin und wieder etwas schmälert: Die musikalischen Pointen sitzen - aber manchmal um den Preis der Freude, die man an einer sich weniger intellektuell gebenden Bravour gehabt hätte.


    Absolut wunderbar finde ich Sauguets Lieder, die Poulenc nahestehen und doch einen ganz eigenen Tonfall haben. Hier scheint mir Sauguet seiner natürlichen melodischen Begabung mehr zu vertrauen, die Harmonik ist klug gewürzt, der Ausdruck kennt die ganze Skala vom Chansonesken über die - vermeintlich - leicht erfundene "Melodie" bis zum monologischen Charakter.


    :hello:

    ...

  • Hallo miteinander :hello:


    Ich habe mir letzte Woche die Sauguet-Symphonien angehört :



    Die Symphonien 1, 3 und 4 gefielen mir recht gut, auch wenn nicht viel hängengeblieben ist. Aber die Nr 2 - welch ein Werk ! Knapp 90-minütig, mit den Jahreszeiten als Thema, bestehend aus 6 Sätzen, die jeweils mit einem Chor-Abschnitt beginnen und dann orchestral fortgeführt werden, und mit einer Tiefe, die mich immer wieder erstaunt. Das vereinzelte Hörer bei dieser Symphonie Langeweile empfinden, kann ich nur damit erklären, dass es keinen richtig schnellen Satz gibt, bestenfalls der Sommer-Satz könnte als Allegretto durchgehen; alle anderen Sätze sind Andantino bis Adagio, die Winter-Sätze würde ich gar als Largo bezeichnen.


    Ich empfinde bei dieser Symphonie jedenfalls keine Langeweile, und wenn zum Schluss das ruhige Winter-Thema vom Anfang wieder aufgenommen wird, wenn sich der Kreis schließt, dann lehne ich mich zurück, atme tief durch und denke entspannt 'Ja, das ist es ...'


    rolo

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Edwin,


    vielen Dank für diesen Hinweis auf einen Komponisten, den ich bislang allenfalls dem Namen nach kannte, und von dem ich noch gar nichts hatte, weil ich erst am Anfang meines Vorhabens stehe, mich, wie langsam auch immer, besser in der französischen Musik des 20. Jahrhunderts zurecht zu finden (jenseits der mir schon recht gut bekannten Operette, natürlich :D ).


    Ich habe nun im Net seine Ballettmusiken sowie die Opern LA CHARTREUSE DE PARME und LES CAPRICES DE MARIANNE gefunden (es gibt sie alle auf OperaShare) und gerade angefangen, dort hinein zu hören. In der Tat eine faszinierende Klangwelt, die ich mangels einer besseren Kenntnis von Koechlins Werk ohne Deine Hinweise näher an Ibert als an Satie gerückt hätte. Auch der Verweis auf die Groupe de Six leuchtet mir sofort ein, wenn ich mir die frühen Filmpartituren Georges Aurics für René Clair vor Ohren führe.


    Ceterum censeo: beim Hören dieser Opern wird mir erneut bewusst, wie ungeheuer fortschrittlich Chabrier schon zu seiner Zeit war.


    Noch fasziniert mich die Musik mehr, als dass sie mich überwältigt. Das aber nachhaltig. Ich werde bestimmt noch wesentlich mehr davon hören und dann hier wieder von mir hören lassen. Leider kommen die Downloads gänzlich ohne Begleittext. Ich muss da also erst einmal etwas recherchieren und vielleicht auch noch Synopsen o. ä. finden. Oder weiß jemand einen günstigen ZUgang zu den Libretti?


    Jedenfalls wollte ich jetzt schon mal Deine Empfehlung verstärken. Dieser Komponist lohnt sich wirklich. :jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    soweit ich weiss, beruhen die Caprices de Marianne auf dem Theaterstück von Alfred de Musset.


    Man findet den kompletten Text im Netz.


    Herzliche Grüsse von Ines

  • Liebe Ines,


    vielen Dank für den Hinweis, den ich sogar insoweit bestätigen kann, als de Mussets Roman erklärtermaßen die Vorlage zu dem Libretto war. Dass daraus auch ein Stück wurde, war mir allerdings nicht bekannt. Ich werde mal danach fahnden, denn das ist immerhin ein erster Schritt. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass Sauguet einfach das Stück vertont hat, denn es gab ja auch einen Librettisten, wie ich dem Net entnehme:


    Opéra en deux actes de Henri SAUGUET, livret de Jean Pierre GREDY d'après le roman d'Alfred de MUSSET.


    Gleiches gilt natürlich auch für DIE KARTAUSE VON PARMA. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Roman von Stendhal nie gelesen habe. Es gibt also noch einiges zum Verständnis der Werke zu tun. Hat jemand auch eine Verlängerung der Tage oder wenigstens der nutzbaren Zeit darin im Angebot?


    Ich weiß schon: Tamino abschalten :(


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques,


    dann irren sicher die französischsprachigen Quellen - die französische Wikipedia spricht von einem Theaterstück, das 1851 an der Comedie Francaise uraufgeführt wurde.


    Aber ich weiss nicht genug darüber, um da ins Detail zu gehen.


    Liebe Grüsse sendet Ines


    P.S. Ich habe im Netz den Text gefunden, in der "domaine Public" - und es ist in Acte mit Szenen gegliedert - vielleicht ein Missverständnis ?

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus


    Noch fasziniert mich die Musik mehr, als dass sie mich überwältigt.
    :hello: Jacques Rideamus


    Nachdem ich nun auch den zweiten Akt fertig und, nach der Arie "O amour, mysterieux amour" mit Nathalie Dessay hieraus,



    gleich zum zweiten Mal gehört habe, muss ich mich korrigieren:


    Ich bin hingerissen!!! :jubel::jubel::jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Hallo,


    seine 1. Sinfonie ist ein sehr düsteres Werk, was auch nicht anders sein kann, ist sie doch den Opfern des 2. Weltkrieges gewidmet; seine Werke zuvor waren überwiegend von der leichteren Art (Ballett- und auch Filmmusik), aber seine 1. Sinfonie beweist, wie sehr ihn die Ereignisse (und eigenen Erlebnisse?) beeindruckt und bewegt haben müssen.


    Der 1. Satz kommt aus tiefen Orchesterregionen hervor, was bald in einem Aufschrei des Orchesters explodiert; dies wiederholt sich mehrmals, wobei ein rhythmisches Quasi-Ostinato in den Streichern, wie Unheil kündend, fast ständig hörbar ist und dann auch vom ganzen Orchester übernommen wird.


    Der 2. Satz beginnt fast idyllisch und mündet in einem anfangs zwischenDur und Moll schwankenden Thema, was sich aber dann doch für Moll entscheidet, es kommen aber immer wieder kurze Dur-Einschübe. Der ganze Satz kommt meist ohne urplötzlich große Dynamik aus (in der Mitte des Satzes kommt es zu auf- und abschwellender Klangintensität), auch das Tempo ist sehr verhalten und der Satz endet im Charakter wie er begonnen hat.


    Der 3. Satz, Allegro (alla marcia), "lullt" den Hörer anfangs ein; gewaltige Trommel- und Paukenschläge mit einem marschähnlichen Rhythmus beenden dies und auch die dissonante Harmonik wird zuhörends immer verwirrender, verstörter, was, wie auch im 1. Satz, oft wiederholt wird (damit das nicht endenwollende Grauen verdeutlichend).


    Ich assoziiere den Beginn des 4. Satzes mit einem endlosen Zug verwundeter, enttäuschter, völlig demoralisierter, am Ende ihrer Kräfte befindlichen, mißbrauchten Soldaten - und im Fortgang aber auch mit dem unendlichen Leid der ihrer Heimat beraubten Zivilbevölkerung - wer denkt an die psychischen Folgen bei Hunderten von Millionen Menschen? Dieser Satz ist eine einzige "Ode" an das unermessliche, unmenschliche Leid, was der Faschismus und... über die Welt gebracht hat.


    Viele Grüße
    zweiterbass


    Nachsatz: Verwundert hat mich, dass einige seiner Werke nicht hier eingestellt wurden, sondern in allgemeinen Threads, was ich für einen am Rande stehenden Komponisten nicht für "die Idee" halte.
    Die sehr gelobte 2. Sinfonie steht auf meinem Merkzettel.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    als Ergänzung zu vorstehendem Beitrag habe ich im Thread "Bücher, die man unbedingt gelesen haben sollte" einen Beitrag eingestellt.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • Hallo,
    die Symphonie Nr. 2 von Sauguet trägt den Titel „Allegorique“ Untertitel „Les Saisons“. In seiner Symphonie hat er jeder Jahreszeit einen Satz gewidmet, dessen längeren Orchestersatz er stets einen kürzeren A-cappella-Chorsatz vorausschickt. Auf die Streitfrage ob es sich nun um eine Symphonie mit obligatem A-Cappella-Chor, eine Kantate oder ein Oratorium (vielleicht sogar um eine „Chorfantasie-Allegorie“) handelt, gehe ich nicht ein, das ist für mich eher nebensächlich (Schubladendenken).


    Sauguet beginnt mit dem Winter, dem er zum Schluss der Symphonie im 5. Satz nochmal eine kleines „Wiederhören“ gibt. Antonio Vivaldi hat für jede Jahreszeit ein 3-sätziges Violinkonzert (also 4) geschrieben - „Die vier Jahreszeiten“ - beginnen mit dem Frühling und der Kreislauf ergibt sich nur gedanklich (auf den Winter folgt eben der Frühling). Ich will nun versuchen, für jede Jahreszeit die m. E. grundlegenden Unterschiede beider Kompositionen darzustellen.


    1. Satz Sauguet „L’hiver“
    S. beginnt mit der winterlich ruhenden Erde (und führt sie im 5. Satz der Symphonie auch wieder dorthin zurück - Kreislauf der Natur – auch im Sinn von Lauf des menschlichen Lebens?). Im Text des Chores heißt es sinngemäß, „…es ist Winter, die Erde schläft…es ist, als wenn Alles tot ist…“. Dieses Ruhen, Innehalten (aber keine Starrheit) vertont S. in sehr ruhig sich entwickelnden Akkorden und bedächtigem Zeitmaß, die Disharmonien wirken nicht scharf, sondern höre ich als Ausdruck einer anderen, späteren Musiksprache. Was der Chor „vorsingt“, diese Stille und Ruhe, kommt im Orchestersatz noch deutlicher heraus. Anfangs auch die Streicher in tiefer Lage, aber wenn die Streicher und Holzbläser nach oben steigen, werden die tieferen Lagen (Blechbläser usw.) dynamisch stärker, steigen dabei noch tiefer hinab, das wird im ganzen Orchester abgerundet durch rit. auf einem schon sehr gemäßigten Tempo.


    Ganz anders Vivaldis 4. Konzert „L‘inverno“, in f-Moll, RV 297: Er beginnt den 1. Satz auch in mäßigem Tempo (Tempovorschrift „Allegro non molto“) , aber es ist ein „pulsierendes“, gleichsam vorwärts drängendes Tempo, dessen Akkordfolge - in Verbindung mit anhaltenden Vorschlägen - nach Auflösung drängt, die erst mit dem Einsatz der Solovioline (in hoher Lage) kommt, was einen harten, scharfen, kalten (kein warmer Violinton!) Klangeindruck vermittelt, der zuvor im pulsierenden Beginn durch das deutlich hörbare Continou-Cembalo (das zwar keinen scharfen Klang hat, aber durch die Tonlage und die Akkord-Einwürfe) vorbereitet wird. V. vertont nicht die ruhende Erde, sondern tonmalerisch den harten, klirrenden Frost. (Ich hörte dieses Konzert mit „Sol Gabetta“ als Solistin auf dem Cello, was „einfach nicht geht“, der von V. komponierte Klang geht dabei verloren.) Zwischen dem nach wie vor ruhig pulsierenden Tempo des Orchesters und dem hektischen Violinsoloeinsatz entsteht eine durch Disharmonien noch sich steigernde Spannung, die sich letztlich nur dahin gehend auflöst, dass sich das ganze Orchester der Hektik der Solovioline anpasst. Der 2. Satz an sich mit Tempobezeichnung Largo, ist ein temporeicher Orchestersatz und nur die darüber schwebende Solovioline spielt largo – von eigentlicher Ruhe keine Spur. Der 3. Satz vereint die Klangeindrücke des 1. und 2. Satzes mit deren musikalischen Mitteln – der zeitweilige „Orgelpunkt“ in den tiefen Streichern kann die Hektik auch des 3. Satzes nicht verbergen.



    2. Satz Sauguet „Vers le printemps“
    Im Gegensatz zum „Winterchor“ des1. Satz singt der Chor nun „…es ist Winter, die Erde schläft, aber der Schlaf ist kein Tod…“ Die Chor-Anfangsakkorde decken sich mit den Akkorden im „Winterchor“, aber etwa zur Hälfte des „Frühlingschores“ wechselt die Musiksprache zum anfangs unmerklichen Frühlingserwachen Der Orchestersatz ahmt den Chor auch wieder nach, auch er übernimmt den Anfang des Winterorchestersatzes. Aber schon nach ca. 1 Min. ändert sich die Musiksprache, bewegteres Tempo, viele Dur-Passagen, Glockenspiel, und bei großer Dynamik im Orchester setzt nun der A-Cappella-Chor ein. Der dann folgende reine Orchestersatz ist sehr abwechslungs- und überrraschungsreich orchestriert, auch die Pauken kommen nun belebend zum Einsatz. In der Folge kann durch eine nicht ganz klare, verwobene Harmonik und schwebende Orchestrierung das „stille Weben des Frühlings im Verborgenen“ gehört werden. Der A-Cappella-Chor setzt erneut ein, bevor ein furios orchestrierter Orchestersatz zum Ende kommt, den Abschluss bildet aber ein strahlender Dur-Chorakkord – den Sieg des Frühlings über den Winter verkündend.


    Vivaldis 1. Konzert „La primavera“, in E-Dur, RV 269: Mit dieser Auftaktmusik im 1. Satz sind Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ bekannt, berühmt geworden – jeder Klassikmusikfreund kennt diesen 1. Satz – strahlende, überschäumende Freude (in sehr bewegtem Tempo), die besonders betont wird durch das Violinduo und das behutsam durchklingende Continou-Cembalo mit seinem (in diesem Klangumfeld!) leichten Klang ergänzt die Frühlingsfreude. Der 2. Satz hat einen kräftig betonten (durch die tiefen Streicher) Rhythmus, über die Solovioline und die hohen Streicher wie entrückt/wesenlos dahin schweben (die Kraft der aufbrechenden Natur ist noch nur im tief Verborgenen zu ahnen, Sichtbares ist noch nicht „mit Händen zu greifen“. Der 3. Satz ähnelt in seinem Charakter und musikalischem Ausdruck stark dem 1. Satz, aber jetzt geben die hohen Streicher und die Solovioline den Ton an und mit dem Allegro kommt nun auch die Bewegung der Natur zum Ausdruck.



    3. Satz Sauguet „La nuit de rossignol“
    Ohne dass hier im Titel der Sommer erwähnt wird, gehört der 3.Satz dem Sommer.“ Nun ist Alles wieder an seinem Platz, Bäume und Blumen leben wieder, die Vögel singen jede Nacht ihr Konzert…“, singt der Chor. S. lässt den Chor dabei einen sehr romantischen Klang anschlagen, so wie die Nachtigallen eben auch „schlagen“. S. ändert die Struktur seiner Komposition nicht, der Orchestersatz übernimmt den romantischen Klang des Chores und die Flöte gibt ein lautmalerisches Bild der Nachtigall. Ob in dem nun folgenden langsamen und schwer klingenden Orchestersatz die brütende Hitze des Sommers vertont ist? – ich meine eher die Nacht erklingt. Dieser Teil wird erneut durch den Nachtigallgesang abgelöst, bevor dann ein Sopransolo, auch begleitet durch den Chor, das Lied der Nachtigall singt, von Liebe, bewacht durch die Nachtigall, unter dem Sternenhimmel. Die Orchestrierung mit Flöte und Glockenspiel wird sehr hell, durchsichtig, leicht (schön wäre es, wenn auch die Sopranstimme diese Luftigkeit hätte). In sehr langsamen Tempo, sparsam orchestriert, ebensolcher Dynamik und Harmonik und dem daraus folgenden leicht elegischen Klang endet der Satz (und ich weiß nicht, wie ich das deuten soll? Es gibt für mich zu viele Möglichkeiten!).


    Vivaldis 2. Konzert „L’estate“, in g-Moll, RV315: Das Orchester beginnt im Tempo sehr bedächtig, aber nicht romantisch, wohl eher unsicher fragend, was da nun kommen soll. Diese Frage beantwortet die Solovioline mit einem sehr dramatisch, effektvollen, hektischen Einsatz, in großem/r Tempo und Dynamik und da sie sich immer weiter und höher in der Tonlage hinaufschraubt – es wird ein Gewitter „vertonmalerischt“ – mit Allem was dazu gehört, Blitze, Donner, Sturm, Ruhe vor dem erneuten Sturm usw. (ob Beethoven für die Schlechtwetterperiode in der 6. hier Anleihen genommen hat?). Im 2. Satz beruhigt sich das Unwetter, wenngleich in die Ruhe verbreitende Violine immer noch laut polternd das Orchester dazwischen rumpelt. Im 3. Satz kommt das Unwetter zurück, die Solovioline vollführt einen atemberauschenden, technisch anspruchsvollen Part, vom Orchester bestens
    unterstützt.



    4. Satz Sauguet „L’automne“ - der längste aller Sätze mit über 30 Min. und einer etwas anderen Struktur (Chor-, Orchester-, Chor-, Orchestersatz)
    Sinngemäß singt der Chor – aus der Hochzeit von Sonne und Erde bringt der Herbst viele Gaben, der Blüte folgt die Frucht, die Erde folgt der Sonne Lauf…“es war Sommer“. In ruhig dahinfließenden, harmonischen, Akkorden und ohne große Dynamik, was einen sehr friedlichen Höreindruck vermittelt, hat S. diesen der natürlichen Ordnung folgenden Lauf vertont und der Chor setzt dies sehr gut um. Das Orchester nimmt anfangs den Chorklang auf, aber dann wird mit großer Dynamik und abwechslungsreicher Orchestrierung in 10 Min. das musikalisch abgebildet, was der Chor in 2 ½ Min. nur andeuten konnte. Ich meine, dass auch hier Wetterereignisse hörbar werden, aber längst nicht in der Dramatik und Ausdauer wie in Vivaldis Sommer. „Es war Sommer“ wird vom Orchester mit großer Dynamiksteigerung „paukenschlagähnlich“ beendet. Der Text im 2. Chorsatz lautet sinngemäß: Und nun ist Herbst, der sich mit Nebel langsam nähert; wie ein kranker Mann der vor seinem Sterben die Sonne noch sehen will aber die Farben unmerklich verblassen. Mit kanonartigem Stimmeneinsatz und absteigenden Mollakkorden wird diese Abschiedsstimmung in Musik gesetzt. Der über viele Takte gehende gleichmäßige, gedämpfte Paukenschlag klingt wie das ferne Pochen des Todes. Die Musik hellt sich mit den Blechbläsern wieder auf, aber die Streicherkaskaden gipfeln in Dynamiksteigerung. In tiefer Lage „grummelt“ das Orchester und wieder kommen helle Klangfarben, die wieder in großer Dynamik enden. Das Orchester kommt zur Ruhe. der Chor kommt hinzu und singt sinngemäß: Abschied für schöne Tage, Liebe - die Vögel entschwinden – die Schatten fallen über die Erde – lasst uns die Ernte sammeln. Die Musik bewegt sich nur noch in Moll-Akkorden, keine große Dynamik mehr, ein bewegender Abschiedsgesang und Abschied.


    Vivaldis 3. Konzert „L’autuno“, in F-Dur, RV293: Mit diesem Auftakt/Thema im 1. Satz sind Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ ebenso bekannt, berühmt geworden (wie der 1. Satz des Frühlings) – jeder Klassikmusikfreund kennt diesen 1. Satz. Dem sehr feurigen, lebhaften, dynamischen Teil, angeführt durch die Solovioline, folgt ein in sich gekehrter kurzer Mittelteil in piano, auch geprägt durch die Solovioline; der Satz endet aber wie er begonnen hat. Den 2. Satz leitet ein vom Orchester begleitetes Thema des Cembalos (nicht Continuo) ein – piano, ohne Dynamik, in einem Schwebezustand zwischen viel Moll und wenig
    Dur - was über den ganzen Satz fortgeführt wird; die Solovioline, das bislang meist belebende Element, fehlt (der unbelebte Winter naht). Auch das lebhafte, rhythmusbetonte Thema des 3. Satzes ist wohl allen Klassikmusikfreunden bekannt. Die Solovioline variiert das Orchesterthema und führt die Freude über den Herbst mit singenden Passagen fort, nur ganz kurz unterbrochen vom Klang des 2. Satzes.



    Der 5. Satz Sauguet „L’inferno“ ist eine Kurzfassung (etwas über 5 Min.) des 1. Satzes und schließt den Jahreskreislauf.




    Fazit: Die Winter werden von beiden Komponisten aus sehr unterschiedlichen Gesichtspunkten angegangen mit den musikalischen Entsprechungen. Beim Frühling kommen sich beide Komponisten von ihrer Herangehensweise näher, bei unterschiedlicher Musiksprache, aber über das Wesen des Frühlings ist Einigkeit. Diese Einigkeit gibt es im Sommer überhaupt nicht – ein größerer Gegensatz ist nicht vorstellbar (ob das allein auf unterschiedliche geographische Lebensumstände und daraus folgende Erfahrungen zurück zu führen ist?). Für den Herbst sehe ich ein Gemisch aus Frühling (viel Einigkeit) und Sommer (keine Einigkeit), wobei für mich keine Einigkeit überwiegt.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Eigentlich bin ich recht überrascht zu Henri Sauguet so viele Beiträge vorzufinden - von einem Komponisten, dessen Sinfonien in keinem der beiden derzeit als "federführend" geltenden Konzertführer in deutscher Sprache zu finden sind...
    Irgendwann - es ist schon ziemlich lange her - erwarb ich im Rahmen eines Abverkaufs die erste und zweite Sinfonie von Henri Sauguet. Und so lagen sie lange auf dem Stapel der ungehörten Neukäufe. Heute habe ich die Sinfonie Nr 1 "Expiatoire" (Sühne") erstmals gehört, vorerst ohne eine Beschreibung gelesen zu haben - aber der düstere, aber dennoch beeindruckende Charakter ließ mich dann doch nachlesen. Die tonal angelegte Sinfonie wurde um 1945 komponiert und 1947 uraufgeführt. Sauguet hat dazu ein Programm hinterlassen, aus welchem ich einen kurzen Ausschnitt frei übersetze:

    Zitat

    Ich war sehr bewegt und gequält von dem Desaster, den Toten in der Schlacht, den Toten auf der Straße und in Häusern, den Massen von Ruinen, und ich war beschämt der menschlichen Rasse anzugehören, welche sich derart bestialisch verhielt. ich kam zu dem Entschluß meine Zeit der Komposition einer Hymne des Gedenkens an all die unschuldigen Opfer, die ohne eine Waffe zu tragen ,sterben mussten, zu widmen. Nach und nach nahm diese Hymne die Form einer Sinfonie an ........

    (der weitere Text findet sich in englischer Sprache - aus dem französischen übersetzt - im Marco-Polo Booklet.)
    Soweit ein Blick in die Entstehungsgeschichte, wie der Komponist selbst sie sah. Kurz - und daher pauschal - möchte ich meinen persönlichen Eindruck schildern, den dieses Werk auf mich gemacht hat: Nicht unbedingt "schön" - aber sehr beeindruckend und effektvoll - düster- aber niemals spröde, bzw "verstörend" Ich halte die Sinfonie trotz ihres düster kriegerischen, teilweise fatalistischen Grundtons - mit versöhnlichen Einsprengseln für eigentlich recht beeindruckend und publikumswirksam - gerade in unserer Zeit müsste sie ankommen.
    Die Tontechnik der Aufnahme ist makellos und recht räumlich, dynamisch weit gefächert. Leider ist die Aufnahme bei jpc bereits gestrichen. Das gilt übrigens auch für die dritte CD der Serie die Sinfonien 3 und 4. Bleibt noch auf eine Wiederveröffentlichung auf Naxos zu hoffen.......
    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Die einzige Komposition von Henri Sauguet, die ich kenne, allerdings auch sehr schätze ist auf diesem leider vergriffenem Album mit französicher Ballettmusik dirigiert vom legendären Igor Markevitch. Die ganze Doppel-CD bzw LP (die ist noch am Marktplatz erhältlich) ist eigentlich Pflicht für jeden Ballett- und Markevitch-Fan. If you see it, grab it.



  • Als ich am 13. April dieses Jahres meinen Beitrag in diesem Thread schrieb, hatte ich mich eigentlich entschlossen die mir fehlenden Sinfonien 2-4 zu erwerben - Indes - lediglich Nr 2 war noch zu bekommen. Selbst die bereits in meinem Besitz befindliche Sinfonie Nr 1 war bereits gestrichen. Zu meiner Überraschung wurde nun die gesamte Serie aller 4 Sinfonien in das Naxos Programm übernommen - und man bekommt ALLE 4 Sinfonien in einer 4-CD Box zum selbst für Naxos Verhältnisse extrem niedrigen Preis von 8.99 Euro (Preisstand von heute)
    Das bei jpc angegebnen Veröffentlichungsdatum dürfte sich auf die usprüngliche Marco-Polo Veröffentlichung beziehen - oder - wie so oft bei jpc - einfach falsch sein. Jedenfalls war diese Edition am 13 April 2014 noch nicht im Angebot....

    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Henri Sauguet (1901-1989) hat wie kaum ein anderer Komponist das 20. Jahrhundert fast komplett durchschritten und dabei ein umfangreiches Oeuvre hinterlassen. Trotzdem ist er immer noch relativ unbekannt. Der Werbepartner bietet derzeit eine Box mit seinen vier Symphonien zum Schleuderpreis an (4 CDs for the price of 1, Naxos-Preise wohlgemerkt!), so dass sich jeder günstig informieren kann (s.a. Alfreds Beitrag hier drüber). Einziger Wermutstropfen, das Booklet ist nur auf französisch!


    Über die 1. Symphonie wurde schon einiges hier geschrieben, sie ist von 1947 und "Expiatoire" untertitelt, was soviel wie "Sühne" heißt. Vier Sätze, die zusammen fast 1 h Stunde Musik ergeben. Auf der positiven Seite lässt sich vermerken, dass man von Anfang an das Gefühl hat, der Komponist hat einen eigenen Tonfall. Auf der anderen Seite hat man beim Hören doch das Gefühl vielen, wenn nicht fast allen Symphonikern des 20. Jahrhunderts irgendwie zu begegnen. Da klingen Passagen nach Sibelius oder RVW, dann natürlich alles französische von Franck über Debussy bis Honegger und Poulenc. Und der dritte Satz, ein 16-minütiges Allegro alla marcia, dreht sich in ähnlich unerbittlicher Weise wie der "Bolero" aus der kurz zuvor komponierten Leningrad-Symphonie von DSCH. Um nicht mißverstanden zu werden, hier finden sich keine direkten Zitate und das ganze ist auch kein Stilkonglomerat, aber Sauget hat halt viele Einflüsse verarbeitet. Für den ganz großen Wurf reicht es dann m.M. nach nicht, aber gehört haben sollte man das Werk schon mal. Zumal das Moskauer Orchester unter Almeida nicht enttäuscht.


  • Hallo zusammen,


    Henri Sauguet (1901-1989)
    Symphonien Nr. 3 & 4

    Moscow Symphony Orchestra, Almeida
    Marco Polo, DDD, 95


    Lutz sei dank konnte ich diese CD eines Komponisten "ertauschen", der mir bisher keinerlei Begriff war. Das wäre wohl auch so geblieben, denn Strömungen hin zu einer Renaissance sind zumindest am Tonträgermarkt nicht erkennbar (und auch dieser Thread ist alt und liegt seit Längerem brach). Während die Sinfonien - zumindest via Amazon - noch ganz gut erhältlich sind, sieht es mit weiteren Werken verdammt mau aus.
    Gehört habe ich bisher die Sinfonien 3. und 4. Mir geht es dabei ganz ähnlich wie meinem Vorposter mit Blick auf die 1.: das sind sicher gut gemachte Werke, von denen aber bei mir insgesamt wenig im Ohr bleibt und die sich in einer als nur allzu bekannt erscheinenden, modernen Klangsprache ergehen, die mir austauschbar vorkommt. Während mir die 3. Sinfonie beim Ersthören noch interessant erschien und ich die erst später im Booklet erwähnten Beethoven-Bezüge nachvollziehen konnte, klingt die 4. Sinfonie in meinen Ohren recht beliebig, ohne für mich ausreichend erkennbaren Spannungsbogen. Insofern wundert mich die Resonanz auf die Sinfonien Sauguets in diesem Faden ?( . Für mein Empfinden gibt es da doch "bessere" Musiken, die auf weniger Nachhall stoßen.
    An den Interpreten scheinen mir diese Eindrücke nicht zu liegen, denn das Moskauer Sinfonieorchester unter Almeida spielt durchaus ansprechend. Das Klangbild ist allenfalls etwas distanziert und könnte "griffiger" sein.
    Die Marco-Polo-CD ist IMHO ein typisch liebloses Kind ihrer Zeit, mit der damals üblichen Standard-Aufmachung der Naxos-/Marco-Polo-CDs. Das Booklet ist lediglich in englischer Sprache verfasst.


    Wer dennoch eine Gesamtaufnahme der Sinfonien möchte, wird für weniger als 10 EUR (gebraucht "wie neu/sehr gut" und inkl. Versand) auf dem Amazon-Marktplatz fündig.
    Nach kurzem (und irrationalem) Zögern ist das aber nix für mich.

    Viele Grüße
    Frank

  • Hallo,


    ich muss dann doch etwas zurückrudern. Nach wiederholtem Hören möchte ich den sehr negativen Touch meines Beitrags ungern so stehenlassen, denn auch wenn die beiden Sinfonien mich zwar nicht begeistern, so haben sie fraglos ihre Momente und meine Kritik ist wahrscheinlich mehr an meiner geschmacklichen Meßlatte, denn an der Musik an sich festzumachen.


    Viele Grüße
    Frank

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Beim Stöbern bin auf diesen Thread gestoßen und stelle fest, von diesem Komponisten bisher noch nie etwas gehört zu haben. Deshalb habe ich mich heute mit dem 2. und 3. Streichquartett (zu dieser Gattung zieht es mich nunmal immer zuerst hin) sowie der 1. Sinfonie, die ja fast eine Meditation ist, beschäftigt. Es hat sich für mich sehr gelohnt, und zwar insbesondere wegen des 2. Streichquartetts.


    Das 2. Streichquartett gefällt mir außerordentlich gut. Seine Sprache ist so angenehm ungewöhnlich, wenngleich unspektakulär. Edwins Beschreibung der musikalischen Wirkung kann ich auch hier gut nachvollziehen; für dieses Werk passt es ebenfalls. Ich habe hier ebenfalls einerseits das Gefühl, dass die Musik von tiefer Empfindung getragen wird, aber es wird doch mit einer wunderbaren Leichtigkeit, aber nicht "Leichtfertigkeit", umhüllt. Neben den genannten Einflüssen habe ich den Eindruck, dass darin auch etwas von Debussy steckt.


    Ich weiß nicht ob das im Einführungsbeitrag gemeint ist und auch für die dort geschilderten Stücke gilt: Sauguet scheint hier spielerisch, aber auch äußerst elegant, dissonante Elemente immer wieder von sauberen Terzen oder gar lupenreinen Dreiklängen umranken zu lassen, was aber nie gekünstelt oder plump kollagiert wirkt. Irgendwie, und eigenartigerweise, ist dies alles sehr stimmig und homogen. Dazu kommt noch, dass selbst bei besonders akkordischen Stellen nie das Gefühl aufkommt, dass sich die Töne "beißen", wie es z.B. häufig in Streichquartettstücken in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall ist. Vielmehr verzichtet der Komponist auf solche Attacken, was hier die Leichtigkeit und Eleganz ausmacht. Für mich klingt die Musik im ganzen Verlauf wirklich angenehm und schön.


    In diesem Werk begegnen Einem immer wieder ganz eigenartige, nach meiner Empfindung fast witzige Einfälle, wobei ich mangels Kenntnisse über den Komponisten nicht einschätzen kann, ob dies leichter Ironie, Sarkasmus und Albernheit oder einfach nur Freude am Herumspielen entspringt. Oder er ist einfach so. Einzelne dieser Stellen verselbständigen sich jedoch nicht, sondern bleiben stets im Rahmen des "ernsthaften" Gerüsts, das den Organismus zusammenhält.


    Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Musik in einem gewissen Ruhezustand verharrt, ähnlich einem Menschen, der mal für einige Momente mit großen Augen versunken die Wand anstarrt, um dann wieder "ins Leben" zu kommen. Das ist nett und macht die Musik "menschlich".


    Wenn ich Mitglied einnes Streichquartettensembles wäre, würde ich die Aufnahme dieses 2. Streichquartetts von Sauguet möglicherweise vorschlagen, da es eine erfrischende und bestimmt auch lohnenswerte Ergänzung zum üblichen Repertoire darstellt. Lohnenswert auch deshalb, da es, wie ich vermute, sowohl bei Liebhabern älterer wie auch modernerer Musik gefallen finden könnte.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Wenn ich Mitglied einnes Streichquartettensembles wäre, würde ich die Aufnahme dieses 2. Streichquartetts von Sauguet möglicherweise vorschlagen, da es eine erfrischende und bestimmt auch lohnenswerte Ergänzung zum üblichen Repertoire darstellt. Lohnenswert auch deshalb, da es, wie ich vermute, sowohl bei Liebhabern älterer wie auch modernerer Musik gefallen finden könnte.


    Lieber Uwe
    danke für die interessanten Ausführungen, die mich natürlich neugierig gemacht haben. Wo findet man denn Aufnahmen dieses Stückes?
    Gruß
    lutgra

  • Lieber lutgra, leider muss ich Dich enttäuschen. Wenngleich ich aus Überzeugung "gerne" Geld für MusikCD ausgeben möchte, gelingt es auch hier nicht. Ich bin notgedrungen darauf angewiesen, mich mit dem kostenlosen Abspielen auf "you..." zu begnügen.


    Ich möchte die Gelegenheit noch einmal nutzen, um klarzustellen, dass der Grundcharakter des 2. Streichquartetts trotz der erwähnten "Leichtigkeit in der Sprache" eher melancholisch und teilweise auch düster ist. So trägt der schöne 2. Satz für mich eine etwas geisterhafte Stimmung (Hitchcocks "Rebecca?), die grundlegend bis zum Schluss weitergetragen wird.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Lieber lutgra, leider muss ich Dich enttäuschen. Wenngleich ich aus Überzeugung "gerne" Geld für MusikCD ausgeben möchte, gelingt es auch hier nicht. Ich bin notgedrungen darauf angewiesen, mich mit dem kostenlosen Abspielen auf "you..." zu begnügen.


    Lieber Uwe, Danke für den Hinweis, das werde ich mir mal in Ruhe anhören. Ich habe inzwischen auch den Tonträger gefunden, von dem die uploads vermutlich generiert wurden. Bei ebay.com wird jedenfalls eine LP mit den Quartetten 2 und 3 angeboten, auf Vinyl (was für mich ok wäre) aber zu einem Preis, der für mich nicht ok ist.

  • Hallo Lutz,


    hier eine Alternative: KLICK.
    Sieht mir auf den schnellen Blick allerdings nach mono aus, dafür weniger prohibitiv bepreist...


    Viele Grüße
    Frank

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zwi Stunden habe ich mit dem Suchen nach derNaxos Sauguet Box mit allen 4 Sinfonien gesucht - damit ich allenfalls hier "mitreden kann. Als ich sie dan gefunden hatte, sah ich daß beispielsweise zur Sinfonie Nr 2 schon alles Wesentliche - und weit darüber hinaus - gesagt wurde. Die Zweite ist trotz aller Eigenart eine Sinfonie. Sauguet hat sie als solche bezeichnet - und ich akzeptiere das. Form und Musikk sind allerdings gewöhnungsbedürftig.Ich finde das Werk weit ausladend (zu weit für meinen Geschmack) und mit 85 Minuten Spielladauer sehr hohe Ansprüche an die Geduld des Zuhörers stellend. Es wurde immer wieder geschrieben an wen denn die Musik Sauguets erinnere. Ich fand Stellen, die mich an Strawinskys "Le Sacre du Printems" erinnerten, aber nur unterschwellig. Ich sehe hier kein Epigonentum, sondern gewisse modische Tendenzen, die sich in den Werken der verschiedene Komponisten einer Epoche einfach ungewollt manifestieren und vermutlich erst nach Ablauf der Epoche wirklich erkennbar werden.
    Ich habe übrigens herausgefunden, warum die Naxos 4 CD Box mit allen 4 Sinfonien (ich habe noch rechtzeitig zugegriffen) nur kurz am Markt war. Es dürfte sich um Restbestände einer Serie gehandelt haben, die lediglich für Frankreich aufgelegt wurde: "NAXOS PATRIMOINE"
    Dazu findet sich folgender Text in französischer Sprache im Internet:

    Die französische Musik ist ein wunderbares Erbe. Diese Aufnahmen sind unter dem Label Naxos Kultur in Frankreich exklusiv zur Verfügung, und im Rahmen des Marco Polo-Label in anderen Ländern.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !