Wenig bekannte Streichquartette des 20. Jahrhunderts

  • Hallo zusammen,


    da ein eigener Welin-Thread mangels potenzieller Interessenten und verfügbarer Musik kaum lohnt, am besten hier:



    Karl-Erik Welin (1934-1992)
    Streichquartette Nr. 1, 6, 7, 9


    Tale Quartet
    BIS, DDD, 98


    Karl-Erik Welin kommt auf Tonträgern beinahe nicht vor. Diese CD ist die einzige die jpc listet. Bei Amazon sieht es kaum besser aus. Enthalten sind vier jeweils ca. zwanzigminütige Streichquartette (der offenkundig fehlerhafte deutsche Wiki-Eintrag führt lediglich drei Quartette an). Die Kompositionen erscheinen mir grundsätzlich "langsam", sich in einem ruhigen Fluss entwickelnd. Dabei changiert die Musik auf eigentümliche Weise zwischen geräuschhaften Momenten (eher selten), schroffer Modernität und einem melancholisch-melodieseeligen Idiom. Die Kontraste und die sich immer wieder herausschälende musikalische Schönheit erscheinen mir jedenfalls sehr reizvoll. In die melodischen Augenblicke einzutauchen war mir beim hören jedenfalls eine große Freude.
    Wenige Eindrücke seiner Musik sind bei YouTube zu finden, die Streichquartette jedoch leider nicht.


    Viele Grüße
    Frank

  • Ko

    Die Kontraste und die sich immer wieder herausschälende musikalische Schönheit erscheinen mir jedenfalls sehr reizvoll. In die melodischen Augenblicke einzutauchen war mir beim hören jedenfalls eine große Freude.


    Komisch, ich war mir sicher, hier im Forum schon über Welins Streichquartette geschrieben zu haben, habe ich aber offensichtlich nicht. Oder, ich hab vergessen, es abzuspeichern. Ist mir früher mehrmals passiert. :untertauch:

  • Dann hole es bei Gelegenheit doch einfach nach. :)
    Es lohnt sich. Beim zweiten Hören fand ich die Scheibe schlicht großartig.


    Viele Grüße
    Frank


  • Soeben höre ich das Streichquartett op 50 des deutschen Komponisten Joseph Haas (1879-1960) welches auf der hier abgebildeten CD enthalten - aber leider nicht mehr erhältlich ist. Obwohl er rein zeitlich schon zur klassischen Moderne passen würde ist er indes noch ein Spätromantiker, der niemals den tonalen Bereich verlässt und dennoch - so finde ich wenigstens - über eine weitgehend eigene Tonsprache verfügt. Beeinflusst ist sie allerdings doch von Max Reger, bei dem Haas studierte. Haas ist Mitbegründer der Donaueschinger internationalen Kammermusikfeste für Neue Musik. Zu seinen Schüler gehörten unter anderen Eugen Jochum und Wolfgang Sawallisch. Zu Lebzeiten als bedeutender Komponist Deutschlands gefeiert, sind seine Werke heute nahezu vergessen....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Friedhelm Döhl ist ein deutscher Komponist Jahrgang 1936, der zahlreiche Aktivitäten im Bereich Neue Musik vorzuweisen hat. Kann man bei Interesse bei Wikipedia nachlesen. "Sound of Sleat" ist der Titel seines wohl einzigen Streichquartetts. Sound of Sleat ist der Name einer schottischen Meerenge. Das 18-minütige dreisätzige Stück würde ich in der Nachfolge von Anton Webern und György Ligeti sehen. Der Komponist bezeichnet es als autonome Klang-Landschaft. Die CD enthält die amerikanische Erstaufführung durch das renommierte LaSalle Quartett von 1982. Wenn mich meine Ohren nicht ganz täuschen, handelt es sich um eine Monoaufnahme, allerdings eine gut klingende.
    Die CD enthält noch ein Streichquintett mit dem Titel Winterreise, das muß ich noch hören. Zu den ebenfalls enthaltenen Bruchstücken zur Winterreise für Klavier hat sich unser Liedkenner Helmut Hofmann schon geäußert.

  • Wolfgang Fortner galt in den 1950er und 60er Jahren als eine Vaterfigur der Neuen Musik in Deutschland. Von diesem Ruhm und seiner Musik ist wenig geblieben. In meiner Sammlung steht - soweit ich erinnere - nur das Violinkonzert mit Gerhard Taschner und das Vorspiel zur Oper "Bluthochzeit". Fortner hat vier Streichquartette komponiert, von denen gerade mal eins, das letzte nämlich, überhaupt eingespielt wurde. Das Werk entstand 1975 für das Melos Quartett, die es 1977 uraufführten und 1979 auch bei den Schwetzinger Festspielen präsentierten. Ein Mitschnitt dieses Konzertes ist 2012 bei Hänssler erschienen und wird gerade für € 3,99 beim Werbepartner offeriert.


    Fortner schreibt über sein Stück: In vier Sätzen gliedert sich das Ganze formal: Ein erster Satz, der sich aus Bewegungskontrasten entwickelt, ein zweiter mit vier Variationen, ein dritter in lebhafter expressiver Bewegung und ein lyrischer vierter Schlussteil, ein Madrigal - etwas elegisch und verhalten im Ausdruck, thematisch langsame Elemente aus dem Variationensatz aufgreifend und verändernd.


    Die 17-minütige Komposition verwendet eine frei gehandhabte Zwölftontechnik und aleatorische Elemente. Wer mit den Quartette von Webern, Ligeti und Lutoslawskis zurechtkommt, hat auch mit diesem Stück keine Probleme. Sie bringt gegenüber den Genannten aber auch nicht wirklich Neues. Nach zweimaligem Hören gefällt mir das Stück aber recht gut. Die Darbietung durch die Widmungsträger ist über jeden Zweifel erhaben, störende Live-Geräusche konnte ich nicht entdecken.


    Die anderen drei Quartette von Fortner entstanden wesentlich früher nämlich 1929, 1938 und 1948. Ob sie deshalb nie eingespielt wurden? Die Noten sind jedenfalls verfügbar.

  • Ruperto Chapi ist in Spanien ein berühmter Komponist, mehr als 100 Bühnenwerke hat er komponiert, viele davon waren sehr erfolgreich. Dabei handelte es sich um die spanische Variante der Operette, die Zarzuela. Gegen Ende seines Lebens - also schon im 20. Jahrhundert - begann Chapi sich für Kammermusik zu interessieren und schrieb in kurzer Abfolge vier Streichquartette.

    Die ersten beiden erschienen kürzlich in eine Aufnahme mit dem Cuarteto Latinoamericano, die dieses Jahr ihr 35-jähriges Jubiläum feiern und durch die GA der Villa-Lobos Quartette allgemein bekannt wurden.
    In Spanien hatte nach Boccherini und dem frühverstorbenen Arriaga ein dreivierte Jahrhundert wohl niemand mehr Streichquartette geschrieben. Somit fiel es Chapi nicht schwer, eine Lücke zu füllen und dabei auch noch originell zu sein. Denn bereits sein 1. Quartett verbreitet soviel spanisches Flair wie es kein anderes Quartett tut, das ich kenne. So wie Dvorak erkennbar "böhmische" Quartette schrieb, so tat es Chapi eben auf spanisch. Dass ihm als Zarzuela Komponist dazu eingängige Melodien zu Gebote standen, überrascht auch nicht unbedingt. Wie stilsicher und kunstvoll er die dann aber ins das Genre Streichquartett überführt, ist doch erstaunlich und bewunderswert. Wer eine Affinität zu spanischer Musik hat, sollte hier mal unbedingt hinein hören.

  • Jonathan Berger (Jahrgang 1954) ist ein US-amerikanischer Komponist mit vermutlich jüdischen Wurzeln, jedenfalls klingen seine Musik und auch einige Titel danach. Die Naxos CD enthält drei Stücke für Streichquartett und zwei für Violine Solo, letztere werden von Livia Sohn gespielt.
    Die Musik von Berger ist weitestgehend tonal und oft von Volksweisen inspiriert, z.B. das Quartett, das der CD den Namen gab, enthält Fragmente eines israelischen und eines palästinensischen Liedes (Nes o botz, miracle or mud, sind zwei Arten, Kaffee zuzubereiten). Die Musik bereitet keine Rezeptionsprobleme auch da nicht wo avantgardistische Spieltechniken ins Spiel kommen, die aber überwiegend zur Farbgebung genutzt werden. Das ist Streichquartettmusik, wie man sie auch vom Kronos Quartett zu hören bekommt, ich finde sie o.k., aber vom Hocker reisst sich mich nicht.

  • Peter Racine Fricker (1920-1990) begann nach dem Kriege in England eine anfänglich recht steile Komponistenkarriere, die aber früh als Lehrer in der akademischen Welt (erst Morley College als Nachfolger von Michael Tippett, dann University of California) endete. Seine erste Symphonie gewann 1949 den Koussevitzky-Preis und wurde auch bald eingespielt. Schon in den 60ern wurde es ruhig um den Komponisten und nach seinem Tode wurde er schnell vergessen. Der Schüler von Matyas Seiber schrieb drei Streichquartette, zwei im Umfeld seines frühen Erfolgs, eine drittes erst 1976 nachdem er das 3. Quartett von Elliott Carter gehört hatte. Die ersten beiden sind in einer noch tonalen Klangsprache geschrieben, besitzen aber weder die experimentelle Originalität von Bartok noch die Eindringlichkeit von Schostakowitsch. Sie klingen ein wenig unpersönlich. Sie sind kompositorisch sicher gut gemacht, aber der letzte Funken Originalität und Personalstil fehlt. Beide Quartette wurden vom damals aufstrebenden Amadeus Quartett aus der Taufe gehoben.

  • John Rose ist ein britischer Komponist, der 1928 in London von holländischen Eltern geboren wurde. Er wuchs in Südafrika auf und studierte später an der Royal Academy of Music in London und später in Oxford bei Edmund Rubbra. Er hat jahrzehntelang in der Erwachsenenarbeit und als Chorleiter vor allem in Schottland gearbeitet. Sein musikalischer Output ist wohl überschaubar.
    Die CD, die seine beiden Streichquartette enthält, zieren Blumenbilder, die entfernt an Jugendstil erinnern. Seine Musik tut es auch. Jedenfalls hört man wenig, was nicht auch 100 Jahre früher komponiert worden sein könnte. Allerdings wirkt die Musik auf mich deutlich persönlicher und verbindlicher als die in den im vorherigen Beitrag erwähnten Quartetten von Fricker. Das Spiel des Edinburgh Quartet ist ebenfalls ansprechend.

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  • Zwei amerikanische Komponisten, die in den 40er Jahren geboren wurden. Beide tragen den gleichen Vornamen (wenn auch unterschiedlich geschrieben), beide begannen im atonalen Stil der 60er Jahre, um sich dann eines besseren zu besinnen, beide mit 6 Streichquartetten im Oeuvre, beide gespielt vom hierzulande unbekannten Amernet String Quartet. Und beide Quartette fast gleichzeitig entstanden, das 3. von Dankner 1992, das 4. von Gerber 1995. Aber die Ergebnisse könnten kaum unterschiedlicher sein.
    Das Quartett von Dankner geht stilistisch gut 100 Jahre zurück und hätte zu Dvoraks und Tschaikovskys Zeiten die Zuhörer nicht verstört. Wenn man genau hinhört, merkt man dem halbstündigen, klassisch viersätzigen Werk an einigen Stellen an, dass es wohl nicht original aus dieser Zeit stammt, aber es könnte durchaus als ein solches durchgehen. Melodisch ansprechend und niemanden wirklich imitierend, ist es ein ansprechendes Werk. Dasselbe gilt für das Quartett von Gerber, das seine postmoderne Schreibweise aber an keiner Stelle verleugnet. Das viertelstündige ebenfalls viersätzige Werk ist jedenfalls von Minimal ja sogar Popmusik beeinflusst und könnte auch auf dem Programm des Kronos Quartett stehen.
    Das Amernet String Quartet existiert schon seit über 20 Jahren und gewann 1995 die Banff ISQC. Die Aufnahmen liegen 15 Jahre auseinander und das Quartett spielt mit zwei völlig verschiedenen Bestzungen, d.h. in der gegenwärtigen Formation ist keines der Gründungsmitglieder mehr zu finden.



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  • Charles Wuorinen (1938 -) ist ein amerikanischer Komponist, der der Avantgarde der 60er Jahre treu geblieben ist. Sein 1. (von bisher 4) Streichquartett entstand 1971 für das Fine Arts Quartet, das es hier auch eingespielt hat. Wer sich in der esoterischen Wlet des späten Schönbergs (SQ 3 und 4) oder Elliott Carters (SQ 1-5) wohlfühlt, wird auch an diesem dreisätzigen ca 24 min dauernden Werk seine Freude haben. Heute gehört nicht von der gezeigten CD, sondern der entsprechenden LP.

  • Riccardo Malipiero (* 24. Juli 1914; † 27. November 2003) war ein italienischer Komponist, Pianist und Musikpädagoge. Der Neffe von Gian Francesco Malipiero gilt als Wegbereiter der Zwölftonmusik in Italien; 1949 organisierte er in Mailand den 1. Kongress für Zwölftonmusik, an dem auch John Cage, Luigi Dallapiccola, Karl Amadeus Hartmann, René Leibowitz, Bruno Maderna und Camillo Togni teilnahmen.


    Sein 1971 entstandenes 3. Streichquartett ist hochinteressant; es ist dodekaphon und trotzdem relativ leicht zugänglich. Einflüsse von Bartok sind auch auszumachen. Ich höre auch Dinge, die ich so noch nicht gehört habe. Sehr interessant. Wieso dieses Quartett - wohl bisher das einzig eingespielte des Komponisten - bisher nur auf Vinyl verfügbar ist, kann ich nicht sagen. Die Fonit Cetra Aufnahme mit dem Quartetto di Milano klingt jedenfalls hervorragend. Schön, wenn man so etwas für 2 € im Mintzustand findet.


  • Jedenfalls hast Du mir den Mund wässrig gemacht und mein Einkaufkorb bei Qobuz ist um eine Aufnahme voller.


    Lieber Dieter,
    ich bin mir fast sicher, dass Dir die von Dir gekaufte Aufnahme auch gefallen wird. Allerdings ist das 3. Streichquartett dort vom Onkel Gian Francesco Malipiero und nicht vom Neffen Riccardo. Die 8 Streichquartette von Gian Francesco Malipiero gibt es in mindestens zwei guten Aufnahmen, allerdings sind sie nicht zwölftönig, sondern stehen - meiner Erinnerung nach - eher einem weiterentwickelten Impressionismus nahe.
    Liebe Grüße
    lutgra

  • Milton Babbitt (1916-2011) gehörte zu den Hardcore-Avantgardisten Amerikas und sein 3. Streichquartett ist Hardcore pur. Entweder schaltet man den Player nach 2 min kopfschüttelnd aus oder man begibt sich in eine Art "atonale Trance" und lässt gefühlt eine Stunde, in Realität nur 21 min die schrillen Töne erbarmungslos auf sich einwirken. Dies dürfte - was Hörerfreundlichkeit angeht - eines der kompromisslosesten Streichquartette der Moderne sein. Pierre Boulez' Livre pour Quatuor ist ähnlich radikal. Bewunderswert, wie sich das renommierte Fine Arts Quartet dieses Brockens annahm und ihn auf höchstem technischen Niveau umsetzte. Nur für Hartgesottene.


    Bild siehe Beitrag 72.

  • Wer eine ganze Reihe wirklich unbekannter Streichquartette kennen lernen will, den kann ich auf meine Internetseite verweisen. Neben meinem hauptsächlichen Interesse an Violinkonzerten habe ich auch eine Schwäche für Musikautographen für Violine und über die Zeit etliche unveröffentlichte Streichquartette in Orginalmanuskripten erworben. Auf meiner Webseite kann man für die meisten Werke die Partituren kostenlos herunterladen und kleine Tonbeispiele anhören. Bei Interesse findet ihr die Seite hier:


    https://www.tobias-broeker.de/…nuscripts/string-quartet/


    Beste Grüße,
    Tobias

  • Nach längerer Pause melde ich mich mal wieder hier in diesem Thread und zwar nur als Gast. Ich stelle hier in aller Kürzen den baskischen Komponisten Andrés Isasi (1890-1940) vor, der in den nächsten Tagen einen eigenen Kammermusik-Thread (und vielleicht auch einen symphonischen bekommen wird) Er hat an sich 6 Streichquartette geschrieben, zählt aber das erste nicht, welches deshalb als Nr 0 geführt wird. Er war bereits zu Lebzeiten eher wenig erfolgreich, vielleicht finden wir im Rahmen des geplanten Threads heraus warum. Dieser Thread wird sich vermutlich erst im Mai entwickeln können, weil ich noch nicht über die CD mit dem Streichquartett Nr. 1 verfüge. Deshalb habe ich heute begonnen die Nr 0 aus dem Jahre 1908 zu hören. Eigenartigerweise habe ich mit den ersten Takten Probleme, danach fasziniert mich dieses Jugendwerk des18 Jährigen, das den Geist der Spätromantil in sich trägt aber - man widerspreche mir bei Bedarf - geleichzeitg einen gan spezifischen Klang hat. Einige der CDs von ISASI werden derzeit um 1.99 Euro angeboten - aber nicht alle. Deshalb langt aus die CD mit der Nr 1 verspätet bei mir ein, weil ich austesten wollte ob mir die Musik auch den (Naxos) Vollpreis wert ist - Sie ist es.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei Gelegenheit der weithin unbekannten Quartette von Isasi darf noch einmal auf den sehr jung verstorbenen Komponisten Juan Crisostomo Arriaga hingewiesen werden, dessen drei Quartette allerdings mittlerweile von vielen Ensembles aufgeführt werden. Ich selbst finde zwei Aufnahmen bemerkenswert: die des Guarneri-Quartetts und des Neuen Vlach-Quartetts, dessen Primaria eine Tochter des großen Geigers und Musikers Josef Vlach ist. Ich hatte die wunderbare Gelegenheit, in den 1970er Jahren an einem Meisterkurs Vlachs in Arvika/Schweden teilzunehmen - unvergesslich seine Hinführung zu Smetanas e-moll-Quartett, das wir im Anschluss an den Kurs für eine Schallplatte eingespielt haben (Leonhardt-Quartett, unter youtube im Netz).

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  • Ich hatte die wunderbare Gelegenheit, in den 1970er Jahren an einem Meisterkurs Vlachs in Arvika/Schweden teilzunehmen - unvergesslich seine Hinführung zu Smetanas e-moll-Quartett, das wir im Anschluss an den Kurs für eine Schallplatte eingespielt haben


    Liebe Violinsonate
    erst einmal herzlich willkommen im Forum. Ich freue mich sehr, dass es bei den Streichquartett-Interessierten so kompetenten Zuwachs gibt, wir sind hier doch eher eine überschaubare Fangemeinde. Und jemanden im Forum zu haben, der selbst ausübender Musiker in einem Quartett war, ist natürlich eine ganz tolle Sache.
    Die besagte LP mit Smetana und Dvorak besitze ich übrigens. Ich muß aber zu meiner Schande gestehen, sie liegt noch auf dem "ungehörten" Stapel, sie ist sogar noch original versiegelt. Aber nicht mehr lange. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, hier öfter von Dir zu lesen.
    Es grüßt Dich
    lutgra :hello:

  • Werner Wehrli wurde am 8. Januar 1892 in Aarau geboren; er starb am 27. Juni 1944 nur 52-jährig in Luzern. Zwischen den Weltkriegen zählt er zu den namhaften Schweizer Komponisten.


    Wehrli machte eine fundierte musikalische Ausbildung durch , die er in Zürich, Berlin, Frankfurt und Basel erwarb. Das Studium in Frankfurt wurde ermöglicht durch den 1. Preis im Kompositionswettbewerb der Frankfurter Mozartstiftung, den er 1914 überraschend gewann; immerhin hatten sich 98 Komponisten beworben darunter auch Paul Hindemith.
    In Basel schloss er dann sein Kompositionsstudium 1918 bei Hans Huber und Hermann Suter ab. Ab 1918 bis zu seinem Tode war Wehrli als Musiklehrer am Aargauischen Lehrerinnenseminar (heute Neue Kantonsschule Aarau) angestellt. Daneben betätigte er sich als Musikpädagoge, als Volkslied-Sammler, Glocken-Experte (!!!), Musikschriftsteller und Dichter.



    Es gibt - vorwiegend antiquarisch - eine Handvoll CDs des Komponisten und ein kleines Büchlein über ihn. Die Kammermusik-CD mit dem 2. und 3. Streichquartett lief mir unlängst über den Weg und weckte meine Neugier.


    op.8 war das Werk, das dem 22-Jährigen seinen Preis einbrachte. Beim unbefangenen Hören des 25-minütigen Werkes stellten sich drei Gedanken ein:
    1. er kann offenkundig Streichquartett
    2. er hat was zu sagen
    und
    3. er sagt es in einer recht originellen Klangsprache am Übergang von der Spätromantik zur Moderne.


    Damit nimmt er eine Stellung vergleichbar vielleicht mit Zemlinsky, Korngold oder Rued Langgaard ein. Jedenfalls ist es ein hörenswertes Werk, mit dem ich mich noch öfter beschäftigen werde. Es wird kompetent gespielt vom Euler Quartett. Bin gespannt auf das 3., das klanglich härter sein soll.


  • Cyril Scott war ein englischer Komponist, von dem man am ehesten vielleicht eine der vier Symphonien oder Konzerte kennt. Scott hat auch vier Streichquartette geschrieben, von denen drei eingespielt sind. Das erste stammt von 1919. Ein fünfsätziges Werk mit drei schnellen Sätzen, die zwei langsame umrahmen. Die Ecksätze erinnern am ehesten an die Quartette des französischen Impressionismus, der Mittelsatz ist ein veritabler irischer Tanz. Gut zu hören.


  • Nachtrag zu, Beitrag Nr 64 am Sonntag, 6. November 2016, 00:43


    Man sagt oft, der erste Eindruck entscheide über Zu- oder Abneigung
    Das trifft indes nicht in allen Fällen zu. Heute hatte ich mich entschlossen endlich das Streichquartett op 50 von Joseph Haas zu hören.
    Ich tat es eigentlich als Pflichtübung, war aber fest entschlossen zu Ende zu hören. Reger- Schüler klang nicht gerade verlockend für mich - aber ich wollte das durchziehen. Zuerst musste ich mich an die Tonsprache gewöhnen, von der immer wieder geschrieben wird, sie sei treng tonal (und ich zweifle nicht daran). Indes ist sie zumindest sehr eigenwillig und klang zu Beginn doch irgendwie "schräg" für mich.
    Was mich aber sogleich beeindruckte, war die Art die Instrumente einzusetzen - soll heissen die doch sehr eigenwilligen Klangfarben zu erzeugen, teilweise abgrundtief knurrend, dann wieder weinerlich und danach ins leicht süssliche umschlagend. Jeder Satz ist für sich stehend und hat einen ausgeprägten Charakter


    1) Frisch und lebendig
    2) Nicht zu rasch, menuettartig
    3) Sehr langsam und ruhig
    4) Sehr lebhaft


    Als das Werk nach 35 Minuten geendet hatte war ich beeindruckt und konnte die Aussage des Kritikers Adolf Weißmann (1873-1929)
    verstehen, welcher nach der Uraufführung 1919 geschrieben hat:


    Zitat

    Dieses Opus 50 von Joseph Haas, sein A-dur Streichquartett, ist ein Stück so reizender Musik, daß man es häufig begehren wird. Es ist etwa so, wie es Max Reger hätte komponieren wollen, aber wegen innerer Unruhe nicht gekonnt hat. Gesegnet sei das Andenken Regers, wenn es in einem Jünger solche Wunder wirkt.


    Dieser Ausschnitt aus einer Kritik (die vermutlich länger war) hat einiges bei mir bewirkt.
    Ich fand zu Beginn das Werk "beeindruckend und interessant" aber ich hatte keine "reizenden " Stellen gehört.
    Nun konzentrierte ich mich aber darauf, welche herauszuhören- und sie waren da - und nicht zu wenige. Wer suchet der findet.


    Das gilt allerdings nicht im Falle dieser Aufnahme - denn die ist gestrichen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Weitere Ergänzung zu den Beiträgen Nr 64 und Nr 84

    Welch ein Erlebnis - in vielerlei Hinsicht."

    Das Werk war ja im Oktober 2018 von mir gehört worden und die CD auf dem StapeL "gehört - aber nicht archiviert und eingeordnet"

    gelandet, von wo die CD letztlich in die Sammlung eingeordnet wird. In manchen Fällen höre ich die eine oder andere Aufnahme aus diesem Bereich ein weiteres Mal - so auch hier.

    Der heutige Höreindruch war recht unterschiedlich vom meinem letzten.

    Ich fand wirklich jede Menge an lieblichen Stellen - gut ausbalanciert mit den ernsteren dunkler getönten teile, die aber auch sehr harmonisch gestaltet sind.

    Schon WIKIPEDIA weist darauf hin, daß die Werke von Haas zwar ursprünglich von Reger (den er verehrte - und bei dem er studierte) beeinflusst waren, allerding ist die Tonsprache von Haas freundlicher und volkstümlicher.


    Hier ein Originalzitat des Komponisten

    Zitat

    Die Musik soll erfreuen, nicht beleidigen, sie soll rerschüttern, nicht zerschmettern; sie soll veredeln - nicht banalisieren"

    Leider ist die CD weder bei jpc noch bei Amazon verfügbar.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zu den wenig bekannten Streichquartetten des 20. Jahrhunderts möchte ich ein paar Fragen stellen. Mir ist aufgefallen, dass der Beitrag der Briten nicht unerheblich ist. Neben den mir bekannten Streichquartettkomponisten Tippett (Vielleicht nur ein Zufall, dass ich ihn kannte) und selbstverständlich Britten, dessen Quartette ich vor kurzen noch einmal mit Vergnügen gehört habe, kommen mir mit dem Lesen hier im Forum immer mehr neue Streichquartettkomponisten von der Insel in die Quere, die ich ziemlich beeindruckend finde. Neben den offensichtlich (wenn auch nicht mir) bekannten (Ferneyhough, Birtwistle) gibt es doch eine ganze Riege eher unbekannter Komponisten (aus dem 20. Jahrhundert) mit einem erheblichen Ausstoß an Streichquartetten. Zum Beispiel der hier zuletzt genannte Edmund Rubbra (4), aber auch Peter Maxwell Davies (Kollege von John Ogdon) mit mindestens 10 Quartetten und eben aus der Rubrik "gerade gehört", die ich nicht so stark frequentiere, den interessanten Hinweis auf Robert Simpson mit > 10 Streichquartetten und Peter Racine Fricker, der auch mit Streichquartetten hervorgetreten ist. (Ich habe mir jetzt mal 7 und 8 von Simpson und von Rubbra die CD mit 1,3 und 4 bestellt). Da ist doch ein ziemlich großer Ausstoß an Quartetten, die, soweit ich das momentan sehen kann, in der Musikgeschichte einfach ignoriert werden. Mein Kammermusikführer (zugegeben eine Ausgabe für Analphabeten...) führt die englische Kammermusik der Romantik bis in die Moderne auf 5 Seiten aus. Da hören wir mir Bridge, Britten und Tippett auf.


    Sind diese Quartette uninteressant (ein bisschen Reinhören bestätigt das keineswegs)? Rubbra und Davies können schon begeistern. Also meine Frage. Was ist der Hintergrund für dieses ziemliche Totschweigen einer Menge interessanter Musik?


    Ich bin da etwas ratlos.

  • Sind diese Quartette uninteressant ?

    Also meine Frage. Was ist der Hintergrund für dieses ziemliche Totschweigen einer Menge interessanter Musik?

    Musik der Gegenwart oder des 20 Jahrhunderts (Klassische Moderne weitgehend ausgenommen) wird - auch wenn die Fans das leugnen - allgemein nicht sehr geschätzt. Viele Kunstkniffe wurden eingesetzt um das Publikum zu überlisten, so dass in Konzerte moderne Stücke eingefügt wurden - und das in der Mitte - damit -das Publikum nicht davonlaufen kann.

    Bei englischen Komponisten ist das anders. Von Händel (der eigentlich Deutscher war) und Purcell abgesehen haben die Engländer nur wenig an musikalischen Genies aufzuweisen (Interpreten ausgenommen)

    ABER sie forcieren ihre nationalen Größen, die aber den Rest der Welt wenig interessieren.

    Ich bin eigentlich überzeugt, daß andere Länder ebensoviele "Berühmtheiten" der Gegenwart aufzuweisen hätten, aber die werden - abgesehen von Insidern - eben auch totgeschwiegen.

    Wer das bestreitet, der möge mal erklären, warum ein gutes Drittel der oben vorgestellten Aufnahmen bereits gestrichen sind.

    Das Forum ist hier nicht als Referenz heranzuziehen, denn hier kennt man zumindest einige Namen.....:stumm::untertauch:


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist völlig richtig: Die Briten pflegen ihre "Kleinmeister" verglichen mit anderen Ländern recht ausführlich - zumindest in Aufnahmen und im Rundfunk. Der Unterschied liegt also nicht in der kompositorischen Produktion.


    Es gibt aber doch recht viele Aufnahmen von internationalen "Kleinmeistern", wenn man auch second-hand akzeptiert und nicht bestimmte Werke sucht, sicher mehr, als man "verdauen" kann. An sich ist der Markt wohl übersättigt, deshalb wundere ich mich nicht, dass es nicht noch 10x soviele Aufnahmen gibt. Es geht gar nicht um den Markt sondern um Dokumentation von Kulturgütern. Hier ist eben die Frage, wieviel Geld da ist und wer entscheidet, was man alles dokumentieren will. Und man kann ja fast alles schlecht und nicht aufnahmewürdig finden, wenn man will.

  • Es geht gar nicht um den Markt sondern um Dokumentation von Kulturgütern. Hier ist eben die Frage, wieviel Geld da ist und wer entscheidet, was man alles dokumentieren will. Und man kann ja fast alles schlecht und nicht aufnahmewürdig finden, wenn man will.

    Das sind gute Fragen, die in verwandten Formen schon an verschiedenen Orten im Forum diskutiert worden sind. Selbstverständlich ist eine Dokumentation von Kulturgütern an sich sinnvoll, da man ja eigentlich nie wirklich weiß, was sich noch als bedeutend herausstellt und was überraschenderweise doch schneller vergänglich ist. Eine solche Dokumentation hilft auf jeden Fall gegen das komplette Vergessen werden. Denn was nicht da ist, hat auch kaum noch eine Chance "wiederentdeckt" zu werden.


    Ohne irgendwelche Wertungen gibt es bei einigen Komponisten die Luxussituation, zwischen so vielen Interpretationen unterscheiden zu können, dass es manchmal schon schwerfällt. Da kann man dann schauen, ob der Anschlag und die Intonation bei Takt X vom Interpreten A nicht besser gelöst wird als von B. Umgekehrt gibt es Kompositionen, wo man sich ersteinmal freut, dass überhaupt ein Interpret sich der Sache annimmt. Jeder noch so "schlechte" Interpret der gut vertretenen Musik wäre hier schon Gold wert. Ich glaube, dass die Diskrepanz in dieser Schärfe nicht wirklich durch kompositorischen Wert abgedeckt ist.


    Selbstverständlich gibt es Moden und sicher auch zurecht verschieden bewertete Komponisten. Die von mir in einem anderen Thread angesprochenen Klavierwerke von Ryelandt verdienen es sicher nicht, so völlig zu verschwinden. Wenn man jetzt die paar Einspielungen hören möchte, wird es schwierig. Im Web auf youtube gibt es ein paar sicher gut gemeinte aber schauerlich schlechte Einspielungen aus der Suite "En Ardenne". Ob man damit dem Komponisten hilft, bin ich mir nicht sicher.


    Spielen denn alle Interpreten heute wirklich die Musik, die sie mögen oder eher die, bei denen das Label sagt, das sie gut vermarktbar ist? Die Hörgewohnheiten wiederum auf der anderen Seite sind häufig eine Sache der musikalischen Bildung. Was tut da der Staat, um die Kulturgüter zu erhalten. Im dem Rahmen kann man die Leistung des Arditti Quartetts gar nicht hoch genug einschätzen.

  • Im dem Rahmen kann man die Leistung des Arditti Quartetts gar nicht hoch genug einschätzen.

    Irvine Arditti wurde in einem Interview mal gefragt, ob sie denn alle Stücke gut fänden, die sie da so spielen würden. Seine Antwort - sinngemäß: es ist nicht unsere Aufgabe, Stücke gut zu finden, sondern es ist unsere Aufgabe, sie zu spielen.

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