Eure Top 5 der finstersten Bösewichte auf der Opernbühne

  • Freud hat allerdings nie die Meinung vertreten, daß ein Mensch nicht Verantwortung für seine Taten übernehmen muß, vielmehr führt die Interaktion zwischen Unterbewusstsein, Ich und Über-Ich ggf. zu Erklärungs- und Behandlungsmöglichkeiten von abweichendem Verhalten, wobei allerdings die strafrechtliche Verantwortung (heutzutage §§ 20,21 StGB) auf einem völlig anderen Blatt steht.
    Oder meint ihr die Minderheitsmeinung einiger Hirnforscher, die grundsätzlich eine strafrechtliche Verantwortung wegen der spezifischen hirnorganischen Gegebenheiten in den meisten Fällen ablehnt?


    Viele Grüße


    Joachim

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Obwohl ich weit lieber über Lichtgestalten in der Oper diskutiert hätte entscheide ich mich doch für Scarpia, weil er so vielschichtig böse ist. Despot, Lügner, Betrüger, schmieriger Schmeichler, falscher Frömmler, Mörder - mehr geht kaum. Selbst Hagen hat rechtschaffene Züge im Mitleid mit der betrogenen Frau. Gute Chancen hätte aus meiner Sicht auch der skrupellose Verführer, Frauenschänder, Mörder und Zerstörer alles Heiligen Don Giovanni.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Osmin - aus Mozarts "Enführung aus dem Serail"
    Man mag der Auffassung sein, das wäre doch ein gutmütiger Tollpatsch, der mit Drohgebärden lediglich seinen Frust zu beherrschen versuche, wie man sieht ist er ja recht umgänglich, wenn er (verbotenerweise) Wein getrunken hat.........
    Meiner Ansicht darf die Tollpatschigkeit und oft "Drolligkeit" dieser Figur nicht über ihre Gefährlichkeit hinwegtäuschen. Das Wort "Bösewicht" ist indes - wie vermutlich bei fast allen der hier nominierten Figuren zu hoch gegriffen. Er fühlt seine Kultur quasi von aussen bedroht und der eher gutmütige, beinahe liberale Bassa tut eigentlich nichts. um sie wirklich zu schützen. Wir haben ähnliche Probleme in unserer Zeit.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zunächst herzlichen Dank, lieber Bertarido, für deine verständnisvolle Rundum-Zustimmung.
    Da wäre noch einiges zu vertiefen und zu differenzieren.
    Aber dazu bedarf es des grünen Lichts von dir, lieber Caruso, als Eröffner dieses Threads. Deshalb meine Frage an dich: Würde es den Rahmen des Themas sprengen, wenn die Frage ins Zentrum käme, ob die Bösewichter und die Lichtgestalten ihres Schwarz-Weiß-Kontrasts entkleidet werden sollten und die schillernde Komplexität in den Fokus rückte, die sie allesamt zu tragischen - und zu menschlichen Charakteren macht?
    Ich glaube nämlich, dass sie vor allem durch ihre Vielschichtigkeit unser Interesse wecken. Und nicht nur dieses, sondern dass sie schon den Komponisten damit inspiriert haben...
    Herzliche Grüe von Sixtus

  • Ich halte es für falsch, dass "böse" Figuren interessanter wären. Es gibt überall "flache" Figuren und differenzierter ausgestaltete. Das Interessante an einem Drama ist normalerweise nicht der platte Gegensatz gut-böse, sondern nachvollziehbare Konflikte und Motive der Personen, im Extremfall Dilemmata, die sich einer allzu einfachen Bewertung entziehen. (Oder wie bei Ödipus tragische Verstrickungen, für die der Held/Übeltäter im Grunde gar nichts konnte.)
    Andererseits gibt es gerade in der Oper schon eine Anzahl ziemlich platter, "reiner" Bösewichte, die, soweit dargestellt, nur aus niederen Motiven (Rache, Gier, Verhüllung vorhergehender Straftaten usw.) zu handeln scheinen. Etwa Pizarro, Scarpia, Ortrud. Bei anderen kann man zwar ein gewisses Motiv nachvollziehen, aber ihr Handeln ist dennoch eindeutig verwerflich, z.B. Kaspar ("er oder ich") oder Jago (der ist aber sicher einer der vielschichtigeren der reinen Bösewichte).


    Zu Alberich siehe schon Shaw, das ist kein platter Bösewicht, sondern er hat gleich zweimal Ursache für Ressentiment und Rache. Zuerst der Spott der Rheintöchter, den er durch den Goldraub kompensieren will, dann wird er von Loge und Wotan erst recht über den Tisch gezogen.


    Ein anderer interessanter Fall sind rücksichtlose Frauenhelden wie Don Giovanni oder der Duca in Rigoletto. Die werden ja nicht nur unsympathisch gezeichnet und wenn man mal unterstellt, dass sie die Frauen "verführen" (nicht belästigen und vergewaltigen), ist gar nicht so leicht zu sagen, was an ihrem Verhalten so verwerflich ist. (Zumal heute, da wir kaum mehr eine passende moralische Kategorie für "Verführung" haben.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich halte es für falsch, dass "böse" Figuren interessanter wären.

    Naja, Geschmackssache. Was wäre Faust für ein langweiliges Stück ohne den Mephisto? Nur der macht das Stück so richtig sehenswert, ohne einen guten Mephisto (Gründgens) ist auch der beste Faust (Quadflieg) blaß. Obwohl Mephisto eigentlich im Auftrag des "lieben Gottes" handelt, die beiden haben den ersten Pakt geschlossen. Ist denn dabei nun nicht etwa Gott der "Böse"? Er nimmt ja in Kauf, daß der Teufel anstellen kann was er will, die Hauptsache, Faust wird glücklich, dann kann ihn der Teufel haben. Der Weg ist egal, er geht auch über Leichen. Auch wenn der Schluß "verklärt" wird.


    Auf die Oper angewendet sollte der Mephisto in Margarethe und in Mefistofele durchaus eine "böse" Figur sein. Aber jetzt kommen viele wenn und abers.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Ist Mephisto eine interessantere Figur als Faust selber? Mephisto ist sehr witzig, aber ein interessanter Charakter? Das wage ich doch zu bezweifeln. Mephisto ist außerdem kein "Bösewicht" in dem Sinne wie z.B. Gessler, Scarpia, Jago usw., sondern eine sehr spezielle Figur, die kaum als Musterbeispiel dienen kann.
    Außerdem habe ich ja nicht dafür plädiert, irgendwelche Figuren wegzulassen. Aber es gibt genauso platte Bösewichte wie "Lichtgestalten" (vielleicht sogar mehr).


    Die interessanteren Figuren sind normalerweise weder das eine noch das andere, sondern in tiefe Konflikte verstrickt: Ödipus, Hamlet, Don Carlos. Oder "eigentlich gut", aber mit fatalen Schwächen, z.B. Othello, Max im Freischütz u.v.a.
    Die "Lichtgestalten" sind typischerweise eher die "Opfer", stehen für unverschuldetes Leiden: Violetta, Mimi, Liu, Agathe, Gilda, Florestan etc.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Aber dazu bedarf es des grünen Lichts von dir, lieber Caruso, als Eröffner dieses Threads. Deshalb meine Frage an dich: Würde es den Rahmen des Themas sprengen, wenn die Frage ins Zentrum käme, ob die Bösewichter und die Lichtgestalten ihres Schwarz-Weiß-Kontrasts entkleidet werden sollten und die schillernde Komplexität in den Fokus rückte, die sie allesamt zu tragischen - und zu menschlichen Charakteren macht?


    Lieber Sixtus,
    da habe ich überhaupt keine Einwände.
    Ich bin zwar der Meinung, dass es eher erkenntnisfördern sein kann, nach Bösewichten zu suchen als nach Lichtgestalten, aber letztlich ist es allemale sinnvoller die Komplexität der Opernfiguren zu erfassen.
    Nur: mit welcher Fragestellung soll das gehen? Wird dann immer gefragt, ob der Böse nicht gar so böse ist und der Gute nicht gar so gut? Das kann ich mir als Frage nicht vorstellen. Ich fand es durchaus interessant, wenn zunächst die Figur als "böse" (beziehungsweise als "Lichtgestalt") präsentiert wurde und dann nach mildernen Umständen oder doch nach partiell guten Charakterzügen (beziehungsweise nach dunklen Seiten) gesucht wurde.


    Aber ich will Dir natürlich keine Vorschriften machen. Der Thread ist ja immer offen für jede Weiterentwicklung oder Differenzierung.
    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Einen ähnlichen Faden gab es vor Jahren schon.
    Damals wie heute ist meine Nr. 1 Pinkerton, der skrupellose Sextourist, der das arme Mädchen belügt, benutzt und entsorgt.
    Die anderen aufgeführten Bösewichte haben größtenteils wenigstens Format; die Pinkertons dieser Welt sind Inkarnationen der "Banalität des Bösen".

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Noch ein Bösewicht! - Polinesso aus Händels Ariodante:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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