Extreme Emotionen auf der Opernbühne

  • Lieber Sixtus,


    irgendwie komme ich mit dem Thema des Threads nicht ganz klar. Du stellst es unter die Überschrift "Extreme Emotionen auf der Opernbühne" und benennst dann gleich zum Anfang Liebe, Tod und Glauben. Nun ist die Liebe sicherlich eine Emotion, beim Glauben habe ich bereits meine Zweifel, und der Tod löst zwar Emotionen aus, ist aber selber sicherlich keine. Jetzt kommst du auch noch mit dem "Sadismus Puccinis, der seine Frauen reihenweise abschlachtet". Gefragt sind doch aber die Emotionen auf der Bühne und nicht die, die möglicherweise die Komponisten umgetrieben haben - oder habe ich da etwas falsch verstanden?
    Ich glaube, deshalb kommt auch die Sache etwas mühsam in Gang. Mit der Scham wurde ja schon ein hoffnungsvoller Anfang gemacht. An Emotionen gäbe es dann noch Liebe, Freude (einschließlich Schadenfreude),Angst, Trauer, Enttäuschung, Zorn, Wut, Eifersucht und Hass und alle möglichen Vermischungen der genannten Emotionen. Falls ich was vergessen haben sollte bitte ich um Ergänzungen. Man könnte den Thread eventuell sogar entsprechend unterteilen. Wie denken die Mitdiskutanten darüber


    fragt Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zu später Stunde kann ich nicht alles auf einmal beantworten und erklären, was hier plötzlich an Fragen und Problemen aufkommt.
    Fürs Erste nur so viel:
    Lieber Chrissy, wenn ich salopp sage, dass Puccini seine (Bühnen-)Frauen reihenweise abschlachtet, so ist damit natürlich nicht gemeint, dass er ein Frauenverächter gewesen wäre - im Gegenteil. Aber er hat sie auf der Bühne unermesslich leiden und unter Qualen sterben lassen, und das passt sehr wohl zu unserem Thema. Er hat sie als treibende Figuren gebraucht, und ohne sie und ihr emotionales Potenzial wäre er nicht fähig gewesen, seine Meisteropern zu schreiben.


    So viel für heute. Über Wotan, Strauss und Hofmannsthal morgen mehr.
    Gute Nacht!

  • Der liebe Puccini hat es leicht übertrieben. Nicht auf der Bühne, da ist seine Dramatik Spitze.


    Aber im Privatleben ist es schon eigenartig, daß er in sein Haus am See Freunde und Prostituierte (oder klingt Nutten besser) eingeladen hat und seine Frau alle bedienen mußte. Hat zwar mit dem Thema nichts zu tun, zeigt aber andererseits, daß seine Einstellung doch nicht ganz heutigen Moralvorstellungen entspricht. Aber in seiner Musik gibt es extreme Emotionen, auch in den weniger bekannten Opern wie Schwester Angelika und der Mantel.


    Herzlichst La Roche


    PS - ich bin schon am Überlegen, wen ich zum Thema Scham bringe. Ist eigentlich ein großer Unterschied zwischen Scham und Reue? Ich meine Ja. Denn schämen kann man sich für etwas, was man durch eine Entschuldigung evtl. aus der Welt bringen kann, eine Beleidigung z.B.


    Aber Reue? Othello und Don Jose haben etwas bereut, aber einen Mord kann man zwar bereuen, aber nicht ungeschehen machen. Vergebung dafür gibt es nicht. Für eine Beleidigung schon.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Der heutige Vormittag war mit 3 Versuchen ausgefüllt, die noch offenen Fragen zu klären, die sich gestern wie ein Knoten um dieses Thema gelegt hatten. Sie wurden allesamt vom Orkus verschluckt. Ich habe es überlebt und starte neu:


    Lieber Bertarido,
    den Wotan kennen wir beide recht gut, denke ich. Aber jeder hat einen etwas anderen Blickwinkel: Du siehst ihn mehr als Strategen, ich (in dieser Szene) mehr als ausgerasteten strengen Vater, der peu à peu erkennen muss, dass er im Begriff ist, seiner Wunschmaid bitter Unrecht zu tun. Er kann aber nicht zurück, will sein Gesicht wahren - ist BESCHÄMT. Ihr Wunsch. sie mit einem Feuerring zu umgeben, befreit ihn geradezu aus diesem Zustand. Liegt das nicht nahe?


    Und lieber Rheingold,
    lassen wir doch die Frage, ob die Verkaufte Braut eine Spieloper ist, auf sich beruhen (für mich ist sie es durch den populären Stoff und die polkaselige Musik) - und kommen auf den Punkt, dass Strauss mit kräftigerem Pinsel malt als der feinsinnige Hofmannsthal. Der hat sich im Briefwechsel öfters darüber beschwert, dass Strauss seinen Text erschlägt mit seinen ausladenden Klängen. In der Tat ist die Textverständlichkeit in Strauss-Opern ein schwieriger Fall. Das ist nicht zu leugnen, auch nicht, wenn man, wie ich, Strauss liebt. Seine Brillanz in der Orchestrierung wird dadurch nicht berührt.


    Schließlich: Liebe Mme.Cortese,
    mir kam es darauf an, die großen Gefühle in der Gattung Oper freizulegen. Und da scheinen mir die ergiebigsten Fundorte die Liebesszenen, die Sterbeszenen und die inbrünstigen Gebete zu sein. Dass außerdem noch die Scham, der Hass, die Wut etc. eine Rolle spielen, versteht sich. Hauptsache, wir entdecken sie.


    In der Hoffnung auf mehr Glück mit der Technik grüßt alle Beteiligten herzlich
    ein erschöpfter Sixtus

  • Und lieber Rheingold,
    lassen wir doch die Frage, ob die Verkaufte Braut eine Spieloper ist, auf sich beruhen (für mich ist sie es durch den populären Stoff und die polkaselige Musik)


    Aha! Das nenne ich mir mal eine völlig neue und überraschende Sichtweise auf eine der bedeutendsten Opern, die ich kenne.


    Und was den Briefwechsel zwischen Strauss und Hofmannsthal anbelangt, mit dem ich einigermaßen vertraut bin, so handelt es sich dabei nach meiner Auffassung im Kern um ein faszinierendes Dokument des Ringes um Kunstwerke in einem anstrengenden Arbeits- und Entstehungsprozess. Da werden gegenseitige Positionen und Erwartungen ausgetauscht, die sich in den Werken selbst oft in meisterhaftem Wohlklang auflösen. Die beiden waren sich in der Sache schon sehr einig. Auch wenn sie gestritten haben für das jeweilige Terrain. Danke, lieber Sixtus, dass Du auf meine Bemerkungen eingegangen bist.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Aha! Das nenne ich mir mal eine völlig neue und überraschende Sichtweise auf eine der bedeutendsten Opern, die ich kenne.......


    Das ist wirklich eine merkwürdige Verkennung eines grandiosen Meisterwerkes!


    Nimms leicht, lieber Rheingold:
    unser Freund Sixtus neigt öfter zu solch merkwürdigen Einschätzungen und Urteilen. Das zeigt ja erneut auch seine Bemerkung zur Zusammenarbeit von Strauß und Hoffmannstal. Ich habe mir abgewöhnt, immer darauf zu reagieren! Das kostet mich nichts und dient dem Frieden!
    Mit Widerspruch und Kritik kann der Herr Merker nicht umgehen.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Schon länger habe ich mir Gedanken gemacht, woher es rührt, dass man mir gelegentlich vorwirft, ich vertrüge keine Kritik. Nach den gestrigen Antworten 35 und 36 auf meine Erklärung 34 (Abschnitt 3) ist es mir etwas klarer geworden.


    Es kann doch nicht Sinn und Zweck einer Diskussion sein, dass Beiträge zwar gelesen, aber nicht wirklich diskutiert werden. Das nenne ich einen Schlagabtausch nach der Art einer Schneeball- oder Schlammschlacht, je nachdem, ob es harmlos oder zornig verläuft.
    Wenn mir jemand etwas unterstellt, das womöglich auf einem Missverständnis beruht, versuche ich es nochmal deutlicher zu formulieren - in der Hoffnung, dass ich dann besser verstanden werde. Wenn sich herausstellt, dass die Standpunkte unvereinbar sind, lasse ich es (manchmal zähneknirschend, wie ich zugebe) darauf beruhen.


    Gestern und vorgestern hatte ich mal wieder das ungute Gefühl, dass Rheingold mir unlautere Motive unterstellt. Ist es ehrenrührig gegenüber dem Komponisten, wenn ich Smetanas Verkaufte Braut eine (ausdrücklich sehr gute!) Spieloper nenne? Ist das ein Schimpfwort? Und ist es herabsetzend für Strauss, wenn ich ihm gegenüber dem feinsinnigen Hofmannsthal ein robusteres Temperament zuspreche? Das ist doch eine Charakterisierung und keine Herabsetzung!


    Jeder, der mich nur ein wenig kennt, weiß, dass ich beide Komponisten sehr hoch schätze. Dass es trotzdem Nuancen in der Einschätzung verschiedener Werke gibt, sollte doch in einem Forum wie diesem allgemein klar sein, ohne dass der jeweilige Verfasser in eine zwielichtige Ecke gestellt - und, wie in diesem Fall, auch noch von Dritten, nicht ohne Häme, darin bestärkt wird.


    Ich bin für jede Kritik, die sich an solche Regeln hält, offen - und für sachlichen Streit zu haben. Aber verunglimpfende Unterstellungen vergiften die Atmosphäre.
    Jetzt wäre ich froh, wenn ich endlich wieder zum Thema anregen dürfte. Falls aber noch Argumentationsbedarf zu diesen Pausengedanken besteht, bitte sehr!

  • Die Pause war wohl ausreichend, und wir können versuchen, dieses eigentlich einladende Thema mit Inhalt zu füllen.
    (Für einen Fehler, der mir unterlaufen ist, bitte ich um Nachsicht: Ich meinte nicht, dass Rheingold mir unlautere Motive unterstellt, sondern unseriöse Beurteilungen, sorry.)


    Wir wissen ja, dass viele Opern nicht nur voller Emotionen, sondern zugleich voller Theatralik sind. Wenn beides zusammen kommt, entstehen dann in Aufführungen gelegentlich unbeabsichtigte Effekte, die unfreiwillig komisch, lächerlich oder gar peinlich sein können - und, wenn es oft vorkommt, auch die ganze Gattung ins Lächerliche ziehen können. Es wäre vielleicht unterhaltsam (oder auch lehrreich), wenn wir aus unseren diesbezüglichen Erfahrungen einiges hier präsentieren würden. Ich denke z.B. an effekthascherisch triumphale, aber missglückte hohe Töne (mit oder ohne Pirouette) oder den absurden Wettlauf um den längsten Wälse-Ruf.
    Aber auch geglückte Auftritte an emotional exponierten Stellen können spektakuläre Wirkungen haben und manchmal erst den Willen des Komponisten ganz veranschaulichen. Ich werde nie die Klang-Explosionen vergessen, die ein Taddei oder ein Bastianini als Rigoletto kurz vor der Duett-Stretta mit Gilda serviert haben (Si, vendetta...). Da hält das Publikum geschlossen die Luft an.


    Bei dem hier anwesenden abgebrühten Publikum kann es ja schwerlich an diesbezüglichen Erlebnissen fehlen - meint Sixtus

  • Gestern und vorgestern hatte ich mal wieder das ungute Gefühl, dass Rheingold mir unlautere Motive unterstellt. Ist es ehrenrührig gegenüber dem Komponisten, wenn ich Smetanas Verkaufte Braut eine (ausdrücklich sehr gute!) Spieloper nenne? Ist das ein Schimpfwort? Und ist es herabsetzend für Strauss, wenn ich ihm gegenüber dem feinsinnigen Hofmannsthal ein robusteres Temperament zuspreche? Das ist doch eine Charakterisierung und keine Herabsetzung!


    Lieber Sixtus, soll ich dazu nun etwas sagen? Ich soll. Wie, bitte schön, kommst Du darauf, dass ich Dir unlautere Motive unterstelle? Du hast Deine höchst individuelle Bewertung zur "Verkauften Braut" abgegeben, und ich habe mir erlaubt, eigenen knappe Gedanken zu dieser Oper zu äußern. Mehr nicht. Dabei habe ich noch diesen seltsamen Satz, bezogen auf den Wenzel, geflissentlich übersehen: "Heute stünde der Trottel unter Minderheitenschutz!" Dieser Satz hat mich äußerst unangenehm berührt. Es hat in der Vergangenheit sehr viele interessante Versuche gegeben, diese Oper aus aus der - wie ich meine - überholten klischeehaften Wahrnehmung als Polka-Spieloper zu befreien. Einzelheiten spare ich mir, sonst landen wir auch hier beim RT. Daran liegt mir nicht. Ein interessantes Thema wäre das aber schon gewesen. Zu Strauss und Hofmansthal ist aus meiner Sicht alles gesagt. Was Du jetzt dazu nachlegst, war eigentlich nicht der Gegenstand meiner, auf eigener Lektüre des Briefwechsels, beruhenden Einschätzung. Nun aber gut. Ich habe keine Lust, in dieser Kleinteiligkeit weiter hin und her zu posten. Du kannst aber davon ausgehen, dass ich den vor Dir eröffneten Thread weiterhin verfolge. Er hat ja durchaus ein gewisses Unterhgaltungspotenzial, wenn ich nur an den "Schlächter" Puccini denke. :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold,


    da ist mal wieder die Reihenfolge durcheinander geraten (38, 39), aber das hat sich wohl inzwischen aufgeklärt.
    Was die Puccini-Frauen betrifft, so denke ich, dass du die Abschlachterei inzwischen richtig eingeordnet hast: Er hat die Emotionalität seiner Bühnenfrauen bis zum Exzess ausgeschlachtet, zu Nutz und Frommen des Publikums.
    Bei mir musst du nicht alles wörtlich nehmen, ich habe mir die Sprache der Metaphorik in ihrer Bildhaftigkeit zu Eigen gemacht. Das hat, wie du sagst, auch seinen Unterhaltungswert. Und political correctness ist bei mir nicht zu haben.


    Herzliche Grüße von Sixtus

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  • Ganz egal, ob Abschlachterei, Polka-Spieloper oder auch andere große Gefühle im Spiel sind, wenn das alles mit guter Musik vesehen ist, dann lieben wir es doch alle. Stücke ohne Emotionen lagweilen uns doch meist. (Zumindest mich)

  • Stücke ohne Emotionen lagweilen uns doch meist. (Zumindest mich)

    Stimmt, geht mir auch so. Sogar beim Sterben kann man in der Oper begeistert sein. Irgendwie ist diese Gattung doch nicht für jedermann.
    Wie sagen´s die Wiener immer: "a schöne Leich".


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • "Doch der schönste Platz, der hier auf Erden mein, das ist mein Heidelberg - in Wien - am Rhein!" (Kurt Tucholsky)


    Da wir hier in großen und starken Emotionen unterwegs sind, trifft es sich gut, dass ich gestern das verregnete Konzert in der Berliner Waldbühne auf 3SAT nicht versäumt habe. Passenderweise dirigierte Gustavo Dudamel, und das Ganze stand unter dem Motto "Rheinlegeden". Da durfte, nach der Dritten von Schumann, auch Wagners Beitrag zum Thema nicht fehlen: Orchesterstücke aus dem Ring, der ja einige Bezüge zu diesem deutschen Strom aufzuweisen hat.
    Auch wenn die Personen im Konzert nicht selber auftreten, sind sie doch unüberhörbar in der Musik enthalten, und Dudamel zeigt sie uns ebenso plastisch wie emotional aufgeladen:
    Nach einer "Ouvertüre" mit dem pompösen, aber auch von Loges Skepsis unterwanderten und durch die Rheintöchter-Klagen gedämpften Einzug der Götter, in den der Komponist schon die finale Katastrophe ahnen lässt, darf sich Held Siegfried in seiner Rheinfahrt von seiner sonnigen Seite zeigen: Dudamel lässt die Berliner Philharmoniker jubeln und schwelgen, um sie im anschließenden Trauermarsch dem Toten eine bewegende und zum Bersten intensive Klage anstimmen zu lassen. Mehr Gefühl geht nicht, und doch stets kontrolliert - und das trotz der Unbilden, die die Atmosphäre ihnen (und dem Publikum) aufzwingt.
    Für einen starken Kontrast dazu sorgte die liebevolle (und überaus zum Aufführungsort passende) Naturschilderung des Waldwebens, der schließlich als Knalleffekt noch der abschließende Walkürenritt folgte. Für den verdienten Jubel bedankte sich der Dirigent mit einem ebenso einfühlsamen wie erlösenden Liebestod (leider ohne Isolde, aber das hätte womöglich den Rahmen gesprengt). Alles in Allem: Starke Emotionen pur, die auch ohne Gesangsstars (und ohne Regie-Zutaten!) als reines Hör-Erlebnis eindrucksvoll zu vermitteln sind.
    Damit grüßt herzlich und wünscht einen schönen Sonntag - Sixtus

  • Mit der Pointierung dieses Threads kann ich eigentlich gar nicht anfangen.
    Ist es nicht geradezu das Proprium der Oper, dass sie Gefühle, Affekte, Emotionen ausstellt und zugleich Gefühle, Affekte, Emotionen bei den Zuhörenden und Zusehenden erzeugt?
    Völlig zu Recht hat Alexander Kluge die Oper Das "Kraftwerk der Gefühle" genannt.
    Und wer betreibt dieses "Kraftwerk der Gefühle" und wie?


    Als ich heute morgen in einem anderen Thread ein kurzes Zwei-Minuten-Video mit einem Probenausschnitt von "Ariadne auf Naxos" eingestellt habe, wurde mir wieder einmal besonders deutlich, dass es vor allem die menschliche Stimme ist, die Träger und Vermittler der Emotionen ist. Und die menschliche Stimme ist es auch, von der abhängt, ob die Gefühle, Affekte, Emotionen wirklich als groß und tief rüberkommen.


    Wenn Kirsten Flagstad als Isolde singt "Er sah mir in die Augen..." singt, wenn Giovanni Martinelli als Otello das einzige hohe C, das Verdi einem seiner Tenor in die Partitur geschrieben hat, bei "Quella vil cortigiani" herausschleudert, wenn Christa Ludwig als Ariadne hinabsteigt zu dem Wort "Totenreich" oder wenn Elisabeth Grümmer als Gräfin Almaviva mit ihrem "Dove sono i bei momenti" den seligen Stunden der Liebe nachtrauert, dann kann ich im Publikum eine Ahnung bekommen von den Gemütsbewegung und seelischen Erregungen, die die handelnden Personen des Dramas haben und die dieses Drama vorantreiben und ausmachen. Bei weniger begnadeten Sängern mag sich das kaum mit den gleichen Intensität vermitteln. Aber auch sie sind es, die den Emotionen Ausdruck geben und das Publikum damit erreichen sollen. Und den meisten von ihnen gelingt das auch!
    Gelingt es nicht, verlassen wir die Oper enttäuscht. Gelingt es mehrmals nicht, dann kehren wir hinfort der Oper den Rücken zu. Da können die Bühnenbilder und Kostüme noch so schön und die Regie nach so klug durchdacht gewesen sein. Auch ein großartig aufspielendes Orchester wird die Enttäuschung allenfalls abfedern.


    Darum macht es für mich wenig Sinn, von Emotionen auf der Opernbühne zu reden, ohne dass der Bezug zu den singenden Menschen hergestellt würde!
    Das Video, von dem ich eingangs sprach, zeigt eine Sängerin in einem Probenraum. Es gibt keine Imagination der Szene und sie wird nur von einem Klavier begleitet. Aber wenn sie "Bei dir wird Ariadne sein!" singt, dann sind darin die psychischen Erfahrungen und extremen Emotionen der verlassenen Frau aufgehoben und ich erfahre, was ihr als einzige Hoffnung geblieben ist. Beim Lesen des Textes oder durch das Studium der Partitur erfahre ich davon - sorry - viel weniger.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Es war nicht meine Absicht, all dies infrage zu stellen, und ich unterschreibe deine Gedanken ohne Abstriche.
    Dennoch gibt es Gradunterschiede: schon in den Opern selbst, weshalb man gelegentlich von Meisterwerken spricht; aber auch in den Interpretationen, die entweder die Partitur nur ausbuchstabieren - oder aber die Aufführung (oder auch nur die Stelle) zum Ereignis machen.
    Natürlich habe ich jeweils das Letztere im Sinn. Und mich wundert, dass zu diesen Augenblicken kaum jemandem etwas einfällt, und ich will ja nicht nur Monologe halten.
    Wenn es so bleibt, dann muss ich das Thema als Flop ertragen.


    Trotzdem: Ich danke dir, lieber Caruso, für diesen ehrlichen Einwurf.

  • Mit der Pointierung dieses Threads kann ich eigentlich gar nicht anfangen.
    Ist es nicht geradezu das Proprium der Oper, dass sie Gefühle, Affekte, Emotionen ausstellt und zugleich Gefühle, Affekte, Emotionen bei den Zuhörenden und Zusehenden erzeugt?
    Völlig zu Recht hat Alexander Kluge die Oper Das "Kraftwerk der Gefühle" genannt.
    Und wer betreibt dieses "Kraftwerk der Gefühle" und wie?

    Genau das ist es: wie keine andere Kunstform lebt die Oper aus der musikalischen und darstellerischen Emotion. Nur die Emotion darf nicht aufgesetzt sein, sie muss dramaturgisch aus der Handlung und der Musik heraus entstehen, dann entwickelt sich - und zwar überwiegend kollektiv - auch beim Publikum das Gefühl einer Erregung, des Ergriffensseins, der Erschütterung. Eine Saite im Innern des Hörers ist angeschlagen, die nachklingt. Kann Oper mehr wollen, kann Oper mehr erreichen?
    Herzchst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Sixtus!


    Ich habe keine Ahnung, was dein Thema ist und auf was du genau raus willst. Stell doch mal eine einfache und möglichst klare Frage. Warst du nicht Lehrer? Dann wirst du wissen: nur wenn man eine Frage verstanden hat, kann man eine brauchbare Antwort geben.


    Aber du kannst den Thread auch lassen.
    Vielleicht magst du ja einfach mal das Video anhören, das mich veranlasst hat, überhaupt zu diesem Thread hier was zu schreiben, obwohl ich eigentlich mit dem Thema, so wie es gefasst war, gar nichts anfangen kann.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Das dürfte der richtige Zeitpunkt sein, obige Weisheit (leider nicht von mir) zu beherzigen.
    Ich habe mich entschieden, diesen Thread endgültig als Rohrkrepierer einzustufen und ihn zu beenden.


    Im Übrigen beginnen für mich jetzt meine ganz privaten Sommerferien, in denen ich keine Online-Dauerpräsenz garantieren kann. Der Juli/August gehört vor allem meinem lothringischen Seegrundstück, wo ich nicht zu erreichen bin (aber natürlich die meisten Festspielübertragungen verfolge) und der September meinem Wohnmobil, das mich samt meinem Haushaltsvorstand italienwärts entführt.
    Zwischendurch bin ich immer wieder mal ein paar Tage zu Hause und werfe vielleicht sogar, wie gewohnt, einigen Sand in den Forum-Betrieb, z.B. aus Anlass des Münchner Tannhäuser auf Arte. Aber die meiste Sommerzeit lasse ich euch in Ruhe. Später sieht man weiter. Der Kater lässt das Mausen noch nicht.
    Alle, denen daran liegt, seien herzlich gegrüßt von Sixtus

  • Lieber Sixtus,


    erhole Dich gut, sammel Kraft und Gedanken. Es gibt viele hier im Forum, die Deine nächsten Zuschriften erwarten und Dich bis dahin schmerzlich vermissen werden. Laß uns nicht so lange allein!


    Übrigens bezeichne ich Deinen Thread nicht als Rohrkrepierer. Unter all den philosophischen Zitaten heben sich die emotionalen und gefühlsbetonten Momente wie eine Erhebung empor, eben Oper für jedermann vom promovierten Naturwissenschaftler bis zu Lieschen Müller.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Sixtus,
    erhole Dich gut, sammel Kraft und Gedanken. Es gibt viele hier im Forum, die Deine nächsten Zuschriften erwarten und Dich bis dahin schmerzlich vermissen werden.
    Laß uns nicht so lange allein!
    Übrigens bezeichne ich Deinen Thread nicht als Rohrkrepierer. Unter all den philosophischen Zitaten heben sich die emotionalen und gefühlsbetonten Momente wie eine Erhebung empor,
    eben Oper für jedermann vom promovierten Naturwissenschaftler bis zu Lieschen Müller.


    Herzlichst La Roche

    Das hast Du aber schön gesagt, lieber La Roche - volle Zustimmung.
    Und Sixtus wünsche ich ebenfalls einen schönen und erholsamen Urlaub.


    Herzliche Grüße ins Thüringische
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Genau das ist es: wie keine andere Kunstform lebt die Oper aus der musikalischen und darstellerischen Emotion. Nur die Emotion darf nicht aufgesetzt sein, sie muss dramaturgisch aus der Handlung und der Musik heraus entstehen, dann entwickelt sich - und zwar überwiegend kollektiv - auch beim Publikum das Gefühl einer Erregung, des Ergriffensseins, der Erschütterung. Eine Saite im Innern des Hörers ist angeschlagen, die nachklingt. Kann Oper mehr wollen, kann Oper mehr erreichen?
    Herzchst
    Operus

    Da kann ich dem nur beipflichten, was Ihr schreibt! Erlebt habe ich es zuletzt besonders eindrucksvoll bei Händels "Alcina" hier in Münster. Ich hatte es in meiner Rezension auch geschrieben - Alcinas große Arie hatte etwas von der "Gewalt" der Affekte einer antiken Tragödie. Und diese elementare Kraft, die bei der Aufführung zu erleben war, kam eben auch daher, weil für Alcina ihre illusionäre Welt zusammenbricht, also die Handlung hier in der Katastrophe kulminiert, sie in ihrem Schmerz wirklich versinkt. Eine dramatische Verrdichtung ohnegleichen. Und die Wirkung wäre auch nicht so gewesen, wenn nicht die großartige Henrike Jacob diese grandiose Bühnenpräsenz und überwältigende stimmliche Ausdruckskraft gehabt hätte. Schon in der Probe war sie einfach überragend. Das hinterlässt bleibende Eindrücke - ist Oper im besten Sinne! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das hast Du aber schön gesagt, lieber La Roche - volle Zustimmung.

    Danke, mein sächsischer Freund! Wir sind uns einig darin, daß eine Oper von Emotionen lebt und nicht von philosophischer Auslegung. Wobei es letzteres auch geben muß, aber nicht für alle Opernfreunde verständlich ist. Wissenschaftliche Aufarbeitung kann man machen, aber nicht verallgemeinern.
    Verdi und Strauss haben ihre Opern nicht geschrieben mit dem Ziel, daß sich Scharen von Musikwissenschaftlern darauf stürzen, sondern sie haben das in Kauf genommen. Primär war es ihr Beruf, Noten aufs Papier zu schreiben. Und mit seinem Beruf verdient man Geld. Übrigens Musikwissenschaftler und Philosophen auch.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Wir sind uns einig darin, daß eine Oper von Emotionen lebt und nicht von philosophischer Auslegung.

    Wenn das so fraglos, allgemein anerkannt wäre. Ist es aber nicht. Richard Wagner kritisiert vehement die "Nummernoper". Die Nummernoper ist aber gerade das Verständnis der Oper als Ausdruck von Affekten. Bei Wagner dagegen wird die Handlung und der Handlungszusammenhang betont, der wichtiger ist als der Affekt. Dann gibt es zumindest seit Wagner den Konflikt, ob das Wort oder die Musik wichtiger ist usw. Klassische Opernhörer werden z.B. solche auf die Handlung und das Wortverständnis fixierten Opern weniger schätzen und als eher kopflastig und schwer verdaulich empfinden, Wagnerianer umgekehrt die "Nummernoper" als eher banal. Oper ist eben nicht gleich Oper und entsprechend das Publikum nicht das Publikum. Phiilosophische Urteile gehen auch dann in Urteile und Einstellungen über Musik ein, wenn sie als solche nicht bewusst sind. Sie sind trotzdem da und können immer nachgewiesen werden. In der Diskussion über RT hier erlebt man es ja regelmäßig. Angeblich will man mit Philosophie und Ästhetik nichts zu tun haben, bringt aber ständig mit normativem Anspruch ästhetische Argumente wie z.B., dass Ort und Zeit der Handlung nicht verändert werden dürften, das "Werk" mit dem Libretto gleichzusetzen ist etc. Wer nur ein bisschen aufgeschlossen ist, weiss, dass diese Naivität des Alltagsbewusstseins schon Platon aufgedeckt hat. Das nennt der Philosoph dann zu Recht unaufgeklärt.

    Wobei es letzteres auch geben muß, aber nicht für alle Opernfreunde verständlich ist.

    Hier aber darf man dann auch das Publikum kritisieren. Kunst kann und darf man zweifellos einfach nur konsumieren. Gerade die Romantik hatte allerdings einen weit höheren Anspruch. Da gab es den Anspruch der Kunstreligion, d.h. Kunstproduktion, Rezeption und Reflexion durch Philosophie, Metaphysik und Religion gehörten untrennbar zusammen. Wenn das Publikum von dem einfach nichts mehr wissen will, dann wird es dem Anspruch dieser Kunst einfach nicht gerecht. Bei Wagner, Schumann, E.T.A. Hoffmann, Franz Liszt usw. ist das schlicht evident.

    Musikwissenschaftlern darauf stürzen, sondern sie haben das in Kauf genommen. Primär war es ihr Beruf, Noten aufs Papier zu schreiben. Und mit seinem Beruf verdient man Geld. Übrigens Musikwissenschaftler und Philosophen auch.

    Das ist mit Verlaub gesagt eine Banalisierung. Es gibt das Beispiel Mendelssohn, die Mahler-Renaissance, der Wandel der Wertschätzung des Barocks z.B., wo Kunst- bzw. Musikwissenschaft nachweislich sehr wohl einen entscheidenden Einfluss auch auf die allgemeine Wertschätzung dieser Kunst gehabt haben durch die Künstler und auch das Publikum. Da gibt es sehr komplexe Wechselwirkungen. Geld verdienen tut man mit Allem und Jedem. Das erklärt aber nicht, warum zu einer gewissen Zeit 100 Doktorarbeiten über Beethoven und nur eine über Mahler geschrieben werden, plötzlich aber alle über Mahler schreiben wollen und fast niemand mehr über Beethoven.


    Schöne Grüße
    Holger