Steht die Integrität von Operntexten zur Disposition?

  • Was hier für die Oper gefordert wird, ist auf dem Sprechtheater schon seit Jahrzehnten üblich. Die Texte sind Steinbrüche für den Regisseur, der zusammen mit dem Dramaturgen auch eigene Texte hinzuschreibt. Es gibt aber viele Stücke, die tatsächlich überholt sind und heute in der Originalform nicht mehr spielbar. Darunter sind einige Werke von Molière, wie etwa der Tartuffe. Den kann man bearbeiten oder nicht spielen. Und da finde ich das Nichtspielen besser, denn es gibt einen Molière in unserer Zeit, von dem ich fast alles kenne und dessen Stücke wir im Schultheater mit großem Erfolg gespielt haben:Alan Ayckbourn.
    Ein zweiter Gedanke: ich habe es schon oft bemerkt: warum muss in der Oper gelten: "tua res agitur"? Die Fremdheit hat doch ihren besonderen Reiz. Der Reiz des Alten Testaments z.B. liegt gerade in seiner Fremdheit. Niemals könnte ich mir vorstellen, dass Übersetzer des AT das gleiche Verfahren anwenden könnten wie beim RT. Ich hab mir schon mal überlegt, eine Reihe aufzulegen: das AT als RT.
    Für das NT habe ich schon eine Idee. Zur Predigt kommt der Pfarrer auf einem Postfahrrad herein und ruft: "Tatütata, hier ist die Post; was bringt sie uns heute? Einen Brief des Apostels Paulus!"
    Dann erklettert er die Kanzel, zieht sein Smartphone hervor und sagt: "Liebe Gemeinde, ich habe hier eine SMS vom lieben Gott, ich kann sie im Moment nicht finden!"
    Albern? Allerdings, und zwar so albern wie beim Tannhäuser die Steinquadern mit den Namen Anja und Klaus.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zur Predigt kommt der Pfarrer auf einem Postfahrrad herein und ruft: "Tatütata, hier ist die Post; was bringt sie uns heute? Einen Brief des Apostels Paulus!"
    Dann erklettert er die Kanzel, zieht sein Smartphone hervor und sagt: "Liebe Gemeinde, ich habe hier eine SMS vom lieben Gott, ich kann sie im Moment nicht finden!"


    Find ich gut. Ehrlich. Damit erreicht er die Kids wahrscheinlich eher als mit der üblichen langweiligen Predigt.


    Zu "Anruf von Gott" fällt mir übrigens eine Szene aus meinem Lieblingsfilm "Dead Poets Society" ein:


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • dass hier kaum jemand Holger Kaletha intellektuell ebenbürtig ist

    Es steht natürlich jedem frei, sich ehrfürchtig und huldvoll in den Staub zu werfen.
    Zum Thema "Intellekt" - ich verrate bestimmt keine Geheimnisse, aber mir und vielen anderen ist bekannt -
    in unserem Forum sind mind. drei Professoren und darüber hinaus einige weitere Mitglieder mit Dr. Titel.
    Was dabei besonders positiv und sympathisch auffällt - keinem von ihnen merkt man das an. Sie sind noch nie damit hausieren gegangen, oder haben das
    durchblicken lassen, sondern haben sich stets völlig normal und unauffällig verhalten und angepaßt. Keiner von ihnen leidet unter einer "Profilneurose".


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    in unserem Forum sind mind. drei Professoren und darüber hinaus einige weitere Mitglieder mit Dr. Titel. Was dabei besonders positiv und sympathisch auffällt - keinem von ihnen merkt man das an. Sie sind noch nie damit hausieren gegangen, oder haben das durchblicken lassen, sondern haben sich stets völlig normal und unauffällig verhalten und angepaßt. Keiner von ihnen leidet unter einer "Profilneurose".

    Lieber Crissy,


    du sprichst aus, was viele hier im Forum längst erkannt haben, aber keiner zu sagen wagte. keiner von Ihnen hat es nötig, seinen "Intellekt" so herauszukehren. :jubel: :jubel: :jubel:

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich klinke mich erst jetzt wieder ein, nachdem ich eine längere Pause gemacht habe. Danm erschien es mir irgenwie verdächtig, daß der Tjread so lange aktiv war...
    Ichj habe also die leten Beiträge überflogen, kann aber auch etwas Wichtiges übersehen haben.


    Zitat

    Was also tun, wenn das Libretto ein Machwerk und die Musik grandios ist?


    Das ist bei Opern oft der Fall, über das WARUM kann man zu gegebener Zeit in einem anderen Thread Thesen entwerfen.


    Bleioben wr also bei der Realität:
    Diese Opern haben oft ohne Beanstandungern Jahrhunderte überdauert, vielleicht vo allem deshalb, weil den Menschen die Inhalte gar nicht so wichtig waren, was zählte war
    a) die Musik des Komponisten


    b) die Stimmen der Sänger


    c) die INTERESSANTE Ausstattung

    Um diese zu ermöglichen hat man die Handlung oft in exotischen Ländern oder Zeiten angesiedelt, die eine prunkvolle Ausstattung ermöglichten. Opern im "Armeleutmileu" sind erst eine "Errungenschaft der Verismo" und späterer Stilrichtungen.




    Was ist mit den obsoleten Ideologien vergangener Zeiten, die heute einfach kein Mensch mehr erträgt? Muss man denen auch den Heiligenschein des Unantastbaren verleihen, nur weil Werke Werke sind und als solche wie Heiligtümer zu verehren sind


    Ich komme nun zur Frage. welcher Naivling nun glaubt, daß neue Texte besser sein sollten als die Alten ?
    Ebenfalls naiv ist die Frage; Wozu soll denn das gut sein ?


    Da kann ich gleich mit ZWEI Motiven aufwarten:


    1) bekommen die Textdichter des NEUEN Textes Tantiemen auf viele Jahre
    Es ist ihnen auf diese Weise auch möglich hinter dem Namen eines berühmten Komponisten zu verstecken, denn eigentlich ist an deren dichterischen Ergüssen sowieso niemand interessiert.


    2)möchte man POLITISCH (im Sinne von "weltanschaulich" auf die Leute einwirken, sie quasi zu "erziehen", ihnen ein Weltbild vermitteln, das derzeit "allgemein erwünscht ist" Daß das nicht funktioniert sieht man an BREXIT und der Wahl von Donald Trump, der letztlich vieles sein mag - aber keinesfalls der unfähige Trottel als den er von seinen Gegnern erfolglos dargestellt wurde und die nun zittern was er als nächstes machen wird.


    Aber all das interessiert das "klassische" Opernpublikum nicht- Man will sich unterhalten bei erlesener Musik, hervorragenden Stimmen, aufwendiger Ausstattung -und in der Pause ein - hoffentlich- gutes Buffet geniessen, während man mit Gelegenheitsbekanntschaften wahlweise spitze Bemerkungen über Dirigent, Sänger, Inszenierung und Gardarobe der Leute in den ungebenden Logen macht.

    Zitat


    Meine Nachfrage wurde dahingehend beantwortet, dass man auch Besuchern mit eingeschränkter Bildung die Ausstellungen verständlich machen wolle.


    Da sei Gott davor. Eines Tages werden diese Leute uns vorschreiben, wie niedrig unser Niveau sein muß siehe den Film FAHRENHEIT 451


    Zitat

    Auf meinem Tisch liegt die Kassette mit den frühen Erzählungen aus der aktuellen Thomas-Mann-Gesammtausgabe von S.Fischer. Mit 600 Seiten ist der Kommentarband genau so umfänglich wie der Erzählungsband. Eine sehr aufwändige Arbeit, die ich zu schätzen weiß. Wäre es nicht auch denkbar, die originalen Texte so zu bearbeiten, dass keine erklärenden Kommentare mehr nötig wären?


    MÖGLICH wäre das SCHON -Aber nicht wüschenswert. Literatur, Kunst, Kultur, Musik, waren immer für eine Minderheit geschaffen - und so soll es auch bleiben.
    Ist es nicht wunderbar, wenn in einer Gesellschaft drei oder vier Gebildete sich untereinander unterhalten, mit Anspielungen, Zitaten und feinen Bosheiten, und der Rest der Leute nicht von alledem mitbekommt ?


    Zitat

    Heilsam wäre hier ein Blick auf die Instrumentalmusik: Der Kitsch, der Bombast, der Ende des 19. Jhd. bei Komponisten so beliebte Apotheosendonner wirkt auf den heutigen Hörer nur peinlich und hohl.


    Ich frag mich bei solchen Aussagen immer, wer das entscheidet.


    Ich will zeigen, was rauskommt, wenn man den Bombast entfernt:


    Noch VOR meiner Zeit verwendet man in Geschäftsbrieben folgende Grußformrl

    „Mit größtem Respekt und bewundernder Hochachtung verbleibe ich in demütiger Hoffnung“


    In meiner Jugend verwendete man (allerdings nur mehr selten)


    „Mit dem Ausdruche meiner vorzüglichsten Hochahctung verbleibe ich.."


    eher gebräuchlich war hier:


    "mit vorzüglicher Hochachtung"


    Allmählich setes sich eine "modernere" Form durch


    "Hochachtungsvoll"


    Aber auch das wurde ersetzt , nämlich durch;


    "mit freundlichen Grüßen"


    bis hin zur Kurzform


    "mfg"


    soviel zur "Anpassung"
    und ein Vorgeschmack was aus unseren Opern werden könnte, wenn wir hier nicht einen eisernen Riegel vorschieben.


    mit freundlichen Grüßen aus wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • MÖGLICH wäre das SCHON -Aber nicht wüschenswert. Literatur, Kunst, Kultur, Musik, waren immer für eine Minderheit geschaffen - und so soll es auch bleiben.
    Ist es nicht wunderbar, wenn in einer Gesellschaft drei oder vier Gebildete sich untereinander unterhalten, mit Anspielungen, Zitaten und feinen Bosheiten, und der Rest der Leute nicht von alledem mitbekommt ?

    Eine andere, vielleicht humanere, sozialere Strategie wäre der Ansatz einen möglichst großen Teil der Bevölkerung zu bilden, damit auch sie die Werke der Literatur, Kunst, Kultur verstehen und mitreden können.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Obwohl ich mir vorgenommen habe, in die endlosen, nicht lösbaren Diskussionen nicht mehr einzusteigen, verführt mich die Neugier leider, diese doch zu lesen. Dabei frage ich mich, ob ausser festgefügten Meinungen nicht auch Sprachbarrieren eine Rolle spielen könnten. Basil Bernstein entwickelte die linguistische Annahme, dass Persönlichkeiten, die einen restriktiven (einfachen, verständlichen) Sprachcode praktizieren, Diskussionspartner, die einen elaborierten (gehobenen, komplizierteren, schwerer verständlichen) Sprachcode verwenden, nur schwer verstehen können. William Labov weist darauf hin, dass der restinguierte Code in Wirklichkeit keinesfalls defizitär, sondern im Gegenteil sehr ausdrucksreich sei, nur eben anders in Wortwahl und Ausdruck als dies im elaborierten Sprachstil sei. Dafür erlebte Beispiele: Ich hatte das Glück, Kapazitäten der Wissenschaft persönlich erleben zu dürfen. Zwei sind mir besonders in Erinnerung Alexander Mitscherlich und Felix von Kube. Beide brillante Theoretiker. Nur diese Professoren haben uns damals deshalb so beeindruckt, weil sie die Gabe hatten schwierigste Inhalte - z. B. Kube mit seinem kybernetischen Regelkreis des Lernens - so darzustellen, dass auch wir Normalbürger diese Inhalte verstehen konnten und motiviert wurden, sich mit diesen Wissensgebieten auseinanderzusetzen. Bei Mitscherlich Vorlesungen ist ein großer Teil der Hörer willig gestanden. Bedeutet für unsere Diskussionen: Diejenigen Taminos, die sich des elaborierten Sprachstils bedienen und diesen auch (unbewußt/bewußt?) als Mittel der Abgrenzung verwenden, sollten sich bitte darum bemühen sich so auszudrücken, dass jedes Mitglied, aber auch jeder Besucher die Ausführungen auf Anhieb verstehen kann. Eine Diskussionskultur, die durch Sachlichkeit, Toleranz gegenüber anderer Meinung und Wertschätzung der Persönlichkeit des Diskussionspartners geprägt ist müsste eigentlich selbstverständlich sein und sollte mit einer Sprache einhergehen, die nicht anmaßend, überheblich und abgrenzend wirkt. Bildhafte Ausdrucksweise mit praktischen Beispielen und nachfolgenden Schlussfolgerungen auf der Sachebene würden uns Taminos zusammenführen und weniger spalten, als theoretische Ausführungen, die nur schwerlich oder nicht zu verstehen sind. Schön wäre es, wenn meine Ausführungen dazu führen würden, dass wir bei Formulierung unserer Beiträge auch daran denken, welche Sprachebene wende ich an, drücke ich mich allgemein verständlich aus und dient meine Ausdrucksweise dazu, Übereinstimmung zu schaffen und zu vereinen, oder löst sie eher Unverständnis, Ablehnung, Abgrenzung aus und wird unsere Botschaft vielleicht gerade deshalb vom Empfänger als arrogant wahrgenommen? Meine Argumentation hat den Sinn, auch im Sprachvertändnis zusammen zu führen, zu vereinen und nun muss ich verflixter Weise von den Anderen reden, die dazu neigen kompliziertere Ausführungen nur allzu schnell und gern als theoretisches Geschwafel abzuqualifizieren. Ich neige manchmal auch dazu. Sollten wir nicht gründlicher überlegen was ausgedrückt werden soll, was hinter dieser Meinung steckt, oder dem Schreiber die Frage stellen: Was hast Du damit gemeint? Sicherlich ist diese Frage einfacher Sprachcode, für's Verstehen und Schaffen von Gemeinsamkeiten jedoch äußerst wirkungsoll!


    Herzlichst
    Operus



    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans,
    Heisst es nicht in den Meistersingern: " Der Kunst droht allweil Spott und Schmach, läüft sie der Gunst des Volkes nach....".Auch wenn dieser Satz von Beckmesser stammt, ist er heute im Zeitalter der Massenverblödung von absoluter Aktualität! Ehrlich gesagt, bin ich froh, wenn Leute wie Alfred den Begriff "Elite", der in meiner Jugend (im Gegensatz zu heute) positiv belegt war, gelegentlich wieder hervorholt!
    Damit wären wir übrigens wieder beim dämlich-dreisten Artikel von Herrn Brembeck, der meint in den Meistersingern gehe es um Deutsch-Nationalismus. Er versteht wirklich von nichts etwas, die Meistersinger drehen sich nämlich um die Kunstauffassung! Aber es ist mir echt zu mühsam, dieses dümmliche Elaborat, das von Fehlern nur so wimmelt, auseinander zu nehmen!

  • der meint in den Meistersingern gehe es um Deutsch-Nationalismus.


    Und ich möchte auf die poltischen Verhältnis im total zerissenen Deutschland um Mitte des 19. Jahrhunderts, als die "Meistersinger" entstanden, verweisen. Genau diese Verhälnisse hatte Wagner, der Revolutionär von 1848, im Blick.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Obwohl ich mir vorgenommen habe, in die endlosen, nicht lösbaren Diskussionen nicht mehr einzusteigen, verführt mich die Neugier leider, diese doch zu lesen.


    Den Vorsatz, lieber Operus, hatte ich auch! Und dem Himmel sei Dank: ich bin ihm treu geblieben!


    Die uralte Diskussion - Rheingold hat es schon angemerkt, dass sie alles andere als neu ist - über den Werkbegriff und die "Integrität" von musikalischen Werken in unserem Forum noch einmal anzustoßen, ist wirklich - um es milde zu sagen - nicht sehr aussichtsreich.


    Monteverdi hätte was anderes darunter verstanden als Verdi. Händel etwas anderes als Donizetti! Von Cage und Stockhausen ganz zu schweigen. Um nur mal die Namen von sechs Opern-Komponisten zu nennen.....


    Ich bin froh, dass ich mich nicht verführen ließ, in diese Diskussion einzusteigen.
    Da höre ich doch lieber Musik.
    Ab morgen wieder Live in München und Salzburg!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Ich bin froh, dass ich mich nicht verführen ließ, in diese Diskussion einzusteigen.
    Da höre ich doch lieber Musik.
    Ab morgen wieder Live in München und Salzburg!

    Lieber Caruso,


    Du Glücklicher! Ich wünsche Dir bereichernde Erlebnisse. Vielleicht sind wieder einige bemrkenswerte neue Stimmen dabei. Wir werden im August in Bayreuth auf Spurensuche gehen.


    Herzlichst
    Operus


    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Holger, diesmal kann ich Dir nicht so folgen wie sonst. Wer entscheidet eigentlich, was ein Machwerk mit grandioser Musik ist und was nicht?

    Lieber Rheingold,


    ich gebe Dir Recht! Man sollte nicht leichtfertig mit Kunsterken umgehen. Hier finde ich immer noch Hans-Georg Gadamer unverzichtbar, der in Bezug auf die Texthermeneutik von einem "Vorgriff der Vollkommenheit" sprach. D.h. in diesem Fall: Erst einmal hat man die großen Opern der Tradition als "Meisterwerke" zu nehmen, und wenn man dann nach sorgfältigstem (Superlativ!)Bemühen, das Meisterliche in ihnen zu finden, partout nicht erfolgreich ist, erst dann darf man sie vielleicht wie "Machwerke" behandeln. Und natürlich ist die Generalisierung Unsinn, wenn in diesem Artikel behauptet wird, dass man die Oper nur "retten" könne durch radikale Texteingriffe. Das ist eine Apologie von RT, die mir dann doch etwas zu plakativ und von daher auch ein bisschen peinlich ist.


    Allerdings kann dieser Artikel schon aufrütteln, wie ich finde, weil er nämlich darauf hinweist, dass Opern-Librettos keineswegs so sakrosankt sind, wofür sie insbesondere von RT-Gegnern gerne erklärt werden. Im 19. Jhd - also lange bevor es RT überhuaot gab - war man da ganz anderer Hinsicht. Eine schöne Quelle ist da Eduard Hanslick (1877) - hier zwei Kostproben in Bezug auf Mozart. (Zu Deinen anderen Fragen melde ich mich heute Nachmittag.)


    „Am Wiener Hofoperntheater wird die Entführung aus dem Serail mit ebensoviel Geschmack als Pietät gegeben. Jene echte Pietät meinen wir, welche im Interesse des Ganzen auch ein paar Takte opfert. So hat man Constanzens zweite große Bravour-Arie weggelassen, welche „Martern aller Arten“ heißt und wirklich deren einige für die Sängerin und den Zuhörer enthält. Das übermäßig lange Liebesduett im dritten Acte ist durch eine geschickte Kürzung wirksamer geworden, die unbedeutende vierte Arie Belmonte´s endlich durch die ungemein zarte A-Dur-Arie Fernandos aus Cosi fan tutte ersetzt. Zwischen dem ersten und zweiten Acte spielt das Orchester das allen Klavierspielern wohlbekannte „Rondo alla turca“ in A-Moll, von Mozart, in Herbeck´s ebenso feiner als effectvoller Instrumentierung. Die Anregung dazu scheint vom Théâtre Lyrique in Paris ausgegangen zu sein, wo ich bereits im Jahre 1860 das türkische Rondo als Zwischenactsmusik zur Entführung hörte, freilich in einer ziemlich schäbigen Orchestrierung von Pascal. Die französische Bearbeitung nimmt sich noch einige andere Freiheiten, von denen eine und die andere nicht zum Nachtheile des Werkes ausfallen. So werden die drei Acte der Entführung zu zwei zusammengezogen und schließen mit einer etwas moderneren, weniger kindischen Lösung des Knotens.“

    „Weit mehr als in der Entführung sind in der Zauberflöte Darsteller und Zuschauer so recht von Herzen bei der Sache. Es ist in Wien, besonders an einem Sonntag, ein Hochgenuß, Mozart´s Zauberflöte zu hören und das vergnügt teilnehmende Publikum dabei zu beobachten. Kein Plätzchen im ganzen Hause ist unbesetzt, kein Musikstück bleibt unapplaudiert; die andächtige Stille während der ersten Scenen spricht ebenso deutlich wie die ausbrechende Fröhlichkeit bei den komischen von der Unverwüstlichkeit dieser Oper. (...)


    Die ganze Gattung der Wiener Zauberposse ist uns längst entfremdet; alle einstigen Rivalen der Zauberflöte, selbst die letzten Ausläufer der Richtung (Raimnund), sind von den Bühnen verschwunden. Die Zauberflöte allein besaß in Mozart´s Musik einen wunderthätigen Schwimmgürtel, der sie über den Strom der zeit flott erhielt. Trotzdem bleibt sie das letzte, freilich höchste, Exemplar einer untergegangenen Race. Ein Fremdling seltsamen Gefieders, ein wundersam schillernder Papageno, steht sie gegenwärtig in der Reihe unserer übrigen großen Opern. (...)


    Selbst mit zahlreichen Äußerlichkeiten und Nebendingen wurzelt die Zauberflöte in dem alten Wiener Zauberspiele und hat von diesen eine Menge Elemente, die zu dem gegenwärtigen Begriffe der „Oper“ nicht passen. Mehrere dieser possenhaften oder volkstümlichen Elemente, wie den Tanz der wilden Tiere u. dgl., hat man schon beseitigt. Unseres Erachtens darf man in dieser Purifizierung nicht weiter gehen, will man dem Werke seine eigenthümliche Physiognomie nicht rauben. Treibt man die Bildung so weit, wie das Pariser Théâtre lyrique, welches die Schlange im ersten Acte, das Schloß vor Papgeno´s Mund, das alte Weib (Papageno´s Vorläuferin) u. s. w. ausmerzt, so bleibt uns eben ein Stück, das nicht Die Zauberflöte ist. Dagegen müssen das Publicum und die Kritik in Deutschland protestiren. Aber ein anderer Uebelstand kann und soll reformirt werden: die Albernheit und Trivialität der Diction. Sie ist kaum länger zu ertragen. Überzeugt uns doch jede Vorstellung, dass gerade in den ernsten Scenen der sprichwörtlich gewordene Zauberflöten-Unsinn eine Heiterkeit erregt, welche den Eindruck der Mozart´schen Musik paralysirt und mit der Würde eines ernsthaften Theaters unvereinbar ist. Wenn der weise Sarastro mit breitestem Pathos singt: „Wen solche Lehren nicht erfreu´n, verdienet nicht ein Mensch zu sein“ – wenn sein ebenso weiser Unter-Staatssekretär das schöne Geschlecht mit dem Ausspruch charakterisiert: „Ein Weib thut wenig, plaudert viel“ – wenn Pamina und Papageno ein gefühlvolles Duett mit dem endlos wiederholten Refrain: „Mann und Weib, Weib und Mann“ schließen u. s. w., so kann man doch unmöglich in der Stimmung bleiben. Dies sind Dinge, die eine erfahrene Hand mit zwei Federstrichen zu ändern vermag. Wenn diese Hand zuvor das französische Libretto der Flûte enchantée durchblättern wollte, würde sie manchen werthvollen Anhaltspunkt finden. Die französischen Bearbeiter haben der Mozart´schen Musik durchaus bessere, passendere Verse unterlegt, ohne den Charakter derselben zu alteriren.“


    Schöne Grüße
    Holger

  • Man sollte, bevor man am Schaum vorm Mund zu ersticken droht, vielleicht mal rekapitulieren, was üblich war, bevor das sog. "Regietheater" überhaupt erfunden wurde.


    Beinahe 200 Jahre lang, bis vor wenigen Jahrzehnten, wurden Opern normalerweise in die Publikumssprache übersetzt; oben wurden schon Beispiele für die damit einhergehenden inhaltlichen Änderungen genannt. Wir hatten schon mehrfach Diskussionen über Übersetzungen; die Meinungen sind hier gerade auch unter "konservativen" Opernfreunden durchaus unterschiedlich (und mit jeweils plausiblen Gründen).


    Ebenso war es völlig üblich auch in der Musik zu streichen, umzustellen, einzufügen etc.
    Im 18. und 19. Jhd. war man da völlig respektlos. (Die Idee eines "Respekts" vor einem ewigen Werk oder dessen Urheber ist zwar im Laufe des 19. Jhds. entstanden, aber gerade in Schauspiel und Oper spielte sie aus rein praktischen Gründen keineswegs die Rolle, von Bearbeitungen und Eingriffen abzuhalten. Oper war und ist eben auch Spektakel)


    Aber auch im 20. Jhd. wurde drastisch eingegriffen: Händel, Gluck, Purcell, Monteverdi wurden bis in die 60er/70er praktisch nur in Bearbeitungen gespielt. In Cosi fan Tutte und Figaro etliche Arien beinahe immer gestrichen. Don Giovanni ist bis heute in einer Mischfassung am weitesten verbreitet, die in dieser Form nie von Mozart komponiert/aufgeführt wurde (Ottavio kriegt heute fast immer beide Arien, aber hätte "eigentlich" nur eine von beiden). Carmen war bis vor wenigen Jahrzehnten ebenfalls nur in einer bearbeiteten Version (mit den nachkomponierten Rezitativen) verbreitet. Beim Maskenball haben wohlmeinende Bearbeiter das ursprüngliche Szenarium (König Gustav von Schweden) wiederhergestellt. Bei Opern mit Durchsetzungsschwierigkeiten aufgrund abstruser Handlungen (wie etwa Webers Euryanthe und Schuberts Opern) haben ganz unterschiedliche, der Bilderstürmerei weitgehend unverdächtige Musiker starke textliche Bearbeitungen vorgeschlagen oder vorgenommen (z.B. Tovey, Busch, Honolka).


    Ich finde den Vorschlag Brembecks aus schon genannten Gründen auch unausgegoren (der Text interessiert meistens einfach nicht genug). Aber es ist schlicht und einfach falsch, dass irgendjemand in den letzten 400 Jahren Operntexte als sakrosankt gesehen hätte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Und nun nenne mir bitte eine Instrumentalwerk, bei dem Dirigenten den "Apotheosendonner" entschlacken? In den Konzerten, die ich besuche, rumst es immer ganz schön. Ich sehe eine starke Hinwendung zu Schostakowitsch und Mahler. Und Werke vom Rand, auf die vielleicht am ehesten zutrifft, was Du meinst, vermisse ich auf den Programmen.

    Mahlers Musik ist bei mir eines meiner "Zentren", lieber Rheingold - und ich bin auch ein Schostakowitisch-Liebhaber. Eine Anekdote: In der Pause eines Konzertes in der Bielefelder Oetker-Halle treffe ich einen sehr liebenswerten Musik-Experten und Neue Musik-Anhänger. Das Gespräch kommt auf die 7. Mahler. Er: "Vor dem Finale verlasse ich den Saal, diese ruchlose Positivität ertrage ich nicht." :D Weil ich das anders sehe, habe ich den gewagten hermeneutischen Versuch in der Schublade, diesen Satz vor Adornos Verdikt zu retten. Da er aber ziemlich gewagt ist, liegt er nach wie vor in der Schublade... :D


    Im 19. Jhd. hatte man einfach keine Angst vor Wirkungsrhetorik und Theaterdonner, das nehmen dann viele Interpreten des 20. und 21. Jahrhunderts doch zurück. Dafür gibt es viele Beispiele.

    Auf meinem Tisch liegt die Kassette mit den frühen Erzählungen aus der aktuellen Thomas-Mann-Gesammtausgabe von S.Fischer. Mit 600 Seiten ist der Kommentarband genau so umfänglich wie der Erzählungsband. Eine sehr aufwändige Arbeit, die ich zu schätzen weiß. Wäre es nicht auch denkbar, die originalen Texte so zu bearbeiten, dass keine erklärenden Kommentare mehr nötig wären?

    ... dann schau mal hinein in "Doctor Faustus". Da gibt es auch etwas über den "Apotheosendonner", der als mephistophelisch gewertet wird. ;)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Nur ein Detail. Die Arie "Martern aller Arten" in der Entführung hat mich schon immer gestört. Formal ist das eine der berühmten Kofferarien, die die herumreisenden Sänger im Koffer bei sich hatten, um damit zu brillieren.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Nur ein Detail. Die Arie "Martern aller Arten" in der Entführung hat mich schon immer gestört.


    Warum das? Für mich ist sie eine der Höhepunkte dieses Singspiels.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.


  • Selbst die Kirche hat ja schon Bibelneuauflagen in zeitgemäßer Sprache herausgebracht. Liest sich tatsächlich flüssiger, damit auch leichter verständlich.


    Hoffentlich ohne Verfremdung, ohne Entstellung.


    Deshalb grundsätzlich keine schlechte Idee, die aber nicht allgemein, sondern immer auf den Einzelfall bezogen betrachtet und beantwortet werden kann.


    Ich frage mich allerdings, wie das vom Singen her funktionieren soll.


    Kann es eigentlich nicht ohne Einbußen zum Original, oder?

  • Die Martern-Arie ist offenbar ein Fremdkörper, eine sehr lange Seria-Arie mit konzertierenden Instrumenten in einem Singspiel. Aber andererseits erhebt eben gerade solch ein Fremdkörper die Entführung über ein schlichtes Singspiel hinaus. Wegen der konzertierenden Instrumente ist es sicher auch keine typische Einlege-Arie, da man nicht damit rechnen konnte, immer solch virtuose Oboisten usw. vor Ort zu haben.
    Es gibt einen Brief, in dem Mozart in etwa schreibt, er habe die Arie der Konstanze der "geläufigen Gurgel der [Primadonna]" geopfert; mir ist aber nicht bekannt, dass es ein alternatives älteres Stück, das eher im Singspielton verbliebe, je gegeben hätte. D.h. wenn Mozart da zuerst etwas anderes geplant hatte, hatte er das nur im Kopf.


    Ich werde die Zauberflöte immer wieder gerne gegen bornierte Einwände sowohl von Kritikern als auch Liebhabern verteidigen. Aber dass die mittelmäßige Poesie Schikaneders oder gar Stephanies sakrosankt sein müsste, sehe ich beim besten Willen nicht. Um das 1991er Mozartjahr herum habe ich mal ein Radio-Interview mit Erich Leinsdorf gehört, der damals meinte, man könnte Monostatos "weil ein Schwarzer hässlich ist" heute nicht mehr singen. Wie auch immer, ist gewiss nicht viel verloren, wenn man das umdichtet.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Holger, ich danke Dir für Deine Entgegnungen in den Beiträgen 42 und 44. Und ich werde mir zeitnah auch wieder einmal den "Doktor Faustus" hervorholen. Mehr jetzt nicht. Ich habe momentan nicht das geringste Verlangen nach Opernthemen wie diesem. Ich halte es mit Freund Caruso und höre lieber welche. Zum Beispiel die Busch-Aufnahmen aus Glyndebourne, die eben neu herausgekommen sind und im Forum an anderer Stelle angezeigt waren. Beglückend in ihrer musikalischen Harmonie. Bleiben wir gelassen. :hello:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich bitte nochmals um Nachsicht, dass ich mich ausgerechnet in dieser turbulenten Phase für drei Tage ausgeklinkt habe. In der Zeit hat sich einiges angesammelt, was ich jetzt nicht leicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann.
    Zu einigen Stichworten, die mir besonders wichtg erscheinen, ein paar Anmerkungen:


    Beim Einstellen dieses Threads ging es mir nicht um die Berechtigung von Strichen etc., die im Theaterbrtrieb gang und gäbe sind, sondern, aus aktuellem Anlass, um das von Brembeck geforderte Umschreiben von Operntexten, die nicht der besseren Verständlichkeit dienen, sondern das Stück der von den Autoren intendierten Absicht berauben. Das halte ich, um mich der guten alten Terminologie zu bedienen, für Frevel am Werk - umso mehr, je wertvoller dieses ist.
    Da erhebt sich natürlich die Frage: Wer legt den Wert fest? Gegenfrage: Wozu bemühen wir uns um einen Opernkanon, wenn wir den darin enthaltenen Stücken keinen besonderen Wert unterstellen? Und wozu gibt es Musikwissenschaftler, die uns Opernführer zur Verfügung stellen, wenn der Wert der darin enthaltenen Stücke nicht von Belang ist?


    Ein Operntest muss keine literarische Qualität haben (wie bei Hofmannsthal). Aber er sollte den Komponisten zu einem Drama (Tragödie oder Komödie) inspirieren, die über die Entstehungszeit hinaus ein Publikum fasziniert. Wenn es das aber tut, sollte weder am Text noch an der Musik herummanipuliert werden. Und bei Stücken, die diese Kriterien weniger erfüllen, stellt sich eher die Frage, ob das Stück überhaupt (noch) verdient, gespielt zu werden.


    Und da, glaube ich, sind die Übergänge fließend - und auch dem persönlichen Geschmack unterworfen. Nicht jedem, dem die Traviata sakrosankt ist, ist es auch die Clemenza di Tito (bei dem auch mir ein paar Arien genügen, der Rest wird auch durch neuen Text nicht logischer).


    Damit berühren wir das heikle Thema der Elite. Ich meine, es gibt allein in Sachen Oper verschiedene Eliten, die sich jeweils durch Sachkenntnis und Urteilsvermögen auszeichnen. Wagner braucht als Elite ein anderes Publikum als Mozart oder Verdi. (Leider ist es niemals vollzählig in der Aufführung anwesend, weder auf der Galerie noch im Parkett, Besitzer von Pressekarten eingeschlossen. Heute ist leider Der Elitebegriff zum Promi verkommen. Aber Oper braucht die wissende Elite, weil diese Gattung, als Musikdrama, hochkomplex ist. Mit Demokratie ist dieser Gattung nicht beizukommen.


    So viel fürs Erste, später noch andere Gesichtspunkte.


    Herzliche Grüße von Sixtus

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  • Zit. Sixtus: "Oper braucht die wissende Elite".
    Was, bitte, ist das, - eine "wissende Elite"? Wäre es möglich, diesen Begriff näher zu erklären, indem er mit Inhalt gefüllt wird? Ist damit ein Publikum gemeint, das über ein geschultes - aufgrund von Erfahrung gut ausgebildetes - Rezeptionsvermögen verfügt? Wenn ja, warum wird dann dafür der Begriff "Elite" verwendet? Oder ist der Begriff doch ganz anders gemeint, - als soziologische Kategorie etwa?


    Zit. Sixtus: "Mit Demokratie ist dieser Gattung nicht beizukommen"
    Diese Feststellung ist mir noch weniger verständlich. In welchem sachlichen Zusammenhang stehen hier "Oper" als musikalische Gattung und "Demokratie" als Staatsform? Und wie ist das Verb "beikommen" zu verstehen? Geht es dabei um den Komplex "Rezeption"? Um die Relation "Oper-Publikum", - in dem Sinne etwa, dass ein in seiner Zusammensetzung für eine demokratische Gesellschaft repräsentatives Publikum für eine Oper ungeeignet ist?
    Oder zielt diese Feststellung auf den Themenkomplex "Regie" und "Inszenierung" ab?
    Und noch etwas: Kann man derlei generalisierende Feststellungen angesichts der Vielfalt der historischen Erscheinungsformen von "Oper" - und der dahinterstehenden Intentionen ihrer kompositorischen Schöpfer - eigentlich guten Gewissens treffen?


    Das sind alles Fragen, die sich mir als Leser dieses Beitrages gestellt haben. Ich füge sie ihm als ganz und gar subjektive, nicht mit irgendeinem diskursiven Anspruch verbundene Fragen an.

  • Lieber Helmut Hofmann,


    vielleicht ist der Begriff "wissende Elite" unglücklich gewählt. Aber die Gattung Oper ist, allen gegenteiligen Behauptungen zum Trotz, ein so komplexes, aus so vielen Elementen zusammengesetztes Gebilde, dass es mir ziemlich unsinnig vorkommt, so etwas wie "Oper für alle" zu postulieren. Das Opernpublikum ist ohnehin eine kleine Minderheit in der Gesellschaft. Aber es wäre vermessen, selbst diese als Elite zu bezeichnen. Sie besteht vor allem aus Liebhabern populärer Opern bzw. aus eher gewohnheitsmäßigen Besuchern, den Abonnenten.


    Unter diesen Opernliebhabern gibt es wieder eine Minderheit, die sich tatsächlich über das Fan-Stadium hinaus entwickelt hat. Sie hat sich, mehr oder weniger, Sachkenntnisse erworben, nicht nur durch Studiengänge, sondern auch durch Erfahrung oder Praxis im Umgang mit der Materie. Das meine ich mit "wissender Elite": eine kleine Minderheit, die sich intensiv mit Oper befasst - und dadurch Kenntnisse erworben hat.


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Ich habe vergessen, das Verhältnis der Gattung Oper zur Demokratie zu erläutern.
    Seit der Florentiner Camerata, also den Gründungsvätern der Gattung, hat sich die Oper ganz unter den Bedingungen des italienischen und später des französischen Feudalismus entwickelt. Später wurde auch das europäische Großbürgertum ein Träger dieser Kunstform - lange bevor sich in Europa die Demokratie als Gesellschaftsmodell durchsetzte. Oper war also gewissermaßen die kulturelle Schaumkrone der Aristokratie, bevor sie zum Ausweis der Zugehörigkeit zum Großbürgertum mutierte. Wer in die Oper ging, "gehörte dazu": zum Geldadel, zum Großbürgertum, später zu dem, was wir heute das Bildungsbürgertum nennen.


    Kurzum: Die Gattung Oper ist, wie alle klassische Musik und Literatur, zutiefst im Qualitätsdenken der Klassengesellschaft verankert - und ist in unserer heutigen demokratisch verfassten Gesellschaftsform eher ein Fremdkörper. Deshalb wird auch immer wieder versucht, sie unter fadenscheinigen Vorwänden in unsere Zeit zu verpflanzen. Das dürfte auch einer der Hauptgründe sein, weshalb hier so erbittert über Inszenierungen gestritten wird. Oper wird von den maßgebenden Kulturmachern heute auf Gedeih und Verderb ins Heute katapultiert (neuerdings sogar durch sinnwidrige neue Texte) - wo sie nun mal nicht hingehört.


    Wer heute noch diese vorgestrige Gattung hören will (und ich rechne mich zu denen), dem sollte aber die Möglichkeit geboten werden, sie so zu hören, wie sie von ihren Autoren gemeint war. Alles andere sollte besonders gekennzeichnet werden: als "Frei nach...", "Variation über..." und dergleichen.


    Ich glaube, dass diese Überlegungen, wenn sie ernst genommen werden, viel von den ewigen Pseudo-Diskussionen über dieses Thema überflüssig machen würde.


    Das meint allen Ernstes und ohne Abstriche, aber mit herzlichen Grüßen - Sixtus

  • Dass die Oper eine "elitäre" Gattung gewesen sei, kann man glaube ich schwerlich behaupten. (Wohl gemerkt geht es um die "Gattung" (!) Oper.) Sie hat vielmehr in vielerlei Hinsicht das erfüllt, was heute das Unterhaltungsfernsehen und das Kino erfüllen. Davon zeugen z.B. die Balletteinlagen in der französischen Oper. Dazu kommt, dass Opern gerade im Barock auch noch Mode-Shows waren, wo die neuesten Kleider und Hüte präsentiert wurden. Und es gab schon bei Händel Protest gegen die Oper für Adlige mit ihren mythologischen Stoffen durch das Bürgertum. Natürlich war die Unterhaltung für Adlige durchaus anspruchsvoll (barocke Allegorien etc.). Das hat aber damit zu tun, dass der Adel nicht gearbeitet hat, viel Zeit hatte und sein Grundproblem war, sich zu langweilen. Also hat man sich die Langeweile mit Bildung vertrieben. Heute dagegen gibt es eine Arbeitsgesellschaft und eine Unterhaltungsindustrie, welche mit ihrer seichten Kost jede freie Minute ausfüllt. Da kann man nach den Gründen für einem gewissen Bildungsverfall suchen. Mit der Demokratie hat das aber nun wirklich nicht das Geringste zu tun.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Sixtus,


    Kurzum: Die Gattung Oper ist, wie alle klassische Musik und Literatur, zutiefst im Qualitätsdenken der Klassengesellschaft verankert - und ist in unserer heutigen demokratisch verfassten Gesellschaftsform eher ein Fremdkörper.


    ich muss gestehen, ich kann mit "demokratisch" momentan auch nichts anfangen, aber vielleicht verwenden wir den Begriff unterschiedlich.


    Wäre


    und ist in unserer heutigen" modernen" Gesellschaftsform eher ein Fremdkörper.


    in Ordnung?



    Nette Grüße


    Karl

  • Meine letzten beiden Beiträge (52 und 53) waren eine Antwort auf die Nachfragen von Helmut Hofmann (51).


    Ich habe nicht die Absicht, ihre Zerpflückung durch Dritte zu kommentieren - hoffe vielmehr auf die Kommentare derer, die verstanden haben, worum es mir geht: zu zeigen, dass die Gattung Oper, wenn sie in populistisch anbiedernder Absicht textlich verändert wird (weil das womöglich einer Mehrheit gefällt), dadurch eine Art Jungbrunnen erfährt.


    Das Gegenteil wird erreicht werden: Die Sachkundigen im Publikum werden sich abwenden, und ein vorwiegend junges, unkundiges, manipuliertes Event-Publikum wird an seine Stelle treten. Wenn also ein "Operntod" zu befürchten ist, dann nicht durch den Respekt vor dem Werk, sondern, im Gegenteil: durch die immer dreistere Demontage und Verfälschung der Klassiker.


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Einzige bin, der das so sieht - im Gegenteil: Aus der Mehrzahl der Beiträge zum Thema geht eher hervor, dass ich hierbei offene Türen einrenne - wo sind diese Türen: alle im Urlaub?

  • Danke, lieber Sixtus, dass Du dich auf meine Fragen eingelassen und sie nicht als Kritik an Dir aufgefasst hast (was sie ja auch tatsächlich nicht waren). Ich glaube, jetzt habe ich begriffen, worum es Dir in den beiden Bemerkungen ging, die mir unklar geblieben waren. Deine Feststellung "dass es mir ziemlich unsinnig vorkommt, so etwas wie "Oper für alle" zu postulieren" hat mich erkennen lassen, dass sie aus Deiner Auseinandersetzung mit der in diesem Thread thematisierten Idee hervorgegangen sind.
    Nebenbei: Müsste es in Deinem letzten Beitrag nicht heißen: "...wenn sie in populistisch anbiedernder Absicht textlich verändert wird (weil das womöglich einer Mehrheit gefällt), dadurch keine Art Jungbrunnen erfährt. " (bei Dir heißt es "eine")?


    Ich stimme Dir darin übrigens völlig zu. Die Idee, einer Oper ein anderes Libretto unterzuschieben, um sie für möglich breite Schichten der heutigen Gesellschaft eher zugänglich werden zu lassen, halte ich für schlechterdings indiskutabel und unsinnig. Sie ignoriert das Wesen der Opernmusik, bei der es sich ja doch nicht um absolute, sondern genuin textgenerierte Musik handelt. Der Text stellt ja nicht einfach eine Basis dar, über die dann die Musik gelegt wird, sondern diese reflektiert ihn in seiner Semantik und seiner sprachlichen Struktur, ist also eine unauflösliche Einheit mit ihm eingegangen. Eine Wegnahme des Textes und eine Ersetzung desselben durch einen anderen macht sie damit sinnleer, beraubt sie ihrer Aussage und hat eine Destruktion der ganzen Oper zur Folge.

  • Man kann das offenbar nicht über einen Kamm scheren. Elitärer als die Florentiner Camerata und der Beginn der Oper geht kaum.
    Aber die italienische und französische Oper der 19. Jhds. war verglichen damit ein "Massenprodukt" (und auf breiten Erfolg angewiesen). Elitäre und avantgardistische Künstler wie Wagner hatten große Schwierigkeiten und wären ohne einige großzügige Sponsoren (wie etwa Ludwig von Bayern) aufgeschmissen gewesen.

    Man kommt mit historischen Vorbildern eh nicht weiter, weil die Situation seit etwa 100 Jahren, dass fast nur alte Opern gespielt werden, gegenüber den 300 Jahren vorher völlig neu ist. In der Vergangenheit wäre es überhaupt keine Frage gewesen, dass man, wenn man ein altes Stück "aufwärmt", man das Stück bearbeiten muss. Händel oder Mozart haben Opern überarbeitet, wenn sie sie ein paar Monate oder wenige Jahre später nochmal auf die Bühne gebracht haben. Die "Integrität" des Kunstwerks, das vor zwei Jahren in einer anderen Stadt gegeben wurde, war nahezu egal. (Und das galt natürlich auch, wenn es das Stück eines anderen Komponisten gewesen war; auch hier wurde eingegriffen, umarrangiert usw.)


    Aber es war eben selbst im 19. Jhd. noch eher die Ausnahme, ein altes Stück (wie Mozart oder Gluck) zu spielen, vorher gab es das auch nicht. Daher kann man sich auch schlecht ein Beispiel aus der Praxis vergangener Jahrhunderte nehmen, weil die sich eben in beinahe jeder Hinsicht anders war als seit den 1920ern oder so.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Sixtus,


    eigentlich hast du ja eine Diskussion gewünscht.


    Wenn dann nachgefragt wird, weil die gewählte Formulierung nicht so recht verstanden wird, sollte das nicht als ein Versuch des Zerpflückens missgedeutet werden.


    Ist es in meinem Fall wirklich nicht.


    Für mich ist übrigens Holgers Beitrag Nr.54 gedanklich nachvollziehbar und lenkt den Focus auf die sich veränderten Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft.


    Meine Meinung: Wandlung gehört dazu, Rückbesinnung kommt irgendwann von selbst (wenn mit verstümmelten, zerschundenen Aufführungen kein Geld mehr zu verdienen ist).


    Es grüßt


    Karl

  • Ich habe nicht die Absicht, ihre Zerpflückung durch Dritte zu kommentieren - hoffe vielmehr auf die Kommentare derer, die verstanden haben, worum es mir geht: [...]

    Aha, einmal mehr die Strategie: Kritische Anmerkungen sind "Zerpflückung" und verstanden hat so jemand gleich garnichts, mit so jemandem redet der Herr Sixtus dann auch nicht ...


    Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich der Einzige bin, der das so sieht - im Gegenteil: Aus der Mehrzahl der Beiträge zum Thema geht eher hervor, dass ich hierbei offene Türen einrenne - wo sind diese Türen: alle im Urlaub?

    Was möchtest Du denn hören bzw. lesen, damit es in Deinem Sinne verstanden worden ist?


    Es erscheint nicht sinnvoll, Operntexte beliebig zu verändern. - Sicher richtig!
    Es erscheint nicht sinnvoll, Operntexte zu verändern. - Sicher falsch!


    Und schließlich:


    Damit berühren wir das heikle Thema der Elite. Ich meine, es gibt allein in Sachen Oper verschiedene Eliten, die sich jeweils durch Sachkenntnis und Urteilsvermögen auszeichnen. Wagner braucht als Elite ein anderes Publikum als Mozart oder Verdi. (Leider ist es niemals vollzählig in der Aufführung anwesend, weder auf der Galerie noch im Parkett, Besitzer von Pressekarten eingeschlossen. Heute ist leider Der Elitebegriff zum Promi verkommen. Aber Oper braucht die wissende Elite, weil diese Gattung, als Musikdrama, hochkomplex ist. Mit Demokratie ist dieser Gattung nicht beizukommen.

    Sicher unsinnig!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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