Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate", CD (DVD)-Renzensionen und Vergleiche (2017)

  • Lieber Holger,


    ich habe sowohl für Gelber eine Karte bekommen als auch für Sokolov in Münster. Was ich genau vorhabe in der nächsten Saison, kannst du hier lesen:


    Meine vorläufige Saisonplanung an Konzert-(Opern)besuchen


    Erstmal fahr ich am nächsten Dienstag nach Kiel, um Soklov für dieses Jahr doch noch zu besuchen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eigentlich wollte ich heute Abend noch meine Rezension der Gould-Einspielung vorlegen, aber es gab aus meiner Sicht soviel darüber zu sagen, dass ich bisher nur mit dem Kopfsatz durchgekommen bin. Ich muss euch also auf morgen vertrösten.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi


    Wird auch Michael Leslie bei dir vorkommen? Ich bin auf deine Meinung da sehr gespannt


    Herzliche Grüße


    Hans

  • Lieber Hans,


    natürlich wird er vorkommen, aber vorher wirst du noch vorkommen, und zwar habe ich dich in meiner laufenden Besprechung genannt. Vor zehneinhalb Jahren hast du zu dieser Aufnahme (siehe Beitrag Nr. 92), bei Amazon eine Kurzrezension verfasst, und aus der habe ich das Eine Und Andere zitiert, weil es sich auch ziemlich mit dem deckte, was ich beim Hören empfunden habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Glenn Gould, Klavier
    AD: 12/1970
    Spielzeiten: 11:04 (14:20)-2:49-20:42-13:33 --- 48:08 (51:24) min.; (Die Zeit in Klammern wäre entstanden, wenn er die Exposition wiederholt hätte).



    Ich darf dieser Interpretation vielleicht einen Ausschnitt aus einer Kurzbesprechung unseres Taminofreundes Sagitt vom Februar 2007 vorausschicken, die dieser bei Amazon einstellte:

    Zitat

    Sagitt: Gould und Beethoven, das war immer ein Spannungsverhältnis. Teilweise wirklich sehr spannend, auch wenn Gould bei Beethoven deutlichst seine Marotten hatte, meistens zu schnell, teilweise extrem langsam. Die Hammerklaviersonate gehört eher in die zweite Kategorie.


    Zumindest, was den Kopfsatz betrifft, kann man dem zustimmen.
    Wenn man berücksichtigt, dass Glenn Gould die Exposition nicht wiederholt, dann ist er im Kopfsatz 1 Minute langsamer als Sokolov, der diesen Satz gleichwohl sehr spannungsreich gespielt hat, desgleichen der temporal vergleichbare Barenboim.
    Zumindest, was bis hierhin die Hauptthemen I und II (Takt 1 bis 34) betrifft, muss ich unserem Hans Recht geben, wenn er hier eine gewisse Spannungslosigkeit und Beliebigkeit sieht bzw. hört. Hinzu kommt noch, dass die teils gewaltigen dynamischen Kontraste in diesen ersten beiden Abteilungen des Hauptthemas, die Sokolov und Barenboim so wunderbar herausarbeiten, bei Gould gar nicht so ins Gewicht fallen, dass man Beispiels weise in Hauptthema II die Piano-Phrasen Takt 18 20 und 22 gar nicht so unterscheiden kann, weil er sie gegenüber den Fortephrasen (im Wechsel) zu laut spielt.
    Auch temporal sehe bzw. höre ich Ungereimtes. So spielt er z. b. die ersten sieben Takten des Hauptthemas I bereits so langsam, dass das Ritartando in Takt 8 sich kaum davon absetzt. Erst am Ende des Hauptthemas II im langen Ritartando ist er konsequent und spielt das Diminuendo-Ritartando von Takt 31 bis 34 so langsam und geht temporal so zurück, dass e sehr deutlich wird und unglaublich ist im Ausdruck.
    Hier zeigt er, dass es selbst bei diesem langsamen Tempo möglich ist, einen Spannungsbogen aufzubauen wie Sokolov oder Barenboim, wenn man die dynamischen und Temporalen Anweisungen genau befolgt.
    Zudem fehlt der in diesem langsamen Tempo gespielten Überleitung die Leichtigkeit, und im Seitenthema fällt es ihm offenbar in diesem Tempo schwer, die dynamischen Bewegungen, die auch in dieser kristallinen Musik des Diskants die gewisse Schwerelosigkeit verleihen, partiturgerecht darzustellen. Auch die Tempowechsel in der 2. Phase das Seitensatzes kommen m. E. nicht deutlich genug heraus. Das ganze Konstrukt kommt ziemlich erdenschwer daher, was auch noch mal in den anderweitig behände gespielten Bögen der 3. Phase zum Ausdruck kommt.
    Und im Cantabile im 1. Gedanken der Schlussgruppe ist das doch ziemlich zäher "Gesang", sind das eher buchstabierte Töne, die man fast unter keinen Bogen mehr zwingen kann.
    Auch an der Einleitung der Durchführung fällt noch einmal auf, was ich schon eher sagen wollte, dass er die jeweiligen Fermaten nämlich endlos ausdehnt.
    Und in den beiden ff-fp-Figuren in Takt 134 mit Auftakt und Takt 136 mit Auftakt spielt er gar Fermaten, wo keine notiert sind.
    Der Kern des Fugatos beginnt im gemütlichen Allegro moderato, nicht wie im anderen Wortsinn von "Fuga" auch eine bestimmte Tempovorstellung damit verbunden ist. Zumindest dynamisch legt er im zweiten und dritten Einsatz doch erheblich zu.
    In der zweiten Hälfte des Durchführungskerns ist mir wieder zu wenig von den erheblichen dynamischen Kontrasten vorhanden. Es fehlen die piano-Phrasen, es ist bestenfalls mezzopiano. Der Spannungsbogen ist durch kontrastreiche Dynamik besser hochzuhalten als durch kontrastarme Phrasen.
    Wo er im Stillstand konsequent weiter verlangsamt und dynamisch zurückgeht, kommt in der Tat die Musik beinahe zum Stillstand. Aber ich habe auch schon das Gegenteil gehört, dass sie kaum langsamer und leiser wird. Auch das namentliche "Espressivo" ab Takt 205 leidet unter dem allzu langsamen Tempo. Das tropft zäh, anstatt organisch zu fließen, wie es der Legatobogen vorschreibt.
    Erst am Ende der Durchführung in den vier glissandoähnlichen Takten 223 bis 226 legt er hörbar temporal zu. (Interessanterweise habe ich bis zum Zeitpunkt von 6:08 Minuten (zu Beginn der Reprise) genau 608 Wörter geschrieben).
    Die Reprise selbst beginnt noch einigermaßen partiturgerecht in dynamischer Hinsicht, wenn auch hier weiterhin mit niedrigem Grundtempo, jedoch ist im zweiten Abschnitt, der in der Exposition dem Hauptthema II entspricht, von dynamischen Kontrasten (wie vorgeschrieben zwischen p und f) kaum noch etwas zum merken. Stattdessen lässt er sich von den oktavierten Forteakkorden im Diskant hinreißen, die er mindestens im Fortissimo spielt, wodurch die jeweils im Takt danach notierten Piano-Phrasen mindestens mezzoforte ausfallen, und das Ritartando am Ende kommt dem Beethovenschen Kontrastgedanken noch am nächsten.
    Nach der Rückleitung spielt er die Crescendi in der 1. Phase des Seitensatzes dann eher wie Diminuendi, und zwar alle drei, ab Takt 283, 287 und 291. In der 3. Phase sind die moderaten dynamischen Bewegungen ab Takt 307 nicht wahrzunehmen. Lediglich der den Seitensatz abschließende Schlussanstieg ab Takt 319 im Diskant kommt manierlich über die Bühne.
    Das Cantabile im 1. Gedanken der Schlussgruppe tropft wieder zäh dahin, fast als wenn er sich in dieser Stelle verliert.
    Selbst die grandiose Coda, die für gewöhnlich ein pianistisches Feuerwerk ist, kommt hier mit einer seltsamen Schwerfälligkeit daher. Noch vertreibe ich den Gedanken von "Karikatur", aber wie lange noch?
    Wie sagt Sagitt am Ende seiner kurzen, konzentrierten Rezension noch so schön:

    Zitat

    Als Gould-Dokument entbehrlich.

    Zumindest, was den Kopfsatz betrifft, kann ich nicht das Gegenteil behaupten.


    Wie viel anders und frischer klingt doch das Scherzo, zumindest in Thema, Fortsetzung und Mittelteil. In der Wiederholung schludert er allerdings wieder mit der Dynamik. da spielt er z. B. die beiden kleinen mit "pp" notierten Bögen in Takt 26 mit Auftakt mindestens im Mezzoforte. Auch in den weiteren Dynamikwechseln war mir da bis zum Diminuendo zu wenig Piano im Spiel, auch in den drei pp in Takten 39, 40 und 41.
    Gegen das Trio kann man nichts sagen. Das wogt und zeigt auch dynamische Kontraste bzw. Bewegungen. Das Presto beginnt m. E. wieder zu langsam, fast wieder wie eine Parodie. Da legt er erst im Crescendo auch temporal zu.
    Im reprisenförmigen Tempo I ab Takt 113 mit Auftakt macht er wieder die Fehler aus dem Scherzo: die Piano-Stellen muss man mit der Lupe bzw. mit den Ohren suchen.


    Das Adagio beginnt er der Partitur entsprechend, allerdings hätte ich mir in Takt 5 eine dynamische Abwärtsbewegung gewünscht. Diese vollzieht er erst in Takt 12. Das sind alles so Kleinigkeiten, die sich aber häufen. Auch der andernorts elysische hohe Bogen in Takt 14/15 klingt bei ihm ein wenig "unbewegt". Und warum crescendiert er plötzlich in Takt 19, wo ein "p" notiert ist? Dadurch geht auch der notierte dynamische Impuls am Ende von Takt 20 unter.
    Und die große dynamische Bewegung, die Beethoven in Takt 21/22 notiert hat, fällt ganz aus. Das spielt Gould durchgehend pianissimo. Das habe ich doch zumeist ganz anders gehört.
    Allerdings spielt er den berühmten Takt 27 mit den drei Staccato-Sechzehnteln und den dazwischen liegenden Sechzehntelpausen korrekt, das muss auch gesagt werden.
    Im nächsten dynamisch noch bewegteren Abschnitt hin zu der überirdischen Überleitung gerät er ins Swingen, was mir aber wohl gefällt. Diese Stelle gefällt ihm selbst offenbar auch. In der Überleitung selbst hört sich seine Lesart wieder etwas einförmig an.
    Den ersten Teil des himmlischen Seitenthemas spielt er zufriedenstellend, aber im zweiten Abschnitt, in der scheinbaren Beschleunigung durch die Sechzehnteltriolen ab Takt 49 setzt er das Crescendo schon mit Beginn des Oktavgangs im Diskant an, statt einen Takt später, und dann ist es auch mehr ein subito mezzoforte. Erst am Ende dieser Sequenz im "una corda" ab Takt 57 mit Auftakt spielt er wieder dynamisch korrekt. Der anschließende Übergang zur Durchführung gefällt mir dagegen gut. Hier spielt er in der tiefen Lage ruhig und leise, wie es gehört. Ab Takt 63 wird es gar atemberaubend. Durch den glänzenden Einfall, hier ein Ritardando zu spielen, und das auch noch sehr ausdrucksstark, wirkt die Stimmung hier stark verzaubert.
    Die kurze dynamische Durchführung spielt er m. E. maestoso, was mir ebenfalls sehr gut gefällt.
    Auch die Reprise, namentlich in der Zweiunddreißigstelsequenz, Takt 87 bis 103, gefällt mir ausnehmend, auch dank der hier sorgfältigen Beachtung der vielen dynamischen Richtungswechsel und der dadurch erreichten Spannung und musikalischen Tiefe.
    Im nächsten Abschnitt, ab Takt 104, spielt er aber frühzeitig so langsam, dass ein, wie vorgeschrieben, regelrechtes Ritardando nicht zustande kommt.(Das war auch ein Punkt, den Joachim Kaiser generell bemerkte, dass man das als Pianist bei seiner Tempowahl beachten sollte, dass hier die Musik sechs lange Takte lang immer langsamer werden muss).
    Das "a tempo" ab Takt 113 gefällt mir auch in seiner Expressivität mit Ausnahme des Schlusses in der nun anders gestalteten Überleitung zum Seitenthema. Hier geht er nach dem "piu crescendo" in Takt 123 im "p espressivo" nicht zurück, so dass er eigentlich das nächste Crescendo ab Takt 126 auf der Zwei aus einem satten Mezzoforte starten muss, was dann am Ende von Takt 128 leicht tumultuös wird.
    Beim zweiten Durchgang des Seitenthemas bekommt er wieder Schwierigkeiten mit seiner Dynamikwahl. Das letzte notierte vorherige Dynamikzeichen war in Takt 123 das "p espressivo", und am Beginn des Crescendo in Takt 140 ist er bereits wieder im satten Mezzoforte und am Ende von Takt 141 nahe dem Fortissimo, und noch kritischer ist die Zweiunddreißigstelsequenz ab Takt 144, die zwischen p und pp mit dazwischenliegen Diminuendi notiert ist. Hier spielt er die Akkorde ab Takt 145 "pp una corda" und den ganzen Takt 146 in kraftvollen "Forte-Glockenschlägen". Warum?
    Und dann Takt 153 explodiert fast im Fortissimo. Da steht nur! ein dynamischer Akzent.
    Einzig im Crescendo in der Coda ab Takt 162, das ja wirklich heftig ist, ist seine Dynamikwahl akzeptabel. Alles andere, was ich hier angeführt habe, ist willkürlich "nachkomponiert".
    Und die Takte 166 und 167 "una corda" spielt er mindestens im Forte Fortissimo. Erst am Ende des nun folgenden sechstaktigen Ritardando spielt er ein Diminuendo, was ja gar nicht nötig gewesen wäre, wenn er nicht vorher so unerträglich laut geworden wäre.
    Auch den Schluss ab dem Diminuendo in Takt 178, der spätestens ab Takt 180 im Pianissimo steht, habe ich noch nie so laut "verdämmern" gehört.


    Das Largo (Takt 1 und 2) spielt er im richtigen Tempo und dynamisch annehmbar. Auch das "un poco piu vivace" finde ich angemessen.Das Allegro (Takt 3 bis 8) spielt er weitaus langsamer als alle anderen bisher gehörten 27 Pianisten. Auch das Tenuto ist wieder vergleichsweise langsam, passt aber zu seiner vorherigen Tempowahl. Natürlich ist sein "Prestissimo" keines.
    Dafür spielt er die Fuga, zunächst im I. Teil, der Exposition B-dur, sehr hörerfreundlich. Sie ist mühelos zu verfolgen. Er spielt sie etwa im Tempo Sokolovs und im Ton Bachs.
    Dieser erste Abschnitt gefällt mir außerordentlich. Es ist so, als ob er erst jetzt angefangen wäre, ernsthaft zu spielen.
    Auch der II. Teil, die Vergrößerung des Themas liegt glasklar vor uns, und die vielstimmigen Melodieverläufe und der vertrackte Rhythmus sind gut zu unterscheiden. Er spielt das Ganze, ich würde sagen, mit großer Vehemenz, als Allegro maestoso, aber durchaus auch zupackend, entschlossen, also "risoluto".
    Der III. Teil, der Rücklauf des Themas in h-moll, liegt in seltener Klarheit vor uns, und auch im IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur, bleibt er in diesem Modus. Dis ist etwas, das er gerne spielt, das merkt man. Beethoven durch die Brille Bachs. Da braucht man nicht erst bis zum V. Teil, der Durchführung des 2. Themas in D-dur zu warten.
    Von diesem hätte ich allerdings mehr erwartet. Dynamisch hält er es wunderbar in Bewegung, aber temporal hebt er das so wichtige Ritartando kaum hervor. Schade.
    Vor allem fällt auch ins Gewicht, dass das von den anderen so überaus deutliche Absetzen des Vi. Teils, der gleichzeitigen Verarbeitung des 1. und 2. Themas in B-dur, bei ihm kaum stattfindet, denn er spielt nicht wirklich "a tempo", sondern eigentlich fast im gleichen Tempo weiter, dafür aber wenigstens mit großer Dynamik, und in der Tat wird ja auch die zweifache Verarbeitung des 1. Themas ab Takt 294 von Beethoven im Fortissimo vorgeschrieben, dem er sich mit Freude zuwendet.
    Das ist dann aber auch fast durchgehend bei ihm Fortissimo, ein lautes Vorwärtswühlen, wo ein vorgeschriebenes Crescendo oder Piu crescendo überhaupt nicht mehr auffällt.
    Auch die Coda, die bei Anderen einen schwungvollen abschließenden Vorwärtsdrang bedeutet, geht bei ihm langsam dahin. Und das ritardando - poco adagio (ab Takt 378 bis 384 auf der Eins) ist bei ihm eher ein Adagio molto ritartando. Da hilft dann auch das (nicht pp), sondern sofort kernig begonnenen Tempo I (ab Takt 384) nicht mehr.


    Wie sagt Sagitt noch in seiner Kurzrezension so schön:

    Zitat

    Er gibt in einem Brief zu, die Geheimnisse dieser Sonate nicht entschlüsselt zu haben. Warum nur eine Aufnahme davon ?"


    Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Höchstens dies: War es wirklich keine Parodie?


    Liebe Grüße


    Willi :(:(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Lieber Willi, ich muss mal auf meiner Platte schauen, ob ich op. 106 mit Gould habe. Ich glaube, da werde ich wohl zum selben Ergebnis kommen, wenn ich das höre... :D :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Maria Grinberg, Klavier
    AD: 1966
    Spielzeiten: 10:57-2:54-16:50-12:33 --- 43:14 min.,


    Maria Grinberg spielt das Hauptthema mit großer Dynamik, auch in den pp-Tiefen, beachtet jedoch das Ritardando in Takt 8 kaum und das wesentlich größere in Takt 32 bis 34 überhaupt nicht- schade!
    Die Überleitung (ab Takt 39) und die erste Phase des Seitenthemas sind dann wieder sehr überzeugend. Interessanterweise stimmt nun auch der mehrmalige Tempowechsel in der e. Phase ab Takt 54 mit Auftakt- rätselhaft, warum sie das im Hauptthema II nicht beachtet hat. Auch die 3. Phase des Seitenthemas mit ihren eruptiven dynamischen Verläufen und die Schlussgruppe mit der großen Ausdrucksskala vom berückenden Cantabile bis zum furiosen Crescendo, hin zum Ende der Exposition, spielt sie grandios.
    Natürlich wiederholt auch sie die Exposition und ist temporal etwas schneller als Richard Goode und erheblich schneller als Glenn Gould, der ohne Wiederholung exakt so lang braucht wie Maria Grinberg mit.
    Auch in der Wiederholung spielt sie über das wichtige Ritartando aus Takt 32 bis 34 leider wieder hinweg.
    Die Einleitung der Durchführung spielt auch sie mit großer Kraftentfaltung, wie wir überhaupt bisher von ihr erfahren haben, dass dynamische Kontraste jedweder Art in den Beethovensonaten nicht ihr Problem sind.
    Wunderbar spielt sie zu Beginn des Durchführungskerns di quasi überleitenden Glockenschläge Takt 134 mit Auftakt und Takt 136 mit Auftakt.
    Das Fugato spielt sie von Beginn an mit einer höheren Grundlautstärke, ich würde sagen, von einem kräftige mp ausgehend, die verschiedenen Einsätze schön voneinander abhebend. Grandios ist m. E. vor allem der zweite Teil des Fugatos, in dem der Themenauftakt durchgeführt wird. Ganz atemberaubend ist da nach den jeweiligen sfp-Achteln ab Takt 179 mit Auftakt das lange Crescendo zu nennen (ab Takt 188 mit Auftakt. Leider endet dieser bis dahin grandiose Abschnitt wiederum mit einem für mich unzulänglichen Diminuendo-poco Ritardando. Das habe ich schon häufig wesentlich überzeugender gehört, zuletzt vom wunderbaren Richard Goode, an dessen Live-Auftritte beim Klavierfestival Ruhr, auch als Beethoven-Pianist, ich mich gerne zurückerinnere.
    Das Cantabile-Espressivo, das sich anschließt, gerät ihr dagegen wieder, wie ich finde, ausgezeichnet., desgleichen der letzte durchführungsteil.
    Und oh Wunder, zu Beginn der Reprise, in der Modulation ab Takt 234, spielt sie ein Ritardando, als wenn sie es extra erfunden hätte, und etliche Takte weiter, am Ende des Hauptthemas II, Takt 264 bis 266, also 232 Takte später als in der Exposition, hat sie das alles wieder vergessen.(?)
    Auch hier kann ich wie in der Exposition konstatieren, dass sie die Tempowechsel in der 2. Phase des Seitenthemas wieder hinbekommt, eine wunderbaren neuerlichen Cantabile-Gedanken in der Schlussgruppe spielt und den 2. Teil auf dem Triller in gleicher Qualität anschließt, was auch für die wundersame Coda gilt.


    Am Scherzo, das sie etwas langsamer als Gould und wesentlich langsamer als Goode nimmt, kann ich nichts aussetzen, Hier beachtet sie sehr genau die dynamischen Akzente und auch die Akzentverschiebungen.
    Dem Trio bekommt das langsamere Tempo in besonderer Weise. Die Achteltriolen sind wunderbar zu unterscheiden und die Musik wiegt in einem ruhigen Dreiertakt, und das Presto spielt sie atemberaubend.
    Im Tempo I ist die zusätzliche Achtel im Alt gut zu vernehmen, andererseits ist mit hier auch die -Grundlautstärke, ähnlich wie schon bei Richard Goode im Scherzo, also dem 1. Teil, zu hoch. Da steht unverändert "p" notiert, nicht "mf".
    Allerdings ist abschließend zu bemerken, dass sie das letzte Ritardando Takt 164 bis 167, wunderbar spielt. Also auch hier, wie im Kopfsatz, viel Licht, doch auch mancher deutliche Schatten!


    Im Adagio ist Maria Grinberg sehr viel schneller als Glenn Gould, fast 4 Minuten, aber nur etwa eine viertel Minute schneller als Richard Goode.
    Van Anfang an legt sie, wie ich finde, viel Gefühl in ihr Spiel (ich will noch nicht von russischer Seele sprechen, aber anscheinend entwickeln die russischen Pianisten eine besondere Affinität für diesen Satz, wie ich heute noch in einem Porträt Evgeny Kissins von Matthias Konermann in der neuen FONO FORUM lesen konnte:


    FF, S. 32: Vor wenigen Wochen erst hat er den "Everest" der 32 bezwungen, die Hammerklaviersonate.

    Zitat

    Evgeny Kissin: "Natürlich kannte ich das Werk seit vielen Jahren. Als ich noch ein Teenager war, habe ich es geliebt, wie Solomon den Kopfsatz spielte. Später war ich tief beeindruckt von Gilels* Live-Aufnahme, besonders vom langsamen Satz. Als ich schließlich anfing, die Sonate zu lernen, verstand ich sie eigentlich ziemlich gut, bis auf die Fuge. Ich glaube es war Schumann, der geschrieben hat, dass man den Gehalt eines Werkes erst begreife, wenn man die Form verstanden ahbe. Und als ich anfing mit der Sonate, hatte ich die Form noch ganz und gar nicht verstanden. Also begann ich mit ihr und arbeitet so lange, bis ich eine Idee entwickelt hatte, wie ich sie spielen wollte. Und wenn ich das Werk jetzt öffentlich spiele, fällt mir die Fuge am leichtesten.
    Im Endstadium der Arbeit fand ich das Adagio am schwersten. Als ich mich das erste Mal aufnahm, merkte ich, dass es zu langsam war und auseinanderfiel, weil ich mich zu sehr in den Details verlor. Das passierte mir sogar noch bei der ersten Aufführung. Der Satz ist so herrlich, man möchte alles ausdrücken, was Beethoven hineingelegt hat, aber man darf einfach nicht stehen bleiben."


    Der erste Bogen klingt in ihrem verhaltenen Spiel großartig, auch die Wiederholung des 2. und 3. Melodieteils, in dem sie wieder mehr Dynamik investiert. Auch der zweite Bogen Takt 22/23 mit der Oktavierung ist grandios gespielt, auch das anschließende, dynamisch wesentlich bewegtere "con grand' espressione, ab Takt 28, und die überirdische Überleitung zum Seitenthema nach der Dur-Auflösung ab Takt 35 schüttelt mich so richtig durch, das ist m. E. das Beste, was ihr bis hierhin geglückt ist. Das gilt auch für das himmlische he Seitenthema, das in der Gänze als veritabler Höhepunkt nicht nur der Sonate, sondern auch Maria Grinbergs Spiel ist, jedenfalls bis hierhin.
    Sehr stark ist auch die Überleitung zur Durchführung mit dem Achtel-Viertel-Wechsel, ebenso die kurze Durchführung selbst mit den motorischen Sechzehntelfiguren und den deutlichen dynamischen Bewegungen, die sie mit einem anrührenden Smorzando beendet und in die Reprise einmündet.
    Diese Reprise mit den hinreißenden Zweiunddreißigstelfiguren, die Maria Grinberg hier glänzend spielt, gehört sicher auch zu dem was Evgeny Kissin in seiner Einlassung weiter oben meinte.
    Das lange sechstaktige Ritardando am Ende dieses Abschnitts (Takt 107 bis 112) spielt sie dann in der Tat unglaublich. Sie kann es also, und wie.
    Im darauffolgenden "a tempo"-Abschnitt spielt sie ein mitreißendes Crescendo, dass durch die großen Intervallabstände zwischen der ganz hohen Diskant-Linie und den riesigen Intervallunterschieden im Bass in ihrer drängenden Spielweise viel an Dramatik gewinnt, "con grand' espressione" eben und diesmal in einer etwas anderen, nicht weniger faszinierenden Überleitung zum neuerlichen Seitenthema führt. Faszinierend ist im Espressivo ab Takt 125 ihre Lesart des Oktavganges, der direkt in das himmlische Seitenthema führt, ganz berührend auch wieder die Oktavierung des Themas, hier ab Takt 132, auch die scheinbare Tempozunahme durch den Wechsel von den begleitenden Achteln zu den Sechzehnteln und das dramatische Crescendo in den auf- und ablaufenden Sechzehnteln ab Takt 138, grandios der Oktavbogen mit den Sechzehnteln in Takt 143, kurz vor den Zweiunddreißigsteltakten 144/145 und der anschließende bewegende Übergang zur Coda ab Takt 147, die wieder mit dem Thema im Oktavgang beginnt und dann mit der Transponierung in den Tiefbass ein letztes Mal zum Seitenthema überleitet, dass aber nach Kurzem in der tumultösen Steigerung untergeht. Maria Grinberg spielt das atemberaubend, vor allem den letzten Takt dieses Abschnitts, 165 mit den abschließenden Zweiunddreißigstelsextolen, die ein zweites Mal in das sechstaktige faszinierende Ritardando führen, das sie volltönend durchspielt und dann den Satz langsam im Morendo vergehen lässt- grandios!!



    Das Largo am Beginn des Finales spielt sie, wie ich finde, in ausreichend langsamem Tempo. Im anschließenden "Un poco piu vivo" (Takt 2 ) legt sie schon signifikant an Tempo zu und im allegro gleich noch mächtig. Das habe ich auch schon moderater gehört, allerdings auch noch schneller.
    Im Tenuto kontrastiert sie dann allerdings temporal wieder sehr stark, um im "a tempo" Takt 10 wiederum stark anzuziehen.
    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, spielt sie sehr kraftvoll, im Tempo moderat und im Klang sehr klar. Ihr Spiel ist gut zu unterscheiden, auch die Themenwechsel in den Oktaven.
    Der II. Teil, die Themenvergrößerung in es-moll, spielt sie sehr prägnant, im Rhythmus besonders eckig, was diesem Abschnitt besondere Transparenz verleiht. Auch im zweiten Abschnitt, der Klarheit durch die sich wiederholdenden Sechzehntelfiguren bringt, zieht sie ihr klares Spiel weiter durch bei hohem dynamischen Niveau.
    Der III. Teil der Themenrücklauf in h-moll, bringt durch ihr transparentes Spiel durch die Cantabile-Sequenzen und die präzise gespielten sich häufig wiederholenden Sechzehntelfiguren in den unterschiedlichsten Tonlagen weiterhin ausreichend Struktur und schließt am Ende durch die Sechzehntelketten nahtlos an den
    IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, an, in dem die die Strukturen der auf- und ab strebenden Sechzehntelfiguren sich verlängern und verdichten und in den bizarren Achtel-Triller-Intervallen enden- auch dies grandios gespielt.
    Dann der V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur- die Atempause. Hier lässt sie besondere Ruhe, allerdings auch verstärkt durch einen melancholischen Schleier, walten. Hier könnte man fast auf die Idee kommen, dass Bach, der "Pate" dieser Sequenz, ein Russe war- faszinierend!
    Der VI. Teil der Fuga, seinerseits aus drei Unterabschnitten, sämtlich in B-dur, bestehend, fordert noch einmal den ganzen Pianisten bzw. hier die ganze Pianistin, sowohl beim eröffnenden gleichzeitigen Spielen beider Themen, als auch, nach dem "sempre ben marcato"-Abschnitt, bei ihr besonders "marcato", beim zweifachen Spiel des 1, Themas, in dem sich die Schwierigkeiten immer mehr steigern, bis zur Schlussankündigung der Durchführung, in dem ein letztes Aufgebot von kühnen Sechzehntelfiguren aufscheint, bis es in einem letzten Fortissimo endlich mit diesem etwa 90 Takte umfassenden VI. Teil zu Ende geht und die Coda das nahende Ende einläutet, aber wie. Hier bietet Beethoven noch einmal alles auf, was lieb und teuer ist bzw. raffiniert und schwierig, und Maria Grinberg liefert- mein Gott, welch ein Satz!!


    Wenn die schon erwähnten Schatten in den ersten beiden Sätzen nicht gewesen wären, hätte ich sie glaub ich zu den referenzwürdigen Einspielungen zählen können.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1951
    Spielzeiten: 9:33-2:19-15:44-10:35 --- 38:13 min.;


    Ähnlich wie Maria Grinberg legt Friedrich Gulda in dieser Aufnahme, die 1951 entstand, mit seinen damals gerade mal 21 Jahren, einen gehörigen dynamischen Impetus an den Tag, aber anders als Maria Grinberg tut er dies in einem viel höheren Tempo, er ist mit gut neuneinhalb Minuten um eineinhalb Minuten schneller. Genau wie Maria Grinberg wiederum beachtet er das erste Ritartando im Hauptthema kaum und das zweite, längere gar nicht.
    Auch in der 1. Phase des Seitensatzes überwiegt bei ihm, wie ich finde, das Motorische gegenüber dem Lyrischen, ja Expressiven. Auch er bekommt in der 2. Phase, wie Maria Grinberg, die wiederholten Tempowechsel gut hin, und außerdem ist auch bei ihm die dynamische Behandlung der Partitur ohne Fehl und Tadel.
    Allerdings sehe ich im ersten Teil der Schlussgruppe, dem Kantablen, Vorteile ich Ausdruck bei Maria Grinberg. Bei Friedrich Gulda klingt mir das wieder zu motorisch.
    Natürlich wiederholt auch er die Exposition. Es sind ja gerade auch mal 2:15 min. ins Land gegangen.
    Ich meine allerdings, dass er in der Wiederholung beim zweiten Ritartando do merklich verzögert.
    In der Einleitung der Durchführung holt er dynamisch aus dem Flügel alles heraus, was dieser hergibt.
    Dadurch fällt der dynamische Kontrast von Takt 123 zu 124 sehr groß aus., und die nachfolgende Steigerung gefällt mir sehr gut.
    Den Kern der Durchführung läutet er durch "kernige" Glockenschläge signifikant ein. Der erste Teil des fugato ist allerdings vorbildlich gespielt. Da hört man das "fugare" förmlich heraus. Auch rhythmisch ist das Extraklasse. Aber das war ja nie Guldas Problem.
    Auch der zweite Teil des Durchführungskerns mit dem Themenauftakt und den anschließenden hüpfenden Achtelfiguren ist rhythmisch und dynamisch wunderbar, die Achtel haben schon etwas von Mendelssohns Kobolden.
    Die Steigerung am Ende dieser Sequenz ist mitreißend, aber auch so lange, dass sie im sogenannten Stillstand (ab Takt 197) gar nicht zum Stillstand kommen kann, also wieder nichts mit Ritardando.
    Dafür ist das anschließende Cantabile espressivo wieder vom Feinsten, und auch der letzte Durchführungsteil dynamisch sehr kontrastreich.
    In der Reprise trifft er wie Maria Grinberg das erste Ritartando, Takt 234, ausgezeichnet, und am Ende dieser Sequenz, ab Takt 264, geht es ihm wie dieser.
    Die Rückleitung und die erste Phase des Seitensatze sind wieder sehr motorisch, und in der 2. Phase trifft er die "poco Ritardando" wieder besser.
    Auch die Schlussgruppe gefällt mir wieder ausgezeichnet, die pianistisch exorbitant schwere Coda hebt Gulda aber schon als 21jähriger Jungpianist auf ein ganz anderes Level, als es Maria Grinberg vermag.
    Das ist schon pianistische Ausnahmeklasse, die er da schon an den Tag legt.


    Das Scherzo spielt Gulda sehr schnell und gegenüber dem Kopfsatz dynamisch nicht immer exakt. Z. B. beginnt er auf der Basis einer erhöhten Grundlautstärke gleich im Thema etwa ab Takt 3, also zu früh, mit dem Crescendo, desgleichen in der Themenfortsetzung, Im Diminuendo ab Takt 18 mit Auftakt geht er allerdings sehr schön zurück. Wie etliche andere, ist er dann auch im pp-Bogen Takt 25/26 entschieden zu laut.
    Im Trio sind dann bei dem Tempo die Achteltriolen beim besten Willen nicht mehr zu unterscheiden.
    Und vom Trio zum Presto ist dann der Tempounterschied zu gering, will sagen, das Presto ist im Vergleich zum Tempo des Trios zu langsam.
    Und im Tempo I ist die zusätzliche Achtel im Alt nur dank der grandiosen Pianistik Guldas so in etwa zu unterscheiden.
    Erstaunlich ist, dass er das "poco ritartando kurz vor dem abschließenden Presto wirklich partiturgerecht spielt.


    Im Adagio ist Friedrich Gulda dann noch einmal eine gute Minute schneller als Maria Grinberg. Aber er spielt es mit großer Ruhe, lässt keinen Eindruck von Hast und Eile aufkommen. Und der erste Bogen in Takt 14/15 ist wunderbar. Auch die dynamischen Bewegungen, die gerade im "mezza voce"-Abschnitt auffallen, zeichnet er sorgfältig nach. Auch die melancholische Stimmung gelingt ihm wunderbar, ebenso der zweite Bogen in Takt 22/23.
    Auch der nächste Abschnitt, "con grand'espressione, ist auch so gespielt, wiederum mit wunderbar getroffenen dynamischen Wendungen, z. B. im crescendo-decrescendo-pp in Takt 32/33.
    Und dann die überirdische Überleitung zum Seitenthema, das ist mit Abstand das Beste, was er in dieser Aufnahme bis hierhin gespielt hat und gehört mit zu den besten Überleitungen, die ich bisher gehört habe, und dies ist immerhin die dreißigste, endend in einem furiosen Crescendo.
    Das Seitenthema bleibt auf diesem hohen Niveau, und selbst die scheinbare Beschleunigung durch die Sechzehntel in der Begleitung ab Takt 49 bleibt er bei seinem ruhigen Spiel, wenn auch im Crescendo mit kraftvoller Dynamik. Sehr berührend auch das Ende des Seitenthemas mit der Rückkehr zu den langsamen und leisen Bewegungen.
    Auch die kurze Durchführung bleibt in diesem temporal ruhigen, wenn auch dynamisch sehr kontrastreichen Rahmen, endend in einem anrührenden Smorzando zur Reprise hin.
    Diese Reprise mit den ersten 28 Takten in den Zweiunddreißigsteln spielt er mit sehr großem Ausdruck und klarem Klang und gleitet dann organisch in die Sechzehntelpassage über, in der er dieses unglaubliche sechstaktige Ritardando eisern durchhält- grandios!
    Die neuerliche, musikalisch variierte "grand'espressione"-Sequenz, die in der Oktav nach oben gerutscht ist, spielt er wiederum mit höchstem Ausdruck, auch die musikalische veränderte überirdische Überleitung. Dann wieder das unglaublich gespielte himmlische Seitenthema, auch mit der dynamischen Steigerung- welch ein Ausdruck, welch eine musikalische Tiefe. Dann- ich erwähnte es in anderen Besprechungen schon des Öfteren, die zwei immer wieder zwischendurch auftauchenden strukturierenden und orientierenden Figuren, erst die Sexte, dann die Terz, hier parallel im Diskant und im Bass in Takt 148, schon weiß man, wenn man sich vorher in der Musik verloren hat: aha, hier endet der Abschnitt, es kommt etwas Neues. Das ist in diesem Fall die Coda, die wie eine extreme Kurzversion des ganzen Satzes anmutet, erst das Thema, dann das Seitenthema, dann der tumultöse Untergang desselben. Gulda spielt auch das grandios, nochmal das Thema noch einmal das lange Ritardando, das dann mit nur noch maßvoller Bewegung den Verdämmern zugeht.
    Dieser unglaublich gespielte Satz mit dem kaum je so gehörten Morendo erfüllt mich mit großer Freude darüber, dass ich nie aufgehört habe, an Gulda und seine beinahe grenzenlosen Fähigkeiten zu glauben.


    Im Largo beginnt Friedrich Gulda mit einem maßvollen Tempo und entsprechend der Satzvorschrift mit sanfter Dynamik. Auch im Allegro spielt er mit einem Tempo, wie ich es schon häufig schneller gehört habe. Im tenuto geht es vergleichsweise schon etwas schneller und im "a tempo" geht es dann schon zur Sache, so dass das Ritardando am Ende von Takt 10 auf dem Altar des Tempos geopfert wird.
    Auch die Exposition in B-dur, der I. Teil der Fuga, ist temporal noch durchaus zu verkraften, zumal er durch Guldas klares Spiel gut strukturiert rüberkommt.
    Auch die ähnlich geformten musikalischen Figuren , auch längere Sechzehntelketten, teilweise die Oktave wechselnd, sind gut zu vernehmen.
    Im II. Teil der Fuga, der Vergrößerung des Themas in es-moll, spielt Gulda die Oktavgänge in der Begleitung, aber auch die Sforzandoketten, sehr prägnant, weiter im gleichen, nicht zu schnellen Tempo, und man merkt sofort, dass er diesem satz absolut gewachsen ist. Im zweiten Abschnitt geben die vielen ähnlichen Sechzehntel-Abwärtsgänge gute Orientierung auch für den etwas ungeübteren Hörer.
    Der III. Teil schließlich, der Rücklauf in h-moll und der IV. Teil die Umkehrung des Themas in G-dur, bringen weitere Schwierigkeiten mit sich für Pianist und Hörer, womit dieser Pianist keine Schwierigkeiten hat. Auch hier sind die wiederkehrenden ähnlichen Figuren gut zu vernehmen.
    Vor allem diesen IV. Teil spielt Gulda furios, namentlich die letzten Takte 243 bis 248 mit den unglaublichen Triller-Intervallen.
    Den V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, genießt offenbar auch Friedrich Gulda, der den Bachischen Ton schon als 21Jähriger traumwandlerisch beherrschte und hier richtig Ruhe in den Ablauf bringt.
    Im VI. Teil schließlich der dreigeteilten Durchführung beider Themen gleichzeitig, des 1. Themas zweifach und der Schlussankündigung der Durchführung, bietet Gulda noch einmal sein ganzes Können auf, um uns zielsicher über die Zielgerade dieses musikalischen Mount Everest zu bringen.
    Obwohl Friedrich Guldas Reise durch diesen unglaublichen Satz letztlich doch ein Husarenritt ist, habe ich von der Struktur und dem Zusammenhang des Satzes mehr verstanden als bei manchem anderen bisher, weil er sehr klar und rhythmisch exakt spielt und seine Behandlung der vielschichtigen Dynamik ein Gedicht ist.
    Und die höchstvirtuose Coda rundet einen ehrausragend gespielten Schlusssatz würdig ab.


    Ein wenig mehr Ruhe im Scherzo hätte trotz einiger temporaler Unebenheiten diese Aufnahme sicherlich in die Nähe der Referenzen gerückt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    ich habe diese Aufnahme Guldas, von Membrane Music herausgegeben, auch und finde diese Hammerklavier-Sonate überragend. Die Transparenz selbst bei hohem Tempo und die klassisch-swingende Phrasierung sind frappierend.


    LG Siamak

  • Lieber Siamak,


    Es ist in der Tat schon erstaunlich, was der damals 21jährige Gulda da abgeliefert hat. Ein wenig hat er mich and den jungen Daniel Barenboim erinnert, der etwa zur gleichen Zeit seine erste Gesamtaufnahme der Sonaten als 24- bis 27Jähriger aufnahm, als Gulda seine zweite GA aufnahm. Dabei ist der junge Daniel Barenboim sicherlich als Antipode des jungen Friedrich Gulda zu bezeichnen. Ich schwanke im Moment noch, ob ich die erste GA Guldas:



    anschaffen soll. Aber das läuft mir ja nicht weg.


    Übrigens beende ich später am Abend die Besprechung von Guldas Aufnahme aus 1967.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1967
    Spielzeiten: 9:23-2:14-13:36-11:22 --- 36:35 min.;


    In der Studio-Aufnahme von 1967 (Amadeo) ist der Klang natürlich entscheiden besser und Gulda im Kopfsatz noch einige Sekunden schneller. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist er 37 Jahre alt.
    Die temporalen Einschränkungen bei den Ritardandi Takt 8 im Hauptthema I und Takt 32 bis 34 im Hauptthema II gelten nach wie vor. Mir will aber scheinen, dass die dynamischen Bewegungen etwas sanfter geworden sind und sein Spiel in den Auf- und Abbewegungen etwas feiner.
    Allerdings geht er in der 1. Phase des Seitenthemas immer noch motorisch rasch voran anstatt es etwas entspannter zu spielen als im Hauptthema.
    In der 2. Phase (Takt 64 mit Auftakt bis Takt 75) spielt er die Tempowechsel (poco ritardando-a tempo usw.) bei weitem nicht so treffend wie 16 Jahre zuvor- schade. In der 3. Phase (ab Takt 76) spielt er zudem die dynamischen Bewegungen nicht so kontrastreich wie in der 1. Aufnahme, so wie sie in den Noten stehen.
    Im 1. Gedanken der Schlussgruppe (ab Takt 100) fällt er wiederum gegenüber Maria Grinberg ab, im hochdynamischen 2. Gedanken (ab Takt 112) kann er dagegen wieder punkten.
    Auch hier wiederholt er jedoch die Exposition. Wir werden sehen, ob das bei seiner 3. Aufnahme 1970 beim Beethovenfest Bonn auch noch der Fall ist.
    In der Wiederholung, so meine ich, beachtet er die Ritardando-Vorschriften zumindest in der 2. Phase des Seitenthemas besser. Auch das cantabile im 1. Gedanken der Schlussgruppe (s.o.) gefällt mir jetzt besser.
    Die Einleitung der Durchführung ist "comme il faut". Da stimmen Tempo, Dynamik und Rhythmus.
    Auch die erste Hälfte des Fugatos (ab Takt 137 mit Auftakt) ist wie geschaffen für den großen Virtuosen, ebenso die zweite Hälfte mit den durchgeführten Themenauftakten in c-moll, Es-dur sowie ihren Dominanten, und selbst der Stillstand (ab Takt 197) mit dem abschließenden "poco ritardando" hat diesmal seinen Namen verdient.
    Allerdings hätte ich es besser gefunden, wenn er beim Cantabile (ab Takt 201) das Tempo ein wenig herabgesetzt hätte. Der letzte durchführungsteil ist wieder beeindruckend.
    Bei der Reprise schlagen wieder zwei Herzen in meiner Brust: zu Beginn, in der Modulation, spielt er das Ritardando wieder vorbildlich, wie Maria Grinberg und er selbst 16 Jahre zuvor, und das große Ritardando am Ende des Hauptsatzes deutet er nur am Ende in Takt 266 an.
    Der 1. Gedanke der Schlussgruppe gefällt mir diesmal auch etwas besser, und im hochdynamischen 2. Gedanken ist er ja ohnehin zu Hause. In der eminent schwierigen Coda zeigt er auch hier sein ganz außergewöhnliches Können.


    Das Scherzo ist 1967 noch einige Sekunden schneller als 1951. Abgesehen davon gefällt mir im Scherzo (Takt 1 bis 46) überhaupt nicht, dass die Grundlautstärke viel zu hoch ist und dass er die vielen dynamischen An- und Abstiege in Thema Takt 1ff, Fortsetzung, Takt 8ff mit Auftakt und Wiederholung, Takt 24ff mit Auftakt, kaum beachtet und in einer Art permanentem mf durch das Stück eilt. Nur die beiden Diminuendi Takt 19ff und Takt 35ff beachtet er einigermaßen.
    Im Trio kann man tatsächlich die Achteltriolen im Diskant einigermaßen unterscheiden, und das Presto passt diesmal temporal wesentlich besser zum Trio. Das spielt er schon unglaublich gut.
    Auch das Tempo I spielt er so klar, dass man die zusätzliche Achtel im Alt vernimmt. Dennoch gefallen mir die Scherzi mit etwas geringerem Grundtempo besser.


    Im Adagio ist Friedrich Gulda zwei Minuten schneller als 1951, und das ist schon eine Menge, wenn dieser Riesensatz dann keine 13 3/4 Minuten mehr dauert, vor allem, da ich in den ersten 30 Aufnahmen schon zur Genüge erfahren habe, wie tief die Pianisten zum Kern dieser wunderbaren Adagio-Musik vordringen können die an die 20 Minuten oder darüber für diesen Satz verwenden.
    Und trotzdem kann ich diese Lesart nicht in Bausch und Bogen verdammen, weil man von Beginn an spürt, mit welcher Ruhe Gulda, zumindest hier im Hauptthema, Takt 1 bis 26, zu Werke geht und wie beseligend die beiden hohen Bögen in Takt 14/15 und in Takt 22/23 hier gespielt werden.
    Auch das "con grand'espressione (ab Takt 28) beginnt mitreißend, aber im Gefolge, spätestens ab Takt 33 (pp) lässt sich Gulda von seinem eigenen Brio weiter mitreißen und spielt diese ganz Sequenz um ein bis zwei Lautstärkestufen zu laut. Erst ab Takt 35 dürfte er wieder crescendieren, kurz nach Beginn der überirdischen Überleitung zum Seitenthema, in der er zwar zurückgeht, aber am Ende des Crescendos, das in Takt 41 aus dem Piano heraus beginnt, in Takt 43/44in den beiden Achteln mühelos das Fortissimo erreicht, wo er eigentlich schon längst decrescendieren müsste, Diese genaue Beachtung von Beethovens Satzvorschriften vermisse ich manchmal bei ihm, so auch hier. Man kann diesem Satz, wie ich glaube, mehr dienen, wenn man die komponierten dynamischen Bewegungen voll ausschöpft und dabei genau ist, als wenn man sie, wie hier geschehen, auf hohem Niveau einebnet.
    Dann, im "a tempo" teil, ab Takt 45, wo keine dynamischen Akzente stehen, da spielt er sie, und, spätestens ab Takt 52 mit Auftakt, als in beiden Oktaven Sechzehntel gespielt werden, klingt mir das einfach zu schnell, sehe ich das nicht mehr als Adagio sostenuto an, also ein langsameres Adagio, ja nicht einmal mehr als ein "normales" Adagio. Die dann folgenden Zweiunddreißigstel klingen mir dann schon bald wie ein Glissando. Also, ich erspüre bei diesem Tempo nicht die ungeheuren musikalischen Tiefen, die in diesem Seitenthema schlummern. Wie viel anders klingt das dann schon in der Überleitung zur Durchführung.
    Die Durchführung mit ihrem dramatischen Impetus trifft er m. E. auch viel besser einschließlich des Diminuendo-Smorzando Takt 85/86.
    Auch die Reprise, namentlich im ersten Teil, dem wunderbaren Zweiunddreißigstel-Abschnitt von Takt 87 bis 103, klingt mir zu schnell und, vor allem in den leisen Abschnitten, zu beiläufig.. Selbst in der ganz hohen Lage ab Takt 100 mit Auftakt, verursachen mir diese wunderbaren Oktavwechsel nicht einen Schauer am Rücken wie noch in der Aufnahme aus 1951 oder etlichen anderen vorher, etwa Gilels oder Goode, ja sogar Glenn Gould. Natürlich hat er es dann leichter, bei einem so hohen Anfangstempo in Takt 107 das lange Ritardando zu spielen, ist aber im letzten Takt (112) noch schneller als die anderen Genannten im ersten.
    Auch im "a tempo"- Teil ab Takt 113spielt er dynamisch wieder vorzüglich, aber auch hier tauchen die flinken <Zweiunddreißigstel wieder auf, das ist mir denn für ein Adagio sostenuto doch zu viel Bewegung. Es kann (und soll) m. E. auch langsamer fließen, ohne zum Stillstand zu kommen.
    Sein Ritardando am Beginn des Seitenthemas (Takt 129) ist allerdings bemerkenswert.
    Und mit den Sechzehnteln in der Begleitung kommt wieder das Tempo zurück, das dem Seitensatz, wie ich finde nicht so bekommt. Das ist dann nicht mehr himmlisch.
    Das neuerliche nur kurz sich entfaltende Seitenthema in der Coda klingt in dem tumultösen Untergang (Takt 163 bis 165) noch am schlüssigsten und die die letzten 7 Takte mit dem veritablen Morendo-Schluss haben mir am besten gefallen. Was hätte er mit diesem Satz noch anders ausdrücken können, wenn er sich einige Minuten mehr Zeit gelassen hätte.


    Mehr Zeit lässt er sich dafür im Finale, War er in der Aufnahme von 1951 im Finale noch vier Minuten schneller als im Adagio, so sind es in dieser Aufnahme nur noch zwei Minuten.
    Und im Largo höre ich wunderbares, ruhiges, teilweise introvertiertes Spiel- wie schön! Auch das "un poco piu vivace" ruhiger und entspannter als in der früheren Aufnahme.
    Auch das Allegro ist im Tempo noch als normal zu bezeichnen. Ich sehe allerdings keine Veranlassung, warum er im Tempo I (p) in Takt 8 ein Crescendo spielt. Und der überlange !a tempo"- Takt 10 ist nachgerade grandios gespielt.
    Den I Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, habe ich selten so klar und transparent, temproal wie rhythmisch und dynamisch gleichermaßen überzeugend gehört wie hier in dieser Einspielung. Wenn man das so hört, dann begreift man auch als Laie, wie ich einer bin, Einiges von der Struktur dieses unglaublichen Satzes, während man bei mancher anderen Aufnahme höllisch aufpassen muss, dass man nicht herausfällt aus dem Hörerlebnis (Hör)Abenteuer. Ich glaube, dass so mancher Pianist bei diesem Satz auch mit dem "Herausfallen" zu kämpfen hat. Das hört man, auch als Laie. Gulda hat diese Schwierigkeiten in keinster Weise. Und wir dürfen uns schon darauf freuen, wenn Evgeny Kissin (hoffentlich bald) eine sicherlich in seinen Konzerten der nächsten Zeit die Hammerklaviersonate mitschneiden lässt. Da ich bei seinen drei Konzerten im März nächsten Jahres in Deutschland nicht anwesend sein kann (Langzeiturlauf auf Teneriffa), werde ich mal versuchen für den 17. Juni 2018 eine Karte im Concertgebouw zu bekommen. Ich habe dies eingeschoben, weil Kissin sich in der neusten FOPNO FORUM über sein Verhältnis zur Hammerklaviersonate geäußert hatte. Ich berichtete darüber.
    Das, was Gulda hier auch im II. Teil, der Themenvergrößerung in es-moll, spielt ist so klar und deutlich und kraftvoll, vor allem in den Sforzandoketten (Takt 102 bis 110), dass es eine wahre Freude ist, zuzuhören. Da vergisst man ganz, die Struktur zu beschreiben, ich ahbe ja auch schon oft genug die Beispiele genannt, an denen ich mich orientiere. Jedenfalls habe ich mit dieser Interpretation, zumindest bis hierhin, schon wieder einen kleinen Schritt weiter gemacht zum Verständnis dieses Satzes.
    Auch der III. Teil, der Rücklauf in h-moll, der mir schon manchmal arge Schwierigkeiten bereitet, nicht im ersten Teil, von cantabile-sequenzen durchzogen, sondern im zweiten Abschnitt, ab Takt 181, wo die Sechzehntelfiguren in beiden Oktaven zunehmend gegenläufig und somit verwirrender sind.
    Der Übergang in den IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, gelingt mir hier auch problemlos, und wenn er auch strukturell sich auftut wie ein tiefer Krater, den man überwinden muss, so ist die Orientierung doch vor allem im zweiten Teil durch die aberwitzigen Intervalle, in denen sich Triller und Sechzehntelfiguren im Wechsel gegenüberstehen, ein sicheres Geleit und zeigt uns das Ende dieses komplizierten Abschnittes schon an durch die abschließenden unglaublichen Trillerintervallsprüngen (Takt 243 bis 246, die dann endgültig durch zwei machtvolle Fortissimoakkorde abgeschlossen werden.
    Dann im nächsten, dem V. Teil, der Durchführung des 2. Themas in D-dur, betreten wir quasi eine andere Dimension, einen anderen Stern, das kurze, beseligende "sempre dolce cantabile" im Bachischen Stil, das Gulda schon in seiner ersten Aufnahme so glänzend vortrug, so auch hier, wo sich für kurze Zeit tiefer Frieden über das Geschehen senkt, aber, wie gesagt, nur für kurze Zeit.
    Besonders gerne höre ich immer den VI. Teil, quasi eine Art Fortsetzung der Durchführung, der in drei Unterabschnitten das erste und zweite Thema gleichzeitig bzw. eines zweifach durchführt und am Schluss das Durchführungsende, zur Coda hin, ankündigt, sämtlich in B-dur.
    Das ist zwar auch ein Riesengebilde, aber hier auch von Gulda so folgerichtig vorgetragen, dass man ihm richtig folgen kann. Grandios trägt er es in einem Atem sehr transparent und schlüssig vor. Bei diesem Vortrag dieses Satzes kommt mir nie die Frage nach Guldas Tempo in den Sinn, nur die Antwort, dass es richtig ist.
    Mit der furios gespielten Coda schließt Gulda einen Finalsatz ab, wie ich ihn bisher selten so überzeugend gehört habe und ruft mir einen meiner beiden Wahlsprüche ins Gedächtnis, den von Wilhelm Furtwängler: "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige".


    Es ist doch seltsam, dass man an dem Umfang des Textes, den man schreibt, sowohl erkennen kann, was einem besonders gut gefallen hat, als auch, was einem nicht so gut gefallen hat. Deswegen habe ich nicht nur in diesem Beitrag mehr üb er das Finale geschrieben als über das Adagio, sondern auch in fast allen meinen Beiträgen, in denen mir Aufnahmen besonders gefielen oder das Gegenteil der Fall war. Die Kürzesten waren eigentlich stets die, über die es in der Tat weniger zu sagen gab.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi, lieber Siamak,


    Gulda ist offenbar doch sehr interessant! Ich habe allerdings nur eine Aufnahme von ihm. Meine letzte Anschaffung in Sachen op. 106 war der Gilels-Konzertmitschnitt. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ja, lieber Holger,


    wie ich jetzt wieder feststellen konnte, ist er besonders dann interessant, ja feselnd, wenn man garnicht damit rechnet, wie in der 1967er-Aufnahme nach dem eher enttäuschenden Adagio dann mit einem grandiosen Finale.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Gibt es denn von Gulda jetzt vier sogar Aufnahmen dieser Sonate?


    membran 1951
    Decca 1951
    Orfeo 1953-57 (befindet sich in meinem Besitz und ich lasse Euch gerne u.a. op. 106 zukommen)
    Amadeo 1967


    Oder sind die membran und Decca-Aufnahmen identisch?


    Viele Grüße
    Christian

  • Dafür müsste man die Spielzeiten der Decca-Aufnahme wissen. Die Membran-Zeiten habe ich ja oben aufgeschrieben. Wenn du die Orfeo-Aufnahme rübermailen könntest, dann hätte ich in der Tat schon vier, denn ich habe noch diese aufzubieten:

    Er spielte dies Programm beim Beethovenfest 1970 in Bonn, Eroica Variationen, Hammerklaviersonate und von Bach die Englische Suite BWV 808. Die DVD ist aber vermutlich nicht kopierbar..


    Von morgen bis Sonntag bin ich übrigens mit meinem zweiten Kirchenchor auf Fahrt nach Celle und in die Lüneburger Heide. Dann mache ich nochmal eine Sonatenpause, aber meine Erinnerungen laufen natürlich weiter.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Willi, ich habe es überprüft, die Zeiten der Decca-Aufnahme sind mit der von membran +/- 2 Sekunden identisch!
    Vermutlich ist das also die gleiche Aufnahme. Mit den spätereren-Amadeo-Aufnahmen konnte ich nie anfreunden, in den frühen Einspielungen ist Gulda lyrischer.


    Viele Grüße
    Christian

  • Was mir ja ein Dorn im Auge war, lieber Christian, dass er in der 67er Aufnahme im Adagio noch einmal um 2 Minuten schneller ist als bei seiner frühen Aufnahme, die ich so gerade noch tolerieren konnte, weil er in der Tat dort seine ganzen lyrischen Fähigkeiten und seine Ruhe ausspielte, obwohl er diese Ruhe in der späteren Aufnahme bei den Viertel- und Achtel-Sequenzen auch noch hatte. Aber bei den schnelleren Passagen brach dann der virtuose Impetus durch. Da kommt man m. E. nicht nahe genug an den musikalischen Kern dieses unvergleichenlichen Satzes heran.
    Außerdem ist er in der späteren Aufnahme in dynamischer Hinsicht nicht mehr so aufmerksam. Ich bin mal gespannt, wie er drei Jahre später in Bonn gespielt hat. Das war ja wieder live, wie 1951.
    So, jetzt ist hier erst mal Schluss, morgen um 9.30 Uhr geht es in Richtung Lüneburger Heide, drei Tage Chorfahrt. Da singen wir die Missa in C von Bruckner.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Willi,


    die Brillant-Herausgabe der Amadeo-Aufnahmen habe ich auch, verwende sie aber nicht. Der Grund: Beim Einlesen der CDs in die ITunes-Liste stellen sich massive Klickgeräusche ein, sehr störend, merkwürdig.


    Ich wünsche Dir eine schöne Chorfahrt!


    LG Siamak

  • Lieber Willi,


    viel Freude bei der Chorfahrt! Von Gulda habe ich nur die Amadeo-Aufnahme. Und da sind mir oft die Tempi einfach zu schnell - besonders in den langsamen Sätzen. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD>: 1970 Bonn live
    Spielzeiten: 7:55-2:18-15:00-11:19 --- 36:32 min.;


    In seiner dritten Aufnahme 1970, wieder live wie die erste, geht Gulda auf die Ritardando-Vorschriften im Hauptthema I und II mehr ein als in den beiden ersten. Ich meine auch, dass das Seitenthemavor allem in der ersten, lyrischen Phase ruhiger und entspannter und nicht so motorisch verläuft wie in den ersten beiden Aufnahmen. Auch der 1., kantable Gedanke der Schlussgruppe gefällt mir nun wesentlich besser.
    Im Ganzen spielt er die Exposition etwas ruhiger als in seinen ersten beiden Aufnahmen. Allerdings wiederholt er sie hier nicht. Ich weiß nicht, ob ihm bei dieser Live-Aufnahme der Tempodruck im Nacken saß, aber welche Erklärung sollte es sonst geben. Jedenfalls wäre er mit Wiederholung etwa bei 10:10 Minuten herausgekommen.
    Die Einleitung der Durchführung spielt er mit äußerstem Kraftaufwand und mit sehr großem dynamischen Kontrast zum nachfolgenden Pianissimo. und lässt ein beeindruckendes Crescendo folgen, wieder gefolgt von einem enormen Kontrast in der nachfolgenden Echostelle (Takt 132).
    Sehr gut gefällt mir auch der erste Teil des Fugatos mit einer großartigen Steigerung. Vollends grandios gerät der zweite Teil des Fugatos mir den Themenauftakten in c-moll und Es-dur und ihren Dominanten mit einer noch unglaublicheren Steigerung und einem in der Tat würdig abschließenden Poco Ritardando im sogenannten "Stillstand", den er in ein berückendes "cantabile espressivo" überführt. Auch der letzte Durchführungsteil mit den riesigen Intervallen gefällt mir über die Maßen.
    Auch die Reprise beginnt er nach dem markerschütternden Themenauftakt wieder mit einem großen berührenden Kontrast, eher im Pianissimo als im Piano und mit einem bezwingenden Ritardando in Takt 214.
    Dem lässt er im Hauptthema II wieder eine grandiose Steigerung folgen, leider geht er auf das abschließende dreitaktige Diminuendo/Ritardando etwas spät ein. In diesem Beispiel kann man es ja nicht nur hören, sondern auch sehr gut sehen.
    Das Seitenthema gefällt mir wiederum sehr gut, sehr ruhig im lyrischen Beginn, auch temporal sehr aufmerksam im mittleren Übergang und mitreißend dynamisch im Schlussabschnitt, hin zur Schlussgruppe, der kantabler Beginn wieder sehr introvertiert klingt und der hochdynamische 2. Teil wieder als Riesenkontrast erklingt und nahtlos in die unglaubliche, zunächst hochdynamische und im zweiten Teil dynamisch äußerst kontrastreiche, pianistisch unglaublich gespielte Coda überging- ein mit Wiederholung der Exposition und ohne die geringen temporalen Irritationen nahezu perfekter Satz wäre ihm da gelungen.


    Das Scherzo spielt er gewohnt schnell, mit unglaublichem Zug nach vorne, und einer doch ziemlichen Grundlautstärke, aber auch großen dynamischen Kontrasten nach unten. Und erstaunlicherweise kann man trotz des doch enormen Tempos die Achteltriolen mit einiger Mühe immer noch unterscheiden, ein Beweis dafür, über welch ein klares, technisch überragendes Spiel Gulda dort verfügt.
    Das Presto ist wie von einem anderen Stern.
    Im Tempo I ist auch die zusätzliche Achtel im Alt gut vernehmbar und die dynamischen Akzentverschiebung in die Phrasenmitte schon beinahe eine Selbstverständlichkeit. Wirklich erwähnenswert ist auch das "un poco ritardando" in Takt 164 bis 167, dass er geradezu zelebriert- im Ganzen ein Scherzo, wie ich es so, so glaube ich, noch nicht gehört habe.


    Dieses Adagio ist mit Abstand das Beste und Ergreifendste der drei, jedenfalls im Hauptthema. Gulda wählt hier ein Pianissimo als Grundlautstärke, und das wirkt, im Vergleich zu seinen anderen beiden Aufnahmen, wie ein Zauberstab, der uns in eine andere Dimension versetzt. Die dynamischen Bewegungen sind sehr moderat, dadurch schafft er einen überzeugenden Bogen., und das erste Legato in Takt 14/15 strahlt wie eine kleine, wärmende Sonne, die im zweiten Legato Takt 22/23 noch etwas stärker strahlt. Das ist sehr ausdrucksstark und steigert sich in der Sequenz "con grand'espressione ab Takt 28 noch weiter, ist überwältigend und führt in eine grandios gespielte Überleitung zum Seitenthema hin.
    Wenn ich das hier so höre, frage ich mich unwillkürlich, warum er das drei Jahre vorher schneller gespielt hat. Hier wird doch in jeder Note hörbar, um wie viel näher er an den musikalischen Kern gelangt.
    Auch das himmlische Seitenthema gerät sehr überzeugend, wenngleich das Tempo in den Sechzehnte-Triolen ab Takt 49 auch nicht schneller sein dürfte. In der wiederum langsamen Überleitung senkt sich in Guldas Spielwieder tiefer Frieden über das Geschehen.
    Die wiederum dynamisch sehr bewegte Durchführung spielt er mit großer Suggestionskraft, wobei er in den Sechzehntel-Aufwärtsgängen nicht beschleunigt, sondern den temporalen Bogen durchzieht bis zum zaubrischen Diminuendo-Smorzando, das er gleichsam versinken lässt, bevor er die Reprise beginnt mit ihrem ersten Teil, der Zweiunddreißigstel-Sequenz.
    Diese beginnt er in einem m. E. sehr introvertierten ppp-espressivo, in dessen Gefolge er sehr aufmerksam die dynamischen Bewegungen nachzeichnet und diesen wunderbaren bogen bruchlos bis zum Ende in Takt 103 durchzieht, um dann in das wunderbare 6taktige Ritardando einzustimmen, dass er vorbildlich stetig verlangsamt via zum "a tempo" in Takt 113, in dem er in der musikalisch geänderten, wiederum dynamisch gesteigerten Überleitung zum Seitenthema führt. Wie wunderbar sind doch di Oktavbögen Takt 124 bis 126 ausgedrückt, und das himmlische Seitenthema desgleichen, das er dann in den Zweiunddreißigsteln in Takt 144/145 auslaufen lässt und dann zur Coda überleitet.
    Hier ist er wieder in einem faszinierenden Piano Pianissimo, und nach kurzer dynamischer Bewegung zu Beginn der Coda wiederum. Das macht er ganz atemberaubend, um gleich darauf in dieses rätselhaft verkürzte, gleich darauf gesteigerte und dann grandios im Tumult untergehende Seitenthema vorzutragen, dem er ein letztes Mal das faszinierende Ritardando folgen lässt und dann im "a tempo" diesen wunderbaren Satz in einem wunderbaren Morendo langsam versinken lässt.
    Ein herausragend gespielter Satz!


    Das Largo beginnt er sehr langsam, wobei er vor allem auf der Sechzehntel-Fermate in Takt 1 verharrt. Doch auch das "un poco piu vivace ist durchaus noch moderat, desgleichen das Allegro ab Takt 3. Tenuto und "a tempo" lässt er organisch folgen, lediglich beim abschließenden Ritardando hätte ich mir etwas mehr Verzögerung gewünscht.
    Die Fuga beginnt er im I. Teil, der Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, etwa im gleichen Tempi wie drei Jahre zuvor, am langsamsten war er in der Tat in der Aufnahme von 1951. Auch hier ist sein Spiel klar und transparent und gut zu verfolgen.
    Daran schließt sich der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, organisch an.
    Auch hier bietet er die dynamischen Verläufe und die rhythmischen Klippen deutlich dar, so dass auch das Thema weiter gut zu verfolgen ist.
    Im III. Teil, dem Rücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, nimmt das Geschehen weiter Fahrt auf, und er führt den Hörer nach wie vor sicher durch das musikalische Geschehen und in die Themenumkehr in G-dur, dem IV. Teil der Fuga, Takt 208 bis 249, einer weiteren musikalischen, rhythmischen und dynamischen Steigerung, die er souverän mit den unglaublichen Intervallsprüngen und zwei veritablen Fortissimoakkorden abschließt, um uns alle in eine kurze Atempause zu versetzen mit dem
    V. Teil, der Durchführung des zweiten Themas, Takt 250 bis 278, den kürzesten, aber keineswegs unbedeutendsten Teil der Fuga, sondern, wenn wir die Dreiteilung des VI. Teils berücksichtigen, in einer pyramidalen Anordnung sogar der Mittelpunkt der Fuga, ein Mittelpunkt der ganz besonderen Art, den Friedrich Gulda hier auch in besonderer Weise zelebriert, was sich auch im besonders aufmerksam gespielten abschließenden Ritardando äußert.
    Der VI. Teil schließlich, in dem zunächst das 1. und 2. Thema gleichzeitig auftreten, dann das 1. Thema original und gleichzeitig umgekehrt und schließlich der Abschluss der Durchführung angekündigt wird, signalisiert den kühnen Schlussanstieg zur abschließenden grandiosen Coda.
    Ein ähnlich bizarrer, schwieriger, mitreißender und Gulda quasi auf den Leib geschriebener Abschnitt irgend einer Sonate irgendeines Komponisten ist mir nicht bekannt, aber nun kenne ich sie ja auch längst nicht alle. Jedenfalls hat Gulda auch diesen knapp 80 Takte langen Teil so klar und deutlich vorgetragen, dass es mir eine Freude war, ihn zu verfolgen.
    Eindeutig die beste seiner drei Aufnahmen, die mit der Wiederholung der Exposition im Kopfsatz noch runder gewesen wäre.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Spannend, lieber Willi! Ich finde es ja auch so aufschlussreich, wenn große Interpreten "Dasselbe" immer wieder so verschieden interpretieren. Dann entdeckt man, welche Möglichkeiten der Interpretation - wirklich grundverschiedene - in einem Werk stecken. Das habe ich in meiner Kissin-Besprechung vorhin auch angedeutet - am Beispiel op. 111. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Eric Heidsieck, Klavier
    AD: 1968-1974
    Spielzeiten: 11:30 - 2:34 - 18:20 - 11:25 --- 43:49 min.;


    Eric Heidsieck spielt Hauptthema I und II erheblich langsamer als Friedrich Gulda und auch noch etwas langsamer als Maria Grinberg, aber, wie ich finde, immer noch schnell genug. Auch die temporalen Verläufe und die dynamische Struktur trifft er sehr gut.
    Auch Hauptthema III und die Überleitung zum Seitenthema sind sehr aufmerksam gespielt, und mit seiner Tempowahl in der 1. vorwiegend lyrischen Phase des Seitenthemas drückt er eine wohltuende Entspannung aus, allerdings hätte ich mir in der 2. Phase (Takt 64 mit Auftakt bis Takt 71) in den Tempowechseln mehr Präzision gewünscht, die hier von Beethoven wohl durchaus gewollt ist. In der 3. Phase sind diesbezüglich keine kritischen Anmerkungen zu machen. Das gilt auch für die höchst kontrastreiche Schlussgruppe mit ihrem wunderbaren "cantabile, dolce ed espresssivo" im 1. Gedanken und der rasanten dynamischen Steigerung im 2. Gedanken.
    Eric Heidsieck wiederholt natürlich auch die Exposition, in der man noch einmal seinem differenzierten temporalen Spiel lauschen kann.
    Auch die Einleitung der Durchführung spielt er sehr aufmerksam und dynamisch kontrastreich. Das Gleiche gilt für den Kern der Durchführung, hier zuerst die vier Einsätze des Fugatos ab Takt 128 im 1. Teil. Den 2. Teil mit den Themenauftakten in c-moll und Es-dur sowie ihren Dominanten spielt er rhythmisch besonders prägnant und schließt hier mit einem wunderbaren "poco ritardando" ab, dass man wirklich einen "Stillstand" nennen kann.
    Das darauffolgende Espressivo spielt er sehr speziell, anders als andere Pianisten mit einer dynamisch unterschiedlichen Struktur: er beginnt den letzten Durchführungsteil leiser und crescendiert dann insgesamt. Das klingt auch, wie ich finde, sehr schlüssig.
    Die Reprise beginnt er auch anders als schon gehört, indem er das Ritardando (Takt 234) schon zwei Takte eher beginnt und dann die Modulation wunderbar aussingt und ab dem "Crescendo poco a poco" ab Takt 241 in eine grandios gespielte Steigerung hineingeht, die er mit einem betörenden Ritardando (ab Takt 264) beendet. Die Rückleitung und die 1. Phase des Seitensatzes sind wieder berührend, und diesmal gelingt auch die 2. Phase mit den Tempowechseln, und die 3. Phase ist wieder so schlüssig wie in der Exposition, die Schlussgruppe ebenso, und die heikle Coda ist sicherlich ein Abschluss auf ähnlichem Höchstniveau, wie wir es schon verschiedentlich gehört haben. Wenn Eric Heidsieck alles bringt, dessen er fähig ist, bringt eben auch er eine absolute Spitzenleitung zu Stande.


    Auch das heikle Scherzo, in dem man es mit vielen dynamischen Akzentverschiebungen und rhythmischen Finessen zu tun bekommt, bringt er gut über die Bühne, wenn man von dem einen oder anderen zu kräftigen "Pianissimo" einmal absieht, aber das hatte ich ja schon verschiedentlich zu "beklagen".
    Im Trio senkt er etwas das Tempo, um der Gefahr verwaschener Achteltriolen zu entgehen, was ihm auch gut gelingt, und dem steht die Satzanweisung "semplice" ja auch nicht entgehen. Presto und Prestissimo schließen sich auf einem hohen Niveau an.
    Vom wiederholenden Tempo I bin ich vollends überzeugt, wieder das richtige Tempo gewählt, die neuerliche Akzentverschiebung und die zusätzliche achtel im Alt: alles passt und schließt er vor der kurzen Presto-Tempo I-Coda mit einem wirklich abermals überzeugenden "un poco ritardando" ab.


    Im Adagio ist er naturgemäß entscheid langsamer als Friedrich Gulda und auch noch deutlich langsamer als Maria Grinberg.
    Hier gehört er auch zu denen, die mit moderaten dynamischen Bewegungen das "mezza voce" noch zusätzlich und sehr klug, wie ich finde, strukturieren. Und in den beiden Bögen in Takt 14/15 und 22/23 tritt er wie auch die anderen aus der Gruppe der "langsamen" Adagio-Pianisten den Beweis an, dass man eben an solchen Stellen mit moderaterem Tempo andere musikalische Tiefen erreicht,
    und in Takt 27 leistet er sich sogar den "auffälligen" Luxus, die drei Sechzehntel-Akkorde im Bass, auf die Joachim Kaiser ja so großen Wert legte, "staccato" zu spielen. Im "con grand'espressione" ab Takt 28 tritt er den Beweis an, dass es ein Leichtes ist, in solchen Passagen wie Takt 31/32 sowie in Takt 33 und 35 auf ganz natürliche Weise einen deutlich hörbaren Tempounterschied zwischen den Achteln und Sechzehnteltriolen bzw. zwischen den Sechzehnteltriolen und den Zweiunddreißigsteln zu erzeugen, wenn das Grundtempo langsam genug ist und diese Passagen nicht wie ein virtuoser Bogen gespielt werden.
    Und dann spielt er eine derart überragende überirdische Überleitung zum Seitenthema, wie ich bisher nur ganz wenige gehört habe, und es gehört zum Besten überhaupt, was ich bisher von Heidsieck gehört habe, und wir sprechen hier immerhin über die siebzehnte Sonate, die er zu dem Gesamtprojekt beisteuert, denn er gehört zu denjenigen, die eine Gesamtaufnahme vorgelegt haben.
    Und im himmlischen Seitenthema hört man, wie richtig dieses Thema ist und wie schlüssig es zu einem Höchstmaß an Ausdruck führt, womit eine größtmögliche musikalische Tiefe erreicht wird. Wunderbar, wie sich in dieser vierstimmigen Passage ab Takt 53 die Musik immer weiter in die himmlischen Höhen schiebt und dann durch die drei Bögen in Takt 58 bis 60 und die anschließenden Zweiunddreißigstelfiguren übergleitet wird zur Durchführung.
    Auch das spielt er grandios.
    Und in der Durchführung mit ihren häufigen dynamischen und rhythmischen Bewegungen findet er zu einer individuellen Lösung, in der er einen größeren Kontrast zu den weit gehenden Legatoabschnitten aufbau, speziell in dem Diminuendo-Smorzando am Schluss (Takt85/86).
    Und in der wundersamen Reprise, vor allem im ersten langen Zweiunddreißigstel-Abschnitt zeigt er, wie viel Struktur in diesem Abschnitt steckt, wenn man ihn in diesem Tempo hört und wie faszinierend das zusammenklingt, wenn man alle Stimmen hören kann, denn dies ist immerhin ein fast durchgehend vier/bis fünfstimmiges dichtes musikalisches Geflecht. Außerdem spielt er sehr präzise die dynamischen Verläufe, die man so auch besser erkennen kann. Und am Ende dieses unglaublichen Abschnittes bringt er es noch fertig, dieses gigantische Ritardando durchzuhalten- grandios!
    Und im "a-tempo"-Teil ab Takt 113 spielt er wieder auf das Feinste diese Tempo-Variationen mit den Achteln, Sechzehnteltriolen und Zweiunddreißigsteln, die dann zu der überirdischen, musikalisch etwas veränderten Überleitung führen.
    Und dieses "molto espressivo" spielt er mit allem Ausdruck, der ihm zu Gebote steht, und das ist nicht wenig. Man spürt das als Hörer, jedenfalls meine ich das inzwischen, wenn ein Pianist diese Stelle spielt, mit einer Intensität des Ausdrucks, als wenn es das Letzte wäre, was er in seinem Leben tun kann. Auch die neuerliche Überleitung zur Coda und die Coda selbst, das ist in dieser Aufnahme ganz, ganz große Pianistik, auch der letzte Blick auf den ganzen Satz, quasi wie im Brennglas, mit dem tumultösen Untergang, dem anschließenden letztmaligen langen Ritardando, dem letztmaligen dynamischen Aufbäumen und dem langsamen Verdämmern.
    Mein Gott- welch ein Satz!!!


    Den ersten Teil des Largos (Takt 1 und Takt 2 bis zur Fermate) spielt Eric Heidsieck in moderatem Tempo, beim "Un poco piu vivo" dreht er jedoch ziemlich auf. Beim Allegro ab Takt 3 spielt er wieder maßvoll. Das ist dann doch etwas rätselhaft. Auch das "tenuto" scheint mir im Vergleich zu den anderen Satzteilen doch recht rasch, desgleichen das "accelerando" zu früh zu sein.
    In der Fuga, hier in der Exposition in B-dur, dem I. Teil der Fuga, Takt 16 bis 84, passt es wieder, und sein klares, transparentes Spiel trägt zu Erhellung der Struktur deutlich bei. Und ich habe nicht den Eindruck, dass Heidsieck hier mit irgendwelchen Schwierigkeiten zu kämpfen hätte. Der Hörer ist, zumindest hier noch, jederzeit auf der Höhe des Geschehens.
    Der II. Teil der Fuga, Takt 85 bis 152, die Themenvergrößerung in es-moll, der das musikalische Geflecht schon merklich verdichtet und geprägt ist zunächst von den hochrhythmischen und dynamischen Sforzandoketten, dann von dem Trillerdickicht und schließlich von den alerten Sechzehntelfiguren, läuft in Heidsiecks Lesart leichtfüßig und immer noch klar "lesbar ab.
    Im III. Teil, Takt 153 bis 207, dem Themenrücklauf in h-moll, weisen zunächst die kantablen Bögen den Weg, bevor erneut die alerten Sechzehntelfiguren, die Heidsieck nach wie vor flott von der Hand gehen, teils in die gleiche, teils in die gegensätzliche Richtung gehen, das rhythmisch-dynamische Geschehen wieder verdichten und flugs zum IV. Teil, Takt 208 bis 249, der Umkehrung des Themas in G-dur führen. Dieses ist dank Heidsiecks weiterhin klaren Klangs und kontrastreichen dynamischen Spiels nach wie vor gut zu verfolgen und erreicht mit einem bestens gemeisterten Triller-Intervall-Abschnitt den V. Teil (Takt 250 bis 278), dem Ruhepunkt, der Durchführung des 2. Themas in D-dur.
    Auch dieses spielt Eric Heidsieck meisterlich und schließt es wiederum mit einem ausdrucksvollen Ritardando ab., um darauf mit dem VI. Teil, Takt 279 bis 366 zu beginnen, dem dreigeteilten Abschnitt mit der Bearbeitung des 1. und 2. Themas gleichzeitig, dann dem 1. Thema zweifach und abschließende der Schlussankündigung der Durchführung, sämtlich in B-dur zu beginnen.
    Diesen vielleicht strukturell dichtesten Abschnitt spielt er nach wie vor transparent, fordert jedoch trotzdem die volle Aufmerksamkeit des Zuhörers, jedenfalls dessen, der eine Partitur in seiner Hand hat.
    Eric Heidsieck hat mich mit dieser Interpretation der Hammerklavier-Sonate positiv überrascht, jedenfalls bis hierhin, doch mit der phänomenalen Coda hat er eine grandiose Interpretation der Sonate würdig abgeschlossen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Paavali Jumppanen, Klavier
    AD: Juni 2011
    Spielzeiten: 12:01-2:57- 18:47 - 11:55 --- 45:40 min.;


    Paavali Jumppanen ist im Kopfsatz deutlich langsamer als Eric Heidsieck und erst recht als Friedrich Gulda. Er produziert einen sonoren Klang, seine Aufnahme ist allerdings auch über 40 Jahre jünger als die seiner Kollegen. Das Allegro ist hier eher ein Allegro maestoso, was ja für sich genommen nicht verkehrt ist. Er lässt auch die Fermaten (Takt 8 und 38) schön ausschwingen. Die dynamischen und temporalen Vorgaben sehe ich auch als erfüllt an, auch in der Überleitung und in der 1. Phase des Seitensatzes, in dem er in seinem Tempo die Möglichkeit ergreift, das Klavier hier singen zu lassen.
    Auch in der 2. Phase bringt er die Tempowechsel fein heraus. Und in der 3. Phase beachtet er sehr genau die dynamischen Bewegungen und die Intervallsprünge und lässt die Phase in einer gewaltigen Steigerung auslaufen.
    Die stimmungsmäßig und rhythmisch besonders kontrastreiche Schlussgruppe spielt er auch grandios und wiederholt natürlich anschließend die Exposition.
    Der Einleitung der Durchführung verleiht er durch gewaltige ff-Akkorde und ausgedehnte Fermaten das nötige Gewicht, auch zum Kern der Durchführung hin.
    Das Fugato spielt er in seinem ersten Teil in den vier Einsätzen sehr organisch und kontinuierlich steigernd. Aber die Steigerung ist hier noch nicht zu Ende. Im zweiten Teil mit den 4 Themenauftakten in c- moll, es-dur und ihren Dominanten folgt nicht nur eine grandiose dynamische Steigerung, sondern, wie ich finde, auch eine nochmalige interpretatorische, die im Stillstand in einem unglaublichen "poco ritardando" endet, dem ein sehr berührendes "cantabile espressivo folgt und ein kontrastreicher letzter Durchführungsteil mit den großartigen abschließenden vier Glissandotakten 223 bis 226.
    Und die Reprise hat es im Hauptthema mit der Modulation auch in sich. Mir kommt es so vor, dass er sich in den Ritardandostellen immer weiter ausdrucksmäßig steigert- grandios auch das dreitaktige Ritardando zur Rückleitung hin (Takt 264 bis 266).
    Auch die Rückleitung selbst und der Seitensatz sind nochmals dynamisch, rhythmisch und vom Ausdruck her grandios gespielt, vor allem in der 3. Phase mit der abschließenden zweigeteilten Schlussgruppe, dem anfänglichen überirdischen Cantabile und der Trillersteigerung, die ansatzlos in die unglaubliche Coda übergeht. Auch diese hält er auf dem sehr hohen Niveau, auf dem er den ganzen Satz gespielt hat.


    Im Scherzo fährt er mit seinem moderaten Tempo fort. Auch hier ist er in der Beachtung der dynamischen Akzente und ihrer Verschiebungen sehr aufmerksam und lässt das musikalische Geschehen in (der typisch nordischen) Ruhe fließen.
    Das kommt vor allem auch dem Trio zugute, in dem die Achteltriolen sehr gut zur Entfaltung kommen. Mitreißend gestaltet er auch das Presto mit dem abschließenden Prestissimo-Takt 112. Seine Lesart zeigt, welche Tempospanne das Trio umfassen kann, wenn man nicht zu schnell beginnt.
    Auch im Tempo I fällt auf, dass auf Grund des moderaten Tempos die zusätzlich Achtel im Alt nicht nur ein Anhängsel ist, sondern eine gleichberechtigte Note- wunderbar auch seine Lesart des Übergangs und des codartigen Prestos, vor dem er noch ein atemberaubendes "un poco ritardando" spielt- grandios gespielter Satz!


    Paavali Jumppanen nimmt das Adagio etwas langsamer als Eric Heidsieck und natürlich viel langsamer als Friedrich Gulda. Er legt die mezza voce"-Vorschrift etwas großzügig aus, zeichnet aber dennoch die dynamischen Bewegungen auf diesem Niveau aufmerksam nach. Auch hier sind wieder der klare und transparente Klang sowie der Ausdruck zu bewundern. Den ersten Bogen (Takt 14/15) nimmt er etwas zurück- wunderbar! Bei dem zweiten Bogen (Takt 22/23) verschiebt er den dynamischen Akzent etwas nach hinten.
    Auch der nächste Abschnitt "con grand'espressione" gefällt mir über die Maßen in seiner Klarheit, den exakten dynamischen Bewegungen und der temporalen Genauigkeit, einschließlich der wunderbar klingenden überirdischen Überleitung zum Seitenthema.
    Auch das himmlische Seitenthema ist in diesem Tempo und in diesem pianistisch hoch stehenden Spiel ein offenes Buch. Herrlich auch die nochmals etwas zurückgenommene Überleitung zur Durchführung. Nur in einem Tempo wie diesem klingt das m. E. so überzeugend wie hier.
    Und dann die Durchführung (ab Takt 69)- wie entspannt klingen doch die Sechzehntel-Aufwärtsbewegungen, und dann die Sequenz "poco a poco due ed allora tutte le corde"- hier klingt sie wie ein strahlender Sonnenaufgang, der gleich darauf wieder vergeht (una corda, Bogen ab Takt 80 mit Auftakt). Die ganzen dynamischen Kontraste in dieser Sequenz bis hin zum Übergang zur Reprise, im "Diminuendo-Smorzando" spielt er mitreißend.
    Das gilt auch für die wundersame Reprise, die mit dem langen Zweiunddreißigstel-Abschnitt beginnt.
    Jumppanen spielt den ersten Teil dynamisch hochstehend, mit viel Ausdruck und rhythmischem Impetus. Auch den weiteren Verlauf der Zweiunddreißigstel-Sequenz spielt er mit genauer Beachtung der dynamischen Vorgaben, hält so auch in diesem Tempo die fließende Bewegung aufrecht bis zu den abschließenden Oktavierungen (Takt 102/103). Und auch in diesem Tempo versteht er es noch das lange Ritardando (Takt 107 bis 112) regelgerecht auszuführen.
    Und den "a tempo"-Abschnitt ab Takt 113 spielt in seiner schon sprichwörtlichen Klarheit mit größtmöglichem Ausdruck und dynamischer Verve über die variierte Überleitung hin zum himmlischen Seitenthema, welches er wieder grandios spielt und über die Zweiunddreißigstelfiguren zur Coda überleitet- jenem kurzen Abbild des ganzen Satzes, in dem aber- typisch Beethoven- das Seitenthema kurz nach seinem neuerlichen Auftauchen in einer beispiellosen Steigerung zerbröselt wird. Das spielt er ebenfalls grandios, nach dem Tumult subito piano hin zum neuerlichen Hauptthema (ab Takt 166), dann nochmals in das lange ritardando hinein, nachdem sich das Geschehen ein letztes Mal dynamisch aufschwingt, bevor es langsam in sich zusammensinkt.
    Auch diesen letzten Abschnitt spielt Jumppanen unglaublich- insgesamt ein Adagio der absoluten Spitzenklasse, jedenfalls nach meiner Ansicht!


    Auch das Largo spielt Jumppanen in einem wohltuend zutreffenden Tempo, desgleichen das "Un poco piu vivace". Ebenso ist das Allegro angemessen, wenn ich auch im Tempo I nicht ganz verstehe, weshalb er da crescendiert. Der Takt 7 stand im Forte, der Takt 8 im Piano, und hier im Takt 9 gibt es keine neue Lautstärke-Vorschrift. Deshalb muss er hier auch kein Forte spielen. Das Weitere spielt er dann wieder, wie es gehört: vom Crescendo zum Accelerando und im Prestissimo mit einem Ritardando endend.
    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, spielt er zwar zügig, aber nach wie vor klar im Klang und exakt in den dynamischen Bewegungen und in den rhythmischen Abläufen. Und er strukturiert mehr als mancher Andere den Ablauf besser durch die Einhaltung der Pause. Auch wenn es zumeist Achtelpausen sind, so kann man die Struktur dadurch besser erkennen, wenn sie richtig gespielt werden.
    Der II. Teil, die Themenvergrößerung in es-moll, zieht gewichtig an uns vorüber, hier auch wesentlich erhellt durch den richtigen Rhythmus. Auch die dichte Triller-Sequenz (Takt 111 bis 129) klingt in Jumppanens Spiel mir klarer als im Spiel manches anderen Pianisten.
    Der III. Teil, Rücklauf des Themas in h-moll, wird auch nach der ersten, kantablen Hälfte noch klar durch die wiederholten gleichen musikalischen Figuren, zusätzlich durch Jumppanens klares Spiel.
    Im IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur, setzt sich das fort. Obwohl das Geschehen durch die überwiegenden Sechzehntel schneller geworden ist, ist auch dieser Knoten inzwischen gut zu entwirren, zumal auch in diesem Dickicht des IV. Teils Jumppanens klares Spiel positiv heraussticht und er diesen durch eine bemerkenswerte Triller-Intervall-Sequenz beendet.
    Der V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, ist auch in Jumppanens Spiel eine wahre Labsal, ich hoffe, dass nicht nur Meister Beethoven, sondern auch Meister Bach so denkt.
    Der VI. Teil mit drei Unterabschnitten, zuerst dem 1. und 2. Thema gleichzeitig, dann dem 1. Thema zweifach und dann der Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, ist wieder hochdynamisch und wird auch von Jumppanen so gespielt. Da gibt er nochmal alles, und das ist wirklich klar und deutlich und gleichzeitig virtuos und endet in der wundersamen Coda in einer gigantischen Steigerung mit einer beeindruckend langen Fermate.


    Bis auf die geringen Irritationen im Largo eine grandiose Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    2 Mal editiert, zuletzt von William B.A. ()


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Wilhelm Kempff, Klavier
    AD: Januar 1964
    Spielzeiten: 8:47(11:27)-2:40-16:25-12:00 --- 39:52 (42:32) min.;*


    Wie schon die angegebenen Spielzeit vermuten ließ, gehört Wilhelm Kempff im Kopfsatz nicht zu den Schnellsten, er wiederholt nur nicht die Exposition. Dafür wird sofort deutlich, dass er genauer als mancher Andere im Themenauftakt zwischen Staccato und in der Wiederholung Non-Staccato unterscheidet. Und: er ist sofort wieder da, der sanglich Ton der Wilhelm Kempff, ob bei Schubert, oder ob bei Beethoven, so zu eigen ist.
    Dies wird besonders deutlich im Seitenthema, und auch die Klarheit seines Klanges und die dynamische Sorgfalt. Auch die Tempowechsel in der 2. Phase sind zutreffend. Großartig auch die Schlussgruppe mit dem Stimmungsgegensatz zwischen dem 1. lyrischen Gedanken und dem 2. hochdynamischen Gedanken, den er am Expositionsende (wie schon gesagt, ohne Wiederholung). machtvoll in die Durchführungseinleitung einfließen lässt.
    Auch hier fällt der große Kontrast zwischen ff und pp auf, ebenso wie am Anfang des Durchführungskerns zwischen dem ff-fp (Takt 134 mit Auftakt) und dem als Echo gespielten f-fp (Takt 136 mit Auftakt)- großartig.
    Das Fugato gefällt mir besonders, weil er es trotz allem Staccato- und Non-Legato-Charakter doch fließen lässt und den Ausdruck vor allem in der zweiten Hälfte des Fugatos mit dem viermaligen Themenauftakt in c-moll und Es-dur sowie ihren Dominanten, und es in einem wunderbaren Stillstand im "poco ritartando auslaufen lässt. Auch das nachfolgenden "cantabile espressivo" ist echter "Wilhelm Kempff"-Gesang, der letzte Durchführungsteil nicht so massiv-erdenschwer in den Forti wie schon gehört, die letzten vier Glissandotakte 223 - 226 wunderbar.
    In der Reprise erweist er sich zu Beginn der Modulation Takt 233ff. weiterhin als "Meister des Ritardando", lässt das darauf folgende "cantabile e ligato" wunderbar singen und entwickelt dann ein fulminantes "crescendo poco a poco", das sich im Grunde bis zum Ende des Hauptthemas über 26 Takt erstreckt, obwohl es wegen der -Dynamikwechsel ab Takt 248 immer wieder erneuten Anlauf nehmen muss.
    Nach der Rückleitung spielt er den Seitensatz genauso ausdrucksvoll wie in der Exposition, obwohl das Thema im ersten, dem Legatoabschnitt um eine Oktave tiefer liegt, aber man kann auch tiefer schön singen.
    Ein letztes Mal zieht die kontrastreiche Schlussgruppe an uns vorüber und dann die phänomenale Coda, von Wilhelm Kempff adäquat wiedergegeben.


    Das Scherzo spielt Wilhelm Kempff etwas schneller als Jumppanen, aber langsamer als Heidsieck und bei weitem langsamer als Gulda, weiterhin sehr klar und dynamisch sehr aufmerksam. Im Trio sind die Achteltriolen sehr gut zu vernehmen. Presto und Prestissimo sind temporal gut kontrastiert gegenüber dem Trio.
    Auch im Tempo I mit der klar vernehmbaren zusätzlichen Achtel im Alt bleibt Kempff auf dem hohen interpretatorischen Niveau des ganzen Satzes.


    Wilhelm Kempff ist im Adagio deutlich schneller als Jumppanen und Heidsieck, spielt jedoch so abgeklärt und lässt in diesem Tempo die Musik so wunderbar fließen, dass ich auf keinen Fall sein Tempo als zu schnell bezeichne.
    Dynamisch bleibt er moderat im Rahmen der Satzbezeichnung "mezza voce" und zeichnet die dynamischen Bewegungen sorgfältig nach. Der erste Bogen (Takt 14715) und der zweite Bogen (Takt 22/23) sind sehr ausdrucksstark gespielt, und im Abschnitt "con grand'espressione" spielt er dynamisch besonders differenziert, so dass man trotz des dort etwas schnelleren Tempos die Achtel, Sechzehntel und Zweiunddreißigstel gut unterscheiden kann.
    Die überirdische Überleitung zum Seitenthema ist in seiner Lesart ergreifender, zu Herzen gehender Gesang, ebenso wie das himmlische Seitenthema selbst. Neben dem tief empfundenen Gesang spürt man m. E. auch die Achtung, die Wilhelm Kempff vor diesem musikalischen Wunder des Adagios hat. Wunderbar auch die Überleitung zur Durchführung mit den häufig in diesem Satz wiederkehrenden "Erkennungs-Intervallen", erst eine Sexte, dann eine Terz, hier z. B. in Takt 63 und 64 auf der Eins sowie in Takt 65 und Takt 66 auf der Eins. Diese Figuren hat Beethoven immer in den Übergängen komponiert, quasi als "Richtungspfeiler".
    Dieser kurzen, aber ausdrucksstarken Durchführung misst auch Wilhelm Kempff besondere Bedeutung bei, was man auch an dem etwas stärker abgesenkten Tempo erkennen kann- wunderbar seine aufsteigenden und absinkenden dynamischen Bewegungen, und das abschließende "Diminuendo Smorzando" (Takt 85/86, unmittelbar vor der Reprise.
    Die Reprise selbst spielt Wilhelm Kempff mit unglaublichem Ausdruck und musikalischer Tiefe- welch ein beseligender Gesang!, der in dem zaubrischen Ritardando ab Takt 107 wieder aufgenommen wird. Hier wirkt diese Verzögerung natürlich noch etwas stärker, da sie aus einem höheren Grundtempo entsteht und in Takt 112 fast zum Stillstand kommt.
    Im "a tempo"-Abschnitt, der hier zur musikalisch variierten Überleitung führt, spielt er weiter auf höchster Ausdrucksstufe, die er auch beibehält, als in den Oktavgängen ab Takt 125 die dynamische Kurve absenkt. Andere ziehen das Crescendo gnadenlos durch.
    Auch der zweite Gesang des Seitenthemas öffnet den Blick weit in die andere Dimension- grandios! Er beendet diesen Blick mit einem unglaublichen Bogen in Takt 143 und senkt die dynamische Kurve in den Zweiunddreißigsteln wieder ab, sich langsam über die Achtel/Viertel/Überleitung der Coda nähernd, wie uns die "Erkennungs-Intervalle wieder anzeigen (Takt 148 bis 151). Dann auch hier der rätselhafte kurze Blick über den ganzen Satz mit dem kurzen Auftritt des Seitenthemas und seinem schnellen, extraordinären Ende. Aber bei Kempff ist das Ganze nicht so tumultös wie bei anderen- und dann ein letztes Mal das rätselhafte Ritardando, hier wieder eine Schlüsselstelle, das letzte Crescendo und dann das Verflackern, bei Kempff ein meisterhaftes Morendo!
    Welch ein Adagio- welch ein meisterhafter Ausdruck, ein zu Herzen gehender Gesang!


    Das Largo spielt Wilhelm Kempff in moderatem Tempo, das den Metronomangaben so ziemlich entspricht. Im "un poco piu vivace legt er ein wenig zu. Auch das Allegro ist durchaus im Rahmen, das "tenuto" wirkt da schon etwas rascher, das "a tempo" habe ich am Anfang auch schon langsamer gehört, was mir besser gefallen hat, aus dem Prestissimo heraus spielt er dann allerdings wieder ein schönes Ritardando.
    Den I. Teil der Fuga, die Exposition B-dur , Takt 16 - 84, spielt er so klar und transparent, dass es ein Leichtes ist, den Fortgang zu verfolgen und das Ineinandergreifen der musikalischen Figuren in Diskant und Bass zu bewundern.
    Der II. Teil, die Vergrößerung in es-moll, Takt 85 bis 152, spielt er kraftvoll, in einem schweren -Rhythmus, der die langen Sforzandoketten ins rechte Licht rückt. Auch die Trillerketten flicht er organisch in den Ablauf ein und geht elegant zu den leichtfüßigen Sechzehntelfiguren in der zweiten Hälfte dieses Teils über.
    Im III. Teil, dem Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, arbeitet er die cantablen Bögen gut gegen die eckigen Rhythmen in den Sechzehntelfiguren der Begleitung heraus, und im zweiten Abschnitt kann man die gegenläufigen Sechzehntelfiguren in Kempffs Lesart ebenfalls gut unterscheiden.
    Der IV, Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, besticht wieder durch die gleichen bzw. ähnlichen Sechzehntelfiguren in Diskant bzw. Bass. Kempff spielt auch das sehr klar und deutlich, und im Gegensatz zu manchem anderen seiner Kollegen bzw. Kolleginnen gewichtet er die Triller-Intervalle am Ende dieses Teils ungleich stärker.
    Im kurzen V. Teil, der Durchführung des 2. Themas in D-dur, zeigt Kempff so nebenbei, welch ein formidabler Bach-Interpret er auch ist.
    Dann folgt der letzte Anstieg, der VI. Teil, zuerst mit dem gleichzeitig durchgeführten 1. und 2. Thema, dann dem zweifachen Durchführen des 1. Themas, dann der Schlussankündigung der Durchführung. Auch diesen enormen Teil absolviert Wilhelm Kempff mit gewohnter Souveränität. hier besticht vor allem sein kraftvolles Bassspiel im Mittelabschnitt, auch des vertrackten Rhythmus der Schlussankündigung der Durchführung wird er Herr und schließt mit einer souverän gespielten Coda ab, in einem Satz, in dem er vom leichten Spiel bis zum kraftvollen Fortissimo alles geboten hat, was ihm abverlangt wurde, für einen Pianisten, dem die Virtuosität nicht gerade nachgesagt wurde, eine grandiose Leistung, die vor allem in Punkto Ausdruck keinen Vergleich zu scheuen braucht.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:


    *) Die Zahlen in Klammern sind die Zeitangaben mit gedachter Wiederholung der Exposition.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Mari Kodama, Klavier
    AD: Februar 2013
    Spielzeiten: 11:09-2:37-15:52-11:25 --- 41:03 min.;


    Mari Kodama ist im Kopfsatz nur unmerklich schneller als Wilhelm Kempff, aber doch schon etwas deutlicher als Paavali Jumppanen. Zu rühmen ist wiederum der tolle Klang der Aufnahme. Auch dynamisch und rhythmisch bewegt sie sich durchaus im Rahmen der Partitur.
    Auch Überleitung und 1. Phase des Seitensatzes lässt sie harmonisch au uns vorüberfließen, und in der 2. Phase zeichnet sie aufmerksam die Tempowechsel nach. In der 3. Phase flicht sie organisch die beiden Oktavierungstakte 81 und 83 ein und lässt eine großartige Steigerung folgen (Takt 87ff).
    Besonders angetan bin ich von ihrer Lesart des 1. Gedanken der Schlussgruppe, dem "cantabile, dolce ed espressivo", den sie deutlich verlangsamt und so den Ausdruck, wie ich finde, noch sehr verstärkt und gleichfalls mit dem Crescendo nicht nur eine grandiose Steigerung spielt, sondern durch die hier erfolgte Temposteigerung auch diesen Kontrast stark hervorhebt. Natürlich wiederholt auch sie die Exposition.
    Die Einleitung der Durchführung gestalte sie ebenfalls sehr hochdynamisch sowie die beiden Fermaten auf dem ff lang anhaltend, auch hier wieder ein feiner dynamischer Kontrast zum anschließenden pp bzw. sempre pp.
    Den Kern der Durchführung eröffnet sie mit zwei sonoren ff-Glockenschlägen. Die vier Einsätze des ersten Fugatoteils gestaltet sie sehr transparent mit einer kontinuierlichen dynamischen Steigerung über alle vier Einsätze.
    Auch der zweite Fugatoteil mit den vier Themenauftakten in c-moll und Es-dur sowie ihren Dominanten erklingt sehr ausdrucksstark und wunderbar gezeichnet in den hohen Achtelfiguren sowie einer grandiosen Steigerung zum Stillstand hin, in dem ich mir allerdings das "poco ritardando" noch etwas eindeutiger gewünscht hätte. Aber das ist im Grunde genommen Jammern auf hohem Niveau.
    Das folgende "cantabile espressivo und der letzte Durchführungsteil mit den abschließenden vier Glissandotakten 223 bis 226 sind dafür wieder um so überzeugender.
    Auch der erste Abschnitt der Reprise mit der thematischen Modulation ist in allen drei Thementeilen mitreißend musiziert. Auch die beiden Ritardandi (Takt 234 und 264ff.) treten nun wieder deutlich hervor.
    Rückleitung und Seitensatz (in allen seinen drei Phasen) schließen sich auf sehr hohem Niveau an, ebenso wie die stimmungsmäßig sehr kontrastreiche Schlussgruppe und die wundersame, grandios musizierte Coda.
    Ein Kopfsatz auf sehr hohem Niveau.


    Im Scherzo ist sie tempogleich mit Wilhelm Kempff, mithin deutlich schneller als Paavali Jumppanen.
    Das "Assai vivace" spielt sie dynamisch sehr pointiert und rhythmisch sehr aufmerksam in einem schön wiegenden, fließenden Dreiertakt.
    Ein Glanzstück stellt das Trio dar mit deutlichen Achteltriolen und äußerst kontrastreichem Presto/Prestissimo.
    Auch für das Tempo I kann ich mich begeistern, in dem auch die zusätzliche Achtel sehr gut vernehmbar ist und wieder ein schön wiegender Fluss existiert einschließlich des frappierenden, typisch Beethovenschen Schlusses.


    Im Adagio ist sie noch etwas schneller als Wilhelm Kempff und somit deutlich schneller als Paavali Jumppanen.
    Dennoch strahlt ihr Vortrag Ruhe aus, ist dynamisch maßvoll bewegt und sehr ausdrucksstark mit zwei wunderbaren Bögen in Takt 14/15 und 22/23 und einem tief greifenden "con grand'espressione, in dem trotz des höheren Tempos die Wechsel zwischen den Sechzehnteln und Zweiunddreißigsteln (in Takt 32 bis 35) gut zu unterscheiden sind und sie eine traumhafte überirdische Überleitung zum Seitenthema spielt. Auch das Seitenthema selbst gefällt mir in ihrer Lesart über die Maßen. Selbst die Steigerung mit den Sechzehnteltriolen legt sie mehr als dramatische und dynamische denn als temporale Steigerung an. und retardiert im Übergang zur Durchführung wieder deutlich.
    Auch die kurze Durchführung gerät in ihrem unbeirrbaren Fortschreiten sehr überzeugend und dynamisch kontrastreich mit einem sehr schönen Übergang zur Reprise im "diminuendo smorzando" (Takt 85/86).
    Einzig in der ersten Sequenz in der Reprise, in den Zweiunddreißigsteln, ist mir das Ganze etwas zu schnell. Wenn Beethoven an diesen Abschnitt ein "Andante" geschrieben hätte, aber das hat er nicht.
    Natürlich ist dann auf dieser Tempostufe das sechstaktige Ritardando am Ende dieser Sequenz wieder einfacher zu gestalten, und das gelingt ihr dann auch.
    Und das "a tempo" ab Takt 113 ist dann m. E. wieder auf alter interpretatorischer Höhe, hin zu der modifizierten überirdischen Überleitung zum Seitenthema. Und diese Überleitung spielt sie einmal mehr zu Herzen gehend, ebenso wie das Seitenthema und der Übergang zur Coda. Wunderbar gestaltet sie da die temporale Absenkung, und die wundersame Coda mit dem gedrängten Rückblick auf den ganzen Satz, den sie grandios spielt und auf dem Höhepunkt des dramatischen Furors ins "subito piano" geht und ein letztes Mal das rätselhafte Ritardando an uns vorüber ziehen lässt und den wunderbaren satz in einem wahrhaftigen Morendo auslaufen lässt.
    Es wäre hier m. E. möglich gewesen, mit, sagen wir zwei Minuten längerer Dauer an den entsprechenden Stellen tiefer zum musikalischen Kern vorzudringen. Aber auch so ist ihre Interpretation auch in diesem Satz bemerkenswert.


    Mari Kodama spielt das Largo m. E. im Binnenvergleich aller Sätze moderat und mit nach wie vor größtmöglicher Klarheit und Transparenz im Klang. Es ist eine Wonne, das zu hören.
    Im allegro zieht sie natürlich an, aber es passt noch. Dynamisch ist das alles sehr zutreffend.
    Auch das "tenuto" ab Takt 9 gefällt mir, ebenso das "a tempo" mit dem abschließenden Ritardando. Das Allegro risoluto bleibt auf dieser interpretatorischen Höhe.
    Und die Exposition in B-dur, der I. Teil der Fuga, kommt auch so klar daher, dabei im Tempo weiter im Rahmen, dass man die Vielstimmigkeit dieser Fuge in diesem Abschnitt mehr als bei manchem anderen Beispiel vernehmen kann.
    Auch der II. Teil der Fuga, die Vergrößerung des Themas in es-moll, kommt dank Mari Kodamas klarem Spiel sehr transparent daher, und die Sexten-Gänge im Diskant und im Bass, (ab Takt 97), später als Sforzandi, (ab Takt 102), spielt sie so prägnant, dass sie diesen Abschnitt sehr gut strukturieren, bis sie von den multiplen Trillern abgelöst werden, die sie jedoch auch klar vorbringt, die dann im dritten Abschnitt (ab Takt 131) von den wiederkehrenden Sechzehntelfiguren abgelöst werden.
    Der III. Teil, der Rücklauf in h-moll, gut strukturiert durch die Legatobögen im "cantabile" der ersten Sequenz und wiederum die ähnlichen Figuren in den Sechzehnteln der zweiten Sequenz, zieht auch klar an unserem Ohr vorüber, trotz der Gegenläufigkeit der Figuren und des vertrackten Rhythmus.
    Im IV. Teil der Umkehrung des Themas in G-dur, spielt sie die wechselnden Rhythmen und die scheinbar willkürlichen, aber doch genau von Beethoven geplanten Auf- und Abläufe der musikalischen Figuren durch wieder sehr plastisch, so dass der Hörer jederzeit auf der Höhe des Geschehens ist. Auch sie schließt diesen Teil mit einer bemerkenswerten Lesart der wilden Intervall-Triller ab.
    Und auch sie kann Bach, wie sie uns eindrucksvoll im V. Teil, der Durchführung des 2. Themas in D-dur, unter Beweis stellt
    Schließlich ist ihr auch der umfangreiche VI. Teil mit der gleichzeitigen Durchführung des 1. und 2. Themas, dann der zweifachen Durchführung des 1. Themas, dann der Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, kein "Buch mit sieben Siegeln". Vor allem das "ben marcato" ab Takt 286, das wie ein Ruck durch das Stück geht, gefällt mir in ihrer Lesart sehr gut. Ebenso meistert sie im zweiten Abschnitt, "sempre ben marcato", ab Takt 293, die dynamische Steigerung, die sich auf diesem Level hält und sich in wilden Schwüngen bis zur Schlussankündigung der Durchführung fortsetzt.
    In dieser wird ein letztes Mal das Thema durchgeführt und läuft in einem kühnen Fortissimo bis zum Beginn der Coda fort.
    Die Coda spielt sie auf dem gleich hohen Niveau wie die ganze Sonate zu Ende.


    Eine große Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Michael Korstick, Klavier
    AD: August 2003, Pforzheim
    Spielzeiten: 9:01-2:19-28:36-11:04 --- 51:00 min.;


    Mein Gott, dieser Michael Korstick. Sein Allegro fegt wie ein Orkan über den Hörer hinweg. Dabei spielt er, wie ich finde, mit höchster Präzision und mit größter Sorgfalt in den temporalen und dynamischen Bewegungen. Nur so können mit diesem eminenten Grundtempo diese unglaublichen temporalen Kontraste in den beiden Ritardandi in Takt 8 und 32 bis 34 entstehen. Und welche unglaubliche Transparenz im "Crescendo poco a poco" ab Takt 11, in dem man trotz des Tempos wirklich jeden Ton in diesem Furioso punktgenau verorten kann.
    Im Hauptthema III und in der Überleitung hält er das Tempo weiter hoch. Auch das Seitenthema bleibt so, aber es fällt angesichts des hohen Grundtempos nicht heraus, sondern er bringt es zum Glitzern. Es entsteht hier eine ganz andere, mitreißende Stimmung, ein enormer Vorwärtsdrang, auch durch die dritte Phase hindurch.
    Und die Schlussgruppe, kantabel und ausdrucksvoll im 1. Gedanken, habe ich im 2. Gedanken noch nie so gehört. So schnell zu spielen ist eine Sache, aber dabei auch so expressiv zu spielen, eine ganz andere. Korstick schafft das m. E. ganz überragend. Selbstverständlich wiederholt er diese unglaubliche Exposition.
    In der Einleitung der Durchführung spielt er dann auch die beiden Fermaten aus und schafft auf diese Weise zwischen Takt 123 und 124 einen enormen temporalen Kontrast.
    Im Kern der Durchführung treibt er das musikalische Geschehen weiter unerbittlich voran. Trotz dieses hohen Tempos kann man dank seines überragenden Spiels alle Stimmen im Zusammenspiel sehr genau erkennen und somit auch den Aufbau dieser ersten Hälfte des Durchführungskerns.
    Die zweite Hälfte des Durchführungskerns mit den Themenauftakten des Fugatos in c-moll und Es-dur und ihren Dominanten versetzt mich dann wieder in die romantische Märchenwelt der Mendelssohnschen Elfen und Kobolde wie vordem schon mal. Und auch hier endet er mit einem traumhaften Ritardando. Den Bogen dieses Ritardando verlängert er wunderbar in einem berührenden Cantabile espressivo, und im letzten Durchführungsteil mit den vier abschließenden Glissando-Takten fährt er dynamisch erheblich zurück- wunderbar!
    Die Reprise beginnt er so stringent wie die Exposition, und der aus der Modulation aus dem nochmals langsameren Ritardando (Takt 234) entstehende Kontrast ist ungeheuerlich. Im anschließenden "a tempo" entwickelt sich sein "cantabile e ligato" zu einem mitreißenden, beinahe jubelnden Gesang, der im Hauptthema II sich zu einer grandiosen Steigerung hochschaukelt und in einem abermals berückenden Ritardando quasi zum Stehen kommt.
    Eine neuerlich mitreißende Rückleitung und nachfolgender Seitensatz ziehen nochmals zügig an uns vorüber, die in eine abermals berührende und fulminante Schlussgruppe münden, die wiederum in eine denkwürdige Coda, denn kaum einer dürfte in der Lage sein den Beginn der Coda mit den ungeheuer schwierigen Oktavwechseln in beiden Oktaven in den Achteln (Takt 350 bis 361) so präzise zu spielen wie Michael Korstick, und auch die zweite Hälfte mit den heftigen Dynamikwechseln spielt er einfach überragend, eben wie den ganzen Satz!!


    Überragend spielt er auch das Scherzo, und er spielt es gehörig schnell, wofür er ja bekannt ist, ebenso, wie dafür, dass er langsame Sätze auch wirklich langsam spielt. Aber dazu kommen wir noch. Was aber genauso zutreffend ist, ist seine überragende Behandlung der dynamischen Bewegungen, die ja gerade in diesem Satz von eminenter Bedeutung sind. Hier haben wir allein im Scherzo, also im ersten Teil 8 An- und Abschwellungen sowie 8 Abschwellungen und im Tempo I fast die gleiche Zahl, nur eine An- und Abschwellung mehr. Und ich bin der Meinung, dass man erst, wenn man alle diese dynamischen Bewegungen richtig spielt, so wie Korstick hier, das Wesen dieses zwar kurzen, aber im gesamten Bauplan dieser gewaltigsten aller Sonaten eminent wichtigen Satzes erst richtig erschließt.
    Selbstverständlich, dass Korstick trotz seines Tempos hier im Trio auch die Achteltriolen richtig zum Klingen bringt, und das Presto und Prestissimo sich nahtlos in dieses hohe Niveau einfügt.
    Und auch im Tempo I ist es ihm ein Leichtes, uns die zusätzliche achtel im Alt verständlich zu machen.
    Nachzutragen, aber beinahe überflüssig zu sagen, dass er auch im Trio und Tempo I die dynamischen Bewegungen, die Beethoven komponiert hat, genauestens nachzeichnet.
    Auch diesen Satz finde ich überragend gespielt.


    Michael Korstick versteht es, ähnlich wie Swjatoslaw Richter in Schuberts G-dur- und B-dur-Sonate (in den jeweiligen Kopfsätzen) in einem extrem langsamen Tempo die Spannung von Beginn an aufzubauen und aufrecht zu erhalten und dabei auch natürlich besonderen Wert auf die dynamischen Bewegungen zu legen, ohne die das sicherlich unmöglich wäre.
    Welch eine Wirkung erzeugt das dann z. B. im ersten, geradezu ein Staunen hervorrufenden Legatobogen in Takt 14/15 oder auch im zweiten (Takt 22/23), wobei sich durch das dynamische An- und Abschwellen unter diesem Bogen fast der Eindruck ergibt, er meißele diese Achtel-Oktaven in die musikalische Kuppel.
    Und so erstaunlich es klingen mag, in diesem langsamen Tempo stellt Korstick z. B. im nächsten Abschnitt, "con grand'espressione" die unterschiedlichen Tempi der Sechzehntel und Zweiunddreißigstel in Takt 33 und 35 weitaus deutlicher dar, als sie es in einem schon 10 Minuten schnelleren Tempo sein können, während sie in einem Doppeltempo (Gulda 1967 oder Gieseking 1949) vollends unter den Tisch fallen, aber Beethoven sollte doch sicher, dass man sie deutlich hören kann.
    Ganz tief dringt er m. E. auch zum musikalischen Kern vor durch das langsame, insistierende Schreiten der überirdischen Überleitung zum Seitenthema (ab Takt 36 im "crescendo poco a poco"), das nicht nur beseligend, sondern m. E. auch unerschütterlich klingt.
    Und beim Seitenthema selbst fehlen mir vollends die Worte- da läuft es mir pausenlos den Rücken herunter. Man muss allerdings auch für diese Spielweise sein, um die permanente Spannung zu spüren. Es gibt auch Hörer, die das nicht sind und dann meinen, die Musik falle hier auseinander. ich meine das nicht.
    Auch im "una corda", ab Takt 61 mit Auftakt, wo er das Tempo wieder herabsetzt, bleibt m. E. der Spannungsbogen unvermindert aufrecht- welch ein Spiel!
    Auch die Durchführung in ihrer langsamen, aber unvermindert voranschreitenden spannungsreichen Bewegung schlägt mich in ihren Bann, und die bis zu sechsstimmige Struktur der kurzen, aber gewichtigen Durchführung liegt in seltener Klarheit vor uns, trotz ihres fragenden Charakters, vor allem im abschließenden "Diminuendo smorzando".
    Ganz außergewöhnlich expressiv gestaltet m. E. Korstick den ersten Teil der Reprise mit den 17 langanhaltenden Zweiunddreißigsteltakten und den durchgehenden Oktavwechseln, in denen man in seltener Klarheit Korsticks exaktes dynamisches Empfinden bewundern kann.
    Und auch das lange, sechstaktige Ritardando gelingt ihm, wie ich finde, bravourös, ausgehend von dem langsamen Grundtempo.
    Auch das nachfolgende "a tempo" ab Takt 113, mit den Sechzehnteltriolen und den beiden Zweiunddreißigstel-Takten 119 und 121, hin zu der musikalisch etwas anders als in der Exposition gestalteten überirdischen Überleitung zum Seitenthema spielt er m. E. atemberaubend. und expressiv, dass man ganz angespannt zuhört.
    Ebenso unglaublich geht es weiter, dem Ende des Seitenthemas zu, mit den etwas bewegteren auf und abstrebenden Tonleitern in beiden Oktaven hinein in den Diminuendo-Übergang mit den Zweiunddreißigsteln und den anschließende verlangsamten Achteln, hin zur Coda.
    Diese, mit der "Kurzzusammenfassung" des ganzen Satzes in höchstem dynamischen Furor, dem vor allem das Seitenthema zum "Opfer fällt", bleibt m. E. auf dem gleichen äußerst hohen Niveau wie schon der ganze Satz vorher, ebenso wie das neuerliche lange Ritardando und das letzte "a tempo" mit einer letzten dynamischen Erhebung und dem dann folgenden in jeder Hinsicht außergewöhnlich langsamen "Verdämmern".
    Diese m. E. herausragende Interpretation hat schon viel polarisiert. Mich hat sie in ihren Bann geschlagen.


    Mit dem Largo schlägt Michael Korstick einen klugen Bogen zu dem sehr langsamen Satz, und er kommt, wenn man einmal wirklich die Metronomzahlen zu Rate zieht, dem Vergleich 1/8=92 im Adagio zu 1/16=76 im Largo am nächsten, wenn man davon ausgehen darf, dass dieses Largo knapp zweieinhalb mal so schnell sein soll wie das Adagio.
    Und meine eingangs und an anderem Ort schon öfter gemachte Bemerkung, dass Korstick langsame Sätze wirklich langsam spielt und schnelle Sätze wirklich schnell, hat man nicht nur hier m Kopfsatz und Adagio gesehen bzw. gehört.
    Herauszuheben sind da die langsamen Sätze in vielen Beethoven-Sonaten, besonders in Nr. 3: 9:15 (5:50), Nr. 4: 10:23 (7:02), Nr. 5: 9:49 (7:19), Nr. 7: 13:01 (8:02), Nr, 11: 9:55 (5:38), Nr. 16: 12:16 (7:56), Nr. 17: 10:07 (7:55) und eben Nr. 29: 28:36 (13:42). In Klammern habe ich zum Vergleich die Spielzeiten von Friedrich Gulda (1967) geschrieben.
    Im "tenuto" geht er wieder merklich zurück und auch das "s tempo" spielt er, wie es gehört, auch das Allegro risoluto.
    In der Fuga, im I. Teil, der Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, liegt aber ein schneller Satz vor, und den spielt er schnell, schneller als andere, aber ebenfalls von seltener Klarheit und Transparenz, so dass man ihm as Hörer mühelos folgen kann. Und weil er auch in diesem schnellen Tempo mühelos die dynamischen Bewegungen präzise nachzeichnet, findet man als Hörer jederzeit Orientierung.
    Ebenso verhält es sich mit dem II. Teil, der Themenvergrößerung in es-moll, Takt 85 bis 152, , die er rhythmisch wie dynamisch grandios spielt, und bei dem Tempo auch das Trillergewirr Takt 111 bis 129 schön aufdröselt und auch die ähnlichen Sechzehntelfiguren so spielt, dass man das vielstimmige Gefüge besser durchschauen bzw. durchhören kann.
    Der III. Teil, der Rücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, gestaltet sich im ersten Abschnitt durch die kantable Oberstimme im Aufbau einfacher, erst im zweiten Teil wird der musikalische Aufbau dichter, und Korstick macht es dem Hörer durch sein präzises Spiel weiter leichter, dem Fortgang zu folgen.
    Der IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, gestaltet sich durch seine abnehmenden strukturelle Dichte un die nun häufigeren Oktavenwechsel, aber auch durch die Ausweitung der Intervalle in die hohe Lage, im ersten Abschnitt wieder einfacher zum Mitlesen.
    Im zweiten Abschnitt hält Korstick das Tempo unvermindert hoch und den Impetus unverändert stark vorwärts gerichtet und endet hier in einem furiosen Triller-Intervall-Sprung-Spektakel- grandios.
    Wie enorm mutet daher der temporale, aber auch stimmungsmäßige Kontrast zum V. Teil, der Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, dem zwar kürzesten, aber vom Empfinden her mit stärksten Fugatoteil in dem auch von Korstick meisterlich gespielten Abschnitt im Bachischen Stil an.
    Dann folgt die große Steigerung, der in drei Unterabschnitte gegliederte VI. Teil der Fuga, Takt 279 bis 366, dem gleichzeitige Spiel beider Themen, dem in den Vierteln und dem in den Sechzehnteln, dann dem zweifachen Spiel des 1. Themas und schließlich der Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur.
    Regungslos höre ich der Schlussapotheose Korsticks zu, einschließlich der unglaublichen Coda, einfach nur gigantisch!
    Eine herausragende Einspielung in jeder Beziehung!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Stephen Kovacevich, Klavier
    AD: Oktober 2001
    Spielzeiten: 10:20-2:46-16:21-11:20 --- 40:47 min.;


    Stephen Kovacevich spielt den Kopfsatz erheblich langsamer als Michael Korstick, ebenso wie er ihn erheblich schneller als Mari Kodama spielt. Di Ritardandi spielt er, wie ich finde, ordentlich, aber die Dynamikwechsel im Hauptthema II (ab Takt 17bis 24) könnten prägnanter sein, da sind mir die Piano-Takte zu laut Er schließt jedoch hier mit einem traumhaften Ritardando.
    Das Hauptthema III, die Überleitung und die 1. Phase des Seitensatzes sind dynamisch und temporal, wie ich finde, ohne Fehl und Tadel, allerdings kommen mir die Kontraste in den Tempowechseln in der 2. Phase zu kurz. Sie sind kaum wahrnehmbar. Die 3. Phase des Seitensatzes (Takt 74 bis 99) gefällt mir dann wieder besser, und die Schlussgruppe ist sowohl im kantablen 1. Gedanken als auch im hochdynamisch-rhythmischen 2. Gedanken ganz ausgezeichnet musiziert.
    Stephen Kovacevich wiederholt selbstverständlich auch die Exposition.
    Die Einleitung der Durchführung spielt er dann mit großer Kraftentfaltung, wodurch sich zum nachfolgenden Pianissimo ein großer Kontrast ergibt.
    Den Kern der Durchführung eröffnet er mit zwei schönen Glockenschlägen.
    Das nachfolgende Fugato spielt er mit gut vernehmbaren dynamischen Unterschieden in den vier Einsätzen, und rhythmisch spielt er diese Sequenz sehr pointiert.
    In der zweiten Hälfte des Durchführungskerns mit den Themenauftakten in Es-dur und c-moll und ihren Dominanten spielt er allerdings die hohen Achtelfiguren nicht so mendelssohnsch-elfenhaft und koboldesk wie mancher Andere, was mir besser gefallen hatte. Denn dadurch kam zwischen den ersten drei Einsätzen und dem vierten ein dynamischer und vom Charakter des Gewichtes her ein ungeahnter Kontrast zu Stande, den ich hier bei ihm nicht so empfinde. Und das "poco ritardando" im sogenannten Stillstand könnte prägnanter sein. So ist das m. E. noch kein Stillstand.
    Das nachfolgende "cantabile espressivo" gefällt mir wieder wesentlich besser.
    Die Reprise im Beginn und in der thematischen Modulation spielt er ganz ausgezeichnet, auch in der landen Steigerung "crescendo poco a poco, die er dann wirklich ein einem begnadeten "Ritardando" auslaufen lässt.
    In Rückleitung und Seitensatz ist mir diesmal durchgehend dynamisch zu wenig Kontrast, auch die Tempowechsel in der 2. Phase des Seitensatzes sind wieder kaum wahrnehmbar, jedoch gefällt mir die Schlussgruppe wieder ausnehmend, desgleichen die diffizile Coda, die er mit Bravour absolviert.


    Im Scherzo höre ich wieder dynamische Bewegungen, anfangen von einer recht hohen Grundlautstärke, die ich bei Michael Korstick nun gar nicht hörte, dessen dynamische Behandlung des Notentextes herausragend war. Hier höre ich z. B. den doppelten Bogen in Takt 25/26, genau im Übergang, ebenso wie in der Wiederholung in Takt 40/41, m. E. im Mezzoforte statt im Pianissimo. Leider hatte ich das im Verlaufe dieser Hörsitzungen schon verschiedentlich gehört. Dieser Satz ist extrem kurz, und da sind solche dynamischen Feinheiten äußerst wichtig, das kann man gar nicht wiedergutmachen. Temporal ist dagegen hier nichts zu bemäkeln.
    Das Trio spielt er dagegen vorbildlich, die Achteltriolen sind gut zu vernehmen, die dynamischen Bewegungen entsprechend der Partitur, Presto und Prestissimo mitreißend.
    Im Trio kann er auch die zusätzliche Achtel im Alt sauber herausstellen, leider macht er auch dynamisch wieder den gleichen Fehler an den Taktübergängen, hier Takt 139/140 und 155/156 wie zuvor im Scherzo. Das Presto ist wiederum in Ordnung.


    Im Adagio ist Stephen Kovacevic etwas langsamer als Mari Kodama, aber naturgemäß viel schneller als Michael Korstick. Aber das gefällt mir gut, wie er das macht. Er spielt die mezza voce mit großer Ruhe und maßvoller dynamischer Bewegung. Den ersten Bogen (Takt 14/15), spielt er, etwa im Gegensatz zu seinem Vorgehen im Scherzo, von einer niedrigen Stufe aus sehr introviertiert- wunderbar! Im zweiten Bogen (Takt 22/23), steigert er dann maßvoll, bleibt aber auch hier mehr im introvertierten Klangbereich, was aber sehr ausdrucksstark klingt.
    "Das anschließende "con grand'espressione" spielt er wirklich großartig, und in dem besagten Takt 33 kann man die Sechzehntel und Zweiunddreißigstel temporal gut unterscheiden.
    In der überirdischen Überleitung packt es mich dann zum ersten mal so richtig. Das ist eine grandiose Steigerung hin zum Seitenthema, und das setzt sich im himmlischen Seitenthema selbst fort.
    Ich ahbe in den ersten 37 Rezensionssitzungen selten eine Aufnahme erlebt, wo sich ein Pianist innerhalb weniger Minuten so gesteigert hat. Die meisten boten ein durchgehend hohes Niveau.
    Auch seine Überleitung zur Durchführung ist außergewöhnlich ausdrucksstark.
    Auch die Durchführung, die dynamisch doch sehr kontrastreich ist und das auf einem kurzen Raum von nicht einmal 20 Takten, spielt er mit großer Geste: da hat er doch so Einiges aus dem Scherzo wieder wett gemacht, auch im Abschluss mit dem "diminuendo smorzando". Allerdings packt er, wie ich finde den ersten Abschnitt in der Reprise, die Zweiunddreißigstel-Sequenz, doch zu schnell an. Das hätte er doch etwas langsamer spielen können (müssen).
    Und die zweite Chance, das lange Ritardando (Takt 1071 bis 112) kontinuierlich zu verlangsamen, ergreift er m. E. auch nur halb, denn in den ersten drei Takten retardiert er nicht genügend.
    Im anschließenden "a tempo" (ab Takt 113) spielt er mit gehörigem Ausdruck, aber auch mit gehöriger temporaler Bewegung. Das ist mir einschließlich der normalerweise überirdischen Überleitung wieder etwas zu schnell.
    Im Seitenthema stimmt es dann wieder, vor allem auch dank des dynamischen Impetus mit dem damit verbundenen hohen Ausdruck, und der grandiosen zur Coda hin abschließenden Überleitung.
    Auch die Coda spielt er auf höchstem Niveau, hier kommt ihm, in dieser brennglasartig verstärkten und verkürzten Zusammenfassung des ganzen Satzes mit der Zerlegung des Seitenthemas sein höheres Tempo zugute. Und im letzten Thema senkt er das Tempo wieder und spielt diesmal das lange Ritardando ohne Fehl und Tadel und nach dem letzten Crescendobogen (Takt 176) spielt er ein Diminuendo-Morendo auf allerhöchstem Niveau- das Beste, was er m. E. bisher in dieser Sonate gespielt hat.


    Das Largo spielt er wie den ganzen Satz etwas langsamer als Michael Korstick, etwa im gleichen Tempo wie Mari Kodama, wobei er das "un poco piu vivace" doch auch schneller spielt.
    Auch das Allegro spielt er vergleichsweise moderat und, wie auch mal bemerkt werden muss, mit klarem, transparenten Klang.
    Im "tenuto" (Takt 9) macht er einen großen Temposprung von den Achteltriolen zu den Sechzehntelsextolen/triolen, und im "a tempo"-Takt 10 beachtet er die Tempovorschriften doch sehr genau und spielt dann ein großartiges "accelerando-prestissimo".
    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt er mit großer Klarheit, guter Rhythmusgestaltung im Wechsel von Nonlegato und Legato und einer aufmerksamen Gestaltung der dynamischen Verläufe.
    Der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, mit ihrem zunehmen dynamischen Impetus und dem rhythmischen Gewicht spielt er, wie ich finde, auf sehr hohem Niveau, und er führt den Hörer auch sicher durch das Trillergewusel im mittleren Abschnitt (Takt 112 mit Auftakt bis Takt 129) und durch das dichte Stimmengeflecht des dritten, des Sechzehntel-Abschnittes.
    Den III. Teil, den Rücklauf des Themas in h-moll, gestaltet er nach wie vor sehr übersichtlich mit dem Cantabile im ersten Abschnitt und den gegenläufigen Sechzehntelfiguren im zweiten Abschnitt.
    Die Umkehrung des Themas in G-dur, der IV. Abschnitt, habe ich nicht immer so klar gehört wie hier, und immer klarer wird auch der Bau dieses Satzes, speziell hier in diesem IV. Teil der Themenumkehrung, die architektonische Verflechtung der kleinsten und größeren musikalischen Figuren, wie hier der Sechzehntel in ihrem vielfältigen Auftreten. Das anfangs verwirrende Muster wird mir immer vertrauter., und wenn man mir die Takte 225 bis 248 separat ohne Partitur vorspielen würde, glaube ich ohne Weiteres sagen zu können, wo wir uns gerade befinden. Das ist natürlich nicht schwer bei einem so irrsinnigen Abschluss dieses Teiles wie den irrwitzigen Trillerintervall-Sprüngen, nach denen uns eine Generalpause auf den Mittelpunkt, die kurze Ruhepause, den
    V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur vorbereitet.
    Diesen Teil, Takt 250 bis 278, spielt Stephen Kovacevich sehr zu Herzen gehend, bevor es an den
    VI. Teil, Takt 279 bis 366, in drei Abschnitten geht, das 1. und 2. Thema gleichzeitig, dann das 1. Thema zweifach und dann die Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur.
    Auch dies spielt Kovacevich, der am 17. Oktober 77 Jahre alt wird, souverän, mit großer Klarheit mit großem Vorwärtsdrang und großer Kraft. Auch den mittleren Abschnitt, hochdynamisch und von Sechzehntelfiguren geprägt, breitet er übersichtlich vor uns aus, einschließlich der kurzen Schlussankündigung, bei der es noch einmal in die höchste Lage geht, bevor er den kurzen letzten Anstieg bis zum Gipfel, die sagenhafte Coda, auch noch souverän erklimmt.
    Beim Anhören dieses Finales habe ich mich richtig wohl gefühlt. Das war nicht immer so bei etlichen Finals, aber auch in dieser ganzen Sonate war das bei Stephen Kovacevich nicht immer so.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Als neuen Pianisten habe ich Michal Leslie in meiner Sammlung, den mir Sagitt ans Herz gelegt hat. Ich will zuerst eine Einführung vorausschicken, wer Michael Leslie ist:


    Michael Leslie, australischer Konzertpianist, lebt und arbeitet in München:



    Sowohl die virtuose Interpretation als auch die so oft verkannte, der Musik innewohnende Botschaft des Komponisten ist ihm Auftrag, Verpflichtung und alleiniger Maßstab, nicht der äußere Glanz.
    Dessen völlig ungeachtet gelten Leslies Interpretationen beispielsweise der Werke Bachs, Beethovens oder Schuberts unter Kennern als Geheimtipp, möchte man doch im direkten Vergleich so manche Einspielung hochkarätiger Pianisten für immer beiseitelegen. Leslies Spiel zeugt von einer unvergleichlichen künstlerischen Detailtreue, einer Reife und Durchdringung, wie man sie bei den meisten Klaviervirtuosen unserer Zeit vergeblich sucht.
    Ein besonderer Schwerpunkt ist die Welt des späten Beethoven.


    Michael Leslie trat während seines Studiums am Konservatorium von Sydney mit führenden australischen Orchestern auf. So spielte er u. a. mit dem Sydney Symphony Orchestra die australische Erstaufführung des 1. Klavierkonzerts von Béla Bartók. Bei Rosl Schmid an der Münchner Hochschule für Musik setzte er sein Studium fort und gewann den 1. Preis des Wettbewerbs der westdeutschen Musikhochschulen und belegte als Preisträger des internationalen ARD-Wettbewerbs den dritten Platz.
    Leslies Repertoire reicht von Scarlatti bis Lutoslawski und enthält neben anderem die großen Klavierwerke Bachs, sämtliche Beethoven-Sonaten sowie das gesamte Klavierwerk Arnold Schönbergs. Der Vielschichtigkeit Franz Schuberts begegnet Leslie mit großem Respekt und Gründlichkeit. In einer Reihe von Rundfunkaufnahmen im In- und Ausland machte sich der in München lebende Künstler ebenso einen Namen wie durch zahlreiche Auftritte mit bedeutenden Orchestern. Das ungewöhnliche künstlerische Potential des Pianisten führte zu Gastspielen u. a. in Wien, Rom, Belgrad, Neapel, Paris, Glasgow, Sydney und in vielen deutschen Städten.
    siehe:


    (Hammerklavier-Sonate am 18. 5. 2014 live in Oberhaching)



    Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106, "Hammerklavier-Sonate"
    Michael Leslie, Klavier
    AD: 2008
    Spielzeiten: 9:53-2:32-15:41-2:37-8:52 --- 39:35 min.;


    Michael Leslie spielt den Kopfsatz etwas schneller als Stephen Kovacevich, aber auch etwas langsamer als Michael Korstick. Aber er spielt mit dem gleichen dynamischen Impetus, und auch ihm scheinen pianistisch ähnlich wie Korstick keine nennenswerten Grenzen gesetzt. Bereits im Hauptthema II ist er so im Vorwärtsdrang, dass er in Gefahr gerät das Ritardando zu beachten, es aber dann doch noch mit großem Ausdruck spielt.
    Wunderbar auch seine Überleitung und der zwar rasche, aber in der 1. Phase sehr ausdrucksstarke, sehr schön fließende Seitensatz, in der 2. Phase die präzisen Tempowechsel und in der 3. Phase die Oktavenwechsel mit der kraftvollen Schlusssteigerung.
    Auch die zweigeteilte Schlussgruppe spielt er im 1. Gedanken wunderbar kantabel mit gehörigem Tempokontrast und im 2. Gedanken in dem grandiosen Crescendo mit großer Sogkraft.
    Natürlich wiederholt auch er die Exposition.
    Sehr bestimmt geht er dann in die -Durchführung hinein mit starken Fermaten und einem schönen Crescendo.
    Mit zwei klangvollen Glockenschlägen leitet er den Durchführungskern ein.
    Hier vergrößert er vom Beginn des Fugatos an den dynamischen Kontrast, indem er im pp beginnt und sukzessive steigert. Sehr transparent fächert er dabei die dichte Struktur der Fuge auf.
    Ähnlich ausdrucksstark wie bei Korstick ist auch bei ihm die zweite Hälfte des Durchführungskerns mit den wunderbar schwebenden Achtel-Figuren in den Themenauftakten in Es-dur und c-moll und ihren Dominanten, die auch er im "Stillstand" in einem sehr berührenden "poco ritardando" auslaufen lässt.
    Fast noch stärker empfinde ich das anschließende "Cantabile espressivo", in dem er das abschließende in die letzten vier Glissandotakte (Takt 223 bis 226) hineinführende Crescendo wiederum aus einem sehr intimen tiefen Pianissimo heraus entwickelt- grandios!
    In der Reprise behält er die große Distanz zwischen dem Fortissimo der Themeneingangsakkorde und dem p(pp) der Themenfortsetzung bei und entwickelt so in der Modulation eine lange kraftvolle Steigerung, die er letztlich im Hauptthema II in einem wiederum berührenden Ritardando auslaufen lässt.
    Eine behände Rückleitung und ein mitreißender Seitensatz schließen sich wieder an, in dem er alle dynamischen und rhythmischen Bewegungen wieder aufmerksam nachzeichnet. Über eine grandiose Steigerung führt er in den Stimmungskontrast der Schlussgruppe und übergangslos in mitreißendem temporalen Vorwärtsdrang in die unglaubliche Coda hinein, in der er vor allem durch die genauestens ausgeführten Dynamikwechsel in einem mitreißenden Rhythmus glänzt- ein grandios gespielter Kopfsatz!


    Das Scherzo spielt Michael Leslie rhythmisch und dynamisch, wie es gehört, und ist dabei im Tempo etwas langsamer als Michael Korstick. Allerdings spielt Leslie das jeweils zweite "pp" in der Wiederholung an den Taktübergängen Takt 25/26 und 41/42 nicht ganz so präzise wie Korstick, aber das ist Jammer auf ganz hohem Niveau.
    Im Trio ist er jedoch wieder vollkommen in der Spur, und sein hohes technisches Können gibt auch die Garantie für die gut unterscheidbaren Achteltriolen. Abschließendes Presto und Prestissimo sind mitreißend wie eh und je.
    Auch im Tempo I bleibt kein Wunsch offen, weder in dynamischer noch in rhythmischer Hinsicht. Das hier entscheidende Detail, die zusätzliche Achtel im Alt bzw. im letzten Abschnitt (Takt 141 mit Auftakt bis Takt 155) im Tenor ist jederzeit klar vernehmbar.


    Im Adagio ist Michael Leslie allerdings sehr viel schneller unterwegs als Michal Korstick. Das ist nach meinem Empfinden schon fast grenzwertig. Allerdings sei an dieser Stelle noch auf eine andere Aufnahme Leslies hingewiesen, die sechs Jahre später entstanden ist, allerdings noch nicht auf CD verfügbar, wo er temporal zu ganz anderen Lösungen, nicht nur im Adagio, gelangt ist.
    Klanglich ist das natürlich hier auch allererste Güte, und er lässt es hier auch sehr schön fließen, und die beiden Bögen in Takt 14/15 und 22/23 sind auch in dieser Einspielung hervorzuheben. darüber hinaus gehört Leslie, die hier im "tutte le corde" (Takt 27) die drei Staccato-Sechzehntel, auf die Kaiser ja so großen Wert legt, exakt wiedergibt.
    Der überirdische Übergang (ab Takt 36) ist allerdings auch in diesem, hier etwas reduzierten Tempo, sehr berührend. Auch das himmlische Seitenthema sagt mir durchaus zu, allerdings muss ich einige Staccato-Sechzehntel, die er in der Begleitung ab Takt 45 spielt, und die dort nicht notiert sind, konstatieren. Ich bin mal gespannt, ob er sie in dem Live-Konzert von 2014 auch spielt. Den "una corda"-Übergang ab Takt 61 mit Auftakt spielt er allerdings grandios. Den ganzen Part bis zum Beginn der Durchführung (Takt 69) spielt er in 5:26 min., (Korstick in 10:32 min.,). Die ganze kurze Durchführung spielt er sehr schlüssig, und hier ist ein höheres Tempo als eines der häufiger von Beethoven verwendeten Merkmale durchaus zulässig, ebenso wie ein höherer dynamischer Impetus. Sehr schön auch sein abschließendes "diminuendo smorzando (Takt 85/86).
    Der ausgedehnte Zweiunddreißigstel-Abschnitt zu Beginn der Reprise gerät sehr überzeugend in seinem gleichmäßig-insistierenden dramatischen Zuschnitt und nicht zu schnell, wie ich finde, und von höchstem Ausdruck.
    Grandios spielt er das abschließende sechstaktige Ritardando, was natürlich bei schnellerem Grundtempo leichter zu spielen ist.
    Faszinierend ist seine Lesart des "a-tempo"-Abschnittes ab Takt 113, in dem er die Sechzehntelfiguren durch die Beachtung der Sechzehntel-Pausen quasi staccato spielt, was dem ganzen Abschnitt, wie ich finde, einen geheimnisvollen Anstrich gibt, auch dem "molto espressivo" des musikalisch variierten überirdischen zum Seitenthema. Im Seitenthema selbst spielt er die Begleitung wieder mehr staccato als non-legato.
    Im letzten Abschnitt des Seitenthema mit den Sechzehnteltriolen in der Begleitung glättet er den Rhythmus wieder und spielt am Ende einen wundervollen hohen Oktavbogen in Takt 143. Und der beseligende Übergang zur Coda ab Takt 148 mit den berühmten "Sext/Terz"-Intervallen, die Beethoven immer aufwärts wandern lässt, lässt keine Wünsche mehr offen.
    Die in ihrem ersten Abschnitt von dramatischem Furor gekennzeichnete Coda spielt Leslie mit unglaublicher Zuspitzung, um danach "una corda" ein wiederum großartiges Ritardando zu spielen, ein letztes dramatisches Crescendo und dann ein berührendes Morendo.
    Ein doch größtenteils sehr überzeugendes Adagio, das es mit etwas mehr Zeit m. E. ganz auf den Beethovenschen Olymp geschafft hätte.


    Da Largo und das "Un poco piu vivace" spielt Michael Leslie in wohltuend moderatem Tempo, wodurch er auch in diesem relativ kurzen Satz (in dieser Aufnahme ist das Largo als eigenständiger Satz bezeichnet)tiefer zum musikalischen Kern gelangt.
    Der temporale Kontrast im Allegro (Takt 3 bis 8) ist dafür um so größer, ebenfalls in umgekehrter Richtung im "tenuto". Auch das "a tempo - accelerando -prestissimo" (Takt 10) gefällt mir über die Maßen.


    Den I. Teil der Fuga, die Exposition in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt Michael Leslie ähnlich wie Michael Korstick sehr schnell, aber auch sehr transparent, so dass man sich gut orientieren kann. Rhythmus und Dynamik trifft er hier sehr gut.
    Im II. Teil der Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, gestaltet er weiterhin trotz hohen Tempos und weiter zunehmender musikalischer Dichte durch klares Spiel, starken Rhythmus und deutliche dynamische Bewegungen sehr übersichtlich.
    Der III. Teil der Rücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, Takt 208 bis 249, ist dank seiner überragenden Pianistik, sowohl im ersten, kantablen Teil, als auch im zweiten, von ähnlichen und regelmäßig wederkehrenden Sechzehntelfiguren geprägten zweiten gut zu unterscheiden.
    Gleiches gilt auch für den IV. Teil, die Umkehrung des Themas in G-dur, der sich dank seiner wie immer bei Beethoven entscheidenden regelmäßigen architektonischen Aufbaumuster, sehr gut "mitlesen" lässt. Diesen musikalisch dichten, technisch ungeheuer schwierigen Abschnitt absolviert Leslie wiederum sehr souverän und beendet ihn mit unglaublich gespielten Trillerintervallen. Das muss man erst mal so hinbekommen.
    Den V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, spielt Leslie trotz der vermeintlich einfacheren Faktur, weiterhin mit voller Konzentration und, wie es gehört, "sempre dolce cantabile", um dann zum ausladenden dreiteiligen
    VI. Teil vorzustoßen, der gleichzeitigen Durchführung des 1. und 2. Themas, dann dem zweifachen Durchführen des 1. Themas in B-dur und der abschließenden Ankündigung des Schlusses, alles in B-dur.
    Die Verfolgung dieses musikalisch unheimlich dichten Gewusels ist dann erfolgreich, wenn ein Pianist von anscheinend unerschöpflichem pianistischen Potential am Flügel sitzt, der dieses Gewusel jederzeit so klar aufdröselt, dass man als Laie jederzeit orientiert ist. Leslie macht das großartig und schließt das äußerst hohe Niveau dieser Fuga mit einer mitreißenden Coda ab.
    Ich denke, diese Einspielung ist schon nahe am überhaupt Machbaren, ähnlich wie bei Korstick, und wir werden sehen, wie sich Leslie im Live-Konzert von 2014 schlägt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi


    Ich danke dir sehr, dass du meine Anregung aufgegriffen hast. Vor vielen Jahren hatte ich den Pianisten mit diesem Stück einmal Live erlebt und erinnere mich, dass ich damals davon vollkommen überwältigt war. Ich habe mir dann die Aufnahmen von ihm besorgt und fand auch diese sehr bemerkenswert, ohne dass mit den Details begründen zu können, die Du grundsätzlich in deinen Besprechungen höchst verdienstvoll ausführst. Ich nehme an, dass dieser Pianist den allermeisten Taminos so wenig bekannt ist, wie es für mich war, bevor ich die Live gehört habe. Umso erfreulicher, dass er nun dem kundigen Publikum bekannt gemacht worden ist.DANKE


    Hans

  • Lieber Hans,


    dafür nicht. Ohne deine Anregung hätte ich ja den Pianisten auch nicht kennengelernt. Ich freue mich schon jetzt auf die Besprechung seines Livekonzertes 2014 im Forstnersaal in Oberhaching. Ich habe mir das Konzert auf Youtube schon angesehen und -gehört, und wir werden in der Tat ein ganz anderes Konzert erleben wie in der Aufnahme 6 Jahre zuvor. Sein Spiel ist vergleichbar mit einem Ritt über den Bodensee, äußerstes Risiko, was auch den einen oder anderen Verspieler beinhaltet, aber unglaubliche musikalische Tiefe von der ersten bis zur letzten Minute. Der größte Unterscheid ist jedoch, dass er im Oberhachinger Konzert zu ganz anderen temporalen Umfängen der Sätze gekommen ist. Aber ich will nicht zuviel vorwegnehmen.
    Vielleicht eine Frage noch an dich: hast du nähere Informationen über seine Vita, weißt du, wann er geboren ist? Ich wüde ihn ganz gerne in meine erinnerungsdatenbak aufnehmen, um ihm regelmäßig zum Geburtstg gratulieren zu können.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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