Clara Haskil : Statthalterin Mozarts auf Erden

  • Wer Interesse an ihrer Biographie hat, dem empfehle die von Jerome Spycket
    Titel: Clara Haskil Eine Biographie
    Erschienen 1977 bei Hallwag.
    Leider nur noch bei Ebay oder antiquarisch zu bekommen. Wenn man das gelesen hat, steigt die Bewunderung für diese Künstlerin noch mehr.


    Ein anderes Clara Haskil-Buch - etwas jüngeren Datums (Erscheinungsjahr 1997) - habe ich mit Genuss gelesen: es enthält auf den S. 102 - 105 sogar einen Auszug aus der von Dir genannten Haskil-Biografie von Jérôme Spycket ("Mit der Hand Zeichen geben"):

    Herausgeber des Buchs und Autor des einleitenden Essays ("Magische Augenblicke") ist Eike Wernhard.


    Zum Threadtitel lege ich "Protest" ein: Clara Haskil war zwar eine große Mozart-Interpretin, doch ist das nur ein Aspekt von vielen. Gerade höre ich den Mitschnitt ihres wunderbaren Klavierabends vom 11. April 1953 aus dem Ludwigsburger Schloss

    und genieße ihren Bach, ihren Scarlatti (für mich ist Haskils Scarlatti noch viel bewundernswerter als ihr Mozart), ihren Beethoven (auch wenn sie in der Sonate op. 111 zu Beginn des ersten Satzes bei 00:14 min. kapital danebengreift und auch danach nicht immer ganz sauber spielt), ihren Schumann (ihre "Bunten Blätter" op. 99 sind der Hammer!), ihren Debussy (wunderbar!) und ihren Ravel. Ebenso halte ich ihre Version von Hindemiths "Die vier Temperamente" für Klavier und Orchester

    für völlig unerreicht. Ihr Chopin-Klavierkonzert Nr. 2, ihr Beethoven-Klavierkonzert Nr. 4, ihr Bach-Konzert für zwei Klaviere und Orchester C-Dur BWV 1061 (mit Geza Anda am zweiten Klavier), ihr de Falla (etwas weiter oben bereits gewürdigt), ihr Schubert (Sonate B-Dur DV 960) - und vor allem ihr Scarlatti, ihr Scarlatti und nochmals ihr Scarlatti zeigen, dass wir es mit einer ganz großen Künstlerin zu tun haben, die alles andere als eine reine Mozart-Spezialistin war. Die selbstverständlich wunderbar Mozart spielte. Nur spielte sie alles andere auch ebenso wunderbar.

  • Ich besitze von Clara Haskil (1895-1960) bereits eine Einspielung mit dem Klavierkonzert op. 54, den "Kinderszenen" und Ausschnitten aus "Bunte Blätter" Robert Schumanns sowie den Mozart Violinsonaten, die sie mit Arthur Grumiaux eingespielt hatte.


    Nun habe ich mir diese Box angeschafft, um meine Sammlung mit ihren Interpretationen zu vervollständigen.

    Dann ging ich im Tamino-Forum auf die Suche. Mit Gewinn habe ich die Beiträge über Clara Haskil in diesem Thread gelesen.


    Zur Zeit habe ich die von Rita Wolfensberger verfasste Biografie über Clara Haskil (Scherz, 1961) auf dem Lesepult liegen und erfahre über ihr Leben. Es mag verwundern, weshalb schon ein Jahr nach Haskils Tod eine Biografie erschien. Die Autorin hatte zwei Jahre Kontakt mit der Pianistin gehabt und an dem Text gearbeitet. Der Teil mit würdigenden Beiträgen befreundeter Musiker berührt mich besonders: Pierre Fournier, Ferenc Fricsay, Raphael Kubelik, Igor Markewitch und Peter Rybar. Wer das Klavierspiel Clara Haskils schätzt, muss sich dieses Buch anschaffen. Es wird antiquarisch noch erhältlich sein oder kann in einer Bibliothek ausgeliehen werden.


    Zitat aus der Würdigung Igor Markewitchs, die an der Gedenkfeier im Jahre 1961 verlesen wurde:
    "Die Sparsamkeit war denn auch immer das grösste Wunder in ihrem Spiel: Clara Haskil brachte es fertig, mit den Kräften einer Ameise zu singen wie eine herrliche Grille."


    Dem Schicksal und der Tragik Clara Haskils war ich früher schon begegnet. Im Jahre 1991 schuf Klaus Kirschner für das Fernsehen eine Dokumentation: Erinnerungen an Clara Haskil. Hannelore Hoger spielte in diesem Schwarzweissfilm die Pianistin. Die Schauspielerin vermittelte durch ihre Mimik und Haltung eindringlich die Verlorenheit in einer feindlichen Welt, die Clara Haskil erleben musste. Als Jüdin musste sie ins Exil in die Schweiz fliehen. Nur aus dem Off wurden Briefe Haskils mit der Stimme Hogers zitiert.


    Clara Haskil lebte in den letzten Jahren ihres Lebens in Vevey in der Schweiz. An zwei Fotografien kann ich mich erinnern: Die eine zeigt sie entspannt im Gespräch mit Charlie Chaplin. Der berühmte Schauspieler wohnte in der Nähe der Pianistin. Das zweite Bild zeigt Chaplin, wie er eine Rose auf Clara Haskils Grab auf dem Friedhof Monparnasse in Paris legt.
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Sagitt meint:


    ich kann mit dem Titel leben, denn nur bei Mozart liefert sie geradezu unerreichbare Interpetationen, auch auch da nicht bei allen Aufnahmen. Aber ihre Darstellung v9on KV 595, 280, 265, zB sind so ueberirdisch perfekt, dass ich niemanden an ihre Seite stellen wuerde, selbst beste Mozart Interpreten wie Pires oder Zacharias nicht.


    Es ist nicht nur der perfekte Anschlag, sondern auch die Gestaltung der Werke, bei ihrer Interpretation stellt sich mir ein, SO muss das klingen.


    Da ich eigentlich alle anderen Haskilaufnahmen kenne, wuerde das von keiner anderen so schreiben koennen, wobei die technische Qualitaet leider oft sehr schlecht ist, zB D.960.


  • Von Clara Haskil zwei private Filme.
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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich möchte daran eriinnern, dass Clara Haskil am 7. Dezember 1960 in Brüssel gestorben ist.


    Heute ist ihr 54. Todestag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Zur Zeit habe ich die von Rita Wolfensberger verfasste Biografie über Clara Haskil (Scherz, 1961) auf dem Lesepult liegen und erfahre über ihr Leben. Es mag verwundern, weshalb schon ein Jahr nach Haskils Tod eine Biografie erschien. Die Autorin hatte zwei Jahre Kontakt mit der Pianistin gehabt und an dem Text gearbeitet. Der Teil mit würdigenden Beiträgen befreundeter Musiker berührt mich besonders: Pierre Fournier, Ferenc Fricsay, Raphael Kubelik, Igor Markewitch und Peter Rybar. Wer das Klavierspiel Clara Haskils schätzt, muss sich dieses Buch anschaffen. Es wird antiquarisch noch erhältlich sein oder kann in einer Bibliothek ausgeliehen werden.


    Danke für den Hinweis. Gebraucht kann man es über amazon beziehen.

    Ich habe nicht viele Aufnahmen mit dieser Künstlerin, aber von allen bin ich durchweg begeistert. Ihre Musikalität ist individuell und überzeugend, wirklich nicht nur bei Mozart,

    ganz hervorragend habe ich sie hier in Beethovens G-Dur-Konzert gehört, mit einer faszinierenden eigenen Kadenz. Aber es stimmt auch, vor allem mit Mozart hat sie sich in die Musikgeschichte unsterblich eingetragen.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Ich darf daran erinnern, dass Clara Haskil, deren Todestag vor genau einem Monat war, am 7. Janaur 1895 in Bukarest geboren wurde.


    Heute ist ihr 120. Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Unter diesem Titel hat ARTE gestern einen neuen Film über die Pinaistin gesendet. Er ist noch in der Mediathek des Senders zu sehen - für 29 Tage.



    Dieser Text ist auf der ARTE-Seite zu finden:


    Zwischen Zerbrechlichkeit, Empfindsamkeit und Perfektion: Für Freunde wie Charlie Chaplin, aber auch für viele heutige Musiker war und ist die Schweizer Klaviervirtuosin Clara Haskil (1895-1960) eine Interpretin, die wie keine andere Maßstäbe gesetzt hat. Anhand von unveröffentlichten Klaviereinspielungen, Briefen und Interviews zeigt die Doku die Musikerin in neuem Licht.


    Clara Haskil gilt als eine der größten Klaviervirtuosinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr grenzenlos freies Spiel überzeugte durch eine unglaublich vitale Klangfülle: Dirigenten wie Christian Zacharias, Pianisten wie Michel Dalberto oder Eliane Reyes, Freunde wie Eugène Chaplin und der Maler Michael Garady sowie der Musikkritiker Alain Lompech erinnern sich an ihr Talent und ein Leben, das voller Musik, aber auch voller persönlicher Prüfungen und Drangsal war. Ergänzend zu den Interviews bringen Auszüge aus Clara Haskils Briefen dem Zuschauer ihr bewegtes Leben nahe. Clara Haskil wurde 1895 in Bukarest in eine jüdischen Familie geboren und galt bereits als Dreijährige als Wunderkind. In Wien und Paris studierte sie ab 1903 bei Richard Robert, Gabriel Fauré und Alfred Corot. Als 15-Jährige begab sie sich auf Konzerttourneen nach Frankreich, in die Schweiz und Italien. 1913 blockierten ernste gesundheitliche Probleme – aufgrund von Skoliose musste sie vier lange Jahre ein Gipskorsett tragen – zeitweise ihre Karriere. Nach zahlreichen Konzerten in Europa debütierte sie 1924 in den USA in New York und Boston. Ab 1927 lebte sie wieder in Paris. Im Mai 1942 musste ihr ein Tumor entfernt werden, der auf ihren Sehnerv drückte. Kurz vor der Besetzung Marseilles durch die deutsche Wehrmacht konnte sie sich im November 1942 in die Schweiz absetzen. Erst ab den 50er Jahren konnte sie von ihren Einnahmen leben und sich einen eigenen Flügel leisten. Erst in späteren Lebensjahren wurde sie als überragende Mozart-Interpretin ihrer Generation gefeiert. Clara Haskil starb 1960 in Brüssel an den Folgen eines Treppensturzes. Als Hommage an die unbeirrbare Frau und Künstlerin Clara Haskil sagte Charlie Chaplin auf ihrer Beerdigung: "In meinem Leben traf ich drei Genies: Clara Haskil, die beiden anderen waren Einstein und Sir Winston Churchill."

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ja, das muss eine interessante Sendung gewesen sein (die ich leider zu 90 Prozent verpasst habe) und insofern ist Rheingold von meiner Seite aus zu danken, dass er auf die Mediathek hingewiesen hat. Da werde ich gerne hineinschauen und mich an so viele liebenswerte Worte erinnern, die Maria Stader in ihrer Biografie über Clara Haskil geschrieben hat.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

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  • Schön, dass Du den Link zu dieser Sendung hier eingestellt hast, lieber moderato. Denn sie ist sehenswert, gibt sie doch nicht nur Einblick in interessante biographische Details, sondern auch in die menschlich-künstlerische Grundhaltung von Clara Haskil, die maßgeblich ist für die spezifische Art und Weise ihrer Interpretation von Klaviermusik.

    Diesbezüglich möchte ich von einem – durchaus kurios anmutenden – Vorgang berichten. Der Zufall wollte es, dass ich Pianistin Yuja Wang zum ersten Mal sah und hörte, nachdem ich gerade diese Sendung über Clara Haskil gesehen hatte. Das war wie ein Schock für mich. Gegensätzlicher können diese Welten des öffentlichen Auftretens von Pianistinnen gar nicht sein. Der Schock über die physischen Gegebenheiten – einschließlich der Kleidung und des gestischen Gehabes bei der Interpretation - war bei Yuja Wang so groß, dass ich mich empört von diesem Auftritt abwandte und erst einmal abschaltete.
    Der kritische Unterton meiner ersten Äußerung über ihr Spiel kam von daher. Er änderte sich erst, als ich mich zwang, darüber hinwegzusehen und ihrem Spiel lauschte, indem ich auf die Noten blickte.
    Clara Haskil, von deren Konzerten man in dieser Sendung leider kein Bildmaterial zu sehen bekommt, wäre zu einer solchen Art des Auftretens völlig unfähig gewesen. Das liegt nicht nur an den Gegebenheiten des gewandelten historischen Zeitgeistes, es war vor allem bedingt durch ihre Grundhaltung des absoluten sich in den Dienst Stellens dem musikalischen Werk gegenüber.
    Mich stört der auf den Show-Effekt ausgerichtete Auftritt, wie man ihn heutzutage ausweislich der Filmaufnahmen immer häufiger erleben kann, und das nicht nur bei jungen Pianistinnen, ganz erheblich. Und weil es durchaus möglich ist, dass dies Ausdruck der inneren menschlich-künstlerischen Grundhaltung ist, sehe ich die Gefahr, dass es auch Auswirklungen auf die Interpretation der Musik selbst hat, dergestalt, dass sie in unangebrachtem Maße extrovertiert ausfällt.

    Ich weiß natürlich, dass da ein alter Mann spricht, einer, der seinerseits ganz geprägt ist von seinen in längst vergangene Zeiten zurückreichenden Konzerterfahrungen. Undenkbar, dass ein Wilhelm Kempf, ein Swjatoslaw Richter, ein Murray Perahia, ein Alfred Brendel, ein Friedrich Gulda, eine Martha Argerich oder ein Vladimir Horowitz in dieser Weise aufgetreten wären. Bei allen herrschte -und ich hab´s erlebt - eine vollkommene Konzentration auf das, was sie an interpretatorischer Leistung im Augenblick zu erbringen hatten, eben das äußerlich sichtbare sich in den Dienst der Musik Stellen, das es auch bei Cara Haskil gab und ihre Interpretation der Klaviermusik Schumanns zum Beispiel so ganz und gar unvergleichlich werden ließ.

  • Undenkbar, dass ein Wilhelm Kempf, ein Swjatoslaw Richter, ein Murray Perahia, ein Alfred Brendel, ein Friedrich Gulda, eine Martha Argerich oder ein Vladimir Horowitz in dieser Weise aufgetreten wären.

    ... spielte mal nackt auf der Bühne Blockflöte, änderte willkürlich und kurzfristig seine Programme und trat am Ende nur noch in Sneaker und Rollkragenpulli auf. Der Fettdruck des Namens Friedrich Gulda im Zitat von Helmut Hofmann stammt von mir...


    Bei moderato bedanke ich mich für den Link zu Clara Haskil, eine schöne Ergänzung zu meinem Grabbesuch auf dem Cimetiere Montparnasse im letzten Sommer.

  • Charlie Chaplin war mit Clara Haskil befreundet, man besuchte sich gegenseitig, die Chaplins in der kleinen Dachwohnung Haskils, Clara Haskil auf dem Anwesen der Familie Chaplin. Von ihrer Beziehung wird etwas in der Dokumentation deutlich, wenn der Sohn Chaplin spricht.


    Berührend ist für mich die Fotografie, die Charlie Chaplin mit einer Rose in der Hand vor dem Grab zeigt.

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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Dass Gulda eine wunderliche, um nicht zu sagen groteske Wandlung als konzertanter Interpret von Musik durchlaufen hat, ist mir nicht unbekannt, lieber hart. Die Ansätze dazu habe ich selbst noch erlebt, im flüssigen Übergang von auf dem Flügel vorgetragener Mozart-Musik zum improvisatorischen Umgang mit deren Themen auf einem elektronischen Keyboard- Instrument, einschließlich anschließender Ansprache an das Publikum.

    Ich sprach von dem ernsthaften Interpreten klassischer Klaviermusik, nicht von dem Gulda, der diese von ihm selbst übernommene Aufgabe personal nicht zu bewältigen vermochte und daran - auf wahrlich tragische Weise - scheiterte.

    Er ist darin keine argumentative Widerlegung meiner - hier indirekt vorgebrachten - These, dass die von der vorangehenden Pianisten-Generation vertretene künstlerische Grundhaltung in der konzertanten Interpretation von Klaviermusik dabei ist, zum Opfer des heutzutage grassierenden Show-Business-Geistes zu werden.

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  • ... spielte mal nackt auf der Bühne Blockflöte

    ….. und ich war Zeuge dieses einmaligen Auftritts, allerdings nur vor dem Bildschirm.


    Der SPIEGEL-Redakteur Klaus Umbach hat die Szene in seinem Buch "Geldscheinsonate" eindrucksvoll beschrieben. Ich erlaube mir, Auszüge davon hier zu zitieren: "Es war ein später Abend im Frühjahr 1982, und in der ausnahmsweise einmal kulturträchtigen Television - der ORF war auf Sendung, einige Dritte deutsche Programme hingen dran - liefen "Kunststücke". So hieß die Sendung, und der Titel paßte zum Programm und zu dessen Präsentator. Denn am Klavier saß, ganz in Schwarz, Friedrich Gulda. Es kann sein, daß der eine oder andere Zuschauer …. gedacht hat: Ach, der verrückte Gulda, dieser Spinner aus Wien. Doch für die Mehrheit des Minderheitenpublikums (zu denen ich mich zählte), war das ein seriöser und hochbegabter Musiker mit geistig gehobener Vortragsfolge, der man sich in entspanntem Genuß hingeben konnte. Irgendeine kleine Nachtmusik dann zum Finale. Sanfter Ausklang. Schlußakkord. Stille.

    Schnitt.

    Niemand ahnt Böses in dieser klassischen Musiksendung, da tut sich plötzlich ein Komödienstadl auf, und eine Lustbarkeit bricht an: Ohne Vorwarnung erscheint eine Frau auf dem Bildschirm, schreit, kreischt und stöhnt los, zieht unter ekstatischen Zuckungen ihres schlanken Leibes den schwarzen Rollkragenpullover über den Kopf, reißt sich in einem hektischen Striptease auch die restlichen Klamotten vom Körper und hüpft völlig entkleidet auf den erhöhten Sitz hinter dem Schlagzeug. Dort, zwischen den Bronzetellern der Becken und allerlei anderen Trommeln, geht die Nackte nun völlig aus sich raus: die langen Haare wirbeln um die Schulter, die Brüste wippen, die Schenkel hüpfen, und zu diesem gymnastischen Rotationsspringen ruft sie, nun ganz Vibratorin, viermal ihren 'Akt der Selbstverwirklichung' ins Studio: 'Ich bin verrückt' - ein Eingeständnis, dem auch die Partitur nicht widerspricht. Denn die notierte Narretei, die derlei Ausrufe ausdrücklich vorsieht, heißt OPUS ANDERS und ist auch so. Allerdings schreibt sie sich wie die hüllenlose Darstellerin mit großem A: Anders, Ursula; Tochter des Tenors Peter Anders und zur Tatzeit schon des längeren Spielgefährtin des Komponisten Friedrich Gulda.

    Der kommt, um seinen 'Akt der Befreiung' zu vollführen, nun ebenfalls entblößt ins Bild, hält in den Händen sein Krummhorn und bläst sich eins drauf - 'Kunststücke', wie gesagt, auf einem mittelalterlichen Instrument. Auch er, läßt der Holzbläser das TV-Publikum wissen, sei verrückt und werde jetzt mit Frau Anders gemeinsam verrückt spielen - eine Drohung, die er auf der Stelle wahrmacht. Den abgeflachten Hintern mit Schwung zur Kamera gedreht, wiegt sich der Virtuose nun seinem Steinway zu, stößt aus seinem entblößten Klangkörper ebenfalls schrille und gurrende Verlautbarungen und bildet mit seiner Partnerin ein befreites, selbstverwirklichtes Duo von fleischfarbener Lächerlichkeit."

    Ich sprach von dem ernsthaften Interpreten klassischer Klaviermusik

    Lieber Helmut Hofmann,


    ich auch! Denn dieser TV-Abend war als klassische Musiksendung, mit einem international bekannten, ja berühmten Pianisten angekündigt worden. Wenn ich es nicht selbst gesehen hätte, so hätte ich es nicht geglaubt, aber Klaus Umbach hat die Szene so unnachahmlich und dabei wahrheitsgetreu geschildert, daß ich sie hier gekürzt wiedergegeben habe. Der Schock war bei mir so groß, daß ich erst einmal dachte, ich hätte geträumt ….. größer kann Dein "Schock über die physischen Gegebenheiten bei Yuja Wang" ganz sicher nicht gewesen sein.

    Aber ich glaube Dir natürlich gerne, daß niemals

    dass ein Wilhelm Kempf, ein Swjatoslaw Richter, ein Murray Perahia, ein Alfred Brendel, …. eine Martha Argerich oder ein Vladimir Horowitz in dieser Weise aufgetreten wären.

    Den Namen "Friedrich Gulda" habe ich mir erlaubt, in dieser Zitierung zu streichen.

    Dabei will ich nicht verhehlen, daß ich zu den Verehrern des klassischen Pianisten Friedrich Gulda zähle, dessen - leider nur spärliche - Aufnahmen fast alle in meiner Sammlung vorhanden sind. Vor allem als Mozart-Spieler war er großartig. Sein Vortrag war ganz anders geartet als der von Clara Haskil, aber z.B. seine Einspielungen der Mozart-Konzerte Nr. 20, 21, 25 & 27 (mit Abbado, DGG) und Nr. 23 & 26 (mit Harnoncourt, Teldec) sind Musterbeispiele wunderbaren Mozartspiels.


    Zum Schluß noch ein Wort zu Clara Haskil, von der ja dieser Thread eigentlich handelt. Auf Seite 1 heißt es da: " Beethoven - Mono / Mozart - Stereo ". Ich bin mir da nicht ganz sicher. Ich besitze z.B. die Kassette mit den Beethoven-Violinsonaten, in dieser Ausgabe:

    Bildergebnis für grumiaux haskil beethoven violin sonatas

    Auf allen 4 LPs steht groß "STEREO", und sie klingen auch so. Später habe ich mir die Sonaten auf CD neu gekauft; da ist kein entsprechender Vermerk vorhanden, lediglich der Hinweis: "Aufnahmen: Wien 1956/57". Das deutet eigentlich auf Monotechnik hin, weil PHILIPS und DGG erst 1957 mit Stereoaufnahmen begannen. Ein weiteres 2 LP-Album mit Mozart-Sonaten, in dieser Aufmachung

    Bildergebnis für mozart violin sonatas haskil grumiaux

    besitze ich ebenfalls; auf der LP 1 (mit den Sonaten KV 378, 304, 376 u. 301) steht STEREO, für die LP 2 (Sonaten KV 454 & 526) heißt es ebenfalls STEREO, jedoch mit dem Zusatz: "Diese Aufnahme wurde auf elektronischem Wege weiterentwickelt, wodurch die Platte, wenn sie auf einer Stereoanlage abgespielt wird, einen stereophonischen Effekt ergibt". Das ist eindeutig, aber was die Beethoven-Aufnahmen betrifft, so bleiben Zweifel. In fast allen Rezensionen wird von Monoaufnahmen gesprochen, aber mir scheint der Klang Stereo zu sein, wobei es bei nur zwei Instrumenten etwas schwierig ist, das exakt festzustellen.

    Kann da jemand Aufklärung geben?


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).