Sinn und Unsinn von Hosenrollen

  • Zitat von Sixtus:
    "Als erste fallen mir da die Herren Idamante, Sesto und Tancredi ein - und, nicht zu vergessen: Glucks Orfeo (in der Wiener Fassung ein Kastrat, dann lange ein Monopol der Altistinnen, heute in Konkurrenz mit Falsettisten. Wobei sich ganz nebenbei die Frage aufwirft, welche Option der Intention des Komponisten am ehesten entspricht. "


    Da es im 18. Jahrhudert vielfach üblich war, Rollen in entsprechenden Stimmlagen - je nach Verfügbarkeit - mit Frauen, Männern oder Kindern zu besetzten, scheint der Begriff "Hosenrolle" für die Oper dieser Zeit anachronistisch. Die Besetzung konnte sich nicht nur zwischen den Aufführungsserien ändern, unterschiedliche Präferenzen gab es auch in den verschiedenen europäischen Ländern. Eine "jugendliche" Rolle in einer internationalen Erfolgsoper wäre in Spanien von einer Frau gesungen worden, in England von einem Knaben, in Italien von einem Kastraten (und in Frankreich, sofern man sich auf "Ausländisches" eingelassen hätte, wäre die Rolle transponiert und einem Tenor überlassen worden...). Glucks Orfeo wurde von einem Kastraten kreiert, Cherubino von einem Sopran, die 3 Zauberflöten-Knaben von Kindern (die später aber über einen langen Zeitraum hinweg stets durch Sängerinnen ersetzt wurden). Was davon sind Hosenrollen?



    Zitat von Hosenrolle1
    "Mozart hat diese Partie [Cherubino] für eine Sängerin geschrieben."


    Wissen wir dies so genau? Die Quellenlage ist problematisch, Teile des Autographen sind verschollen, Mozarts Briefe aus diesen Jahren ebenso. Die Uraufführung in Wien wurde zweifellos von einer Frau bestritten, doch war Mozart dies bereits klar, als er mit dem Verfassen der Partitur begann? Es wäre ja durchaus naheliegend, den pubertierenden Jüngling Cherubino, dessen Hauptcharakteristikum darin besteht, ein pubertierender Jüngling zu sein, mit einem ebensolchen zu besetzen. Nur waren Wiens bestausgebildete junge Sänger entweder in der Hofkapelle oder dem Domchor versammelt, und beide sakralen Institutionen untersagten ihren Mitgliedern die Beteiligung an Opernaufführungen (daher waren weder Haydn noch Schubert in der Lage, eine dauerhaft repertoirefähige Oper zu schreiben...). So mag Mozart, ganz im Geist seiner Epoche, eine pragmatische Entscheidung getroffen haben, die bei einer Uraufführung in London vielleicht anders ausgefallen wäre (welches gesangstechnische Niveau von den tatsächlich zur Verfügung stehenden Kindern zu erwarten war, zeigen die Partien der Zauberflöte).



    Da Ponte wie Mozart werden gerne als letzte Exponenten des "erotischen Zeitalters in der Musik" apostrophiert - damit auch jener Zeit, in der es noch keine Rollentypologien gab, welche die Etablierung von expliziten "Hosenrollen" erst ermöglichte. Beethoven empfand die "Cosí" bereits als obszön, und der hier zitierte Kierkegaard steht natürlich in der Tradition des romantischen Musikschriftstellertums eines E.TA. Hoffmann, mit dem die Mythologisierung nicht nur der Werke, sondern auch der diesen entspringenden Figuren einsetzt. Da ist Cherubino dann eigentlich kein vom ersten Testosteronschub überrollter Teenager, der jedem Rock hinterherzusteigen trachtet, sondern "selbstverständlich" nur die Inkarnation begierdefreier Sinnlichkeit - immerhin lässt sich selbst im puritanischen 19. Jahrhundert der Charakter der beiden Cherubino-Arien nicht ganz überhören.



    Zitat von Sixtus:
    "Beim Cherubino ist über den philosophischen Spekulationen Kierkegaards wohl die ganz nüchterne Überlegung von Da Ponte und Mozart aus dem Focus geraten, dass mit diesem chaotischen, aber zugleich charmanten Knaben und seiner wild wuchernden Erotik ein dramaturgischer Katalysator das Geschehen der Komödie immer wieder beflügelt. "


    Wundersamerweise stimme ich einmal mit Sixtus überein: Cherubino findet zwar keine Entsprechung in den klassischen Commedia-Figuren des 17. Jahrhunderts, doch durchaus im 18., wo das ursprüngliche Figurenensemble durch eine unorthodoxe, handlungsauslösende Rolle ergänzt wird. Freilich - wenn Hofmann und Kierkegaard schon aus den da-Ponte-Werken selbst tragische Opern machen, darf auch Cherubino keine komödiantische Figur sein. Dabei entspricht sie dem Typus, auch weil sie in ihrer Überforderung durchaus Mitgefühl evozieren kann und zugleich in ihrer Triebhaftigkeit problematische Seiten offenbart, die für die lebenszugewandten Autoren der Oper selbstverständlich sind, die Kirkegaard aber übergeht. Hingegen antizipiert Mozarts Musik gewissermassen, dass Cherubino Vater des unehelichen Kindes der Comtessa sein wird.



    Der von Caruso41 angeführte Massenet ist in der Tat exemplarisch für die Hosenrollen des 19. Jahrhundert, die zwingend mit einer Frau zu besetzten sind. Freilich gibt es auch hier Beispiele für Entscheidungen, die offenbar den Umständen geschuldet sind. In der russischen Literatur finden sich etwa Rollen des Typus "junger Sohn", wie Wanja in "Ruslan" oder Fjodor in "Boris". Angesichts von Mussorgskys Realismus-Anspruch erschiene im letzten Fall eine Besetzung durch einen Knaben sinnvoll, zumal hier weder aparte Klangmischungen noch erotische Verwirrspiele relevant sind. Aus naheliegenden Gründen mangelte es in Russland jedoch an ausgebildeten Sängern im fraglichen Alter, so dass anspruchsvollere Rollen an Frauen vergeben wurden.



    Während für das Publikum des 18. Jahrhunderts im süddeutschen Sprachraum die Besetzung einer Jünglingsrolle durch eine Frau nur knapp oberhalb der Wahrnehmungsgrenze gelegen haben dürfte, lieferte Strauss im Octavian seinem puristisch geprägten Publikum jene obligatorischen, pikanten Sensatiönchen, die er - in Varianten - schon in Salome und Elekta probiert hatte. Da lagen nicht nur ein junger Mann und eine ältere Dame unverehelichterweise gemeinsam im Bett, sondern zugleich zwei Frauen. Zudem ist Cherubino noch weit vom heiratsfähigen Alter entfernt, denn am Ende der Oper finden die drei "richtigen" Paare zusammen, Susanna/Figaro und Marzellina/Bartolo gehen die Ehe ein, doch wird Cherubino nicht mit Barbarina zusammengeführt. Cherubino ist offenkundig gerade erst von der Geschlechtsreife überfallen worden und weiss zunächst gar nicht so recht, wie er mit dieser neuen Errungenschaft umgehen soll. Somit hat er auch den Stimmbruch noch vor sich. Octavian hingegen wird uns bereits als erfahrener Liebhaber dargestellt (der erreicht hat, wovon Cherubino nur träumen kann), und scheint schliesslich eine "feste Beziehung" mit Sophie aufzunehmen. Strauss arbeitet also dezidiert mit mehrfacher Verfremdung, zumal Octavians hypothetische "natürliche" (Sprech-)Stimme die eines jungen Mannes wäre, während Cherubino quasi naturgemäss ein Sopran ist.



    Zitat von Hosenrolle1
    "[Cherubino] unterscheidet sich von den anderen Figuren, und vielleicht soll u.a. auch dieser Aspekt dadurch ausgedrückt werden, dass er nicht "konventionell" von einem echten Mann besetzt wird. In dem Stück sind alle Männer echte Männer, und alle Frauen echte Frauen. Nur Cherubino nicht."


    Diese Bedingung erfüllt jedoch nicht nur eine Frau, sondern auch ein Knabe, wobei dann nicht nur die Rolle "weder Mann noch Frau" ist, sondern auch der Darsteller. Nach meiner Erfahrung neigen die Damen oft dazu, die - technisch nur mässig anspruchsvolle - Rolle des "männlichen Teenagers" entweder zu überzeichnen, was entsprechend karikierend wirkt, oder so feminin zu bleiben, dass der zumindest "anteilige" Jüngling gar nicht erst evoziert wird. Die Publikumsresonanz war jedenfalls sehr positiv, als ein alternierender Kollege und ich diese Rolle im "passenden" Alter verkörperten. Der „naive“, unmittelbare Zugriff auf die Rolle kam der Gestaltung wahrscheinlich entgegen. Auch da wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, warum diese eigentlich naheliegende Alternativbesetzung derartig selten gewählt wird. Vielleicht können wir ja nachträglich zur Beantwortung der Frage beitragen?

  • Zitat von Hosenrolle1
    "Mozart hat diese Partie [Cherubino] für eine Sängerin geschrieben."


    Wissen wir dies so genau? Die Quellenlage ist problematisch, Teile des Autographen sind verschollen, Mozarts Briefe aus diesen Jahren ebenso. Die Uraufführung in Wien wurde zweifellos von einer Frau bestritten


    Dazu kann ich leider nichts sagen, mich würde es ebenfalls interessieren! Zumindest habe ich nicht gelesen, dass Mozart eine alternative Angabe gemacht hätte, nach der Art "Von einem sehr guten Knabensopran zu singen, falls nicht vorhanden, lieber eine Frau nehmen".
    (Nebenbei, ich fand auch witzig, dass der Cherubino der UA 23 Jahre alt war, die Barbarina der UA gerade mal 12. Das sah sicher auch ungewohnt aus - beide Figuren ungefähr im gleichen Alter, und trotzdem sieht Cheru viel älter und größer aus).


    Hingegen antizipiert Mozarts Musik gewissermassen, dass Cherubino Vater des unehelichen Kindes der Comtessa sein wird.


    Da bin ich mir leider nicht so sicher, und ich versuche schon die ganze Zeit, Hinweise dazu zu finden! Harnoncourt meinte immer wieder, dass etwa "Venite, inginocchiatevi" ein stummes Terzett sei, aber ich konnte in der Musik noch nichts konkretes finden, was darauf hindeutet, dass die Gräfin auch an Cherubino Interesse hat. Der dritte Teil der Trilogie erschien erst nach Mozarts Tod, er wusste also gar nichts davon, was da passieren würde, und in der Oper ist die Beziehung zwischen den beiden auch stark abgemildert. Rein objektiv würde ich vermuten, dass es Da Ponte und Mozart hier eher darum ging, dass die Gräfin ihren Mann wieder zurückbekommt, und alles andere eher unwichtig ist.
    Selbst Joachim Kaiser meint, dass die Gräfin wohl Freude an der Schwärmerei des Pagen hat, aber auch er liefert keine konkreten Anhaltspunkte. Das ist auch mit ein Grund dafür, warum ich "Mozarts Musiksprache" lese; ich erhoffe mir dadurch, dass ich mehr Hinweise in der Musik finde.


    lieferte Strauss im Octavian seinem puristisch geprägten Publikum jene obligatorischen, pikanten Sensatiönchen, die er - in Varianten - schon in Salome und Elekta probiert hatte. Da lagen nicht nur ein junger Mann und eine ältere Dame unverehelichterweise gemeinsam im Bett, sondern zugleich zwei Frauen.

    Das stimmt, wobei man sagen muss, dass die Regieanweisung konkret so lautet: "Octavian kniet auf einem Schemel vor dem Bett und hält die Feldmarschallin, dei im Bett liegt, halb umschlungen". Sie liegen also nicht wirklich gemeinsam im Bett, wenn man es GANZ genau nimmt. Aber ich weiß worauf du hinauswillst und gebe dir auch recht!


    In diesem Punkt bin ich doch anderer Meinung.


    Würde man Cherubino mit einem männlichen Sänger besetzen - egal wie alt, ob Kind, Jugendlicher oder Erwachsener - wäre es eher konventionell, denn Cherubino ist männlich, und der Sänger ebenfalls. Und der Sänger würde sich automatisch auch "männlicher" bewegen, die Bühnenpräsenz, die Ausstrahlung wäre eine andere. Dann stünde da ein Bursche auf der Bühne, der aussieht wie ein Bursche und sich auch so bewegt. Er ist jünger als die anderen Figuren (mit Ausnahme von Barbarina), aber das war´s auch schon.


    Nach meiner Erfahrung neigen die Damen oft dazu, die - technisch nur mässig anspruchsvolle - Rolle des "männlichen Teenagers" entweder zu überzeichnen, was entsprechend karikierend wirkt, oder so feminin zu bleiben, dass der zumindest "anteilige" Jüngling gar nicht erst evoziert wird.


    Das kommt natürlich auf die Regie an. Manche machen aus ihm ein kleines Kind, das übertrieben herumhampelt, andere machen einen "stürmischen Liebhaber" daraus, wieder andere schnallen ihm eine E-Gitarre um und lassen ihn als Elvis auftreten, und nochmal andere lassen ihn wiederum eher weiblich und/oder schüchtern auftreten. Das ist natürlich Geschmackssache, wie man sich diese Figur vorstellt und gerne sehen würde. Ich persönlich sehe - wie gesagt - diese Rolle als irgendwie "unwirklich", nicht mehr als richtigen Menschen, sondern als eine Art Wesen, das in beiden Geschlechterrollen überzeugend und schön aussieht. Mir persönlich gefällt es nicht so gut, wenn er zu männlich wirkt, oder zu weiblich, es sollte eine interessante Mischung sein aus burschikos-jungenhaft und weiblich-anmutig.
    Und wie gesagt, ich glaube auch, dass die Äußerungen Susannas, wie weiss seine Haut ist, und dass sie selbst eifersüchtig auf sein Aussehen ist etc. als kleiner Gag gedacht ist, der dann funktioniert, wenn Cherubino tatsächlich von einer Frau gespielt wird.


    Ansonsten bleibe ich dabei: wenn 100%ig geklärt ist, dass Mozart Cherubino als Hosenrolle konzipiert und gewünscht hat, dann denke ich, dass es ihm u.a. auch um die besondere Wirkung ging, die von dieser Figur dann ausgesehen würde. Dann wusste er, dass sich Cherubino nicht genau wie ein echter Bursche bewegen würde, und vielleicht wollte er das auch.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Mir ist aufgefallen, daß eine Hosenrolle bisher unterbelichtet ist (wenn ich nichts übersehen habe). Der Komponist in der Ariadne ist ja nun ein Mann in einer Hose (heißt ja auch "der" Komponist) mit einer Mezzostimme. Seine amourösen Abenteuer halten sich in Grenzen, aber er prägt in der Wiener Fassung Musik und Text des 1. Teils. Er hat 2 wunderbare Arien und die ungeheuer wichtige Aussage "Die Musik ist eine heilige Kunst". Im 2. Teil hat er praktisch ausgedient, er ist überflüssig geworden.


    Warum hat Strauss diese Rolle mit einem Mezzo besetzt und nicht mit einem Baß/Bariton??


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber La Roche,


    der Ariadne-Komponist muss auch ein sehr junger Mann sein (ein Jüngling im Sprachgebrauch der Molière-Zeit). Denn der Musiklehrer, der seine Mühe mit ihm hat, sagt begütigend zu ihm: "Mein Freund, ich bin halt dreißig Jahre älter als du und hab gelernt, mich in die Welt zu schicken." Insofern ähnelt er dem Octavian. Nur in Liebesdingen ist er etwas später dran, aber das ist im Ariadne-Vorspiel grade dabei, sich schnell zu ändern. Dafür sorgt Zerbinetta!


    Ich hatte in grauer Vorzeit das Vergnügen, auf der Wiener Stehgalerie die junge Jurinac mit ihrem dunklen Sopran und ihrem unwiderstehlichen Charme zu erleben - und messe seitdem (leider!) jede Interpretation an ihrer. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mir für diese Partie eine andere Stimmlage zu wünschen.
    Manchmal wandelt den Opernfreund auch ein Bedürfnis nach Dekadenz (im Sinne verfremdeter Klänge) an. Und dieses Bedürfnis hat Strauss nur zu gern befriedigt (in abgewandelter Form noch einmal mit Zdenko/Zdenka).


    Herzliche Grüße von Sixtus

  • Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mir für diese Partie eine andere Stimmlage zu wünschen.

    Ich auch nicht. lieber Sixtus. Dazu sind die beiden Komponisten-Arien einfach zu schön. Mit Gänsehautfaktor!! Leider kenne ich die Jurinac darin nicht.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Manchmal wandelt den Opernfreund auch ein Bedürfnis nach Dekadenz (im Sinne verfremdeter Klänge) an.

    Ich finde, dass das auch eine gute Erklärung ist! Und ich glaube auch, dass die Intentionen verschiedener Komponistn, eine Rolle auf eine bestimmte Art und Weise zu besetzen, auch sehr unterschiedlich sein können, und es nicht nur EINEN Grund geben kann.


    Ich habe im Netz vor längerer Zeit ein Interview mit Brigitte Fassbaender gefunden, in dem sie sich u.a. auch über Hosenrollen äußert.

    Zitat

    Wie macht sich die Ambiguität, die ja in einer solchen Hosenrolle liegt, musikalisch bemerkbar?
    Die Rollen der Kastraten, die es irgendwann nicht mehr gab, wurden von Frauen übernommen. Die Stimmlage Mezzosopran, das dunkle Timbre des Mezzo eignet sich wohl besonders gut für die ganz jungen bzw. etwas androgynen Liebhaber wie etwa den Cherubino, den Oktavian oder Sesto im Titus von Mozart. (Im Übrigen ist ja der Mezzosopran in der Tessitura dem Tenor sehr ähnlich.) Dies übt klanglich einen besonderen Reiz aus, den sich Richard Strauss zunutze macht für seinen ganz spezifischen Klang. Dann ist da noch der erotische Reiz, der immer in solchen Travestien steckt. Er bedient einen gewissen Voyeurismus, dem bestimmte Menschen erliegen.


    In Zeiten der Homo-Ehe und übersexualisierten Medien: Haben Hosenrollen da nicht ihre einstige Brisanz eingebüßt?
    Ach, man verkörpert ja auf der Bühne mit solchen Figuren immer ein ästhetisches Bild und eine Welt, in die sich viele Menschen hineinträumen, sie idealisieren und dann mit diesen Rollen leben. Man hat wohl auf der Bühne eine ungeheure Wirkung auf Menschen, die ihre Träume an Bühnengestalten ausleben und von der Realität nicht trennen können.

    Ich finde, dass sie da mit dem Publikum etwas zu hart ins Gericht geht, bzw. zu sehr verallgemeinert.


    Eine Hosenrolle bedient "einen gewissen Voyeurismus" - was heißt das? Gegenfrage: bedienen tief ausgeschnittene Dekolletés auf der Bühne nicht ebenfalls einen Voyeurismus, und wenn ja, ist dieser Voyeurismus "besser" oder "normaler"?


    Und was heißt "dem bestimmte Menschen erliegen"? Das klingt m.E. schon recht abwertend. Dass Hosenrollen nicht jedermanns Sache sind ist klar, manche lehnen sie strikt ab, anderen sind sie egal, wieder andere mögen sie .


    Der zweiten Anwort kann ich da schon eher zustimmen, aber auch hier finde ich, dass das nicht nur für die "Hosenrollen-Liebhaber" zutrifft, was sie andeutet mit "mit solchen Figuren". Andere mögen vielleicht ganz besonders aufreizend angezogene Frauen auf der Bühne, andere mögen fesche Sänger auf der Bühne, wieder andere träumen sich in vergangene Zeiten (oder gar Fantasiewelten) mittels der Kulissen, usw. Ich würde da keineswegs so weit gehen, zu sagen, dass eines davon besser ist als das andere. Jeder pickt sich das heraus was ihm gefällt.


    Interessant ist aber ihre Erklärung, dass Strauss den Oktavian deswegen so besetzt hat, weil es ihm um einen ganz bestimmten Klang geht.



    Die User "Zwielicht" sowie "Johannes Roehl" haben in einem anderen Thread etwas gesagt, dem ich 100%ig zustimmen kann und muss:


    Zitat

    Ständig ertönen Rufe nach "Realismus", "Wahrscheinlichkeit" und "Echtheit" - und das in der wohl unrealistischsten, unwahrscheinlichsten und täuschendsten Kunstgattung überhaupt.

    Zitat

    Das "naturalistische" Verständnis von Theater entstand irgendwann im 19. Jhd. und ist ziemlich verfehlt (bei der Oper sowieso, auch die veristischste Oper ist genaugenommen so unrealistisch wie nur irgendetwas).


    "Draugur" schrieb auch etwas, was bei mir Fragen aufgeworfen hat:


    Zitat

    Also, ich mag Hosenrollen. Schmachtende Liebesduette zwischen Frau und Frau haben schon was sehr erotisches

    Ob das Publikum vor 200, vor 100 Jahren so etwas ebenfalls erotisch fand, wenn auch nur heimlich, weil die Zeiten doch andere waren? Ich kann mir irgendwie nicht vorstellen, dass das Publikum damals "total brav" und mit reinen Gedanken solche Szenen rein aus künstlerischer Sicht genossen hat, dass man erst im 20. Jahrhundert entdeckt hat, dass das auch erotisch sein könnte (s. mein Zitat von 1690, wo einer sich freute, das nackte Bein einer Sängerin zu sehen).




    LG,
    Hosenrolle1

  • Interessant ist aber ihre Erklärung, dass Strauss den Oktavian deswegen so besetzt hat, weil es ihm um einen ganz bestimmten Klang geht.


    Ganz so hat es Brigitte Fassbaender nach meinem Eindruck nicht gesagt und auch nicht gemeint. Vielmehr habe sich Strauss den ganz besonderen Reiz, der sich aus der ähnlichenTessitura von Mezzo und Tenor ergebe, bei der Komposition zunutze gemacht. Nach allem, was ich weiß, stand von Anfang an fest, dass der Octavian eine Hosenrolle würde. Darauf beruht ja ein Großteil der beabsichtigten Wirkung der Geschichte.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ein ganz kurzer Ausreißer zu "Peter Pan". Das Thema habe ich ja schon kurz angerissen; auch der wird im Theater üblicherweise von einer Frau gespielt, auch wenn, was ich ebenfalls schon gesagt habe, es heute modern zu sein scheint, die Rolle erwachsenen Männern zu geben. Wieso weiß ich nicht - vielleicht für die Zuseher, die zu wenig Fantasie haben und "Realismus" auf der Bühne wollen?


    Jetzt habe ich drei Beispielbilder gefunden, die das ein wenig illustrieren sollen.


    Für mich ist der dargestellte Peter Pan auf dem Cover dieser Publikation genau richtig:



    Er wirkt recht "klein", grazil, fast schon "elfenhaft" (oft genug hat er spitze Ohren, als sei er ein Fabelwesen, obwohl ich nie ein Freund davon war). Auch das Gewand ist nicht übertrieben kitschig sondern recht schlicht. So oder so ähnlich würde ich den Peter Pan gern auf der Bühne sehen.


    Und dann spielen Männer diese Rolle, wie man hier aus zwei unterschiedlichen Produktionen sieht:




    Das wirkt auf mich einfach nur lächerlich. Und für einen Peter Pan, von dem Barrie schreibt, er habe noch seine Milchzähne, absolut unglaubwürdig. Das sind erwachsene, relativ starke Männer mit kantigen Gesichtern. Das hat überhaupt nichts elfenhaftes mehr, denen kaufe ich nicht ab, dass sie schnell und wendig mit anderen Feen in der Luft herumfliegen (was Peter Pan ja tut).


    Im Roman von J. M. Barrie fragt Hook ihn: "Pan, who and what art thou?".


    Vielleicht weiß nicht mal Hook, wen oder WAS er da vor sich hat.


    Pan antwortet: "I´m youth, I´m joy, I´m a little bird that has broken out of the egg".


    Und das von einem 30 jährigen Mann? ...


    Also diese Rolle bitte NUR als Hosenrolle!




    LG,
    Hosenrolle1

  • Also diese Rolle bitte NUR als Hosenrolle!


    Ein dreißigjähriger ist für die Rolle zu alt, klar. Aber warum soll die Rolle nicht von einem jungen Mann gespielt werden, der auch ein entsprechend graziles Äußeres hat? Verstehe ich nicht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Aber warum soll die Rolle nicht von einem jungen Mann gespielt werden, der auch ein entsprechend graziles Äußeres hat? Verstehe ich nicht.

    Ist natürlich Geschmackssache, was man da bevorzugt.


    Ich persönlich finde es besser, wenn er von einer jungen Frau gespielt wird, weil er dann auch androgyner wirkt, und ich ihm mit den weichen Gesichtszügen und der glatten Haut das kindliche Aussehen eher abkaufe. In diesem Fall ist die Figur kein pubertierender Bursche (wie Cherubino), sondern tatsächlich noch ein Kind.



    LG,
    Hosenrolle1

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  • Ich habe darüber nachgedacht, ob das nicht ein Kind spielen könnte, aber WAlt Disney wußte, warum er einen Zeichtentrickfilm machte.
    Es gibt Wesen, die einfach nicht von Menschen dargestellt werden können, weil es in gewisser Form überirdische Wesen sind. Auch Dorian Gray konnte nie wirklich überzeugend dargestellt werden. Warum ist das so ? Weil es sich um Projektionen handelt, jeder stellt sich etwas anderes vor.
    Daher sind gewisse Stoffe nicht verfilmbar und nicht auf Gemälden darzustellen.
    Sie verlieren sofort ihre Faszination, werden zu Menschen aus Fleisch und Blut und wandern von der Phntasie in die greifbare Realität


    Theater und Film haben diese Regeln scheinbar aufgehoben, sie sind in der LAge durch Kunstkniffe wie Beleuchtung, künstlche Nebelschwaden etc. die Realität sehr nah mit der Phantasie zu verquicken.
    Wenn "Hosenrolle1" Peter Pan von einem Mädchen dargestellt haben möchte, dann ist dagegen nichts zu sagen, aber es gibt natürlich auch Jungen, die sich trefflich dafür eignen würden. die Frage ist nur, was passiert mit denen, wenn die der Rolle entwachsen ? Denn oft sind diese Darsteller ja desjalb so ideal, weil sie sich mit der Rolle identifizieren, selbst zu "Peter Pan" werden und später im realen Leben (auch als Schauspieler) keinen Anschluß mehr an die Realität finden.


    Aber wie ich sehe wurde schon im 1. Stummfilm, der diesen Stoff behandelte, ein Mädchen für die Rolle des Peter Pan eingesetzt - Übrigens IMO großartig gemacht---



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe darüber nachgedacht, ob das nicht ein Kind spielen könnte, aber WAlt Disney wußte, warum er einen Zeichtentrickfilm machte.

    Wobei ich diesen Disney-Film nie wirklich mochte, weil sie aus Peter Pan einen Jugendlichen gemacht haben, und Bobby Driscoll, der ihn im englischen Original sprach, hatte den Stimmbruch auch schon hinter sich.
    Den 1924er Stummfilm kenne ich, da hat, wie ich gelesen habe, Pan-Erfinder J. M. Barrie persönlich die Darstellerin für den Film ausgewählt.



    Es gibt Wesen, die einfach nicht von Menschen dargestellt werden können, weil es in gewisser Form überirdische Wesen sind.

    Weil es sich um Projektionen handelt, jeder stellt sich etwas anderes vor.
    Daher sind gewisse Stoffe nicht verfilmbar und nicht auf Gemälden darzustellen.
    Sie verlieren sofort ihre Faszination, werden zu Menschen aus Fleisch und Blut und wandern von der Phntasie in die greifbare Realität

    Das finde ich eine gute Erklärung, zumindest für manche Figuren wie Peter Pan und Cherubino. Obwohl ich finde, dass es auf Gemälden schon eher geht, weil der Maler seiner Fantasie da freien Lauf lassen kann, ohne Rücksicht darauf, ob es das, was er da zeichnet, in der Realität auch gibt. Die Faszination oder Schönheit solcher Rollen kann man schwer in Worte packen, es sind Menschen, und gleichzeitig auch doch wieder keine, weil sie unrealistisch sind, irgendein Mittelding, eine Kunstfigur die es nur auf Bühnen gibt.


    Ich könnte mir auch vorstellen, dass ein Teil der Schönheit dieser Rollen auch darin liegt, dass sie - so finde ich zumindest - die "positiven" Seiten beider Geschlechter in sich vereinen, nicht jedoch die "negativen". (Ich setze diese Wörter bewusst in Anführungszeichen, weil das eine sehr subjektive Sache ist, die man auf keinen Fall verallgemeinern darf!).




    LG,
    Hosenrolle1

  • Auch Dorian Gray konnte nie wirklich überzeugend dargestellt werden.


    Diesen Punkt habe ich leider vergessen zu erwähnen in meinem vorigen Post! Ich denke mir, dass es in diesem Fall vor allem daran liegen kann, dass Dorian Gray eine Romanfigur ist und auch nur als solche gedacht ist, während Figuren wie Cherubino, Peter Pan und Co. tatsächlich für die Bühne geschrieben wurden und auch jemanden benötigen, der sie darstellt. Ich glaube, Romanfiguren haben es da noch schwerer, halbwegs überzeugend dargestellt zu werden (wobei "überzeugend" natürlich von den Erwartungen des Einzelnen abhängig ist).




    LG,
    Hosenrolle1

  • Über die Cherubim habe ich auf Wiki was interessantes gefunden.


    Ein Cherub (Mehrzahl Cherubim (...) ist ein übernatürliches Wesen, welches im abrahamitischen Glauben als Diener oder Begleiter Gottes erscheint und unterschiedliche Erscheinungsformen hat. Unterschiedliche Quellen geben teilweise widersprüchliche Informationen über das Aussehen der Cherubim. In frühen traditionellen jüdischen Ansichten wurden Cherubim auch als Wesen mit Zügen eines jungen Menschen dargestellt und wurde später mit Cupido/Eros in Verbindung gebracht.


    Ich finde, das passt doch irgendwie zu Cherubino, auch die Verbindung mit Cupido/Eros! Und ich bin sicher, dass Beaumarchais diesen Namen nicht ohne Hintergedanken ausgesucht hat.



    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe mir gerade diesen Abschnitt aus einer ziemlich kitschigen Figaro-Produktion von 1967 angesehen. "Angesehen" trifft es genau, denn die deutsche Sprache und die modernen Instrumente sind für mich unerträglich, deswegen lief das Video stumm bei mir. Mein Hauptaugenmerk lag auf dem Cherubino von Elisabeth Steiner:


    https://www.youtube.com/watch?v=Qf6GKI-vShg



    Das wäre für mich so ein Beispiel, wo ich finde, dass der Cherubino nicht wirklich passt für mich. Gewiß, die Sängerin sieht sehr hübsch aus, und in der Frauenkleidung sieht "er" auch überzeugend weiblich aus - aber das ist das Problem: er sieht NUR weiblich aus, da ist überhaupt nichts burschikoses mehr dabei, und die Verwandlung ist praktisch keine mehr.
    Für mich auch keine ideale Besetzung, weil das burschikose, die interessante Mischung aus beidem einfach fehlt.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe kürzlich ein Bild der Rocksängerin und Bassistin Suzi Quatro gefunden, bei dem ich sofort an Cherubino denken musste, weil das Gesicht hier "Eigenschaften" mitbringt, die dem, was ich mir unter einem optisch passenden Cherubino auf der Bühne vorstelle, sehr nahe kommen.




    Die Kleidung ist hier natürlich auch eher "männlich", aber um die geht es jetzt nicht. Wenn ich mir die langen Haare an den Seiten wegdenke und nur auf das Gesicht schaue, dann sehe ich da genau die Mischung, die für einen Cherubino passend wäre, nämlich ein überzeugendes burschikoses-jungenhaftes Aussehen (mit kürzeren Haaren und ohne die Schminke natürlich), aber auch ein überzeugend weibliches Aussehen, so dass es verständlich wäre, wenn Susanna eifersüchtig auf "ihn" ist und sich wundert, wie überzeugend er als Mädchen aussieht.
    Es ist nicht zu weiblich, aber auch nicht zu männlich, sondern, wie ich finde, eine ideale Mischung aus beidem. Das Gesicht ist weich, hat auch ein bisschen etwas von dem "Babyspeck", den ich mir bei dieser Figur vorstelle, aber dennoch hat es auch ein bisschen etwas burschikoses, (Laus)bubenhaftes, schelmisches.


    Das Bild stammt ungefähr von 1973 oder 1974, da war sie etwa 23 oder 24 Jahre alt (und wird jetzt bald 70, glaubt man gar nicht ...), also ein Alter, wo SängerInnen durchaus schon auf der Bühne stehen.
    Bitte nicht falsch verstehen: das Bild ist jetzt nur ein Beispiel dafür, wie ich es mir vorstelle; natürlich meine ich damit nicht, dass ein Cherubino EXAKT so aussehen sollte. Ich habe meine "Kriterien", und dieses Bild ist nur ein Beispiel dafür, wo ich diese Kriterien erfüllt sehe.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Wenn ich Dich richtig verstehe, beziehst Du Dich ausschließlich auf den Gesichtsausdruck, meinst also nicht androgyn.
    VG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Wenn ich Dich richtig verstehe, beziehst Du Dich ausschließlich auf den Gesichtsausdruck, meinst also nicht androgyn.


    Den Zusammenhang "Gesichtsausdruck-nicht androgyn" verstehe ich nicht ganz, wie meinst du das genau?


    Aber mir geht es wirklich um das ganze Gesicht, nicht um diesen speziellen Gesichtsausdruck, den die Sängerin da macht. Also um solche Eigenschaften wie den "Babyspeck", die Züge, die weiblich und "männlich"-burschikos gleichzeitig sind. Für eine Susanna fände ich sie ungeeignet, weil ich mir die doch femininer vorstelle. Aber natürlich auch das Alter, weil sie eben nicht aussieht wie Mitte 40.


    Ich weiß nicht ob "androgyn" das passende Wort ist. Ich persönlich finde, dass es ideal ist, wenn eine Darstellerin dieser Rolle überzeugend in beide Rollen - männlich und weiblich - schlüpfen kann, ohne dass eine der beiden Geschlechter dominiert.
    In Videos habe ich auch schon Cherubinos gesehen, die VIEL zu weiblich aussahen, die Züge waren ZU weich, da war überhaupt nichts burschikoses oder lausbubenhaftes mehr dabei, und das finde ich halt nicht so gut.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe Dich falsch zitiert, ich meinte wie Du das "ganze Gesicht" - aber wer im ganzen Gesicht weibl. und männl. Attribute zeigt, muss ja nicht zugleich androgyn sein.


    VG
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Hallo Hosenrolle1, ich denke dabei ...


    Zitat

    Hosenrolle1
    Aber mir geht es wirklich um das ganze Gesicht, nicht um diesen speziellen Gesichtsausdruck, den die Sängerin da macht. Also um solche Eigenschaften wie den "Babyspeck", die Züge, die weiblich und "männlich"-burschikos gleichzeitig sind.


    ....an .....

    Zitat

    Umgangssprachlich werden Menschen, die sich bewusst als nicht geschlechtlich zugeordnet darstellen oder anderen Menschen so erscheinen als androgyn bezeichnet.


    Das stelle ich mir dann auch so vor, wenn man deine Aussage liest!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Zitat

    Umgangssprachlich werden Menschen, die sich bewusst als nicht geschlechtlich zugeordnet darstellen oder anderen Menschen so erscheinen als androgyn bezeichnet.


    Hmm ... in gewisser Weise passt androgyn schon, wenn es um die geschlechtliche Zuordnung geht - er ist ja so ein Mittelding, ein "Gemisch" aus beiden Geschlechtern.
    Andererseits dürfte er etwa Susanna nicht wirklich androgyn erscheinen, wenn sie bewundert und erstaunt ist, dass Cherubino so hübsch ist als Mädchen. Offenbar wirkt er in beiden Rollen überzeugend.


    Auf jeden Fall fand ich, dass das Bild meine Vorstellung dieser Figur auf der Bühne sehr gut illustriert. Bislang habe ich das nur in Worten beschrieben, aber mit "Bildmaterial" funktioniert es doch besser, weil es um meine deskriptiven Fähigkeiten diesbezüglich nicht sehr gut bestellt ist :)




    LG,
    Hosenrollle1

  • Hallo,ich hoffe,ich kann mich noch einschalten,der letzte Beitrag ist ja schon ein paar Tage her...Habe alle Beiträge gelesen und finde diese Diskussion ungemein spannend!Nun bin ich registriert und kann mich endlich auch äußern:Ich finde,mit Cherubino und Octavian wurden zwei der sympathischsten Operncharaktere überhaupt geschaffen.Dass die Autoren des Rosenkavaliers Cherubino im Kopf hatten,als sie Octavian schufen,ist wohl offensichtlich. Dennoch würde ich Octavian nicht als "Kopie"Cherubinos bezeichnen.Vielmehr habe ich den Eindruck,dass Octavian eine "ältere Ausgabe"Cherubinos darstellen könnte.Cherubino ist ja noch blutjung-tatsächlich würde ich ihm nicht mehr als vierzehn Jahre zugestehen-leider erfährt man sein genaues Alter nirgends,doch er steht ja ganz offensichtlich noch ganz am Anfang der Pubertät,er ist es noch gewöhnt,von seiner Umwelt wie ein kleiner Junge behandelt zu werden und verhält sich ja auch entsprechend. Octavians Alter hingegen erfährt man genau: Siebzehn Jahre und zwei Monate(Achtzehn Jahr'und zwei Minuten wäre wohl eine zu plumpe Anspielung gewesen...).Er ist schon wesentlich mehr mit sich im reinen,obwohl ihn diese ganze Sache mit der Liebe ja auch noch sehr verwirrt...Charakterlich sind sie sich allerdings ganz schön ähnlich!Und die Punkte,in denen sie sich unterscheiden,könnten durchaus auf Octavians höheres Alter zurückzuführen sein.Drei Jahre mehr Lebenserfahrung können in diesem Alter ja tatsächlich eine Menge ausmachen...

  • Hallo Dritte Dame,


    schön, dass du zu uns gestoßen bist und gleich zu diesem Thema hier schreibst :)


    ch finde,mit Cherubino und Octavian wurden zwei der sympathischsten Operncharaktere überhaupt geschaffen.


    Das ist natürlich Ansichtssache; ich persönlich finde Octavian wiederum ziemlich unsympathisch, weil er eine "ältere" Frau für eine jüngere verlässt. Das würde Cherubino nicht tun, der liebt alle Frauen (er bittet Susanna sogar, sein Lied u.a. auch Marcellina vorzutragen). Er ist natürlich sprunghaft und umarmt, wer grade in Reichweite ist, aber er verlässt niemanden wegen des Alters.
    Im dritten Teil von Beaumarchais´ Figaro-Trilogie erfährt man, dass die Gräfin und Cherubino ein Kind zusammen haben, woraufhin sie ihn verbannt hat. Er zieht in den Krieg und schreibt ihr da einen Abschiedsbrief - offenbar ist er ihr auch nach dieser Geschichte noch treu.


    Cherubino ist ja noch blutjung-tatsächlich würde ich ihm nicht mehr als vierzehn Jahre zugestehen-leider erfährt man sein genaues Alter nirgends


    Beaumarchais schreibt, Cherubino sei "un enfant de treize ans", also 13 Jahre alt. (Über Barbarina schreibt er, sie sei 12 Jahre alt, was die Annährungsversuche des erwachsenen Grafen umso widerlicher macht).


    (Eine Frage an dich: findest bzw. fändest du es ok, wenn Cherubino von einem männlichen Sänger gesungen und gespielt werden würde?)




    LG,
    Hosenrolle1

  • ich persönlich finde Octavian wiederum ziemlich unsympathisch, weil er eine "ältere" Frau für eine jüngere verlässt. Das würde Cherubino nicht tun, der liebt alle Frauen (er bittet Susanna sogar, sein Lied u.a. auch Marcellina vorzutragen). Er ist natürlich sprunghaft und umarmt, wer grade in Reichweite ist, aber er verlässt niemanden wegen des Alters.


    Octavian will halt dann doch mal ein Mädchen, bei dem er sich nicht verstecken muss, wenn das Frühstück gebracht wird, will nach den erotischen Abendteuern auch mal "was Ernstes". Ist das nicht mehr als verständlich? Macht ihn das wirklich unsympatisch?



    Im dritten Teil von Beaumarchais´ Figaro-Trilogie erfährt man, dass die Gräfin und Cherubino ein Kind zusammen haben, woraufhin sie ihn verbannt hat. Er zieht in den Krieg und schreibt ihr da einen Abschiedsbrief - offenbar ist er ihr auch nach dieser Geschichte noch treu.


    Ich habe mal Klebes "Figaro lässt sich scheiden" in Neustrelitz gesehen. Ist schon ein paar Jährchen her, 2000 oder 2001 war's - und vielleicht ist es zu lange her, aber ich habe das von damals ein bissl anders in Erinnerung. Letztlich hat Cherubino die Gräfin zum Ehebruch gebracht, und dass er ihr danach wirklich treu gewesen sein soll, vielleicht sogar bis in den Tod? Ich weiß nicht, irgendwie passt das für mich nicht zum Mozartschen Cherubino. Und wenn doch, wäre am Ende dieser wunderbaren Oper eigentlich Barbarina seine Sophie.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Octavian will halt dann doch mal ein Mädchen, bei dem er sich nicht verstecken muss, wenn das Frühstück gebracht wird, will nach den erotischen Abendteuern auch mal "was Ernstes". Ist das nicht mehr als verständlich? Macht ihn das wirklich unsympatisch?


    Wieso dann aber diese Tändelei, die lieben Worte und das gemeinsame Frühstück zu Beginn der Oper? Wenn es eh nur um eine Affäre geht, wieso muss man dann so "lieb" sein, als wäre man tatsächlich verliebt und möchte mit der Person zusammenbleiben?
    (Ich hoffe ja, dass es Octavian und Sophie am Ende so geht wie Dustin Hoffman und Mrs. Robinsons Tochter :D)


    Ich habe mal Klebes "Figaro lässt sich scheiden" in Neustrelitz gesehen. Ist schon ein paar Jährchen her, 2000 oder 2001 war's - und vielleicht ist es zu lange her, aber ich habe das von damals ein bissl anders in Erinnerung. Letztlich hat Cherubino die Gräfin zum Ehebruch gebracht, und dass er ihr danach wirklich treu gewesen sein soll, vielleicht sogar bis in den Tod? Ich weiß nicht, irgendwie passt das für mich nicht zum Mozartschen Cherubino. Und wenn doch, wäre am Ende dieser wunderbaren Oper eigentlich Barbarina seine Sophie.


    Das dürfte ein anderes Stück sein, das du gesehen hast. Der dritte Teil von Beaumarchais heißt Ein zweiter Tartuffe oder die Schuld der Mutter . Das Stück spielt 20 Jahre nach Figaros Hochzeit, spielt in Paris, wo sich das gräfliche Ehepaar nun Monsieur und Madame Almaviva nennt. Beide, der Graf sowie die Gräfin, hatten in der Zwischenzeit ein außereheliches Verhältnis, aus dem jeweils ein Kind entsprungen ist.
    Die Verhältnisse sind ziemlich bitter: Graf Almaviva ist nach wie vor ein herrischer Großkotz, der seine Frau fertig macht, obwohl er selbst Dreck am Stecken hat, Susannd und Figaro erleben einen grauen Alltag. Beaumarchais selbst beschreibt Susanna als "ihrer Herrin ergebene tüchtige Frau, die die Illusionen der Jugend verloren hat". In einer Szene sitzt sie in der Ecke und weint. Und Cherubino ist freiwillig in den Krieg gezogen und stirbt dort auf dem Schlachtfeld.


    Von diesem Schlachtfeld schreibt er der Gräfin tödlich verwundet auch einen Brief mit seinem Blut und sagt Adieu. Er hätte ja auch nach seiner Verbannung zu irgendeiner anderen Frau gehen können; stattdessen ist er weiterhin an der Gräfin interessiert.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Das dürfte ein anderes Stück sein, das du gesehen hast.

    Ich habe die Oper "Figaro lässt sich scheiden" von Giselher Klebe gesehen, die auf dem dritten Teil der Beaumarchais-Trilogie basiert. Es kann so sein, wie du schreibst, aber dass der Graf mittlerweile EIN außereheliches Verhältnis gehabt hätte, ist ja nun nicht neu, bei der Gräfin hingegen schon und das bringt diese ohnehin schwierige Ehe zum Scheitern.


    Wieso dann aber diese Tändelei, die lieben Worte und das gemeinsame Frühstück zu Beginn der Oper? Wenn es eh nur um eine Affäre geht, wieso muss man dann so "lieb" sein, als wäre man tatsächlich verliebt und möchte mit der Person zusammenbleiben?

    Weil Octavian tatsächlich glaubt, die große Liebe in ihr gefunden zu haben und sich was vormacht bezüglich der Ernsthaftigkeit dieser Affäre - daher muss ihm die Gräfin am Ende den Kindskopf waschen.
    In Sophie trifft er dann erst die wahre Liebe seines Lebens, die in eine von beiden Seiten ernsthafte Beziehung mündet, das war seitens der Marschallin doch anders bzw. sie machte sich keine Illusionen, dass das eine ernsthafte Beziehung sein könnte. Es war gewiss auch nicht ihr erster "Seitensprung" in ihrer für sie nicht sehr glücklichen Ehe.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe die Oper "Figaro lässt sich scheiden" von Giselher Klebe gesehen, die auf dem dritten Teil der Beaumarchais-Trilogie basiert. Es kann so sein, wie du schreibst, aber dass der Graf mittlerweile EIN außereheliches Verhältnis gehabt hätte, ist ja nun nicht neu, bei der Gräfin hingegen schon und das bringt diese ohnehin schwierige Ehe zum Scheitern.


    Das ist auch einer der Gründe, warum ich so dagegen bin, den Figaro als heitere Komödie aufzuführen. Die Musik ist, wenn man sich die Rhetorik ansieht (s. Mozarts Musiksprache), schon nicht "heiter" und "lustig", und die Handlung ebenfalls nicht. Die Zeiten damals waren hässlich und grauslich, da gibt es nichts zu beschönigen, es gab fürchterliche Missstände, Folter, Krieg, praktisch keine Hygiene, Seuchen, Krankheiten, und eben, wie hier, die Unterdrückung von Leibeigenen durch selbstherrliche Adelige.
    Ein erwachsener Mann ist eifersüchtig auf einen Buben, will ihn töten und zum Militär schicken, damit er selbst an eine 12 jährige rankommt - wo ist da die Komödie?



    In Sophie trifft er dann erst die wahre Liebe seines Lebens, die in eine von beiden Seiten ernsthafte Beziehung mündet

    Ist das so sicher, dass das ernsthaft ist und dauerhaft bleibt?



    das war seitens der Marschallin doch anders bzw. sie machte sich keine Illusionen, dass das eine ernsthafte Beziehung sein könnte. Es war gewiss auch nicht ihr erster "Seitensprung" in ihrer für sie nicht sehr glücklichen Ehe.

    Dann ist die Marschallin für mich ebenfalls unsympathisch, wie überhaupt jede Figur in dieser Oper. Dazu diese "rückschrittliche" Musik von Strauss mit ihrer Walzerseligkeit und der Sentimentalität, dass die Zeit so rasch verfliegt .... "wie du waaarst, wie du biiiist" ... und das nach "Salome" und "Elektra"!
    Sorry, das kam jetzt aus mir raus, ich schweife hier zu sehr ab.


    Nein, Cherubino ist mir wesentlich sympathischer. Er wurde ja auch mit Don Giovanni verglichen, aber selbst Joachim Kaiser, von dem ich ansonsten nicht sehr viel halte, findet diesen Vergleich völlig unpassend.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ist das so sicher, dass das ernsthaft ist und dauerhaft bleibt?

    Was ist schon sicher im Leben? Sicher ist, dass diese Beziehung eine weit größere Zukunft hat als die Affäre des 17-Jährigen mit einer doppelt so alten verheirateten Frau.


    Dazu diese "rückschrittliche" Musik von Strauss mit ihrer Walzerseligkeit und der Sentimentalität, dass die Zeit so rasch verfliegt ....

    Ach, wie liebe ich diese Musik - ganz im Gegensatz zu der der "Elektra". Und je älter man wird, desto rascher vergeht nunmal die Zeit, zumindest kommt es einem so vor, wärhend in der Jugend die Zeit fast stillzustehen scheint, weil es noch keine wirklich angeschlossene Vergangenheit gibt. das ist später anders. (Vor etwa 10 Jahren sah ich das zeitgenössische Schauspiel "Das Fest" nach einem bekannten Film, da sagte die eine immer "Ab 40 geht's im Galopp!" - inzwischen bin ich elbst "ab 40 und versthe, was sie meint).
    Nein dieses wunderbare Stück "Der Rosenkavalier" hat schon viel Lebensweisheit und Menschlichkeit in allen Nuancen, und dazugehört auch, dass die Handelnden alle keine Heiligen sind. Das macht mir dieses Stück zutiefst sympathisch.


    Nein, Cherubino ist mir wesentlich sympathischer. Er wurde ja auch mit Don Giovanni verglichen

    Ich sehe in der Tat eine Entwicklungslinie vom Cherubino zum Don Giovanni, nicht nur, weil Mozart nach dem "Figaro" den "Giovanni" komponierte. Auch das Stürmische, Drängende der ersten Cherubino-Arie und in Don Giovannis Champagner-Arie sind sich sehr ähnlich haben vom Duktus her doch viel gemeinsam. Und bei beiden folgt dann danach noch eine Kanzonette.


    Insofern glaube ich auch, dass Octavian es mit Sophie weit ernster meint als Cherubino mit Barbarina - der dritte Teil der Trilogie zeigt ja, dass es nicht so ist und diese Beziehung keine Zukunft hat.


    Dass Octavian, der für seine Beziehung zu Sophie im 3. Akt "Rosenkavalier" mit allen Mitteln kämpft (auc mit für ihn unangenehmen, peinlichen wie der Verkleidung als "Marianderl", macht ihn mir mindestens so sympathisch wie Cherubino, der in Mozarts "Figaro" einfach noch nicht wirklich zu sich selbst gefunden hat. Octavian gelingt dies im Laufe des "Rosenkavaliers", wenn auch mit viel Gefühlsverwirrung bis zum Ende, aber am Ende gibt es ein Happy End für ihn und Sophie.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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