Sinn und Unsinn von Hosenrollen

  • Und zum Hänsel-Mezzo: Wenn eine Sängerin einen Jungen darstdarstellt, finde ich es generell vom Klang her ansprechend, wenn die Stimme etwas dunkler, rauer,eben "männlicher" klingt als der "weibliche" Gegenpart. Wenn also beim gemeinsamen Singen (beispielsweis von Hänsel und Gretel beim Abendsegen oder auch Susanna und Cherubino bei ihrem Mini-Duett vor Cherubinos Sprung aus dem Fenster) irgendwie zu erkennen ist "Das ist der Junge!"
    Ist natürlich sehr laienhaft ausgedrückt, aber verstehst du, was ich meine?


    Ich habe es ähnlich ausgedrückt in dem verlinkten Thread. Meine Vorstellung ist generell die gleiche, nur dass ich das rauhe nicht unbedingt brauche, vor allem aber sollte das Timbre nicht zu tief sein, weil das hat dann gar nichts jugendliches mehr an sich. Oft haben diese Stimmen dann auch nicht mehr die Beweglichkeit in der Höhe, und schöne Koloraturen werden dann irgendwie verschmiert, oder angestrengter gesungen.


    Ich finde dass es besonders bei Hänsel und Gretel so sein sollte, dass die Gretel die hellere Stimme hat, Hänsel auch hell klingt, aber mit einer leicht burschikosen Färbung, also ein ganz klein wenig dunkler timbriert, aber immer noch so, dass es "glockenhell" und jung und beweglich klingt. In den Duetten sollte man, wie du auch sagst, die beiden Stimmen deutlich unterscheiden können.



    Und von 1914 an... Da kann ich beileibe nicht mithalten!!


    Ja, das ist eine Schellackplatte, die ich habe, mit einer HUG-Fantasie drauf. Also keine Gesamtaufnahme, aber die früheste HUG-Aufnahme, die ich besitze.


    Sag mal, hat denn Jennifer Larmore je Cherubino gespielt? Ich fände sie nämlich nicht nur von der Stimme, sondern auch vom Aussehen her äußerst passend...


    Dazu kann ich nichts sagen, aber hast du zufällig die HUG-DVD von 1982, live aus der MET, mit von Stade als Hänsel?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Und da es ja einen "Lieblings-Hänsel" gibt... Hast Du denn auch einen "Lieblings-Cherubino"?


    Meinst du gesanglich, oder darstellerisch?


    Wenn es um das gesangliche geht, kann ich direkt antworten: den suche ich noch! (s. mein Thread Voi che sapete - Eine Arie und ihre Interpreten)


    Darstellerisch ist das schwierig zu beantworten, weil die Darstellung natürlich wiederum von der Regie abhängt. (Hast du meinen Lieblings-Hänsel schon probegehört? Auf deine Meinung bin ich sehr gespannt!)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Nein, tut mir leid! Die einzige Dvd mit Frederica von Stade, die ich besitze ist "Le mozze Di Figaro" mit ihr als Cherubino.


    Auf der DVD gibt es im Bonusmaterial Bilder von verschiedenen SängerInnen an der MET, darunter auch Jennifer Larmore in einer Live-Aufführung als Hänsel, von 2003 oder so. Ist zwar ein Hänsel und kein Cherubino, aber da sieht man sie auf jeden Fall in einer Hosenrolle live. (Ich traue mich fast wetten, wenn sie Hänsel live gespielt hat, dass auch ein Cherubino dabei gewesen sein wird.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Wenn du so fragst, beides! Am meisten würde es mich allerdings interessieren, ob es da ein "Gesamtpaket" gibt, bei dem nahezu alles stimmt. Das Darstellerische kann man ja notfalls weglassen...

  • Wenn du so fragst, beides! Am meisten würde es mich allerdings interessieren, ob es da ein "Gesamtpaket" gibt, bei dem nahezu alles stimmt. Das Darstellerische kann man ja notfalls weglassen...


    Dass alles stimmt habe ich noch nicht erlebt, aber das ist auch schwierig. Ich habe oft erlebt, dass ein Cherubino optisch und schauspielerisch sehr gut war, dann aber eine sehr tiefe Stimme hatte, die gar nicht zum jugendlichen Aussehen gepasst hat. Oder solche, die z.B. figürlich nicht ideal wären (wie auch mein Lieblings-Hänsel), aber stimmlich ganz gut waren. Ich muss da erst ein bisschen durchschauen, spontan fallen mir jetzt nicht viele Performances im Detail ein. Ich komme aber auf die Frage zurück.
    Die Regie spielt leider doch eine größere Rolle als mir lieb ist. Wenn ein Cherubino, den ich optisch super fände, gezwungen wird, extrem quirlig zu sein, mit viel herumtollen, auf dem Boden rollen, und herumklettern, dann finde ich das eher störend, dann kann ich wirklich nur das Optische beurteilen. Persönlich mag ich es, wenn diese Figur ein bisschen ernster gespielt wird (a la Comperato), aber dennoch kindlich (nicht kindisch!), auch mal frech und schelmisch.



    Und wie war jetzt eigentlich deine Meinung zu dem Buchzitat, das du mir geschickt hast? Über Cherubinos "Männlichkeitswahn" :P


    Wie meinst du das?




    LG,
    Hosenrolle1

  • So, habe mir gerade einmal deinen Lieblings-Hänsel angehört. Die Stimme ist schön, könnte für meinen Geschmack aber doch noch ein wenig dunkler, jungenhafter sein...Mir gefällt die Stimme von Liliana Nikiteanu sehr, sie passt zu Hänsel genauso wie zu Cherubino!

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  • Was ich mich frage: wieso kann Cherubino die Hand der Gräfin so lange halten? Da steht, dass er ihre Hand nimmt und streichelt, aber nirgendwo, dass sie die Hand wieder wegzieht. Ich habe jetzt mal gezählt: von da an, wo er ihre Hand nimmt, bis zu dem Zeitpunkt, wo Cherubino sie küssen möchte, vergehen 26 Takte. Man könnte einwenden, dass er die Hand sicher nicht so lange hält, aber da ist eben diese zweite Anweisung, die explizit sagt, dass er ihre Hand immer noch hält. Wieso zieht die Gräfin die Hand nicht zurück, sondern lässt das zu und redet mit ihm währendessen weiter? Vielleicht gibt diese Reaktion Cherubino Hoffnung. Immerhin, trotz seiner Frechheit hier, grapscht er nicht einfach drauflos, wie der Graf das wohl machen würde, sondern nimmt die Hand und versucht erst später, einen Kuss zu bekommen, und das offenbar auch langsam, und nicht stürmisch.

    Da muss ich widersprechen, in der Textfassung, die ich besitze (Opern der Welt, Die Hochzeit des Figaro, Kurt Pahlen) zieht sie die Hand sofort mit ihren nächsten Worten (Mit denen sie ihn ja auch gleich heftig beschimpft!) ihre Hand zurück! Er lässt sich dadurch aber nicht entmutigen und ergreift sie sogleich wieder...

  • Bin jetzt leider unterwegs, daher kann ich 's nicht nachprüfen, vielleicht irre ich mich ja auch...Ich schaue nachher noch einmal nach!
    Ich könnte mir aber tatsächlich vorstellen, dass die Gegenwehr einfach nicht so heftig ist, wie er es von Susanna erwarten würde.
    Vielleicht sitzt ihm zu Beginn der Szene ja wirklich einfach nur der Schalk im Nacken, denn im italienischen Original sagt er Meinung nach:" Jetzt mache ich mir einen Spaß!"
    Wird da der Spaß eventuell ernst, weil Susanna ihn eben nicht so heftig abwehrt, wie er es erwarten würde und ihn das weiter ermutigt?

  • Tut mir leid, dass das mit dem Zitieren bei mir noch immer nicht richtig funktioniert, aber ich denke, es ist klar, worauf ich mich beziehe:
    Leporello formuliert hier zwar eindeutig eine Forderung, aber er tut dies, während er wie ein begossener Pudel draußen vor der Tür Wache hält und auf seinen Herrn wartet- dem er im gesamten Stück nur ein einziges Mal ernsthaft zu widersprechen wagt und sich sofort zurückzieht, als Don Giovanni sogleich (lediglich verbal!) auf ihn losgeht! Also wie ernst ist das zu nehmen?

  • Kleine Randbemerkung, die nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun hat, mir aber hoffentlich verziehen werden wird: Im Don Giovanni ist es die Elvira, die ich von allen Personen am interessantesten finde, weil bei ihr auch so viel Flexibilität gegeben ist, was die Darstellung angeht...

  • So, habe mir gerade einmal deinen Lieblings-Hänsel angehört. Die Stimme ist schön, könnte für meinen Geschmack aber doch noch ein wenig dunkler, jungenhafter sein...


    Obwohl Hänsel noch ein Junge ist? Mein idealer Hänsel (und idealer Cherubino) wäre, dass man durchaus hört, dass es eine Sängerin ist (also mir geht es hier nicht um Realismus nach dem Motto "Es muss exakt so klingen wie eine echte Kinderstimme"), nur eben mit diesem leicht burschikosen Einschlag. Hohe Töne sollten schon hell und beweglich klingen, aber auch tiefe Töne nicht knödelig.
    Diese Voraussetzungen erfüllt dieser Hänsel, sogar in der Tiefe klingt er noch jung und schön, wo andere Sängerinnen zum Knödeln anfangen, die Stimme so dick und träge wird, irgendwie.


    Ich fand die Grümmer schon sehr gut in der Rolle, aber nicht ideal, weil die Stimme mir für DIESE Rolle zu damenhaft klingt (für die Agathe fand ich sie wiederum praktisch perfekt). Bevor ich den neuen Lieblings-Hänsel gehört habe, dachte ich, dass ich da eine ziemlich unrealistische Erwartung an eine Stimme, an eine Interpretation habe, weil praktisch alle Aufnahmen, die ich bisher gehört habe, diesem Ideal nicht wirklich nahe kommen. Sicher, es gab ab und zu einzelne schöne Stellen, aber insgesamt war das nicht wirklich was für mich.
    Und dann klicke ich auf YouTube auf irgendein HUG-Live Video, erwarte mir da gar nichts ... und auf einmal höre ich diese Stimme, wie sie "Eia popeia, das ist eine Not" singt! Aber nicht nur die Stimme alleine, auch der Ausdruck, etwa dass sie Vibrato nur ganz fein am Ende von längeren Noten (wie bei "Not" oder "Brot") ansetzt, und dabei immer noch diese so schöne Mischung aus weiblich-burschikosem Klang hat. Ich war aber immer noch skeptisch, weil ich dachte "Ok, das war schön, aber wie siehst bei kritischen Stellen aus, bei hohen lauten Tönen. Werden die schrill klingen? Und wie bei den tiefen Tönen?". Aber auch die waren alle herrlich, auch in den Duetten - einfach nur zum Träumen ...


    Sorry, ich fange da schon wieder zum Schwärmen an von dieser Stimme :love:
    Man muss aber auch sagen, dass die Gretel in dieser Vorstellung für mich eine sehr, sehr gute ist, denn wenn die so eine kreischende Trullala gewesen wäre, ständig tremolierend und zu laut singend, dann hätte das gerade in den Duetten viel kaputt gemacht, aber die Gretel ist auch großartig, deutlich hellere Stimme als Hänsel, ebenfalls wenig Vibrato.


    Auf jeden Fall hat mir das gezeigt, dass meine Erwartung keineswegs überzogen ist - es GIBT solche Stimmen da draußen, nur leider sind das offenbar die eher weniger bekannten Sängerinnen, die vielleicht in kleineren Häusern, oder gar in Opernschulen zu finden sind, und keine Chance haben, Aufnahmen zu machen, weil ihnen der große Name fehlt.
    Klar, dass eine Plattenfirma lieber auf die Namen achtet, denn bei "Anna Moffo" werden die Kunden eher zugreifen als bei unbekannten Namen. Man liest ja leider auch häufig in diversen Rezensionen, dass die Besetzung "namhaft" ist, oder "hochkarätig" oder aus "Stars" besteht - so als wäre der Name schon Garant dafür, dass der/die SängerIn auch ideal für diese Rolle besetzt ist.


    Nebenbei, um nochmal auf Cherubino zurückzukommen: ich höre mir auf YouTube ja auch sehr viele private Videos von jungen Sängerinnen an, die "Voi che sapete" singen. Manche davon sind wirklich jung, so 14 oder 16 Jahre ungefähr. Auffällig ist, dass da gerne versucht wird, so zu klingen wie die großen Operndiven, da wird dann heftig tremoliert und die Stimme viel tiefer gemacht. Was ich schade finde, weil diese Sängerinnen hätten ja eine junge Stimme, und die singen ja auch eine junge Partie, aber es wird da offenbar den älteren Sängerinnen nachgeeifert, statt dass man überlegt, was zur ROLLE passt.



    Da muss ich widersprechen, in der Textfassung, die ich besitze (Opern der Welt, Die Hochzeit des Figaro, Kurt Pahlen) zieht sie die Hand sofort mit ihren nächsten Worten (Mit denen sie ihn ja auch gleich heftig beschimpft!) ihre Hand zurück! Er lässt sich dadurch aber nicht entmutigen und ergreift sie sogleich wieder...


    Ich habe mir ja die Partitur der Neuen Mozart Ausgabe angesehen, und die haben ihre Anweisungen, laut Vorwort, von den Anweisungen des Autographs, teilweise. Denen würde ich doch eher vertrauen als Pahlens Opernführer. Aber ich werde die Herausgeber danach fragen, weil ich möchte ja auch Gewissheit darüber haben, ob das alles so stimmt.
    Kannst du mir vielleicht sagen, welche Regieanweisungen bei Pahlen genau stehen?


    Was mir an dieser ganzen Gartenszene auch auffällt: Cherubinos Auftritt wirkt auf mich irgendwie so, als sei er nur noch schnell eingeschoben, damit er noch kurz was zu sagen hat, denn danach sagt er ja (mal abgesehen vom Schlusschor) gar nichts mehr. Es wirkt auf mich, als ob die Autoren da gesagt hätten "Bauen wir noch schnell Cherubino ein; wir haben da dieses Verwirrspiel, und da wäre es sicher lustig wenn der Page unfreiwillig darauf reinfällt und das Ganze aufzufliegen droht". Sozusagen als witzige Szene nebenbei, rein auf den komischen Effekt hin berechnet, nicht dafür, dass der Page hier von einer anderen Seite oder kritisch gezeigt wird. Dass die Autoren dieses Drängen von Cherubino witzig gemeint haben, dass sie dabei nicht an die Persönlichkeit des Jungen, sondern vor allem an die Gräfin gedacht haben, die sich hier verstellen muss, dass der Fokus hier auf der Gräfin und ihre Situation liegt.
    "Haha, schau, die Gräfin muss sich verstellen und wird da jetzt vom Pagen angebaggert, das ist witzig". Mozart war ja, wie du auch sagst, kein Kind von Traurigkeit, und dieses Gedicht, das ich erwähnt habe, ist auch nicht gerade "frauenfreundlich" eingestellt. Vielleicht sah er diese Szene witzig und unkritisch?





    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe mir ja die Partitur der Neuen Mozart Ausgabe angesehen, und die haben ihre Anweisungen, laut Vorwort, von den Anweisungen des Autographs, teilweise. Denen würde ich doch eher vertrauen als Pahlens Opernführer. Aber ich werde die Herausgeber danach fragen, weil ich möchte ja auch Gewissheit darüber haben, ob das alles so stimmt.

    die Neue Mozart-Gesamtausgabe gibts ja online, im Kritischen Bericht zum Figaro S. 289 heißt es:


    Hinsichtlich der szenischen Anweisungen folgte die NMA 1973 für Atto terzo und Atto quarto in Ermangelung des damals nicht zugänglichen Autographs der Vorgängerausgabe von Georg Schünemann (Leipzig 1941). Ein Exemplar des Original-Librettos (Quelle N1) stand Schünemann im Zweiten Weltkrieg nicht zur Verfügung; stattdessen zog er nur das hinsichtlich der szenischen Anweisungen redaktionell stark bearbeitete Libretto Florenz 1788 (Quelle N6) heran.

    Darauf folgt eine tabellarisch Auflistug der Szenenanweisungen in der Ausgabe 1973 und 2007 der NMA, die Unterschiede zwischen diesen Ausgaben sollten auch im Kritischen Bericht behandelt sein.

  • E gibt da diverse, längst verstorbene Personen, bei denen es mich reizen würde, sie kennenzulernen...
    Mozart gehört eindeutig nicht dazu!
    Das Gedicht kannte ich nicht, aber es passt zu seiner Korrespondenz, die sich teilweise so dermaßen widerlich und abstoßend gestaltet,. dass ich mich immer wieder frage,wie ein Mensch mit einer derartig primitiven (vor allem auch anal- sexuellen) Phantasie so wunderbare Musik erschaffen konnte...
    Ich habe einmal irgendwo gelesen (wo,weiß ich leider nicht mehr, das geht mir oft so...), dass Mozart sich in der Gestalt des Cherubino quasi selber als Jungen Mann dargestellt hätte...
    Was natürlich (glücklicherweise!) völlig absurd ist, denn Mozart hat ja den Text überhaupt nicht geschrieben und da Ponte die Figur ebenso wenig erfunden!
    Keine Ahnung, wie man auf die Idee kommen kann, gerade Mozart so dermaßen zu verklären...

  • Dass er sich bei der Gartenszene gar keine Gedanken gemacht hat, und die ganze Situation seiner Ansicht nach total witzig war, kann ich mir gut vorstellen... Du hattest doch erwähnt, dass du eine Ausgabe des Beaumarchais- Stückes besitzt. Kannst du vielleicht feststellen, ob sie auch dort existiert?
    Da sie dramaturgisch ja überhaupt keinen Wert hat- es sei denn, Cherubino von einer ganz anderen Seite zu zeigen- wurde sie eventuell auch nur eingeschoben, damit man am Ende alle Personen des Stückes glaubwürdig auf der Bühne zum "Ende gut- Alles gut"- Chor auf der Bühne versammeln kann?
    Cherubino sollte ja längst weg sein, und ohne ihn würde auch Barbarinas Anwesenheit dort im Park nicht viel Sinn machen! Gerade die zwei zum Beobachten des Geschehens dorthin zu beordern, wäre mehr als unglaubwürdig. Was sollte Cherubino dort, wenn die Gräfin es schon "peinlich" fand, was er hinter dem Sessel verborgen alles mitbekommen hat? Und Barbarina informiert ja sogar den betroffenen Ehemann brühwarm über das bevorstehende Fremdgehen seiner Frau...Die hätte vermutlich alles den Bach heruntergehen lassen! ;(

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  • Keine Ahnung, wie man auf die Idee kommen kann, gerade Mozart so dermaßen zu verklären...


    Ich will jetzt nicht zu viel dazu sagen, das habe ich in anderen, passenden Threads ausführlicher getan. Deswegen nur ein paar wenige Gedanken.


    Karajan hat auch kritisiert, dass Mozart so verklärt wird, dass er kein vornehmer, tändelnder junger Mann war, sondern ordinär und mit allen möglichen Frauen geschlafen hat. Er schiebt die Schuld - sicher auch teilweise humorvoll gemeint - auch auf die Mozartkugeln, die dieses Bild von ihm, aber auch von dieser Zeit prägen. Es ist ja wirklich so: im Mozartjahr 2006 gab es in Wien lauter Unsinn mit Mozart zu kaufen, vor allen möglichen Artikeln stand "Mozart-". Ich habe z.B. einen Mozart-Croissant probiert, mit Marzipan drin. Man hat vielleicht eine klischeehafte Vorstellung, wie es damals war. Man denkt vielleicht, dass alle in schönen Kleidern herumliefefen, die Häuser waren auch schön, viel Schnörkel usw.


    Schuld haben aber auch die Interpretationen speziell mit modernen Orchestern, die seine Musik, die oft rauh und brutal klingt, stark verweichlichen. Da sind wir jetzt beim Thema HIP, ich will auch hier gar nicht mehr darüber sagen. Aber auch das ist für mich ein Grund für die Verklärung dieses Komponisten, nicht nur die durch die Tourismusbranche geförderten Klischeebilder. Schlimm genug, dass vor der Staatsoper ein paar Mitarbeiter in Mozartkostüm (bzw. das, was man sich heute als Mozartkostüm vorstellt) herumlaufen ...




    LG,
    Hosenrolle1

  • Mal ganz abgesehen davon, dass es wirklich urkomisch ist (finde ich jedenfalls..) wie der Graf am Ende einen nach dem anderen aus dem Pavillon holt, bis er endlich, ganz zum Schluss an die vermeintliche Gräfin Gerät!

  • Hinsichtlich der szenischen Anweisungen folgte die NMA 1973 für Atto terzo und Atto quarto in Ermangelung des damals nicht zugänglichen Autographs der Vorgängerausgabe von Georg Schünemann (Leipzig 1941). Ein Exemplar des Original-Librettos (Quelle N1) stand Schünemann im Zweiten Weltkrieg nicht zur Verfügung; stattdessen zog er nur das hinsichtlich der szenischen Anweisungen redaktionell stark bearbeitete Libretto Florenz 1788 (Quelle N6) heran.


    Danke für den Hinweis!


    Das ist aber ein Mist :( :(
    Ich hätte gehofft, dass diese Anweisungen ebenfalls aus dem Autograph, oder wenigstens aus dem Librettodruck von 1786 stammen. Aber ok, auch wenn die Anweisungen, dass er ihre Hand nimmt und nach einer Zeit immer noch hält, von irgendwem später erfunden wurden, bleibt die Frage, woher Pahlen die Info hat, dass die Gräfin die Hand wieder zurückzieht.


    Du schreibst "damals nicht zugänglich" - sind in einer neueren Ausgabe der NMA die Autographe verfügbar gewesen und die Regieanweisungen auch übernommen worden, oder hat sich da nichts geändert?



    Dass er sich bei der Gartenszene gar keine Gedanken gemacht hat, und die ganze Situation seiner Ansicht nach total witzig war, kann ich mir gut vorstellen... Du hattest doch erwähnt, dass du eine Ausgabe des Beaumarchais- Stückes besitzt. Kannst du vielleicht feststellen, ob sie auch dort existiert?


    Nein, ich habe sie mir nur ausgeborgt vor einiger Zeit. Es war so: im Internet fand ich eine deutsche Version des Stückes, bei direkten Vergleichen mit dem franz. Original habe ich gemerkt, dass das eine absolut (sinn)entstellende Version ist, eben weil da Sätze falsch übersetzt, weggelassen oder hinzugedichtet wurden.
    Kurze Zeit später habe ich mir aus der Bücherei eine Version ausgeborgt, in der Hoffnung, dass es sich hier um eine moderne, werktreue Übersetzung handelt - um dann zu merken, dass es genau die selbe ist.
    Ich könnte nach diesem Text im Internet suchen, allerdings hat das für unsere Zwecke hier keinen Sinn, weil da zu viel verändert wurde, und wir sind ja an Beaumarchais´ Stück interessiert.
    Ich werde den Originaltext suchen und übersetzen lassen, mal schauen was da rauskommt.



    Da sie dramaturgisch ja überhaupt keinen Wert hat- es sei denn, Cherubino von einer ganz anderen Seite zu zeigen- wurde sie eventuell auch nur eingeschoben, damit man am Ende alle Personen des Stückes glaubwürdig auf der Bühne zum "Ende gut- Alles gut"- Chor auf der Bühne versammeln kann?


    Das denke ich auch. Schnell noch eine witzige Szene einbauen, gar nicht groß darauf achten, was das über den Pagen aussagt. Vielleicht haben die Autoren hier wirklich nur an die Gräfin gedacht, oder an die Komik der Szene, dass Cherubino hier unwissentlich die Gräfin vor sich hat.


    Solche Motive gibt es ja öfter, mir fällt z.B. gerade Edgar Allan Poes witzige Geschichte "Das Augenglas" ein, wo ein junger Mann, der schlecht sieht, bei einer Veranstaltung einer Frau den Hof macht, und am Ende setzt er die Brillen auf und sieht, wie sie wirklich aussieht. Die Gräfin ist verkleidet, und eigentlich geht es in der Handlung jetzt nur darum, ob der Plan gelingt, oder nicht. Cherubinos Auftritt wirkt da irgendwie fast wie ein kurz eingeschobener Gag nach bester Verwirrspiel-Tradition. Die Gräfin sagt hinterher nichts mehr zu Cherubino, der Graf ebenfalls nicht, und auch Cherubino hat nichts mehr zu sagen - keine Vorwürfe, keine Entschuldigung, gar nichts. Also vielleicht tatsächlich nur der Versuch, noch schnell was Witziges auf die Bühne zu bringen.


    Es ist ja bei Komödien und ähnlichen Szenen oft so, dass es umso komischer wird, wenn die Person, die sich verkleidet und einen Plan durchführen will, daran gehindert wird, weil jemand aufdringlich ist und dabei nicht nachgibt. Die Gräfin wird sich denken "Jetzt hau ab, ich will hier einen Plan durchführen, du bringst das ganze noch zum Scheitern", darf sich aber nicht zu erkennen geben. Würde Cherubino sofort nachgeben und gehen, wäre die Szene nicht komisch, aber auch wirklich sinnlos. So aber habe ich das Gefühl, dass es nur darum geht, die Gräfin in so einer "lustigen" Situation zu zeigen; der nervige Cherubino rückt nicht von ihr ab, und sie kann aber nichts sagen und muss noch ihre Stimme verstellen. Der Page dient hier vielleicht nur als "Stichwortgeber" für die Gräfin, damit die lustig sein kann.





    LG,
    Hosenrolle1

  • Danke für den Hinweis!


    Das ist aber ein Mist :( :(
    Ich hätte gehofft, dass diese Anweisungen ebenfalls aus dem Autograph, oder wenigstens aus dem Librettodruck von 1786 stammen. Aber ok, auch wenn die Anweisungen, dass er ihre Hand nimmt und nach einer Zeit immer noch hält, von irgendwem später erfunden wurden, bleibt die Frage, woher Pahlen die Info hat, dass die Gräfin die Hand wieder zurückzieht.


    Du schreibst "damals nicht zugänglich" - sind in einer neueren Ausgabe der NMA die Autographe verfügbar gewesen und die Regieanweisungen auch übernommen worden, oder hat sich da nichts geändert?

    doch, da hat sich was geändert. Die online zugängliche Ausgabe des Figaro stammt von 1973, die damalige Situation wird
    in dem Zitat aus dem kritischen Bericht angesprochen. Aufgrund einer gravierend neuen Quellenlage ist 2007 eine weitere Figaro-Ausgabe erschienen, die es anscheinend nicht online gibt (müßte man in Bibliotheken nachschauen). Der darauf erschienene Kritische Bericht ist aber wieder online zugänglich (weils vorher noch gar keinen andern gab wahrscheinlich). In der Tabelle, die ich oben erwähnte, sind die Unterschiede der Augaben 1973 und 2007 betr. Szenenanweisungen aber angegeben, so daß man sich da schon orientieren kann. Das Vorwort zum Kritischen Bericht gibt über alles nähere Auskunft.

  • Mir fallen da gerade noch mehr Ungereimtheiten auf: Cherubino kennt doch den Plan, denn wäre Version A nicht am Morgen in die Binsen gegangen, würde er selber nun hier in Susannas Klamotten stehen! Es wäre also im Grunde naheliegend gewesen, Cherubino einfach einen kurzen Hinweis zu zuflüstern, im Sinne von:"Verzieh Dich, hier läuft gerade der Plan von heute früh!" Er mag ein wenig tollpatschig sein, aber das hätte er sicher kapiert!
    Und im übrigen wartet im "Pavillon zur Linken" Barbarina auf ihn, die ihn zweifellos gleich ins Koma knutschen wird... Wenn seine Hormone also gerade wieder Überstunden machen, wäre der direkte Weg in den Pavillon sicher der weniger umständliche gewesen...

  • Es hat aber trotzdem Spaß gemacht, diese Szene einmal so detailliert unter die Lupe zu nehmen!!
    Der Vollständigkeit halber: In meiner Textversion steht konkret "sucht, sich loszumachen und verstellt die Stimme". Dass sie es "versucht", heißt ja nicht zwangsläufig, dass es ihr auch gelingt, dann macht also die Regieanweisung "hält sie weiterhin fest" durchaus Sinn. Sie wehrt sich, aber er lässt sie nicht los, also ist die Abwehr eindeutig, und die beiden halten nicht Händchen, während sie ihre Schimpftiraden loslässt...
    In jedem Fall vielen Dank an Dich, Hosenrolle 1, für diese vielfältigen Inspirationen! Nun werde ich während der Gartenszene wohl nicht mehr automatisch denken: "Was ist denn nur in unseren kleinen Engel gefahren?" :angel: :jubel:

  • Mir fallen da gerade noch mehr Ungereimtheiten auf: Cherubino kennt doch den Plan, denn wäre Version A nicht am Morgen in die Binsen gegangen, würde er selber nun hier in Susannas Klamotten stehen! Es wäre also im Grunde naheliegend gewesen, Cherubino einfach einen kurzen Hinweis zu zuflüstern, im Sinne von:"Verzieh Dich, hier läuft gerade der Plan von heute früh!" Er mag ein wenig tollpatschig sein, aber das hätte er sicher kapiert!


    Eben, das ist auch eine Logiklücke. Ich wollte zu meinem obigen Post noch erwähnen, dass mich die Szene besonders auch an Komödien erinnert, wo ein Mann sich als Frau verkleidet (da gibt´s viele Filme dazu, Mrs. Doubtfire fällt mir spontan ein), und er von einem anderen Mann angebaggert wird, der ihn für eine echte Frau hält. Da ist es meist auch so, dass es witzig ist, wenn der, der baggert, nicht locker lässt, während der verkleidete Mann in seiner Rolle bleiben muss, aber natürlich immer genervter wird durch die Annäherungsversuche.


    Hier ist es ja so ähnlich: die Gräfin ist als jemand anderer verkleidet, darf ihre Deckung nicht aufgeben, und da dachten Mozart und Da Ponte (und vielleicht auch Beaumarchais, falls die Szene dort auch auftaucht), dass es witzig wäre, wenn jetzt der liebestolle Cherubino auftaucht und die Gräfin ein bisschen nervt mit seinen Avancen.



    Übrigens, eine Szene wird in dem Buch "Mozarts Musiksprache" besprochen. Es handelt sich um diese Stelle:



    Diese schnelle Abwärtsfigur der Streicher, die man auch als Nicht-Notenleser deutlich erkennen kann, ist offenbar eine Art "Reiß"-Figur; auch andere, frühere Komponisten haben sie benutzt, wenn etwas zerreißt. In diesem Fall könnte es auch eine Losreiß-Figur sein. Die Gräfin reißt sich im forte, also laut, los.


    Jedesmal, wenn dieser Lauf nach unten aufhört, folgt ein kurzer Lauf nach oben, diesmal im piano, also leise - vermutlich wird damit gezeigt, dass Cherubino sie wieder an sich zieht. Diese Interpretation finde ich sehr glaubhaft, wenn man sich ansieht, dass dieses Spiel gleich dreimal hintereinander kommt, und auch an welcher Stelle diese Musik gespielt wird. (Beim Fechtduell zwischen Don Giovanni und dem Komtur übernehmen auch zwei Instrumentengruppen jeweils einen der beiden Kontrahenten und "malt" deren Bewegungen nach).


    Was hier auffällt: die Gräfin reißt sich laut los, mit einem langen Lauf, also offenbar ziemlich energisch. Cherubino zieht sie aber mit einem viel kürzeren Lauf wieder an sich, und zwar, wenn ich das piano richtig deute, auch sanfter und nicht so stürmisch. Würde er sie fest an sich reißen und gewaltsamer vorgehen dabei, würde das sicher auch im forte stehen, würde das auch laut gespielt werden.



    Der Vollständigkeit halber: In meiner Textversion steht konkret "sucht, sich loszumachen und verstellt die Stimme".


    In genau der Szene aus dem Notenbeispiel oben steht diese Regieanweisung auch, nur in der NMA fehlt sie. (Vielleicht hat später jemand diese musikalische Stelle ebenfalls als ein sich losreißen - an sich ziehen - sich losreißen interpretiert.)






    LG,
    Hosenrolle1

  • Weil du mich nach einem idealen Cherubino gefragt hast, da schaue ich noch durch; was die Optik angeht, möchte ich gerne einen älteren Beitrag aus diesem Thread von mir zitieren:



    Was hältst du davon?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Stimmt!!!Da hätte jetzt auch gar kein Text dabeistehen müssen, ich hatte durch die verbale Beschreibung diese Streicherfiguren sofort im Ohr!
    Irgendwie wäre es ja interessant, diese Szene einmal ohne die Stimmen zu hören. Und zu raten, was da gerade ablaufen könnte...

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