• Zitat

    An Karl Böhm erinnert das nun absolut nicht.


    Das kommt daher, weil Du von Karl Böhm ein völlig falsche Bild hast. Das wurde von seinen Gegener ja lange genung als "Gehirnwäsche" den Klassikhörern eingepaukt.
    Diskussionen daruber ; Gerne - aber in einem der zahlreichen Karl Böhm-Threads.
    Übrigens kam das Wort "bieder" in meinem Beitrag nirgendwo vor - "Gediegen" ist etwas anders. "Gut Verarbeitet" - "Solide"
    :hello:


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Und dabei ist diese Frage ganz einfach zu beantworten - allerdings muß man sich zuvor von ein paar liebgewordenen Vorstellungen lösen.


    Lieber Alfred, ich habe keine "liebgewordenen Vorstellungen", ich habe bestimmte Qualitätsansprüche, das ist für mich ein Unterschied.


    Kegel, wie ich in meinem vorherigen Beitrag versuchte darzustellen, blieb für mich bei Beethoven "unterhalb seiner Möglichkeiten".
    In dieser eigenen Einschätzung zählt für mich nicht das "warum", sondern einzig und alleine das Ergebnis.


    Zitat

    Aber erneut gehen wir hier von einer falschen Annahme aus, die darauf beruht, daß wir es hier mit einem eher ungekannten Dirigenten, der einem zweitklassigen Orchester vorstand, zu tun haben.


    Herbert Kegel hatte sich im Westen durchaus einen guten Ruf erworben, als Dirigent von spätromantischen und modernen Werken. Er galt z.B. als kompetenter Orff-Interpret, hatte eine viel beachtete Aufnahme von Alban Bergs "Wozzeck" gemacht, seine Einspielung von Mahlers 4. Sinfonie war ein "Geheimtipp", einen "Parsifal" mit einem René Kollo in der Titelpartie übergibt man in den 70ern auch nicht gerade einem "eher unbekannten" Dirigenten, bloß trat er nie als Interpret der Wiener Klassik großartig in Szene. Das an sich muss nichts bedeuten, es kann aber etwas bedeuten...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Beethoven-Sinfonien waren schon damals nahezu die meist aufgenommene Orchestermusik.
    Verglichen mit den Mitte/Ende der 1980er erhältlichen alternativen Aufnahmen, war der Status/Bekanntheitsgrad von Kegel/Dresdner Philharmonie bestenfalls vergleichbar mit z.B. Zender/RSO Saarbrücken o.ä. D.h. manche Hörer mögen den Namen gekannt haben, aber eben aus dem Kontext klassischer Moderne oder anderer Repertoirebereiche. Die Konkurrenz im Plattenangebot durch WEIT bekanntere und renommiertere Künstler war überwältigend.
    Der ungewöhnlich hohe Verbreitungsgrad dieser Beethoven-Einspielung (sicher deutlich über den meisten anderen Kegels) ist erstmal hauptsächlich durch den damaligen niedrigen Preis (Vollpreis-CDs waren richtig teuer) und das vorübergehende Alleinstellungsmerkmal der DDD-Aufnahme (das war ja das besondere an CDs, das wollte man haben) zustande gekommen. Wie gut die vielleicht im Vgl. mit Karajan, Böhm, Muti, Solti oder was auch immer ca. 1987 publikumswirksam im Plattengeschäft prangte, ist, ist zunächst nebensächlich.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Kegel, wie ich in meinem vorherigen Beitrag versuchte darzustellen, blieb für mich bei Beethoven "unterhalb seiner Möglichkeiten".
    In dieser eigenen Einschätzung zählt für mich nicht das "warum", sondern einzig und alleine das Ergebnis.

    Es gibt ja so viele unterschiedliche Ergebnisse von Beethoven-Sinfonien in Interpretationen Kegels.


    Einige davon findet man hier, die "Neunte" gleich dreifach:


    https://www.youtube.com/playli…4X2K0udnlw9DkNzKcnblhqJEv

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Kegel, wie ich in meinem vorherigen Beitrag versuchte darzustellen, blieb für mich bei Beethoven "unterhalb seiner Möglichkeiten".


    Zumindest in der Live-Fünften aus Japan von 1989 und auch in der Live-Neunten aus Leipzig von 1987 (zu finden bei YouTube) muss ich hier doch widersprechen. :D
    Was mir bei Kegels Beethoven auffällt, ist die sehr exponierte Betonung der Blechbläser, wodurch altbekannte Stellen auf einmal völlig anders klingen. Ich weiß allerdings nicht, inwieweit das auch in seinem Studio-Beethoven der Fall ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist meiner Erinnerung nach bei dem Studio-Beethoven in einigen (wenigen) Passagen auch der Fall. Z.B. eine Stelle in der Coda des Kopfsatzes der 2. Sinfonie, bei der die Trompete(n) selten so gut rauskommen. Oder die oben erwähnte Tutti-Präsentation des Freudenthemas (vor dem Vokaleinsatz), die mich damals irritierte, weil die Trompeten "zu laut" waren und die Passage dominierten.


    Ich müsste mir die Kegel-Aufnahmen nochmal anhören. Meiner Erinnerung nach habe ich sie, als ich dann etwas mehr Erfahrung mit anderen Einspielungen hatte (es war meine erste GA, davor hatte ich 3,5,6,9 auf LP/MC und die anderen Werke mal bei Bekannten gehört) als uneinheitlich, um nicht zu sagen inkonsistent, in Erinnerung. Eher positiv meiner Erinnerung nach relative Deutlichkeit der Bläser (manchmal, s.o. aber auch zu Lasten der Holzbläser, die vom Blech übertönt werden), also teils gute, teils befremdliche instrumentale Balancen. Aber z.B. Tempi "all over the place" von einer sehr flüssigen Pastorale zu traditionell (zu) langsamen Kopfsätzen von Eroica und 9.
    Ebenso Wiederholungen mal so, mal so, bis hin zu der aus meiner Sicht bizarren Abfolge eines anderthalb mal so langen dritten Satzes der 5. (wg. der o.g. umstrittenen Restaurierung von Wdh.) vor einem Finale ohne Wdh. der Exposition.
    Eine so eindeutige, "klare Handschrift" wie bei dem o.g. Klemperer kann ich kaum erkennen.


    Der Punkt ist m.E. auch weniger, ob Kegels Beethoven-GA nun mittelmäßig oder gar schlecht ist. Sondern eher, ob man, wenn man dutzende von Aufnahmen zur Verfügung oder gar schon im Regal stehen hat, sich nun gerade diese als 12. oder 20. zu Gemüte führen oder dazustellen sollte. Bei entsprechenden Exzellenz- oder Alleinstellungsmerkmalen fällt mir nicht so viel ein und da werde ich auch bei den typischerweise vagen Begründungen der Fans dieser Aufnahmen nicht ohne weiteres fündig.

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  • Das kommt daher, weil Du von Karl Böhm ein völlig falsche Bild hast.

    Hm, tja, das kann schon sein. Aber was wäre denn das "richtige" Bild von Karl Böhm, das ich haben sollte?


    Seine DG-Beethoven-Aufnahmen finde ich teilweise ja gar nicht mal so schlecht.


    Übrigens kam das Wort "bieder" in meinem Beitrag nirgendwo vor - "Gediegen" ist etwas anders. "Gut Verarbeitet" - "Solide"

    Gut, also "solide", ja, das ist sicher so. Und das ist ja auch schon was. Auf jeden Fall romantisiert Kegel Beethoven nicht, so wie es etwa Blomstedt in seiner Staatskapellen-GA macht. Ich kann mit den Kegel-Aufnahmen sehr gut leben, mich sprechen sie an, auch wenn sie nicht alleinseligmachend sind - aber welche Beethoven-Sinfonien-GA ist das bitte schon?

  • Ich kann mit den Kegel-Aufnahmen sehr gut leben, mich sprechen sie an, auch wenn sie nicht alleinseligmachend sind - aber welche Beethoven-Sinfonien-GA ist das bitte schon?

    So sehe bzw. höre ich das auch! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • auch wenn sie nicht alleinseligmachend sind - aber welche Beethoven-Sinfonien-GA ist das bitte schon?


    Na das wäre ja schrecklich, so es eine gäbe - schlecht für alle Dirigenten - schlecht für alle Rezensenten - schlecht fürs Tamino Klassikforum....
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Seine konzertante Leipziger Parsifal-Aufnahme aus den späten Siebzigerjahren mit Adam und Kollo ist die hurtigste (passt auf 3 CDs!) und schlankeste, die ich kenne. Sehr schön, schlüssig, hörenswert! Ich höre sie ebenso gern wie manche andere, viel getragenere Aufnahmen.


    Lieber Melot, Deinem Urteil schließe ich mich an. Kegels "Parsifal ist inzwischen bei Brilliant zum Schleuderpreis neu aufgelegt worden.


    Ich hatte mich an anderer Stelle des Netzes (kein Forum!!!) einmal damit beschäftigt und gebe diesen Beitrag hier zum besten, weil es gerade passt: Die konzertante Aufführung fand am 11. Januar 1975 in der Leipziger Kongresshalle statt. Die glich in ihrer Bedeutung einer Art Erstaufführung. Zumal für damals jüngere Leute, die gar nicht wussten, wie diese Musik live klingt. Der oberste DDR-Musikkritiker Ernst Krause hatte noch 1977 in seinem "Opernbuch von A-Z" ziemlich unverstellt zum Ausdruck gebracht, dass "Parsifal" in Bayreuth am besten aufhoben sei – und mit erhobenem Zeigefinger davor gewarnt, "Konzertaufführungen dürften erst Recht nicht Wagners Intensionen entsprechen". Gleichzeitig gab er die Empfehlung aus, dass "fragwürdige zweimalige Weihe-Ritual" nur anzudeuten. Der unerschrockene Kegel scherte sich nicht um solche Ratschläge. Er schritt zur Tat. Sein Konzert gelangte 1978 beim VEB Deutsche Schallplatte (Eterna) als Mitschnitt auf die Platte. Der Klang hat die Jahrzehnte bestens überstanden. Nach langer Zeit diesen Mitschnitt, der von Publikumsgeräuschen völlig befreit wurde, wiedergehört, wird auf beglückende Weise deutlich, was Dirk Stöve im Booklet so ausdrückt: "Der Leichtigkeit und Transparenz des Klangbildes ist mitunter etwas Entmaterialisiertes zu eigen, das an Debussy und seine sublime Art der Instrumentation denken lässt." Insofern vertieft Kegel noch, was Pierre Boulez bei seinem Aufsehen erregenden Bayreuther "Parsifal"-Debüt von 1966 begonnen hatte. Er nimmt der Musik die Schwere, nimmt ihr aber auch viel von der mystischen Wirkung, die vor allem Knappertsbusch zugeschrieben wird. Wie genau der Däne Ulrik Cold als Gurnemanz und René Kollo als Parsifal dem Dirigenten folgen, klingt heute noch genau so neu und frisch wie einst.


    Beide lösen sich aus der Tradition, lassen die Vorbilder links liegen und nehmen ihre großen Aufgaben ziemlich unerschrocken und sportlich. Kegel musste beide Sänger im Westen "einkaufen", weil er sie in der DDR offenbar nicht fand. Siegfried Vogel, der später ein grandioser Gurnemanz werden sollte, war wohl noch nicht so weit. Es rächte sich, dass das Fach vernachlässigt worden war. In der DDR hatte es nach Ernst Gruber immer an Heldentenören gemangelt – bis Harry Kupfer 1975 bei seinem Dresdner "Tristan" plötzlich den seit Jahren in der DDR engagierten Bulgaren Spass Wenkoff auf dem Hut zauberte und ihn 1977 auch bei der Premiere seiner "Parsifal"-Inszenierung an der Berliner Staatsoper Unter den Linden die Titelrolle singen ließ. Obwohl ein Verehrer von Theo Adam, bin ich plötzlich ziemlich erschrocken, wie er sich durch die Partie des Amfortas brüllt. Als Gurnemanz war er in späteren Jahren wesentlich besser aufgestellt und sehr ergreifend. Eine Spur zu temperamentvoll agiert Gisela Schröter als Kundry, die in wilder Auffahrung beim Konzert sogar ihr Mikrophon umgeworfen hat. Sie fügt sich mit ihrer flackenden Stimme trotz vieler berührender Momente dem Konzept von Kegel am wenigsten ein. Die Sängerin Ingeborg Zobel hielt sich an dem Abend als Einspringerin für den Fall der Fälle bereit, kam aber nicht zum Zuge, was ich im Stillen immer ein wenig bedauert habe.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ich bin zwar eigentlich ein Freund flüssiger, ja zügiger Tempi, aber mit dieser "Parsifal"-Aufnahme fremdle ich doch sehr, da wirkt vieles auf mich überhetzt und "runtergerotzt" - das Bühnenweihfestspiel verliert JEDEN weihevollen Ton und das gefällt mir nicht. Vittorio Gui ist zum Beispiel auch flüssiger als andere, aber das korrespondiert für mich noch sehr gut mit dem Stück, während Kegel meines Erachtens ein neues Stück draus macht, als wenn er einen "Lukullus" dirigieren würde.
    René Kollo ist natürlich ein sehr guter Parsifal, aber das ist er bei Solti auch und da hat er bessere Partner. Ganz so negativ sehe ich Theo Adam nicht, aber an einigen Stellen forciert er in der Tat arg, da ist es nicht mehr schön, trotzdem ist er neben Kollo der emotionalste Sänger der Aufführung. Ulrik Cold hat eine gute durchgebildete Stimme, die mir aber zu wenig differenziert, zu eindimensional als Gurnemanz geführt wird, der Text wird bei dieser Interpretation nicht in allen Schattierungen ausgelotet, da war Siegfried Vogel in dieser Rolle eine andere Nummer. Und dieser gab ja 1977 in Berlin bei Kupfer nicht sein Rollendebüt, sondern hatte die Partie schon zuvor bei zwei Gastspielen gesungen, ich glaube ab 1975, vielleicht hätte er also sogar zur Verfügung gestanden.
    Wirklich enttäuscht bin ich bei dieser Aufnahme von Gisela Schröter, die auf der Bühne der Staatsoper Berlin ab 1977 (bis 1984) eine umwerfende Kundry gewesen sein muss, wie mir viele völlig unterschiedliche Leute dutzenfach begeistert berichtet haben - aber diese Faszination, die ich live auch noch bei einigen ihrer Altersrollen erlebt habe und in einigen Live-Aufnahmen von Bühnenaufführungen wiederfinde, stellt sich hier nicht ein. Die Stimme wirkt auf mich nervös und unsicher, flackert, wird einfach nicht so konsequent und bedingungslos eingesetzt wie bei ihren Bühnenauftritten. Sie war keine Konzertsängerin, sondern ein Bühnentier! Was würde ich für einen Live-Mitschnitt einer szenischen Aufführung ihrer Kundry (aus Berlin, Kopenhagen oder sonstwo) geben! Aber sowohl wegen ihrer problematischen Leistung als auch wegen Kegels doch sehr eigenwilliger Interpretation höre ich diese Live-Aufnahme kaum noch.


    Wie unterschiedlich Kegel ein und dasselbe Werk interpretieren konnte, ist wirklich faszinierend. Seine Studio-Einspielung der "Verurteilung des Lukullus" ist langlich faszinierend, beinahe spätromantisch, während die beinahe zeitgleich entstandene Fernsehaufzeichnung der Berghaus-Inszenierung an der Staatsoper Berlin völlig anders klingt, schroff und avantgardistisch. Es ist beinahe so, als wenn es sich um ein anderes Stück handeln würde. Da ich das Werk nach einer ersten Live-Aufführung im Sommer 1992 in der Staatsoper dann doch durch häufiges Hören der Kegel-Studioaufnahme erst so richtig kennen und lieben lernte, war ich sehr gespannt auf diese Fernsehaufzeichnung (zumal einige Sänger wie die Burmeister und die Prenzlow in beiden Versionen besetzt sind), aber irgendwie war ich dann doch überrascht und ernüchtert.



    Warum ich diesen Vergleich jetzt ziehe: Um zu verdeutlichen, dass es auch bei seinen Beethoven-Interpretationen ganz unterschiedliche Resultate gibt, die man nicht alle über einen Kamm scheren kann und auch nicht sollte. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Wenn von Beethoveninterpretationen Kegels die Rede ist, dann aber in 99,9% der Fälle von den weit verbreiteten Dresdner Studioaufnahmen ca. 1982. Insofern besteht da normalerweise keine Gefahr des Missverständnisses.

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  • Wenn von Beethoveninterpretationen Kegels die Rede ist, dann aber in 99,9% der Fälle von den weit verbreiteten Dresdner Studioaufnahmen ca. 1982. Insofern besteht da normalerweise keine Gefahr des Missverständnisses.

    Hast du eigentlich meinen Beitrag Nr. 94 gelesen? Außerdem haben hier auch außer mir schon mehrere(!) andere User über andere Beethoven-Insterpretationen (Leipzig, Japan usw.) geschrieben, sodass deine Behauptung von den 99,0% mindestens(!) für diese Rubrik eindeutig falsch ist!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Der Kegel'sche "Parsifal" war vor fast zehn Jahren erstaunlicherweise neben dem von Karajan mein Einstieg in dieses Werk. Erstaunlich deswegen, weil ich damals sicher nicht wusste, wie genial Herbert Kegel war. Es war definitiv eine Empfehlung hier aus dem Forum, die mich auf diese DDR-Aufnahme brachte. Ihre interessante Entstehungsgeschichte wurde hier ja schon ausführlich dargelegt, dafür besten Dank. Tatsächlich gefiel mir Kegels Ansatz schon damals ausnehmend – und das, obwohl Karajan und, später dann in meiner Kollektion hinzugekommen, Knappertsbusch und Goodall doch einen sehr unterschiedlichen verfolgen. Ich muss auch bekennen, dass mir Kegels Aufnahme immer besser gefiel als jene von Boulez. Einen frischeren "Parsifal" kenne ich nicht. Stimmlich konnte ich seinerzeit nichts bemängeln. Hier wurde nun aber zurecht auf Defizite hingewiesen. Besonders René Kollo und der fast unbekannte Ulrik Cold halten aber auch heute noch jeden Vergleich aus, weil sie wirklich perfekt in Kegels "entschlacktes" Konzept passen. Das Stichwort Debussy finde ich sehr gut gewählt, es trifft auch meinen Eindruck. Die Akustik der Leipziger Kongreßhalle möchte ich an der Stelle auch mal lobend hervorheben. Die fiel mir schon öfter positiv auf. Es gab in Leipzig also zumindest aufnahmetechnisch bereits vor dem klanggewaltigen Gewandhaus einen sehr guten Konzertsaal – wie es in der Kongreßhalle live war, weiß ich aber nicht.


    Ich habe eine ältere Ausgabe dieses "Parsifal" (unten links). Allein die Tatsache, dass es etliche Editionen gibt, zeigt, dass die Aufnahme noch heute gekauft wird. Die CD-Erstveröffentlichung erschien scheinbar 1993 bei Koch Schwann. Natürlich ist das bei Kegel kaum ein "Bühnenweihfestspiel", aber seine Interpretation hat doch einen festen Platz in der Diskographie und ragt auch heraus.


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    P.S. Hieß dass zu DDR-Zeiten nun offiziell "Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig" oder "Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig", wie auf den "Parsifal"-Covern steht?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • P.S. Hieß dass zu DDR-Zeiten nun offiziell "Rundfunk-Sinfonieorchester Leipzig" oder "Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig", wie auf den "Parsifal"-Covern steht?

    Ich meine, so ist es richtig. Zumindest ist es mir aus früheren Aufnahmen noch so in Erinnerung.


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...


  • Nun liegt mir also die Beethoven-Gesamtaufnahme der Dresdner Philharmonie unter Herbert Kegel vor (mein großer Dank gilt an dieser Stelle einem befreundeten Tamino). Genaue Aufnahmedaten werden im Booklet leider nicht angegeben. Im Netz findet man nur ein vages 1982 und 1983 in der Dresdner Lukaskirche. Hat jemand konkretere Details? Abgesehen davon, begann ich - für mich untypisch - mit der Neunten. Die hebe ich mir neben der "Eroica" und "Pastorale" meist für den Schluss auf. Was soll ich sagen? Ich bin begeistert. Beginnen wir auch bei den Sätzen von hinten. Ein besseres Solistenquartett im Finalsatz zu finden dürfte schwierig sein. Und dabei sind es eher nicht die ganz bekannten Namen: Alison Hargan als Sopran, Ute Walther als Alt, Eberhard Büchner als Tenor sowie Kolos Kováts als Bass. Ein sehr homogenes Ensemble, wo keiner den anderen überdecken will. Ich habe die vier Solisten selten so gut an wirklich jeder Stelle lokalisieren können. Besonders Büchner würde ich hervorheben wollen. "Froh, wie seine Sonnen fliegen" ungemein klangschön und heldisch - kurz: referenzträchtig vorgetragen. Ab sofort einer meine Favoriten in diesem Part. Ich kannte ihn bisher nur von einer ebenfalls ganz hervorragenden Gralserzählung des Lohengrin. Und dann der Chor! Hier die vereinigten Rundfunkchöre Berlin und Leipzig. Kegels Ruf, ein genialer Chorleiter zu sein, kam ja nicht von ungefähr. Den Rundfunkchor Leipzig leitete er fast 30 Jahre lang selbst und machte ihn zu einem der besten überhaupt. Ungemein durchhörbar und wortdeutlich. Ausgezeichnete Leistung! Da behaupte mal noch wer, nur kleine Chöre könnten das. Im Finale wählt Kegel ein getragenes Zeitmaß (26:22), das indes vollauf angemessen ist und der Größe des Werkes entgegenkommt. Den "Freude, schöner Götterfunken"-Chor hört man nicht oft so majestätisch. Sehr gut auch das Orchester. Die Blechbläser prägnant und hervorstechend, ein Kegel'sches Markenzeichen. Der Paukist lässt es, wenn nötig, auch richtig knallen. Ansonsten sind die Tempi nicht unbedingt langsam: 16:37 im Kopfsatz, 11:24 im Scherzo und 16:13 im Adagio, insgesamt also gut 70 Minuten. Dramatisch Kegels Zugriff bereits in den ersten Takten. Ein Höhepunkt ist die Coda des ersten Satzes. Im darauffolgenden Scherzo darf sich der Paukist dann richtig "austoben" - und vollführt gegen Ende (etwa bei 9:50) einen regelrechten Paukenschlag, wie ich es mag. Den vermisse ich in vielen Aufnahmen. Das Adagio schließlich ist tief empfunden, aber frei von Larmoyanz. Die frühe Digitalaufnahme klingt tadellos und sehr natürlich - keine Anzeichen von künstlichem Klang. Ein formidabler Einstieg in diesen Zyklus, der sich so hoffentlich fortsetzt.

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    – Luís de Camões

  • Deine Begeisterungsfähigkeit möchte ich haben... Da hörst Du Deine hundertste Neunte oder Deine dreiundneunzigsten Meistersinger und immer das, was Du gerade zuletzt neu gehört hast, das ist dann meist sensationell, exzeptionell, formidabel, superlativisch, hat man so noch nie gehört, vielleicht die beste Aufnahme, die gibt. Bis die nächste neue alte Aufnahme um die Ecke kommt. Ich höre auch gerade Kegels Neunte und bin eher ernüchtert.

    Er hat Jehova gesagt!

  • Genaue Aufnahmedaten werden im Booklet leider nicht angegeben. Im Netz findet man nur ein vages 1982 und 1983 in der Dresdner Lukaskirche. Hat jemand konkretere Details?


    hallo Joseph II.,
    ich habe folgende Aufnahmedaten gefunden, Aufnahmeort jeweils die Dresdner Lukaskirche:
    1. Sinfonie 23./24. August 1983
    2. Sinfonie 1. bis 3. August 1982
    3. Sinfonie 10. bis 13. Januar 1983
    4. Sinfonie 1. bis 4. Februar 1983
    5. Sinfonie 14. bis 18. Juni 1982
    6. Sinfonie 8. bis 10. März 1983
    7. Sinfonie 20. bis 22. Oktober 1981
    8. Sinfonie 1982/1983 (wobei 1982 das für mich wahrscheinlichere Datum ist; die 8. Sinfonie erschien zuerst auf LP mit der 5. Sinfonie, die auch 1982 aufgenommen wurde)
    9. Sinfonie 20. Mai bis 7. Juni 1983

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Deine Begeisterungsfähigkeit möchte ich haben... Da hörst Du Deine hundertste Neunte oder Deine dreiundneunzigsten Meistersinger und immer das, was Du gerade zuletzt neu gehört hast, das ist dann meist sensationell, exzeptionell, formidabel, superlativisch, hat man so noch nie gehört, vielleicht die beste Aufnahme, die gibt. Bis die nächste neue alte Aufnahme um die Ecke kommt. Ich höre auch gerade Kegels Neunte und bin eher ernüchtert.


    Verwechselst Du mich mit jemandem anderen hier? Ich habe in der letzten Zeit etliche Rezensionen verfasst, darunter auch kritische. Wenn ich Kegels Aufnahme der 9. Symphonie so weit vorne sehe, stehe ich auch dazu. Aber vielleicht ist meine Erwartungshaltung auch eine andere.


    Eigentlich brauche ich ja keine Sekundanten, aber zitieren wir mal die Kritikerzunft zu diesem Zyklus von Herbert Kegel:


    "Ein klang- und kraftvolles Orchester!" (Gramophone 11/1984)


    "Wer 'alle Neune' in klarer, zu Herzen gehender Gangart will, ist mit der Dresdner Philharmonie 1982/83 unter Herbert Kegel bestens bedient. Kegels Beethoven-Sicht ist frei von patzigem Pathos - dafür packend, fesselnd, belebend, befreiend." (audio 01/04)


    "Das wunderbare Orchester der Dresdner Philharmonie ist in all seinen Nuancen klar, deutlich und unglaublich präzise zu hören, so als sei die Aufnahme erst vor einiger Zeit entstanden, und nicht bereits vor 30 Jahren. [...] Selten hat man die legendäre 'Eroica', Beethovens 3. Sinfonie, die er zur Verehrung Napoleons geschrieben hatte und die leider von den Nazis missbraucht worden war, und auch 'Die Neunte' so tonal und akustisch formvollendet gehört." (inn-joy.de 11/2013)

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    – Luís de Camões


  • Besten Dank für diese sehr hilfreichen Infos, lieber orsini!

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  • Also, ich habe diese Capriccio-Box der Beethoven-Sinfonien:



    Leider ist hier als Aufnahmedatum auch nur "1982/83" vermerkt. Im Booklet befinden sich dann kurze Künstlerporträts und Bilder. Auch ein Bild der Aufnahmesitzung der Neunten Sinfonie in der Lukaskirche ist vorhanden.


    Künstlerische Aufnahmeleitung: Eberhard Geiger
    Tonregie: Horst Kunze
    Schnitt: Andreas Neubronner, Stefan Schellmann


    Ich höre mir gerade die Neunte Sinfonie an und bin alles andere als ernüchtert. Das ist einfach sehr gut. Es ist rhythmisch-gespannt, agil, vorwärtsdrängend, schlank und kompakt im Klang, sehr transparent und klar - ein Beethoven der "Neuen Sachlichkeit" würde ich mal sagen. Ich wüsste nicht, wo Kegel hier "unter seinen Möglichkeiten" bliebe. Dieser Beethoven ist nicht altbacken, romantisierend oder ähnliches. Er muss sich auch heute in keiner Weise verstecken, im Gegenteil, er ist einfach gültig und zeitlos.

  • Ich habe mir nun mal 1, 3 und 5 angehört, sowie bei der 9. an mehreren Stellen reingehört. Was ich oben schon korrigiert habe, war eine falsche Aussage bzgl. des 3. Satzes der 5. Kegel macht keine zusätzliche Wdh., das habe ich vermutlich zum ersten Mal bei Harnoncourt gehört. Wie ich auf die Idee komme, das Kegel zuzuschreiben, weiß ich nicht.


    Nun höre ich Beethoven-Sinfonien nicht mehr so regelmäßig (weil ich sie jahrelang sehr oft gehört habe), insofern kann ich keinen direkten Vergleich ziehen. Positiv bei Kegel ist jedenfalls eine zumal für traditionelle Aufnahmen mit großem Orchester recht gute Transparenz. Der Bassist in der 9. gefällt mir nicht besonders und er hat einen starken Akzent (das störte mich schon als Teenager vgl. mit dem herausragenden Quartett bei Karajan 1962 - das war meine LP-Aufnahme gewesen).


    Die anderen drei Sinfonien, die ich jetzt gehört habe, sind durchaus gut, insofern war ich beim Wiederhören eher positiv überrascht, aber ich sehe nach wie vor nicht recht, was genau das so besondere an diesen Aufnahmen sein soll, dass man sie gegenüber einem dutzend oder zwei anderer Beethovenaufnahmen, die mindestens ebenso solide, aber vielleicht doch persönlicher, dramatischer usw. sind, hervorheben sollte. Vor 25-30 Jahren war das eine großartige Möglichkeit, einen guten und sehr preisgünstigen Beethovenzyklus auf CD zu erhalten, aber inzwischen gibt es sehr viele Optionen.

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    (Bob Dylan)

  • Da ja die o. a. Diskussion schon seit beinahe zwei Jahren sanft entschlummert ist, kann ich gefahrlos diese Aufnahme posten, die mir durch Zufall (welch glückliche Zufälle es doch gibt) vor zehn Tagen auffiel, als ich im Erinnerungsthread an Herbert Kegels 89. Geburtstag erinnerte:

    Es geht hier um Schuberts Messe Nr. 2 G-dur D.167, die wir in meinem zweiten Chor seit einigen Wochen einstudieren, und ich hatte im Vorfeld etliche Aufnahmen für den Chor besorgt (zum ergänzenden Eigenstudium), diese Aufnahme Kegels dabei aber nicht entdeckt.

    Als ich sie nun am 29. Juli vor dem Erstellen meines Erinnerungsbeitrages probehörte, war ich schon von diesen wenigen Ausschnitten so ergriffen, dass ich mich erst mal sammeln musste. Heute nun ist diese Aufnahme (AD 1986) bei mir eingetroffen, und ich habe sie nun ganz gehört und dabei mit der Partitur verfolgt, auch verschiedene Messteile leise mitgesungen, und ich bin ganz begeistert, dass diese Messe, die ja hier neben dem großen Stabat Mater D. 383 möglicherweise nur als "Seite B", wie man früüher bei den Schallplatten sagte, mit aufgenommen wurde, von den Protagonisten mit so großem Ernst und Engagement und einfach grandios vorgetragen wurde.

    Nicht nur die Solisten, an erster Stelle Magdalena Hajóssyová mit ihrem glockenreinen Sopran im Benedictus und vor allem im Agnus Dei, sondern auch Eberhard Büchner mit seinem klaren Tenor und Hermann Christian Polster mit seinem noblen Bass wussten in ihren Soli zu beeindrucken, sondern auch das RSO Leipzig und der Leipziger Rundfunkchor, der sicherlich schon in den achtziger Jahren einer der besten deutschen Chöre war, und alles das unter dem umsichtigen Dirigat von Herbert Kegel.

    Sehr stark gefesselt hat mich vor allem das Credo, als Glaubensbekenntnis die zentrale Aussage jeder Messe. Aber so habe ich es noch nie gehört.

    Die ersten drei Credo-Abschnitte, Credo in ununum Deum, Credo in unum Dominum Jesum Christum und das Et incarnatus est bis einschließlich zum Et homo factus est wird in einem anrührenden Piano gesungen, dann das Crucfixus im Forte und schließlich das Et resurrexit im Fortissimo. Dann folgt der lange Schlussabschnitt Credo, Credo in Spiritum Sanctum Dominum, in dem der Heilige Geist im Mittelpunkt steht, bis zum Et vitam venturi saeculi, Amen, wiederum im Piano. Dabei lässt Schubert in seinen Messen in diesem letzten Abschnitt den Stz "Credo in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam" stets weg, wohl damals schon als ein Art Protest gegen die Amtskirche(?).

    Ich freue mich jetzt schon auf die nächsten Wochen, wenn wir das Credo, das nur vom Chor gesungen wird, in Angriff nehmen. Es ist auch trotz seiner Länge, wie ich finde, nicht so schwierig einzustudieren, weil es als einziger Messteil ausschließlich homophon gesetzt ist.

    Dafür kann man sich um so mehr auf den Ausdruck vor allem in den leisen Anfangs- und Schlusssequenzen konzentrieren.

    Diese alles ist, um es noch einmal zu wiederholen, in dieser Aufnahme in vorbildlicher Weise gelungen:

    Ich darf nur davor warnen, dass seit Kurzem bei den YT-Videos stets ein kurzer Werbeclip vorgeschaltet ist, aber das vergeht schnell.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Als ich neulich die "Platzhalter" Links in diesem Thread ausbesserte, stieß ich auf die damalige kontroverse Diskussion über die Beurteilung der Qualität der Interpretationen der Beethoven Sinfonien und beschloss daraufhin, mein damals aus dem Langzeitgedächtnis gefasstes Urteil zu überprüfen und bestellte mir für 7,49 € die schon mehrfach genannte Gesamtaufnahme.



    CD 1 mit dem Sinfonien 3 und 1 begann mit einer riesengroßen Enttäuschung. Weniger revolutionär (im Sinne der Weiterentwicklung des sinfonischen Schaffens) habe ich beide Sinfonien selten gehört. Die "Eroica" ist sogar eine der spannungsärmsten, die mir jemals zu Ohren kam. Beide Sinfonien in Kegels Interpretationen stehen für mich in der (falschen) Tradition des behäbigen "Papa Haydn".


    Das ist für mich noch nicht einmal primär eine Tempofrage. Herbert Kegel benötigte für den Kopfsatz der "Eroica" 15:18, allerdings ohne Wiederholung der Exposition. Zu den Wiederholungen pflegte Herbert Kegel ohnehin ein etwas eigenwilliges Verhältnis zu haben. Die meisten ließ er weg, im Kopfsatz der 4. Sinfonie aber z.B. ließ er sie spielen. Bei den 15:18 lassen wir mal außer Acht, dass Hermann Scherchen in seiner legendären "Westminster"-Aufnahme mit Wiederholung 14:39 benötigte; 15:18 sind "solides Tempomittelfeld", vergleichbar mit Karl Böhm (Berlin) mit 14:51 oder Rudolf Kempe (15:24).


    Was mir bei der "Eroica" stark missfiel ist fast schon als Negierung des revolutionären Charakters der Sinfonie zu bezeichnen. Exemplarisch steht dafür der Finalsatz, in dem zu Beginn wesentlich mehr legato als gewöhnlich gespielt wird und der Satz dadurch "ohne Ecken und Kanten", ohne Schwung und Leidenschaft erscheint. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich den Eindruck, es würde mehr gefordert sein als das bloße Herunterspielen der Noten.


    Gleiches gilt für die 1. Sinfonie. Ich würde sie in der Interpretation als "behäbig", "bräsig", bezeichnen, aber nicht als beachtliches erstes Werk eines der großen Weiterentwicklers des sinfonischen Schaffens.


    Die CDs 2 und 3, die ich auch inzwischen gehört habe mit den Sinfonien 7 und 2, sowie 5 und 4, zeigen mich zwar etwas versöhnter, die 4. und 5. Sinfonie würde ich sogar als "sehr gelungen" bezeichnen (bis auf einige kleine Details), aber man darf bei Herbert Kegel nicht an die Anfang der 1980er beginnende historisch informierte Aufführungspraxis denken. Auch z.B. Günter Wand, dessen Gesamtaufnahme einige Jahre später in den 80ern entstand oder Franz Konwitschny (um eine weitere Gesamtaufnahme aus DDR-Zeiten zu benennen) zeigten bei den Beethoven Sinfonien zum Teil wesentlich mehr Gestaltungswillen, "Ecken und Kanten" und Temperament.


    Zugegeben, das Orchesterspiel ist ohne Fehl und Tadel, die Transparenz insbesondere bei den Holzbläsern ist lobenswert, aber trotz allem bleibt bisher das Gefühl, dass Herbert Kegel für mich bei Beethoven weit unter seinen Möglichkeiten blieb.


    Was mit "Kegels Möglichkeiten" gemeint ist, verdeutlichen neben vielen genannten auch diese Aufnahmen, die ich mir kürzlich zulegte:


    Zugegeben, andere Komponisten, live statt Studio, aber insbesondere


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    ist von einer interpretatorischen Klasse, neben der selbst renommierteste Dirigenten wie Vaclav Neumann, Rudolf Barshai, Konstantin Ivanov (bzw. Kyrill Kondraschin), selbst Evgeny Svetlanov, für mich hinten anstehen müssen.

    Herbert Kegel verbreitet im ersten Satz im "Marschrhythmus" mit fulminanten Steigerungen ein "Schreckensszenario", das ich bisher in keiner anderen Aufnahme so gehört habe und baut auch im Finalsatz mit einem allmählich schneller werdenden Tempo eine schier atemlose Spannung auf, die für mich unerreicht ist.


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    Die Mahler-Aufnahmen warten mit "ruhigeren" Tempi auf, aber in der 3. Sinfonie (die 1. und 2. habe ich erst einmal gehört und gehe deswegen nicht detaillierter auf sie ein, wenngleich sie mir auch sehr gut gefallen haben) bewahrt Herbert Kegel stets den "großen Atem" und gestaltet eine eindrucksvolle Sinfonie mit vielen wunderbaren Details und großartigen Steigerungen, ibs. im Finalsatz.


    Dabei galt er nicht gerade als "Mahler Spezialist". Im Studio entstanden nur die Aufnahmen der 1. und 4. Sinfonie. Den Beiheften der leider schwer und meist zu sehr teuren Preisen erhältlichen "Weitblick"-Aufnahmen ist zu entnehmen, dass er sich den Sinfonien näherte, indem er sich Aufnahmen anderer Dirigenten, u.a. von Leonard Bernstein, anhörte und dann seine eigenen Interpretationen entwarf.


    Davon ist nichts zu hören. In allen Aufnahmen vernehme ich deutlich eine individuelle Handschrift, bei Beethoven aber zu häufig nicht.


    Es stehen noch die Aufnahmen der 6., 8. und 9. Sinfonie an. Falls sich meine Meinung danach grundlegend ändern sollte, melde ich mich wieder. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Als ich neulich die "Platzhalter" Links in diesem Thread ausbesserte [...]

    Da sage ich Norbert gerne mal Danke zwischendurch!


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Wolfgang,


    danke für den Dank. :)


    Wenn sich die Zeit findet, dann bessere ich in alten Threads gerne die "Platzhalter" aus (heute habe ich den Thread über Beethovens 3. Sinfonie beendet zu aktualisieren), auch wenn es eine zweitaufwändige Angelegenheit ist. Die Recherche, gerade bei alten Beiträgen, gestaltet sich schwierig, weil einige Aufnahmen nicht mehr erhältlich sind und sich stellenweise nicht mehr erschließen lässt, welche Aufnahmen gemeint waren.

    Alles wird sich nicht ausbessern lassen, dazu ist das Forum "zu groß" und nicht alles ist zu recherchieren, aber die Kollegen und ich bleiben fleißig. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Abgesehen vom Komponisten sellbst dürfte Herbert Kegel der einzige Dirigent gewesen sein, der Benjamin Brittens "War Requiem" zweimal eingespielt hat.


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    Die erste Aufnahme wurde 1978 unter dem DDR-Label ETERNA veröffentlicht, die zweite erschien dann wohl schon kurz nach dem Mauerfall bei Berlin Classics. Es spielt in der früheren Aufnahme das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig, in der zweiten die Dresdner Philharmonie. Der deutlichste Unterschied zwischen beiden Aufnahmen besteht darin, dass die Gedichte von Wilfred Owen zunächst in der deutschen Übertragung durch Dietrich Fischer-Dieskau gesungen werden, wobei mir dabei der Bariton Günther Leib wesentlich mehr zusagt als später Theo Adam in der Originalsprache. Mir ist keine weitere Produktion mit deutschen Textteilen bekannt. Deshalb wäre es wohl an der Zeit, auch diese endlich auf CD anzubieten.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich habe mit Kegel u.a. die 4. Sinfonie von Mahler, die für mich sehr transparent ist mit guter Darstellung auch der Nebenstimmen und einer exzellenten Celestina Casapietra.

    Beethoven-Sinfonien habe ich genug, auch Gesamtaufnahmen. Aber großartig ist sicher unbestritten Kegels Einspielung von Arnold Schönbergs Gurreliedern.

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    Aufgenommen in der Dresdner Lukaskirche, die Dresdner Philharmonie durch das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig verstärkt, dazu 3 Chöre, alles das ergibt schon mal eine überwältigende Klangfülle. Kegel hält alles gut zusammen, hat ein gutes Gespür für die Steigerungen, ist maßvoll im Tempo und hat einen fast wagnerischen Bezug zum Werk. Dazu kommt eine vorbildliche Balance der Stimmen, diese Aufnahme ist für mich referenznah.

    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Nie so recht nachvollziehen konnte ich den Ruf der Studio Beethovensinfonien, wiewohl ich sie oben anscheinend mindestens solide fand. Ebenso Mahler 1; die 4. Ist dagegen sehr gut.

    Meine stärkste Empfehlung gilt Kegels Hindemith, 3 oder 4 CD. Auch klanglich spitze. Ebenso die schon genannte Blacher CD. Und eine totale Überraschung: als ich vor gut einem Jahr mal ein gutes halbes Dutzend Aufnahmen von Bartok Divertimento verglichen habe, hat mich seine Aufnahme in der oben gezeigten schwarzen Box sehr beeindruckt. Das meiste andere daraus wie Britten u. Schönberg kenne ich zu schlecht und die Ausstattung ist minimal, aber lohnend.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich kann die hier immer wieder und wieder geäußerte Kritik an Kegels Beethoven-Sinfonien nur schwer nachvollziehen. Das mag daran liegen, dass ich mit ihnen aufgewachsen bin, seine 1., 2., 3. und 6. waren meine jeweils erste Aufnahme dieser jeweiligen Beethoven-Sinfonie. Aber im letzten Jahr, im Beethoven Jahr, habe ich mir die bei Spotify alle nochmal angehört und war sehr zufrieden. Mit vielen anderen Studioaufnahmen z.B. selbst vom berühmten Karajan und vom mir eigentlich hochgeschätzten Thielemann kann ich weit weniger anfangen, Konwitschny ist mir zudem insbesondere bei der "Eroica" viel zu langsam. Gerade die ersten drei finde ich bei Kegel goldrichtig, wobei ich zugebe, dass das sicherlich auch die Macht der Gewohnheit im Spiel ist.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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