Sinn und Unsinn von Hosenrollen

  • Von Vesta Tilly gibt's eine Menge Bilder im Internet. Aber überzeugend sieht sie als Kerl nicht wirklich aus... Da ging es wohl eher um Provokation! Hat im Krieg in ihrer Rolle als "Mann" Antikriegslieder gesungen, muss so eine Art "Vorreiter" für die Frauenbewegung gewesen sein und hat ulkigerweise sogar männliche Mode mitbestimmt! Junge Männer nahmen ihren Kleidungsstil teilweise als Vorbild!
    Sie musste dann mit der ganzen Chose aufhören, als sie heiratete- weil ihr Zukünftiger Parlamentsmitglied und ihr "Job" dafür nicht seriös genug war...

  • Ich habe die Bilder auch gesehen, wirklich männlich wirkt das tatsächlich nicht. Aber wenn man sich die Frauenmode der damaligen Zeit ansieht, kann man doch nachvollziehen, wie ungewöhnlich sowas noch war ...


    Eine Hosenrolle, die ich unnötig finde, ist für mich der "Little Lord Fauntleroy" aus dem gleichnamigen Stummfilm von 1921, mit Mary Pickford in der Titelrolle. Am bekanntesten dürfte bei uns wohl die Verfilmung von 1980 sein, mit Alec Guinness. Pickford wirkt auf mich absolut nicht bubenhaft oder kindlich, und trägt auch noch so eine irgendwie lächerliche Perücke. Das Stück wurde offenbar vorher schon im Theater gespielt, ich nehme mal stark an, dass es auch dort eine Hosenrolle war, was ich nachvollziehbar finde. Aber in einem Film für DIESE Rolle? (Bei Peter Pan ist das was anderes für mich, da finde ich eine Frau besser, weil die Rolle ja auch irgendwie "elfenhaft" ist, aber beim kleinen Lord kann ich das nicht ganz nachvollziehen)


    Bemerkenswert ist aber diese Szene, wo er seine schlafende Mutter küsst, denn beide Rollen werden von der selben Schauspielerin gespielt; in einem Making of des Films sah ich, wie (aufwändig) dieser Effekt damals kreiert wurde. Pickford küsst sich sozusagen selbst auf die Wange.



    In jedem Fall lohnt es sich immer, sie in der Rolle des Octavian zu sehen, ich habe zwei Dvd- Aufnahmen mit ihr in dieser Rolle, einmal die genannte mit Renée Flemming als Marschallin- perfektes Team die beiden, auch stimmlich und optisch- und eine, in der die Handlung in die Entstehungszeit der Oper verlegt wurde, also um 1910. Die Darstellung ist da eine komplett andere. Zwar auch so schwankend zwischen männlich selbstbewusst und kindlich impulsiv, gerade in der Anfangsszene. Die Marschallin ist schon wirklich "alt", bestimmt um die fünfzig... Da ist der Altersunterschied dann wirklich augenfällig und das ganze bekommt so einen Touch von Mutter- Sohn- Beziehung...


    Ödipus lässt grüßen :D



    (Völlig OT: wir sprachen ja vor kurzer Zeit über geschmackvolle erotische Inszenierungen; HIER habe ich einen Thread eröffnet wo es um meine Lieblings-Schleiertänze der Salome geht, und wo ich verschiedene Inszenierungen bespreche. Kannst du, wenn du mal Zeit und Lust hast, dir meinen Platz 2 ansehen (das ist die Inszenierung, die ich gelobt habe hier), sowie weiter unten im selben Beitrag meinen Platz 1 von den Tänzen, die nicht von Strauss sind, und mir deine Meinung dort im Thread dazu sagen? Da bin ich sehr gespannt!)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe die Bilder auch gesehen, wirklich männlich wirkt das tatsächlich nicht. Aber wenn man sich die Frauenmode der damaligen Zeit ansieht, kann man doch nachvollziehen, wie ungewöhnlich sowas noch war ...

    Das könnte dann also ein geschickt ausgeklügelter Plan gewesen sein, der unbequemen Damenmode von damals zu entgehen... ;) Eine Strategie, die ich für die Barockzeit auch wärmstens empfehlen würde!!

  • Kleine Verständnisfrage: Weswegen findest Du die Rolle des "Kleinen Lord" im Theater nachvollziehbar, aber nicht in einer Verfilmung?
    Ich kenne nur die Verfilmung mit Alec Guiness, aber auch da finde ich Cedric (hoffe, die Orthographie stimmt... ;) ) auffallend mädchenhaft mit den langen, blonden Haaren! Habe das immer so hingenommen, weil ich dachte, es sei vielleicht damals Mode gewesen, aber da die Rolle offenbar in den ersten Inszenierungen als Hosenrolle konzipiert war, spielt da vielleicht doch noch etwas anderes hinein...
    Ich könnte mir vorstellen, dass er vielleicht etwas Abgehobenes, "Engelmäßiges" an sich haben sollte, denn vom Charakter her ist er ja auch beinahe schon "zu gut für diese Welt"!
    Ähnlich wie Melanie aus der "Vom Winde verweht"- Verfilmung, zu der Scarlett irgendwann einmal sagt: "Melli, du bist so anständig, dass einem schon übel werden kann!"
    Oder es wurde einzig und allein auf die Kuss-Szene hingearbeitet... ;) Die muss allerdings den "Machern" ja wirklich wichtig gewesen sein, sonst hätten sie damit nicht so einen Aufwand betrieben!
    Dass in diesem Fall ein und dieselbe Person die Szene spielen, soll vielleicht zeigen, wie ähnlich sich die beiden auch charakterlich sind. Beide sind ja wirklich so gestrickt, dass sie niemandem etwas Böses wollen- auch eben die Mutter nicht, obwohl sie von ihrem Schwiegervater ja nichts als Ablehnung erfährt! Während sie allerdings vom Leben bereits ernüchtert wurde, vieles einfach so hinnimmt, versucht Cedric ja immer allen gerecht zu werden, möchte, dass alle sich verstehen und glücklich sind- auch auf seine Kosten!
    Er ist ja sogar bereit, seine Position als "Lord" dem Sohn der geldgierigen Mutter zu überlassen- ihm ist das Materielle nicht wichtig, es sollen eben nur alle zufrieden sein...
    Er ist eben manchmal auch auch "so anständig, dass..."usw. (Danke, Scarlett!)
    Es sollte ihm also vielleicht auch etwas "Engelmäßiges" anhaften! Was auch die alberne Perücke erklären würde...






  • Kleine Verständnisfrage: Weswegen findest Du die Rolle des "Kleinen Lord" im Theater nachvollziehbar, aber nicht in einer Verfilmung?


    Im Theater sind die Voraussetzungen doch andere, da muss der kleine Lord doch mehr Text sprechen und ein guter Schauspieler sein, und da ist eine erfahrene Schauspielerin, die ihn spielt, doch besser. Beim Film aber kann man schon einen echten Burschen nehmen, da werden ja nur kurze Szenen gedreht, ohne großes Publikum, ohne dass der gesamte Text auswendig gelernt werden muss, etc.
    Ich finde es im Stummfilm nicht "schrecklich" oder schlimm, wenn er von einer Frau gespielt wird, aber ich sehe in diesem konkreten Fall die Notwendigkeit nicht wirklich (anders als bei Peter Pan).



    Ich habe jetzt mal drei verschiedene Lord Fauntleroys rausgesucht, zuerst der von 1921, dann der von 1936, dann von 1980:






    Die Perücke von 1921 finde ich ziemlich lächerlich, vor allem, weil sie auch aussieht wie eine Perücke, und nicht wie echte Haare. Auch das Gesicht von Mary Pickford finde ich wenig kindlich, während der Peter Pan von 1924 doch wesentlich jünger aussah. Ich weiß nicht ob die Frisur von 1980 schon um 1880 herum (als der Roman geschrieben wurde) da war, aber mich erinnert sie übelst an die 1980er Jahre, bzw. späten 1970er Jahre.



    LG,
    Hosenrolle1

  • Alles klar, dann verstehe ich die Argumente! Bin jetzt von ähnlichen Grundvoraussetzungen ausgegangen, in diesem Falle, dass die Rolle sowohl im Theater als auch im Film von einem Kind- egal welcherlei Geschlechts gespielt wird...
    Der zweite "Kleine Lord" gefällt mir am besten! Ist das denn auch ein Mädchen?
    Nummer eins sieht eindeutig zu weiblich aus, darüber müssen wir, glaube ich, nicht diskutieren, oder. Nicht nur wegen der albernen Perücke, sondern auch Gesicht, Haltung usw.
    Der dritte ist wohl der Bekannteste- sieht man jedes Jahr zu Weihnachten im Fernsehen! Ist eindeutig ein Junge, aber die Frisur wirkt wirklich etwas verunglückt, finde ich...
    Was mich interessieren würde: Wie alt war Nummer eins zur Zeit der Verfilmung? Ich glaube, ich schätze sie jünger ein, als sie ist, da du vorhin von einer "erfahrenen Schauspielerin" gesprochen hast. Oder war das im allgemeinen gemeint?

  • Nur so am Rande: Habe gestern auf dem Spielplatz einen kleinen Jungen gesehen, der meiner Meinung nach gute optische Voraussetzungen für einen "Cherubino" mitgebracht hat! Leider kann man ja fremde Eltern schlecht fragen, ob man mal eben ihr Kind fotografieren darf.. ;)
    Der war noch sehr klein, vielleicht so sechs Jahre: ein sehr weiches Gesicht, aber trotzdem gut als Junge zu erkennen, blonder Wuschelkopf, mit nur leichter Note ins Rötliche, trotzdem aber die typische, helle Haut der meisten Rothaarigen. Große, braune Kulleraugen mit dichten Wimpern und leicht rundliche, aber nicht dicke Wangen.
    Dachte so bei mir: Jep, noch ein paar Jahre drauf und er könnte vermutlich den Cherubino in einer Verfilmung von Figaros Hochzeit spielen...

  • Der zweite "Kleine Lord" gefällt mir am besten! Ist das denn auch ein Mädchen?


    Nein, das ist ein Junge, der war 11 oder 12 (je nach Monat) als der Film gedreht wurde.



    Wie alt war Nummer eins zur Zeit der Verfilmung?


    Die war bereits 29. Was ich auch schon problematisch finde; der Peter Pan war in dem Stummfilm erst 18.


    da du vorhin von einer "erfahrenen Schauspielerin" gesprochen hast. Oder war das im allgemeinen gemeint?

    Im allgemeinen, und auch nur auf das Theater bezogen :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Habe die "Salome" nicht vergessen, allerdings muss ich dazu sagen, dass ich in diesem Fall eher eine negative Einstellung mitbringe... Ich habe generell Vorbehalte gegen biblische Geschichten ( wurde als Kind damit geradezu überfüttert!). Außerdem mag ich den Klang orientalischer Musik so gar nicht und dachte mir schon, dass der Komponist bei diesem Thema natürlich damit arbeiten würde...
    Aber ich bin ja aufgeschlossen, und schließlich hast du dich auch auf den "Rosenkavalier" eingelassen ;)
    Die erste Salome habe ich mir schon angesehen, habe mit der Nummer 1 begonnen, die du ja im entsprechenden Thread als deine derzeitige Lieblingsversion angegeben hast. Ich antworte dann im Thread über die "Schleiertänze"!

  • Übrigens bin ich dir noch immer einen Kommentar schuldig über Susannas beherzten Übergriff auf Cherubino in der Verkeidungsszene... Hatte da auch schon einen Text geschrieben und geschafft, diesen durch einen kleinen, falschen Tastendruck zu eliminieren... So kann's laufen, wenn man in der Bahn schreibt!!!

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  • Habe gerade nachgesehen, der Uraufführungs-Octavian war bei der UA 29 Jahre alt.

    Der erste Cherubino war wohl auch schon 23 Jahre alt!

    (Auch witzig: Sophie Koch spielt da einen Burschen, der sich in eine Sophie verliebt - und heißt eigentlich selber so )

    Das hatte ich völlig überlesen, weil's ganz am Ende der letzten Seite kam. "Sophie" sogar in derselben Schreibweise. Ich find's auch witzig, da Sophie Koch den Octavian ja in Serie gespielt hat und dann immer wieder eine reale und eine fiktive Sophie zusammenkamen...
    Marina Comperato hatte ihr Début als Cherubino und hat ihn dann so oft gespielt, dass sie in einem Interview sagte, sie müsse jetzt dringendst ihr Repertoire erweitern, sie hätte genug davon, immer den "Jungen" zu geben...(dem Sinne nach, war auf Italienisch und per Smartphone notdürftig übersetzt...).

  • Habe gerade nachgesehen, der Uraufführungs-Octavian war bei der UA 29 Jahre alt.

    Der erste Cherubino war wohl auch schon 23 Jahre alt!

    (Auch witzig: Sophie Koch spielt da einen Burschen, der sich in eine Sophie verliebt - und heißt eigentlich selber so )

    Das hatte ich völlig überlesen, weil's ganz am Ende der letzten Seite kam. "Sophie" sogar in derselben Schreibweise. Ich find's auch witzig, da Sophie Koch den Octavian ja in Serie gespielt hat und dann immer wieder eine reale und eine fiktive Sophie zusammenkamen...
    Marina Comperato hatte ihr Début als Cherubino und hat ihn dann so oft gespielt, dass sie in einem Interview sagte, sie müsse jetzt dringendst ihr Repertoire erweitern, sie hätte genug davon, immer den "Jungen" zu geben...(dem Sinne nach, war auf Italienisch und per Smartphone notdürftig übersetzt...).


    Habe gerade nachgesehen, der Uraufführungs-Octavian war bei der UA 29 Jahre alt.

    (Auch witzig: Sophie Koch spielt da einen Burschen, der sich in eine Sophie verliebt - und heißt eigentlich selber so )

    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe mir jetzt nochmal den von dir verlinkten Octavian von Viktoria Mester angesehen, diesmal aber teilweise in Zeitlupe, um Details in der Bewegung besser ausmachen zu können. Was mir hier aufgefallen ist: die Hände!


    Beim ersten Ansehen habe ich mehr auf die Bewegungen generell geachtet, wie gegangen und gelaufen wird, aber zu Beginn, wenn die beiden die Hände verschränken oder nach der Hand des anderen greifen, da fällt mir auf, dass der Octavian seine Hände sehr weiblich bewegt. (Schau dir mal die Handhaltung des kleinen Lord auf dem obersten Foto von 1921 an, da fällt mir das auch auf).
    Ich frage mich, ob sowas absichtlich ist, oder ob auf solche Details von den Sängerinnen weniger geachtet wird, weil man mehr darauf schaut, wie man geht, wie man läuft, wie man steht.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Das schaue ich mir nachher noch einmal genauer an, außerdem Platz drei von "Salome"! Bin noch bis ca 21 Uhr beschäftigt, Dame eins und zwei müssen in die Badewanne und ins Bett!! Bis nachher dann?


    Grüße von der dritten Dame!

  • Ich hab jetzt nachgesehen, geh bitte auf 1:50 und schau bis ca. 2:15.


    Zuerst siehst du, wie sie das Bein wenig "männlich" herumschwingt, und dann achte bitte nur auf Octavians von uns aus gesehen linke Hand!





    LG,
    Hosenrolle1

  • Habe mir das ganze Video eben noch einmal angesehen, und mir fiel im Grunde nur eine Stelle auf... Bin gespannt, ob es dieselbe ist, die du angegeben hast! Das ist die Szene, in der sie sich hinter ihn setzt und er nach ihrem Arm greift...

  • Nein, die Stelle, die ich meine ist bei 3:50! Aber ich verstehe, was du bei 1:50 meinst. Allerdings bin ich da nicht sicher ( da ja hier offenbar wirklich jede Handbewegung choreographiert wurde) , ob Viktoria Mester hier nicht einfach nur die Hand der Marschallin sucht, da sie diese ja gleich umschlingen soll... Aber die Bewegung sieht wirklich sehr mädchenhaft aus!

  • Bin übrigens froh, dass wir uns hier auch wieder treffen, ich dachte schon, das Thema sei für dich erschöpft... Dabei habe ich auch noch das eine oder andere im Kopf! Mir ist zum Beispiel zu diesem scheinbar zufälligen Wortspiel mit dem Band der Gräfin noch etwas eingefallen...

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  • Die Stelle bei 3:50 habe ich jetzt angesehen, da wirkt mir die Handbewegung weder sehr männlich noch sehr weiblich; aber bei der von mir benannten Stelle finde ich es schon SEHR weiblich, die Bewegung der Hand, aber auch die Handhaltung wirkt überhaupt nicht "männlich".


    Da ist halt die Frage, wie weit da choreografiert wurde, ob das Absicht ist, oder ob es Details sind, auf die die Sängerin - weil sie ja zusätzlich auch noch singen muss - zeitweilig vergisst, und ihre Hand einfach so bewegt, wie sie sie selbst bewegen würde.


    Jetzt weiß ich nicht, wie alt die Inszenierung ist. Ich habe mehrere Versionen der Wiener "Salome"-Inszenierung gesehen, die seit den frühen 70er Jahren dort läuft. Der Regisseur ist schon tot, und natürlich sind das Regieassistenten (oder so), die den neuen Sängern alles zeigen. Im direkten Vergleich fällt mir auf, wie unterschiedlich die Dinge da ablaufen können!


    Einmal geht eine Figur nach rechts, dann wieder nach links. Einmal kauert sie hinter einem Fels oder so, ein anderes Mal wieder so anders. Aber auch vergleichsweise kleinere Dinge wie etwa Gesten unterscheiden sich überraschenderweise doch stark voneinander.


    Nur ein Beispiel dafür: der Schleiertanz.
    In einer Version von 2015 steht Salome neben ihrer Mutter, geht dann weiter zu Herodes, schwenkt da eine Zeit lang ein Tuch herum, bevor sie es ihm um den Hals wickelt, worauf Herodias es ihm wütend vom Kopf zieht.


    In einer anderen Version von 2017 geht Salome direkt zu Herodes und wirft ihm das Tuch sofort über den Kopf - und er selbst zieht es sich herunter, während Herodias sich mit einem Fächer zufächelt.


    Und zwischen den beiden Aufführungen liegen aber nicht 30 oder 40, sondern gerade mal 2 Jahre. Das bitte nicht als Beschwerde von mir ansehen, dass Aufführungen nicht exakt gleich ablaufen, und bis ins Detail reproduziert werden, im Gegenteil, ich finde es gut, wenn sich das auch ein bisschen unterscheidet, weil es sich dann noch mehr lohnt, öfter hineinzugehen (falls die Musik nicht Grund genug dafür ist).
    Aber das zeigt mir auch, dass offenbar nicht alles ganz genau choreografiert ist, und SängerInnen offenbar doch gewisse Freiheiten haben, was die Gestik und Mimik angeht.


    Ich könnte mir vorstellen, dass man diesem Octavian gesagt hat, er soll sich vor der Marschallin hinsetzen und sie greift nach seiner Hand, und er nach ihrer. Vielleicht noch eine kleine Anweisung dazu, an welcher Stelle er das genau tun soll, aber ich glaube fast nicht, dass der Regisseur sagt "Halte deine Hand genau so, greif von dieser Richtung dorthin" etc. etc.
    Und vielleicht hat die Sängerin hier gefühlsmäßig gedacht, dass das jetzt eine romantische, zärtliche Szene ist, und so auf den Gesang und die Körperhaltung geachtet, dass die Hände sich "verselbsständigt" haben und nicht in ihrer Rolle waren, wenn man so möchte.


    So wie wenn ein Mann eine Rockrolle (das männliche Pendant zur Hosenrolle) spielt, und bei manchen Bewegungen auch bemerkbar ist, dass sie nicht besonders weiblich wirken.


    Bin übrigens froh, dass wir uns hier auch wieder treffen, ich dachte schon, das Thema sei für dich erschöpft...


    Keineswegs, nur manchmal schreibe ich in einem Thread etwas weniger, und konzentriere mich auf einen anderen, wie eben gerade den Salome-Thread.





    LG,
    Hosenrolle1

  • Habe zuvor nicht so sehr auf die Handbewegungen geachtet, aber da ich jetzt darauf "angesetzt" war, fand ich es bei 3:50 auffällig, dass Octavian da mit den Fingerspitzen ganz leicht über den Arm der Marschallin streicht- was auf mich eher "frauentypisch" wirkte.
    Wenn es für die Darsteller eher "Richtlinien" statt genauer Anweisungen gibt ( z.B. "Ihr haltet an dieser Stelle mal liebevoll Händchen.") kann ich mir schon vorstellen, dass eine Frau nicht immer daran denkt, dass sie gerade einen Mann spielt, oder umgekehrt und das dann eben "nach Gefühl" darstellt. Aber gerade in diesem Fall scheint mir doch nahezu jede Bewegung geplant zu sein. Und ich denke schon, dass Octavian hier zwischendurch eindeutig weibliche Züge zeigen soll ( Denk an die Szene, in der er sich auf ihren Schoß setzt- was uns beide stutzig machte...).
    Vielleicht wird hier auch schon ein wenig Vorarbeit geleistet, da Octavian sich ja demnächst ins Kleid der Zofe werfen wird und so überzeugend weiblich darin wirkt, das er den Herrn Baron überhaupt nicht mehr los wird...
    Habe übrigens schon Versionen gesehen, in denen Octavian den Baron tatsächlich noch ermuntert, indem er ihm zuzwinkert, sich beim Abräumen des Frühstücks Geschirrs an ihm vorbeidrückt, ihm beim Betten machen provokativ die Kehrseite zuwendet usw- und die Marschallin das entweder amüsiert oder genervt beobachtet. Wo Octavian also eindeutig versucht, sich "als Frau" auszuprobieren...

  • Vielleicht ist diese Verkleidungsszene mit Octavian auch mit ein Grund für die Wahl einer Hosenrolle - würde Octavian von einem Mann gespielt werden, würde man ständig denken "Das sieht doch jeder dass das keine Frau ist, wieso fällt der Ochs drauf rein?".


    Umgekehrt könnte man aber auch denken "Das sieht doch jeder dass Octavian kein junger Mann ist" - aber das dürfte offenbar für Strauss weniger "schlimm" gewesen sein als ein unrealistischer, als Frau verkleideter Octavian.


    Dabei habe ich auch noch das eine oder andere im Kopf! Mir ist zum Beispiel zu diesem scheinbar zufälligen Wortspiel mit dem Band der Gräfin noch etwas eingefallen...


    Da bin ich jetzt aber gespannt :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Eigentlich nur eine Kleinigkeit: Ich dachte mir, dass die Gräfin im französischen Original vielleicht öfter einmal "Mon Chérubin" sagt- gar nicht einmal, weil sie in den Jungen verliebt ist, sondern einfach, weil er ihr generell nahesteht- so wie Cherubino Susanna auch "Susanna mia" nennt, weil er sie einfach mag.
    Wenn diese Formulierung also öfter fällt, hat das spätere "Mon cher ruban" für das Publikum sicher durchaus einen "Wiedererkennungswert". Kann Zufall sein, glaube ich aber nicht wirklich...
    Schade, das ist wieder so eine Sache, die eine Übersetzung nicht wiedergeben kann!
    Auch, dass die Gräfin ihn dann genau genommen mit "Mein Engel" anredet. Ist für Chérubin selbst natürlich nichts Besonderes, ist ja sein Name! Könnte aber fürs Publikum auch schon eine Andeutung sein, dass mehr dahinter steckt... Zuviel Interpretation? Mit so etwas habe ich früher meine Deutschlehrerin an den Rand des Wahnsinns gebracht ;)

  • Ok, jetzt bin ich vollständig verwirrt.


    Habe gerade herumgesucht und festgestellt, dass es offenbar zwei Versionen von Beaumarchais´ Figaro gibt. In einer heißt es: (Übersetzt mit Online-Übersetzer und korrigiert von mir)


    Zitat

    Ah ! le ruban ; mon joli ruban , je t´oubliois. (Elle le roule.) Tu ne me quitteras plus ; tu me rappelleras sans cesse la scéne où ce malheureux enfant …


    Ah! das Band; mein schönes Band, das vergaß ich. (Sie wickelt es auf.) Du wirst mich nicht mehr verlassen; du wirst mich immer/stets an die Szene erinnern, wo dieses unglückselige Kind...




    in der anderen:


    Zitat

    Ah ! mon cher ruban , va , tu ne me quitteras plus. Tu me rappelleras la scéne où ce malheureux enfant …


    Ah! mein liebes Band, komm, du wirst mich nie wieder verlassen. Du wirst mich an die Szene erinnern, wo dieses unglückselige Kind...



    Wenn man nach beiden Zitaten sucht, wird man viele Suchergebnisse bekommen.
    Hat Beaumarchais seinen Text irgendwann überarbeitet, oder gekürzt? Und falls ja, welcher Text war zuerst da? Und wieso wurde überarbeitet?
    (Was ich mich generell auch frage: ob es Teil der Sozialkritik dieses Stückes ist, dass die Gräfin auf einen 13 jährigen steht, auch wenn sie, im Gegensatz zum Grafen, nur schwärmt und nicht "handgreiflich" wird?)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich bin immer noch etwas am Zweifeln, wie ernst die Sache mit dem Altersunterschied hier zu nehmen ist... Bei Beaumarchais wird an einer Stelle erwähnt, dass Graf und Gräfin erst drei Jahre verheiratet sind. Sie war beim "Barbier von Sevilla" auch noch nicht sehr alt, dann mag sie jetzt um die zwanzig sein.
    Chérubin ist dreizehn, aber sichtlich auch nicht mit heutigen Dreizehnjährigen zu vergleichen! Er wird in vieler Hinsicht " erwachsener" sein...
    Und ich bin mir auch nicht sicher, ob das damalige Publikum es als so erschreckend wie wir empfunden hat, dass Barbarina erst zwölf ist oder ob das Ungeheuerliche an der ganzen Sache einfach darin liegt, dass der Herr Graf hier völlig hemmungslos sein Schloss zu seinem Privatbordell macht.
    In einer Zeit, in der Minderjährige ganz selbst verständlich zwangsverheiratet und/ oder an die Front geschickt werden, denkt niemand darüber wirklich nach, oder?

  • Übrigens: Octavian ist siebzehn und fordert einen mehr als doppelt so alten Mann ganz selbstverständlich zum Duell heraus...
    Sophie ist fünfzehn, "frisch aus dem Kloster" und soll auch ganz selbstverständlich zwangsverheiratet werden- worauf sie sich sogar freut! Bis sie den Herrn Baron kennenlernt und vor Entsetzen nicht aus noch ein weiß! Keinen (außer Octavian) kümmert das! Der Vater ist stolz wie Oskar, dass der Baron sich so für sein Töchterchen interessiert. Und ihre Gouvernante findet den Baron " leutselig" und schimpft sie noch aus, wie dumm sie sei, dass sie ihr "Glück" nicht zu schätzen weiß!
    Und Octavian hätte das ganze vielleicht auch nicht gekümmert- wäre er nicht einen Akt zuvor in ähnlicher Klemme gewesen! Ohne Degen und völlig ausgeliefert. Und in nahezu jeder Inszenierung kommt der Punkt, an dem Octavian das "Verkleidungsspiel" im ersten Akt nicht mehr lustig findet! Als er nämlich merkt, dass er sich durch die Position, in die er sich da begeben hat, jeder Möglichkeit zur Gegenwehr beraubt hat!
    Die Marschallin muss einschreiten ( manchmal versteckt er sich sogar hinter ihr!) .
    Hätte Octavian diese unangenehme Erfahrung nicht gemacht, hätte ihn das ganze vielleicht genauso wenig gekümmert! Willkür gegen Frauen sieht er bestimmt nicht zum ersten Mal...

  • Und doch ist da diese kritische Sicht auf die Adeligen generell; Beaumarchais wusste (im Gegensatz zu Mozart, der vorher starb), dass die Gräfin und Cherubino im dritten Teil ein Kind haben werden, und hat im zweiten Teil schon die Weichen gestellt. Er wusste auch, dass die Gräfin ihn nach ihrer Affäre verbannen wird - was die romantischen Szenen wie die mit dem Band für mich in einem anderen Licht erscheinen lässt.


    Ich glaube immer noch nicht so recht, dass diese Romantik als solche beabsichtigt war, sondern nur dazu dient, zu zeigen, dass es dort keine echte Romantik gibt, und wenn, sie keine Chance hat. Der Graf und die Gräfin sind verheiratet - aber er treibt es mit allen anderen. Die Gräfin hat da romantische Gefühle für Cherubino, wird ihn aber nach nur einer Nacht verbannen, weil ihr der grausige Mann wichtiger ist.


    (Habe den Text jetzt durchsucht, niemand, auch nicht die Gräfin, sagt "Mon Chérubin". Vielleicht ist das Absicht, um das "Mon cher ruban" noch stärker wirken zu lassen, weil es ausgerechnet von der Gräfin kommt)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Kleiner Nachtrag: Im Gegensatz zu Mozart ist hier die Schwärmerei der Gräfin mit Sicherheit in Analogie zur Beziehung des Grafen zu Barbarina zu sehen. Das erkennt man ja spätestens in Teil drei, in dem beider uneheliche Kinder auftreten, sich ineinander verlieben und der Kreis sich sozusagen schließt. Zum Glück wenigstens keine Blutsverwandtschaft...

  • Stimmt, Beaumarchais legt hier für beide die Weichen: der Graf mit seinen Affären, die Gräfin mit ihrer, die bald kommen wird.


    Auch deswegen glaube ich nicht, dass die Romantik hier wirklich als Romantik gedacht ist, sondern ebenfalls nur als Kritik, nach dem Motto "Schaut, was die aufführen. Wenn´s romantisch wird, wird das Ganze sofort wieder brutal unterbrochen, und für echte Liebe ist da kein Platz, lieber verbannt man einen netten Menschen und bleibt beim grauslichen".




    LG,
    Hosenrolle1

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