Sinn und Unsinn von Hosenrollen

  • Gerade an dieser Stelle, vor dem Sprung aus dem Fenster, bekommt Susanna aber häufiger Küsschen von Cherubino!


    Ich habe jetzt natürlich nur die Regieanweisung der Partitur hergenommen, wo es heißt (Cherubino abbraccia Susanna che rimane confusa), und eben Cherubinos "Nimm diese Umarmung".


    In anderen Inszenierungen nutzt Cherubino diese Umarmungen ja schon, um Susanna zu begrapschen, was ich aber nicht gut finde, weil ich meine, dass er zwar frech ist, aber doch einen gewissen Respekt hat, nicht nur vor der Gräfin, sondern auch vor den anderen Frauen, und nicht - ähnlich wie der Graf - selbstsüchtig einfach hinlangt, damit nur er seinen Spaß hat.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Zitat von »Dritte Dame«




    Ob er das tatsächlich mit siebzehn noch macht?

    Ich habe es schon so verstanden, weil er in seinem letzten Brief erwähnt, dass er ihr ein Bild schickt, dass er von ihr gemacht hat.

    Da haben wir uns jetzt wohl missverstanden! Meine Frage war darauf bezogen gewesen, ob er mit siebzehn tatsächlich immer noch jedem Rock hinterher läuft...

  • In anderen Inszenierungen nutzt Cherubino diese Umarmungen ja schon, um Susanna zu begrapschen, was ich aber nicht gut finde, weil ich meine, dass er zwar frech ist, aber doch einen gewissen Respekt hat, nicht nur vor der Gräfin, sondern auch vor den anderen Frauen, und nicht - ähnlich wie der Graf - selbstsüchtig einfach hinlangt, damit nur er seinen Spaß hat.

    Ich habe jetzt wirklich nur von Küsschen auf die Wange, nicht vom Begrabschen gesprochen! Das sei ihm gegönnt, immerhin springt er ja für die Damen auch aus dem Fenster!

  • Jep, wobei die Inszenierung generell so eine sein dürfte, wo es mehr zur Sache geht, was ich aber eher fantasielos finde. Ich finde, dass Blicke und Gesten oft viel mehr sagen als ein offenes Gegrapsche. Eben die Szene, wo Cherubino auf dem Schoß liegt, und sie sein Gesicht fixiert, als wolle sie jede Gefühlsregung darin sehen. Das sagt für mich viel mehr als das Geknutsche.

    Wenn zuviel geknutscht und gegrabscht wird, wundert man sich über die Gartenszene dann umso mehr, aber umgekehrt! Ging mir beispielsweise bei der Salzburger Harnoncourt- Aufführung so: Nachdem da die "Verkleidungsszene" zum halben Porno ausartete, dachte ich im vierten Akt: "Naja, Mädels! Selber schuld, nicht wahr?"
    Ich meine, die ganze Zeit über darf Cherubino ungestraft knutschen und fummeln und auf einmal regt sich die Gräfin auf? Irgendwie unglaubwürdig...

  • In der ersten genannten Szene, in der der Graf so gehässig sagt, er dürfe jetzt noch ein letztes Mal Susanna umarmen, schreitet meist Figaro vorher ein!


    Auch interessant, denn das geht aus den Anweisungen gar nicht hervor. Da steht nur, dass er Susanna umarmt, dann sagt Figaro "He, gebt mir auch noch die Hand", um ihm dann zuzuflüstern, dass er noch mit ihm reden wolle, eben wegen des Plans. Sicher wird Figaro keine Freude haben, wenn jemand anderer Susanna umarmt, aber bei einem 13 jährigen, der eh kein Konkurrent für ihn ist (im Gegensatz zum Grafen, der in dem Jungen sehr wohl einen sieht!)? Ich glaube, wesentlich eifersüchtiger ist er, wenn ein erwachsener Mann wie eben der Graf sie umarmen würde, kein halbes Kind, das er vermutlich auch von klein auf kennt.



    Die meisten Cherubinos haben vor ihm Respekt- bis auf Cherubino Marina Comperato, die ihn überhaupt nicht für voll nimmt.


    Weil du Comperato erwähnst, ich weiß jetzt niciht ob ich es hier schon erwähnt habe, aber falls nicht: hast du gesehen, was passiert, als "er" und die Gräfin alleine sind? Was die Gräfin da macht, während er auf dem Boden kniet? DAS fand ich ebenfalls aussagekräftiger als das häufige Gegrapsche, und Cherubinos Reaktion darauf wirkt mir auch irgendwie passender für seinen "künstlerischen" Charakter.



    Meine Frage war darauf bezogen gewesen, ob er mit siebzehn tatsächlich immer noch jedem Rock hinterher läuft...


    Achso! Hmm ... ich glaube eher nicht. Mit 13 war er verwirrt und "liebte" alle Frauen, auch Marcellina "zählte" für ihn, wie auch Kaiser in seinem Buch bemerkt. Für die Gräfin wird er wohl besonders starke Gefühle haben (warum eigentlich nicht für Barbarina, die sie auch wesentlich deutlicher erwidert als die zurückhaltende, nach außen hin abweisende Gräfin? Und wenn er die Gräfin von klein auf kannte, ist sie dann gefühlsmäßig nicht sowas wie eine Mutter für ihn?). Mit zunehmendem Alter wird er vermutlich auch reifer geworden sein und nur noch Interesse an der Gräfin gehabt haben, statt jede Frau anzuhimmeln.
    Er sagt schon, kurz bevor er aus dem Fenster springt, dass er das für die Gräfin macht, er versucht gar nicht erst, Susanna damit zu beeindrucken oder IHR in diesem Moment den Hof zu machen, nach dem Motto "Für dich springe ich jetzt aus dem Fenster".



    Ich habe jetzt wirklich nur von Küsschen auf die Wange, nicht vom Begrabschen gesprochen! Das sei ihm gegönnt, immerhin springt er ja für die Damen auch aus dem Fenster!


    Alles klar :)


    Mit dem Grapschen bezog ich mich wiederum auf die erste Umarmung im 1. Akt (das habe ich nicht deutlich genug klargemacht, sorry!). Ich bin immer noch zwiegespalten wegen den Küssen, weil ich irgendwie glaube, dass Cherubino so etwas nicht tut, nicht mal flüchtig und im Affekt. Er sagt ja zu Susanna, sie solle sein Lied der Gräfin vorlesen; als er dann selbst vor ihr steht und als Textdichter genannt wird, errötet er - da ist es vorbei mit der Selbstsicherheit, wenn es "hart auf hart" kommt. Der Kussversuch im Garten ist vielleicht wirklich das erste Mal, dass er so etwas wagt, und da ist er nicht stürmisch, sondern langsam, gibt der falschen Susanna also Gelegenheit, das abzulehnen. Also kein schneller Lausbuben-Kuss mit anschließendem Davonlaufen.




    LG,
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  • Wenn zuviel geknutscht und gegrabscht wird, wundert man sich über die Gartenszene dann umso mehr, aber umgekehrt! Ging mir beispielsweise bei der Salzburger Harnoncourt- Aufführung so: Nachdem da die "Verkleidungsszene" zum halben Porno ausartete, dachte ich im vierten Akt: "Naja, Mädels! Selber schuld, nicht wahr?"
    Ich meine, die ganze Zeit über darf Cherubino ungestraft knutschen und fummeln und auf einmal regt sich die Gräfin auf? Irgendwie unglaubwürdig...


    Das stimmt, wobei der Regisseur hier als "Trick" gegen diese Logiklücke diesen Zauberengel eingesetzt hat, so dass man einwenden könnte, dass die Frauen da nicht sie selbst waren.


    Ich habe mir den Clip gerade nochmal genau angesehen, ich finde die Szene - Zauberei hin oder her - auch nicht gut, möchte aber einwenden, dass ich "Porno" hier ein bisschen zu hart finde. Es gibt Inszenierungen, wo Cherubino von sich aus direkt auf die Brüste langt, oder Frauen einfach an sich drückt, indem er ihnen auf den Hintern greift, usw.
    Da fand ich diese Szene hier dafür, dass es wirklich nur Fummelei ist, noch geschmackvoll umgesetzt. Susanna geht es hier langsam an, und (halb)nackt ist auch niemand, eigentlich ist es kein Fummeln, mehr ein Streicheln, und auch nur oberhalb der Gürtellinie; am Ende, wohl als auflockernder Gag, legt Cherubino sich selbst so hin, nach dem Motto "Ok, jetzt komm ich dran, ich will auch mal".




    LG,
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  • "Sinn und Unsinn von Hosenrollen" habe ich diesen Thread genannt, und jetzt habe ich mir drei Videos von französischsprachichen Aufführungen von Beaumarchais´ Theaterstück rausgesucht, die sich alle nicht an die Anweisung, dass Chérubin nur von einer jungen Frau gespielt werden kann, halten, und stattdessen Männer einsetzen. Falls du Interesse hast, habe ich dir die Videos hier verlinkt, mit Zeitangaben, wo Chérubin auftaucht. Du "musst" dir natürlich nicht die ganzen Szenen ansehen, das habe ich auch nicht, sondern nur mal für 1 oder 2 Minuten reingeschaut.



    Geh hier bitte auf 16:50 - das ist doch arg, oder? Allein die tiefe Stimme dieses vermeintlich 13 jährigen ...


    Ab 44:30 wird er verkleidet, und auch das wirkt auf mich hier eher gruselig teilweise ...



    Das nächste Video ist da auch nicht besser:



    Wenn du auf 12:00 gehst, siehst du ebenfalls Chérubins ersten Auftritt. Verkleidet wird er bei 35:00. Fürchterlich, besonders mit seinem deutlich sichtbaren Bart!



    Und hier noch eine dritte Version:



    Bei 2:45 tritt der Page auf. In diesem Fall ist er riesig und sieht eher aus wie 40. Absolut lächerlich - wer sowas gut findet ... naja.



    Bei einem Video sagt Susanna ihr "Schauen Sie sich den Arm an, er ist ganz weiß, wie bei einem Mädchen" so, als würde sie sich lustig über ihn machen, und das Publikum schmunzelt auch darüber, weil das ja ein echter Mann auf der Bühne ist. Würde Chérubin aber von einer echten Frau gespielt werden, würde die weibliche Verkleidung nicht albern bis gruselig wirken, und dieser Satz wäre auch nicht lustig, sondern klänge nach echter Bewunderung, nicht nach "Hihi, der sieht ja aus wie ein Mädchen".


    Wenn ich diese Männer auf der Bühne sehe, dann beantwortet sich die Frage, worin der Sinn einer Hosenrolle liegt, für mich praktisch von selbst.



    Nebenbei, wir sprachen ja unlängst über die Stelle, wo die Gräfin meint "Beim ersten Kratzer ... eines meiner Mädchen", weißt du noch? Im Original: "À la première égratignure… de mes femmes, j’en ferai l’essai."


    Diese Stelle habe ich mir hier auch angehört, und es ist doch arg, wie sehr unterschiedliche Betonungen und Pausen den Sinn dieses Satzes verändern können.
    Beim ersten Video pausiert die Gräfin dort, wo Beaumarchais die Auslassungspunkte setzt, allerdings klingt ihr Tonfall so, als würde sie hier keinen "Fehler" bemerken und sich schnell korrigieren.


    Beim zweiten Video geht der Sinn völlig verloren, denn die Darstellerin spricht den Satz schnell in einem durch, berücksichtigt die kurze Pause gar nicht, und so wirkt es viel selbstsicherer, wie eine geplante Lüge, nicht wie ein sich besinnen und schnell etwas vorschwindeln.





    LG,
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  • SIcher wird Figaro keine Freude haben, wenn jemand anderer Susanna umarmt, aber bei einem 13 jährigen, der eh kein Konkurrent für ihn ist (im Gegensatz zum Grafen, der in dem Jungen sehr wohl einen sieht!)? Ich glaube, wesentlich eifersüchtiger ist er, wenn ein erwachsener Mann wie eben der Graf sie umarmen würde, kein halbes Kind, das er vermutlich auch von klein auf kennt.


    Das ist dir Frage, inwieweit die Herren Cherubino als Konkurrenz bei den Damen sehen! Ich würde dem Grafen hier tatsächlich weniger unterstellen, dass er einen Konkurrenten denn einen lästigen Mitwisser loswerden will!
    Was Figaro angeht, so würde ich die Gesamtsituation so beurteilen, dass er schon ein Stück weit eifersüchtig auf Cherubino sein könnte. Nicht etwa, weil ich glaube, dass Susanna und er etwas miteinander haben könnten, sondern wegen der Aufmerksamkeit, die der Junge bekommt. Er scheint ja ganz selbstverständlich bei Susanna ein und auszugehen und sie findet ihn, wie offenbar alle Mädels in dem Stück irgendwie süß , und es wird dauernd, nicht nur von Susanna, betont, wie hübsch er sei.
    Und ich denke schon, dass es eine kleine Gemeinheit gegen beide, Figaro und Cherubino sein soll, wenn der Graf diesen hässlichen Spruch loslässt!
    Hat ja auch Erfolg: Figaro ist eh schon angefressen, weil Teil eins seines Planes nicht geklappt hat, alsomuss der arme Cherubino als Prügelknabe herhalten und bekommt Figaros Wut in der "Soldatenarie" nun doppelt und dreifach ab!
    Aber... Wirklich kein Konkurrenzdenken? Die Arie trieft ja nicht nur vor Gemeinheit dahingehend, dass er Cherubino mit der Aussicht aufs Soldatenleben Angst macht. Er unterstellt ihm nicht nur, dass er die Mädels in Serie vernascht, sondern auch, dass er sich auf sein hübsches Aussehen, seine Kleidung usw. irgendetwas einbilden würde. Was nun völlig ungerechtfertigt ist, denn weder zuvor noch danach zeigt Cherubino in irgendeiner Form dahingehend Arroganz!
    Eigentlich merkwürdig, dass es ihn so gar nicht zu tangieren scheint, wie häufig man ihm sagt, wie süß und hübsch er ist...

  • Das ist dir Frage, inwieweit die Herren Cherubino als Konkurrenz bei den Damen sehen! Ich würde dem Grafen hier tatsächlich weniger unterstellen, dass er einen Konkurrenten denn einen lästigen Mitwisser loswerden will!


    Das sehe ich auch so, nur im Fall von Barbarina bin ich mir da nicht 100%ig sicher. Er will ja zu ihr flirten gehen, und findet dort den Pagen - da wird er sicher gedacht haben, dass dieser ihm zuvorgekommen ist und Erfolg hat bei ihr, und wird vielleicht auch aus Eifersucht böse geworden sein.




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  • Weil du Comperato erwähnst, ich weiß jetzt niciht ob ich es hier schon erwähnt habe, aber falls nicht: hast du gesehen, was passiert, als "er" und die Gräfin alleine sind? Was die Gräfin da macht, während er auf dem Boden kniet? DAS fand ich ebenfalls aussagekräftiger als das häufige Gegrapsche, und Cherubinos Reaktion darauf wirkt mir auch irgendwie passender für seinen "künstlerischen" Charakter.

    Marina Comperato ist generell ein sehr "spezieller" Cherubino! Bei keiner anderen Darstellung habe ich die Diskrepanz zwischen seinem Erhalten der Gräfin und anderen Frauen gegenüber als so extrem erlebt. Er ist nicht nur frech, sondern regelrecht unverschämt, und zeigt den Mädels der "Unterschicht" gegenüber deutliche Arroganz!
    Der Gräfin gegenüber scheint er auf einmal ein ganz anderer Junge zu sein !
    Hast du die Blickkontakte bemerkt, die er und die Gräfin immer wieder haben, während Susanna ihn verkleidet? Er kaspert da mit Susanna herum, vergewissert sich aber immer wieder ihrer Aufmerksamkeit, und sie lächelt äußerst wohlwollend, und amüsiert sich offenbar über ihn und Susanna.
    Sie ist in diesem Falle ausschließlich Zuschauerin und kommt erst wieder ins Spiel, als sie das Band an Cherubinos Arm entdeckt.
    Da sind die Gräfin und Cherubino auf einmal nur noch miteinander beschäftigt und Susanna merkt offenbar, dass sie stört und verlässt den Raum schnell.
    Du meinst jetzt die Stelle, an der sie ihm das Band über die Augen legt, nicht? Als er völlig hin und weg ist und vergisst, dass er eben noch sterben wollte... Das war wirklich eine schöne Idee des Regisseurs. Gerade an dieser Stelle bin ich auch immer gespannt, was passiert- dieser kurze Moment, nachdem Susanna abgegangen ist und bevor der Graf an die Tür klopft...

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  • Das sehe ich auch so, nur im Fall von Barbarina bin ich mir da nicht 100%ig sicher. Er will ja zu ihr flirten gehen, und findet dort den Pagen - da wird er sicher gedacht haben, dass dieser ihm zuvorgekommen ist und Erfolg hat bei ihr, und wird vielleicht auch aus Eifersucht böse geworden sein.


    Ob "Eifersucht" da tatsächlich das richtige Wort ist? Ich denke, Cherubino wird eher gestört haben, wenn der Graf sich aufs Schäferstündchen gefreut hat... Und im übrigen ist der Junge ja auch nicht dämlich und wird sich schon gedacht haben, was der Graf zu später Stunde dort will! Wundert mich übrigens, weswegen keiner der anderen Charaktere dazu etwas sagt! Und dass der Graf so unverblümt erzählt, Cherubino "erwischt" zu haben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er sich doch damit selber in die Pfanne haut! Denn was zum Teufel hat ER denn zu später Stunde bei Barbarina gewollt?! Macht er nächtliche Kontrollgänge im Schloss, oder was?

  • Ich habe mir den Clip gerade nochmal genau angesehen, ich finde die Szene - Zauberei hin oder her - auch nicht gut, möchte aber einwenden, dass ich "Porno" hier ein bisschen zu hart finde.


    Ich habe das jetzt absichtlich überspitzt formuliert und wollte damit auch nicht sagen, dass ich die Szene "pornographisch" finde- im übrigen sagte ich auch nur "halber" Porno...
    Ich fand das ganze ehrlich gesagt, nicht wirklich geschmackvoll, was sicher ein Stück weit daran liegen mag, dass Cherubino in meinen Augen noch irgendwie "Welpenschutz" hat. Wenn er irgendwo hinlangt und dafür einen Klaps kassiert, ist das schon etwas anderes, als wenn man ihn so überfällt. Und wie Susanna ihm gleich zu Beginn die Hose herunterzieht, fand ich schon heftig...

  • Du meinst jetzt die Stelle, an der sie ihm das Band über die Augen legt, nicht? Als er völlig hin und weg ist und vergisst, dass er eben noch sterben wollte... Das war wirklich eine schöne Idee des Regisseurs. Gerade an dieser Stelle bin ich auch immer gespannt, was passiert- dieser kurze Moment, nachdem Susanna abgegangen ist und bevor der Graf an die Tür klopft...


    Genau, das mit dem Augen-verbinden meinte ich :)


    Ich fand diese Idee sehr gut, aus unterschiedlichen Gründen.


    Auf diese Weise konnte sie ihm auch zeigen, dass sie ihn mag, umgekehrt wird sie aber vielleicht auch Freude an diesem Spiel und Cherubinos Reaktion haben, etwas, was sie vom Grafen nicht mehr erwarten kann. Cherubino selbst reagiert ja darauf auch nicht so, dass er ihr das Band wieder wegreißt, sondern ist da ganz verzaubert und lässt die Gräfin da machen. Vielleicht war es von Seiten der Gräfin auch ein erster zaghafter Versuch, sich ihm irgendwie anzunähern, ohne direkte Berühungen, sondern ein spielerisches Ausprobieren.
    Nicht zu vergessen natürlich die nonverbalen Mitteilungen, die in dieser Geste liegen: Cherubino wollte dieses Band haben, die Gräfin sagt, dass sie selbst haben möchte - dadurch, dass sie eben jenes Band dann verwendet, um ihm die Augen zu verbinden, wird er merken, dass sie Verständnis für seinen Wunsch nach dem Band hat, ihm eine Freude machen will, sie ihn ernst nimmt.
    Auch die Art und Weise WIE sie das tut zeigt ihm ja schon, wie es gemeint ist. Sie geht nicht hin und bindet ihm da einfach das Band um, sondern tut das langsam und vorsichtig. Sie hätte ihn ja auch necken können, indem sie es vor sein Gesicht hält und es dann rasch zurückzieht, wenn er danach greift - es gibt da sehr viele Möglichkeiten, das zu inszenieren, und jede würde etwas anderes über die Figuren aussagen.
    Auf diese Weise wirkt es aber auf mich so, als würde sie damit sagen "Ich weiß dass dir das Band wichtig ist, weil es mir gehört, und weil ich es sonst trage - und ich finde das sehr schön und lieb von dir, und deswegen bin ich damit jetzt lieb zu dir". Dazu kommt, dass es die Gräfin selbst ist, die das macht, nicht etwa Susanna oder Barbarina oder sonst jemand - nein, die Gräfin selbst tut so etwas mit ihm und ihrem Band!
    (Mir hat auch ihre Reaktion auf seine Reaktion nicht so gewirkt, als wäre das neckisch gemeint, sondern so, als würde sie sich darüber freuen, wie er reagiert.)


    Solche Ideen finde ich eigentlich noch besser und fantasievoller als direktes Geküsse und Gegrapsche; letzteres kann auch gut gemacht sein, aber dennoch denke ich, dass gerade in kleinen Gesten oft viel mehr steckt.
    Ich finde diesen Regieeinfall auch deswegen gut, weil er für mich ebenfalls mehr oder weniger werktreu ist. In der Partitur heißt es, dass sie ihm die Tränen trocknet. Nun tut sie das in dieser Inszenierung nicht, aber sie tut etwas, was dem nahe kommt, indem sie das Band verwendet und um seine Augen legt - das ist kein Tränen trocknen im eigentlichen Sinn, kommt dem aber nahe, weil sie es um seine Augen legt, und die beabsichtigte Wirkung - nämlich ihn zu trösten und das Weinen zu stoppen - wird hier ebenfalls erreicht.
    Zudem kann man auch darauf hinweisen, dass das Band bei Beaumarchais eine noch größere Rolle spielt, warum also soll es nicht auch hier für eine romantische Idee zum Einsatz kommen? (Auch wenn man weiß, was im dritten Teil passieren wird, und wie dumm die Gräfin eigentlich handelt!)



    Und gerade weil dieser Cherubino hier auch so romantisch mit sich spielen lässt, fand ich es schade, dass er in der restlichen Inszenierung, wie du schon richtig sagst, so arrogant wirkt.




    LG,
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  • Ob "Eifersucht" da tatsächlich das richtige Wort ist? Ich denke, Cherubino wird eher gestört haben, wenn der Graf sich aufs Schäferstündchen gefreut hat... Und im übrigen ist der Junge ja auch nicht dämlich und wird sich schon gedacht haben, was der Graf zu später Stunde dort will! Wundert mich übrigens, weswegen keiner der anderen Charaktere dazu etwas sagt! Und dass der Graf so unverblümt erzählt, Cherubino "erwischt" zu haben, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass er sich doch damit selber in die Pfanne haut! Denn was zum Teufel hat ER denn zu später Stunde bei Barbarina gewollt?! Macht er nächtliche Kontrollgänge im Schloss, oder was?


    Das stimmt, es scheint den anderen Figuren - Figaro und Susanna mit eingeschlossen - ziemlich egal zu sein, was der Graf bei anderen macht, für sie zählt nur der eigene Vorteil. Ist ja bei der "Verkleidungsszene" nicht anders, auch da wird der Junge von Susanna nur für ihre eigenen Zwecke benutzt.




    LG,
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  • So, zurück von meinem Ausflug in die Videos der Beaumarchais- Inszenierungen...
    Erst einmal merkwürdig, das alles ohne Musik zu hören! Ist schon witzig, man erkennt die Szenen und denkt "Hier fehlt doch etwas...?"
    Aber zur Besetzung: Da erübrigt sich jeder Kommentar, oder? Es funktioniert einfach nicht! Nummer eins wirkt, als wäre er völlig durchgeknallt, Nummer zwei ko.mt nicht ganz so überdreht daher, wirkt aber durch dieses völlig unpassende Verhalten auch leicht debil... Und den dritten haben sie durch Anzug und Krawatte gleich noch älter gemacht!
    Es passt einfach hinten und vorne nicht!!!

  • Stimmt, das ist schon ungewohnt, wenn da nur geredet wird, noch dazu auf französisch, statt auf italienisch. Bei der Salome geht es mir auch so, die wirkt auch eigenartig auf mich, wenn die Musik fehlt.


    Es passt einfach hinten und vorne nicht!!!


    Sehe ich genauso. Ich habe im Eingangsposting ja einen anderen User zitiert, der folgendes schrieb:


    Der Sinn der echten Hosenrolle - ich meine also nicht die Ersatzlösung Frau anstelle Kastrat bzw. Countertenor - erschließt sich mir nicht wirklich, außer, man unterstellte ggfs. eine erotische und verwirrende Wirkung auf diesbezüglich empfängliche Herren


    Das war zwar auf Opern bezogen, aber dennoch: die Wahl einer jungen Frau für diese Rolle im Theater hat ebenfalls nichts mit irgendeinem "perversen" Publikum zu tun, das so etwas sehen möchte, sondern einfach damit, dass echte Männer in der Rolle einfach nicht passen (und dass Beaumarchais selbst hier keinen männlichen Darsteller wollte). Hält man sich nicht daran, kommt so etwas dabei heraus, ähnlich wie wenn Peter Pan auf der Bühne von einem Mann gespielt wird.




    LG,
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  • Noch einmal zur Inszenierung mit Marina Comperato:
    Der Regisseur hatte da wohl ein ganz besonderes Augenmerk auf Cherubino und Marina Comperato geht in dieser Rolle so dermaßen auf, dass ich bei dieser Aufnahme im Grunde immer nur Cherubino beobachte, auch, wenn er sich nur im Hintergrund befindet...
    Schüchtern ist er überhaupt nicht, und bereits in seiner ersten Szene lässt er Susanna gegenüber deutlich den Boss heraushängen! Ist dir dieser Moment noch in Erinnerung, als er ihr das Band wegnimmt, und sie es sich wiederholen will? Da vertauscht er tatsächlich die üblichen Rollen! Er hält ihr das Band vor die Nase und als sie danach greifen will, zieht er es weg und sieht sie schweigend von oben herab an. Sie erwidert den Blick nur wütend und kehrt dann an ihr Bügelbrett zurück.
    Und er? Grinst überheblich und steckt sich ostentativ das Band ein. Nicht wirklich sympathisch...
    Der Gräfin gegenüber ist er dann auf einmal völlig gehemmt und taut erst auf, als Susanna ihn zu verkleiden beginnt...
    Übrigens versucht er, auch der Gräfin dasBand wieder wegzuziehen, hat aber damit keinen Erfolg, denn sie lässt nicht los! Die beiden haben dabei sehr intensiven Blickkontakt und sie scheint ihm da deutlich seine Grenzen zu signalisieren. Als Susanna wieder Eintritt, gibt er auf, lässt das Band los und wendet sich ab...
    Vorher gibt es noch einen Moment, wo sie ihn allein mit Blicken deutlich in seine Grenzen verweist, und zwar beim "Voi wie sapete". Bevor er zu singen beginnt, ist er sichtbar nervös, scheint sich den Text um Geiste noch einmal vorzusagen, läuft dann zum Tisch, an dem die Gräfin sitzt, um über ihre Schulter noch einen Blick auf das Blatt zu werfen. Sie wendet ihm den Kopf zu und sieht ihn nur ernst und unverwandt an- woraufhin er wie zur Entschuldigung leicht die Hand hebt und augenblicklich zurückweicht.
    Hier ist also offenbar ganz strenge, körperliche Distanz angesagt.
    Ihre Idee, ihm das Band um die Augen zu legen, ist also auch eine Art der Kontaktaufnahme, bei der sie ihn berührt, ohne ihn wirklich zu berühren...

  • Ich finde es halt bedauerlich, dass der Regisseur so jemanden aus Cherubino gemacht hat, denn die Idee mit dem Augen verbinden fand ich sehr gelungen. :(


    Zitat

    Ihre Idee, ihm das Band um die Augen zu legen, ist also auch eine Art der Kontaktaufnahme, bei der sie ihn berührt, ohne ihn wirklich zu berühren...


    Und umgekehrt hat vielleicht auch die Gräfin Freude daran zu sehen, wie er darauf reagiert, und fühlt sich vielleicht geschmeichelt, dass zumindest der Junge Freude an ihr hat, und auch an so kleinen, fantasievollen Gesten, was sie eben beim Grafen nicht mehr hat. Dem könnte sie 100 Tücher umwickeln, dem wäre das egal, aber dieser Junge da genießt schon so kleine Dinge und ist ganz verzaubert - sie sieht also, dass sie, wenn schon nicht auf ihren Mann, zumindest auf Cherubino so eine Wirkung hat. Oder ist das eine völlig unsinnige Interpretation?


    Wie stellst du dir eigentlich den Cherubino am schönsten vor auf der Bühne, unabhängig von der Inszenierung? Als frechen Lausbub, der aber doch auch lieb ist? Als eher arrogant und hochnäsig? Als neugierigen Grapscher, der jede Gelegenheit nutzt, irgendwo hinzugreifen, wo er nicht darf? Als eher feminin-zurückhaltend? Als fantasievollen Jungen, der eher verträumt und/oder schüchtern ist? Oder anders?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Da hast du natürlich Recht! Ich mag diese Inszenierung trotzdem, nicht nur wegen der schönen Stimme von Marina Comperato, sondern, weil das Zusehen einfach Spaß macht, denn die Darsteller sind durch die Bank alle voller Begeisterung dabei. Und gerade das Wechselspiel zwischen Cherubino und Susanna ist einfach witzig, zu beobachten.


    Allerdings gibt es da auch einige Szenen, bei denen ich ( noch) nicht so richtig verstehe, was sich der Regisseur dabei gedacht hat.
    So taucht zum Beispiel Cherubino während des Hochzeitstanzes mitten in der Gesellschaft auf und bewegt sich dort so ungezwungen, als wäre gar nichts passiert.
    Auch Cherubino Liliana Nikiteanu erscheint während der Hochzeitszeremonie, hâlt aber immer gebührenden Abstand zum Grafen- es ist also klar, dass er dort nichts zu suchen hat und ihm das bewusst ist...
    Hier aber nicht! Und niemanden, nicht einmal den Grafen, stört es! Am Ende des dritten Aktes, verlassen dann alle die Bühne, während die Musik ausklingt, nur Cherubino bleibt- deutlich sichtbar in der Mitte der Bühne zurück und schaut den anderen hinterher, während der Vorhang fällt. Warum?

  • Darauf kann ich mir leider auch keinen Reim machen, aber wenn Cherubino in dieser Inszenierung so angelegt ist, dass er arrogant und hochnäsig ist, etwa gegenüber Susanna, dann wundert mich nicht, wenn er dort so herumgeht als ob nichts wäre.


    Überhaupt, was Regiearbeiten betrifft, bzw. Inszenierungen, die viele Jahre oder Jahrzehnte lang bestehen, finde ich, dass der Film die Oper übertrifft, denn im Film wird eine Performance festgehalten, der Regisseur schaut sich das persönlich an und entscheidet ob neu gedreht wird, oder ob das so passt. Auch Klenigkeiten wie Bewegungen der Hände, Blicke, zu häufiges oder zu seltenes Blinzeln etc. werden da genau überprüft.


    Bei der Oper wird eine Inszenierung geprobt, aber dadurch, dass verschiedene SängerInnen diese Rollen spielen, können solche Details wie das Blinzeln, Körperhaltungen etc. gar nicht jedesmal exakt gleich wiedergegeben werden, und nach Jahrzehnten ändert sich sowieso vieles an der Inszenierung. Beim Film hat nur ein Schauspieler eine Rolle, und da weiß man, dass auch solche Details beachtet werden, bei der Oper aber nicht.


    Ein schönes Beispiel ist das Blinzeln. Es ist ein wirklich kleines Detail, aber wenn man seltener blinzelt dann wirkt man selbstsicherer, bedrohlicher, stärker etc., wohingegeben man bei häufigerem Blinzeln unsicherer, schwächer wirkt. Achte mal bei Filmen nur auf die Augen, wie oft da geblinzelt wird. Das sind Dinge, die genau geprobt und besprochen sind. Wenn man bei einer Opernaufzeichnung sieht, dass die Gräfin Cherubino beim Ansehen häufiger blinzelt, kann man nie sicher sein, ob das jetzt vom Regisseur gewollt ist, oder nur Zufall - am nächsten Abend spielt jemand anderer die Gräfin, und die blinzelt vielleicht seltener, und verändert dadurch schon vieles.




    LG,
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  • Mein perfekter Cherubino? Da habe ich ein ganz klares Bild vor Augen:
    Er ist ein verträumter, kleiner Philosoph, besitzt in jedem Fall eine künstlerische Ader, ist neugierig und dem Leben gegenüber erst einmal grundsätzlich positiv eingestellt.
    Er ist nicht plump frech und aufdringlich, aber auch nicht krankhaft schüchtern oder zurückhaltend, sondern besitzt einen Jungen haften Charme, eben liebenswert frech ( witzig frech und nicht dummdreist wohlgemerkt! ) und noch ein wenig kindlich.
    Was Körperkontakt angeht, ist er eher zurückhaltend und nur den Leuten, die ihm nahestehen zugewandt, bei diesen dann aber sehr liebebedürftig.
    Aber auch dort hält er sich an gewisse Grenzen, es kann ihm schon mal passieren, dass er im Rausch der Hormone mal irgendwo hin greift, wo er eigentlich nicht darf... Akzeptiert dann aber auch sofort deine Grenzen.
    Ach ja, und er ist manchmal eine kleine Dramaqueen und lässt sich dann gerne ein wenig bemitleiden...

  • Und umgekehrt hat vielleicht auch die Gräfin Freude daran zu sehen, wie er darauf reagiert, und fühlt sich vielleicht geschmeichelt, dass zumindest der Junge Freude an ihr hat, und auch an so kleinen, fantasievollen Gesten, was sie eben beim Grafen nicht mehr hat. Dem könnte sie 100 Tücher umwickeln, dem wäre das egal, aber dieser Junge da genießt schon so kleine Dinge und ist ganz verzaubert - sie sieht also, dass sie, wenn schon nicht auf ihren Mann, zumindest auf Cherubino so eine Wirkung hat. Oder ist das eine völlig unsinnige Interpretation?


    Die finde ich gar nicht unsinnig! Ich denke, dass es sogar die Grundlage der Beziehung Gräfin- Cherubino darstellt, dass er eben auf eine Weise auf sie reagiert, die sie von ihrem Mann nicht ( oder nicht mehr...) kennt. Wie auch immer der einzelne Regisseur die Rolle der Gräfin nun interpretiert, ob sie Cherubinos Gefühle tatsächlich erwidert, oder einfach nur gerührt seine Schwärmerei für sie genießt: er lässt sie nicht kalt, auf welche Weise auch immer.
    In diesem Fall- als sie ihm die Augen verbindet- lächelt sie ja auch Versionen, als sie seine Reaktion beobachtet. Sie ist so gefesselt, dass sie das Klopfen an der Tür zunächst gar nicht als "Gefahr" empfindet. Alle beide schrecken erst hoch, als die Stimme des Grafen ertönt. Cherubino klaubt eilig seine Sachen zusammen und greift noch schnell nach... Na,wonach wohl? ;)

  • Deine Charakterisierung dieser Figur deckt sich mit meiner ziemlich genau. Das mit der Dramaqueen war auch witzig :D


    Ich würde ihn auch so inszenieren, dass er ein Träumer ist, fantasievoll, manchmal auch frech, dabei aber immer noch lieb und nicht selbstsüchtig oder arrogant. Wenn er mal ohne zu fragen wo hinlangt, dann nur in Form von plötzlichen Umarmungen, aber kein Gegrapsche, kein Geküsse, weil er nicht wie der Graf ist, sondern Respekt vor den Frauen hat. Kaiser meinte ja, dass, im Gegensatz zum Grafen, Cherubino keiner Jagdlust erliebt, keiner Lust am Erobern, sondern es ihm nur um die Liebe geht, und entsprechend sollte er sich bei mir auch verhalten.


    Wenn er eine Frau verzaubert (oder es versucht), dann nicht, indem er sich an sie ranschmeißt und sonstwohin greift, sondern durch intensiven Blickkontakt oder kleine Gesten (ähnlich wie die mit dem Band).


    Den versuchten Kuss im Garten, der ja vorgeschrieben ist von der Partitur, würde ich auch so inszenieren, wie er vermutlich auch gedacht ist: er fällt da nicht über die falsche Susanna her, sondern geht langsam hin (auch, damit der Graf Zeit hat, dazwischen zu gehen), lässt ihr also die Möglichkeit Nein zu sagen, zurückzuweichen. Ich finde, er sollte, wenn er das tut, keine fordernde, drängende Körperhaltung einnehmen, sondern es sollte wirklich so wirken, als sei das das erste Mal, dass er sowas macht, und sei selbst noch unsicher. Dass er da nur mit dem Kopf hingeht, und sich nicht als ganzes "ranschmeißt".


    Wegen der Szene mit dem Band in der Comperato-Version: mir ist auch aufgefallen, dass die Gräfin, als Cherubino da kniet, sich ihm langsam, fast schon zögernd nähert, und nicht wirklich zielstrebig. Da frage ich mich, wieso so zögernd?


    Was Körperkontakt angeht, ist er eher zurückhaltend und nur den Leuten, die ihm nahestehen zugewandt, bei diesen dann aber sehr liebebedürftig.


    Wie würde bzw. sollte sich diese Liebesbedürftigkeit äußern auf der Bühne? Bzw. woran würde man das merken?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe mir vorhin dieses Video, das ich auch schon in meinem "Voi che sapete"-Thread vorgestellt habe, nochmal angesehen, wegen dem Gesang.



    Was mir dabei aber auch irgendwie gefallen hat war, dass ich mir den Cherubino auf der Bühne, was die Mimik angeht, ungefähr so vorstellen könnte (was nicht heißt, dass ich andere Darstellungsarten deswegen uninteressant oder schlecht finde!). Natürlich kommen hier unterschiedliche Dinge zusammen: zum einen ist die Sängerin hier sehr jung und keine erfahrene ältere Bühnenschauspielerin, zum anderen singt sie hier in ein Mikro und kann sich deswegen nicht im Raum bewegen, sondern muss "starr" stehenbleiben. Und natürlich wirkt sie wegen den langen Haaren und dem Kleid auch nicht sehr burschikos, selbst vom Gesicht her wäre sie für mich kein idealer Cherubino.


    Aber mir hat gefallen, dass der Vortrag hier, was die Mimik angeht, von einer Schlichtheit war, die mir sehr angemessen schien; wie oft sieht man bei den älteren Sängerinnen große Gesten und alle möglichen, fast schon übertriebenen Mimiken? So wie diese Sängerin hier aber singt, könnte ich mir den Jungen auch vorstellen: eher zurückhaltend, schüchtern, fast schon ein bisschen leidend, dabei aber nicht sentimental-kitschig, und ab und zu kommt ein Lächeln über die Lippen, an bestimmten Stellen. In der Partitur steht ja auch nicht, dass er im Raum herumgeht, das heißt, vielleicht steht er im Stück auch das ganze Lied über vor der Gräfin und singt, so wie das hier der Fall ist.
    Also sicher keine "Referenz", was die Darstellung dieser Figur angeht, aber es war doch mal was anderes.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Wie würde bzw. sollte sich diese Liebesbedürftigkeit äußern auf der Bühne? Bzw. woran würde man das merken?


    Idealerweise macht er das durch Mimik und gelegentliche "stubenreine" Berührungen- also keine dauernde Küsserei und kein ständiges, nerviges Gefummel.
    Und da gibt's ja viele Möglichkeiten:
    Edith Mathis beispielsweise legt Susanna zur Begrüßung von hinten die Arme um die Taille und den Kopf auf die Schulter- mehr nicht. Kein Herandrücken, kein Küssen, einfach eine freundschaftliche Begrüßung.
    Maria Ewing besitzt eine umwerfende Mimik und setzt Augenaufschläge, Schmollmund u.ä. ein oder drückt Susanna rasch einmal an sich.
    Am besten gefiel mir bis jetzt die Darstellung von Liliana Nikiteanu im Harnoncourt- Figaro . ( Bitte blende da mal seine erste Aktion aus, wo "er" vor Susanna den Mini- Macho geben will! Und die furchtbare Gartenszene, in der er richtig grob wird!).
    Er ist mit Susanna sehr vertraut, aber es ist völlig klar, dass zwischen den beiden nicht mehr ist.
    Ich mag die Szene besonders, in der er, nach dem "Non so piu" zu lachen beginnt, zu Susanna krabbelt und ihr den Kopf in den Schoß legt.
    Und- was dir ja nicht so gefallen hat- wie die beiden sich in den Arm nehmen, als der Graf ihn in ihrem Zimmer entdeckt...
    Und noch ein Beispiel für eine Annäherung, in der sich praktisch gar nicht berührt wird und trotzdem die Funken sprühen:
    In der oben genannten Inszenierung wird Cherubino verkleidet, geschminkt und gepudert, dass ihm Hören und Sehen vergeht... Die Gräfin ist da zwar kein unbeteiligter Zuschauer, aber eher Susannas "Handlanger". Auf die Anweisung "Den Kragen etwas höher" beginnt die Gräfin, sich am Kragen zu schaffen zu machen, greift nochmals zum Puder und bearbeitet damit Cherubinos Hals und Oberkörper. Cherubino blickt sie dabei unverwandt an, was sie zunächst nicht merkt, doch irgendwann treffen sich ihre Blicke und er beginnt ganz leicht zu lächeln. Sie haben dann für wenige Sekunden ganz intensiven Blickkontakt und ihre Gesichter sind sich so nahe, dass man tatsächlich auf den Gedanken kommt, sie würden sich gleich küssen... Die Gräfin wendet dann ein wenig verlegen den Blick ab und schiebt Cherubino sanft wieder zu Susanna hinüber...
    Kein Knutschen, kein Fummeln! Doch die Luft hat geknistert...

  • Den versuchten Kuss im Garten, der ja vorgeschrieben ist von der Partitur, würde ich auch so inszenieren, wie er vermutlich auch gedacht ist: er fällt da nicht über die falsche Susanna her, sondern geht langsam hin (auch, damit der Graf Zeit hat, dazwischen zu gehen), lässt ihr also die Möglichkeit Nein zu sagen, zurückzuweichen. Ich finde, er sollte, wenn er das tut, keine fordernde, drängende Körperhaltung einnehmen, sondern es sollte wirklich so wirken, als sei das das erste Mal, dass er sowas macht, und sei selbst noch unsicher. Dass er da nur mit dem Kopf hingeht, und sich nicht als ganzes "ranschmeißt".


    Wenn ich mir aber den Text so betrachte, ist Cherubino da schon ganz schön frech! So gerne ich das Beste von ihm annehmen will, aber auf ihre Drohung "Weg von mir oder ich rufe Leute!" antwortet er : "Gib mir einen Kuss, sonst tust du gar nichts!"
    Klingt nicht wirklich so, als wenn er ihr da groß die Wahl lässt...
    Musikmäßig mag er sich harmlos benehmen, aber seine Sprüche sind schon reichlich dreist!
    Der Gipfel ist natürlich: "Warum darf ich nicht tun, was der Graf doch auch tut?" Wo er doch- gerade weil er hinter dem Sessel versteckt alles belauscht hat, aus erster Hand weiß, wie die Sache steht!

  • Wegen der Szene mit dem Band in der Comperato-Version: mir ist auch aufgefallen, dass die Gräfin, als Cherubino da kniet, sich ihm langsam, fast schon zögernd nähert, und nicht wirklich zielstrebig. Da frage ich mich, wieso so zögernd?


    Sie weiß doch, dass sie das nicht darf! Und hat ihm ja zuvor auch immer wieder in seine Schranken verwiesen. Sie hört ihm zu, als er sein Unglück beklagt, und auf einmal beginnt sie zu lächeln- da ist ihr wohl die Idee mit dem Band gekommen! Sie scheint sich dann einen Ruck zu geben und nähert sich ihm...

  • Dein Video kann ich leider im Moment nicht abrufen und auch der nächste Schleiertanz muss noch bis übermorgen warten... Habe mein letztes Datenvolumen aufgebraucht! Wird aber nicht vergessen, versprochen!!!
    Mir fällt da gerade noch eine Kleinigkeit ein:
    Der Marina Comperato Cherubino wird im Begleitheft der DVD als 16 jähriger deklariert! Wenn die Rolle vom Regisseur so angelegt ist, dann erklärt das auch diese Abgebrühtheit, die ich für einen Dreizehnjährigen doch eher unpassend finden würde...

  • Ich finde es halt bedauerlich, dass der Graf so jemanden aus Cherubino gemacht hat.


    Wobei Du ja immer wieder betonst, dass Dir Sozialkritik am Herzen liegt. Ich mag Cherubino als Figur wirklich sehr gerne, aber wenn er keinen überaus starken Charakter hat, was soll dann aus ihm werden? Mit dem Grafen als männlichem Vorbild? Sieht düster aus...

  • Mir ist gerade aufgefallen, dass ich dir immer noch einen Kommentar schuldig bin zum einen Video, dass du gepostet hast! Das mit der Verkleidungsszene, in der Susanna Cherubino am Ende das Tuch in den Rock steckt, und ihn dabei aus der Fassung bringt. Du erinnerst dich? Deine Frage war, ob diese Aktion meiner Meinung nach anders gewirkt hätte, wenn Cherubino statt von einer Frau von einem Mann gespielt werden würde... Meine Antwort darauf wäre ein hundertprozentiges "Ja!". Es hätte einfach nicht diesen verspielten Charakter gehabt, sondern wäre deutlich obszöner 'rübergekommen, vielleicht sogar geschmacklos.
    Aber weswegen eigentlich?
    Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass man weiß, es stehen sich auf der Bühne zwei Frauen gegenüber, zumindest, was mich angeht nicht. Wie gesagt, "vergesse" ich einfach, dass Cherubino ein Mädchen ist, wenn die Darstellerin mich als Junge überzeugt.
    Ob es daran liegen könnte, dass Cherubino allein durch die Frauenstimme einfach immer sehr jung wirkt?
    Dass durch sein noch junges Alter eben klar ist, Susanna will ihn damit nicht "anmachen", sondern lediglich aus der Fassung bringen?
    Bei einem erwachsenen, wenn auch jungen Mann, hätte sie eher mit einer Gegenreaktion rechnen müssen, weil er diese Geste als Avance empfinden dürfte! Entweder mit einer entsprechenden "Antwort" oder aber mit Abwehr, je nachdem.
    Wobei es natürlich auch darauf ankommt, wie die Rolle des Cherubino charakterlich angelegt ist: die Fraktion der Verwirrten ( wie Maria Ewing oder Edith Mathis ) bringt Susanna damit unter Garantie aus der Fassung...
    Beim Schlage Marina Comperato hätte ich Susanna besser geraten, die Finger bei sich zu lassen!

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