Das erste Mal, dass ich Kenntnis von der Existenz dieses Werkes erlangt habe, war 1992, oder 1993, als ich im Eingangsbereich eines Kinos einen großen Pappaufsteller sah, auf welchem das Bild zu sehen war, das auch auf diesem DVD Cover abgedruckt ist
„Bram Stokers Dracula“ folgt Stokers Roman (den ich, weil er mir so gut gefallen hat, 4x gelesen habe, 3 mal leider in einer schlechten dt. Übersetzung, und einmal im ungekürzten Original) sehr genau. Es gibt und gab immer wieder Dracula-Filme, die sich nur vage an Stokers Buch hielten; so wurden Charaktere weggelassen, Namen umgeändert, usw.
Coppola war es wichtig, sich nach dem Buch zu richten, und so las er gemeinsam mit seinen Hauptdarstellern bei den Proben den Roman, um sicherzustellen, dass jeder damit vertraut ist.
Bevor ich mehr zum Film sage, möchte ich gerne eine kurze Zusammenfassung schreiben.
Der Film beginnt im 15. Jahrhundert, als die Türken in Rumänien einfallen. Fürst Dracula verabschiedet sich von seiner Frau Elisabetha, und zieht in die Schlacht, wissend, dass der Kampf aussichtslos ist. Doch entgegen aller Erwartungen gewinnt er ihn. Die auf Rache sinnenden Türken schicken Elisabetha einen Pfeil mit der falschen Nachricht von Draculas Tod, worauf diese sich aus dem Schluss in den darunterliegenden Fluss stürzt. Als Dracula davon erfährt, und die Priester der Selbstmörderin ein christliches Begräbnis verweigern, rastet Dracula aus, entsagt Gott und trinkt das Blut, das aus einem von ihm zerstörten Kreuz fließt.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert wird Jonathan Harker nach Transilvanien zu Dracula geschickt, um mit ihm den Kauf einiger Grundstücke in London abzuschließen. Dort angekommen, sieht Dracula, nunmehr ein steinalter Mann, ein Bild von Harkers Verlobten Mina – sie sieht Elisabetha zum Verwechseln ähnlich! Er hält Harker als Gefangenen in seinem Schloss und reist nach London, um Mina zu treffen, nicht ohne vorher an ihrer Freundin Lucy herumzuknabbern. Das wiederum ruft Professor Van Helsing und ihre Liebhaber auf den Plan, die nun gegen Dracula vorgehen, während dieser sich mit Erfolg an Mina heranmacht.
Da er nun ständig gejagt wird und Mina gebissen hat, reist Dracula wieder in seine Heimat zurück, die Vampirjäger folgen ihm gemeinsam mit Mina, die sich nach und nach in einen Vampir verwandelt. Am Ende erreichen sie Draculas Schloss, und in einem finalen Kampf können sie Dracula schließlich tödlich verwunden. Mina verabschiedet sich von ihm, um ihn dann zu enthaupten – dabei wird sie wieder zu einem normalen Menschen.
Das war, in aller Kürze zusammengerafft, die Hauptstory. Und sie hält sich tatsächlich sehr eng an Stokers Werk, ABER es gibt dann doch einen Punkt, den viele Leute kritisieren, und das ist die Liebesgeschichte zwischen Dracula und Mina, die es im Buch nicht gibt, auch nicht ansatzweise. Trotz dieser Änderung, die m.E. einfach nicht in die Geschichte passt, kann ich darüber hinwegsehen, denn der Film hat eine Bildersprache, die einfach nur irre ist! Das Besondere an ihm ist nämlich, dass alle Tricks handgemacht sind und NICHT aus dem Computer stammen. Coppola wollte keine modernen Effekte verwenden, kein CGI, sondern auf Bühnen- und Filmtricks aus der Zeit um die Jahrhundertwende zurückgreifen.
Man denke an Filme, die zur gleichen Zeit herauskamen, wie „Terminator 2“, oder „Jurassic Park“, die vor CGI-Effekten nur so strotzen – der Gedanke, dass man da nun einen Film herausbringt, in dem es fast ausschließlich handgemachte Tricks gibt, hat schon was. Und vor allem ist der Film ein Beweis dafür, dass es keine Computer braucht, um einen derart bildgewaltigen Film herzustellen.
So gibt es etwa eine Szene, in der man Harkers aufgeschlagenes Tagebuch am unteren Bildrand sieht, während oben, quasi am Rand des Buches, ein Zug vorbeifährt, der einen Schatten auf das Buch wirft. Coppola ließ dafür ein riesiges, meterbreites Buch bauen, und ein fahrendes Eisenbahnmodell wurde in einiger Entfernung davor platziert – mit der richtigen Beleuchtung warf das Modell seinen Schatten auf die Seiten.
In einer anderen Szene auf Schloss Dracula erzeugt der Regisseur ein unterschwelliges klaustrophobisches Gefühl, indem er einfach die Wände langsam nach innen schieben lässt.
Wenn Dracula und Mina scheinbar über den Boden schweben, stehen sie auf einer beweglichen Plattform; wenn der Kutscher nach Jonathan greift, scheint sein Arm extrem lang zu werden. Tatsächlich sitzt der Kutscher auf einem beweglichen Sitz, und die geschickte Kameraarbeit erzeugt nun zusätzlich die Illusion, dass der Arm immer länger wird. Der ganze Kutscher wird offscreen bewegt, das ist der ganze Trick.
Das waren nur ein paar kleine Beispiele, die zeigen sollen, dass wirklich alles handgemacht ist, dass man sich der Bühnentricks längst vergangener Zeiten bedient hat.
Für eine Sequenz, in der Dracula in London ankommt, ließ Coppola eine originale Stummfilmkamera besorgen, mit der das rege Treiben auf den Straßen gefilmt wurde.
Coppola hatte auch andere tolle Einfälle: wenn Lucy etwa ihre Gruft betritt, und dabei die Treppen hinuntersteigt, dann sieht das deswegen unnatürlich und gruselig aus, weil er die Darstellerin rückwärts gehen ließ, um den Film dann rückwärts laufen zu lassen. Es wird mit Licht und Schatten, mit Perspektiven und Kamerawinkeln gespielt, dass es eine Freude ist.
Übrigens baut der Regisseur auch ein paar Elemente aus anderen berühmten Vorgängerfilmen ein; so gibt es etwa wie in Murnaus "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" von 1921 eine Szene, in der sich Dracula kerzengerade in seinem Sarg aufrichtet.
Aber auch Hommagen an den berühmten Lugosi-Dracula von 1931 findet man, etwa der Ausspruch Draculas: "I never drink .... wine".
Ich bin kein Freund von CGI, speziell dann nicht, wenn es nicht dezent eingesetzt wird, sondern im Übermaß. Wer erinnert sich nicht an die ekelhafte Szene aus Cronenbergs „Die Fliege“ aus den 80ern, in der Geena Davis Jeff Goldblums Unterkiefer herausreißt, worauf sein ganzer Körper aufplatzt und die Fliege darunter zum Vorschein kommt? Das sah deswegen echt aus, weil es eine echte Puppe war, die gesteuert wurde! Da saßen Leute, die ihr Handwerk gelernt haben, und haben sich überlegt, wie man diesen Effekt hinbekommt. Sie haben diese Puppe gebaut und bewegt. Und alles sah echt aus!
Heute hingegen macht man sich diese Mühe nicht mehr. Man setzt sich an den Computer und zaubert da seelenlose Kreaturen hin, die völlig unnatürlich und unecht aussehen. „Die Mumie“ von 1999 wäre ein wesentlich besserer Film, würde die Mumie auch tatsächlich aussehen wie eine Mumie, und nicht wie eine Figur aus einem Computerspiel! Man merkt den Darstellern auch an, dass sie mit niemandem interagieren, weil am Set einfach nichts ist.
Es müssen aber keine Horror-Effekte sein; wer erinnert sich nicht an die Figuren eines Ray Harryhausen? An die Medusa, an die Zyklopen, usw.?
Und deswegen mag ich diesen Dracula-Film einfach so gerne … wahnsinnige Bilder, herrliche, handgemachte Effekte …
Was soll ich zu den Schauspielern sagen? Auch hier gibt es Stärken und Schwächen. Die größte Schwäche ist wohl Keanu Reeves als Harker, der mit seinem gestellten englischen Akzent völlig deplatziert und hölzern wirkt. Coppola selbst gibt heute zu, dass er eine Fehlbesetzung war. Gary Oldman spielt Dracula, und ich hätte ihn lieber als Dracula OHNE Liebesgeschichte gesehen. Er spielt ihn sehr eindrucksvoll, arbeitete an einem rumänischen Akzent, arbeitete auch mit einem Gesangslehrer, um seine Stimme tiefer werden zu lassen, usw. Am beeindruckendsten sind wohl seine vielen Erscheinungsformen. Der Soldat Dracula, der alte Mann, der junge Mann, das Fledermausmonster, der Werwolf, …
Winona Ryder als Mina ist auch nicht so mein Fall, wenngleich ich ihr Schauspiel wesentlich besser finde als das von Reeves. Auch bei ihr stört mich der deutlich gefakte englische Akzent. Und natürlich Anthony Hopkins als Van Helsing, den ich wiederum sehr gelungen finde!
In einer kleineren Rolle spielt der Sänger Tom Waits einen echt gelungenen Renfield! Wenn er verzweifelt „Doktor Jack! DOKTOOOOR JAAAAAAAAAAAAAAACCCKKKKKK!“ brüllt, dann läuft es einem eiskalt den Rücken runter, wenn ich diese Phrase bemühen darf.
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SOUNDTRACK:
Was aber wären die schönsten Bilder ohne die passende Musik?
Und der Score, den Wojciech Kilar für „Bram Stokers Dracula“ schrieb, ist nicht weniger eindrucksvoll!
Wenn ich mir den Soundtrack nur anhöre, dann sehe ich sofort die passenden Szenen und Bilder aus dem Film vor mir, so perfekt passen Musik und Film zusammen!
Kilar passte seine Musik der Epoche an, in der die Handlung spielt, nämlich dem Fin de Siecle, und weist spätromantische Klänge als auch einen impressionistischen Stil auf. Ersteres wird besonders deutlich in dem „Liebesthema“ Draculas, das dem Hauptthema aus Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune sehr ähnelt.
Am liebsten würde ich jeden Track einzeln besprechen, aber um es kurz zu halten, es ist eine insgesamt eher düstere, aber auch leidenschaftliche Musik, die sehr fein instrumentiert, und oft auch lautmalerisch ist. Schon direkt zu Beginn des Films befördert uns ein sich wiederholender Ton in den tiefsten Registern des Klaviers in die dunklen Zeiten des 15. Jahrhunderts.
Die Musik, die während der Schlacht zu hören ist, ist vielleicht auch die brutalste und heftigste; das Orchester, allen voran das Blech, schwingt sich in die Höhe, um dann von dort schnell und heftig in die Tiefe zu rutschen, bevor es wieder in die Höhe geht. Die Musik wirkt hier förmlich „ausgezackt“.
Wenn Harker mit dem Zug nach Transsylvanien reist, spielen die Streicher einen stampfenden Rhythmus, wird er von den drei Vampirinnen verführt, vernimmt man orientalische Anklänge, begleitet von einem sehr leise gespielten Tam Tam, die diese Haremsfantasie unterstützen. Manchmal wirkt die Musik, passend zu den Bildern, direkt erstickend, etwa das Glockenspiel, das Mina zugeordnet ist, in Verbindung mit düsteren Klängen anderer Instrumente, die auf Draculas Einfluss hindeuten, jedoch nichts liebliches mehr haben.
Am Ende, als Mina und Dracula Abschied voneinander nehmen und sie ihn erlöst, vernimmt man versöhnliche Klänge eines Kirchenchores.
Es wäre aber ungerecht, nur die Musik zu erwähnen, denn auch die Geräuschkulisse ist schon eine Komposition für sich. Man muss einmal darauf achten, wie etwa Pfauenrufe plötzlich in das Pfeifen eines Zuges übergehen, auf die unheimlichen Geräusche, die man da hört … es lohnt sich, den Film mit guten Kopfhörern oder einem ordentlichen Surround-System anzusehen, um das noch besser wahrnehmen zu können. Ein schönes Beispiel sind etwa auch die Szenen auf Schloss Dracula, wo man aus allen Richtungen immer wieder leises Flüstern oder Schreien hört. Sehr atmosphärisch!