Der Kammermusik-Kanon Teil III: Mehrstimmige Besetzungen ohne Klavier
Teil 3: Von Bruch bis Reich
Bruch, Max (1838 – 1920)
Streichquintett a-moll
Gegen Ende seines Lebens wandte sich Max Bruch noch einmal unvermittelt der Kammermusik zu. In den Jahren 1918 bis 1920 komponierte er zwei Quintette sowie ein Oktett für Streicher. Die Kompositionen wurden nicht veröffentlicht. Während des Zweiten Weltkrieges erhielt der Verleger Rudolf Eichmann alle drei Manuskripte zur Aufbewahrung. Die Autographen gingen verloren, doch hatte Bruchs Schwiegertochter Gertrude Kopien angefertigt.
Tschaikowsky, Peter (1840 – 1893)
Souvenirs de Florence (Sextett) op. 70
Tschaikowsky entwarf das Sextett 1890 während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Florenz, wo auch seine Oper Pique Dame entstand. Fertiggestellt wurde es erst nach mehreren Überarbeitungen, die Tschaikowsky Anfang 1892 im russischen Klin abschloss. In diesem Jahr feierte das Sextett schließlich Premiere. Tschaikowsky widmete das Werk der St. Petersburger Gesellschaft für Kammermusik, die ihn kurz zuvor zu einem Ehrenmitglied ernannt hatte. Das Sextett gehört zu Tschaikowskis heiteren, lebensbejahenden Werken, das auf die positive Wirkung seines Erholungsurlaubs in Florenz zurückgeführt wird.
Nielsen, Carl (1865 – 1931)
Bläserquintett op. 43
Das Bläserquintett aus dem Jahr 1922 ist Nielsens letztes Kammermusikwerk und ein Werk der Reifezeit. Es „verdankt seine Entstehung der Inspiration durch Mozart, wobei es letztlich ein Zufall war, dass Nielsen ausgerechnet an jenem Herbstabend 1921 bei seinen Freunden vom Kopenhagener Bläserquintett anrief, als diese Mozarts Quintett für Klavier und Bläser probten. Da Mozart Nielsens Lieblingskomponist war, machte er sich auf, um bei der Probe zuzuhören. Wenige Monate später hatte er sein Bläserquintett vollendet.“ (Villa Musica). Nielsen über sein Werk: "… hier hat der Komponist versucht, den verschiedenen Instrumenten Charakter zu verleihen. Sie reden bald wie aus einem Munde, bald durcheinander und bald jedes für sich."
Reger, Max (1873 – 1916)
Klarinettenquintett A-Dur
Es ist Max Regers Schwanengesang, das Klarinettenquintett in A-Dur. 1916 wurde es uraufgeführt, im Jahr, in dem Max Reger starb, gerade mal 42-jährig. Und: es ist ein kompliziertes, hochemotionales Stück Musik, das in seiner Vielschichtigkeit vielleicht das erste postmoderne Opus überhaupt ist.
Streichsextett., Zur Herkunft seines Stils meinte Reger, die “Musikluft” im Deutschland der Jahrhundertwende sei von “Wagner geschwängert” worden, also von “Chromatik und Enharmonik” in “sauerstoffhaltiger Menge”. Solche Merkmale verrät auch das Streichsextett F-Dur aus dem Jahre 1910, das andererseits schon auf die eher unbeschwerten, heiter kraftvollen Spätwerke des Meisters vorausweist.
Schönberg, Arnold (1874 – 1951)
Bläserquintett op. 26
Das Bläserquintett op. 26 wurde in einem der für den Komponisten schwersten Jahre begonnen und einem seiner glücklichsten vollendet. Als Schönberg am 14. April 1923 die ersten Gedanken für das neue Werk zu Papier brachte, waren Pläne für einen gemeinsam mit seiner Familie in Traunkirchen (Oberösterreich) zu verbringenden Sommerurlaub bereits geschmiedet. Als Schönberg am 1. Juni 1923 in seinem seit 1907 bevorzugten Badeort eintraf, befand sich bereits der am Vorabend vollendete erste Satz des Quintetts in seinem Gepäck, auf dessen Manuskript er geschrieben hatte: „Ich glaube, Goethe müßte ganz zufrieden mit mir sein.“
Der Sommer in Traunkirchen brachte nicht nur die sehr intensive Beschäftigung mit der Partitur des Bläserquintetts und einer großen Zahl von theoretischen und historischen Betrachtungen, sondern wurde auch durch die ernsthafte Erkrankung seiner Frau Mathilde getrübt. Im September musste sie zurück nach Wien in ein Sanatorium gebracht werden, die Arbeit am Bläserquintett wurde unterbrochen. Mathilde Schönberg verstarb am 18. Oktober 1923 im Beisein ihres Mannes. Schönberg konnte nach den ersten Monaten des Verlustes und der Neuordnung seines Lebens den Faden zu dem Werk nicht mehr finden und nahm die Arbeit erst im folgenden Sommer wieder auf. Seit dem Frühjahr hatte er eine intensive Freundschaft zu Gertrud Kolisch, Schwester seines Schülers, des Geigers Rudolf Kolisch gepflegt, die bald zu einer Liebesbeziehung werden sollte. Arnold Schönberg und Gertrud Kolisch heirateten am 28. August 1924, einen Tag, nachdem das Bläserquintett, das seinem Enkelsohn „Bubi“ Arnold gewidmet ist, vollendet wurde.
Streichtrio op. 45
Das Streichtrio, op. 45, ist jenes Werk, in dem der Komponist die Grenzerfahrung seines Herzinfarkts musikalisch verarbeitete. Dem befreundeten Schriftsteller Thomas Mann gestand er, das Stück stelle seine Krankheit und die ärztliche Behandlung dar, dem Komponisten Hanns Eisler zeigte er bestimmte Akkorde, die Injektionen darstellen sollten. So spieltechnisch schwierig das Stück ist, so schwierig ist das Trio auch für den Hörer. Die extreme Dichte der musikalischen Verläufe in einem einzigen Satz von 20 Minuten Länge, die komplizierte Rhythmik und Melodik, verbunden mit der streng zwölftönigen Kompositionsweise, machen das Werk bis heute zu einem äußerst selten gespielten, ja geradezu gefürchteten Werk des Repertoire
Streichsextett
Schoenberg Verklöärte Nacht
Schönberg komponierte das Werk im Herbst 1899 während eines Ferienaufenthalts mit seinem Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky und dessen Schwester Mathilde (die er 1901 heiraten sollte) im niederösterreichischen Payerbach. Laut Autograph war die Komposition am 1. Dezember 1899 abgeschlossen. Programmatische Vorlage dieser ersten größeren, mit Opuszahlen versehenen Komposition Schönbergs bildet das Gedicht „Verklärte Nacht“ aus der 1896 veröffentlichten Sammlung „Weib und Welt“ des Dichters Richard Dehmel.
Strawinsky, Igor (1882 – 1971)
L'Histoire du soldat
Stravinsky L´Histoire du Soldat
Der Schweizer Ramuz war es, der Strawinsky vorschlug, “mit möglichst geringen Mitteln eine Wanderbühne zu gründen, die man leicht von Ort zu Ort schaffen und auch in ganz kleinen Lokalen vorführen kann.” Es war eine aus der Kriegsnot geborene Idee, die darauf abzielte, fern des Wagner-Pathos ein “Gesamtkunstwerk en miniature” zu schaffen - für sieben Instrumentalisten, drei Schauspieler und eine Tänzerin. In fast brechtscher Knappheit wird das Märchen erzählt, man spürt allenthalben den Zeitgeist. Die Uraufführung fand unter der Leitung von Ernest Ansermet im September 1918 im Théâtre Municipal de Lausanne statt. Der Pakt zwischen Mensch und Teufel, ein altes Lieblingsthema des Volkstheaters von den Wanderbühnen bis zum Puppenspiel, wurde von Strawinsky und Ramuz noch ganz in der ursprünglichen, schlicht-volkstümlichen Weise erzählt. Die Handlung ist einfach in drei Szenen strukturiert. Die Musik folgt ihr illustrierend, karikierend. Dabei gewinnt die Geige symbolische Bedeutung. Sie ist nicht nur das Instrument das Soldaten, sondern zugleich das Symbol für seine Seele. Beides verkauft er an den Teufel, um in den Besitz eines Zauberbuchs zu gelangen.
Webern, Anton (1883 – 1945)
Konzert für 9 Instrumente op. 24
Das Konzert opl. 24 ist eine Zwölftonkompositionen Konzert für neun Instrumente: Flöte , Oboe , Klarinette , Horn , Trompete , Posaune , Violine , Viola und Klavier in drei Sätzen. In den Worten von Luigi Dallapiccola : "Ein Werk von unglaublicher Prägnanz ... und von einzigartiger Konzentration... Obwohl ich das Werk nicht vollständig verstand, hatte ich das Gefühl, eine ästhetische und stilistische Einheit zu finden, so gut ich es mir wünsche für. [Prag, 5. September 1935] ".
Streichtrio op. 20
Nach 13 Jahren wandte sich Webern mit diesem 1927 vollendeten Streichtrio wieder der Komposition größerer Instrumentalwerke zu. Webern steht hier vor dem Problem, ohne die Hilfe Zusammenhang stiftender Texte Musik komponieren zu wollen, die über die Aneinanderreihung von Kurzmotiven oder athematischen Floskeln hinaus die Gestaltung eines größeren musikalischen Ablaufs sinnvoll ermöglicht. Um dies erreichen zu können, verbindet Webern seine elaborierte dodekaphone Kompositionstechnik mit tradierten Formmodellen der klassisch-romantischen Musik.
Hindemith, Paul (1895 – 1963)
Kleine Kammermusik für Fünf Bläser op. 24 Nr. 2
Hindemith komponierte seine Kleine Kammermusik für fünf Bläser 1922 für die Frankfurter Bläser-Kammermusikvereinigung, eines der ersten Bläserquintette in Deutschland. Eine Vorstudie zu diesem mehrsätzigen Bläserquintett findet sich im dritten Satz der 1921 komponierten Kammermusik Nr. 1 für 24 Instrumente. Dieser “großen Kammermusik” steht hier gleichsam die “Kleine Kammermusik” gegenüber. Die beiden Werke gehören als op. 24 Nr. 1 und 2 zusammen, doch greift die “kleine” den provokanten Tonfall ihrer größeren Schwester nicht auf. Beiden Werken gemeinsam ist der Versuch, für den Begriff “Kammermusik” eine neue Definition zu finden, die sich von der spätromantischen Ausdrucksmusik befreit.
Krenek, Ernst (1900 – 1991)
Streichtrio op. 237
Francaix, Jean (1912 – 1997)
Streichtrio
Als neoklassizistisches Werk unterhaltenden Charakters schließt das Streichtrio von Jean Françaix aus dem Jahre 1933 nahtlos an die Wiener Werke zu Beginn unseres Programms an. Françaix wurde 1912 in Le Mans geboren. “Meine Eltern – und ganz besonders meine Mutter, ein wahrer Diktator am Klavier – führten mich mit sanfter Gewalt in das Reglement dieses ehrenwerten Instruments ein, auf dem ich 1930 am Pariser Konservatorium einen 1. Preis in der Klasse von Isidor Philippe errang. In dieser Zeit versuchte Nadia Boulanger vergeblich, mir Harmonie und Kontrapunkt beizubringen, erreichte aber bei mir ein Gespür für Form – was heute kaum mehr zählt.” Eben dieses Formverständnis verrät auch das Streichtrio, das Françaix in seiner Studienzeit bei Boulanger für das Pasquier Trio komponierte, und das von diesem über tausendmal (!) in Konzerten gespielt wurde. Die Rahmensätze – ein Allegretto vivo und ein veritables Rondo – weisen motorisch-tänzerische Züge auf und bestechen durch Eleganz der Faktur. Die Binnensätze sind den subtileren Klangwirkungen vorbehalten.
Ligeti, György (1923 – 2006)
Bagatellen für Bläserquintett
Diese sechs Stücke waren ursprünglich Teil einer Sammlung von 12 Bagatellen, die zwischen 1951 und 1953 für Klavier komponiert wurden. Im Jahr 1953 transkribierte Ligeti sechs der Bagatellen für ein Bläserquintett, das aus Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott bestand. Mit Ausnahme der zweiten und fünften Bagatellen sind dies schnelle, temperamentvolle kleine Stücke. Sie spiegeln Ligetis ökonomischen Ansatz bei der Komposition wider, da eine minimale Anzahl von Noten für maximale Wirkung verwendet wird. Die Bagatellen sind oft strukturell spärlich, wobei die meisten Noten entweder staccato oder stark akzentuiert sind, um eine kühle, aber eindringliche Musik zu erzeugen. Die Dynamik ändert sich häufig, manchmal mehrmals in jedem Takt, und die Instrumente werden oft dazu aufgefordert, gedämpft zu spielen und jedem Stück verschiedene Farben hinzuzufügen. Ligetis
Lachenmann, Helmut (*1935)
Streichtrio
Reich, Steve (*1936)
Four Organs
Die vier Orgeln legen harmonisch einen dominierenden elften Akkord (E-D-E-F ♯ -G ♯ -A-B) dar und sezieren den Akkord, indem sie nacheinander Stücke davon spielen, während der Akkord von einer einzelnen Achtelnote langsam anwächst. Ein kontinuierlicher Maraca- Beat dient als rhythmischer Rahmen. Für die Aufführung des Stückes empfahl Reich, elektronische Orgeln mit möglichst einfachen Farben und ohne Vibrato zu verwenden, um zu vermeiden, dass der Klang des Instruments von den harmonischen und rhythmischen Aspekten des Stückes ablenkt.